Im Göhltal
ZEITSCHRIFT der
VEREINIGUNG
für
Kultur, Heimatkunde und Geschichte
im Göhltal ,
N° 21
2-77
Vorsitzender : Peter Zimmer, ”’Regina’”’, 4671 Moresnet-Kapelle.
Sekretariat : Rue du Calvaire, 8, 4671 Moresnet
Lektor : Alfred Bertha, Hergenrath, Bahnhofstraße, 20b.
Kassierer : Fritz Steinbeck, Kirchstraße, 20, Kelmis.
Postscheckkonto N° 000-0191053-60
Die Beiträge verpflichten nur die Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten.
Entwurf des Titelblattes : Frau Pauquet-Dorr, Kelmis.
Diese Skizze zeigt den Moresneter Göhlviadukt sowie die Hergenrather
Hammerbrücke in ihrer ursprünglichen Form.
Druck. Jacques Aldenhoff, Gemmenich.
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Inhaltsverzeichnis
Alfred Bertha, Hergenrath Aus der Pfarrgeschichte Hergen-
raths (Forts.) 5
Walter Meven, Aachen Die Rochuskapelle zu Hauset 24
Erich Barth, Hauset Zur Pfarrerhebung der Ortschaft
Hauset. Ein Nachtrag 31
Leonie Wichert-Schmetz, Zwei Birken (Gedicht) 35
Bad-Driburg
Alfred Bertha, Hergenrath Die altbelgischen Göhltalgemeinden
im ”Dictionnaire geographique de la
_ Province de Liege” aus d. Jahre 1831 36
M.-Th. Weinert-Mennicken, Bild der Sieben Schmerzen (im Dom
Aachen zu Aachen) (Gedicht) 45
Franz Uebags, Kelmis Kelmis Anno dazumal 46
Leo Homburg, Fossey Sprache und Geschichte eines alten
Grabkreuzes 67
Alfred Bertha, Hergenrath Ehemalige Grabdenkmäler in der
Ketteniser Kirche 70
Albert Aldenhoff, Montzen Der Viadukt von Moresnet 75
Gerard Tatas, Gemmenich Zwillinge (Gedicht) 80
Dr. Gisela De Ridder, Chronik vom Weiler Hof 81
Moresnet
Alfred Bertha, Hergenrath Ein Anstellungsvertrag eines Raerener
Pfarrers aus dem Jahre 1728 85
M.-Th. Weinert-Mennicken, Ikone (Gedicht) 89
Aachen
Freddy Nijns, Walhorn Cäsar Franck, ein berühmter Sohn
aus dem Göhltal - Dreiländereck 90
Leonie Wichert-Schmetz, November (Gedicht) 93
Bad-Driburg
Dr. Gisela De Ridder, — Das Portrait : Jean Lenaerts 94
Moresnet C
Gerard Tatas, Gemmenich De Hölep (Gedicht) 97
Maria Hick, Hergenrath Ein Landser aus Neu-Moresnet im
Deutsch-Französischen Krieg
von 1870-71 98
Alfred Bertha, Hergenrath Auf dem Büchermarkt 102
5
Aus der Pfarrgeschichte Hergenraths
(5. Fortsetzung)
von Alfred Bertha
Wie die Gemeindechronik meldet, wurde die alte Hergenra-
ther Kirche am 17. April 1850 auf den Abbruch inklusive Mobilar
zu 191 Taler und 25 Silbergroschen verkauft. Am 12. Juni
desselben Jahres kamen Eisen und Holz aus dem Turm getrennt
zum Verkauf und erbrachten die Summe von 47 Talern, 15 Sgr.
Die Schuldenlast der Gemeinde wurde dadurch nur unerheblich
gemildert. Eine ansehnliche Spende von 1000 Talern vermachte
der aus Hergenrath stammende Notar Peter Hennen der Gemeinde
testamentarisch i.J. 1852. Hennen war ein Bruder des 1791 am
Bildchen von einem österreichischen Husaren ermordeten Pfarrers
Johann Hennen.
Auf Kosten der Zivilgemeinde wurden 1861 zwei viersitzige
Chorstühle zu 293 Taler, 27 Kirchenbänke nebst Fußboden und
zwei Altarfüße für die Seitenaltäre zu 652 Taler in Auftrag
gegeben. Die Chorstühle lieferte der Aachener Bildhauer Johann
Kramer, der Raerener Schreiner Peter Joseph Pabst erhielt den
Auftrag zur Lieferung der Kirchenbänke, des Fußbodens und der
Altarfüße.
Bekanntmachung
Um Dienitag, den 19. März C,
Nacdımittags 3 Uhr,
{og im BürgermeistereizLokale hierfelbit die Lieferung
folgender Mobılien für biefige Pfarrkirche,
a) 25 Rirchenbänfe,
b) 800 DQuadrat« Fuß Fußboden unter des
Rirchenbänfen,
ce) 2 vierfibkige Chorftühle und
d) 2 altarfüße,
öffentlich in Berding gegeben werden.
Kojten-Anfchlag und Zeichnungen Kiggen in meis
ner Amtößube zur Einfiht offen,
Hergenrath, den 1. März 1861.
A Der Bürgermeifter, EC. SH. Moftert,
GES UEE SSATEE ESNEFEEENES ES,
(Aus dem Korrespondenzblatt d. Kreises Eupen)
Einem Homburger Gönner mit Namen Ludwig Duykaerts
verdankt die Hergenrather Kirche ihre ersten Kreuzwegstations- ,
bilder. Sie hatten einen Wert von 400 Talern.
Ö
Am Palmsonniag, dem 25.3.1866, wurden sie durch einen
Ordensgeistlichen der Franziskaner feierlich eingesegnet.
Der 1848 von Johann Peter Cremer entworfene Hochaltar kam
nie zur Ausführung. Statt dessen wurde 1867 ein neuer Hochaltar
nach den Plänen eines Architekten Schneider (Hugo Schneider?)
gebaut. Schon zwei Jahre zuvor hatte die Gemeinde die Kirchen-
einrichtung durch zwei neue Nebenaltäre im romanischen Stil
vervollständigt. &
Hohen Besuch hatte Hergenrath am 5.7.1868. Der Erzbischof
Melchers von Köln traf von Aachen kommend hier ein. Am
folgenden Tag konsekrierte er die Pfarrkirche, welcher Feier ein
Pontifikalamt folgte. Der Erzbischof verließ Hergenrath im Laufe
des Nachmittags in Richtung Lontzen und Eupen und am 11. Juli
traf er, von Walhorn kommend, in Hauset ein.
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Chorgestühl aus der Hergenrather Kirche
(Heute in der Kapelle der Eyneburg)
1872 wurde in der hiesigen Pfarrkirche durch den Bildhauer
Hermanns aus Randerath eine neue Orgelbühne nebst Orgelkasten
aufgestellt. Die Bühne kostete 515, der Orgelkasten 600 Taler.
%
Beim Orgelbauer Wendt zu Aachen wurde die Anfertigung einer
neuen Orgel in Auftrag gegegen. Der Kostenanschlag betrug 1.608
Taler.
Wendt vollendete die neue Orgel zu Anfang des Jahres 1873.
Am 16. Februar 1873 wurde sie dem gottesdienstlichen Gebrauch
übergeben. Der Organist Creutz aus Raeren revidierte sie am 20.
Februar und bescheinigte, daß sie in jeder Hinsicht gut ausgeführt
worden sei.
Als richtig abgeschlossen kann man den Kirchenbau aber erst
1892 bezeichnen, nachdem im Chor zwei bunte Glasfenster
eingesetzt worden waren, eine Turmuhr (1881) eingebaut worden
war und die Kirche einen Innenanstrich erhalten hatte. Die beiden
Chorfenster blieben bis zur Renovierung der Kirche in den Jahren
1967-68 erhalten. Sie zeigten die Bilder der beiden Pfarrpatrone,
des hl. Martinus und der hl. Luzia. Während das Luziafenster ein
Geschenk der Familie Scheibler auf Schloß Neuhaus war, wurde
das Martinusfenster durch Kirchenkollekten und Beiträge der
Rosenkranzbruderschaft finanziert. Beide Chorfenster wurden von
dem Aachener Glasmaler Schmitz angefertigt. Leider wurden die
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Der linke Seitenaltar aus der Hergenrather Pfarrkirche ist in der
Schloßkapelle der Eyneburg aufgestellt worden.
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Fenster, die nicht nur einen künstlerischen, sondern auch einen
ideellen Wert hatten, bei der genannten Renovierung zertrüm-
mert. Vom Luziafenster blieb nur das beschädigte Wappen der
Familie Scheibler erhalten.
Das religiöse Leben der Hergenrather Bevölkerung wird in
den Visitationsberichten des 19. Jh. durchweg als rege bezeichnet
und ihr sittlicher Lebenswandel hervorgehoben. So heißt es etwa
1827 : ”’Die Gemeinde besteht aus Fabrikarbeitern und Tagelöh-
nern, welche überhaupt ein einfaches, tätiges und ordentliches
Leben führen; oder 1849 : ”’Diese Pfarre ist im allgemeinen ruhig
und gut gesinnt; der Pfarrer Lambertz hat sich der Regulierung
des Kirchenwesens im letzten Jahre wärmer angenommen. Bei der
Nähe eines bedeutenden Bleibergbaues, woran die Bevölkerung
dieser Pfarre sich mit Tagelöhner-Arbeit sehr beteiligt, und wobei
der Umgang mit vielen unsittlichen, aus der Fremde hergekom-
men, verwahrlosten Subjekten wohl unvermeidlich ist, wäre es sehr
wünschenwert, daß die dortige, seit Jahren schon vakante Vikar-
stelle, des baldigsten mit einem tüchtigen Vikar besetzt würde.”
Im Bericht des Jahres 1847 hatte der Dechant herbe Kritik an
Pfarrer Lamberts geübt. Für die Beschaffung des notwendigen
Kirchenmobilars setze er sich überhaupt nicht ein, die Kirchen-
verwaltungssachen seien in auffallend ungeordnetem Zustande
und ’”da der Pfarrer Lambertz, wie derselbe sich bei jeder
Gelegenheit, selbst vor Weltlichen, oft zur Unehre seines Standes
weinerlich ausspricht, ganz unzufrieden mit seiner Stelle ist, so
wird nie etwas Ordentliches dort zu Stande zu bringen sein, es sei
denn, daß ein anderer Pfarrer dahin komme, der mit Liebe und
Sachkenntnis der Bewältigung sich annehme, was wahrscheinlich
im Interesse der gutmütigen Pfarrgemeinden, bei welchen das
Klagen und Jammern des jetzigen Pfarrers fast sprichwörtlich
geworden ist, sehr zu wünschen wäre; denn unmöglich können
Pfarrgenossen sich vertrauensvoll an einen Pfarrer anschließen,
der dem ersten besten Pfarrkinde bei jedem Zusammentreffen
seine Unzufriedenheit unverhohlen zuruft.””
Der Bericht des Jahres 1850 führt u.a. aus : ”’Die Bevölkerung
ist durchaus friedliebend und fügsam. Mit welcher Mühe ist es
dahin gekommen, daß die Kirchenrechnungen nun in gehöriger
Weise aufgestellt worden sind .. . Wie wenig Mühe sich übrigens
der Pfarrer Lambertz um das Kirchenwesen gibt, geht aus der
10
führe einen erbaulichen Lebenswandel, habe aber wenig Sorge für
seine Pfarrschule, welche er selten besuche. Und auch 1843 lesen
wir über Pfarrer Lambertz, er lebe still und einsam und erfülle
seine Amtspflichten mit Eifer.
Es darf nicht vergessen werden, daß die Pfarre Hergenrath im
vorigen Jahrhundert (und bis 1946) ebenfalls das Gebiet der
früheren Gemeinde Preußisch-Moresnet, später Neu-Moresnet,
umfaßte. Dieses sehr ausgedehnte Gebiet hatte Pfarrer Lambertz
oftmals ganz allein zu betreuen. Eine Aufstellung des Jahres 1857
aus dem Kölner Jahrbuch gibt uns interessante Aufschlüsse über
die Besiedlung Hergenraths und Neu-Moresnets in jener Zeit. Es
werden darin folgende Straßenzüge bzw. Einzelgehöfte mit der
jeweiligen Einwohnerzahl aufgeführt :
Achterstraet : 25
Brand : 18 (in die) Käskörf : 25
Busch : 32 Kelmis, Kapelle : 36
Emmaburg, Rittergut : 18 Kelmiserheide : 55
Grünenthal (im) : 24 Kupfermühle : 22 P
Heide : 35 (am) Penning : 35
Helmüs, Schule : 27 Plaatzegel : 32
Hoppenkolhof : 19 (auf der) Rotschen : 23
Ossenheide : 18 (auf) Schnellenberg : 16
Pannes : 28 Tülje : 65
Schampelheide : 27
Schevelhövel : 25
Wolfsheid : 36
Sodann noch 54 kleinere ”’Ortschaften, Gehöfte und Häuser” in
einer Entfernung bis zu 70 Minuten mit einer Seelenzahl von 467.
Insgesamt kam man in der Pfarre auf 1414 katholische und 58
evangelische Christen. Eine 3 Jahre später angelegte Bevöl-
kerungsliste führt neben den genannten Ortsteilen bzw. Gehöften
an :
Hergenrath (gemeint ist wohl das Dorfzentrum) : 168
Brennhag : 26
Bildchen : 40
Buye : 23
Hazard : 106
Tiffes (Moosbend) : 19 A
Insgesamt kam der Pfarrer 1860 auf 1482 katholisch Getaufte und
40 akatholisch Konfirmierte.
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Ein Visitationsbericht d. Landdechanten Sünn (Raeren) aus
dem Jahre 1863 bescheinigt'den Hergenrathern religiösen Eifer. Der
Dechant schreibt : ”’Das religiöse Leben befriedigt im Ganzen,
indem der Gottesdienst fleißig besucht wird und die hl. Sakra-
mente fleißig empfangen werden. Ein großer Übelstand für das
Aufblühen des kirchlichen Lebens ist das anstoßende Bergwerk
(Altenberg) wo sowohl bei den Glaubenslosen Beamten, als bei den
aus allen Gegenden herbeiströmenden Arbeitern wenig Religion
und Sittlichkeit wahrgenommen werden.”
Die Notwendigkeit eines Vikars war offensichtlich. Der
Dechant verweist denn auch schon im Jahresbericht 1856 aus-
drücklich auf den in Hergenrath bestehenden Notstand und mit
Bezug auf seine vorjährigen Äußerungen erlaubt er sich die Bitte,
doch auf die Besetzung dieser Vikarie ”umso mehr Bedacht
nehmen zu wollen, als in dieser Pfarre eine zweite, entfernt
liegende Schule von mehr als 150 Kindern besteht, in welche oft im
ganzen Jahr kein Geistlicher kommt.”
Von den Vikaren, die Pfarrer Lambertz in den vierzig Jahren
seines Wirkens in Hergenrath zur Seite gestanden haben, seien
hier einige erwähnt : 1846-1849 war Peter Joseph Breuer Pfarrvikar
in Hergenrath. Ihm folgte der Neupriester Victor Heinrich Zeiler,
der bis Januar 1850 blieb. Peter Joseph Schreiner, der das
Vikarie-Amt bis 1851 bekleidet, mußte Hergenrath aus Gesund-
heitsgründen verlassen. Mehrere Jahre blieb die Vikarstelle
unbesetzt, bis dann Ende August 1859 die Ernennung des bis
dahin in Eupen tätig gewesenen Wilhelm Joseph Nellissen aus
Schümm zum Kaplan in Hergenrath erfolgte. Er wurde 1862 als
Stiftsvikar nach Aachen versetzt und am 22. Oktober desselben
Jahres übernahm Johann Paul Dorn aus Reydt die Vikarstelle in
Hergenrath. Kaplan Dorn ging am 7. September 1867 als Rektor
nach Schauffenberg. ’’Der Name dieses Priesters”’, so schreibt der
Chronist,” der sich um die Möblierung und Verschönerung der
hiesigen Kirche sehr verdient gemacht hat, bleibt hier in Anden-
ken. Bei dem Abschied von hier wurde demselben eine Pendüle
zum Geschenk gemacht. Die Kosten derselben, 36 Taler, waren
durch freiwillige Beiträge gedeckt worden.”
Die Stelle des versetzten Kaplans Dorn nahm der neugeweihte
Priester Joseph Fischbach ein. Benedikt Joseph Fischbach stammte
aus Düren. Er wirkte in Hergenrath bis zu seiner Versetzung
12
Ende 1871 nach Korschenbroich bei Gladbach. An seine Stelle trat
Vikar Karl Joseph Bienefeld.
Nach einem Visitationsprotokoll des Landdechanten Sünn
(Raeren) war die Zusammenarbeit zwischen dem jungen Kaplan
Bienefeld und dem inzwischen 72-jährigen Pfarrer Lambertz
äußerst gut. Es herrschte ”’Friede und Eintracht” zwischen beiden.
Leider dauerte diese gute Zusammenarbeit nur wenige Jahre, denn
Pfarrer Lambertz segnete nach kurzer Lungenkrankheit am 7. Mai
1875 das Zeitliche.
Die Verwaltung der Pfarre Hergenrath wurde nun Kaplan
Bienefeld anvertraut. Damit begann in Hergenrath eines der
dunkelsten Kapitel der Pfarrgeschichte. Der rührige Bienefeld, .
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Auch die Kanzel hat in der Eyneburg-Kapelle eine vorläufige
Bleibe gefunden.
13
unermüdlich um die Verschönerung der Kirche besorgt, hatte
nicht nur Freunde. Sein Einfluß war ziemlich groß bei der
Mittelklasse und den ärmeren Volksschichten, aber von Seiten der
”ungläubigen Beamten und Freimaurer von Preußisch- und
Neutral- Moresnet’”” wurde er heftig angefeindet.
Auf Bienefelds Betreiben wurde das Kircheninnere durch
Polychromierung der drei Altäre, der Stationsbilder und der
Orgelbühne erheblich verschönert. ”Die Kirche, die Taufkapelle
und die Sakristei befinden sich in mustergültiger Ordnung”,
schreibt der Eupener Dechant in einem Visitationsbericht.
Im Dorf waren die Geister gespalten, Bienefeld hatte sich
mit dem Küster überworfen, doch dieser bezog weiterhin sein
Gehalt vom Kirchenvorstand. Die Folge war, daß zwei Küster
und zwei Gesangvereine, sprich : Kirchenchöre, anzutreffen wa-
ren. Die rechtliche Stellung des Kaplans Bienefeld war schwach;
nur ein definitiv angestellter Pfarrer konnte dem Kirchenvorstand
und dem Bürgermeister kraftvoll entgegentreten.
Im Urkundenbuch der Pfarre Hergenrath befindet sich eine
Eintragung aus der Feder von Pfarrer R.A. Mertz (1893-1918),
die wir hier auszugweise einflechten möchten; es heißt darin :
"(Der Tod von Pfarrer Lambertz) war ein harter Schlag für die
Pfarre, als um diese Zeit die Wogen des leidigen Culturkampfes
sehr hoch stiegen und die kulturkämpferischen Gesetze die
Anstellung eines Nachfolgers unmöglich machten. Glücklicher-
weise befand sich aber damals noch ein Vikar hier, nämlich Herr
Karl Joseph Bienefeld, der nun als Pfarrverwalter die ausgedehnte
Pfarre allein zu versehen hatte. Er that dieses auch mit großem
Eifer, sorgte besonders für Verschönerung und Ausschmückung
des Gotteshauses durch Anschaffung neuer Fenster etc., fiel aber
auch selbst einem Gesetzesparagraphen zum Opfer, indem er
wegen einer Bemerkung, die er am Allerseelentage 1878 in einer
Predigt auf dem Kirchhofe gemacht hatte gegen die Selbstmör-
der ”gelutzt”” wurde und dafür 20 Tage auf der Festung
Ehrenbreitstein verbüßen mußte. ’’Während dieser unfreiwilligen
Abwesenheit des Hergenrather Geistlichen sorgte der Hauseter
Pfarrer Brammertz für die seelsorgliche Betreuung der Bevölke-
rung.
14
An dem Zerwürfnis scheint die Frage des Pfarrhausneubaus
nicht ganz unschuldig zu sein. Diese Frage zieht sich von 1882 bis
1889 hin. ”’Das von dem verstorbenen Pfarrer Lambertz bewohnte
Pfarrhaus war ein niedriges Bauernhaus mit Strohdach, eines
Pfarrers unwürdig’’, schreibt der Eupener Oberpfarrer Richartz.
Und Bürgermeister Johann Peter Kittel berichtet am 18.10.1882
nach Köln, es handle sich darum, ”’daß eine alte Baracke, welche
mit Stroh gedeckt ist und wovon das Dach total faul ist, zur
äußerst notwendigen Reparatur gelangt.”
Der Kulturkampf ebbte langsam ab und die Besetzung der
Hergenrather Pfarrstelle konnte wieder erwogen werden. Doch
hegte das Erzbischöfliche Generalvikariat Bedenken, einen Hilfs- ,
geistlichen oder Pfarrer hier einzustellen, weil die Pfarrhauswoh-
nung nicht entsprechend und die Frage, wie eine anständige
Wohnung beschafft werden könne, nicht geklärt sei.
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Vikar Karl Joseph Bienefeld
Nach sehr langem Hin und Her, nach Ausarbeitung verschie-
dener Projekte, nach langen Diskussionen ob Neu- oder Umbau
das Beste sei, entschloß man sich zu Letzterem. Was dabei
15
herauskam, sehen wir aus einem Brief des Oberpfarrers und
Definitors Richartz vom 18.6.1887 :
”...wurden seither die Umfassungsmauern des Pfarrhauses höher
aufgeführt und an der Nordseite um 5 Fuß hinausgeschoben und
das Haus dadurch bedeutend verbreitert. Das Eingeweide des
Hauses aber wurde in seinem früheren Zustand gänzlich belassen,
die unbeschreiblich verworrene und zwecklose Vertheilung der
Innenräume, das sehr gefährliche Treppenwerk, die verfallenen
Fachmauern, die durchlöcherten Böden u.s.w., so daß das Haus
von außen einen stattlichen Bau, jedoch von innen ein erbärm-
liches Proletarierhaus repräsentiert ...”
So war der Umbau also mißlungen. Das Projekt eines
Neubaus wurde denn auch immer wieder erwogen und wäre nicht
das Problem der Finanzierung gewesen, so hätte man diese wohl
einfachste Lösung der Frage gewählt.
Am 15. Jan. 1888 bittet Ferdinand Contzen, Kaplan an St.
Columba in Köln, um Verleihung der Pfarrstelle zu Hergenrath.
Seine Ernennung erhält er am 28. Februar 1888. Schon kurz
darauf — vor Antritt der Pfarrstelle — äußert sich der neue
Pfarrer zum Problem des Pfarrhauses. Er schlägt einen Umbau,
nicht einen Neubau vor, da bei einem Neubau das alte Pfarrhaus
als Pächterwohnung erhalten bliebe. Der Pfarrer verlöre dadurch
etwas von seiner Freiheit, da er dann selber kein Vieh mehr
halten könne. Außerdem werde er durch die Pächterkinder
gestört. Schließlich sei ein Umbau auch billiger und Contzen will
der Gemeinde keine großen finanziellen Opfer abverlangen, da er
nicht unbeliebt werden möchte.
Solange aber die Wohnungsfrage nicht geklärt ist, will der
neue Pfarrer nicht nach Hergenrath kommen. Wenn Kaplan
Bienefeld das Feld räumte, könnte Contzen in die Vikarie
einziehen. Der Kaplan aber hält dem entgegen, er habe seine
schwerkranke 86-jährige Mutter bei sich wohnen und er könne
dieser keinen Umzug zumuten. Anfang September 1888 ist
Bienefeld noch immer in Hergenrath. Die ihm angebotenen
Stellen hat er ausgeschlagen, da er es als sicher ansieht, daß die
Regierung (wegen seiner Vergangenheit) ihn nie als Rektor’ oder
Pfarrer im Regierungsbezirk Aachen zulassen werde.
Für Contzen war dies eine heikle Lage. Er drängte auf
Versetzung des Kaplans. ”’Wie soll da Friede werden, wenn der
16
Pfarrer keine rechtliche Stellung hat ?”’ fragt er. ’’Das Volk selbst
ist gut; die ”Herren”” aber sind oppositionnell gesinnt und
geleitet von den beiden Bürgermeistern von Hergenrath und
Moresnet, die Schwäger sind. Ich werde von beiden Parteien als
”Mann des Friedens” erwartet, aber wie kann ich mit Erfolg
vermitteln, wenn ich nichts zu sagen habe, wenn ich vom
Kirchenvorstand resp. Bürgermeister ganz abhängig bin ?”” Cont-
zen fürchtet, wenn er nach Hergenrath komme, ehe Bienefeld
versetzt sei, durch diesen ”in die langjährigen Streitigkeiten
einbezogen zu werden, und der höchst mißliche Parteihader wäre
verewigt.”
Das Wohnungsproblem für den Pfarrer hat man sich inzwi- ,
schen durch einen Anbau zu lösen entschlossen. Am 23. Septem- i
ber 1888 wurde der Rohbau fertig. In einem Schreiben an das
Generalvikariat äußert sich Landdechant Hohlmann aus Raeren,
in folgenden Worten zu dem Bau : ”Die Pastorat, ein altes Haus
mit einem neuen Vor- oder Anbau, ist wohnlich, freilich kein
Palais, wie es gewisse städtische Herren wünschen.” Pfarrer
Mertz jedoch meint in einer Eintragung im Urkundenbuch der
Pfarre, der Plan und die Ausführung seien als ganz verfehlt zu
betrachten. Statt der 4.000 Mark, die der Anbau ungefähr
gekostet habe, hätte man besser ein paar hundert Mark mehr
aufgewendet und das alte Gebäude total abgebrochen. ”Jetzt ist
ein Bau entstanden, der niemand befriedigen kann, weil er nichts
Einheitliches ist und durchaus nichts Schönes. Niedrige Zimmer,
niedrige Fenster und Thüren, lebensgefährliche Trittchen und
Treppchen, zum Theil feuchte Mauern, ein ganz verbautes
Wohnzimmer : das ist die Signatur eines Pfarrhauses, das gegen
die schöne Kirche gewaltig absticht.”
Anlaß zu dem oben erwähnten Brief des Landdechanten
Hohlmann an die Kölner Behörde war die Neubesetzung der
Hergenrather Pfarrstelle. Kaplan Bienefeld hatte den Ort am 5.
September 1889 für eine Rektorstelle in Eupen verlassen. Der aus
Aachen stammende Ferdinand Joseph Hubert Contzen hatte die
Pfarrstelle in Hergenrath im November 1888 angetreten. Nach gut
vier Jahren priesterlichen Wirkens in unserer Gemeinde verstarb
er plötzlich am 25. Januar 1893 infolge eines Hirnschlages.
Die Gemeindechronik vermerkt dazu : ”’Am 25. Januar starb
hierselbst der Pfarrer und Lokalschulinspektor Ferdinand Hubert
17
A 7
Pfarrer F.H. Jos. Contzen
Joseph Contzen, welcher mit dem 11. November 1888 hier
angestellt war. In ihm verlor die Pfarre einen pflichteifrigen,
friedfertigen Priester, welcher eine besondere Eigenschaft besaß,
entstandene Zwistigkeiten zu schlichten und dem die Ruhe und
Ordnung zu erhalten als höchstes Gut galt, weshalb sein Anden-
ken fortleben wird.”
Contzens Nachfolger Mertz schreibt folgendes über seinen
Vorgänger : ”Im Jahre 1888 war der Culturkampf in soweit
gemildert, als wieder neue Pfarrer angestellt werden konnten.
Auch Hergenrath sollte einen solchen endlich nach dreizehn
Jahren erhalten. Der viele Jahre hindurch auf dem General-Vika-
riate beschäftigt gewesene Herr Vikar F.J. Hubert Contzen,
gebürtig aus Aachen, wurde am 21. August 1888 zum Pfarrer von
Hergenrath ernannt. Derselbe war geboren am 19. März 1843
und war wegen seines milden und sanften Charakters der
geeignete Mann, um die Parteiungen und Feindseligkeiten, die in
der Pfarre ausgebrochen waren, zu schlichten. Leider aber sollte
er hier nicht lange wirken. Seit 1892 wiederholten sich bei ihm oft
Schlaganfälle und am 25. Januar 1893 starb er ziemlich unerwar-
tet, in einem Alter von 49 Jahren. Allgemein beliebt, war er auch
bei seinen Confratres ein gern gesehener Freund, was sich
18
besonders beim Leichenbegängnisse zeigte, an dem sich 32
Geistliche beteiligten. Die noch fehlenden neuen Fenster in der
Kirche hat er beschafft, theils aus Mitteln der Rosenkranzbruder-
schaft, theils aus anderen Sammlungen. R.1.P.”
Nachfolger Contzens wurde, wie schon erwähnt, der aus
Millen stammende Rainer Aloysius Mertz. Er war geweiht worden
am 24.8.1869. Bis zu seiner Ernennung zum Pfarrer von Hergen-
rath war er 24 Jahre lang Kaplan in Mönchen-Gladbach gewesen.
Seine Einführung in das neue Amt fand am Pfingstsonntag, dem
22. Mai 1893, statt. Dorf und Kirche waren feierlich geschmückt.
”Möge seine Thätigkeit eine gesegnete werden!” So schreibt
Pfarrer Mertz über sich selber ins Urkundenbuch. i
Unter Pfarrer Mertz wurden die ”’häßlichen Mundschilde-
reien’”’ an den beiden Seitenaltären durch ”’Prachtvolle Freskos””
ersetzt. Das linke stellte die Hl. Familie, das rechte den hl.
Martinus, der seinen Mantel teilt, dar. Der Krefelder Maler
Dyderzky erhielt für diese Arbeit 450 Mk, welche von zwei
Wohltätern gespendet wurden. Der Hochaltar wurde neu poly- %
chromiert und die Tabernakeltüren kunstvoll bemalt. Auch die
Taufkapelle, ”’die sehr in Unstand war”, ließ Mertz renovieren
und mit einem Fresko, die Taufe Christi darstellend, schmücken.
Die Mittel für diese Arbeiten kamen zum Teil von der
Rosenkranzbruderschaft. Sie bestand hier seit 1864 und nannte
sich ”’Lebendiger Rosenkranz’’. Im Februar 1902 wurde durch
das Generalvikariat in Köln dieser Verein zu einem ”’Geldge-
schäft’” erklärt und die damit verbundenen Ablässe als ”’sehr
zweifelhaft” hingestellt, weil die Erhebung von 50 Pf (Monatsbei-
trag ?) unerlaubt sei. Daraufhin änderte der Verein seinen
Namen in ”’Rosenkranzbruderschaft””. ”’Möge denn die nunmehr
errichtete Rosenkranzbruderschaft um so mehr geistige Vorteile
bieten, als die materiellen Mittel zur Verschönerung des Gottes-
hauses durch Aufhebung des nicht zu Recht bestehenden ”’leben-
digen Rosenkranzes’” von jetzt an größtenteils wegfallen”,
schreibt Pfr. Mertz.
1902 wurde der Bau einer Sakristei beschlossen und ausge-
führt. Unermüdlich war Pfarrer Mertz um die Verschönerung des
Gotteshauses bemüht. Seine mustergültige Amtsführung ließ ihn
dem Generalvikariat als der geeignete Mann erscheinen, neben
20
Im Dezember 1911 wurden die Anlagen für das elektrische
Licht im Chor fertiggestellt. In der Weihnachtsmesse wurde das
Chor zum ersten Male hell erleuchtet ”’zur großen Freude und
Erbauung der Kirchenbesucher”.
Kleine Änderungen in der Kirche ließ Mertz fast ununter-
brochen ausführen. Laufend wurden Heiligenfiguren polychro-
miert, die Wandbemalung erneuert, das Chor neu belegt, die
Kommunionbank verlängert, der Hochaltar im Aufbau geändert
und polychromiert u.s.w. Doch dann begann plötzlich das große
Völkermorden.
Über den Ausbruch des Krieges 1914-18 schreibt Mertz
folgendes : ”’...Am 3. August 1914 kam schon das 7. Armeekorps
in hiesiger Gegand an. Ein großer Teil, 3.000 Mann davon,
wurde hier einquartiert, z. B. beim Pfarrer 3 Offiziere, 6 Pferde
im Stall, mehrere Burschen. Da die Häuser nicht alle Soldaten
unter Dach bringen konnten, wurde auch die Kirche als Nacht-
lager benutzt, nachdem das Allerheiligste in die Sakristei an
einen würdigen Ort getragen war. Auf einmal hieß es : ”viele
Soldaten sind schon in der Kirche ... um zu beichten! Pfarrer und
Kaplan waren natürlich sofort bereit, um diesem Wunsche
nachzukommen. Es beichteten über 100, konnten aber am
anderen Morgen die hl. Kommunion nicht empfangen, weil schon
in früher Stunde unerwartet der Befehl kam : sofort aufbrechen
nach Belgien hinein! Es war ein fürchterliches Getöse der
Kanonenwagen der Artillerie und Stampfen der Pferde, sodaß
man eine kleine schwache Ahnung bekam von dem, was in
Feindes Land vor sich gehen sollte. Einige Tage darauf traten
diese Truppen auch schon in Aktivität durch die Beschießung
der Forts in Lüttich, sodaß man namentlich am 11. August hier
deutlich den ganzen Tag Kanonendonner hören konnte. Es war
ein furchtbar heisser Tag, aber abends war das letzte Fort
erstürmt und die Deutschen zogen in Lüttich ein ...
Der Durchzug der Truppen über Hergenrath mit Einquar-
tierung wiederholte sich noch achtmal. Die meisten zogen über
die Lütticher Chaussee oder per Eisenbahn an Hergenrath vorbei
in Belgien ein. Zu den letzten, die beim Pfarrer einquartiert
waren, gehörte Graf von Ballestrem (Schlesien) und Baron von
Burkhardt, der vor Lüttich gefallen ist.
21
... In dieser Kriegszeit bewährt sich wie überall im Kreise
Eupen auch in Hergenrath die christliche Caritas, Fürsorgepflege
für die Soldaten ... Außerdem wurden viel Liebesgaben gesam-
melt. Die Schulmädchen, die Kongreganistinnen (?) und auch
andere strickten Wollsachen für die Soldaten. Außerdem wurden
die hier mit der Eisenbahn, die hier gewöhnlich 1 Stunde hielt,
beförderten Verwundeten am Bahnhof mit Lebensmitteln, Kaf-
fee, Cacao, Wurst, Schinken, Brot, Suppe, Cigarren gestärkt und
erfreut. Alle 14 Tage wurden Liebesgaben den einheimischen
Soldaten (etwa 70) ins Feld nachgeschickt. Die Zahl wäre
bedeutend größer, wenn nicht hier soviele Eisenbahner wohnten,
die als unabkömmlich erklärt sind.”
(Eintragung im Urkundenbuch S. 39)
Ein harter Schlag traf die Gemeinde durch die Verordnung
des kommandierenden Generals von Ploetz (Coblenz), wonach im
Juli 1917 die Prospektpfeifen der Orgel und die Bronzeglocken
mit Ausnahme von einer Läuteglocke für Kriegszwecke abgelie-
fert werden sollten. Bei der Abnahme der Pfeifen stellte sich aber
heraus, daß dieselben nicht aus reinem Zinn bestanden, sondern
aus einer Mischung von Zinn, Blei und Dreck, so daß sie. nicht
abgeliefert zu werden brauchten.
Zwei Glocken wurden am 4. Juli 1917 mittels Flaschenzuges
aus dem Turm heruntergelassen. Ein Schall-Loch mußte zu
diesem Zwecke erweitert werden. Es waren die 1909 angeschaffte
große Glocke in Es und die zweite große mit F-Ton. ””’Traurigen
Anblicks sahen die Gläubigen die Glocken aus dem Turm
„scheiden, die nun nicht mehr zum Gottesdienste rufen und das
Friedensgeläute anstimmen werden, sondern in Kanonen umge-
gossen werden sollen. Einstweilen stehen dieselben (24. Juli) noch
auf dem Boden vor der Kirche, sodaß noch eine schwache
Hoffnung besteht, sie würden verschont bleiben.’ (Pfarrer Mertz)
Leider ist diese Hoffnung nicht in Erfüllung gegangen, denn
nach einer militärischen Verordnung mußten dieselben am 10.
November abgeliefert werden. Sie wurden nach Call (Eifel)
gebracht und eingeschmolzen.
Dechant und Pfarrer Mertz hatte von Ende April 1916 an
einen Kaplan zur Seite. Es war der am 9. April 1891 in Beckum
geborene Neupriester Joseph Houben. Ende Februar 1918 er-
krankte Mertz ”an dem alten schmerzlichen Leiden”, wie die
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Pfarrer und Landdechant Rainer Aloysius Mertz }
Eintragung im Urkundenbuch lautet. Es war ein Bruchleiden und
nur eine Operation konnte helfen. Der Kaplan brachte den
kranken Pfarrer nach Aachen ins ”’Sanatorium an der Lütticher
Straße”. In Hergenrath liefen schon die Vorbereitungen zur Feier
des goldenen Priesterjubiläums und alle hofften, den Pfarrer bald
wieder gesund in ihrer Mitte zu haben. Trotz gut verlaufener
Operation starb Rainer Aloysius Mertz am 18. April 1918.
”Großer Schmerz erfüllte die Pfarrkinder, lautes Schluchzen ging
durch die Kirchenbesucher, als der Vikar bei Gelegenheit der hl.
Messe die Todeskunde mitteilte. ”(Eintragung von Vikar Hou-
ben).
Am 22. April wurde Vikar Houben bis zur Neubesetzung der
vakanten Stelle zum Pfarrverwalter ernannt.
Als neuer Pfarrer von Hergenrath wurde am 4. August 1918
der aus Gangelt stammende Peter Piepers in sein Amt eingeführt.
Piepers war geboren am 7. Juli 1875, zum Priester geweiht
worden am 28. März 1903 und seit dem 24. April 1903 an St.
Jakob in Aachen als Kaplan tätig gewesen.
Nachdem am 11. November das große Morden auf den
Schlachtfeldern ein Ende genommen hatte und die deutschen
23
Truppen in die Heimat "zurückgeflutet waren, kamen am 2.
Dezember die ersten belgischen Soldaten, am 6. folgten franzö-
sische Truppen zur Einquartierung. Die Bewohner der Pfarre
benahmen sich würdig gegen die ausländischen Soldaten, die so
zahlreich erschienen waren, daß sie nur mit Mühe in den
Wohnungen untergebracht werden konnten. Auch das Pfarrhaus
blieb vor Einquartierungen nicht verschont.
”Nach den Bestimmungen des Gewaltfriedens vom Jahre
1919 kam das Gebiet Eupen-Malmedy zu Belgien. In kirchlicher
Hinsicht wurde zunächst ein eigenes Bistum Eupen-Malmedy
gegründet, aber in Personalunion mit Lüttich dem dortigen
Bischof Msgr. Rutten unterstellt mit der Kathedrale in Malmedy.
Nach etwa fünf Jahren wurde es an das Bistum Lüttich ange-
schlossen. Die Erfahrungen mit dem Gouvernement Eupen-Mal-
medy (Baltia) waren für die Bevölkerung wenig erfreulich, da die
Bewohner als Bürger zweiter Klasse betrachtet wurden.”’ (Eintra-
gung v. Pfarrer Piepers)
Quellen :
— Chronik der Gemeinde Hergenrath (Gemeindearchiv).
—— Urkundenbuch der Pfarre Hergenrath (Pfarrarchiv)
— Diözesanarchiv Aachen, Dekanatsakten Eupen” und Generalvikariatsakten
"Hergenrath”.
24
Die Rochuskapelle zu Hauset
von Walter Meven
In der letzten Nummer unserer Zeitschrift berichteten wir
über die Pfarrerhebung und die Einführung des ersten Pfarrers in
Hauset. Als Quartier der Bank Walhorn gehörte Hauset bis in die
Mitte des 17. Jh. zur Mutterkirche Walhorn (1). Im Jahre 1651
kam es als ”Herrlichkeit Hauset’’ in den Besitz des Freiherrn
Huyn von Amstenrath. Die Lösung der verschiedenen Kirchen
und Kapellen von der Mutterkirche fällt auch in diese Zeit, so
daß Hauset dem Pfarrsprengel Eynatten zugeschlagen wurde. An
den Kosten zur Unterhaltung der Pfarre mußte sich Hauset
anteilig beteiligen, wie in den Rechnungsbüchern nachzulesen ist.
Einen interessanten Hinweis gibt uns in diesem Zusammen-
hang eine alte Urkunde des Aachener Marienstifts; aus ihr geht
eindeutig hervor, daß die Hauseter Dorfgemeinschaft schon
früher ein Gotteshaus besessen haben muß.
Das Dokument aus dem Jahre 1469 ist ein Lehnsprotokoll
der propsteil. Mannkammer und beurkundet den Verkauf eines
Grundstücks, das an der Kirche angrenzt. (”eyn Stück lants an
der Kirchen gelegen”)
Zwei Eintragungen in einem alten Gudungsbuch aus den
Jahren 1589 und 1597 können uns nachdenklich stimmen : Es
heißte da am ”’Allerheiligentag 1589 ... auf Hausender Kirmes
zahlbar” und für 1597 lautet die Eintragung ”’... op Moendachs
Kirmes tot Hauset is koemen vor Heer und Gerecht.”
Können wir daraus schließen, das Hauset schon einmal ein
eigenes Patrozinium hatte und am Namensfeste dieses Patrons
bzw. am Jahrestag der Kirchweihe völlig unabhängig seine
Kirmes feierete ?
Eine genaue Lagebestimmung der obenerwähnten ”’Kirche””
ist zwar nicht möglich; da es sich aber bei der Urkunde um einen
Verkauf aus dem Stocklehen der Burg handelt, dürfen wir
annehmen, daß die Kirche im Burgbereich gelegen hat. (2)
Zudem wissen wir, daß der eigentliche Kern der Streusied-
lung Hauset dort zu suchen ist. Ein vor wenigen Jahren dort
aufgefundener Töpferofen dürfte auch ein wichtiges Indiz sein.
25
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Vorderansicht der Hauseter Rochuskapelle
Ob der Standort der heutigen Kapelle an der Weggabelung
Eynatten und Astenet mit dem der 1469 erwähnten ”’Kirche”
identisch ist, bleibt eine offene Frage.
Ein kleines Glöckchen im Dachreiter der heutigen Kapelle
trägt die Jahreszahl 1707, woraus man bisher immer geschlossen
hat, daß die Kapelle selbst auch in jene Zeit zu datieren sei.
Das Rochuspatrozinium deutet aber eher auf eine frühere
Bauzeit hin. Der hl. Rochus war der Schutzpatron der Pestkran-
ken. Seit der Mitte des 15. Jh. war der Kult dieses Heiligen
verbreitet. Die letzte große Pestepidemie herrschte bei uns im
26
Dreißigjährigen Krieg, wie aus den Walhorner Kirchenbüchern zu
ersehen ist. Allein in den Jahren 1635 bis 1637 registrierte der
Walhorner Pfarrer 230 Pesttote.
Als weitere Datierungshilfe können wir ein kleines Schrift-
stück aus dem Jahre 1654 heranziehen, worin es heißt, daß Peter
Mees im Quartier Hauset in Zeiten der Not die Glocke läuten läßt
und die Schützen versammelt. Alles spricht dafür, daß es sich um
die Kapellenglocke handelt.
In die Wirren der kriegerischen Auseinandersetzungen zwi-
schen Frankreich und Spanien (1667-1668) wurde unsere Heimat,
wie so oft, mit hineingezogen. Ganze Dörfer wurden gebrand- _
schatzt. Viele Bewohner ließen Haus und Hof im Stich und
wanderten aus, nachdem die Franzosen von Diedenhofen her die
besten Dörfer ”camen affbranden’”. Der Bürgermeister von
Hauset führte bewegte Klage, daß er wochenlang vor den
Franzosen sein Haus habe verlassen müssen, nachdem vorher
Hauptmann Malatesta Wochen darin logiert hatte. Sein Haus sei
völlig ausgeplündert und sämtliche Bewohner des Ortes seien
geflohen. ”’(3)
Schon 1659 fordert der Rat der nahen Reichsstadt Aachen
die aus dem Limburger Land wegen dortiger Einquartierung Con-
daischer Kriegsvölker in die Stadt geflüchteten Leute ”aus
bewegenden Ursachen” zum Auszug auf. Pfarrer Voets von
Walhorn berichtet, daß am 20. Mai 1668 die Franzosen ins Land
gefallen sind und die Kirche geplündert haben.
Daß auch unsere kleine Kapelle in Mitleidenschaft gezogen
wurde, beweist eine Eintragung im Hauseter Rechnungsbuch aus
dem Jahre 1672. Es heißt dort wörtlich ”’... Item soude aenden
Meyer Peeters Meehs coemen hondert sees gulden elff Stuyvers
dry oirt courant weghen dat hy meer heeft gedebourseert aen het
opbouwen van de Capelle als ontfangen vuytwysens den Staet
ende Specificatie van voorscr. P. Meehs op huyden overgeven,
facit in permisse gelt dryentsestich gulden neghenthien Stuyvers.””
(Desgleichen soll der Meier Peter Meehs 106 Gulden, 11 Stüber
und 3 Ort bekommen, weil er fürs Aufbauen der Kapelle. mehr
ausgegeben als erhalten hat, wie aus der heute übergebenen
Kostenaufstellung hervorgeht. Macht in ”’Permissie-Geld’” 63
Gulden, 19 Stüber.)
27
Aus dem Juni 1669 stammt die Eintragung des Hauseter
Einnehmers, daß ”Drijs der Schmied” drei Schillinge zurückbe-
halten habe für ein Kettchen, das er für das Gotteshaus gemacht
habe.
Und am 6. Dezember desselben Jahres zahlte Peter Mees
Arret Osseman einen Schilling ’”für das Leder, in dem das
Glöcklein im Gotteshause hängt.”
Am 21. September 1679 kaufte der Einnehmer in Aachen ein
Seil "für ins Gotteshaus zu Hauset’”’. Dabei dürfte es sich um ein
Glockenseil gehandelt haben.
Eine letzte Eintragung, die sich auf unsere Kapelle bezieht,
findet sich unter dem 13. September 1681. Es heißt dort, daß
Cillis Bischop und Huppert Schutten das Kapellchen zu Hauset
”getracteert oft geplestert’”’ haben. Die beiden Pliesterer bekamen
dafür 27 Aachener Gulden.
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Die Rochuskapelle von Hauset : Südansicht RS
28
Es bestehen keinerlei Aufzeichnungen über eine eventuelle
Plünderung der Kapelle durch die die calvinistischen Truppen
des Friedrich Heinrich von Oranien, die 1632 die Feste Limburg
eroberten und fünf Jahre lang die Katholiken aufs ärgste verfolg-
ten. Sie zerstörten und verwüsteten einen Teil unserer Kirchen.
Wertvolle Altäre, Figuren und Bilder fielen ihnen zum Opfer.
U.a. wurde die Kirche zu Walhorn verwüstet. 1684 bekam unser
Land wiederum die Kriegsgeißel zu spüren. Die Franzosen brand-
schatzten die Bank Walhorn. Alle 25 Hauseter Häuser wurden
niedergebrannt. Leider sind über das Schicksal der Rochus-
kapelle in jenen Tagen keine Aufzeichnungen überliefert.
Beim Einrücken der Franzosen i.J. 1792 wurden die Unterlagen
der Ortsverwaltung Hauset verschleppt.
In der Mitte des 19. Jh. berichtet ein Wanderer im ”Echo
der Gegenwart” über einen Ausflug nach Hauset. Auszugsweise
heißt es dort : ”. .. Wir verfolgten unseren Weg bis zu den
nächsten Häusern, deren wir etwa ein halbes Dutzend in geringer
Entfernung von einander liegend fanden. Mitten zwischen diesen
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Aus der. Hauseter Kapelle stammendes Gitterfragment in St. Foilan, Aachen
30
Eine Holzfigur, einen Bischof darstellend, die hinten ausge-
höhlt und mit einer Holzplatte verschlossen war, vermutlich zur
Aufnahme einer Reliquie, war einst im Besitze einer Hauseter
Familie. Vermutlich stammte auch sie aus der alten Kapelle.
Dem Typus nach soll es sich um eine Lambertusdarstellung aus
dem 16. Jh. gehandelt haben. Leider ist die verbliebene Rochus
Holzplastik in den sechziger Jahren unseres Jh. entwendet
worden. Auf einer Fotographie können wir sie heute am einstigen
Ausstellungsort betrachten.
(Frdl. Mitteilung des Herrn Architekten Hans Küpper, Aachen)
Anmerkungen
1) An die Zugehörigkeit zur Pfarre Walhorn erinnert heute noch der von Hauset
über Astenet nach Walhorn führende ”Leichenweg”, heute Asteneter Straße
genannt.
5 2) Eigentümlicherweise findet sich auf der Ferraris-Karte von 1775 eine Kapelle
mitten in den Feldern auf Prester, während die heutige Rochuskapelle nicht
eingezeichnet ist. Dieselbe fehlt auch auf der Tranchot-Karte.
3) Hermann Wirtz : ”’Eupener Land”, S. 26
31
Zur Pfarrerhebung der Ortschaft
Hauset. Ein Nachtrag
e von Erich Barth
Zu den in der vorigen Nummer dieser Zeitschrift gemachten
Anmerkungen zur Einführung des ersten Hauseter Pfarrers i. J.
1861 fand sich nachträglich eine von Landdechant Pauls verfer-
tigte Abschrift der die Abtrennung Hausets von Eynatten besie-
gelnden erzbischöflichen Urkunde, die wir hier als Nachtrag zu
genanntem Aufsatz bringen wollen. Sie lautet :
”Johannes, der h. Römischen Kirche Cardinal-Priester von Geis-
sel durch Gottes Barmherzigkeit und des h. Apostolischen Stuhles
Gnade Erzbischof von Köln, desselben Apostolischen Stuhles
geborener Legat” etc.
Allen Gegenwärtigen und Zukünftigen Gruß und Frieden im
Herren!
Die vielfachen geistigen Vorteile, welche der selbständige
Pfarrverband einer Gemeinde darbietet, haben wie von jeher, so
besonders in den jüngsten Zeiten die Gläubigen zu großen Opfern
und zu unausgesetzten Anstrengungen bewogen, um die Hinder-
nisse zu beseitigen, welche der Errichtung eines eigenen Pfarrsys-
tems sich entgegenstellten. Wir erkennen es wohl und bekennen es
mit oberhirtlicher Freude, daß diese frommen und eifrigen
Bemühungen der Erzdiözesanen die sorgenschwere Last des uns
auferlegten Hirtenamtes nicht wenig erleichtern und unser Ver-
trauen auf den Beistand dessen, der uns zum Weiden dieser
Herde gesetzt hat, mächtig beleben und stärken. Mit großer
Befriedigung und dankerfülltem Herzen gegen Gott, den Spender
alles Guten, erfüllen wir daher heute den langgehegten Wunsch
der Gemeinde Hauset, Dek. Eupen, die in lobenswerter Erkennt-
nis der geistigen Vorteile ihr festes Streben auf Erhebung ihrer
erst vor kurzem neu erbauten Kapelle zu einer selbständigen
Pfarrkirche gerichtet und keine Opfer gescheut hat, um ihr
frommes Ziel zu erreichen; indem sie sich bereits unter’m 17.
März 1858 durch einen Gemeinderatsbeschluß verpflichtet, die
für die Einrichtung eines Pfarrgottesdienstes und für die Besol-
dung des Pfarrers notwendigen Fonds aus Gemeindemitteln
jährlich zu beschaffen; und endlich die Verbindlichkeit über-
nahm, den Pfarrer und den Küster von Eynatten für den Verlust
an Stolgebühren schadlos zu halten.
32
Da indessen der beabsichtigten Pfarrerhebung zur Zeit noch
verschiedene Hindernisse entgegenstanden, so wurde auf den
Wunsch der Gemeinde einstweilen ein Vikar an der dortigen
Kapelle angestellt, bis die Pfarrerhebung ausgesprochen werden
könnte. .
Nachdem nunmehr aber die entgegenstehenden Hindernisse,
besonders auch dadurch, daß der Pfarrer und Kirchenvorstand
von Eynatten, wozu die Gemeinde Hauset bisheran gehörte, in die
Abtrennung eingewilligt haben, beseitigt sind; und nachdem auch
Se Majerstät der König, mittels allerhöchster Cabinetsorde vom
23. Januar d.J. die landesherrliche Zustimmung zu der Abtren-
nung der Gemeinde Hauset von dem Pfarrverbande mit Eynatten *
und der Errichtung eines eigenen katholischen Pfarrsystems
daselbst Allergnädigst auszusprechen geruht haben, so steht
} nunmehr der kirchlich kanonischen Errichtung der neuen selb-
ständigen Parochie nichts entgegen. 4;
Demgemäß haben wir, kraft Unseres Oberhirtenamtes, und
auf den Grund "der allgemeinen Uns zustehenden kanonischen
Befugnisse, sowie der durch die h. Kirchenversammlung von
Trient, Sess. 21, c. 4 de Reform. Uns erteilten Vollmachten
beschlossen und beschließen dadurch :
Die Kapelle und die Gemeinde Hauset, im Umfange der
durch die Civilverwaltung bestimmten gegenwärtigen Fluren sind
von nun an aus ihrem Pfarrverbande mit der Mutterkirche zu
Eynatten gelöst;
Wir erheben gedachte Kapelle zu einer Succursal-Pfarrkirche
mit allen Rechten und Pflichten, welche einer solchen nach der
bestehenden Verfassung unserer Erzdiözese zukommen und ob-
liegen, und weisen ihr als Pfarrsprengel den oben bezeichneten
abgetrennten Teil der Pfarre Eynatten zu;
Wir bestimmen als lastenfreies Gehalt für den anzustellen-
den Pfarrer die jährliche Summe von 300 Taler, zu deren
Aufbringung aus Gemeindemitteln die Gemeinde sich verpflichtet
hat, und überweisen demselben bis zur Fertigstellung eines
Pfarrhauses die bisher von dem Vikar benutzte Wohnung im
Schulhause;
Wir setzen als die an den Pfarrer und Küster zu Eynatten für
die Dauer ihrer amtlichen Bestellung daselbst von der neuen
35
Zwei Birken
von Leonie Wichert-Schmetz
Zwei Birken steh’n am Ackerrand.
Ihr Stamm glänzt weiß,
Ihr Laub lichtgrün.
Am Rain viel tausend Blumen blüh’n,
Sie streiten um der Schönheit Preis,
Es wandern Wolken über’s. Land.
Zwei Menschen stehen Hand in Hand;
Ihr Leib ist jung, ihr Aug’ ist hell,
Im Herzen springt ein Freudenquell.
Sie schau’n vertrauend in das Land.
Zwei Birken steh’n am Ackerrand.
36
Die altbelgischen Göhltalgemeinden
im
A EAN Es
Dictionnaire Ed de Liege‘
von Alfred Bertha
Die mit dem 1. Januar 1977 in Kraft getretene Neugliederung
unserer Gemeinden war nicht die erste, aber doch die einschnei-
dendste Maßnahme dieser Art seit Bestehen des belgischen Staates.
Die neubelgischen Gemeinden schrumpften von 25 auf 9, die
altbelgischen des Montzener Gebietes von 9 auf 3 zusammen,
nämlich Welkenraedt, Bleyberg und Baelen-Membach.
In diesem Zusammenhang ist es gewiß nicht uninteressant -
nachzulesen, wie sich die nunmehr aufgelösten und zu größeren
Einheiten verschmolzenen Gemeinden von Henri-Chapelle bis
Gemmenich vor 136 Jahren, kurz nach der Gründung des
belgischen Staates, darstellten. In der Landeshauptstadt erschien
schon 1831 ein geographisches Wörterbuch der Provinz Lüttich,
dem wir zu den betreffenden Gemeinden folgende Einzelheiten
entnehmen.
Gemmenich
Gemeinde des Kantons Aubel, 2 1/2 Wegstunden östlich/nord-
östlich von Aubel gelegen, Bezirk Verviers, 4 Wegstunden nord/-
nordöstlich von Verviers.
Grenzt im Norden an die Gemeinde Vaals (Prov. Limburg),
im Osten an das neutrale Gebiet von Kelmis, im Süden an die
Gemeinden Moresnet und Montzen, im Osten an die Gemeinden
Homburg und Teuven. Dazu gehörende Weiler sind : Bleyberg,
N Neumoelen, Oude Moelen, Terstraeten und Völkerich (Volikerick)
Hydrographie : Ortsgrenze ist im Süden und Osten die Göhl, die
Gemmenich gegen Montzen, Homburg und Teuven abgrenzt. Auf
dem Gebiete Gemmenichs befinden sich eine große Anzahl von
Wasserläufen, wovon die bedeutendsten der Weschbach und der
Brockbach sind, die in die Göhl abfließen.
Bodenrelief : Ungleichmäßig, von sanft abfallenden Hängen
durchzogen; ton- und sandhaltiger Boden; Sümpfe. Kreide,
Mergel und kohlehaltiger Kalkstein werden abgebaut. Die Hu-
6 musschicht geht von 6-15 Zoll (1 Zoll = 1/12 Fuß = 2,615 cm).
Fossilien : Trigonia circulata, pecten orbiculare, hamites interme-
dius,
(1) "Diet. G6ogr. de la Prov. de Liege” (fond& par Ph. Vander Maelen),
Bruxelles, 1831.
37
Landwirtschaft : Man erntet Weizen, Roggen, Gerste, Hafer;
vielerlei Sorten Gemüse und Gartenkräuter.
Ausgezeichnete Weiden; das Futter wird in der Gemeinde genutzt.
Birnen, Äpfel und Kirschen. Gebüsch mit Eichen, Birken und
Weißbuchen; Pappeln, deren Holz beim Bauen Verwendung
findet. Die guten Böden ruhen nur selten. Rinder-, Kälber-,
Schweine- und Schafzucht. 1830 zählte die Gemeinde 67 Zugpfer-
de, 7 Fohlen, 515 St. Hornvieh, 230 Kälber, 224 Schweine und 200
Schafe. Hasen, Rebhühner und Schnepfen; einige Wölfe im
Winter; viele Füchse. Wolle, Butter, Käse, Honig und Wachs.
Bevölkerung : 504 Männer, 551 Frauen. Insgesamt 1055 Einwoh-
ner; sie sind deutschsprachig.
Wohnhäuser : Der Ortskern zählt etwa 45 Häuser, der Weiler
Völkerich zählt deren 25, der Weiler Terstraeten 24. Die Häuser
sind aus Stein, Ziegelsteinen, Holz und Lehm; sie sind gedeckt mit
Stroh, sehr wenige mit Schiefer. Sie liegen verstreut. Gemmenich
hat 1 Kirche, 2 Kapellen und 1 Schule.
Handel und Industrie : Fast die gesamte Bevölkerung ist mit der
Viehhaltung beschäftigt. Sie verkaufen Milchprodukte und bringen
ihre Ware zum Markt nach Aachen. Es besteht eine Walkmühle, 2
Getreide- und Lohmühlen, die von der Göhl gespeist werden, 1
Brauerei. Ein Kalksteinbruch, 1 Pflastersteinbruch und zwei
Kalköfen.
Henri-Chapelle
Gemeinde des Kantons Limburg, 1 1/3 Wegstunde nordöst-
lich von Limburg gelegen, gehört zum Bezirk Verviers und liegt
zwei Wegstunden nord-nordöstlich von Verviers. Ortsgrenzen sind
im Norden die Gemeinde Montzen, im O Lontzen und Welken-
raedt, im S die Gemeinden Baelen und Bilstain, im SO Andri-
mont, im W Thimister und Clermont und im NO die Gemeinde
Aubel. Dazu gehören : Auwegh, Heuvel, Heysteren, Hockelbach,
Imbach, das wallonische Viertel, Ruyff, Weiher (Vivier) und
Wilcour.
Hydrographie : mehrere Bäche, von denen einer eine Getreide-
mühle treibt.
Bodenbeschaffenheit : H-C liegt auf einer 1anggestreckten Anhöhe,
38
die zur Limburger Hochebene gehört. Das Gelände fällt zur
Berwinne hin sanft ab, während zur Weser hin viele Steilhänge zu
finden sind. Sehr abwechslungsreicher Boden. Im N lockerer, aus
Ton und Mergel bestehender Boden auf kieselartigem Untergrund.
Mit Sand vermischt nimmt dieser Boden im NO eine schwärzliche
oder gelbliche Färbung an. Der restliche Boden besteht aus
zersetztem Schiefer weißlicher Färbung; durch langsames Einsik-
kern des Wassers wird dieser Boden sumpfig. Die Humusschicht
hat 3 bis 11 Zoll Dicke; im Kreide- und Mergelboden findet man
braunen und schwarzen Silex (Feuerstein). Blei- und schwefelhal-
tigen Zink enthaltendes Quartzgestein. Man findet gediegenen
Schwefel. Die Kalkschichten enthalten verschiedene Fossilien, u.a. €
den Spatangus bufo.
Landwirtschaft : Nur sehr wenige Äcker mit Roggen, Gerste und
Hafer. Alle drei Jahre ruht das Land. Der landwirtschaftliche
Reichtum liegt im Weideland, dessen Unterhalt viel Pflege
‚erfordert. Die Landwirte streuen gewöhnlich mit der Schaufel den F
Mist, den das in großer Anzahl gehaltene Vieh auf den Weidepar-
zellen zurückläßt. Sie bekämpfen rege das Unkraut und verfolgen
die Maulwürfe. Das Vieh wird gegen Mitte April ausgetrieben und
bleibt ununterbrochen draußen bis gegen Ende November oder
Mitte Dezember, wenn die Nachsaison nicht zu kalt ist. Die Kühe
überwintern in Ställen ohne Stroh. Der Stallmist wird vermischt
mit Mergel oder Ton, den man auf Weiden mit tiefer Humus-
schicht nimmt. Man schichtet dieses Gemisch zu einem Haufen,
der oft 3 bis 4 Monate liegen bleibt, ehe er ausgestreut wird.
In dieser Gemeinde wird nur wenig Gemüse angebaut. Die
Nähe des Hohen Venns schadet der Obstkultur. Einige kleine
Büsche mit Hochstämmen und Buschholz:: Eiche, Birke, Weiß-
buche und Haselnuß. Die am häufigsten vorkommenden Pflanzen
sind Ehrenpreis, Hasenohr und Pfefferminze.
Pferde werden in geringer Anzahl aufgezogen. Etwa 1463 St.
Hornvieh, meist Milchkühe, 2 Schafherden, wovon die erste aus
100 einheimischen und 40 gemischtrassigen Schafen, die zweite
aus 70 einheimischen Schafen besteht.
Bevölkerung : 1329 Einwohner.
Wohnhäuser : Einst war H-C Marktflecken, heute ist der Ort
ein bedeutungsloses Dorf. Etwa 241 Häuser, die meisten schlecht
39
gebaut. 1 Kirche, 1 Volksschule, 2 Schlösser, die nichts Besonderes
aufweisen.
Handel und Gewerbe : Landwirtschaft und Leinenweberei für die
Fabriken von Dolhain/Baelen und Verviers. Die Einwohner
kaufen ihre Lebensmittel in Preußen. Das Fuhrwesen ist beinahe
verschwunden, seitdem die nach Deutschland fahrenden Wagen
die neuen Straßen über Verviers und Vaals nach Aachen nehmen.
Eine Brauerei, eine Riemenfabrik und eine durch Wasser getrie-
bene Getreidemühle.
Homburg
Gemeinde des Kantons Aubel, 1 Wegstunde nordöstlich von Aubel
gelegen; gehört zum Bezirk Verviers, liegt 3 Wegstunden nördlich
von Verviers und 6 Wegstunden östlich/nordöstlich von Lüttich.
Gemeindegrenzen sind im N Teuven und Gemmenich, im O
Montzen, im S und SO die Gemeinde Aubel und im W die
Gemeinde St. Martins-Voeren.Dazu gehören : Belven, Gülpen,
Acherstraet, Dorf, Drieschen, Hagelstein-Laschet, Gensterhoff,
Elsem, Heyendal, Merkhoff, Obsinnich, Remersdal (1), Wieden-
feld.
Hydrographie : Im Norden und Süden durchfließt die Gülpe das
Gebiet; ihr schneller Lauf führt häufig zu Überschwemmungen.
Die Göhl trennt Homburg im O von Gemmenich. Zwei weitere -
Bäche entspringen auf Homburger Gebiet : der Teunisbach und
der Banhagerbach; sie bilden die Grenze Homburgs mit den
Gemeinden Montzen, Gemmenich und Teuven. Einige Weiher,
deren Oberfläche 7 Bunder einnimmt.
Bodenbeschaffenheit : Das im N und O hügelige Land fällt gegen S
und SW hin ab. Besonders im Weiler Reimersdal sind einige
ausgedehnte Ebenen. Hier befindet sich der Großteil der Äcker.
Der sehr unterschiedliche Elemente enthaltende Boden besteht aus
Ton, Mergel, Kalkstein, Feuerstein, Tonschiefer und Sand. Die
Humusschicht hat 6 bis 15 Zoll Dicke.
Landwirtschaft : Die Ernte beträgt ungefähr 1200 Doppelzentner
Weizen, 1600 Dpz. Roggen, 2800 Dpz. Spelz, 1500 Dpz. Hafer,
700 Dpz. Gerste, 500 Dpz. Erbsen, Saubohnen, Futterwicke und
Klee, 13.500 Dpz. Heu; Erbsen, Bohnen, Kohl, Möhren, Rüben,
Äpfel, Birnen; Buschholz mit Eichen, Weißbuchen, Birken. Viele
Medizinalpflanzen, wie Odermennig, Kamille, Malve, Johannis-
kraut, Blutwurz. etc. -Drei- und Sechsfelderwirtschaft. 20 Höfe.
(1) Remersdael wurde 1852 zur selbständigen Gemeinde erhoben.
40
Die letzte Zählung ergab 193 Pferde, 53 Fohlen, 1357 St.
Hornvieh, 402 Kälber, 1335 Schafe, 224 Schweine; Geflügel; einige
Bienenstöcke; Hasen, Kaninchen, Rebhühner, Schnepfen; Füchse,
Dachse, Steinmarder, wenige Wölfe. In den Bächen und Teichen
sind Karpfen, Forellen und Schleien. Die Gemeinde verkauft
jährlich etwa 200 Pfund Wolle, 48.000 Pfund Butter, 59.000 Pfund
Limburger Käse, 3000 Pfund Herver Käse, 5000 Eier, 350 Pfund
Honig, 100 Pfund Wachs. Märkte sind Aubel und Herve.
Wohnhäuser : 151 Bauernhäuser, 141 Hütten, 20 Gutshöfe, 2
Herrenhäuser, die meisten Häuser sind aus Holz und Lehm
gebaut, mit Stroh gedeckt; einige sind aus Stein oder Ziegelsteinen
und mit Schiefer gedeckt; Die meisten liegen verstreut. Es gibt ä
2 Kirchen, 2 Gemeindehäuser und 2 Schulen. Ein hübsches
Landhaus im modernen Stil und ein Schloß (Obsinnich) alter
Bauart. Das Schloß gehört Baron von Fürstenberg.
Handel und Gewerbe : Die Einwohner betreiben ausschließlich
Landwirtschaft. 3 Getreidemühlen werden durch Wasser ange-
trieben. 3 kleine Kalkwerke und 3 Krautfabriken.
Wege und Verbindungen : Eine große Anzahl von Gemeinde-
wegen, die in jeder Jahreszeit befahrbar sind. Die wichtigsten
führen nach Henri-Chapelle, Maastricht, Aubel, Gemmenich,
Aachen, Montzen, Sippenaeken und Teuven.
Montzen
Gemeinde des Kantons Aubel, 2 Wegstunden östlich von Aubel
gelegen; gehört zum Bezirk Verviers; 3 1/2 Wegstunden von
Verviers gelegen. Gemeindegrenzen sind im N die Gemeinde
Gemmenich, im O die Gemeinde Moresnet, im SO das Dorf
Lontzen (Preußen); im S das Gebiet von Henri-Chapelle, im SW
Aubel und im NW Homburg. Dazu gehören : Cosenberg,
Eselbach, Hontem, Teberg, Ten-Eycken, Jengken, Seer-Strever-
dorp und Swarteberg.
Hydrographie : Die Göhl bildet die Gemeindegrenze nach Mores-
net hin. Mehrere kleine Bäche, die alle in die Göhl fließen,
darunter der Tunnisbach, der die nordwestliche Grenze mit
Homburg bildet, und der Weierbach, der Brockerbach sowie der
Streversdorperbach. Letzterer hat seine Quelle im Ortsteil Stre-
versdorp.-Sieben Weiher.
Bodenbeschaffenheit : Das Gebiet gehört zur Limburger Hoch-
ebene. Die höchsten Punkte befinden sich im S und im NW. Das
41
übrige Gelände hat sanfte Hügel und kleinere Ebenen. Die
Bodenzusammensetzung ist sehr verschieden : man findet Bleierz,
Kalkstein, Ton, Mergel. Eine Mergelschicht durchzieht die
Gemeinde von Westen nach Norden. In Richtung Homburg vor
allem befindet sich gelber Sand und Schieferstein, der nur wenig
unter der Oberfläche liegt.- Eine Feuersteinader von 5 bis 12 Zoll
Dicke.-
Landwirtschaft : Man erntet Weizen, Roggen, Spelz, Gerste und
Hafer. Wenig Heu. Mehrere Gemüsearten. Eine geringe Menge
Äpfel und Birnen. In den Laubwäldern sind vor allem Eiche,
Weißbuche, Birke und Nußbaum anzutreffen. Dreifelderwirt-
schaft.- Viehzucht; Geflügel und Bienen; Hasen, Kaninchen,
Rebhühner und Schnepfen; einige Wölfe; ziemlich viele Füchse;
Karpfen und Hechte in den Süßwassern,-Wenig Wolle, Honig und
Wachs; viel Käse und Butter. Markt von Aubel.
‚Bevölkerung : 520 Männer, 550 Frauen. Insgesamt 1070 Ew.
Wohnhäuser : Aus Steinen, Ziegelsteinen, Holz und Lehm gebaut,
mit Stroh gedeckt. Einige wenige sind mit Schiefer und Dach-
pfannen gedeckt. Liegen im Zentrum der Gemeinde dicht beisam-
men. Es besteht eine Kirche, 1 Gemeindehaus, 1 Volksschule, 1
Schloß mit mehreren Teichen. In Montzen residieren ein Notar
und ein Chirurg.
Handel und Gewerbe : Die meisten Einwohner dieser Gemeinde
sind in der Landwirtschaft, dem Kalksteinabbau und den Bleierz-
gruben beschäftigt. Es besteht auch ein kleiner Handel mit Wein,
Schnaps, Gewürzen und Butter, wovon ein Teil auf dem Aubeler
Markt verkauft oder nach Preußen exportiert wird. -1 Gerberei, 1
Wollspinnerei, die durch Wasserkraft getrieben wird, 1 Treberfa-
brik, 1 Getreidemühle und eine Walkmühle, beide durch Wasser-
kraft angetrieben; ein Kalkofen und ein Steinbruch.
Straßen und Wege : Die von Lüttich nach Aachen führende Straße
führt im SO an der Gemeinde vorbei. 33 Gemeindewege stellen die
Verbindungen her nach Homburg, Moresnet, Gemmenich, Henri-
Chapelle, Aachen und Aubel. Sie sind sehr gut unterhalten und zu
jeder Jahreszeit befahrbar. 7
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Moresnet
Gemeinde des Kantons Aubel und des Bezirks Verviers. 2 1/2
Wegstunden östlich/nordöstlich von Aubel, 4 1/4 Wegstunden
östlich/nordöstlich von Lüttich.
Gemeindegrenzen sind im N die Gemeinde Gemmenich, im O und
im S das preußiche Gebiet, im W die Gemeinde Montzen. Dazu
gehören : Alensberg, Au-Holsberg, Bambosch, Bau, Bildchen,
Aacher Busch, Boye, Buschhausen, Broun, Brandenhövel, Cou-
the, Dorf-Kelmis, Dreischen, Duyvels-Koul, Eschen, Kelmiser
Galmeiwerk, Kever, Kloster, Koch, Krickelstein, Haag, Hazard,
Hechter, Hermenstim, Hof-Kelmis, Hofer Mühle, Marveld, Mo-
kenberg, Neubach, Neubempt, Op-de-Brock, Oudesmet, Plaat,
Plaatsegel, Penning-huys, Roerbergerheide, Rotchen, Schimper, 3
Schimper-Moelen, Schmalgraf, Sier, Schnellenberg, Ster, Teken-
bosch, Teriakelsboun, Tulje, Vogelsang, Vous, Waak, Woll-Müh-
le. (Es fällt auf, daß der Verfasser des Artikels über Moresnet die
_Dreiteilung der ursprünglichen Gemeinde Moresnet nach dem
Wiener Kongreßbeschluß in seiner Aufzählung der Weiler und
___ Gehöfte unberücksichtigt 1äßt. Er zählt weiterhin das neutrale
Gebiet und Preußich-Moresnet zur Gemeinde Moresnet!)
Hydrographie : Neben der Göhl sind auf Moresneter Gebiet
mehrere Wasserläufe zu verzeichnen, von denen die hauptsäch-
lichsten der Hoerbach, der Broicherbach, der Temiken und der
Schimpermühlenbach sind. Diese Gewässer speisen eine Walk-
mühle und zwei Getreidemühlen.
Bodenbeschaffenheit : Im N,O und S ist das Gelände hügelig; der
fruchtbarste Teil ist im SW. Die bebaubaren Felder sind im
allgemeinen Ton- und Sandböden, die Humusschicht hat 5 bis 16
Zoll Dicke, der Untergrund ist Ton und Kieselgestein. (Folgt eine
Beschreibung der geologischen Gegebenheiten auf dem Gelände der
Vieille Montagne.)
Landwirtschaft : Man erntet Weizen, Roggen, Spelz, Gerste und
Hafer. Die Ernte genügt kaum für den eigenen Bedarf. Viele
Weiden für das Großvieh.Etwas Gemüse und Obst. 97 Bunder
sind bedeckt mit Hoch- und Niederwald, worin Eiche, Weißbuche,
und Birken anzutreffen sind. Auf dem Kalkboden ist eine
artenreiche Vegetation zu bemerken, u.a. Viola calaminaris
(Galmeiveilchen), Thlaspi alpestre (Voralpen-Hellerkraut), arena-
ria verna (Frühlings Sandkraut), armeria (Grasnelke).-Dreifelder-
wirtschaft.- Vieh-, Schweine-, Schaf- und Geflügelhaltung; wenig
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Bienen; Hasen, Kaninchen, Rebhühner, Schnepfen, viele Füchse.
Wolle, Butter, Käse, Honig, Wachs, Pferdehaare, Häute.
Bevölkerung : 259 Männer, 245 Frauen; insgesamt 504 Ew. Sie sind
deutschsprachig.
Wohnhäuser : Die meisten sind aus Holz und Lehm gebaut, einige
wenige aus Stein oder Ziegelstein, mit Schiefer gedeckt. Eine Kirche,
zwei Schlösser und eine Volksschule.
Handel und Gewerbe : Die Einwohner leben ausschließlich von der
Landwirtschaft. Es besteht kein anderer Handel als der mit Bodenpro-
dukten. Die Zinkgewinnung ist eine der bedeutendsten Europas. Sie
versorgt die Zinngießerei in Lüttich sowie eine große Anzahl von
Messingproduzenten im Inland und in Nordfrankreich. Eine Walk-
mühle und drei Getreidemühlen, die durch Wasserkraft betrieben
werden.
Straßen und Wege : Die große von Lüttich nach Aachen führende
Straße bildet im S die Grenze mit Preußen. Man zählt 27 Gemeinde-
wege, von denen die haupsächlichsten nach Montzen, Gemmenich
und Preußen führen. Sie sind gut unterhalten und leicht zu befahren.
TEUVEN
Gemeinde des Kantons Aubel, Bezirk Verviers. 1 1/4 Wegstunde
nördlich von Aubel und 4 1/2 Wegstunden nördlich von Verviers
gelegen. Teuven grenzt im N an die Gemeinden Slenaken und Wittem
(Limb.), im O an Vaals und Gemmenich, im S an Homburg und im W
an St Martins - Voeren. Dazu gehören : Beusdael, Gyvelt, Heyendael,
Nurop, Sinnich, Sippenaeken (1) und Terhaegen. X .
Hydrographie : Die Gülpe durchfließt das Gemeindegebiet von Süd-
osten nach Nordwesten. Die Göhl folgt der Gemeindegrenze im Osten.
Beide Wasser betreiben eine Getreidemühle.
Bodenbeschaffenheit : Das zur Limburger Hochebene gehörende Ge-
” lände ist unregelmäßig. Tonhaltige Kreide, Mergel, Feuerstein und
Sand bilden die . Bodenunterschichten. Die Humusschicht hat eine
Stärke von 8 bis 15 Zoll. Man findet hier eine große Anzahl von
Fossilien, wie z.B.; crania antiqua, belimnites quadratus, nautilus,
ostrea macroptera, pecten quinque costatus, inoceramus latus, cuculaea
glabra, chama conica, crassatella sulcata, venus lentiformis und
panopea plicata.
(1) Sippenaeken wurde 1842 selbständige Gemeinde.
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Landwirtschaft : Bodenerzeugnisse sind Roggen, Spelz, Hafer, Gerste,
Klee, Wicke, Saubohnen, Kartoffeln, Gemüse. Obst : Äpfel, Birnen,
Kirschen, Nüsse. Ein Viertel der Bodenoberfläche ist mit Hoch- und |
Niederwald bestanden; Hainbuche, Eiche, Weißbuche, Haselnußbaum
und Birke überwiegen. Man schlägt das Holz alle 13 Jahre. Hornvieh ist
ziemlich zahlreich vorhanden, auch Schafe. Einige Schweine; wenig
Wild. -Wolle, Butter, Käse.-Markt Aubel.
Bevölkerung : 902 Ew. Sie sprechen Französisch und Flämisch.
Wohnhäuser : Der Hauptort zählt 50 mehr oder weniger solide gebaute
Häuser. Das Dorf Sippenaeken zählt 45 Häuser. In den Ortsteilen
Nurop und Sinnich liegen etwa 75 Häuser verstreut. Die meisten davon
sind aus Holz und Lehm gebaut. Wo ehedem das Kloster Sinnich ,
stand, steht heute ein herrliches Landhaus. Das Schloß Beusdael,
ehemaliges Jagdschloß Karls d. Großen, gehört der Gräfin de Mean; es
ist seit vielen Jahren unbewohnt. -2 Kirchen, 1 Gemeindehaus, 2
Volksschulen.-
Handel und Gewerbe : Land- und Fostwirtschaft, sowie Viehhandel und
Handel mit den Erzeugnissen des Bodens. Butter und Käse werden auf
den Aubeler und Herver Markt gebracht. -2 Getreidemühlen, 2
Trebermühlen, 1 kleine Kalkfabrik und 2 Brauereien.
Straßen und Wege : Der große Weg von Henri - Chapelle nach
Maastricht durchzieht die Gemeinde in nord-südliche Richtung.
20 Gemeindewege, sehr steinig und schlecht begehbar.
45
Bild der Sieben Schmerzen
(im Dom zu Aachen)
von M. Th. Weinert
Vor Deinem Bild,
im dämmernden Raum,
flackern die Kerzen,
zuckende Lichter
vor Deinem Herzen,
darin sieben Schwerter sind,
als wohnten sie dort,
wie Dein Kind.
Sieben Schwerter für sieben Schmerzen,
nichts nimmt sie fort,
nicht das Ringen der Hände,
kein lösend Wort.
Schmerz ohne Ende
und bittere Fragen
müßten in Deinen Augen leben,
würdest Du sie heben.
Aber Du willst Deinen Schmerz nicht sagen,
Dein Haupt bleibt geneigt,
und Dein Antlitz schweigt,
wenn Dein Herzblut rinnt
um Dein liebes Kind.
46
Kelmis Anno dazumal
von Franz Uebags |
Über die geschichtliche Entwicklung von Kelmis, dem
früheren Neutral-Moresnet, ist in dieser Zeitschrift schon erfreu-
lich viel geschrieben worden. Es dürfte jedoch meiner Ansicht nach
ebenso interessant sein, einiges über das frühere Leben und
Treiben in dieser Ortschaft zu erfahren. Zweifelsohne gibt es hier
eine Menge zu erzählen, und man stellt fest, daß die Geschehnisse
der Vergangenheit - der jüngeren Vergangenheit - bei einem immer
zahlreicheren Publikum Anklang finden. Aus diesem Grunde -
möchte ich mich nachstehend mit der Rückschau auf das
Innenleben” der Gemeinde Kelmis zu Großvaters Zeiten befassen.
Spricht man von damals, heißt es immer wieder : ”’die gute
alte Zeit”. Doch in Kelmis, wie überall, war Armut Trumpf. Aber
die Leute fügten sich ihrem Schicksal, paßten sich den Verhält-
nissen an und lebten mehr oder weniger zufrieden. So behaupten
sie wenigstens, die Angehörigen der älteren Generation, wenn ihre
Zeit zur Sprache kommt. Wie dem auch sei, mir ist in Erinnerung
geblieben, daß die Männer früher viel ernster und vergrämter
aussahen als heute. Es war gewiß eine Folge der ärmlichen
Lebensweise und der Sorgen um das tägliche Brot. Daß dennoch
Feste gefeiert wurden, ist nicht erstaunlich. Sie waren der
Ausgleich zum Alltag. Den Kelmisern hat es nie an Unterneh-
mungsgeist gefehlt, und in den vielen Vereinen herrschte, so meine
ich, eine regere Tätigkeit als heute. Man war stolz, einem oder
mehreren Vereinen anzugehören und scheute nicht zurück vor den
Verpflichtungen, die ein Verein seinen Mitgliedern auferlegte. So
kam manches Fest, manche unvergeßliche Feier und manche
außergewöhnliche Veranstaltung zustande.
Die vielen Gaststätten, deren Inhaber aus dem regen Vereins-
leben ihren Nutzen zogen, sorgten fortwährend für neue Impulse.
Ein gewisses Wetteifern zwischen den Wirten war deutlich |
spürbar. Das hatte zur Folge, daß in Kelmis immer ”etwas los |
war”. Sogar die Bewohner der umliegenden Orte wußten das und
zogen sonntags in Scharen dahin. ’’Mä no Kelmes, do ess ömmer
jet los”, hieß der Spruch allgemein. (”Nur nach Kelmis, da ist |
immer was los’”’.) Selbst Pastor Scherer betonte einmal in seiner
Sonntagspredigt, daß die Kelmiser ein lustiges Völkchen seien
und da zu finden, wo ein Tönchen Musik erklinge.
47
Dann beugte er sich lächelnd über die Kanzel und sagte :
”Laß ich aber die Glocken läuten, sind sie auch zur Stelle”. Damit
hatte Pastor Scherer den Nagel auf den Kopf getroffen. Daß er
größtes Verständnis für die Lebensweise hatte, ist ihm in Kelmis
stets hoch angerechnet worden. Bei kirchlichen Feiern waren die
Kelmiser denn auch genauso zahlreich vertreten, wie bei welt-
lichen.
b N. . |
Zn N le
x ia } Se ff 5
Kohlenzug vor dem Lokal Franssen - Chantrain im ”Bruch”
Doch es ist nicht meine Absicht, nur das Gute und Schöne aus
dem damaligen Kelmis zu bringen. Auch die Schattenseiten
müssen erwähnt werden. Dabei gebührt die erste Stelle wohl dem
Schnaps, der in füheren Jahren in vielen Arbeiterfamilien Un-
frieden gestiftet hat. Manche Familie hat darunter gelitten, daß
das Familienoberhaupt dem Trunck verfallen war. Ohne Rück-
sicht auf Frau und Kinder zu nehmen, wurde das für den Schnaps
benötigte Geld vom Lohn bzw. Haushaltsgeld abgezweigt. In
manchen Fällen kam es zu Handgreiflichkeiten, wenn die Frau
ihren Mann zur Ordnung mahnen wollte, und die Polizei mußte
eingreifen, um den lamentablen Zuständen ein Ende zu machen.
In unserer Kinderzeit haben wir fast alle Tage betrunkene Männer:
sehen können. Manchmal folgten wir ihnen bis.zu ihrer Wohnung,
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weil wir wußten, daß es da laut zugehen würde. Lange brauchten
wir meist nicht zu warten, bis das jämmerliche Schauspiel begann.
Kreischende Frauen und vor Angst bleiche Kinder verließen recht
bald das Haus und suchten Zuflucht bei Nachbarn oder sonstigen
Bekannten, bis schließlich der Feldhüter oder die Gendarmen
kamen und dem Störenfried eine Lektion mit dem Gummiknüppel
erteilten. Uns Kindern hat das natürlich, wie nicht anders zu
denken, Spaß gemacht.
Nicht minder unangenehme Folgen als der Schnaps hatte eine
Zeitlang das Kartenspiel in den Wirtshäusern. Die übertrieben
höhen Einsätze bei den Spielen wirkten verlockend, doch kam N
mancher Familienvater durch skrupelloses Falschspiel seiner
Mitspieler um seinen Arbeitslohn. Alsdann ließen sich die vom
Alkohol erhitzten Gemüter zu Schlägereien und Keilereien hin-
reißen und die Gesetzeshüter mußten eingreifen. Wie es dann in
der Familie aussah, ist eine unnütze Frage.
Nach dem Ersten Weltkrieg hat im Dreiländereck auch der
Schmuggel eine Zeitlang floriert. Bei den ”’Grenzgängern’’ spielte
Geld kaum eine Rolle. Das Kartenspiel mit vorbedachter Mogelei
wurde zu einer Seuche. Die Neureichen stellten die Polizei auf
eine harte Probe. Sehr oft waren es Lokalinhaber, die_die
Ordnungshüter alarmierten. Das in Frage kommende Lokal mußte
meist mit Gewalt geräumt werden und der eine oder andere Spieler
der Polizei auf die Wache folgen.
Wie komisch das auch heute klingen mag : es hat eine Zeit
gegeben, wo ein nicht aus Kelmis stammender junger Mann, der
um die Hand eines Kelmiser Mädchens anhielt, mit Prügeln oder
sonstigen Schikanen zu rechnen hatte. Es wollte einfach einigen
Kelmiser Jungmännern nicht in den Kopf, daß sich Liebe nicht
erzwingen läßt. Ihr Ziel war es, dem fremden Karessant (Ausdruck
für Freier), das Leben so sauer wie möglich zu machen, damit er
seine Braut in Kelmis aufgebe. Ich ließ mir erzählen, daß die
fremden Freier manchmal auf dem Wege zur Braut angepöbelt
wurden und daß man ihnen mit Prügeln drohte, falls sie es wagen
sollten wiederzukommen. Es gab welche, die durch diese Dro-
hungen zurückgehalten wurden; andere ließen sich nicht ein-
schüchtern und kamen trotzdem wieder. Zu ganz schweren
Schlägereien kam es, wenn ein Bräutigam für den Heimweg von
seinen Freunden abgeholt wurde und die beiden Parteien aufein-
49
ander stießen. Manche Freier von auswärts ließen es aber gerne auf
die Machtprobe ankommen . . . Natürlich, so sagte mein Erzähler,
erging es den Kelmisern anderweitig auch nicht besser. Sie mußten
dieselben Risiken auf sich nehmen. Zwei Jungen, die diesem
Gespräch zugehört hatten, meinten, wir hätten doch früher in
einer komischen Welt gelebt! Und die werde heute fortwährend
gelobt!
Nach dieser Einleitung möchte ich nun zum eigentlichen
Thema kommen. Wir werfen einen Blick in das Dorf, sprechen
über Vereine, Wirtshäuser, das Pfarrleben, über Sitten und
Gebräuche und über lokale Ereignisse.
Ein Blick in das Dorf
Kelmis hat sich an Raum und Fläche nicht im geringsten
verändert. Es ist so geblieben, wie zu Lebzeiten unserer Groß-
eltern. Nur das Panorama hat durch die vielen Neubauten ein
anderes Aussehen angenommen. Schaute man vor vielen Jahren
vom Heidkopf hinunter auf die Ortschaft, so fielen einem die
weiten Grünflächen auf. Heute fällt der Blick auf ein dichtge-
drängtes Häusermeer. Statt der vielen Bäume, die einst über die
Dächer der Häuser emporwuchsen, ragen heute unzählige Fern-
sehantennen in die Luft. Doch der hohe Turm der 1865 eingeweih-
ten Maria-Himmelfahrtskirche hält nach wie vor Ausschau über
die ganze Gegend. Der nicht minder hohe Schlot der Vieille
Montagne ist leider dem Abbruch zum Opfer gefallen und nur
noch Erinnerung. Ganz im Hintergrund - in Richtung Welken-
raedt - qualmten die drei Schornsteine der Grube Schmalgraf, die
ebenfalls bei Stillegung der Zeche i. J. 1932 verschwanden.
Die Straßen von damals
Kelmis war seit eh und je eine arme Arbeitergemeinde und
auch die Verwaltung kann nicht mit der heutigen verglichen
werden. Die Gemeindekasse war immer sehr bescheiden. Die
Gemeindeväter der neutralen Zeit mußten sich ganz schön der
”Decke nach strecken’””. So kam es, daß die Ortsstraßen sich
fortwährend in einem beklagenswerten Zustand befanden. Die
Kelmiser kannten nur rauhe und holprige Wege. Ausgebessert
wurden diese mit Sandsteinen (””’Vürklaue’’), die vom Heidkopf
kamen. Bei anhaltender Trockenheit wirbelten Staubwolken hoch,
50
so daß man kaum noch zu atmen vermochte. Umgekehrt war es bei
Regenwetter. Eine Morastschicht bedeckte dann die Straßen und
unzählige Pfützen erschwerten das Gehen. Unsere Vorväter fanden )
das jedoch nicht so tragisch; wenn die Gemeindekasse Löcher
aufwies, war es normal, daß auch die Straßen solche aufwiesen.
Wer heutzutage eine Vorstellung haben möchte vom Straßen-
zustand früherer Jahrzente, der gehe in die ”’Schlack”’; so soll er
sich dann alle Straßen von Kelmis vorstellen. Dann sieht er,
wodurch und worüber die Kelmiser bis 1951 (!) gelaufen sind.
Straßen- und Schaufensterbeleuchtungen möge man sich bitte
auch wegdenken. Sie gehörten noch zu den Unmöglichkeiten.
Abends tappte jeder im Dunkeln. Doch man fand sich auch so .
zurecht. Auf der Hasardstraße (heute Lütticher Straße) brannte an
einigen Wirtshäusern eine Petroleumlampe in einer geschmiedeten,
an der Mauer hängenden Laterne. Sie machten den Fremden auf
den Ausschank aufmerksam. Diese Wirtshäuser hießen in Kelmis
Herbergen.
Selbst wenn die Möglichkeit bestanden hätte, eine Straßen-
beleuchtung anzulegen, d.h. wenn es keine technischen Probleme
gegeben hätte, so hätten die Gemeindeväter doch davon absehen
müssen. Die finanzielle Not der Gemeinde hätte ihr eine solche
Anlage nicht erlaubt.
In bezug auf die Gemeindekasse möchte ich an dieser Stelle
eine Anekdote einflechten, die sich in den zwanziger Jahren
gelegentlich eines Rosenmontagsumzuges abgespielt hat. An
diesem Fastnachtsmontag zogen, es war damals so üblich, die
Gruppen von Kostümierten durch die Straßen, um den Leuten,
ohne Rücksicht auf die Person, die Wahrheit zu sagen. Unter den
Kostümierten befand sich auch das Dorforginal Martin Laschet,
dem man den Spitznamen ”’de Nau” zugelegt hatte. Wie nun der
Alkohol die Hemmungen gelöst hatte, entblößte ’”’de Nau’’ seinen
Oberkörper, zog Schuhe und Socken aus und lief barfuß in der
Truppe umher. Als sie in der Neustraße sangen, schimpften und
tobten, wollte es der Zufall, daß der damals amtierende Bürger- |
meister Brandt auf sie stieß. Sofort wandte sich das Gemeinde-
oberhaupt an den halbnackten Martin Laschet mit der Frage, ob |
er denn keine Angst habe, sich zu erkälten und was denn eigentlich
dieser Aufzug bedeute. Schlagfertig antwortete der Nau : ”Die
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Gemeindekasse, Herr Bürgermeister !’”” Der Gemeindevater hat den
Martin scharf angeschaut. und ist seines Weges gegangen. Und alle
Umstehenden haben gemeint, der Nau habe den Nagel auf den Kopf
getroffen.
Die Hasardstraße war auch unter dem Namen Pavei bekannt.
Sie erhielt diesen Namen wegen ihres groben Kopfsteinpflasters
(franz.pave), das in der Kelmiser Mundart Pavei genannt wird.
Die gepflasterte Straße begann beim Hagweg neben der Göhl-
brücke und führte hinauf bis zur Maxstraße. Die beiden am
Anfang und Ende der Pavei stehenden Kilometersteine zeigten,
daß diese Pflastersteinstraße genau einen Kilometer Länge hatte.
Seit jeher war die Pavei die Grenze zwischen Neutral- und
Preußisch Moresnet, heute Kelmis und Neu-Moresnet. Beide
Gemeinden hatten seit Beginn der preußischen Zeit stets getrennte
Verwaltungen.
N N
Die ”Pavei” an Gut Linzen (heute Taeter)
1928 wurde die Pavei von einem belgischen Straßenbau-
unternehmen neu gepflastert. Steinhauer und Pflasterer, die im
Ort logierten, schufen während vieler Monate einen ganz neuen
Steinweg, der bis zur Makadamisierung standhielt.
52
Da bekanntlich in früheren Jahren eine beträchtliche Anzahl
Kelmiser Arbeitnehmer in Aachen Arbeit und Brot fanden und
den Weg dorthin zu Fuß zurücklegen mußten, kam es i.J.1906 zu
einer Vereinbarung zwischen der Neutral-Moresneter Ortsbehörde {
und der Aachener Straßenbahngesellschaft, der zufolge das
Straßenbahnnetz bis Neutral-Moresnet ausgebaut wurde. Die |
Schienen der Kleinbahn liefen neben der Landstraße her und
endeten vor der Bäckerei Laurenz Janssen (heute Bäckerei Wertz).
Vor dem Restaurant Barth (Pharmacies Populaires/Volksapo-
theke) lag die Bahn zweigleisig, um das Rangieren mit Anhängern
zu ermöglichen. Hauptsächlich in der Sommerzeit war der
Personenverkehr auf der Kleinbahn rege. Bis zum 4. September \
1944 sind über diesen Schienenweg viele Fahrgäste von und nach
Aachen befördert worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die
Kleinbahn durch Busse ersetzt.
Die Thimstraße
Nur einmal -1934- ist es in den Jahren zwischen den beiden
Weltkriegen zu einen Konflikt zwischen der Kleinbahngesellschaft
und den belgischen Behörden gekommen. Es wurde damals
gesagt, es sei eine Versicherungsangelegenheit gewesen. Tatsache |
ist, daß die Bahn eines schönen Tages bei ihrer Ankunft in Kelmis
beschlagnahmt wurde. Erst nach merhrtägigen Verhandlungen
konnte der Streitfall geklärt werden und der Verkehr wieder |
normal laufen. Doch zurück zu den Dorfstraßen.
53
Straßen, die verhältnismäßig nach Straßen ausgesehen haben,
waren die Kirch-, Kapell-, Vons- (Albertstr.), Patronage-, Tan-
nenbaum- (Moresneter Str.), Park- und Schützenstraße, der Krik-
kelstein, die Steinkaul- und die Neustraße.
Solche, die erst im Laufe der Zeit ausgebaut wurden und ein
völlig neues Aussehen bekamen, sind Kahnweg, Souflet, Sandweg,
Kreijenweg (Comouth), untere Steinkaulstraße, Neutral-Mores-
neter Straße, Kurzstraße, Schnellewindstraße (Klosterstr.), Floh-
gasse (Stiefelstraße), Kelmiser Weg (Tannenbaumstraße), Lokal-
weg (Galmeistraße), Schulstraße, Bachstraße, Heide, Bauweg,
Drieschstraße, Achterstraße (Privatstraße), Dörnchen, Kalden-
bach, Wolfsweg, Bruchstraße und Hagenfeuer. All diese Straßen
haben wir als Kinder nur als schmale Wege oder Gassen gekannt.
Heygraben, ein Stückchen Weg, das nur die Länge des Friedhofs
hatte, ist durch den Bau der gleichnamigen Siedlung zu einer
langen und breiten Straße geworden, die von der Lütticher Straße
bis zur Patronagestraße führt. Erwähnen wir auch die Lindenallee,
heute Lindenstraße genannt. Sie wurde von der Vieille Montagne
angelegt und unterhalten. Mächtige Lindenbäume säumten sie
beiderseits auf der ganzen Länge. Oben, dort wo sie in die
PO Pat SA ME
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A Sa RO
a n A. AH
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Die Lindenallee, heute Lindenstraße
54
Kapellstraße mündet, stand in meiner Jugendzeit sogar noch ein
Lindenbaum in der Mitte der Straße, gerade vor dem Hause
Pelzer. Zur Sommerzeit meinte man, wenn man von dort aus in
Richtung Lütticher Straße schaute, man stünde in einem Tunnel.
Den Baum in der Mitte der Straße haben wir Kinder sehr
zerstümmelt und er mußte schließlich gefällt werden. Nach der
Stillegung des Kelmiser Werkes übergab die Gesellschaft der
Vieille Montagne die Lindenallee der Gemeinde. Im Jahre 1969
sind die einst so schattenspendenden Bäume Axt und Säge zum
Opfer gefallen.
Das Kanalisationsproblem .
In Altenberg-auch unter diesem Namen wird Kelmis oft
bezeichnet- hat das Kanalisationsproblem Gemeindeväter und
Bürger vor recht schwierige Aufgaben gestellt, die angesichts der
ständigen Geldnot nicht leicht zu lösen waren. Nach Vorschrift
“angelegte Abwässerkanäle gab es nur in der Hauptstraße und auf
dem Gelände der Vieille Montagne. Nach all den vielen Verbes-
serungen auf diesem Gebiet ist man heute kaum noch in der Lage,
sich eine genaue Vorstellung des Gewesenen zu machen. Die
jüngere, im Wohlstand aufwachsene Generation, lebt in dem
Glauben, Kelmis sei immer das gewesen, was es heute ist. Die
diesem Aufsatz beigegebenen Bilder können jedoch einen kleinen
Eindruck von der früher hier herrschenden Primitivität vermitteln.
In der Thim-, Kapell-, Kirch-, obere Tannenbaum- u. Vonsstraße
liefen Regen und Abwässer durch gepflasterte Rinnen bis hinunter
in den Kanal unter der Landstraße. In den restlichen Straßen gab
es nur stinkige offene Wassergräben. Vor dem Schuhhaus
Schmetz-Schreul in der Patronagestraße, in der unteren Park- und
der Schützenstraße sowie an der Ecke Neustraße hatten die
Gräben: sogar eine beträchtliche Tiefe. In den meisten Straßen floß
beiderseits so ein Bächlein. Darüber legten die Hausbewohner
kleine Holzbrücken an, um überhaupt ins Haus zu gelangen.
Diejenigen Kelmiser, die diese Zeit miterlebt haben, erinnern sich
gewiß noch, wie widerlich es oft gerochen hat und wie die Ratten
sich in den Gräben getummelt haben. Der längste dieser Gräben
durchzog quasi das ganze Dorf. Er fing oben am Sandweg an. Hier
schon lief das ganze Wasser des höher gelegenen Ortsteiles
zusammen. Dann ging es hinunter bis zum Kahnweg, dessen
55
Der Wassergraben mit Gehstegen in der Patronagestraße
Wasser mit aufgenommen wurde. Weiter führte der Graben bis
zum schon erwähnten Schuhhaus (früher Kolonialwarenhandlung
Verlings). Unweit dieses Hauses bog er dann in das anliegende
Feld ein (Gelände Kino Pax). Eine Linksbiegung führte dann das
Wasser zum Gelände Nikolaus Stammen (Friture Chantrain), wo
es von einem Eisenrohr aufgefangen und unter die Straße bis zum
Hause des Bürgermeisters Brandt (Schyns-Scharis) weitergeleitet
wurde. Der offene Graben stieß von hier aus durch die Gärten von
Thim- und Vonsstraße bis zum Hause Deprez. Hier lag wieder ein
kurzer Rohrkanal. In der Stiefelgasse war der Graben wieder
offen, um dann durch den Park des Direktors der Vieille
Montagne (heute Gemeindepark) erneut kanalisiert zu werden.
Dieser Kanal führte zur Wiese vor dem Schützenlokal. Wiederum
floß das gesamte Wasser durch einen offenen Graben bis hinter
das Wohnhaus der Familie Kofferschläger in der Schützenstraße.
Hier verschwand es dann in einem gemauerten Kanal, der unter
demWohnhaus der Familie Michiels und der Straße verlief, und
mündete in den tiefen Graben der unteren Schützenstraße. Bei
starken Regenfällen hatten die Hausbewohner stets große Sorgen,
denn der unter dem Haus liegende Kanal faßte das viele Naß nicht.
Das Wasser brach aus, spülte den Belag des Hausflures weg und
überschwemmte das ganze Erdgeschoß. Dies alles gehört heute der
Vergangenheit an. Doch verfolgen wir den Verlauf des Grabens
56
weiter. Er schwenkte von der Schützenstraße in die Neustraße ein
und ließ der schmutzigen Flüssigkeit dort entlang über Krickel-
stein bis zum Putes freien Lauf. Zuletzt floßen die Abwässer den
Maliesberg hinunter und erreichten so schließlich den großen
Bergkanal unter der Lütticher Straße.
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Die Neustraße i.J. 1932
Der ”’rue Bach” (Rotbach) nahm in Kelmis das Wasser von
Kreijeweg, Soufflet, Brandenhövel und Vossölder auf, wogegen die
Abwässer von Dörnchen und Bachstraße den Bauweg hinunter und ij
auf Moresneter Gebiet in den Rotbach flossen. Alles von der langen
Parkstraße abfließende Wasser zog zur Heide, wo es sich ganz
unten den Bahndamm entlang verteilte. Diese primitive Abwässer-
beseitigung hatte zur Folge, daß Kelmis bei Gewittern häufig unter
Überschwemmungen zu leiden hatte. Manchmal hatte die Feuer-
wehr hier mehr mit Wasser als mit Feuer zu kämpfen. Natürlich
gab es auch damals rücksichtslose Menschen, die jede Gelegenheit
nutzten, ihren Unrat in den Wassergräben los zu werden, ohne zu
bedenken, daß sie damit den Seucheherd förderten.
In der Zeit, von der hier die Rede ist, schlachteten alle
Metzger im Ort ihre Tiere selbst zu Hause. So kam es, daß an allen
Montagen, manchmal auch noch an anderen Wochentagen, Blut
57
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8 Ha
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Die untere Parkstraße um 1925
durch die Gräben und Gossen floß. Weil vielerorts nicht genügend
Gefälle vorhanden war, stand das rotgefärbte Wasser oft lange Zeit
und man kann sich vorstellen, welche widerliche Gerüche in der
warmen Jahreszeit den davon Betroffenen ins Haus drangen, ganz
zu schweigen von den Ratten und den Fliegenschwärmen, die sich
dort aufhielten. Wir können froh sein, daß diese Mißstände heute
dank einer guten Kanalisation alle behoben sind.
Die Häuser
Wer Kelmis viele Jahre nicht gesehen hat, kennt sich hier
kaum noch aus. Außer den Häusern der Besserbemittelten
machten fast alle Kelmiser Häuser einen ärmlichen und deprimie-
renden Eindruck. Sie sahen so verlassen aus und es schien das eine
oder andere daran zu fehlen. Das lag natürlich zum großen Teil am
Unterhalt, an den man nur denken konnte, wenn die finanziellen
Mittel dazu vorhanden waren. Es sei auch nicht vergessen, daß in
den meisten Häusern, wie damals üblich, große Familien wohnten.
Die bescheidene Kasse erlaubte demgemäß keine häufigen An-
striche oder sonstige Reparaturarbeiten. Einiges von dem, was
zum Unterhalt der Häuser benötigt wurde, ist auf dem Gelände
der Vieille Montagne, sagen wir es offen, ”’organisiert’’ worden.
Darohne wären die Häuser noch mehr verkommen. Es kam auch
höchst selten ein Facharbeiter für anstehende Reparaturen in
Frage. Jeder Hauseigentümer versuchte nach Möglichkeit, alles
60
einem Bein stehend zu trinken ! Doch überwiegen die positiv
einzustufenden Vereine und Organisationen.
Nennen wir zuerst die 85 Mann starke Bergwerkskapelle. Sie ?
wurde 1853 durch den Direktor der Vieille Montagne, Van
Scherpenseel-Thim, gegründet und lange Jahre hindurch hat sie
den Ortsbewohnern viele genußreiche Stunden bereitet. Bis über
die Grenzen hinweg genossen die Musiker vom Berg ob ihrer hohen
Leistungen einen guten Ruf und es war ihr Stolz, diesen zu
wahren. Man könnte natürlich einwenden, daß die Musiker der
Gesellschaft gezwungen waren Musik zu machen, wann und wo die
Direktion dies wünschte, wollten sie nicht ihren Arbeitsplatz
gefährden. Dies trifft zwar zu, aber gerade diese Disziplin war die ü
Grundlage des Erfolges der Bergwerkmusiker. Wöchentlich fan-
den zwei Proben statt, die nur im Krankheitsfall versäumt werden
durften. Alle 14 Tage bot der Verein entweder im Schützenlokal
oder im Casino ein Konzert. Im Sommer spielte man im Kiosk des
Schützenlokals oder Casinogartens. Bei fast allen Ortsfeierlich-
keiten war die Bergwerkskapelle dabei und nie wurden ihre
Zuhörer enttäuscht. Mit der Stillegung der ”’Abteilung Moresnet”
der Vieille Montagne ging auch die Musikkapelle ein, nachdem sie
86 Jahre reges Vereinsleben gepflegt hatte.
Im Dienste der Muse und der Unterhaltung standen auch die
vier im Ort bestehenden Männerchöre ”’Fidelia’’, ”Lambertus-Ge-
sangverein’’, ”’St. Joseph Männergesangverein’” und schließlich
der ”St. Gregorius Kirchenchor”. Die Sangesbrüder, gleich
welchem Verein sie angehörten, nahmen ihre Sache ernst und
versuchten einander zu übertrumpfen. Diese Konkurrenz hob die
Qualität der Darbietungen und kam dem Publikum zugute.
Eine zahlenmäßig große Mitgliederliste führten die drei Schüt-
zengesellschaften. Gemeint sind die St. Barbara-, die St. Huber-
tus- und’die St. Paulus-Schützen. Bei besonderen Gelegenheiten
zogen sie wie die anderen Vereine im Festzuge mit und marschier-
ten in langen Reihen auf. Vom Hörensagen weiß man, daß die
vielen uniformierten Schützen mit Gewehr oder Degen ein
herrliches Bild boten. Die Uniformen und die Hüte mit Feder-
busch waren unterschiedlich in Machart und Farbe. Es gab eine
Zeit, wo die uniformierten Schützen zum Exerzieren aufgerufen
wurden; ohne Ausnahme kamen sie dieser Verpflichtung nach.
Ganz groß ging es beim Königsvogelschuß dieser Gesellschaften
61
her. Die heutigen Veranstaltungen auf diesem Gebiet dürften nur
ein blasser Schatten des früher Gebotenen sein.
Die St. Barbara-Schützengesellschaft wurde 1852 gegründet.
Sie gilt als die älteste Gesellschaft des Ortes. Außeroraentliche
Festlichkeiten, zu denen zur Zeit die Vorbereitungen laufen,
sollen in diesem Jahre das 12S5-jährige Stiftungsfest des Vereins
umrahmen.
Als zweitältester Verein darf der St. Gregorius-Kirchenchor
genannt werden. Er entstand 1858, dem Jahre der Pfarrerhebung
Kelmis. Seitdem hat der Chor ständig die gottesdienstlichen Feiern
mit Gesang verschönt.
1862 wurde die St. Hubertus-Schützengesellschaft gegrün-
det. Und kurz vor der Jahrhundertwende, i. J. 1897, entstand die
St. Paulus-Schützengesellschaft, die so wie ihre beiden Schwester-
gesellschaften bis heute aktiv geblieben ist.
Der Turnsport wird ebenfalls schon viele Jahrzehnte in Kelmis
gepflegt. Schon 1889 schlossen sich die ersten Turner zum
”Kelmiser Turnverein’”” zusammen. Fast gleichzeitig entstand eine
Ringermannschaft. Kelmiser Turner und Ringer genießen heute
einen guten Ruf. Sie stellten immer gute Kondition und Form
unter Beweis und sollen, so heißt es, höchste Ansprüche gestellt
haben.
Jahre später, das genaue Gründungsjahr ist nicht mehr
festzustellen, trat die ”Turngemeinde” in Erscheinung.Auch ihr
wurde hohe Leistungsfähigkeit nachgesagt. Turnverein und Turn-
gemeinde hatten eine ansehnliche Mitgliederzahl und es herrschte
eine gewiße Rivalität zwischen ihnen. Der ’’Turnverein Patronage”
und die ”Einigkeit’’ sind erst nach dem ersten Weltkrieg entstan-
den und müssen als Nachkömmlinge auf der Bühne des Kelmiser
Sportlebens betrachtet werden.
Im Kelmiser Kulturleben spielten die Amateurtheaterspieler
immer eine bedeutende Rolle. Drei Laienspielvereine bemühten
sich mit großer Hingabe darum, daß in den langen Wintermonaten
Dramen, Lust- und Singspiele über die Bretter der Kelmiser
Bühnen liefen. Die Spielergruppe der Patronage lockte die
Zuschauer zum Jugendheim, die ”’Fidelen Freunde” zeigten ihr
Können im Schützenlokal und der Theaterverein ””’Tipp-Topp” lud
das Publikum in den Saal Dahlen (Astoria) ein. Auch der
62
Kirchenchor und der Gesangverein ”’Fidelia’”” traten gelegentlich
mit Singspielen auf, ersterer in der Patronage, letzterer im Saal
Meessen (Eden).
1864 entstand auf Initiative des damaligen Pfarrers Flem-
mincks und des Kaplans Seegers eine Konferenz des hl. Vinzens
von Paul, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die Not der Armen zu
lindern, Hilfe zu spenden und den Bedürftigen das Leben etwas
humaner zu gestalten. Diese Einrichtung besteht auch heute noch.
Die Gutherzigkeit der Verantwortlichen wurde leider manchmal
von angeblich Armen ausgenutzt.
Die Brandgefahr war in früheren Jahrzehnten bedeutend größer
als heute und auch in Neutral-Moresnet sahen sich die Behörden .
genötigt, zum Schutz gegen Feuersbrünste etwas zu unternehmen.
Nach längeren Vorbesprechungen und Vorarbeiten der Ortsbe-
hörde und einiger kompetenter Männer kam es im August 1894
zur Bildung einer ”’Freiwilligen Feuerwehr’””. Die Gemeinde
Preußisch-Moresnet beteiligte sich bereitwillig an den Anschaf-
fungskosten. Als Gegenleistung verlangte sie jedoch, daß die Wehr
auch bei Bränden auf ihrem Gebiet zum Einsatz komme. Wie wir
schon gesagt haben, hatte die Kelmiser Wehr fast soviel Einsätze
bei Überflutungen wie bei Feuer.
Da Kelmis seine Entstehumg und sein Wachstum nur dem
”Berg”, der Galmeigewinnung verdankt, ist es natürlich, daß
bergmännisches Brauchtum hier gepflegt wird. Dies ist Sache des
am 30. Juli 1893 gegründeten ”’Altenberger Bergmannsverein St.
Leonhardus’”’, der nur Gruben- und Bohrarbeiter der Vieille
Montagne aufnahm. Die Statuten des Vereins enthalten viele
soziale Bestimmungen. Sie wurden am 30. September 1893 von
Bürgermeister Schmetz zu Neutral-Moresnet unterschrieben und
mit dem Gemeindestempel versehen. (S. ”’Im Göhltal’”’ Nr. 2, 5.9)
Eine ”’Marianische Jungfrauenkongregation’”” wurde im Au-
gust 1862 aus der Taufe gehoben. Ihre Mitglieder, Marienvereh-
rerinnen, trugen bei Gelegenheit als Zeichen ihrer Mitgliedschaft
ein himmelblaues Halsband mit anhängender Marienmedaille.
Einige Mitglieder des. schon erwähnten Vinzensvereins grün-
deten im Dezember 1865 den Verein des hl. Karl Borromäus. Sein
Ziel war es, die Leser mit guter Literatur zu versorgen.
63
1918 schlossen sich die Kleintierzüchter zu einem Verein
zusammen, der alljährlich die schönsten Kleintiere, wie Enten,
Kaninchen, Hühner u.a. zur Schau stellte. Die Ausstellung endete
immer mit einer Preisverteilung und sämtliche ausgestellten Tiere
wurden von einem erfahrenen Tierkenner nach Punkten klassiert,
bevor die Zuschauer Einlaß erhielten.
Daß eine Primizfeier am Anfang eines karnevalistischen
Unternehmens steht, dürfte wohl eher selten sein. Doch in
Kelmis war es so. Die Karnevalsgesellschaft ”’Lustige Brüder”
verdankt ihre Entstehung einem reinen Zufall. Am 2. April 1907
feierte der Kelmiser Jungpriester Heinrich Schrymecker Primiz.
Die Klassenkameraden hatten die Organisation der Feierlichkeiten
übernommen. Nach deren Verlauf hegten einige der jungen
Männer den Wunsch, sich auch in Zukunft öfters zu treffen und
ihr organisatorisches Talent auch bei anderen Gelegenheiten unter
Beweis zu stellen. Gesagt, getan. Nach einigen Zusammenkünften
lautete das Motto : ”’Humor für Kelmis’’. Wie konnten sie ihren
Wahlspruch in etwas Konkretes umsetzen ? Sie beschlossen, im
darauffolgenden Jahr einen Karnevalszug zu starten. Die Initiative
der jungen Burschen muß wohl bei der Bevölkerung sehr positiv
aufgenommen worden sein, denn am 2. März 1908 zog der erste
Rosenmontagszug durch die Straßen von Neutral-Moresnet. Er
setzte sich aus 20 Prunkwagen, 25 Fußgruppen, 5 Reitergruppen
und 5 Musikkorps zusammen. Nach diesem ersten Erfolg begann
erst recht das Pläneschmieden der jungen Karnevalisten, denen
immer wieder die Frage gestellt wurde : ”’Wat wellt der jong
Löresse?”” (Was wollt ihr jungen Flegel ? ). Aus diesem Grunde
erhielt die Gesellschaft den Beinamen ”’Löresse”’. Noch im selben
Jahre stieg im Kaisersaal (Astoria) die erste Kappensitzung der
Löresse ; sie wurde zu einem vollen Erfolg.
Das Jahr 1909 sah den zweiten Rosenmontagszug und eine
weitere Kappensitzung am Stephanustag. Bis 1939 fanden die
Kappensitzungen immer am zweiten Weihnachtstag statt, und
zwar im Kaisersaal, im Saal Bergerhof oder im Saal Reinartz. Zu
Beginn kamen als Vereinstracht nur die rot-weiße Narrenkappe
und das feierliche Schwarz in Frage. Auf Wunsch des ersten
Präsidenten, Huppermanns Wellem (Wilhelm Huppermann) wur-
de nach einigen Jahren der Elferrat durch das Tragen eines
Narrenmantels gekennzeichnet. Dieser Narrenmantel war ein
weiter, mit Pelz brodierter Umhang von markanter roter Farbe.
64
Nach dem Zweiten Weltkrieg entschieden sich die ”’Löresse”
für eine andere Vereinsfarbe. Ihre Wahl fiel auf schwarz-weiß-
blau, die Farben der Fahne Neutral-Moresnets. Seitdem tragen sie
eine schwarze Hose, weiße Weste und blaue Jacke. Die Narren-
kappe ist in denselben Farben gehalten. Der Farbenwechsel brachte
den Drittnamen ”’die Blauen”” mit sich. In den 68 Jahren ihres
Bestehens leiteten die Präsidenten Willi Huppermann (1908-48),
Leo Servas (1948-58) und Jacques Chantrain (1956-76) die Geschicke
der Gesellschaft. Im Januar 1976 legte Jacques Chantrajn sein Amt
nieder, das alsdann seinem Schwager Willi Hackens anvertraut
wurde. Zur Zeit zählt die Gesellschaft 48 Mitglieder, die eine echte
Vereinstreue bekunden. 5
Die lustigen Brüder bzw. Löresse sind jedoch nicht die älteste
Kelmiser Karnevalsgesellschaft. Diese Ehre kommt der Gesell-
schaft ”’Ulk zu Kelmis’”” zu, die schon im Jahre 1879 gegründet
wurde, allerdings nicht auf eine seitdem ununterbrochene Tätig-
keit zurückblicken kann. Männer mit Witz und Humor wagten
1879 den Versuch, eine Bresche des Frohsinns in den eher tristen
Alltag zu schlagen. Mit der Gesellschaft ”Ulk zu Kelmis’” wurde
der Grundstein der Narretei im Ort gelegt. Die Mitarbeit von
besser gestellten Persönlichkeiten, wie Postmeister Wenn, Apothe-
ker Kahlau, Lehrer Scherer, wie der Bergwerksangestellten Nossent,
Harrus, Zietzling, Brandt und Dechesne machte den Verein auch
organisatorisch existenzfähig. Man behauptet, die Kappensit-
zungen des ”Ulk” seien Glanzleistungen gewesen. Die drei Buch-
halter der Vieille Montagne, Harrus, Zietzling und Brandt sollen
in der Bütt nicht so leicht zu übertrumpfen gewesen sein. Kelmis
machte damals schon durch seinen Karneval in der ganzen
Umgebung von sich reden. So wuchs auch ständig die Zahl
derjenigen, die sich als Mitglied der Gesellschaft ”Ulk” eintra-
gen ließen. Am 3. Februar 1901 feierte die Gesellschaft ihr 3 X
11-jähriges Bestehen. Im Bildband ”’Neutral-Moresnet” ist ein
Foto zu sehen, das bei der Gelegenheit aufgenommen wurde.
Es zeigt, daß der Vorstand aus den Herren A. Soiron, J. Jongh,
A. Jongh, J. Harrus, P. Reinartz, J. Nossent, A. Dechesne und
M. Timmermann bestand. Es ist mir nicht gelungen zu erfah-
ren, wer bei der Gründung der Gesellschaft den Vorsitz führte.
Ob Herr Harrus oder Herr Wenn, die Meinungen gehen ausein-
ander. Es liegen keine schriftlichen Unterlagen darüber vor.
66
”Ul1k”” neuzugründen. Seine Anregung fand allgemeinen Beifall
und die Narrengemeinschaft war somit wieder ins Leben gerufen.
Präsident und Sitzungsleiter Huppermann führte noch im gleichen
Jahr ein zahlreiches Publikum durch die erste Sitzung im Saal
Eden. Ihrer roten Vereinstracht wegen wurden sie von den
Kelmisern nicht anders als die ”’Roten’” genannt. Die Vereinsmit-
glieder selbst legten sich noch den Beinamen ”’De Ülle”’ (die Eulen)
zu. Dem Bestreben der ”’Roten’’ sowie dem gesamten Vereinsleben
wurde durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Halt
geboten. Sobald der Krieg zu Ende war und sich in Kelmis das
Leben normalisierte, nahmen ”’De Ülle” die närrische Tätigkeit
wieder auf. Da Huppermann in Folge der verworrenen Zustände,
die zu der Zeit herrschten, noch nicht zur Verfügung stand, wurde
Heinz Errenst vorübergehend mit der Führung der Gesellschaft
beauftragt. Nachdem sich für den alten Präsidenten alles zum
Guten gewendet hatte, zögerte er nicht, erneut den Vorsitz seiner
”Roten’”” anzunehmen. Er äußerte stets eine große Zuneigung
seinem Verein gegenüber und galt als die treibende Kraft
desselben. 1966 kam er durch einen tragischen Unglücksfall um’s
Leben. Vizepräsident Peter Hoven, einer der alten Garde der
+ Gesellschaft, mußte nach dem Tode des Präsidenten dessen Amt
antreten. Geschickt wurde er seiner neuen Aufgabe gerecht und
gewann in Kürze das Vertrauen aller Mitglieder. In seiner
bescheidenen Art verstand Hoven es in eleganter Weise, seinen ihm
unterstellten ”Üllen”” ein Vorbid zu sein. Für ihn und seine
Vereinskollegen und -kolleginnen ist es so, als habe der ”’Ulk” nie
aufgehört zu bestehen. Jetzt schon sehen sie große Feierlichkeiten
voraus, da das Jahr 1978, und zwar der 29. Mai, das 9 X
11-jährige Bestehen mit sich bringt.
In engster Verbundenheit mit seinem Gefolge läßt Peter
Hoven nicht locker, jetzt schon die nötigen Vorkehrungen zu
treffen, um ihrem Jubelfest den gebührenden Glanz zu verleihen.
Seine Äußerungen deuten darauf hin, daß Kelmis bei dieser
Gelegenheit einen großen und unvergeßlichen Tag erleben soll, der
in die Annalen der Gesellschaft ”’Ulk”’ eingehen dürfte . ..
67
Sprache und Geschichte eines alten Grabkreuzes
von Leo Homburg
In einer stillen Ecke des Walhorner Friedhofes steht ein über
dreihundert Jahre altes Kreuz. Die Inschrift lautet :
INT IAER ONS HEEREN 1663 IS INDEN HEEREN ENTSLAEFEN
DEN EERSAEMEN THOMAS KLEIN ENDE MARIA DIE HUSFRA-
WE VAN THOMAS KLEIN VAN DE ROOVER HEIDE GOTT
TROST DIE SIELE AMEN
Das reich verzierte Kreuz, dessen Kopf vom Christusmonogramm
IHS und schmückendem Astwerk eingenommen wird, hat kurze Arme
mit Winkelstützen, so daß als Schriftfeld eine runde, schildartige Platte
entsteht. Im oberen Teil des Fußes ist ein Zirkel zu sehen, wäs darauf
hindeutet, daß Thomas Klein Baumeister (Schreiner? Maurer?) war.
Die Roverheide ist sehr altes Hauseter Siedlungsgebiet. Huf-
eisenförmig wird dieser Hof vom ältesten der Fosseyer Höfe, dem
# "a. N
Grabkreuz des Thomas Klein und der Maria Codif
68
heutigen Gut Homburg, umschloßen. Die beiden anderen Höfe der
Fossey (Pesch und Lämbertz) sind erst 1722 bzw. 1847 durch Teilung
des alten Hofes entstanden.
Dem Besucher der Roverheide fällt der sich etwas nach außen
wölbende Fachwerkgiebel auf. Schwere Eichenbalken bilden das Skelett
dieses Giebels. Die Zwischenräume sind mit Feldbrandziegeln ausge-
füllt. Dieser Giebel gehört nachweislich zum ältesten Teil des Gebäude-
komplexes. Mit dem Wohnhaus bildet dieser Teil einen rechten
Winkel, an dessen Innenseite im Türsturzbalken über einer zugemauer-
_ ten Eingangstür zu lesen steht :
L Klein IHS maria R '
Den 26 April 1621
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HU N HM
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We EA
ATS . £ zu
0 ä
KR ee
VE | TOM
Die Roverheide
Aus den Walhorner Kirchenbüchern ersehen wir, daß Leonard Klein,
der Erbauer der Roverheide, am 10. November 1651 starb, während
Maria Roderburg, seine Ehefrau, am 14. Juni 1650 das Zeitliche
segnete.
69
Das Walhorner Grabkreuz des Thomas Klein erinnert vermutlich
an einen Sohn der Eheleute Klein -Roderburg. Die 1605 beginnenden
Walhorner Taufbücher erwähnen weder Thomas Klein noch dessen
Ehefrau Maria Codif. Die beiden heirateten am 3. August 1636. Die
Taufe von Maria Codifs Schwester Cornelia, die am 21. Juni 1617 in
Astenet geboren wurde, liefert uns die Namen der Eltern. Es waren
Wilhelm Codif und dessen Ehefrau Maria. S ;
Cornelia Codif, die Schwägerin des Thomas Klein, heiratete am
11. Juni 1645 Friedrich Kofferschläger vom Gut Fossey. So waren die
Klein und Kofferschläger nicht nur Nachbarn, sondern auch Verwand-
te. Thomas Klein und seine ”Hausfrau’”’ Maria begegnen uns zweimal
als Pate bzw. Patin bei Taufen von Kofferschläger-Kindern. Den
Kirchenbucheintragungen zufolge starb Thomas Klein am 19. Mai
1662, Maria Codif am 12. Dezember 1663.
70
Ehemalige Grabdenkmäler
in der Ketteniser Kirche
von Alfred Bertha
Einem Streitfall zwischen der Wwe Heyendal aus Astenet und
dem Walhorner Pfarrer Johannes van den Daele verdanken wir
eine umfangreiche Akte, die u.a. eine Aufstellung der damals
-1767- in den Kirchen unserer Gegend vorhandenen Grabdenk-
mäler enthält (1). Bei der Untersuchung der Frage, wer denn
eigentlich das Recht habe, innerhalb der Kirchenmauern beige-
setzt zu werden, mußte nämlich zuerst geprüft werden, wer bis #
dahin dieses Privileg genossen hatte und ob die vorhandenen Grab-
stätten als Familieneigentum zu betrachten waren.
Nach Aussage. des Kettenisers Pfarrers Gerardus Raeder-
maeker (Pfarrer allda seit 1744) stand dem Seelsorger allein das
„Recht zu, über die Vergabe einer Begräbnisstätte in der Kirche zu
entscheiden. Auch auf dem Friedhof durfte niemand ohne .
vorherige Erlaubnis des Pfarrers ein Grab ausheben. Das einmal
zugewiesene Grab betrachteten die Angehörigen als Familiengrab
und öffneten es zur Beisetzung ihrer Toten, ohne den Pfarrer
davon zu benachrichtigen. Pfarrer Raedermaeker war zwar mit
diesem Vorgehen nicht einverstanden, ließ aber dennoch seine
Pfarrkinder gewähren, um keinen Streit zu provozieren.
Dem Pfarrer allein stand auch das Recht zu, darüber zu
entscheiden, ob in der Kirche ein Grabstein gelegt werden durfte
oder nicht. Mit dieser Genehmigung ging Raedermaeker sehr
sparsam um, denn in seiner bisherigen 33-jährigen Amtszeit in
Kettenis hatte er nur einen einzigen Grabstein zu legen erlaubt;
und nur sehr widerwillig hatte er dem ständigen Drängen des
Drossards von Walhorn, der das Ketteniser Schloß Weims
erworben hatte, nachgegeben und ihm eine in der Kirche sich
befindliche, aber schon lange Jahre nicht mehr genutzte Grab-
stätte überlassen. (2)
Pfarrer Raedermaeker sagt, es habe niemand ein Recht
darauf, in einem ”’Familiengrab’’, das durch Stein oder Kreuz
gekennzeichnet sei, beigesetzt zu werden; doch sei es Brauch, so
zu verfahren und solche Gräber den Verstorbenen ein und der-
selben Familie vorzubehalten.
Ko
Die Herren Birven und Heyendal, die sich nach Kettenis
begaben, um die Bestandsaufnahme der dort befindlichen Grab-
steine vorzunehmen, machten folgende Aufzeichnungen :
Erstens : zwischen der Kommunionbank und den Männerbänken
an der Epistelseite (rechts) ein in drei Stücke gebrochener Stein,
rundum beschrieben mit alten, nicht mehr lesbaren Buchstaben.
(Zusatz : ein Grabstein gelegen wie im Text beschrieben, in drei
Stücke gebrochen, auf dessen vier Ecken und rundum noch Reste
von alten ”’St. Peters Buchstaben’ zu sehen sind. Unlesbar.”’) (3)
Der Kopf dieses Steines trägt in modernen Lettern folgende
Inschrift :
A° 1689 den 16. Xbris (Dezember) ist hier begraven den wol
ehrsame Gudula Jerusalem ihiers altors 107 Jar, gewesene
witfrawe van weilant der wol ehrsamer Petrus Smits, gewesenen
dieses quatiers Kettenis Collecteur RIP (4). Weiter dann JH S
Maria, dazwischen ein Herz und etwas tiefer, in einem abgeschlif-
fenen Wappen folgende Figur.
T. | S
Ba
Zweitens : An der Evangelienseite, zwischen Kommunionbank und
Frauenbänken, ein Grabstein mit folgender Inschrift :
Caspar IENNIS obiit den 24 9bris (November) 1751. Christiana
Brunn seine hausfrauw obiit den 3 Januarii 1729 RIP.
(Zusatz : Christina Braun . . . 1759)
Drittens : Kurz vor der Kommunionbank, in der Mitte des großen
Ganges, ein großer alter Grabstein, auf dem nichts anderes mehr
zu sehen ist, als ein Teil eines alten Wappens, worauf die Reste
eines Balkens und beiderseits davon die Reste einiger Vögel. (5)
Viertens : Etwas tiefer, im großen Mittelgang, ein alter
Grabstein, mit großen alten Buchstaben beschrieben, von denen
nur noch zu lesen ist : ”’Op Jans dach ijs begraven”.
(Zusatz : ”’den Stein mit der umlaufenden Inschrift in St. Peters
Lettern, die nicht mehr gut lesbar sind, gesehen. Der Stein scheint
länger gewesen zu sein”’.)
Der Kopf desselben Steines trägt folgende Inschrift : A° 1706 den 7
Xbris is hier begraven, de eersame Catharina Kersten witfrauw van
den eersaemen Willem Kardol RIP. Etwas tiefer steht : Desen
72
steen heeft laeten leggen den eersaemen Leonardt Kersten. Noch
tiefer, etwa in der Mitte steht : Hic sepultus est Dnus (Dominus)
Theodorus Cardol Consul hujus pagi obiit 4 9bris 1740 RIP. (Zu
Deutsch : Hier wurde beerdigt Herr Theodor Cardol, Bürgermeis-
ter dieses Dorfes. Er starb am 4.11.1740) (6)
Fünftens : Neben dem vorgenannten, an der Epistelseite, ein
großer alter Grabstein, rundum mit alten Buchstaben beschrieben,
teils unter den Bänken verborgen, und wovon folgendes zu sehen
ist : ”Huesch lycht hic begraven starff den 27 meert A° 1551”.
(Zusatz : Nachdem wir die Bänke verrückt hatten, haben wir in
den Grabstein in alten St. Peters Lettern folgende lesbare Wörter
gemeißelt gesehen : Heyn Huesch lycht hic begraven starff den 27 f
meert A° 1551 und ”... Huysfru Eva van der Hart’”’.) (7)
Dieser Stein trägt auf den vier Ecken ausgehauene Wappen, etwas
abgeschliffen, und in der Mitte des Steines steht in lateinischen
Lettern : Obiit 1699 22 Xbris honestus Wilhelmus Kardol RIP.
Etwas tiefer steht : Hic jacet honestus Kardol obiit 25 august 1719
RIP.
(Zusatz : Es ist zu sehen, daß die erste der beiden ”’modernen”
Inschriften stärker abgeschliffen ist als die zweite.)
Sechstens : Ein Grabstein, auf dem nur ein Kreuz und einige alte
Lettern zu sehen sind. Er liegt an der Evangelienseite neben dem
Stein Nr. 4.
(Zusatz : Die alten Lettern sind JHS.) (8)
Siebtens : Ein etwa vier Fuß langer und drei Fuß breiter Stein,
direkt hinter dem unter Nr. 4 verzeichneten liegend; darauf sind
nur die Buchstaben L.K. zu sehen.
Achtens : Unmittelbar hinter dem unter Nr. 7 verzeichneten liegt
ein langer Stein, der folgende Umschrift trägt : Meister Claes Ghir
bouwr dys Godzhuys An ° 1543. . . und dann, nach einigen
unlesbaren Buchstaben ”biedt vur die Zeel”.
(Zusatz : Die rund um den Stein verlaufende Inschrift in alten St.
Peters Lettern wurde erkannt als : ”’Meister Claes Ghir bouwr dys
Godzhuys An° 1543 obiit 1 julii, bidt vur die Zeel.””) (9)
Neuntens : Ein Grabstein an der Epistelseite, neben dem unter
Nr.8 genannten, welcher folgende rundum verlaufende Inschrift
trägt : "licht begrav Lenart Leur Scheffe tz Walhorn und sijne
huijs. . . merijen”’.
(Zusatz : Lesbar ist : Hic licht begrav . . . Lenart Leur Scheffe tzo
Walhoern und sijne huysfru Merren int Jaer 1557.) (10) Auf dem-
73
selben Stein steht : Honorabilis Nicolaus Longuehaye quondam
Consul in Clermont A° 1684 22 9bris RIP. (11)
Zehntens : Im kleinen Gang von St. Anna ein unregelmäßig ovaler
Stein von zwei Fuß Länge und anderthalb Fuß Breite. Darin
eingemeißelt ist der süße Name Jesu und dann ”’Hier ist begraben
den eersaemen Jeuris Geybel starff den 12 9bris 1719 RIP.” Soweit
die Aufstellung, die uns erlaubt, ziemlich genau zu sagen, wer in
der Ketteniser Kirche beigesetzt worden war. Es verwundert, daß
diese Aufstellung eine weitere Grabstätte, die sich im Chor der
Ketteniser Kirche befand, nicht erwähnt. Schloß Liberme war
1699 (12) von der Familie Halley (Hallet) an Baron Maximilian von
Steenberghen (Maximilien d’Estembecque) übergegangen. Zu den
Rechten und Gerechtsamen dieses Stocklehens gehörten auch ein
Stuhl und eine Grabstätte im Chor der Ketteniser Kirche.
Maximilian van Steenberghen, sowie dessen Tochter Isabella und
deren Ehemann Thomas de Royer wurden in diesem Grab
beigesetzt. Die Familie de Royer ließ einen neuen Grabstein mit
ihrem eigenen Wappen auf das ehemals Halley’sche Grab legen.
(13)
Maximilian van Steenberghen erwarb gleichzeitig durch Art.
14 der Kaufbedingungen eine zweite Grabstätte in der Ketteniser
Kirche, und zwar im kleinen Gang vor dem Muttergottesaltar.
Dort wurden drei Kinder der Eheleute de Royer-Steenberghen, alle
drei jung gestorben, beigesetzt. Auf diesem Grab waren 1767 die
Wappen der Familie von Halley noch zu erkennen. Auch dieser
Stein wurde von Birven und Heyendal übersehen.
Die Gesamtzahl der in der Kirche zu Kettenis Beigesetzten
war also nicht sehr erheblich. Das mag wohl auch damit
zusammenhängen, daß die Gebühren für eine Beisetzung inner-
halb der Kirchenmauern doppelt so hoch lagen wie für eine
Beerdigung auf dem Friedhof. Wir dürfen uns jedoch freuen, daß
durch den Streit zwischen dem Walhorner Pfarrer und der Witwe
Heyendald die meisten dieser Denkmäler uns wenigstens in der
Beschreibung erhalten sind und auf diese Weise in unseren Tagen
den Genealogen, den Sprachforschern und den Heimatkundlern
noch etwas zu sagen haben.
IS
Der Viadukt von Moresnet
von Albert Aldenhoff
Kaum hatte der erste Weltkrieg begonnen, da machte sich
auch schon bei der deutschen Heeresleistung die Notwendigkeit
bemerkbar, die wenigen bestehenden Eisenbahnverbindungen
zwischen Deutschland und Belgien durch den Bau von drei neuen
zweigleisigen Bahnen zu entlasten. Im Dezember 1914 reichte
General Groener eine Denkschrift ein, in der er den Bau von
Entlastungsstrecken von Born über Vielsalm nach Rivage, von St.
Vith über Gouvy nach Libramont und von Aachen über Gemme-
nich und Vise nach Tongern forderte.
Die letztgenannte Bahn bot eine direkte Verbindung zwischen
dem deutschen Eisenbahnnetz und dem Hafen von Antwerpen,
unter Umgehung des Wesertales und des Lütticher Gebiets sowie
der Steigung von Ans, wo zur damaligen Zeit drei Lokomotiven
benötigt wurden, um einen normal beladenen Güterzug hochzu-
ziehen.
Schon Ende Januar 1915 waren die Vorarbeiten zum Bau der
Strecke vollendet. Dazu hatte man Eisenbahntruppen eingesetzt.
Der Bau selbst wurde durch Privatfirmen ausgeführt. Da es sich
'um eine kriegswichtige Strecke handelte, brauchte man auf keine
Einwände van Privatpersonen Rücksicht zu nehmen. Das Enteig-
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nungsproblem war kein Hindernis. General Groener schreibt in
einem Brief an seine Frau vom 31. Dezember 1914 u.a. : Was die
Eisenbahn anbelangt, fange ich jetzt damit an und lasse neue
Bahnen und zwei Gleise zur besseren Verbindung mit dem
belgischen Bahnnetz bauen ... Das Schöne im Kriege ist, daß
man so was ohne viel Schreiberei und Gerede befehlen kann,
während man im Frieden sieben Jahre braucht, um durch viel
Tinte und Geschwätz zu einer neuen Rheinbrücke zu kommen. ”’(1)
Hoch über dem Göhltal, in der Nähe des heutigen Dreilän-
derecks, tritt die Bahn Aachen-Tongern durch einen Tunnel auf
belgisches Gebiet ein. Von Aachen-West kommend, führt sie über
Gemmenich, Moresnet nach Montzen. Haupthindernis auf diesem
Teilstück war das Göhltal in Moresnet, das durch eine aufwendige
Brückenkonstruktion überwunden werden mußte. 21 Eisenbeton-
pfeiler trugen eine solide Metallkonstruktion. Der Bau der Pfeiler
wurde von der ”Sächsischen Tiefbau Gesellschaft”” ausgeführt,
während die Firma MAN (Maschinenfabriken-Augsburg-Nürn-
berg) für die Stahlkonstruktion verantwortlich zeichnete.
Der Moresneter Göhltalviadukt ist eine Fachwerkbrücke,
deren Vertikale eine Höhe von 10,36 m hat. Das Schienenbett
ruht nicht, wie bei solchen Konstruktionen üblich, auf der Höhe
7
der Betonpfeiler, sondern auf der oberen Ebene des Fachwerkauf-
baus. Die Spannweite von Pfeiler zu Pfeiler beträgt 59 m. Um die
Vibration und die Dilatation auszugleichen, liegen die einzelnen
Brückenteilstücke ohne sich zu berühren, nicht auf den Betonpfei-
lern, sondern auf darin ruhenden Stahllagern auf.
Anfang Oktober 1915 hatte man mit dem Brückenbau zu
Moresnet begonnen. Am 10.1.1917 war der Bau vollendet. Es
wurden vor allem russische Kriegsgefangene beim Bau eingesetzt,
doch auch die Bevölkerung aus der Umgebung mußte mit Hand
anlegen. Auf Kaisers Geburtstag wurde die Strecke offiziell
eröffnet, indem man zwei Lokomotiven nach Aachen hin und
zurück fahren ließ. Seitdem rollten die Züge mit Kriegsmaterial
Tag und Nacht über den Göhltalviadukt von Moresnet. Bei der
Vorbereitung der letzten großen deutschen Offensive im Westen
sollen. täglich bis zu 60 Züge in Moresnet gezählt worden sein.
Nach der Kapitulation der deutschen Truppen am 1. Novem-
ber 1918 fiel die Brücke unversehrt in die Hände des belgischen
Staates und schon 1919 wurde der Verkehr über diese Strecke
wieder aufgenommen.
1937 ließ die belgische Regierung vorsorglich einige Beton-
pfeiler für eine eventuelle Sprengung bei einem deutschen Einfall
in Belgien vorbereiten. Als dann am 10. Mai 1940 der Krieg
ausbrach, wurde die Brücke zum Teil gesprengt. Doch sofort nach
Beendigung des 18-Tage-Feldzuges begann die deutsche Be-
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Moresnet-Wadukt, 1300 m lang
satzungsmacht mit dem Wiederaufbau des Viaduktes. Die Fir-
men, die 1915-17 den Bau ausgeführt hatten, wurden nun wieder
damit betraut. Die am Boden liegenden Metallteile wurden
repariert und dann wieder mit hydraulischen Hebegeräten, mit
Winden und Trossen hochgehievt und auf die Brückenpfeiler
gelegt. Die Arbeiten wurden angesichts der Bedeutung dieser
Strecke für den Nachschub der Truppen mit größter Eile
vorangetrieben, so daß der Eisenbahnverkehr über Moresnet am
16. Dezember 1940 wieder aufgenommen werden konnte.
5 Während des Zweiten Weltkrieges rollten ununterbrochen
Truppen- und Materialzüge von Aachen-West über Gemmenich
und Moresnet ins Landesinnere. Die Brückenköpfe wurden durch
Flakgeschütze gesichert.
Kurze Zeit vor der Landung der Alliierten in der Normandie
legten die deutschen Truppen Sprengladungen in einige Brücken-
pfeiler. Am 10. September 1944, es war kurz vor Mittag, wurden
die Sprengladungen gezündet und der Viadukt fiel wie ein
Kartenhaus in sich zusammen. (2)
Nach dem Ende des Krieges wurde der Wiederaufbau
geplant. Das Projekt der amerikanischen Armee, erst eine
provisorische Brücke zu bauen, wurde bald fallen gelassef. Schon
1946 begann man mit der Wiederherstellung der Brücke. Die
Metallkonstruktion wurde der Fa. Baume-Marpent aus Haine-St-
Pierre bei Charleroi anvertraut und am 2.10.1949 war die Strecke
wieder befahrbar.
79
Eine kleine Vorstellung von den Ausmaßen dieses Bauwerkes
gibt auch die anzustreichende Fläche an Eisenträgern. Es sind
64.000 m2! Die genaue Länge des Viaduktes wird von den einen
mit 1100, von den anderen mit 1300 Meter angegeben. Auch die
Angaben über die Höhe schwanken zwischen 57 und 68 Metern!
Unbestritten ist jedoch, daß Moresnet den höchsten und längsten
Viadukt des Landes aufzuweisen hat . ..
Die unserem Text beigegebenen Bilder zeigen, wie die Brücke
nach der Sprengung von 1940 aussah.
1) Zitiert durch Kurt Grünebaum : ”’Die politisch - militärisch bewegte Geschichte
der Bahnstrecke Aachen-Montzen-Vis&-Tongeren”” im.. Grenz-Echo vom 4.
Januar 1977. Y
2) Einem nicht veröffentlichten Manuskript (M. Bindels) zufolge wurden dabei 11
von 22 Teilstücken, ein Hauptwiderlager und ein Brückenpfeiler zerstört.
80
Zwillinge
von Gerard Tatas
Et Kücke Jüppke, dä hat örjens
Fidel jezecht de janze Naht,
En wie häe kömt no Heem et mörjens,
Du hat der Storch sing Vrow jätt brat.
Et Jüppke sökt sech flott twei Tüjje :
Ne Vetter en ne jowe Vrönd, N
Die enne Sondesstat sech brüjje
En noe Standesamt metjönt.
”Ech hann twei Kenger atejäve,
Lev Häere”’, sätt et Jüppke hej,
% ”Die höj ech jäer op mech jeschräve,
Die twei sönd mer vör Tüch derbej”.
Der Sekretär vrott no de Name.
Et Jüppke vrivt sech övern Plat :
”Ja, ja, lev Häere, ja-de Name ?
Die weet ech net- der Jeng wätt Pat!”
Drop röpt der Schriever : ’’Himmelstäere!
Wat well ech da now met der Jeng? !
En wovör säste ömmer, Häere,
Ech benn doch hej mer janz alleng!”
Dat kann et Jüppke kom verstue,
E schnappt beduselt no de Klenk :
Da mott ech heem ens kike jue,
Da es et flex och mer e Keng!”
81
Chronik vom Weiler Hof
von Dr. Gisela De Ridder
Nach weiteren Streifzügen in das Gebiet um den Weiler Hof
und in Gesprächen mit den Leuten, die dieses Fleckchen Erde
von Kindheit an kennen, sammelte sich eine Fülle von Material
an, das es verdiente, in Form einer Chronik festgehalten zu
werden.
War es in unserem ersten Bericht (1) das Fachwerkhaus, das
unser ganzes Interesse in Anspruch nahm, so ist es nunmehr das
Leben, das die Einwohner hier führten.
Louis Bindels, Sohn der Eheleute Bindels-Dederen, die 1923
den Weiler Hof zum größten Teil erwarben, verfolgte seit langem
all die Begebenheiten, die ihm hier von Leuten zugetragen
wurden. Als kleiner Junge, so erinnert er sich, erzählte man ihm,
daß vor dem Weiler von Moresnet zur Lütticher Straße verschie-
dene Zufahrtswege zusammenliefen, die damals häufiger be-
fahren würden als heute. So soll vor Zeiten, das Datum ist
schwierig festzulegen, mancher Fuhrmann seinen Weg von Mo-
resnet über die Heide durch das Göhlbett, vorbei an der alten
Kelmiser Wassermühle auf Schnellenberg zu, genommen haben.
Es ist noch die Stelle zu erkennen, an der die Fuhrwerke die Göhl
verließen, auch wenn inzwischen die Steine und ebenso die,
Böschung durch viel Buschwerk überwuchert sind. Unmittelbar
daneben verlief ehemals eine bogenförmige kleine Steinbrücke,
deren Grundmauern an den Ufern neben der heutigen modernen
Brücke noch sichtbar sind. Ein anderer Weg führte von Moresnet
über die Anhöhe des sog. ”Erzbrech’” oder auch ”’Erzberg” an
Hechter vorbei zum Weiler Hof. Der Weiler, am Fuße der
Karlshöhe gelegen, könnte eine Zwischenstation am Kreuzpunkt-
verschiedener Wege gewesen sein. Nach den Erzählungen war
hier vor etwa 80 Jahren eine Lebensmittelhandlung unterge-
bracht. Auch muß ein Zinngießer an diesem Ort sein Handwerk
ausgeführt haben, denn 1919 wurden Haushaltsgegenstände aus
Zinn, die in der Form mißlungen waren, ausgegraben. Und 1955
stieß man bei baulichen Veränderungen auf Grundmauern eines
Schmelzofefs und in dessen unmittelbarer Umgebung auf Erz-
schlacken. Die ausgegrabenen Zinngegenstände verschenkte Louis
(1) S. "Im Göhltal”’, Nr. 20, S. 67-71.
82
Bindels vor Jahren an Liebhaber. Aber auch in Hechter
herrschte nach Aussage der Familie Frings, die dort seit 40
Jahren lebt, ein Durchgangsverkehr, zumal es hier sogar eine
Gastwirtschaft gab.
Das Wasser, das im Weiler bis 1960, ehe der Anschluß an das
Wassernetz vorhanden war, gebraucht wurde, mußte von weit
herangeschafft werden. Rechts des Eisenbahndammes, gut 300
Meter vom Weiler entfernt, liegt die Quelle in Form eines freiste-
henden Brunnens am Fuße des Felsenhanges in der Flur ”’Wolfs-
haag”. Noch heute sprudelt hier das Wasser aus der Erde. Man
erkennt noch die Steinfassung, von der aus das Wasser hier
geschöpft wurde. Nach dem heutigen Besitzer dieser Flur, Herrn
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Brunnen auf der Flur Wolfhaag
Geron, erreichte man die Quelle über die Flur ”’im Koch”, vorbei
am alten Göhlbett. Durch den Eisenbahnbau von Kelmis nach
Moresnet wurde durch die Vieille Montagne um 1872 die rechts
neben dem Eisenbahndamm verlaufende Göhl umgeleitet und
führt seitdem über die Fluren Slekull und Driesch links des
Dammes ihr Wasser weiter. Im Gespräch mit Herrn Geron und
Herrn Bindels wurden die früheren Grundstücks-Tauschgeschäfte
der Bauern zum Besten gegeben. Je nach Belieben tauschte man
untereinander ein Grundstück gegen ein anderes aus, wenn es
sich besser in den eigenen Besitz einfügte. Leider wurde sehr oft
84
Steinbruch. Wann dieses Rad angebracht worden ist, wird
niemals geklärt werden können.
Die Leute im und um den Weiler Hof können sich noch an
manche beeindruckende Geschichte erinnern. Abseits von der
großen Straße war hier das Leben mehr als anderswo mit der
Natur eng verbunden.
Dort, wo seit Generationen Geschichten entstanden, aber
nicht festgehalten wurden, und der ererbte alte ”’Pröll” leider oft
vernichtet wurde, sind Überlieferungen wertvolle Hinweise auf die
spätere Entwicklung. Die alten Flurnamen, ihre Lokalisierung und
ihre Beziehungen zu den Menschen vermögen der Geschichte oft i
mehr lebendige Impulse zu verleihen als nicht beachtete Doku-
mente.
Bei der Nachforschung der Entstehung eines Ortes sind die
Kenntnisse über alte Transportwege unerläßlich. Für den Ge-
schichtsfreund beinhaltet daher diese Chronik ein nicht zu
unterschätzendes Mosaik im geschichtlichen Gefüge des Ganzen.
|
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1
85
Ein Anstellungsvertrag eines
Raerener Pfarrers aus dem Jahre 1728
von Alfred Bertha
Für den Walhorner Pfarrer Johannes Van Den Daele (1739-
1788) war die Frage, ob die ehemals zur Mutterkirche Walhorn
gehörenden Pfarrgemeinden von Hergenrath, Eynatten und Rae-
ren als Filialkirchen von Walhorn oder aber als ganz und gar
selbständige Pfarrgemeinden zu betrachten seien, von eminenter
Bedeutung, ging es doch darum, ob der Walhorner Pfarrer
weiterhin in besagten Orten das Zehntrecht besaß oder nicht. So ist
es denn auch nicht verwunderlich, wenn Pfarrer Van Den Daele in
langjährigen Prozessen vor dem Brabanter Oberhof versuchte, eine
Klärung dieser Frage und einen Entscheid zu seinen Gunsten zu
erreichen.
Seine Behauptung, Raeren, Hergenrath und Eynatten seien
weiterhin von Walhorn abhängig, stützte sich vor allem auf das
Register ”Institutiones’’ des Erzdiakonats Condroz, worin es 1608
heißt : ”’Walhorn ecclesia integra in ducatu limburgensi rescribitur
ad C.M. Habet sub se capellas sequentes : Eynatten cujus incolae
intertinent capellanum seu deservitoren suis sumptibus dando illi
certam competentiam ultra accidentia. Raeren cujus etiam incolae
intertinent capellanum suis sumptibus ut ante . . .”’(Die Pfarrkir-
che von Walhorn im Herzogentum Limburg ist auf 100 Müdden
veranschlagt. Sie hat unter sich die Kapellen von Eynatten, deren
Einwohner den Kaplan bzw. Deservitor auf eigene Kosten halten,
indem sie ihm außer den Gefällen ein festes Gehalt geben; Raeren,
dessen Ew. den Kaplan auf eigene Kosten halten wie die vorher
genannten... ”)
Der Pfarrer berief sich auch auf einen Akt des Walhorner
Schöffengerichts vom 22.3.1633, wonach der damalige Pfarrer von
Walhorn es den in Raeren, Eynatten und Hergenrath diensttuen-
den Kaplänen zwar erlaubte, die Pfarrfunktionen auszuüben,
jedoch gleichzeitig stipulierte, daß die Rechte des Walhorner
Pfarrers in keiner Weise geschmälert würden.
In den Jahren 1779-1781 war der Streit über die Frage, ob
Raeren eine selbständige Pfarre mit allen einer solchen zustehen-
den Rechten und Einkünften oder aber eine von Walhorn
abhängige Filialkirche sei, vor dem Brabanter Oberhof anhängig.
Pfarrer Joh. Anton Vincken, 1778 zum Pfarrer gewählt, verteidigte
die Unabhängigkeit seiner Pfarre.
86
Unter den zahlreichen Prozeßunterlagen (1) befindet sich
auch eine beglaubigte Abschrift des Anstellungsvertrages, den die
Gemeinde Raeren 50 Jahre früher, am 20.6.1728, nach dem Tode
ihres Seelsorgers P. Cornelius Momber (2) mit ihrem neuen Pfarrer
Tilman Ganser (3) abschloß. Das Dokument ist in mancher
Hinsicht von Interesse, zeigt es uns doch, welche Rechte und
Pflichten der Pfarrer durch die Annahme seiner Wahl erwarb bzw.
auf sich nahm, Wir dürfen auch annehmen, daß Anstellungsver-
träge anderer Gemeinden, wie z.B. Hergenrath und Eynatten,
ähnlich abgefaßt waren. Hier nun der Wortlaut des Vertrages. Das
Orginal ist in ”’Brabantisch”” abgefaßt. Die Übersetzung besorgte
Pfarrer ‚i.R. Viktor Gielen, dem wir dafür sehr zu Dank
verpflichtet sind.
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Bei Tilmann Gansers Wahl zum Pfarrer von Raeren war
die Pfarrkirche gerade erst im Rohbau vollendet . . .
87
Da durch den Tod unseres Herrn Pastors P. Cornelius Momber die Pfarrstelle
Raeren und Neudorf frei geworden ist etc., etc.
1. Der Herr Pastor ist verpflichtet, selbst oder durch einen. Stellvertreter alle
heiligen Sakramente unentgeltlich zu spenden, außer dem heiligen Sakrament der
Taufe und der Ehe. Für die Spendung dieser beiden Sakramente soll er eine
Vergütung erhalten, wie es unten näher bestimmt wird.
2. Dagegen werden die ”Nachbarn’” (d.h. die Gemeindeeinwohner) aus der
Gemeindekasse durch ihren jeweiligen Rentmeister dem gleichen Herrn Pastor ein
Entgelt geben für die Osterkommunikanten und den Opfergang von Ostern,
Pfingsten und Weihnachten, wie auch für die Spendung des Bußsakraments und
der Krankenölung an die Kranken. Dafür bekommt er insgesamt 26 Aachener
Reichstaler zu 56 Merk pro Jahr.
3. Derselbe Herr Pastor ist verpflichtet, sein geistliches Amt so zu verwalten, wie es
sich für einen guten und eifrigen Seelsorger geziemt, sei es im Katechismusunter-
richt, sei es beim Predigen oder bei der Feier der gestifteten Jahrgedächtnisse oder
Messen.
4. Das Pfarrhaus zu Raeren mit den gestifteten Liegenschaften bleibt frei von allen
Belastungen, wie es von altersher Brauch ist (D.h. : Der Pfarrer braucht dafür keine
Miete zu zahlen). Die Güter und Liegenschaften, welche für Jahrgedächtnisse oder
andere Intentionen gestiftet sind, sind und bleiben belastet‘ mit Steuern und
anderen Abgaben, genau wie die anderen Gemeindegüter.
S. Der Herr Pastor muß das Pfarrhaus und frühere Bauten wie auch das Haus zu
Titfeld, das der verstorbene Herr von Wicherding für ein Pfarrhaus (Kaplanei)
geschenkt hat mit der darauf stehenden Belastung auf seine Kosten gehörig
unterhalten und reparieren, sowohl, was das Dach betrifft als auch das andere.
6. Der Herr Pastor hat die Nutznießung der vorhin genannten zwei Bauten. Die
Güter und Zehnten, welche zum Pfarrhaus gehören, wird er bebauen und er wird
dafür sorgen, daß sie Ertrag bringen, so wie es einem guten Hausvater geziemt. Er
darf keine darauf wachsenden Bäume fällen, es sei denn mit Einverständnis der
Gemeindeinsassen und unter der Bedingung, daß die hierdurch erzielten Einnah-
men den Pfarrhäusern zugute kommen.
7. Der Herr Pastor hat die Nutznießung aller Renten, Abgaben und Stolgebühren,
die von altersher mit dem Amt des Pfarrers verbunden sind und durch die heutige
Abmachung nicht verändert worden sind. Die anderen muß er für das Pfarrhaus
oder die Kirche abliefern, ohne von den Kapitalien oder Gütern etwas verkaufen zu
dürfen oder anderweitig darüber zu verfügen, es sei denn mit Einwilligung der
Pfarrangehörigen.
8. Neben den anderen Gütern und Renten, wie sie dem Herrn Pastor von altersher
zustehen, wird ihm ein Termin zugestanden, an dem jeder Pfarrangehörige ihm
Käse, Eier oder Fle£ch gibt, je nach seinem Vermögen. Im Fall, wo kein Fleisch
abgegeben wird, muß der Pfarrangehörige dafür sieben Merk zahlen, für den Käse
drei Merk und für die Eier zwei Merk. Die Armen, welche weder Fleisch, noch
Käse, noch Eier abliefern können, sind davon befreit.
9. Wenn ein Kind unter zwei Jahren stirbt, wird es still beigesetzt, wie es auch
anderwärts geschieht. Der Pfarrer erhält dafür eine Vergütung von einem Schilling.
Falls die Eltern eine Seelenmesse für die Vorfahren des Kindes wünschen, erhält
der Pfarrer für die Messe einen Schilling zu sieben Merk, ohne daß die Eltern
und die Verwandten des Kindes verpflichtet sind, im Mantel zur Kirche zu kommen
oder am Opfergang teilzunehmen.
10. Stirbt ein Kind, daß noch nicht zur heiligen Kommunion gegangen ist, erhält
der Pfarrer -wie es von altersher Brauch ist- 21 Aachener Merk. Es wird kein
Leichenbier gegeben oder ausgerufen.
88
11. Für die Beerdigung eines Erwachsenen mit den drei Messen und das
Verkündigen der Namen der Verstorbenen än den Sonntagen erhält der Herr Pastor
achtzehn Schilling zu sieben Merk.
12. Wie es von altersher der Fall war, wird der Herr Pastor auch weiterhin für eine
Kindtaufe sieben Merk erhalten und von einem Brautpaar, einschließlich der
Aufgebote, acht Schilling zu sieben Merk.
13. Außerdem wird der Herr Pastor zulassen, daß ihm ein Herr Kaplan zur Seite
steht, der die mit der Kaplanei verbundenen gestifteten Jahrgedächtnisse und
solche, die noch gestiftet werden, verkünden und auf die gewohnte Art persolvieren
darf. Desgleichen darf er die Sakramentsmesse feiern, die durch Testament des
Wohledlen Herrn von Wicherding für jeden Donnerstag zum Vorteil eines Kaplans
gestiftet worden ist sowie den sakramentalen Segen vor und nach dieser Messe
geben.
14. Desgleichen ist der Herr Pastor verpflichtet, in dieser Gemeinde die gewohnten
Prozessionen und Andachtsübungen zu halten. ’
15. Nach seiner Wahl ist der Herr Pastor verpflichtet, die Unkosten für die
Bestätigung seiner Ernennung (”Investitur””) in Lüttich selbst zu tragen. Das
gleiche gilt für seine Privatreisen; die Gemeinden dürfen keineswegs damit belastet
werden.
Soweit der eigentliche Vertrag, dessen Klauseln der gesamten
versammelten Gemeinde ”laut und deutlich’” vorgelesen wurden,
ehe man zur Wahl schritt, durch die der bisher in Simmerath tätig *
gewesene Kaplan Tilmann Ganser zum neuen Pfarrer von Raeren
bestimmt wurde. Die Wahl fand statt ”’zu Titfeld auf Driesch auf
der Straße’”” am 20. Juli 1728 in Gegenwart der Zeugen Emonts
Kroppenberg und Claes Schue. Als Notar fungierte Mathias
Wilhelm Lamberts.
Quellen und Anmerkungen
1) Stadtarchiv Düsseldorf, Sammlung Hetjens.
2) Der aus Eynatten stammende Pfr Momber (Pfarrer von Raeren 1698-1728)
erbaute die heutige Raerener Pfarrkirche und die Anna-Kapelle auf Berg.
3) Tilmann Ganser, 1728 einstimmig zum Pfarrer gewählt, kam aus Breinig. Er ist
der Erbauer des jetzigen Pfarrhauses (1732). Die vorhergehenden Pfarrer hatten
auf dem ”Colhoff” in der Heck gewohnt. Siehe V. Gielen, ”Raeren und die
Raerener im Wandel der Zeiten”, S. 76. Pfarrer Ganser war bis zu seinem Tode
i.J. 1778 als Seelsorger in Raeren tätig.
89
Ikone
von M. Th. Weinert
Auf goldenen Grund gemalt
ein dunkles, junges Antlitz,
darin geheimnisvolles Licht der Augen
die herben Züge mütterlich erhellt —
das Kindlein auf dem Arm
trägt sinnend eine Welt
in seiner Hand.
Und eine fremde, starke Kraft,
die zeitlos ist,
berührt uns
wie die Seele eines Tieres
mit Geschlossenheit
und wunderlicher Abwehr,
doch so,
als sei der Duft
aus fernen, großen,
unberührten Wäldern
auf diesen goldenen Grund gebannt.
90
Cäsar Franck, ein berühmter Sohn aus dem
Göhltal - Dreiländereck
von Freddy Nijns
Der älteste nachweisbare Francksche Ahne war um 1540 der
herzoglich - brabantische Inspektor der schon den Römern bekannt
gewesenen, reichen Galmeigruben zu Kelmis - Neu-Moresnet. Seine
Nachkommen bekleideten in Moresnet, Montzen und Gemmenich in
lückenloser Folge angesehene öffentliche Ämter als Grubenbeamte,
Notare und Bürgermeister, und waren auch in der gleichen Gegend
begütert.
Noch Cäsars Großvater war Bürgermeister und Notar zu Gemme-
nich; er wohnte auf einem Gute des zu Gemmenich gehörenden Weilers
”Völkerich”. Hier kam denn auch Cäsars Vater, Nikolaus Joseph, im
Jahre 1794 zur Welt.
Eine Wanderung zum Franckschen Stammhof in Völkerich führt
auf die Höhe des ehemaligen Vierländerblicks. Von hier aus sieht man
tief unten Gemmenich liegen, rechts am Hang Terstraeten und fern
darüber Sippenaeken und Homburg. Dieses ganze heckendurchzogene
Hügel- und Weideland war die Heimat der Francks und ein Teil der
Heimat des größten Tonmeisters, den dieses Göhltal, das ehemalige
Vierländereck, hervorgebracht hat.
Seine Ahnen väterlicherseits hatten standesgemäße Frauen aus den
bedeutendsten Schöffengeschlechtern der Hochbanken Montzen und
Walhorn geheiratet. Es waren Grundbesitzer, die die Ämter der
Drossards, Schultheissen, Steuereinnehmer, Staatsräte und Prokurato-
ren einnahmen. Ein Beweis dafür, daß es sich bei der Sippe der
Francks um Bauernadel handelt, sind die Lage und die Bauart des
Franckschen Hofes in Völkerich.
Die Mutter Cäsars war eine Aachenerin namens Frings; sie wohnte
lange Zeit in der Franzstraße, in der Nähe des Marschiertors im
sogenannten ”Faggenwinkel’””. Cäsars Vater zog 1820 kurz nach seiner
Heirat, die laut einer Heiratsurkunde in Gemmenich stattfand, von hier
aus nach Lüttich. Weshalb ? Man weiß es nicht genau. Am 10.
Dezember 1822 kam sein Sohn Cäsar dort zur Welt. Er trat am 25. Mai
1831 mit 8 1/2 Jahren in das Lütticher Konservatorium ein. Im
nächsten Jahr erhielt er einen Preis für treffsicheres Vom - Blatt -
Singen. Mit 11 Jahren errang er den ersten Preis der Schule für sein
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großartiges Klavierspiel. Mit 12 komponierte Cäsar eigene Werke, die
er aufführte. Mit dem Bruder Joseph zog et musizierend durch
verschiedene Städte Belgiens. Kurz danach gaben die Francks ihr erstes
Konzert in Aachen. Von 1844 an hielten beide sich in Paris auf. Mit der
Heimat blieben sie stets verbunden wegen der Verwandtschaft und
wegen der Erholung. In ihren Ferien weilten Cäsar und Joseph entweder
auf dem großelterlichen Gute in Völkerich oder bei den Großeltern in
der Franzstraße in Aachen. Im großen Tempel der Natur fühlten sie
sich wohl; dieses Naturgefühl fand außerhalb der Großstädte von jung
an schöne Nahrung, besonders in dem oft besuchten Hügel-, Wiesen-
und Waldgelände Völkerichs. Sie konnten sich in Stall und Scheune, auf
Wiesen und Bäumen oder am Bach austoben. Das landesübliche
Plattdeutsch werden sie wohl von den Gespielen rasch gelernt haben. Sie
galten hier als Wunderkinder, die über ein ungewöhnliches Können in
Sachen Musik verfügten.
Inzwischen war die ganze Famile nach Paris übergesiedelt. Am
dortigen Konservatorium setzte Cäsar seine musikalischen Studien
während 5 Jahren fort und machte sich bald als Virtuose in den Salons
bemerkbar. Eine Zeitlang waren beide Brüder auch als Organisten
tätig. Später kehrten siewieder nach Lüttich zurück, um dann einige
Jahre später wieder, aber diesmal endgültig, nach Paris überzusiedeln.
92
_ Und nun ein Wort über die Persönlichkeit Cäsar Francks : Franck
war frei von jeglicher Eitelkeit, Ruhmredigkeit, Empfindlichkeit, Miß-
gunst und Unaufrichtigkeit. Er suchte nie das Seine, sondern
immer nur das Wahre, das Rechte, das Gute und war die reinste
Verkörperung eines Menschen, dessen Tun der Sache und immer nur
der Sache dient. Franck wäre aber kein Mensch gewesen, wenn er frei
von Fehlern gewesen wäre. Er war ein Mann und kein Engel; das eine
schließt das andere aus. Güte, Zartheit, selbst Schwärmerei sind
durchaus keine unmännlichen Eigenschaften, sondern in harmonisch
ausgewogenen Naturen wesenhafte Entsprechungen fordernder Härte,
robuster Gesundheit und schöpferischer Schaukraft.
Eine der auffallendsten Eigentümlichkeiten Franks ist seine *
Innerlichkeit, die ihn zu kraftvoller Beseelung befähigte. Das war ein
Erbteil seiner bescheidenen, häuslichen und mystischen Mutter, die
Cäsar innig liebte. Bei Franck war viel Gefühl und wenig Idee. Vom
Vater erbte er sein Führertum und seine erstaunliche Denkkraft. Auf
Rechnung beider Eltern zu verbuchen sind wohl seine beneidenswerte
Gesundheit und seine körperliche Spannkraft. Franck hatte ein gutes
und edles Antlitz, eine rosige Haut, blaue Augen, eine weitgewölbte,
glatte, von einem weißen Haarschopf umgebene hohe Stirne.
Eine Besonderheit an seinem Körper waren seine langen Hände.
Über Franck als Familienvater weiß man nichts. Viele Freunde hat er
nicht besessen; außer Liszt überhaupt keinen! Seine Laufbahn als
Schöpfer eigener Werke begann er mit Klavierstücken und Liedern.
Später schrieb er Sonaten für Violine, symphonische Dichtungen, die
bekannte Symphonie in D-Dur, dann Oratorien, Hymnen, Messen,
Werke für Orgel und Harmonium, ja sogar Opern!
Als sein Hauptwerk bezeichnete der Meister das Oratorium für
gemischten Chor, Solostimmen und Orchester, genannt ”’Les Beatitu-
des”’, ”’die: Seligpreisungen””. 5
Von der niederländischen Staatsangehörigkeit-8 Jahre lang und
zwar vor 1830- über die belgische-41 Jahre- ging er aus freiem
Entschluß über zur französischen bis zu seinem Tod.
Selbstverständlich ist hiermit noch nichts Erschöpfendes gesagt.
Immerhin dürfte die menschliche und künstlerische Persönlichkeit
Francks selbst in dieser Beschränkung auf das Wesentliche so umrissen
worden sein, daß die Überzeugung entstehen muß, man habe in ihm
einen Mann und Musiker eigener Werte vor sich!
Das Göhltal kann stolz auf dieses Kind unserer Gegend sein!
9
November
von Leonie Wichert-Schmetz
Die schlanke Weide schlägt mit schwanken Zweigen
An einer Mauer harte, kalte Steine,
Und Tropfen fallen von den letzten Blättern.
Es ist, als wenn sie unaufhaltsam weinen;
Hart rühren sie an fahl vergilbten Brettern,
Die über Gräben stehn in düsterm Schweiger.
Die Wolken hängen tief, es dunkelt bälder.
Kein Licht glimmt auf, kein Mond zieht seine Bahnen,
Als wäre alles tot, versunken und vergangen.
Kein Hoffen mehr, kein Ahnen,
Vernichtet alles Leben, und die Welt voll Bangen.
Erstorben, leer die Wiesen und die Wälder.
Doch welcher süße Ton kommt aus den Weidenzweigen
Trotz Kälte, Dunkelheit und aller Angst entgegen?
Ein Vogel träumt vom Lenz und lallt die Frühlingsweise.
Es überströmt mich lind die Hoffnung wie ein Segen,
Das sehnsuchtsvolle Herz empfängt den Laut der Meise
Wie ein geliebtes Wort rings in dem Todesschweigen.
94
Das Portrait : Johann Lenaerts
von Dr. Gisela De Ridder
50 manchmal sehr harte Berufsjahre liegen hinter Johann
Lenaerts, der durch sein Wirken als Drucker im Kelmiser Raum
nicht mehr wegzudenken ist. Johann Lenaerts wurde am 21.6.1911
in Neutral-Moresnet geboren. Sein Vater stammte aus Bilsen bei
Tongeren, die Mutter war eine gebürtige Hauseterin. Sein Vater
war Holzsäger, sein Großvater mütterlicherseits Zinkschmelzer in
der Vieille Montagne gewesen. Seine Schulzeit absolvierte Johann
Lenaerts in Kelmis in der Patronage. Besonders im Aufsatzschrei-
ben zeichnete er sich damals aus. Sofort nach der Schulentlassung
erhielt er eine Anstellung als Materialauffüller bei der ”’Cera-
mique” in Welkenraedt. Nach 3 Monaten verschaffte ihm sein
Großvater eine Lehrlingsstelle als Drucker bei Schyns in Dolhain.
Hier fühlte er sich in seinem Element. Der Umgang mit Papier, es
zu zerschneiden und es zu falten bereitete ihm Freude. Buchstaben
zu Zeilen zusammenzusetzen wurde seine Lieblingsbeschäftigung.
Nach der Lehre arbeitete er 10 Jahre bei der bekannten Vervierser
Druckerei Hermanns. Zeile für Zeile wurde hier mit der Hand
gesetzt. Bei Ausbruch des Krieges befand sich Johann Lenaerts in
Lüttich. Als ältester von 7 Geschwistern sollte er zum Wehrdienst
verpflichtet werden. Mit dem Fahrrad flüchtete er nach Frankreich
und traf dort zufällig zwei seiner Brüder. Nach seiner Rückkehr
noch während des Krieges wurde er als Drucker nach Aachen
verpflichtet. 3 Tage druckte er den ’”’Westdeutschen Beobachter”,
dann verpflichtete man ihn, unter Aufsicht der Zöllner Lebens-
mittelkarten zu drucken. Gegen Kriegsende arbeitete er bei der
Druckerei Olfisch. Dem alten Chef war er sehr willkommen, |
mußte er ihm morgens doch immer erste Berichte vom feindlichen |
Sender abgeben, die er in Kelmis abhören konnte. Von 1948 bis
1955 war er bei der renommierten Druckerei Gerard in Verviers |
tätig. Hier entwarf er unter anderem die allerersten Buchumschlä-
ge der bekannten Marabout-Kollektion. Als Druckermeister war |
er bis zur Eröffnung seiner eigenen Druckerei bei der Eupener
Firma Kayser beschäftigt. In eigener Regie oblag ihm der Druck
der Zeitschriften ’’Der Bauer” und ”’Der Invalide’”’. Karneval 1960 ;
konnte Johann Lenaerts endlich einen langgehegten Wunsch
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verwirklichen, als er in der Patronagestraße in Kelmis seine eigene
Druckerei eröffnete. Und seitdem hat dieser Mann alles, was im
täglichen Leben an Drucksachen anfällt, zu Papier gebracht :
Visitenkarten, Briefköpfe, Menukarten, Geburts-, Heirats- und
Todesanzeigen, Flugblätter, Plakate, Festschriften, Karteikarten,
Rechnungen und so weiter. Sehr bald konnte er auch im
Vierfarbendruck arbeiten. Johann Lenaerts, mit ganzem Herzen
seit 1926 im Druckereigewerbe tätig, erlebte 1976 sein S0-jähriges
S Berufsjubiläum in aller Bescheidenheit. Unermüdlich hatte er
sich um eine Perfektion in seinem Handwerk bemüht, alle
angebotenen Fortbildungsmöglichkeiten nahm er wahr. Er be-
suchte Ausstellungen und informierte sich stets über das Neueste
im Fach. Trotz moderner Einrichtungen; mit denen in seiner
Druckerei gearbeitet wird, greift der Altmeister noch heute gerne
auf das bewährte Handsetzen zurück. So dauert z.B. bei ihm das
Setzen eines Trauerbriefes mit der Hand eine Stunde, fast genau
so lange, wie der moderne Drucker z.B. mit der Linotype,
(Setzmaschine) dafür benötigt. Der Drucker muß ein kleiner
9%
Architekt sein, der den Raum auf dem Papier gut einzuteilen
vermag”, definiert er kurz sein Handwerk. Außerdem, so meint
er, erfordere die Gestaltung eines zu bedruckenden Blattes ein
gewisses Kunstverständnis, denn Worte müssen so herauskom-
men, daß sie dem betrachtenden Auge gefällig erscheinen. Der
Drucker sei ein eigenartiger Künstler.
Johann Lenaerts machte sein Handwerk zu seinem Lebensin-
halt, Hobbies kannte er‘ kaum, sein Beruf füllte ihn voll aus. Er
meisterte sein Leben so, wie viele neben ihm es auch zu tun
hatten. Und doch steht dieses Leben beispielhaft da, zeichnet es
sich doch dadurch aus, daß Johann Lenaerts in jeder noch so
schweren Situation mit aller Kraft sich um gute Arbeit in seinem
Handwerk bemühte.
1940 lernte er seine spätere Frau Maria Bonni, die gebürtige
Neutral-Moresneterin, kennen. Um heiraten zu können, mußte er
damals den Ahnennachweis beider Familien erbringen. Endlich
sollte am 27.12.40 die Hochzeit stattfinden. Leider hatte der
damalige Bürgermeister keine Zeit und vertröstete das Brautpaar
auf den 3.1.1941. Über diese Geschichte wird in der Familie
heute noch häufig gelacht. Aus der Ehe gingen drei Söhne hervor,
zwei davon übernahmen die väterliche Druckerei.
97
De Hölep
von Gerard Tatas (20.1.1965)
”En Schwejermodder ejjen Hus
Es jrad wie op ne Kopp en Lus,
Se trebeliet dech vröch en spo,
En ärgt dech hej en quält dech do.
Dow moss dech schließlech äl drä schecke,
Die Öster sönd net flott te knecke!”
Sö klat der örme Jang sie Leed;
En janz bestemmt wett häe Bescheed,
Weil häe e Johr ov vovtie at
Sie Schwejermodder bej sech hat.
Des Dag now no de Meddag löpt
Der Jang de Strot erav en röpt
Va wiet at an der lange Chress,
Dä Schriener va sie Ambach ess :
”He, Chress, komm flott ens met de Tang
En met der Hammer!-sätt der Jang,
Breng och en Säg met vör te säge,
Mie Schwejermodder hat jätt kräje.
Se welt sech öm et Läve brenge
En ove ut en Venster sprenge!””
Der Chress kikt en verwondert sech :
”Ja, Jang, wat kömste da no mech?”
”Ech bruk dech,-sätt der Jang-bestemmt,
De Venster jeht net op, se klemmt!””
98
Ein Landser aus Neu-Moresnet im
Deutsch-Französischen Krieg
von 1870-71
von Maria Hick
Während Bismark den Krieg Preußens mit Österreich 1866
ganz bewußt herbeigeführt hatte, weil ohne diesen Krieg, wie der
Kanzler sich ausdrückte, die preußiche Geschichte stillgestanden
hätte, hatte er an einer offenen Auseinandersetzung mit Frank-
reich kein Intersse. Wir haben, so der Kanzler in der Abgeordne-
tenkammer, ”’bei einem Krieg mit Frankreich, selbst bei einem .
glücklichen, nichts zu gewinnen.
Daß es dann doch im Jahre 1870 zum Konflikt mit Frank-
reich kam, ist Kaiser Napoleon III. und dem französischen
Prestigedenken zuzuschreiben. Frankreich wollte und konnte
nicht tatenlos zusehen, wie ein Hohenzollern den spanischenKö-
nigstron. annahm. Der französische Außenminister Grammont
sah darin ”’eine lange vorbereitete Intrige Bismarks zur Wieder-
herstellung des. Weltreichs Karls V.’”” Frankreichs Interessen und
Frankreichs Ehre seien durch die Störung des derzeitigen euro-
päischen Gleichgewichts bedroht. Kurzum : Frankreich forderte |
Genugtuung. -
König Wilhelm war ein friedliebender Monarch und Frank-
reichs Botschafter Benedetti erreichte über den König, daß Prinz |
Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen seine Annahmeerklärung
der spanischen Regierung gegenüber zurückzog. Wenn Frank-
reich es dabei belassen hätte, wäre die Sache wohl als beendet
betrachtet worden. Doch als die französische Regierung vom |
Preußenkönig die ausdrückliche Erklärung verlangte, daß er dem
Prinzen auch in Zukunft nicht erlauben werde, die spanische
Königskrone anzunehmen, und darüber hinaus sogar ein Ent- |
schuldigungsschreiben von König Wilhelm verlangte, bekam
Botschafter Benedetti erst eine ausweichende Antwort. Der König
informierte seinen Kanzler Bismark per Depesche über die
Vorgänge und es ist bekannt, was Bismark aus dieser ”Emser
Depesche” gemacht hat, wie er sie in verkürzter und verschärfter
Form veröffentlichte, so daß sie auf ”’den gallischen Stier wie ein
rotes Tuch” wirken mußte. Der Eindruck mußte entstehen, nicht |
Preußen, sondern Frankreich sei gedemütigt worden.
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Erwartungsgemäß erklärte Frankreich am 19. Juli 1870
Preußen den Krieg. Im selben Monat noch wurden fast sämtliche
Militärpflichtige unseres Gebietes zu den Fahnen gerufen. Unter
ihnen auch Mathias Cüpper, wohnhaft auf der Heide. (Pr.-Mo-
resnet). Am 2. September 1870 kapituliert Napoleon in Sedan,
am 19. September beginnt die Belagerung von Paris, am 29. Ok-
tober muß Bazaine, der sich mit einer Armee nach Metz
zurückgezogen Hatte, ebenfalls kapitulieren. Paris fiel am 28.
Januar 1871, nachdem schon am 18. Januar der Preußenkönig im
Spiegelsaal des Versailler Schlosses zum Kaiser ausgrufen worden
War.
Der Friedensvertrag wurde nach langwierigen Verhand-
lungen erst am 10. Mai 1871 in Frankfurt geschlossen. Inzwischen
lag Mathias Cüpper in Heidelberg im Lazarett, von wo er seinem
Onkel Nikolaus Joseph Palm in Hergenrath folgenden Brief
schrieb : Heidelberg, den 3.3.71
Lieber Onkel!
Da ich jetzt zeit und Gelegenheit habe was früher nicht der
Fall war, nehme ich mir die Freiheit Euch mit ein Briefgen zu
belästigen. Ich bin Gott sei Dank frisch und gesund, was ich auch
fon euch hoffe; meine ganze Krankheit war blos Drückerei, und
um fon der Compagnie weg zu kommen, denn da stimmte es
nicht mehr, ich hatte blos etwas Diaree und machte mich dann
noch etwas kranker als ich wirklich war.
Lieber Onkel! Die erste Zeit das wir in Frankreich wahren
haben wir es gar nicht so schlim gehabt, aber nagher da fing es
an so langsam etwas Ernster zu werden, im November und
anfangs Dezember hatten wir ferschiedene Gefächte mit den
Frangdirörs aber das wurde .von uns nicht geachtet, bis wir
entlich auch einmal mit ächte Französische Soldaten zusammen
kamen, da gingen uns aber die Augen auf,. das waren keine
Frangdirörs. Am 7. Januar hatte unser Regement das Glück, bei
Fill Exell (Villersexel (1) )von Morgens 8 Uhr bis Nachts 3 Uhr
ohne zu essen noch zu Trinken in dem heftigsten Kanonen und _
Gewähr Feuer zu sein. Da wurde es auch mich klar was das heist,
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ein Gefächt! nun ging das weiter bis zum 18 alle Tage
Gefächter gehabt, am aller dollsten gings aber am 16.17.und 18
Januar bei Mondbiljart (Montbeliard) (2), so oft diese Tage in
meinem Leben widerkomen, werde ich an diese Stadt denken. Ich
könte Euch fieles dafon Mündlich erzählen, aber Papier ist leider
zu klein, um Euch alle diese Geschichte aufschreiben zu können.
Peter Bofan (?) wurde bei Fill Exell Verwundet er bekam 2 |
Schüsse in ein Bein, Johann Nikoll wurde daselbst Tod geschossen
(3) und Hubert Schlenter erhielt einen streifschuß an der Linken
Hand wurde aber gleich wider genesen. Ferdinand Efers erhielt
am 10 einen Schuß in ein Bein andere Bekannten weiß ich keine,
ich danke Gott das er mich unter all den tausenden Granaten "
Schrabnels und Gewährkugeln so Väterlich beschützt hat. Die
Zeit ist forüber und kömt nicht mehr wieder. Endlich ist doch der
lang ersehnte Friede da, hir wurde gestern Abend die ganze Stadt
Allumirt. Ob ich die Jahrmesse meiner Seeligen Mutter mitbei-
wonen kann weiß ich noch nicht, ich werde um Uhrlaup anfragen |
aber ob es etwas geben wird das weiß ich nicht. |
Ich muß jetzt schließen meine Kribelei (denn das Papier ist |
bereits foll) in der Hoffnung das Euch dieses Briefgen in der
nähmlichen Gesundheit antrifft wie es mir ferläst. |
Empfangt die Herzlichste Grüße von Euer Euch Liebender |
Vetter Mathias. |
Auch einen ensezlichen Gruß an Terese und seinen Gelieb- |
ten ich hoffe wenn ich noch mal zu Hause komme, daß die Sache
anders stimt als wie ich weg ging. |
Grüß auch alle Verwanten . und Bekanten besonders mein
Vater und Schwestergen. Liebt sie auch tüchtig?
(1) Der französische General Bourbaki schlug hier am 8. und 9. Januar 1871 die
deutschen Truppen unter General Werder.
(2) Zwischen Montbeliard und Hericourt versuchte General Bourbaki vergebens,
deutschen Linien zu durchbrechen, die die Belagerung Belforts absicher-
(3) Der Name Nikoll fehlt auf dem Kreis-Kriegsdenkmal in Eupen.
102
Auf dem Büchermarkt
von Alfred Bertha
Obschon die französische Fremdherrschaft von 1794-1814
einen gewaltigen politisch-sozialen Umbruch mit sich brachte, ist
die Erinnerung an jene weniger als 200 Jahre zurückliegende Zeit
doch sehr verblaßt : die Umwälzungen des späteren 19. und vor |
allem unseres Jahrhunderts haben sie beinahe völlig ausgelöscht. |
Die Historiker haben seit langem eine Bilanz der Revolution }
und der napoleonischen Ära gezogen. Sie haben diese Zeit in den |
größeren Rahmen der Weltgeschichte eingeordnet. Auch der .
Heimatforscher muß die größeren Zusammenhänge sehen, will er |
die Geschichte ”’seiner’” Stadt, ”’seines’’ Landstrichs in den |
allgemeinen Ablauf der Ereignisse stellen. Das hier ein reiches |
Betätigungsfeld vorliegt, beweist die Fülle der alljährlich erschei- |
nenden heimatkundlichen Publikationen. Unter ihnen nehmen |
die Bücher von Viktor Gielen eine besondere Stellung ein. Er |
verbindet das Wissen um die größeren Zusammenhänge mit der |
Liebe zum Detail, Sachkenntnis und Wissenschaftlichkeit mit |
einfacher Sprache und Darstellungsweise, worin seine Veröffent- |
lichungen sich wohltuend von vielen anderen unterscheiden. Auch
bei seinem neuesten Werk.
”Aachen unter Napoleon”, Vlg. J.A. Mayer, Aachen, 1977,
Leinen, 219 Seiten, 350 Fr.
bleibt Viktor Gielen bei der bewährten ’”’Verpackung” : über-
sichtliche Gliederung und Aufteilung des Materials in kurze
Kapitel, deren Titel und Untertitel es dem Leser erlauben, schnell |
einen Überblick über den Inhalt zu gewinnen. Es beginnt mit |
jenem denkwürdigen 15. Dezember 1792, an dem der Nachtwächter |
J. Jungblut von der Höhe des Marschiertores herunter die |
anrückenden französischen Truppen erspähte und in sein Signal- |
horn blies. Damit begann für unsere Heimat eine neue Zeit, wenn |
es auch den Österreichern und ihren Verbündeten im März 1793
gelang, den Feind wieder zurückzudrängen und erst im Septem-
ber 1794 der Anschluß an Frankreich für 20 Jahre besiegelt
wurde.
Das Thema ”Franzosen in Aachen” ist nicht neu. Erinnern |
wir nur an die Untersuchungen A. Pauls zur Haltung der |
Aachener Bevölkerung in der Franzosenzeit. (ZAGV, Bd. 63, Jg. |
|
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1950). Es fehlte jedoch bisher eine Gesamtdarstellung, vor allem
auch eine Darstellung aus der Sicht des ”’kleinen Mannes’’. Diese
Lücke wollte Viktor Gielen schließen.
Ohne dem Leser vorgreifen zu wollen, seien hier einige der
behandelten Fragen herausgegriffen. Viktor Gielen zeigt z.B., daß
Napoleon Aachen besonders zugetan war. ”’C’est la ville de mon
illustre predecesseur””’, soll er gesagt haben. Mit dem illustren
Vorgänger meinte er Karl den Großen. Industrie und Handel
erlebten unter Napoleon eine nie gekannte Blüte und auch die
Bauern sahen ihren Wohlstand sich mehren. Armut und Kinder-
sterblichkeit wurde der Kampf angesagt und Napoleons Liebe zur
alten Kaiserstadt stieß auf Gegenliebe. Auch kulturell hatte
Aachen in jenen Jahren schon einiges zu bieten.
Mit den Tagebuchaufzeichnungen des Sattlergesellen Johann
Braun erleben wir den Untergang der ”Großen Armee” in
Rußland. Napoleons Stern sinkt. Seine Ära geht zu Ende und mit
dem Einmarsch von Kosaken, Schweden und Preußen in Aachen
wurde ein Blatt der Geschichte umgedreht. . 4
”Aachen unter Napoleon” ist auch von der Gestaltung her
ein ansprechendes Buch. Strichätzungen und großformatige
Bilder lockern den Text auf und der geschmackvolle Einband mit
dem von Peter Emonts-Pohl entworfenen Schutzumschlag tut ein
übriges, dem Buch Freunde zu gewinnen, so daß der Optimismus
des Verlegers, der eine Startauflage von 3.000 Exemplaren wagte,
wohl begründet sein dürfte.