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Landschaft im Grenzraum Nordostbelgiens
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ZEITSCHRIFT DER VEREINIGUNG FÜR
KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
IM GÖHLTAL
Nr. 86 — August 2010
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Im Göhltal
ZEITSCHRIFT DER VEREINIGUNG
FÜR
KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
IM GÖHLTAL
Nr. 86
August 2010
Veröffentlicht mit der Unterstützung des Kulturamtes der
deutschsprachigen Gemeinschaft
Vorsitzender: Herbert Lennertz, Stadionstraße 3, 4721 Neu-Moresnet.
Sekretariat: Maxstraße 9, 4721 Neu-Moresnet, Tel. 087/65.75.04.
Lektor: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Kassierer: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Postscheckkonto Nr. 000-0191053-60.
Fortis Bank: 248-0068875-35
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Die Beiträge verpflichten nur die Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten
Druck.: Aldenhoff, Gemmenich - 087-78 61 13.
3
Inhaltsverzeichnis
Alfred Bertha Zum Umschlagbild: 5
Hergenrath Kaper und Ries,
zwei ehemalige Hergenrather Höfe
Finchen Aussems (+) Vorkriegs- und Kriegsjahre in Walhorn 12
Astenet/Walhorn
Henri Beckers D’r Voorel, dä ’t Mörjens s&ngt 39
Kelmis
Albert Janclaes Aus dem Familienarchiv 40
Walhorn
Alfred Bertha Über die Rechte und Pflichten eines 64
Hergenrath Dorfschullehrers im 19. Jahrhundert
Martha Beaufays Nachträge zur Familie Beaufays 73
Ladbergen
Jakob Langohr (+) Der Euro 76
Aachen-Bildchen
Henri Beckers Marmorwerke Raeren/Hergenrath 78
Kelmis
Alfred Bertha POW in Amerika 81
Hergenrath
M.-Th. Weinert Wie es sich trifft 84
Aachen-Forst
Walter Meven (t) Ein Ausflug des Aachener Geschichts- 86
Aachen vereins nach Montzen
Henri Beckers Pirla woll ens vr&je jue 91
Kelmis
Alfred Bertha Zu einem Grenzstein 95
Hergenrath
Henri Beckers Wöet met „G-H‘“ 99
Kelmis
Die Redaktion Auf dem Büchertisch 102
M.-Th. Weinert Max und Finchen 103
Aachen-Forst
Helga Wisniewski Chronik einer Familiengruppe 104
Hergenrath in Hergenrath
5
Kaper und Ries,
zwei ehemalige Hergenrather Höfe
von Alfred Bertha
In dem durch das Aachener Grenzprotokoll vom 22.11.1922 von
Hergenrath abgetrennten und der Stadt Aachen überlassenen Gebiets-
teil befinden sich eine Reihe von alten Höfen, von denen Kaper und
Ries schon wegen ihrer Lage an dem mit einer Rufschranke versehe-
nen Bahnübergang Luerweg-Grünthal wohl vielen bekannt sein dürften.
Beide Höfe sind Eigentum der Aachener Armenverwaltung, und dies
seit mehr als 130 Jahren. „Ries“ findet sich als Flurbezeichnung schon
am 26.1.1633 im Hergenrather Gudungsbuch:, wo wir die Eintragung
finden: „Eenen halven Morgen Bennents gelegen up het Reis“. Der heu-
te dort stehende Bauernhof wurde 1748 errichtet und trägt im Türsturz
neben der Jahreszahl und dem Christus-Monogramm (IHS) die Initialen
MM und MLM. Die Kirchenregister jener Jahre sind leider verloren
gegangen. Aus den ab 1756 erhaltenen Registern sind uns für das Jahr
1780 als Bewohner von Ries die Eheleute Hubert Bounie und Maria
Catharina Muyter sowie Johann Yserentant und Maria Elisabeth Wertz
bekannt.
Türsturz mit den Initialen MM und MLM sowie der Jahreszahl 1748
„Op den Capert“ wohnten 1780 die Eheleute Nicolaus Becker und
Maria Bauman. Eine Verkaufsanzeige im Korrespondenzblatt des Krei-
ses Eupen vom 8.3.1851 weist sowohl Kaper wie Ries als Eigentum
6
des Theodor Yserentant und dessen Kinder aus. Während Ries etwa 53
Morgen an Grund und Boden besaß, wird Kaper nur als Wohnhaus mit
Garten sowie Stall und Scheune aufgeführt. Eine Pachtanzeige aus dem
Jahre 1913 gibt für Kaper einen Grundbesitz von sieben und für Ries
von 9 ha an.
Neuer Besitzer wurde 1851 Mathias Joseph Reip, ein Hergenrather
Bauunternehmer, der allerdings 1857 in große finanzielle Schwierig-
keiten geriet und seinen gesamten Besitz verkaufen mußte. So kamen
neben den Gütern Tiffes, Hoppenkohlhof und Neuhaus auch Kaper und
Ries am 16.3.1857 in der Gastwirtschaft Yserentant („Winkel“) zum
öffentlichen Verkauf. Es erstand sie der Aachener Kaufmann Johann
Heinrich Schmitz. 3
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Der Hof Kaper
Acht Jahre später stehen Kaper und Ries erneut zum Verkauf. Sie
waren noch mit einer Hypothekarschuld von 500 Talern belastet.
Eine wohltätige Stiftung zugunsten der Aachener Armenverwal-
tung Maria Agnes Freifräulein von Thimus entstammte einer begüter-
ten Aachener Familie. Sie war unverheiratet geblieben und hatte sich
gegen Ende ihres Lebens ernsthafte Gedanken über die Verwendung
ihres beträchtlichen Vermögens gemacht. Durch zwei vor dem Aache-
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Tieh-. und. Mobiiar-Verkauf: zu Hergenrath.
“Montag, den 29. Marz de Typ
0 MM argeng 10-0 n
Tollen= zu -Hergenrarhy—anf= dem Outes=-—=Mießr,
vor dem. unferzeichneten Notar auf Kredit. Dffents‘
1. verfauft werden. = N SR.
12 cheils frifmilchgebente und Theils‘ tra>
gende Kühe, 1 Pferd neblt Geichirr; Baums
feil, 1, fhwere Hemmfette, 1. Schlagkarren,
1 {dhwerer Kohlfarrten mit eiferner. Achfe und
4Aszölligen“ Rädern, 2 Pflüge, 2 Cggen, 1
Butterfag Und verfckiedene. Hausmobilien..
Schüßler.
Verkaufsanzeige im Korrespondenzblatt des Kreises Eupen vom 13.3.1858.
Wie daraus ersichtlich, lebte man auf „Ries“ nicht nur von der Milchwirt-
schaft. 2 Pflüge und 2 Eggen deuten auf Ackerbau, während das „Baumseil“ und
die „Hemmkette‘“ auf Waldarbeiten hinweisen. Zudem hat der Verkäufer Kohle-
transporte durchgeführt.
ner Notar Delpy errichtete Testamente vom 17. November bzw. 20.
Dezember 1864 hatte sie einen Teil ihres Vermögens „zu Vergabungen
und Partikular-Legaten an verschiedene von der Testatrix namhaft ge-
machte fromme Institute‘ bestimmt, in der ersten Klausel des zweiten
Testaments aber auch den Appellations-Gerichtsrat Albert Freiherr von
Thimus, wohnhaft zu Köln, zum Universalerben ihres restlichen Ver-
mögens eingesetzt „mit der bitteweisen Auflage“, die auf ihn überge-
hende Nachlassenschaft zu wohltätigen Zwecken in der Stadt Aachen
zu verwenden und dabei die Vorsteherin der Genossenschaft der Ar-
men-Schwestern vom hl. Franziskus zu Aachen zu Rate zu ziehen. Zum
Testamentsvollstrecker hatte die Erblasserin den Gefängnisseelsorger
Franz Joseph Kappes zu Aachen bestimmt. Dieser hatte alle damit ver-
bundenen Geschäfte abgewickelt und am 23. August 1866 mit dem Uni-
versalerben abgerechnet, der fortan die Interessen „der zu gründenden
milden Stiftung‘ wahrnehmen sollte. Aus den Mitteln des Nachlasses
(17.126 Taler) hatte Freiherr von Thimus schon am 31. Juli 1865 für
die beabsichtigte Stiftung ein zur öffentlichen Versteigerung gekomme-
nes Besitztum des zu Aachen wohnenden Kaufmannes Johann Heinrich
Schmitz und dessen Tochter zum Preise von 12.180 Talern erworben.
Nach Abzug der Passiva, Abtragung der Legate und Verwaltungskosten
8
hatte der Testamentsvollstrecker noch 133 Taler, 23 Silbergroschen und
1 Pfennig in Händen. Bei dem versteigerten Besitztum des Kaufmannes
Joh. Heinr. Schmitz handelte es sich um die beiden „in der Bürgermeis-
terei Hergenrath, Kreis Eupen, gelegenen Ackergüter Kaper und Ries,
mit Wohn- und Ökonomiegebäuden, Gärten, Ackerländereien, Weide,
Wiesen, Holzungen und sonstigem An- und Zubehör, wie dieselben in
dem diesem Akte beigeschlossenen Katasterauszuge speziell verzeich-
net sind, im Ganzen an Fläche haltend 78 Morgen, 34 Ruten und 90
Fuß“. Zu den erwähnten Gütern gehörte zudem „ein Häuschen nebst
Garten“, die mündlich auf unbestimmte Zeit verpachtet wurden. Bevor
Freiherr von Thimus die zur Verfügung stehenden Gelder in besagte
Immobilien anlegte, hatte er sich mit der Vorsteherin der Franziskane- -
rinnen zu Aachen beraten und sich auch der Zustimmung „des um seine
fördernde Mitwirkung ersuchten Herrn Oberbürgermeisters der Stadt
Aachen, des Königlichen Regierungsrates außer Diensten, Contzen“,
versichert, um dann „zur größeren Festigung der beabsichtigten Stif-
tung“ das auf ihn übergegangene Vermächtnis mittels eines Immobilar-
Besitztums bleibend in Grundeigentum anzulegen und dieses letztere
dann zu einer Stiftung „für verwahrloste Knaben und heranwachsen-
de, innerhalb ihrer Familie sittlich gefährdete Mädchen „zum Vorteile
der Stadt Aachen“ zu verwenden. Die Höfe Kaper und Ries wurden
von Freiherrn von Thimus auf „neun feste Jahre‘ für den Pachtzins von
615 Talern verpachtet. Ein auf drei Jahre verpachteter und zu den er-
wähnten Gütern gehörender Steinbruch warf jährlich eine Einnahme
von 30 Talern ab. Eine neu beforstete Tannenkultur von ca. sieben Mor-
gen versprach für die Folgezeit eine durchschnittliche Vermehrung der
Jahreseinnahmen. Sofort nach dem Erwerb von Kaper und Ries hatte
der Universalerbe umfassende Reparaturarbeiten und Verbesserungen
durchführen lassen, so dass deren wirtschaftlicher und baulicher Zu-
stand voraussichtlich für eine längere Zeit keine weiteren Aufwendun-
gen erforderlich machte. Allerdings hatten diese Arbeiten die beträchtli-
che Summe von 1.580 Talern verschlungen. Letzten Endes musste noch
ein Hypothekardarlehen von 3.500 Talern zu Lasten der beabsichtigten
Stiftung aufgenommen werden. Diese Summe wurde von der Genos-
senschaft der Franziskanerinnen zur Tilgung einer älteren auf den bei-
den Gütern lastenden Hypothekarschuld vorgestreckt.
Nachdem Freiherr von Thimus die materiellen Grundlagen für eine
dauerhafte Stiftung geschaffen hatte, erachtete er den Zeitpunkt für ge-
kommen, „zur Erfüllung der durch das Testament der Erblasserin ihm
9
gemachten Auflage zu schreiten“. Demzufolge schenkte er am 24. Au-
gust 1866 (3) unter dem Titel einer unwiderruflichen Schenkung unter
Lebenden der Armenverwaltung der Stadt Aachen die beiden Ackergü-
ter Kaper und Ries „mit allen An- und Zubehörungen“‘, und zwar unter
folgenden Bedingungen:
1. Die Stiftung ist von dem übrigen Armen-Vermögen der Stadt Aa-
chen als völlig gesondert zu erhalten und deren Verwaltung unter ge-
trennten Positionen zu führen.
2. Aus dem Reinertrag der Stiftung fließen vorab 100 Taler der Vor-
steherin des Hauses der Schwestern vom hl. Franziskus in Aachen zu.
Diese Summe soll die Vorsteherin „zur Unterstützung derjenigen un-
ter den nachgenannten, in minder günstigen Vermögensverhältnissen
lebenden entfernteren Anverwandten der seligen Maria Agnes von
Thimus verwenden, bei welchen nach dem Ermessen der gedachten
ehrwürdigen Vorsteherin eine vorübergehende oder dauernde Unter-
stützungsbedürftigkeit obwalten würde‘. Die namentlich genannten
Anverwandten waren die Nachkommen des im Jahre 1817 zu Aachen
verstorbenen Ferdinand von Thimus, und zwar:
- dessen Tochter Annette von Thimus und deren Ehemann Dr. med. Go-
rissen zu Keyenberg b. Erkelenz;
- Frau Henriette von Thimus, geschiedene Louvign6e, derzeit in Lüttich;
- deren Tochter Henriette Louvigne, Haushälterin bei der Familie Patro-
cinio zu Düsseldorf;
- Therese von Thimus, verehelichte Simons, zu Aachen.
3. Der nach Abzug der 100 Taler verbleibende Restbetrag des Stif-
tungseinkommens soll in zwei gleiche Teile geteilt werden, deren ei-
ner für die Unterbringung und Erziehung verwahrloster Knaben ka-
tholischer Konfession verwendet werden soll. Der andere Teil soll zur
Unterbringung, der sittlich-religiösen Erziehung und der Ausbildung
„solcher über 14 Jahre alter Mädchen katholischer Konfession dienen,
welche, weil dieselben nicht zur Kategorie elternloser oder verlassener
Kinder im gesetzlichen Sinne gehören, Aufnahme in anderweiten mil-
den Instituten nicht finden, ihrer Familie überlassen aber der Gefahr der
sittlichen Verwahrlosung ausgesetzt sind“.
4. Solange das für Mädchen der bezeichneten Art beim Hause der
armen Schwestern vom heiligen Franziskus in Aachen vorhandene und
derzeit von Schwester Ignatia geleitete Institut besteht, soll die für die
Aufnahme sittlich gefährdeter Mädchen vorgesehene Hälfte des Stif-
tungsertrags diesem Haus zufließen und dort nach dem Ermessen der-
10
Schwestern ohne Verpflichtung derselben zu irgendeiner Rechnungsla-
ge für solche Kinder verwendet werden (1).
5. Unter ganz gleichen Bedingungen soll die für die Erziehung ver-
wahrloster Knaben vorgesehene Hälfte des Stiftungsertrags dem zu Aa-
chen zu diesem Zwecke von den Brüdern des hl. Franziskus gegrün-
deten Institut zukommen und „für die unter ihrer Obhut befindlichen
Zöglinge verwendet werden“ (2).
6. Sollte eines der beiden Institute eingehen, während in oder bei
Aachen ein entsprechendes von einer katholischen kirchlichen Genos-
senschaft geleitetes Haus gleicher Zielsetzung besteht, so soll das Geld
Letzterem zukommen. Besteht jedoch kein solches Institut, das an die
Stelle des eingegangenen treten könnte, so wird der gesamte Stiftungs- -
ertrag dem übrig bleibenden Institut zufließen.
7. Würden beide in den Paragraphen vier und fünf genannte Institu-
te eingehen ohne dass gleichartige andere, von kirchlichen Genossen-
schaften geleitete an ihre Stelle träten, so steht es der Armenverwaltung
der Stadt Aachen frei darüber zu bestimmen, „in welcher anderen Weise
die speziellen Zwecke der Stiftung noch zu erreichen sind“.
Die Armenverwaltung der Stadt Aachen, vertreten durch Anton Salm
[Kammerpräsident beim Königlichen Landgerichte zu Aachen), Joseph
Emunds (Königlicher Landgerichtsrat) und Gerhard Kleinermanns
(Rentner) akzeptierte die Bedingungen der Schenkung „vorbehaltlich
der Genehmigung der Staats-Behörde“. Die beiden Stiftungsgüter wa-
ren seitdem Pachthöfe.
Dass die Aachener Armenverwaltung in den Genuss dieser Stiftung
kam, ist durchaus nichts Außergewöhnliches. In einem 1890 angelegten
Verzeichnis der Grundbesitzer, Gewerbetreibenden und Bergwerksbe-
sitzer des Kreises Eupen wird auch die Aachener Armenverwaltung
mit Liegenschaften in Hauset, Walhorn, Eynatten, Kettenis und Lontzen
aufgeführt.
Der von der Armenverwaltung zu zahlende Grundsteuerbetrag lag
insgesamt bei 978 Mk. Im Kreis Eupen war nur der in Bonn wohnende
Rittergutsbesitzer Andreas von Grand’Ry mit 1.755 Mk höher veran-
lagt. (Korrespondenzblatt des Kreises Eupen, 13.8.1890).
Durch die Grenzziehung von 1922 wurden, wie schon gesagt, Ka-
per und Ries von Hergenrath losgelöst und mit Bildchen zu Aachen ge-
schlagen. Der Grenzverlauf ließ jedoch eine größere Parzelle auf der
Wolfsheide/Grüntal auf Hergenrather Gebiet liegen. Einigen Wirbel gab
es im Juli 1993, als publik wurde, die Stadt Aachen habe im März 1992
11
bei der Gemeindeverwaltung Kelmis Erkundigungen über dieses 52.000
qm große Gelände im „Grüntal“ eingeholt. Von Seiten der Gemeinde
wurde der Stadt zu verstehen gegeben, dass man einem Verkauf dieses
Geländes und nachfolgender Erschließung als Bauland nicht positiv ge-
genüberstehe. Bürgermeister Mathieu Grosch wandte sich denn auch in
einem persönlichen Schreiben an den Aachener Oberbürgermeister Dr.
Linden mit der Anregung, in Zusammenarbeit mit der Stadt künftig ge-
meinsame Probleme (Umwelt, Wirtschaft, Wohnungsmarkt...) auf poli-
tischer Ebene einer Lösung zuzuführen. In einer Gemeinderatssitzung
vom 8. Dezember 1993 konnte der Bürgermeister den Ratskollegen
mitteilen, die Stadt Aachen verzichte vorläufig auf den Verkauf des Ge-
ländes im Grüntal, doch wünsche man in Aachen Aufklärung darüber,
wie die Gemeinde sich eine eventuelle Bebauung dieser Zone vorstelle.
Nach einer längeren Diskussion, in der sich niemand für eine Bebau-
ung aussprach, einigten sich die Ratsmitglieder auf eine an die Stadt
Aachen zu richtende Stellungnahme, in der auf die Aspekte Umwelt,
Landschaftsschutz und Verkehr hingewiesen und unterstrichen werden
sollte, dass die Gemeinde Kelmis keine Bebauung des besagten Gelän-
des wünsche. Seitdem ist es still in dieser Angelegenheit...
Anmerkungen
1) Am 3. Oktober 1845, am Vorabend des Festes des HI. Franziskus von Assisi, grün-
dete die Aachener Fabrikantentochter Franziska Schervier mit vier gleichgesinnten
Frauen in einem kleinen Haus am Jakobstor die Genossenschaft der Armen-Schwes-
tern vom hl Franziskus, die sich neben der Betreuung der Notleidenden und der
Krankenpflege besonders der Prostituierten annahm, deren es in den Jahren des
Frühkapitalismus sehr viele in Aachen gab.
2) Die Franziskaner konnten in Aachen auf eine sehr lange zurückreichende Anwesen-
heit hinweisen. In Lüttich, wo der für Aachen zuständige Bischof residierte, ließen
sich diese „Bettelmönche“ schon vor 1200 nieder. Wenig später trifft man sie auch in
Aachen an. Die Nikolauskirche der Franziskaner wurde 1327 geweiht.
3) Schenkungsakt errichtet vor Notar Baum, Aachen
12
Vorkriegs- und Kriegsjahre in Walhorn
von (t) Finchen Aussems-Stickelmann
Vorbemerkung:
Es sollte „nur ein Familienbuch‘ werden. So wenigstens die Absicht
der Autorin, als sie 1997 mit der Aufzeichnung ihrer Erinnerungen be-
gann.
Es wurde mehr daraus, nämlich eine Familienchronik, die weite Be-
reiche der Walhorner Dorfgeschichte streift bzw. abdeckt.
Die folgenden Auszüge aus dieser Niederschrift haben wir bewusst
so gewählt, dass die Ortsgeschichte in den Vordergrund gerückt wurde *
und die privaten Angelegenheiten weniger Berücksichtigung erfuhren.
„Ich bin im Ersten Weltkrieg am 20. November 1915 in Walhorn ge-
boren als Tochter der Eheleute Peter Stickelmann und Angela Dujardin.
Meine Eltern wohnten in dem Haus der Mutter meines Vaters. Meine
Großmutter war in das Häuschen nebenan eingezogen. Sie ist im Alter
von 91 Jahren gestorben. Ihr Mann, mein Großvater, ist im Alter von 38
Jahren gestorben; er arbeitete an einem Dachstuhl und stürzte ab.“
So die ersten Zeilen der uns vorliegenden Aufzeichnungen.
Peter Stickelmann, der Vater der Autorin, erlernte den Schreinerberuf
in der väterlichen Werkstatt, die die Großmutter mit einem Gesellen
weitergeführt hatte.
Neben der kleinen Schreinerei wurde Landwirtschaft im Nebenberuf
geführt; dazu heißt es in den Aufzeichnungen: „Viele Leute betrieben
damals nebenbei eine kleine Bauerei... Im Ersten Weltkrieg besaßen
meine Eltern eine kleines Grundstück am Walhorner Kreuz. Dort gin-
gen sie Kartoffeln pflanzen. Mein Vater erzählte oft, sie hätten, wenn
sie im Frühjahr die Kartoffeln pflanzten, die Kanonen grollen hören; es
sei unheimlich gewesen. Sie hätten sich damit getröstet, der Krieg sei
gewiss vorbei, wenn sie die Kartoffeln ernten würden. „Wir haben vier
Jahre im Frühjahr gepflanzt. Erst dann war der Krieg beendet“, wieder-
holte er immer...
Vater wurde nicht eingezogen, weil er Schreiner an der Bahn war.
Kriegsende und Neuanfang
Welche Auswirkungen der Anschluss an Belgien auf das tägliche Le-
ben der Bewohner von Eupen-Malmedy haben konnte, sehen wir am
13
weiteren Geschehen, wie es Finchen Aussems-Stickelmann darstellt:
„Vater ging, nachdem er in Spandau bei Berlin gedient hatte, an die
Eisenbahn in Aachen. Dort war er als Schreinermeister angestellt...
Um die Stelle (nach dem Anschluss an Belgien) zu behalten, hätte
er wegziehen müssen, doch Mutter wollte nicht. Sie liebte ihre Heimat.
Meine Eltern haben oft erzählt, sie hätten Geld gespart, um ein Haus
zu kaufen. Durch den verlorenen Krieg wurde das ersparte Geld wert-
los. Für dieses faule Geld konnten sie nur noch etwas Wäsche und ein
Paar Ledergamaschen kaufen...
Da meine Mutter nicht hier aus der Heimat weg wollte, packten die
Eltern die Gelegenheit beim Schopf, als ein Hotel-Restaurant zu kaufen
war. Dieses Restaurant mit Saalbetrieb steht mitten im Dorf vor unserer
Pfarrkirche.
Vater wurde selbständiger Schreinermeister, kaufte ein paar Maschi-
nen und konnte zu Hause einspringen, wenn er gebraucht wurde.
In der Woche war tagsüber nicht viel los, doch samstagabends und
sonntags nach dem Hochamt herrschte immer Betrieb. Der Saal war zur
damaligen Zeit schon ganz schön. Es wurden dort größere Versamm-
lungen und Ausstellungen abgehalten, die Antonius-Kirmes gefeiert.
Der hl. Antonius wird hier von den Bauern verehrt.
Am 17. Januar kamen die Landwirte von hier und Umgebung zur hl.
Messe und gingen meist noch zu ihren Verwandten zu Besuch. Nach der
Messe feierten sie in der Wirtschaft bei uns oder in den beiden anderen
nebenan.
Abends gab dann der Kirchenchor ein Konzert mit Gesang und The-
ater. Der Saal war immer brechend voll. Danach wurden einige Tische
weggeräumt, die älteren Leute gingen nach Hause, die jüngeren tanzten.
Bei der großen Dorfkirmes war drei Tage lang viel los.
Und dann gab es noch den Totenkaffee nach Begräbnissen. Hilfe hat-
ten meine Eltern immer, wenn etwas los war. Das ging nicht ohne Kell-
ner und Köchin und Hilfen.
Ferienkinder
Anfang der dreißiger Jahre war die Lage sehr schlecht in Deutsch-
land. Deshalb wurden Kinder hierher nach Belgien geschickt. Mehre-
re Kinder aus Bonn waren damals in Walhorn. Auch Familie Aussems
nahm ein solches Kind auf. (Anm.: Der spätere Ehemann der Autorin,
Hermann Aussems, kam aus dieser Familie). Es war Margret. Sie kam
14
im Alter von 7 Jahren zum ersten Mal zu ihnen. Im nächsten Jahre kam
sie wieder und blieb dann mit dem Einverständnis der Eltern bei den
Aussems. Ihre Eltern waren froh darüber; sie hatten mehrere Kinder und
wenig zu essen.
Die Margret hat in Walhorn die Volksschule besucht und später im
landwirtschaftlichen Betrieb mitgeholfen. Sie hat schließlich Leo Nys-
sen geheiratet, 8 Kinder geboren und bis zu ihrem Tode auf der Walhor-
ner Heide gewohnt.
Eine Genossenschaftsmolkerei für Walhorn
In den dreißiger Jahren ging die Landwirtschaft sehr schlecht und -
auch das Handwerk kannte keine rosige Zeit.
Ich kann mich noch erinnern, dass die Landwirte mehrere Versamm-
lungen abhielten. Schließlich wurde eine Molkereigenossenschaft ge-
gründet. Ich war damals etwa 17 Jahre alt.
Doch wo sollte die geplante Molkerei gebaut werden? Es wurde bera-
ten. Da meine Freundschaft mit Hermann Aussems 1932 begann, bekam
ich das alles mit. Mein Schwiegervater, für mich damals noch „Herr
Aussems“, stellte ein Grundstück zur Verfügung. Der Kaufakt sagte,
der Kauf gelte nur, wenn die Parzelle genügend Wasser aufbringe. Es
wurden Bohrungen durchgeführt, die ergaben, dass reichlich Wasser
vorhanden war. Bis heute nutzt die Molkerei diese Wasservorkommen.
Der zukünftige Schwiegervater hatte ein doppeltes Interesse, so mei-
ne ich, am Erfolg der Molkereigenossenschaft. Erstens war er selber
Landwirt und zweitens konnte es seinem Futtermittelhandel nur förder-
lich sei, wenn es den Bauern gut ging.
Fünfzehn Franken pro Quadratmeter zahlte die Genossenschaft. Die
Molkerei wurde gebaut. In der Zeit, wo die Maschinen aufgebaut wur-
den, profitierten auch wir (als Wirtsleute) davon. Wir hatten Monate
lang fünf Leute in Logis. Das brachte natürlich mehr Arbeit.
Durch unsere Sprache, den Walhorner Dialekt, verstanden wir die
Männer, alles Flamen, ganz gut.
Mein Vater bekam eine Stelle als Heizer in der Molkerei. Er arbeitete
dort bis 1943, dann wurde er krank.
Ich greife etwas vor, wenn ich die spätere Entwicklung der Molkerei
anspreche. In den 60er Jahren wurde beschlossen, die Molkerei zu ver-
größern. Hermanns Bruder Hubert verkaufte ein Stück Wiesengrund,
auf dem sich der Brunnen befand, den mein Schwiegervater 1939 für
uns hatte bauen lassen.
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Die Bilder geben eine Vorstellung von der Größe der Walhorner Molkerei.
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Dieser Brunnen versorgte unseren Hof mit gutem Trinkwasser. In
dem Kaufvertrag zwischen dem Schwager Hubert und der Molkerei
wurde festgehalten, dass die Molkereigenossenschaft unseren Hof un-
entgeltlich mit gutem Wasser versorgen müsse, was aber kein Problem
war, da der Brunnen genug Wasser lieferte.
Ein paar Jahre später verkaufte Hubert ein noch größeres Grund-
stück. Darauf wurde ein riesiger Bau errichtet. Der Betrieb wurde im-
mer Srößer...
Das Gut Groetbach wurde in den 70er Jahren, nach Huberts Tod,
ebenfalls an die Molkerei veräußert, die eine große Flaschenabfüllanla-
ge errichtete. Auch entstanden ein Paar Riesentürme. Dort wird Milch-
pulver produziert. Tag und Nacht laufen die Maschinen. Viele Laster -
bringen und holen Ware. Die Molkerei ist ein großer Arbeitgeber ge-
worden. Das Gut Groetbach war einmal!
Für die direkten Nachbarn der Molkerei entstanden aber auch nega-
tive Folgen. Durch die schweren Laster sind Risse in den Hauswänden
entstanden. Die Waschanlagen für die Milchtankwagen und die hohen
Tanks für die Zwischenlagerung der Milch nehmen die Sicht...
Die Entstehung und der Werdegang der Molkerei sind direkt und in-
direkt mit meinem und meines Mannes Leben verbunden. Die Bauern-
höfe von Hubert und Hermann sind in den Besitz der Molkerei überge-
gangen. Der Schwiegervater hatte den Grundstein gelegt.
Doch zurück ins Jahr 1939.
Kriegsausbruch
Endlich war es soweit, wir sollten heiraten. Alles war vorbereitet für
unsere Hochzeit im September 1939. Wir hatten den Hof des Schwie-
gervaters, das Haus war renoviert. Ich wollte gerade in der letzten
Woche vor der Hochzeit die Gardinen aufhängen, da marschierten die
Deutschen in Polen ein.
Sofort zogen die Belgier die jungen Männer ein. Hermann bekam den
Stellungsbefehl....
Schweren Herzens ging ich die Brautmesse abbestellen, die am
nächsten Mittwoch hätte sein sollen. Das Melkvieh, das mein Mann
hätte bekommen sollen, blieb auf dem elterlichen Hof; das Jungvieh
wurde auf unseren Hof gebracht.
Zur Versorgung des Viehs wurde ein junger Mann eingestellt. Es war
Johann Trost aus Dürler (belg. Eifel), dessen Bruder ebenfalls zwei Jah-
17
re beim Schwiegervater arbeitete, ehe er zum Arbeitsdienst und zwei
Monate später zur Wehrmacht musste; er fiel am 30. März 1943 in Russ-
land.
„Trotz des Krieges war es in unserem Dorf sehr still und ruhig. Nicht
weit von unserem Haus steht eine wunderschöne Herz-Jesu-Statue in
einem kleinen Vorgarten. Da haben viele Frauen und junge Mädchen —
auch ich- gekniet und für unsere Soldaten und für den Frieden gebetet.“
„Am 18. September 1939 haben wir standesamtlich geheiratet“, so
Finchen-Aussems-Stickelmann. „Wenigstens eine Rente‘, so meinte
der junge Ehemann, sei seiner Frau dann sicher, wenn ihm etwas
zustoßen sollte.
Am nächsten Tag musste Hermann Aussems wieder zur Truppe. Auf
den Hof konnte die junge Ehefrau nicht ziehen, sie wäre ja allein gewe-
sen und außerdem zählte ja erst die kirchliche Trauung für das Zusam-
menleben.
Ruhige Tage
Der Krieg war zwar durch den deutschen Angriff auf Polen am 1.
September 1939 ausgebrochen, aber im Westen blieb es vorläufig still.
Doch am 10. 1940 marschierten die Deutschen in Belgien ein. Wir
wohnen ca. 15 km von der deutschen Grenze. Wir stellten Eimer an die
Straße und Becher, damit die Infanteristen mal trinken konnten. Mit ei-
nem Kopfnicken dankten sie uns dafür. Wir hatten Angst und dachten:
„Jetzt geht das auch bei uns los!“
Wir hörten das Schießen von Lüttich her;. Dann hieß es: „Die Fall-
schirmjäger haben die Bunker gestürmt.“
Der Krieg tobte weiter in Belgien. Unsere Männer standen an der
Front. Die belgische Armee wurde bis Frankreich verfolgt. Viele Sol-
daten kamen in deutsche Gefangenschaft, auch die unseren. Da unsere
Männer aber Neubelgier waren, ließen die Deutschen sie nach Hause
kommen. Das war im Juli 1940...
Es war Anfang August, so gegen 23 Uhr abends, ich war schon zu
Bett gegangen, da hörte ich schwere Schritte auf der Treppe zu unserem
Lokal. Es war mein Mann... Er trug eine schwarzgestreifte Hose und
eine Jacke von Franzosen. Er war also in Zivilkleidung. Da er bis Aa-
chen gekommen war, hatte er sich gesagt: „Da ich so nahe der Heimat
bin, gehe ich auch nach Hause; und da er aus den Ostkantonen stammte,
ließen ihn die Deutschen gehen.
18
Da noch Heu und Grummet einzufahren war, warteten wir mit der
Hochzeit bis September und heirateten dann am 25. September 1940...
Je länger der Krieg dauerte, desto schlimmer wurde es. Man musste
ständig verdunkeln und die Angst wurde immer größer. Unser Nachbar,
Leo Aussems, wurde eingezogen. Seine Frau musste den Hof mit einem
Gehilfen, den man ihr zugewiesen hatte, bewirtschaften. ...Zwei oder
drei Mal hat Wilma ihren Mann in Deutschland besucht. Schließlich
kam er nach Stalingrad und wurde dort als vermisst gemeldet.
Mein Mann musste jedes halbe Jahr zur Nachuntersuchung nach
Bonn, wo er im Universitätskrankenhaus wegen eines Lungenge- >
schwürs behandelt worden war. Er brauchte noch nicht zur Wehrmacht.
Doch eines Tages kam der damalige Ortsbauernführer zu uns und for-
derte Hermann auf, andere Arbeiten zu verrichten. Er sollte Lebensmit-
telkarten und andere Dinge verteilen. Ich stand dabei. Hermann sagte:
„ICh bin nicht mehr der Stärkste, Hilfe ist fast keine zu haben und ich
muss viel auf dem Hof arbeiten.“ Darauf der Ortsbauernführer: „Her-
mann, du weißt ja, wenn du das nicht annimmst, dann bist du schnell an
der Front. Es sind nicht mehr viele junge Männer hier.“
Ich stieß meinen Mann an, denn ich hoffte, dass er nicht in den Krieg
müsste.
Das war 1943. Dafür wurde er nach dem Krieg von den Belgiern
verhaftet!
Nährstand und Zwangsablieferungen
Dann bekamen wir Bescheid, wir und andere Bauern müssten 3 oder
4 Morgen Land mit Kartoffeln bepflanzen. Mein Mann und ein paar
Leute ernteten diese. Während der Mittagszeit konnten die Kartoffeln
etwas antrocknen. Wenn die Arbeiter vom Felde kamen, stand das Essen
auf dem Tisch. Eines Tages kam eine Bekannte, deren Haus und Haus-
wiese an unseren Acker grenzten, und fragte mich: „Weißt du, dass ihr
während der Mittagszeit bestohlen werdet?‘
Ich sagte das meinem Mann, der meinte, ich sehe zu schwarz. Nun
beobachteten wir unseren Acker während der Mittagszeit mit dem Fern-
rohr und sahen, wie zwei Personen Kartoffeln in große Körbe füllten.
Sie hatten einen Karren dabei und zwei große Wäschekörbe. Von da an
blieb über den Mittag einer unserer Arbeiter auf dem Acker.
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„Baratte 3 piston“ nennt der Franzose diese Art „Butterfass‘“, Das Buttern war
Knochenarbeit! Viel leichter war ein Drehfass zu bedienen oder ein Fass mit
einem drehbaren Innenmechanismus.
tigt. Es war eine Art Trog in den man die klumpende Milchmasse füllte.
Die Seitenbretter (Planken) wurden nach und nach fester angedrückt,
damit die Flüssigkeit ablaufe. Diese lief über eine kleine Rinne durch
ein Loch in einen Eimer. War das Ganze nach Tagen erhärtet, so schnitt
ich den Quark in Quadratgröße wie einen echten Bauernkäse.
Dann musste der Käse im Keller reifen, wo er jede Woche mit kaltem
Wasser gewaschen wurde.
Wir hatten einen großen Garten, den die Männer umgruben und be-
pflanzten. Wir ernteten Weißkohl, Erbsen, Stangenbohnen und vieles
andere. Der Weißkohl wurde auf einer großen Kohlschabe ganz klein
geschnitten. Sodann füllten wir ihn in Steinkrüge, dichteten diese mit
2
Tüchern ab, legten ein paar Brettchen darüber, die wir mit einem Stein
beschwerten. So machten wir es auch mit den Schnippelbohnen. Nach
kurzer Zeit mussten die Tücher ausgewaschen, die Brettchen und der
Stein abgeschrubbt werden.
Die Herbstzeit bestand für uns Frauen nur aus Einkellern und Einko-
chen dessen, was die Männer an Erntegut herbeischafften.
Wenn wir Fleisch benötigten, schlachteten wir ein Kälbchen, auch
schon mal ein größeres Tier. Jedes Jahr schlachteten wir auch ein
Schwein oder zwei. Der Nachbar Karl hatte das Schlachten gelernt und
er machte uns alles zurecht.
Wenn das Schwein getötet war, wurde das Blut aufgefangen und ge-
rührt, bis es kalt war und sich keine Klumpen mehr bildeten. Dieses
Blut wurde dann später bei der Herstellung von Blutwurst und „Putes‘“
verwendet.
Geflohene Franzosen und Fluchthilfe
Im Januar-Februar 1943 zeigte sich der Winter von seiner strengsten
Seite. Überall türmte sich der Schnee. In unserem Kuhstall fanden mein
Mann und unser Gehilfe eines Morgens, als sie gegen 5 Uhr 30 das Vieh
versorgen wollten, zwei junge Franzosen, die aus Deutschland geflohen
waren. Sie hatten im Heu geschlafen, ihre Kleider waren feucht.
Mein Mann besorgte Unterwäsche und Socken für die beiden, ich
trocknete ihre feuchten Kleider am Herd, versorgte sie mit Butterbroten
und Kaffee und gab danach noch jedem Brote zum Mitnehmen. Der
ältere der beiden wollte zum Dank meinem Mann seinen Ring schen-
ken. Ich sehe noch, wie er den Ring abstreifte und ihn Hermann geben
wollte. Der hat das aber in höflichem Französisch abgelehnt.
Er hat ihnen dann, noch ehe der Tag anbrach, den Weg über die Wie-
sen nach Welkenraedt erklärt. Der Straße zu folgen, wäre zu gefährlich
gewesen, denn überall waren Leute eingesetzt, um Flüchtlinge zu fan-
gen. Es gab welche, die nichts sahen oder nichts sehen wollten, andere
aber haben sich dabei besonders hervorgetan.
Wir waren zu ängstlich, die Franzosen nach ihrer Adresse zu fragen.
Flüchtigen (Gefangenen oder Fremdarbeitern) zu helfen, war strengs-
tens verboten. Zum Glück war unser Knecht Joseph Altbelgier; er
würde uns also nicht verraten. Ob die Flüchtlinge gut heimgekommen
sind? Wir wissen es nicht, hoffen es aber inständig.
22
Erste zivile Kriegsopfer in Walhorn
Am 11. April 1944 gab es hier in Walhorn Bombenalarm. Ehe wir aus
dem Bett und mit unseren beiden Kindern im Keller waren, fielen schon
die ersten Bomben. Bei uns barsten verschiedene Fensterscheiben, ein
kleiner Splitter traf mich am Kopf. Die Bomben waren in einer Entfer-
nung von nur etwa 10 Minuten Fußweg gefallen.
Über Aachen sah man die so genannten Christbäume stehen. So nann-
te der Volksmund die Leuchtzeichen, die von der britischen Luftwaffe
(RAF) seit August 1942 zur Markierung der Bombenziele eingesetzt
wurden. Diese Leuchtzeichen wurden durch besondere „Pfadfinderflug-
zeuge“, die dem Bombergeschwader vorausflogen, abgesetzt und steck- *
ten den Angriffsbereich für die Bomber ab.
Von uns aus sah man die Stadt lichterloh brennen. Die britischen
Bomber hatten Aachen fast dem Erdboden gleichgemacht.
In der Nacht noch mussten mein Mann und noch einige andere nach
Aachen, um den Obdachlosen zu helfen. Er brachte zwei junge Mäd-
chen mit, die man uns zugewiesen hatte. Alle Leute hier im Ort beka-
men Obdachlose zugewiesen.
Diese bekamen nachher Kleiderkarten und Karten für Schuhe, denn
sie hatten ja nichts als das nackte Leben.
Als die Mädchen eine Woche bei uns waren, kam das damalige
Pflichtjahrmädchen Käthe. Wenn man eine Hilfe brauchte, wurde ein
vierzehnjähriges Mädchen geschickt, welches ein so genanntes Pflicht-
jahr absolvieren musste. Man musste sie nehmen, ob sie einem gefiel
oder nicht.
Wir haben Glück gehabt. Käthe half im Haushalt, war nett und lieb.
Sie schlief mit den obdachlosen Schwestern in einem Zweibett-Schlaf-
zimmer.
Wir haben die beiden Mädchen versorgt, bis ihre Eltern eine Woh-
nung hier im Dorf bekamen. Später ist dann die ganze Familie nach
Aachen zurückgezogen.
Zurück zum 11. April. In jener Nacht fielen die Bomben auf das Haus
Voss. Vater, Mutter (Kusine meines Vaters), zwei Söhne und eine Toch-
ter im jugendlichen Alter lagen unter den Trümmern. Die Toten wurden
in einer unbenutzten Schulklasse aufgebahrt.
Am darauf folgenden Sonntag standen fünf Särge auf dem Platz vor
dem jetzigen Jugendheim, damals „Schulplatz‘“. Die Toten wurden un-
ter Teilnahme der Ortsvereine, des Bürgermeisters und vieler Menschen
24
zu Grabe getragen. Es war schon hart, besonders wenn man befreundet
ist! Ludwig Voss spielte des öfteren mit meinem Mann und noch zwei
Freunden Karten.
Kurz vor Kriegsende wurde mein Mann eingezogen. Er musste nach
Monschau. Am 16. Mai wurde er für geeignet erklärt. Die fragten nicht
danach, ob der Mann stark genug war, ob eine Frau allein auf dem Hof
zurückblieb mit zwei Kindern und in Erwartung eines dritten, ob Hilfe
zu bekommen war. Er sollte zur Fahrtruppe „leichte Artillerie“ kom-
men.
Am 25. August 1944 kam der Bescheid, mein Mann müsse nach
Dortmund. Krieg ist grausam.
Dem Gestellungsbefehl folgen?
Wir haben Nächte nicht geschlafen und uns immer nur gefragt: „Fort-
gehen? Hier bleiben?“
Dann hörten wir, dass die Front und die Amerikaner näher rückten,
die Deutschen zogen sich schon zurück. Wenn mein Mann hier bliebe
und von den Deutschen gefasst würde, würde er als Deserteur zum Tode
verurteilt und erschossen werden. Aus Angst davor gingen wir nach Ey-
natten, wo er sich mit einem Bekannten, Johann Keller, treffen und mit
diesem weggehen wollte.
Aber Johann erklärte ihm, er verstecke sich auf dem Dachboden. Als
ich fragte, wo Johann sei, antwortete mir Hermann, der habe schon frü-
her gehen müssen. Er hatte dem Johann versprochen, nichts zu sagen...
In der Nacht ist Johann dann doch noch fortgegangen. Wie es sich da-
mals genau abgespielt hat, weiß ich nicht. Jedenfalls ist er acht Tage vor
Ankunft der Amerikaner als deutscher Soldat in Gefangenschaft geraten
und hat lange Monate auf die Heimkehr warten müssen. Johann und
seine Frau haben damals viel mitgemacht. Der Hof brannte noch vor
Johanns Rückkehr ab.
Johanns Frau Anna benahm sich nicht wie eine Frau, deren Mann
gerade in den Krieg gezogen war. Als ich mich von ihr verabschiedet
hatte, fuhr ich mit dem Fahrrad über den Johberg nach Hause. Auf dem
Johberg fragte mich dann Marike Johnen, warum ich den Hermann habe
weggehen lassen. Auch meine Schwägerin Tinny stellte mir diese Fra-
ge. Die Amerikaner seien doch bald da.
Aber wer wusste denn, dass das so schnell gehen würde? Ich war fix
und fertig. Mein Vater und auch mein Schwiegervater sagten: “Wir kön-
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nen nur hoffen, dass er zurückkommt. Aber wenn er Kriegsverweigerer
ist, dann erschießen sie ihn.“
Hermann hat mir oft erzählt: „Ehe ich durch die Sperre ging, um den
Zug nach Dortmund zu nehmen, habe ich gebetet, wie noch nie in mei-
nem Leben. Soll ich durchgehen oder nicht?‘
Er ist nicht durchgegangen.
Zuerst wollte er zu Verwandten nach Aachen, aber das war wegen des
Westwalls doch zu gefährlich. Er entschied sich, bei Jakob Wetzels und
dem alten Herrn Mathieu Heutz Unterschlupf zu suchen.
Am Montag war Hermann fortgegangen, am Dienstag kam Jakob zu
mir und sagte, dass sie Hermann versteckt hielten. Im ersten Moment
war ich starr vor Schrecken und schrie: „Was hat der gemacht? Die
Deutschen stellen uns alle an die Wand!“
Ich wusste nicht, ob ich weinte vor Sorgen oder vor Freude...
Mit dem Fahrrad fuhr ich bis Hauset. Die Luft war schwül. Jeden
Moment konnten Tiefflieger kommen. Ich kam gut an, Hermann saß im
Wohnzimmer im Sofa. Ich fragte ihn: “Was hast du getan?“
Er meinte aber: “Ich glaube, der da oben hat mir das eingegeben.“
Ich habe zu Hause meinem Vater und meinem Schwiegervater alles
erzählt. Das war am 26. August 1944.
Die Front rückt näher
Hermann kam am Sonntag darauf nach Hause. „Sieh zu, dass du weg-
kommst, sonst kannst du nicht mehr nach Hause“, hatte er sich gesagt
und war das Risiko eingegangen. Zu Hause versteckte er sich in der gu-
ten Stube, wo er das Essen bekam, wenn die Hilfen außer Haus waren.
Die Amerikaner rückten schon immer näher; es hieß, sie stünden vor
Lüttich. Bomber flogen nach Deutschland, es gab ständig Fliegeralarm,
Tiefflieger machten den Amerikanern den Weg frei. Sie waren hinter
den flüchtenden Soldaten her. Wir hatten deutsche Soldaten auf dem
Heuboden, die schliefen dann eine Nacht dort und flüchteten dann wei-
ter Richtung Grenze. Immer wieder kamen neue Soldaten. Wir hatten
auch welche im Haus. Sie saßen in der großen Diele, wo ein Sofa, Ti-
sche und mehrere Stühle standen. Sie waren wie gehetzte Tiere, die froh
waren, dass es bald zu Ende war. Zwei SS kamen rein. Ich hörte die Tür
gehen und schaute nach, wer da sei. Da sagten sie zu mir, ich solle weg-
gehen. Sie sahen, dass ich schwanger war. Die meisten Frauen, die ein
26
Kind erwarteten, sollten evakuiert werden. Mein Mann hatte das gehört,
kam aus dem Zimmer und sagte: “Meine Frau geht nicht weg!“
Die beiden SS-Männer schauten meinen Mann groß an, dann mich
und meinten: “Schade drum.“
Dann verließen sie unser Haus. Sie wussten wahrscheinlich auch,
dass sie nicht mehr viel Zeit hatten, sonst hätten sie bestimmt Hermann
kontrolliert.
Fremdarbeiter
Unser Pflichtmädchen, die Käthe, wollte noch ein Jahr länger bei uns
bleiben...Nach dem zweiten Jahr wollte ihr Vater, dass sie einen Beruf
erlerne. Ich war wieder ohne Hilfe.
Deshalb ging ich zum Arbeitsamt. Jetzt schickte man mir eine Polin.
Man musste annehmen, was man bekam. Unsere jungen Mädchen wur-
den anderswo eingesetzt.
Als die Polin hier ankam, hatte sie nur das Nötigste dabei. Was sie
anhatte, war verdreckt und faul, die Hose war kaputt. Sie war Tage und
Nächte unterwegs gewesen. Sie hieß Maria und konnte kein Deutsch.
Ich glaube, es war 1943, als sie kam. Sie ist bis 1945 bei uns geblieben.
In der ersten Zeit war es sehr schwer, sich mit ihr zu verständigen....
Als sie besser Deutsch konnte, erzählte sie, die Deutschen hätten sie
schon einmal holen wollen. Sie wäre aber dann durchs Fenster in den
Kartoffelacker geflohen. Sie sei aber wieder eingefangen worden.
Maria lief viel barfuß. Sie hatte ganz harte Haut unter den Füßen.
Wir haben sie mit Wäsche und Schuhen versorgt. Ich nähte ihr einen
schönen dunkelblauen Mantel, ein paar Kleider und Schürzen. Sie half
im Haus, doch sie musste viel lernen: Wäsche bügeln, putzen, kochen,
denn sie hatte immer nur auf dem Feld gearbeitet. Die Kinder versorgte
ich selbst.
Ich fragte die Maria, ob es stimme, dass in Polen viele Familien mit
Hühnern, Ziegen usw. in einem Raum hausten. Das gebe es noch, sagte
sie, aber nicht bei ihr zuhause.
Dann wollte ich wissen, ob alle aus einer Schüssel äßen. Das stimme,
sagte sie, denn meistens sei es nur Eintopf. Sie würde aber, wenn sie
wieder zuhause wäre, den Tisch so decken wie hier und jeder würde
seinen Teller bekommen. \
Die Deutschen hatten uns auch einen neuen Gehilfen, Franz, zuge-
teilt. Dieser war aus „Altbelgien“. Als Franz hörte, dass die Amerikaner
ZT
näher kamen, ging er einfach fort. Er ließ mich allein. Hermann durfte
sich nicht sehen lassen. Überall konnten ja Verräter lauern.
Die Leute meines Schwiegervaters waren Altbelgier Sie stammten
nicht aus dem Gebiet von Montzen-Welkenraedt und brauchten nicht
Soldat zu werden. Diese halfen dann auch bei uns mit.
Eine Woche, bevor Hermann nach Hause kam, sagte mein Schwie-
gervater, er habe gehört, dass die Bauern ihr Vieh auf dem Schulplatz
zusammentreiben müssten und dass die Deutschen beim Rückzug das
Vieh noch mitnehmen wollten. Er mache das nicht mit, er sei 68 Jahre
alt, dann müssten sie (die Deutschen) es schon selbst holen!
„Und du machst das auch nicht mit“, sagte er zu mir. „Du bist alleine
und kannst das geltend machen.“
Zum Glück ist es nicht so weit gekommen. Einmal haben wir 20
Schweine und ein schönes Rind abgeben müssen, das war bitter. Aber
im Nachhinein denkt man: „Was ist das schon im Vergleich zu anderen,
die oft nur das nackte Leben retten?“
Auch unser Pferd haben wir abgeben müssen, unseren guten Fuss,
mit der Begründung, wir könnten uns aushelfen mit den Pferden meines
Schwiegervaters. Es tat uns schon leid, als die Deutschen uns das Pferd
abnahmen. Wir haben niemals eine Entschädigung dafür bekommen.
Allgemeine Auflösung
Nachdem Franz uns verlassen hatte, fuhr ich trotz Fliegeralarm mit
dem Fahrrad nach Eupen zum Kreisbauernführer. Ich sah, dass aufge-
räumt wurde, Papier wurde verpackt, verschiedene Männer liefen sicht-
lich nervös ein und aus und beachteten mich nicht. Ich fragte nach dem
Kreisbauernführer, dem Herrn Simons, einem Walhorner. Er kannte
mich, er kannte meinen Vater gut, er hatte auch meinen Vater gedrängt,
Parteianwärter zu werden. Ich bat ihn, er solle mir bitte eine Hilfe be-
sorgen, da ich das dritte Kind erwarte, mein Mann eingezogen sei und
der Gehilfe mich verlassen habe. Ich fühlte mich stark und hatte eine
gewisse Genugtuung zu sehen, wie sie auf der Flucht waren.
Er riet mir, zum Ortsbauernführer zu gehen, der solle mir einen Ge-
hilfen besorgen. Und in barschem Tone sagte er: “Sehen Sie denn nicht,
was hier los ist?“
Ich erwiderte ihm: „, Das sehe ich sehr wohl.“ Dann begab ich mich
zum Ortsbauernführer, dem ich die Lage schilderte. Das war in der Wo-
che vor dem 9. September.
28
Es war verboten, Radio zu hören. Dennoch taten wir es heimlich. Am
Samstag hieß es: „Wenn die Amerikaner da sind und die Fronten stehen,
dann lasst uns schnell ein Schwein schlachten und ein Jungtier, an dem
etwas mehr Fleisch ist als an einem Kalb.“
Da die deutschen Soldaten nicht mehr im Haus waren, hat ein Nach-
bar, ein Metzger, geschlachtet, gestückelt, Speck und Würste in Bot-
tichen eingesalzen, die Braten eingekocht, Schinken zurecht gemacht
und in fliegensichere Netze getan. Wir machten Leberwurst, Bratwurst,
Putes, Sülze, Blutwurst, Leberpastete... Wir schufteten zu vier Frau-
en, zwischendurch rannten wir bei Fliegeralarm in den Keller. Vater
schimpfte: „Was ihr tut, ist unverantwortlich!‘
Vater hatte schon einmal Krieg mitgemacht, wenn auch nicht mit ,
dauerndem Fliegeralarm und Bomben. Doch wir waren jung und das
Fleisch musste versorgt werden. Während alle anderen im Keller ver-
sammelt waren, haben wir Putessuppe (1) gemacht und später den Leu-
ten im Keller serviert.
Der Einmarsch der Amerikaner
Am 9. September, gegen 13 Uhr, rückten die Amerikaner bei uns
ein. Deutsche Soldaten flüchteten in unsere Schuppen. Tiefflieger jag-
ten sie. Wir befanden uns alle im Keller. Es hörte sich an, als ob jeden
Moment die Kugeln im Keller einschlagen müssten. Wir beteten. Mimi
Wetzels-Heutz betete vor. Ich habe noch nie eine Frau so beten hören
wie die Mimi, eine junge Frau in meinem Alter. Sie betete, als hole sie
den Herrgott aus dem Himmel. Sie sagte schon mal zu mir: „Du bist so
ruhig.“ Ich sagte darauf: „Ich glaube, es ist dein Beten und unser Gott-
vertrauen.“
Als es wieder ruhig wurde und mein Mann und ich aus der Haustür
schauten, ob nichts brenne in den Ställen, da sahen wir, dass sich vier
oder fünf deutsche Soldaten an unserem Haus vorbeipirschten in Rich-
tung Merols. Und schon ging es wieder los mit den Tieffliegern.
Als die Amerikaner dann hier waren, wurde es ruhig hier. Jagdflieger
verfolgten jedoch weiter die in Richtung Deutschland fliehenden Solda-
ten, die waren wie gehetzte Tiere.
Militärische und zivile Opfer
Vier deutsche Soldaten sind hier in Walhorn beim Einmarsch der
Amerikaner tot geblieben. Man hat sie in einem Graben in unserer Nähe
29
gefunden. Sie sind hier auf unserem Friedhof beerdigt worden.
Am Dienstag, dem 10. September 1944, als alles ruhig schien, hat-
te mein Schwiegervater seine Leute zur Mähwiese geschickt, um den
Grummet zu bearbeiten, der schon eine Woche vorher gemäht worden
war. Dann kam es Schlag auf Schlag. Auf einmal schossen die Deut-
schen nach Walhorn hinein, denn ein eifriger Walhorner hatte, als die
Amerikaner hier waren, die weiße Fahne am Kirchturm gehisst in Rich-
tung Deutschland. War dies der Grund, dass wir nun beschossen wur-
den? In Walhorn wimmelte es von Amerikanern. Als der Beschuss so
gegen 11 Uhr begann, machte mein Schwiegervater sich auf den Weg,
um seine Leute zurückzuholen.
Er kam nicht weit. Zuerst suchte er Unterschlupf in der Bäckerei Ra-
dermacher, ging aber dann, als es ruhiger geworden war, wieder wei-
ter. Er hatte noch keine 100 Meter zurückgelegt, als wieder Granatein-
schläge folgten. Der Schwiegervater suchte Schutz in der Schule, dem
heutigen Jugendheim. Dort sind die Granaten eingeschlagen. Er muss
wohl im Flur gestanden haben, denn er wurde von Granatsplittern töd-
lich getroffen.
Karl Schumacher kam an der Schule vorbei, nachdem das Schießen
aufgehört hatte. Er sah unseren Vater da liegen und kam uns Bescheid
sagen.
Mein Mann kam leichenblass nach Hause und teilte mir mit, sein
Vater liege tot im Flur der Schule. Er habe auf dem Rücken gelegen,
Granatsplitter hatten Kleidung und Brieftasche zerfetzt und sein Herz
durchbohrt.
Ein paar beherzte Männer brachten den Toten auf einer Trage über
den angrenzenden Bauernhof und über einen kleinen Seitenweg heim
auf seinen eigenen Hof.
Er wurde zwei Tage nach seinem Tode abends um 19 Uhr ohne hl.
Messe beerdigt. Nur mein Mann, meine zwei Schwägerinnen und ich
begleiteten den Sarg. Die beiden Brüder von Hermann waren im Krieg.
Rechts und links standen amerikanische Soldaten. Zur gleichen Zeit
wurden noch zwei Bekannte von uns beerdigt.
Dabei handelte es sich um Frau Schaus und Herrn Wollgarten.
Das Ehepaar Schaus hatte am 9. September ihren Sohn, einen Sol-
daten, in Monschau besucht und waren nun mit dem Fahrrad auf dem
Heimweg. Als Herr Schaus feststellte, dass seine Frau nicht mehr folgte
und er sich umschaute, um zu sehen, wo sie bliebe, sah er sie am Stra-
Benrand liegen, von Tieffliegern getroffen.
30
Der zweite Bekannte hatte „nur mal rausgeschaut‘“ und war dabei
von einer Granate getroffen worden, genau so wie mein Schwiegerva-
ter. Das Schicksal hatte diese Familie hart getroffen. Drei Söhne sind im
Krieg gefallen, dann starb der Vater als Zivilopfer und ein Sohn hatte
ein Bein verloren!
Dass die Beerdigung abends erfolgte, war eine Anordnung der Ame-
rikaner.
Haus Harna als zentrale Verpflegungsstelle
Die Amerikaner waren überall, auch im Caf&-Restaurant Stickel-
mann: im ganzen Haus, in der Wirtschaft, im Saal, auf dem Hof. Die -
Geländewagen und ihre Jeeps ließen sie auf der Wiese.
Kurzum: schwarze und weiße Amerikaner bevölkerten unser Eltern-
haus. Die Wirtschaft hatten sie als Küche eingerichtet. Dort holten sich
die im Dorf stationierten Soldaten das Essen. Meine Mutter und meine
Schwestern Trudi und Maria wohnten in der Wohnküche. Auch die Sol-
daten, die im Haus schliefen, kamen ab und zu in diese Küche.
Ein Zimmer war reserviert für die Offiziere, die dort ihre Schreibar-
beiten verrichteten. Von den sieben Schlafzimmern auf der ersten Etage
benutzte Mutter eines mit Trudi und Maria. Mutter erzählte oft, wenn
sie morgens aus dem Schlafzimmer wollten, hätten sie manchmal über
betrunkene Soldaten klettern müssen...
Marlene Dietrich in Walhorn?
Für die Soldaten wurde schon mal ein Konzert in unserem Saal gege-
ben, zur Hebung der Moral meine ich.
Zu diesen Konzerten kamen auch die Soldaten aus den anderen Dör-
fern. Selbst Marlene Dietrich, zur damaligen Zeit ein großer Filmstar,
kam hierher. Wie das genau gewesen ist, weiß ich nicht mehr.
Sie hatte Deutschland verlassen und war nach Amerika gegangen. So
kam sie nun mit den amerikanischen Truppen zurück nach Europa und
trat hinter der Front, in der Etappe, vor den Soldaten auf.
Mutter und Trudi haben oft erzählt, dass sie das schöne Lied „Vor
der Kaserne, vor dem großen Tor“... gesungen habe. Ich konnte nicht zu
den Konzerten, denn es herrschte abendliche Ausgangssperre und die
Konzerte waren ja auch nur für die Soldaten.....
Mit Schokolade und Strümpfen versuchten die Soldaten, bei den Mä-
dels anzubändeln.
31
Es war immer noch Krieg. Immer noch flogen die Bomber in Rich-
tung Deutschland.
Omas Bügeleisen
Als mein Vater die Schreinerei übernommen hatte, hat Oma viel als
Büglerin gearbeitet. Damals, in den zwanziger Jahren, trugen die Män-
ner alle gestärkte weiße Kragen, auch die Brüste der Hemden wurden
gestärkt. Es waren oft sogar lose Brüste; die Kragen wurden am Hemd
vorne und hinten mit einem Kragenknöpfchen festgemacht.
Meine Mutter war sehr geschickt im Bügeln und hatte deshalb viele
Kunden. Sehr oft lagen viele Pakete da, alles Kragen und Brüste !
Ich habe oft gesehen, wie sie das Bügeleisen heizte. Es waren Holz-
kohlen darin und es wurde mit einem Blasebalg angeheizt. Ab und zu
wurde es geschwenkt, damit die Kohlen weiter brannten.
Auf dem Herd wärmte Oma drei Bügeleisen, um keine Unterbre-
chung einlegen zu müssen.
Wer das nicht gesehen hat, kann sich das gar nicht vorstellen. Wir
stecken einfach den Stecker in die Steckdose, gießen Wasser in das
(Dampf-) Bügeleisen und fertig sind wir.
Die Kragen wurden gestärkt, in ein Tuch eingewickelt, einige Zeit
später gebügelt, ein bisschen gerundet und dann verpackt.
Auch mein Vater trug solche gestärkte Hemdkragen. Die kleinen Kra-
genknöpfchen waren manchmal, und das meistens sonntags, verlegt.
Dann schimpfte er wie ein Rohrspatz ! Ich habe mir dann vorgenom-
men, dass mir das nicht passieren dürfe in meiner Ehe. Dutzendweise
habe ich dann Kragenknöpfe gekauft...
Niederkunft in schwieriger Zeit
So langsam nähern wir uns November 1944. Ich erwartete das dritte
Kind. Wir machten uns große Sorgen. Wie sollte das nur gehen ? Es gab
kein Telefon, kein Auto. Mein Mann bat zwei amerikanische Offizie-
re, die bei uns im Haus waren, mich nach Raeren ins Krankenhaus zu
fahren, denn der behandelnde Arzt meines Vaters war aus Raeren. Die
Ärzte durften damals ihre Patienten besuchen. Da mein Vater bei uns
war, kam der Arzt ins Haus. Dieser schlug vor, mich zu gegebener Zeit
zu holen. Hermann ging zur Wirtschaft, um die Offiziere zu benachrich-
tigen, aber die waren ausgerückt. Was nun ? Da wir neben der Molkerei
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wohnten, ging er zu einem Chauffeur, der gerade Milchkannen lud, und
schilderte ihm die Situation. Der Chauffeur war bereit, mit ihm nach
Raeren zu fahren, er musste ohnehin nach Eynatten.
1945 wurden wir wieder Belgier. Die Belgier begannen nun mit den
Säuberungsaktionen. Viele Dorfbewohner wurden verhaftet, auch mein
Mann, weil er Lebensmittelkarten ausgetragen hatte. Wir hatten einen
Altbelgier, Joseph, aus Homburg, als Gehilfen. Dieser hat dann als Zeu-
ge ausgesagt, dass wir zwei französische Flüchtlinge aufgenommen und
versorgt haben. Dadurch kam mein Mann wieder frei....
Auch mein Vater, der ja schon kränkelte und bei uns wohnte, wur-
de verhaftet. Man warf ihm vor, beim Schützenverein (dem Kamerad- *
schaftlichen Bund) die Fahne getragen zu haben. Zwanzig Jahre hatte
mein Vater diese Fahne in der Vorkriegszeit getragen und niemand hatte
Anstoß daran genommen !
Die Deutschen hatten unsere Schützenvereine in ihre deutsche Ge-
meinschaft aufgenommen. Das war einer der Gründe, die zur Verhaf-
tung führten. Auch warf man dem Vater vor, er sei Partei-Anwärter ge-
wesen. Das stimmte. Doch ich weiß auch, denn ich war dabei, dass er
dazu gedrängt wurde. Der damalige Kreisbauernführer, ein Bekannter
aus Walhorn, hatte ihm geraten, in die Partei einzutreten, da er ja eine
behinderte (beinamputierte) Tochter habe. Diese würde dann eher eine
Stelle bekommen.
So wurde Vater nun verhaftet. Zu Fuß musste er bis Eynatten, dann
wurde er trotz seiner Krankheit nach Eupen in die Schulstraße gebracht.
In einer Schulklasse waren dort so ca. 30 Gefangene untergebracht.
Mutter und ich haben Vater dort zweimal besucht und ihm etwas zu
essen gebracht. Sie bekamen ja nicht viel und Vater war ein sehr emp-
findlicher Mensch.
Nach vier Wochen wurden die Gefangenen in die Heggenstraße, eine
Seitenstraße am Hook, verlegt. Voll Sorge um Vater ging ich zum Audi-
tor, dem ich erklärte, Vater sei immer ein rechtschaffener Mann gewe-
sen und er verkrafte diese Verhaftung nicht.
Der Auditor versprach, Vater käme in den nächsten Tagen nach Hau-
se. Ich begab mich nach Heggen, wo zwei Gendarmen patrouillierten.
Ich durfte nicht hinein. Einem Bekannten am Fenster machte ich vor-
sichtig ein Zeichen. Als Vater ans Fenster kam, sagte ich: «Übermor-
gen».
Es hat trotzdem noch vierzehn Tage bis zur Freilassung gedauert.
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Als Vater nach Hause kam, fuhren wieder die Busse. Die Wirtschaft
war für Gäste offen. Bei uns zu Hause fing alles an, seinen normalen
Gang zu gehen..
Rückführung der Fremdarbeiter
Eines Tages bekam Maria, unsere Polin, den Befehl, sich mit einem
Versorgungspaket für 3 Tage im Eupener Fußballstadion einzufinden.
Alle Polen und Russen, die hier bei den Bauern arbeiteten, mussten sich
dort versammeln.
Der Abschied von Maria fiel mir schwer, denn sie hatte immerhin
zwei Jahre bei uns gearbeitet.
Einige Tage später traf meine Mutter die Polin in Eupen. Diese sagte
ihr: “Frau Aussems soll mich holen kommen, hier sind fast nur Russen,
kaum Polen. Ich muss nicht mit den Russen weg. Das habe ich auch
einem russischen Offizier gesagt.“
Mit einem Paket begab ich mich zum Stadion. Es war umzäunt. Ich
lief den Zaun entlang und fragte nach einer Polin. Polski? Nach einiger
Zeit kam Maria und sagte, sie dürfe mit mir gehen. Mittlerweile hatte
sich ein anderes Mädchen, die Käthe, bei mir gemeldet und ich hatte sie
angenommen. Ich sagte zu Maria, ich hätte diese angenommen, weil ich
sie jetzt haben könne und sie, Maria, vielleicht plötzlich weg müsse. Sie
könne jedoch bei mir bleiben, bis sich etwas für sie ändere.
Jeden Sonntag kam sie uns besuchen, später alle 14 Tage. Eines Ta-
ges blieb sie aus. Ich dachte immer, sie würde mal schreiben. Immer
wieder plagte mich der Gedanke, wie es ihr wohl gehen möge.
Nach 45 Jahren meldete sie sich aus Polen. Sie schrieb, sie würde
eine kleine Rente bekommen, wenn ich beglaubigte, dass sie in Walhorn
und Eupen gearbeitet hätte. Es war eine einmalige Abfindung.
Jetzt schreibe ich ihr jedes Jahr zu Weihnachten und Ostern und schi-
cke ihr auch ab und zu etwas. Ich hoffe, dass es ankommt.
Sie kann kein Deutsch schreiben, das muss dann jemand anders für
sie tun. Die Polen haben es nicht leicht.
Waschtag auf dem Bauernhof
In dem alten Bau gegenüber unserem Bauernhaus lagerten wir Fut-
termittel fürs Vieh. im Keller stapelten wir Kohlen, Briketts und Holz.
In einem Raum hatte ich die Waschküche eingerichtet.
34
Damals wurde die Wäsche fein sortiert (nach Bunt- und Weißwä-
sche) in großen Bütten eingeweicht. Wir hatten schon fließendes Was-
ser!
Tags darauf wurde die weiße Wäsche gekocht. Ab und zu wurde sie
mit einem Holz hochgehoben.
Dann kam sie in eine Bütte und wurde auf einem Waschbrett, ein Teil
mehr, ein anderes weniger nachgerieben. Bunte Sachen waren schwieri-
ger zu waschen. Vor allen die Stallwäsche war nicht leicht zu waschen.
Wir rieben sie mit schwarzer Seife ein. Meine Finger waren oft wund
und aufgerieben. Die weiße Wäsche wurde auf dem Rasen gebleicht.
Waschmaschine und Trockner stehen heute in fast jedem Haushalt und
erleichtern die Hausarbeit ungemein. 7
Der öffentliche Waschplatz
Als junge Mädchen transportierten wir auf einem Handkarren jede
Wöche zwei Körbe Wäsche zur Groetbach. Dort hatte man am Bach
ein Viereck von anderthalb Meter Seitenlänge abgetrennt, es mit Eisen-
stangen umzäunt und auch eine Kniebank angelegt. Dort spülte man die
Wäsche, hängte sie über die Stangen, ließ das Wasser abtropfen.
Wenn das Wasser wieder klar war, wurde die Wäsche ein zweites
Mal gespült. Bei bitterer Winterkälte meinte man manchmal, die Hände
fielen einem ab.
Viele Dorfbewohner spülten dort ihre Wäsche. Wir hatten keinen
Brunnen, wohl Regenwasser zur Genüge. Das Trinkwasser mussten wir
beim Nachbarn holen. Wenn Feste oder Totenkaffee waren, holten wir
sechs große Milchkannen gutes Brunnenwasser. Ich weiß es zu schät-
zen, wenn ich heute den Wasserhahn aufdrehe!
Vor unserer Heirat ließ der Schwiegervater in unserem späteren
Wohnhaus einen großen Wasserbehälter und eine Saug- und Druckpum-
pe aufstellen. Unser Hof wurde dann dank der Saugpumpe reichlich mit
Brunnenwasser guter Qualität aus einem neuen Brunnen versorgt.
Kinderkarneval
Fastnachten 1952 plante Gerd, damals 10 Jahre alt, mit ein paar Freun-
den einen Kinderkarneval. Hier im Dorf war nicht viel los für Kinder.
Die liefen zwar verkleidet herum und das war’s! In Eupen und Eynatten
fanden Karnevalsbälle statt, in Kelmis und Eupen Karnelvalszüge.
35
Ein paar Jungen taten sich nun zusammen und bauten einen gummi-
bereiften Karren in einen Karnevalswagen um. Albert wurde der erste
Kinderkarnevalsprinz. Dienstags zogen die Jungen seinen prinzlichen
Handwagen, die restliche Dorfjugend lief hinterher.
Im nächsten Jahre (1953) hatten die Jungen einen Jeep mit Anhänger
organisiert. Der wurde karnevalistisch hergerichtet, womit Gerd jede
freie Minute verbrachte. Er wurde dann der zweite Prinz.
Ich hatte ihm ein schönes Prinzenkostüm genäht.
Das waren die Anfänge des Walhorner Kinderkarnevals. Im Jahre da-
nach (1954) wurde er noch größer aufgezogen.
Auch die Mädchen wurden von Gerd so weit gebracht, dass sie mit-
machten.
Da verschiedene Mädchen wünschten, tanzen zu lernen, wurde eine
Tanzlehrerin engagiert. Und wir kauften unserer Tochter Maria Tanz-
schuhe.
Es war schließlich so weit, dass das ganze Dorf Karneval feierte.
Der Prinzenwagen, begleitet von anderen Wagen und viel Gefolge, zog
durchs Dorf zum Herrn Pastor, dann zum Gemeindehaus, wo der Bür-
germeister, damals Joseph Feickens, ein Onkel von Hermann, sie emp-
fing. Dann ging es weiter nach Astenet zu meinem Schwager Mathieu,
der immer „etwas springen“ ließ, und schließlich.zum Katharinenstift.
Die alten Leute freuten sich, zumal die Tanzgruppe ihre Tänzchen
vorführte.
Der Karnevalszug fand sein Ende mit einem Karnevalsball in unse-
rem Saal. Wir brachten die kleineren Kinder nach Hause. Margret und
Maria, die beide der Tanzgruppe angehörten, durften noch bleiben, denn
sie führten ihren Tanz auf. Die Walhorner Gruppe war schließlich so
gut, dass sie sogar in Eupen in Pauquets Kurhotel auftrat und nach Stol-
berg eingeladen wurde!
Nach und nach schlief der Karneval ein. Herr Nelles, der sich immer
intensiv für den Karneval eingesetzt hatte, machte nicht mehr mit. Und
unsere Kinder wurden älter und zeigten damit auch andere Interessen...
Wie Pastor Phlippen nachgeben musste
Zum Nachfolger des 1932 in den Ruhestand getretenen Pfarrers Bayer
ernannte der Bischof den bisherigen Pfarrer von Elsenborn, Peter Phlip-
pen. Er kam aus dem Rheinland (Grebben), war in Tongerloo bei den Prä-
monstratensern eingetreten und dort noch vor dem Ersten Weltkrieg zum
36
Priester geweiht worden. Zu seinem silbernen Priesterjubiläum schenk-
te die Zivilgemeinde Walhorn dem Geistlichen die Herz-Jesu-Statue,
die seitdem am Kreuzberg steht. Diese Denkmalsanlage war eine Initi-
ative des Herz-Jesu-Vereins, der von Gerhard Aussems geführt wurde.
Die Gemeinde versprach, für die dauernde Unterhaltung des Denk-
mals zu sorgen.
Pastor Phlippen war Präses des Kirchenchores und hatte in gewissen
Fragen seine unerschütterliche Meinung, die er dann auch gegen die
Mehrheit des Chores verteidigte. Damals, in den dreißiger Jahren, prob-
te der Chor in unserem Saal. Unser Lokal war auch das Vereinslokal.
Der Kirchenchor spielte auch Theater und auch ich habe mitgespielt.
Pastor Phlippen aber verbot den Mädchen, in der Theatergruppe mitzu- -
machen!
Auch ließ er es nicht zu, dass die Frauen und Bräute der Sänger am
Jahresausflug des Chores teilnahmen. Deswegen gab es öfters Krach
mit ihm.
Der Präsident, damals Herr Schumacher, meinte schließlich: „Das ist
doch allerhand! Wir proben zweimal die Woche und die Frauen warten
auf uns, unterstützen uns und sollen dann nicht einmal einen Ausflug
mitmachen dürfen!“
Ein anderer älterer Herr meinte zum Pastor: „Die Frau, mit der wir
ein Leben lang im Bett liegen, die soll auch den Ausflug mitmachen!“
Da bekam Pastor Phlippen einen hochroten Kopf und verließ den
Raum.
Auch Hermann hat damals als junger Mann dem Pastor widerspro-
chen. Auch er wollte sein Mädchen mitnehmen und hat sich für die an-
deren stark gemacht.
Ärger gab es auch mit dem Pastor, als dieser die Leitung des Herz-
Jesu-Vereins, die mein Schwiegervater nach dem Tode seiner Frau über-
nommen hatte, ohne Rücksprache Fräulein Dormann übergab. Natür-
lich waren die Aussems darüber erbost.
Als Pastor Phlippen Hermann Aussems nicht mehr grüßte, weil die-
ser ihn (versehentlich) mit einem Bierdeckel getroffen hatte, kam es so-
gar zu einer Auseinandersetzung mit dem Pastor, der Hermann Aussems
vorwarf, in der Frage des Theaterspiels von Mädchen und der Teilnah-
me von Frauen am Jahresausflug sich gegen ihn gestellt zu haben!
Erst mit der Kommunion unserer Kinder konnten wir die Situation
wieder ins Lot bringen. Der Pastor hatte die Einladung zum Essen ange-
nommen und als Tischnachbar Joseph Feickens, den damaligen Bürger-
3%
meister zugedacht bekommen. Da er öfters schon Meinungsverschie-
denheiten mit dem Pastor gehabt hatte, vor allem in seiner Funktion als
Präsident des Kirchenchores, war der Onkel nicht gerade begeistert von
seinem Tischnachbarn. Nach dem Mittagessen ging der Herr Pastor und
Onkel Joseph atmete auf. Die ganze Zeit über habe der Pastor nur die
Gemeinde kritisiert, so der Bürgermeister. Doch seitdem grüßte Pastor
Phlippen Hermann wieder.
Als Pastor Phlippen sein 25jähriges Jubiläum feierte, ist meine
Schwester Trudy helfen gegangen. Einmal hat sie der Pastor auch an-
gesprochen, nachdem sie verheiratet war, und seinen Unmut darüber
geäußert, dass sie noch kein Kind hatte!
Christenlehre
In den fünfziger Jahren war es noch üblich, dass die Kinder sonntags
um 14 Uhr 30 zur Christenlehre gingen. Mit der Zeit gingen immer
weniger Kinder dorthin und schließlich murrten auch die unseren: “ Wir
sind die einzigen, die noch hingehen!“
Schließlich fiel die „Andacht“ flach.
Landerholung
Im Jahre 1959 konnte man Kinder aus Wien aufnehmen, deren Eltern
es nicht leicht hatten. Ich sprach mit Hermann darüber. Er meinte: „Wo
sieben essen, kann auch ein achter essen.“ Wir entschieden uns für ein
Mädchen.
Christa, so hieß sie, war 7 Jahre alt und ging mit den anderen Kindern
in Walhorn in die Schule. Sie kam gut mit unseren Kindern aus. Als sie
weg musste, hat es uns schon wehgetan. Damals habe ich gedacht: „Das
tust du nicht mehr. Du gewöhnst dich an ein fremdes Kind und lässt es
dann nur schwer wieder gehen.“
ok
Die Autorin geht natürlich auch eingehend auf familiengeschichtlich
interessante Einzelheiten ein: Geburten, Kommunionen, Hochzeiten,
Sterbefälle, Erbteilungen etc. werden ausführlich dokumentiert . Auf
diesen Aspekt wollten wir jedoch nicht näher eingehen.
38
(1) Rezept: Milch zum Kochen bringen, das gerührte und gesiebte
Blut langsam in die kochende Milch geben, dabei dauernd rühren, da-
mit keine Knötchen entstehen, mit Salz und Pfeffer abschmecken. (Ein
Rezept nach meiner Oma).
1
“+ = ZB | 3
Ss {
Der Groetbachhof
39
D’r Voorel, dä ’t Mörjens se&ngt
va Henri Beckers
Samstechmörje, Brötchenstiüit,
i Kelemes ijen Beker&j
waade friedlech e paar Lüj
bes se ajen R6j.
Hant noch kom de Owe op,
Ander äver metonder
Scheinbar betstens at joot drop
mär och noch net jans monter.
Könt minge Kamerod erä now,
Aan €ch, now könt Lääve.
Jedue Es’t met de Row,
’t wät jät te laache jääve.
Wi jesaat, now pass mär op
-sue wi ene Jestesblets-
es häe ’t Mörjens vrösch joot drop
än vertelt flot ene nette Wits.
Än’t duet net lang
-dr Humor scht&kt a —
’t Personal, de Lüj ijen Schlang
vange hääl anet laache a..
Hat än Siel, di dowwe op
Jelüesde Heiterkeet
Nemt ijene Lade now singe Loop.
Stimmong makt s£ch bre&t.
Mär Enge warnt, wat os dat brengt
Än könt da met dä Sats:
„Dr Voorel, dä ’t Mörjens sengt,
dem holt ’t oevends de Kats!“
Könt tatsächlech ’n suene Schlaach
Kann €ch ’t oevends saare:
„Wää at jelaacht hat vröösch a d’r Daach,
kann ’t bääter da verdraare.“
40
Aus dem Familienarchiv
Stephans 17 Briefe an seine Mutter
Analysiert vom Großneffen Albert Janclaes
In unserem Familienarchiv ruhen seit Jahrzehnten u. a. Briefe des
Rekruten Stephan Janclaes, der in Baelen am 11.11.1893 geboren war.
Er war der Sohn des Johann Egidius (Gilles) Janclaes aus Baelen und
dessen aus Walhorn stammender Ehefrau Anna Maria Theresia Kerres,
die einen landwirtschaftlichen Betrieb in Baelen-Overoth besaßen. Den
Hof in Baelen hatte der Johann Egidius Janclaes gemeinsam mit seinem
Bruder Peter Joseph bewirtschaftet; nach der Erbteilung der Familie ’
Kerres in Walhorn hatte er jedoch seinen Anteil in Baelen seinem Bru-
der Peter Joseph verkauft und im Walhorner Feld, links der Straße nach
Kettenis, einen stattlichen Neubau errichtet. Maueranker tragen die Jah-
reszahl 1894. Nach einer Austrocknungszeit zog die Familie 1896 hier
ein.
Beim Umzug nach Walhorn war der Sohn Stephan also noch nicht
im Schulalter. Wegen unterlassener Abmeldung wurde die Familie
Janclaes-Kerres weiterhin in den Einwohnerlisten von Baelen geführt,
obschon sie inzwischen auf deutschem Staatsgebiet wohnten. In den
Unterlagen zur Person des Stephan Janclaes heißt es, er sei wohnhaft in
Walhorn, habe aber seinen Wohnsitz in Baelen.
Als der junge Mann ins militärpflichtige Alter kam, war er in der
Stammrolle seiner Ursprungsgemeinde eingetragen. 1913 wurde er ein-
berufen und kam nach der Grundausbildung in Beverlo im Januar 1914
zum 6. Linienregiment in Berchem b. Antwerpen, wo er als guter Schüt-
ze registriert wurde.
Die ganze Zeit über hält Stephan Janclaes regen Briefkontakt zur
Mutter. Der Vater war schon am 12. März 1910 gestorben und Stephan
ist auf dem elterlichen Hof, den er später übernehmen soll, fast unab-
kömmlich. Er berichtet über das Leben in der Kaserne, bittet um Geld
und um Auskünfte über das Dorfleben in Walhorn. In der Kompanie
ist er „der Deutsche“, aber nicht der einzige Deutschsprachige. Andere
kamen aus Montzen, Henri-Chapelle, Baelen, Kelmis etc. Doch er war
wohl der einzige Belgier, der auf deutschem Staatsgebiet wohnte.
Die erhaltenen Briefe (es sind deren 17) geben ein stimmungsvol-
les Bild vom Kasernenleben, aber auch von der langsam ansteigenden
41
Kriegsangst, auch wenn der Rekrut Janclaes behauptet, man müsse
bereit sein, sein Leben für das Vaterland zu opfern... Da diese Briefe
nicht nur familiengeschichtlich von Interesse sind, wollen wir sie im
Folgenden einem größeren Leserkreis zugänglich machen. Die Recht-
schreibung wurde kaum verändert, die eine oder andere Erläuterung
hinzugefügt.
Einige Kurzkommentare (in Schrägschrift) lassen wir den einzelnen
Briefen folgen.
Liebe Mutter! Beverlo, den 1.9.1913
Habe euren lieben Brief erhalten und ersehen, dass es euch allen auch
noch gut geht, was ich auch von mir berichten kann. Hier in Beverlo ist
es zwar lange nicht so gut wie in Antwerpen.
Alles in allem ist es hier viel schlechter, das Essen weniger, der
Dienst stränger, aber ich habe Gottseidank die Kantine neben meiner
Tür. Es ist hier auch eine sehr schlechte Gegend, man sieht hier nichts
anderes als Heide, nur 10 Minuten von unserem Lager liegt das Örtchen
Burg Leopold, aber ein sehr schlechtes Nest, ich bin blos zweimal da
gewesen, nämlich des Sonntagsmorgens als wir zur Kirche gingen. Wir
können hier jeden Sonntag zur Kirche gehen, überhaupt haben wir hier
den ganzen Sonntag frei. Wir sind noch jeden Sonntag um 10 Uhr zur
Messe gegangen, das ist nämlich sehr schön, da wird die ganze Musik
von einer Militärkapelle gespielt. Ich habe hier zwei Freunde aus Wel-
kenraedt und dann und wann trifft man noch immer einen, der Deutsch
kann und das Flämische verstehe ich auch so ziemlich. Auf meiner Stu-
be liegen 13 Mann, aber alles Flämische und Franzosen, aber auch lau-
ter bessere Jungens.
Offenbar war Stephan zunächst in Antwerpen untergebracht. Ich ver-
mute zur Musterung. Die Zustände in Beverlo behagen ihm jedenfalls
weniger. Vor allem das Essen lässt zu wünschen übrig, weshalb er sich
auch für das zugeschickte Lebensmittelpaket bedankt. Er hat sich Fo-
tokarten anfertigen lassen, 6 für I Franken! Einen passenden Uniform-
rock hat man noch nicht für den jungen Mann.
Außerdem erinnert er seine Mutter daran, das ihm zugedachte Geld
in belgischer Währung zu schicken.
Schlussendlich erkundigt er sich nach den Verhältnissen auf dem el-
terlichen Bauernhof. Verständlich, denn er ist ja der designierte Be-
triebsleiter.
42
Als Allerneuestes möchte ich berichten, dass wir an Allerheiligen drei
Tage Urlaub bekommen. Ihr schreibt was von einem Paket zu schicken
und das wäre garnicht zu verwerfen, denn wenn ihr das in Welkenraedt
aufgebt, so kommt das ganz sicher an, den(n) wen(n) man so immer
in die Kantine gehen muss, so kauft man sich arm und dann könnt ihr
etwas belgisch Geld auch noch drintun, denn mit deutsch Geld ist hier
nichts zu wollen. Ihr werdet wohl jetzt noch tüchtig von den Kühen am
verhandeln sein. Und der Fany (= das Pferd) wird jetzt auch Arbeit zu
viel haben. Ihr werdet aber wohl jetzt den neuen Stellvertreter haben
und dann habt ihr es ja auch besser als wie mit dem Bert (Knecht ?).
Ihr werdet euch.wohl wundern über die schöne Karte, aber für 1 Fran-
ken 6 solcher Karten, da kann man nicht viel erwarten und dann habe *
ich einen fremden Rock, welcher mir zu klein ist, an, den(n) für mich
mussten sie einen machen lassen und den habe ich noch nicht. Nun zum
Schluss gratuliere ich Gertrud vielmals mit dem neuen Ämtchen, denn
das ist was wert. Sage am Pastor, das er mit der Einfürung noch ein paar
Tage wartet, dann bin ich auch da und kann der Feier beiwohnen. In
Erwartung, dass dieses Schreiben euch so gesund und munter antrifft
wie es mir verlässt, verbleibe ich mit vielen Grüßen an alle. Stephan.
Soldaten.
Liebe Mutter Beverlo, 7.10.1913
Quittiere hiermit dankend euren Brief und euer Paket dienstag mor-
gen ganz gut erhalten zu haben und den Inhalt ganz gut gebrauchen zu
können, denn hier schmeckts ziemlich gut.
Als erstes habe ich mich gewundert, als ich die Affaire vom Pu(t)zer
las, denn so ein Lump hätte ich nicht hinder dem gesucht. Nun, wenn
ihr schon das Hermese Mädchen habt für zu melken, dann werdet ihr
doch schon fertig werden und wenn ihr dann noch einen Jungen von
Nok (= Nonk = Onkel) Wilhelm haben könnt, so seid ihr doch gut be-
dient.
Als zweites muss ich fragen, habt ihr keine Karte bei meinem Brief
erhalten, wo ich abgemalt auf war, („aafmoole‘“ bedeutet im Dialekt
„abzeichnen“ bzw. „fotografieren“), da ihr auf euren Brief nichts davon
mitteilt, den(n) ich habe er (= deren) vier so gesannt, eine nach Hubert
von Nock Amand, eine nach Aachen und eine nach Kettenis den(n) Hu-
bert von Kettenis hat mich forige Woche auch einen Brief geschrieben,
worin er sehr tief über mein Vergönnen hier sich interessierte, (Im Dia-
lekt „ech verjön mech“ = mir gefällt es), den(n) ich habe verschiedene
43
Karten nach meinen Kollegen geschickt, welche ich glaube, dass nicht
richtig angekommen sind, denn es kann ja möglich sein, dass sie An-
schriften von hier nicht durch nach Preußen lassen. Anders weiß ich
nicht viel Neues von hier zu berichten, denn hier ist nicht viel zu sehen.
Und dass heute, wo in Kettenis Kirmes ist und ich nicht da sein kann,
das ist das Schlimmste.
Nun zum Schluss die herzlichsten Grüsse an alle und in Erwartung,
dass dieser Brief euch so gesund und munter antrifft, wie er mich ver-
lässt, schließe ich mit nochmals vielen Grüssen an alle, von Stephan.
Schreibt mal bitte sofort wie es ist, ob ihr einen Knecht habt und bin
ich doch froh, wenn man wass Neuigkeiten von Walhorn hört. Der Wil-
1y von Aachen schrieb mir auch vorige Woche, dass ihr Pferd jetzt nicht
den rechten Weg wollte. Ich habe überhaupt schon ein ganzes Paket
Karten und Briefe erhalten und bin immer gespannt, wann die nächste
Post hier abgerufen wird, ob nichts für mich dabei ist, denn hier im La-
ger kommt die Post dreimal den Tag.
Im Mittelpunkt seines Interesses stehen die offenbar nicht immer glatt
laufenden Dinge mit dem Dienstpersonal, wovon Mutter ihm im voran-
gegangenen Brief berichtete.
Schließlich registriert er frustriert, dass offenbar nicht all seine
Schrei-ben die Empfänger (z. B. die Verwandten in Aachen und die
Freunde in Kettenis) zuverlässig erreicht haben und er vermutet hier
ein Problem in der zu überwindenden Staatsgrenze.
Ich vermute, dass die Post eines belgischen Soldaten an Personen
im preußischen Ausland die Aufmerksamkeit der belgischen Militär-
behörden erregt hatte.
Liebe Mutter Beverlo, den 16.10.1913
Muss soeben die Feder in die Hand nehmen, um euch einige Worte
mitzuteilen, denn es handelt sich nämlich um den Franken Löhnung,
welchen ich alle Tage siehen (= sehen) soll und nun ist soeben ver-
lautet worden, dass der Franken abgekommen ist und wir nichts mehr
bekommen oder es müssten gewisse Gründe vorliegen und haben wir
mithin auch Gründe genug, um Anspruch auf die Löhnung zu erheben
und das werden wir morgen machen, nämlich einen Freund von mir von
Welkenraedt, welcher hier auf dem Büro ist, wird das für mich an den
Bürgermeister von Baelen einreichen, denn es ist bloss bis 20. dieses
Monats Zeit und muss sich an den Bürgermeister seines Geburtsortes (!)
gewendet werden. Mithin wäre es denn auch gut, wenn einer von euch
44
mal hingehen würde um eine mündliche Erklärung abzugeben. Anders
weiss ich nicht viel Neues von hier zu berichten, als dass unser Offizier
gestern beim Exerzieren sagte, der Deutsche ist der Beste in meiner
Kompanie und dass hier noch immer das schönste Wetter ist, wo ihr
von Zuhause schreibt, dass es so nass und kalt wäre, es hat überhaupt
blos einen Tag geregnet, seitdem ich hier bin und brauchten wir den Tag
überhaupt nichts zu machen. Ihr werdet jetzt wohl den neuen Knecht
von Luxemburg da haben und seid ihr dann gut bedient. Als ich diese
Zeilen schreibe, erhalte ich gerade eine Karte und sehe die Neuigkeiten
von zuhause und bin froh, dass ihr noch einen kleinen Knecht gemietet
habt, denn da habe ich auch einen Laufburschen, um Pakete nach Wel-
kenraedt zu bringen. Ä
Nun muss ich schliessen, da jrade Mittag geblasen wird und ich mei-
ne Suppe holen muss.
In Erwartung, dass dieser Brief euch so gesund und munter antrifft,
wie er mich verlässt, seid alle recht herzlich gegrüsst von Stephan.
Stephan hat offenbar Probleme mit der Auszahlung seines Soldes. Es ü
scheint sich um eine Zulage zum normalen Sold in Höhe von 1 F pro Tag
zu handeln, die in gewissen begründeten Fällen gezahlt wurde. Leider
werden diese Gründe (familiärer Art?) nicht angeführt, doch Stephan
ist überzeugt, dass ihm diese Zulage zustehe. Mit Unterstützung eines
aus Welkenraedt stammenden Kameraden in der Schreibstube kündigt
er an, sich an den Bürgermeister seines Geburtsortes Baelen zu wenden
und bittet seine Mutter, ihn ihrerseits von der Heimat aus zu unterstüt-
zen.
Stolz berichtet Stephan, dass er gestern von seinen Vorgesetzten ge-
lobt wurde. Bemerkenswerterweise bezeichnet ihn dieser als „der Deut-
sche“ in der Kompagnie! Mit Genugtuung kommentiert er die Nachricht
von der Einstellung eines neuen Knechts (aus Luxemburg), der ihm als
Laufbursche dienen und nunmehr Mutters Pakete von Welkenraedt aus
zustellen kann..
Liebe Mutter Beverlo, den 16.11.1913
Quittiere hiermit dankend euer Paket richtig erhalten zu haben und
habe ich schon wieder eine neue Sendung. Hatten gestern große Feier
vom Namenstag unseres Königs hier und hatten wir Samstagmorgen
mit 22 Bataillonen sämtliche Soldaten von Beverlo Besichtigung vom
General und nachher Parade und dann heisst es gescheuert und aufge-
45
passt. Der Nachmittag war frei und hatten wir dann zwei Fässer frei Bier
und zwei Zigarren zu vertilgen. Das Essen war auch viel besser. Es ist
aber alles ganz gut verlaufen, denn nachher wurden sämtliche Jungen
von unserem Bataillon, welche Strafen zu verbüssen hatten, frei gelas-
sen, weil wir es so schön gemacht hatten. Erhielten auch vorgestern
Bescheid, dass wir erst am 15. Dezember nach Antwerpen kommen,
nicht wie ich meinte am 22. November, und das ist verdammt schlecht,
denn hier ist es diesen Winter kalt in der Einöde und wird es jetzt alle
Tage schlechter hier. Bis jetzt ist noch immer schönes Wetter hier, als
das es bloss jetzt ein Paar Tage nass und kalt gewesen ist. Anders weiss
ich nicht viel Neues von hier zu berichten und muss ich schliessen, da
wir uns bald ins Bett legen müssen.
In Erwartung dass dieser Brief euch so gesund und munter antrifft
wie er mich verlässt, seid alle recht Herzlich gegrüßt von deinem Sohn
Stephan.
Anlässlich des Namensfestes von König Albert (15. November) gab
es im Regiment eine erfreulich schöne Feier. Schlecht hingegen kom-
mentiert er die Nachricht, dass er erst am 15. Dezember nach Antwer-
pen verlegt werde und nicht schon am 22. November. Ja, der Aufenthalt
in Beverlo muss ihm nicht behagt haben.
Liebe Mutter! Beverlo, den 3.12.1913
Quittiere hiermit dankend den Empfang eures Paketes und dürft ihr
alle Wochens so’ne Sendung schicken. Habe jetzt alle Tage sehr stren-
gen Dienst hier, aber blos mehr bis zum 15. Dezember und dann kom-
men wir wieder nach Antwerpen und ist hier alle Tage schönes Wetter,
wo ihr von zuhause schreibt, dass es sehr regnerisch wäre und ihr schon
die Kühe auf dem Stall hättet. Habe diese Woche auch schon wieder 9
Tage Urlaub bekommen von unserem Kommandanten für Weihnach-
ten bekommen und haben wir am Dienstag einen neuen Kommandant
bekommen und ist der alte versetzt worden, denn bei ihm hatte ich es
immer sehr gut stehen und neue Bessen kehren gut. Als allerneuestes
muss ich berichten, dass mein Portmone auch ziemlich leer an wird und
möchte ich bitten, wenn ihr Geld schickt, dass ihr etwas mehr schickt,
da ich mich gern für Weihnachten eine eigene Hose kaufte, denn hier
sind jetzt schon viele, welche ganz eigene Uniformen haben und fast
alle eigene Hosen und kosten die was von 18 bis 20 Franken und müsste
ich doch um Weihnachten in Soldatenkleidung ausgehen, wenn die Sol-
daten allemal zu Hause sind und sind das viel schönere Hosen als wir
die vom Militär haben.
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Anders weiss ich nicht viel neues von hier zu berichten, als dass wir
am 15. Dezember schon drei Monate umhaben und dann es abzählt.
Nun muss ich schließen in der Erwartung, dass dieser Brief euch so
gesund und munter antrifft wie er mir verlässt, seid alle recht herzlich
gegrüsst von deinem Sohn Stephan.
Für Dezember sind dem Stephan 9 Tage Urlaub angekündigt worden.
Diesen Heimattermin möchte er in schicker Kleidung (neuer Hose) an-
treten, die er sich jedoch kaufen (!) muss. Dazu benötigt er dringend 18
bis 20 Franken.
Liebe Mutter! Beverlo, den 10.12.1913
Habe soeben euer Paket erhalten und zu meinem großen Schrecken:
ersehen, dass die Blechdose leer war von wo ihr schribt, dass 40 Fran-
ken Inhalt in wären. Da ich nun denke, dass ihr es vielleicht noch ver-
gessen wärt, das Geld in das Paket zu legen, schreibt mir bitte auf das
schleunigste Antwort, da ich jetzt keine Ruhe mehr habe. Anders war
das Paket noch unverlässt (unverletzt). Anders bin ich noch gesund und
munter mit den herzlichsten Grüßen an allen von Stephan.
In Erwartung dass ihr es vergessen habt drin zu legen. In Eile.
Ein dringender Alarmbrief, denn die im Begleitschreiben der Mutter
angekündigten 40 Franken fanden sich nicht in der Blechdose. Stephan
vermutet hier eine Vergesslichkeit seiner Mutter und bittet um schnelle
Klärung der Frage. Ich frage mich, ob da nicht jemand bei der Post
oder auf der Schreibstube „klebrige Finger“ hatte.
Vermutlich hat Stephan seinen Heimaturlaub antreten können, denn
das nächste Schreiben datiert vom 20. Januar 1914.
Liebe Mutter! Berchem, den 20.1.1914
Quittiere hiermit dankend den Empfang eures Paketes richtig erhal-
ten zu haben und war das eine ganz schöne Sendung. Hatte aber auch
meinen ganzen Vorrat ziemlich beieinander und habe ich den Hasen
sofort aufgegessen, da ihr meintet, er hielte sich nicht bei mir.
Bin gerade von der Wache abgekommen und ist das schon das zweite
Mal nach Neujahr und ist das für das Schlimmste des Nachts 4 Stun-
den unter freiem Himmel verbringen und bei Tag auch 4. Anders haben
wir hier immer viel Schlaumanns Dienst wie in Beverlo. Ist jetzt auch
alle Tage ziemlich kalt hier und dragen (= tragen) zeit (= seit) vorige
Woche die Wasseren hier und müsstet ihr hier mal einen Sport sehen,
47
hunderte groß und klein den ganzen Tag auf dem Eis. Habe schon ein
Stück oder 15 deutsche Kameraden hier von Montzen, Kapell, Kelmis
und Baelen und treffe ich den Thissens von Baelen auch alle Sonntage
in der Kirche und bleiben wir dann den ganzen Tag zusammen und ist
hier in Antwerpen Zeitvertreib genug zu finden. Habe eure Karte von
Antonius auch erhalten und ersehe, dass eine nette Sippschaft zusam-
men war. (Habe aus euren Brief ersehen, dass um Fastnacht ein grosses
Fest in Walhorn ist und werde ich zu Fuss von Antwerpen herüber kom-
men, denn etwas Schönes sehe ich für mein Leben gern, da man hier
in Antwerpen nichts gewöhnt ist. Denke, dass ich dann eine Einladung
erhalten werde.
Andere Neuigkeiten weiss ich für heute keine, als dass hier schon
allgemein gesagt wird, wir brauchten bloss 8 Monate mehr zu. dienen
und sollten wir drei Monate eher abgehen, weil die Rekruten schon im
Mai eintreten und dann alles überfüllt ist.
Nun zum Schluss seit alle herzlich gegrüsst in Erwartung, dass dieser
Brief euch so gesund und munter vorfindet wie er mir verlässt mit den
besten Grüssen von Stephan.
In Eile, denn ich habe Schlaf und gehe sofort schlafen, da ich die
vorige Nacht die Wache war Und das sind blos Bretter, wo man sich
auflegen kann, wenn man frei ist.
Stephan ist zwischenzeitlich nach vier Monaten vom Ausbildungsla-
ger Beverlo nach Berchem bei Antwerpen verlegt worden, der Garnison
des ihm zugedachten 6. Regiments de Ligne (6. Linienregiment). Zwar
erwähnt er diesen Wechsel mit keinem Wort, aber ab jetzt schreibt er
seine Briefe auf Briefbögen, die mit dem Regimentswappen geschmückt
sind.
Hocherfreut berichtet er seiner Mutter, dass allgemein gesagt wird
(Gerücht), dass die restliche Dienstzeit um drei auf acht Monate ver-
kürzt werden soll.
Die ursprüngliche Dauer der Milizpflicht betrug also 15 Monate.
Normalerweise hätte seine Demobilisierung also Ende Dezember 1914
erfolgen sollen. Jetzt macht Stephan sich Hoffnung, schon Ende Sep-
tember in das Zivilleben entlassen zu werden.
Allerdings, wie gesagt, Stephan berichtet von einem Gerücht.
Wir wissen heute, dass es Schließlich ganz anders kam. (Trotzdem,
auch ich kenne die moralstützende Wirkung solcher Gerüchte aus mei-
ner eigenen Dienstzeit im hochdramatischen Jahr 1962 und stelle mir
die Frage, ob solche Gerüchte nicht gezielt von höherer Warte aus in
die Welt gesetzt werden).
48
Angesichts der Tatsache, dass nur wenige Monate später der Erste
Weltkrieg ausbrechen sollte, stellt sich mir die Frage, in wieweit das
belgische Oberkommando im Januar 1914 schon hinsichtlich der dro-
henden Ereignisse informiert gewesen sein könnte.
Bemerkenswert ist auch, dass Stephan zu berichten weiß, dass die
neuen Rekruten schon im Mai (!) einrücken - und die Kasernen bald
überfüllt sein werden.
Wenn also der neue Rekrutenjahrgang bereits für den Mai einberu-
fen wird und folglich vier Monate später, also Ende September, als voll
einsatzfähig zu erwarten ist, scheint mir alles darauf hinzudeuten, dass
das belgische Oberkommando sich bereits zu Jahresbeginn 1914 auf
einen kriegerischen Waffengang im Herbst einstellte. N
Die ermutigenden Gerüchte und Latrinenparolen könnten also durch-
aus vom Offizierskorps gestreut worden sein, um die belgischen Landser
bei Laune zu halten.
Liebe Mutter! Berchem, den 5.2.1914
Quittiere hiermit dankend den Empfang eures Paketes richtig erhal-
ten zu haben und kam es gerade zur rechten Zeit, da ich gerade mei-
ne letzte Butter zwischen hatte und nun kann ich es gut aushalten bis
Fastnacht und fanden die Ohrlappen hier allgemeinen Beifall in meiner
Stube, denn so etwas hatten sie noch nicht gesehen und waren die über-
aus praktisch. Ich glaube aber, dass ich sie nicht viel mehr zu brauchen
brauch, da hier jetzt schon das schönste Wetter ist und schon alles bald
am grünen anfangt. War vorigen Sonntag schon zum dritten Mal die
Wache und geht das immer abgezählt per Kompagnie und bin ich sie
alle 12 bis 14 Tage einmal und ist das hier das Schlimmste, da wir an-
deres jetzt ein recht faules Tempo haben. Und haben wir jetzt Morgens
schon keine Lampen mehr nötig ein paar Tage, so lange können wir
schlafen.
Von dem Abkommen, welches ihr schribt binnen 1 Monat ist doch
nicht war; wie lange, dass wir eigentlich dienen müssen, 12 Monate
oder 15, weiss noch keiner genau. Wir waren diesen Nachmittag mit
unserem ganzen Bataillon nach dem Theater gewesen und wurde da das
Leben von Napoleon gespielt, welches sehr schön war.
Hat sich soeben vor einer Stunde hier ein Scharschant (= Sergeant)
in unserer Kaserne tot geschossen und so erlebt man hier alle Tage was
Neues. Andere Neuigkeiten weiß ich für heute keine. Wann ich um
Fastnacht in Urlaub kommen kann, weiß ich selbst noch nicht, da es
49
sein kann, dass unsere Kompagnie dann wieder Wacht stellen muss und
dann bekommen wir keinen Urlaub. Ich werde es nun doch bekommen.
Nun muss ich schließen in Erwartung, dass dieser Brief euch gesund
und munter antrifft wie er mir verlässt. Seid zum Schlusse alle recht
herzlich gegrüßt von Stephan.
Habe die Karte vom Kaisersgeburtstagsball erhalten und bestellet
viele Grüsse an Willy und fragt mal ob ich bald auf Hochzeit kommen
könnte.
Der gute Stephan bedankt sich bei seiner Mutter für die wärmen-
den Ohrlappen, die seinen Kameraden unbekannt waren und mit Bei-
fall quittiert wurden. Stephan ist jedoch zuversichtlich, diese nicht mehr
lange zu benötigen, denn der Frühling kündigt sich schon an. Für be-
merkenswert halte ich seinen Hinweis auf die vermehrten Wacheinsät-
ze. Zum Thema einer vorzeitigen Entlassung gibt es, außer Gerüchten,
nichts Neues. Selbst der von Stephan so herbei gesehnte Fastnachtsur-
laub ist fraglich.
Für bemerkenswert halte ich auch den kollektiven Theaterbesuch, wo
das Leben Napoleons inszeniert wurde. Für mich ein deutlicher Hin-
weis auf die Einstimmung künftigen Heldentums.
Bemerkenswert finde ich auch Stephans Information zur Selbsttötung
eines Sergeanten. Ahnte dieser arme Teufel das bevorstehende Greuel
oder war er sogar schon bestens über die drohende Gefahr informiert
und verlor deshalb die Nerven ?
Liebe Mutter !
Berchem, den 18.2.1914
Muss soeben die Feder zur Hand nehmen, um Euch einige Neuig-
keiten mitzuteilen. Als erstes muss ich berichten, dass ihr am Samstag
nicht auf mich zu zählen braucht, da ich nicht in Urlaub kommen kann,
weil wir am Montag wieder die Wache aufziehen müssen und am Sonn-
tag patroullieren gehen durch die Stadt. Hatte wohl 5 Tage Urlaub ge-
fragt, aber kein einziger hat sie bekommen und haben wir einen neuen
Kommandanten, welcher ein Schweinehund ist und muss jetzt jeder für
Urlaub zu bekommen einen Brief von zu Hause haben, welcher
vom Bürgermeister unterzeichnet ist. Falls ich nun um Ostern in Urlaub
kommen soll, müsst ihr einen Brief an mich schreiben, welchen ihr vom
Bürgermeister stempeln lasst und ich gebe ihn dem Kommandanten.
Als zweites muss ich berichten, dass wir am 12. vom nächsten Monat
wieder nach Beverlo für einen Monat auf Schießübung gehen und wenn
50
wir dann von Beverlo zurück kommen, gehen wir für einen oder zwei
Monate nach Ostende, welches sehr schön ist, dann kriege ich Ostende
auch zu sehen. 3
Hatten vorige Woche eine Mobilmachung hier und mussten wir auf
einer Stunde kriegsmäßig verpackt auf dem Kasernenhof stehen und
dann noch eine halbe Stunde weit laufen und dann war der Krieg been-
det.
Andere Neuigkeiten weiß ich für heute keine als dass mein Porte-
monnaie auch ziemlich leer wird und ich eine Sendung haben müsste.
Falls ihr aber Geld schickt, schickt es wieder wie das letzte Mal mit der
Post nur nicht mehr in einem Paket, denn es hat auch hier noch zwei
andere Jungen so gegangen wie mir, dass ihnen Geld aus einem Paket,
gestohlen worden ist.
Nun muss ich schließen in Erwartung dass dieser Brief euch so gesund
und munter vorfindet wie er mir verlässt seid alle recht herzlich gegrüßt
und besonders auch den Haupt Mitgliedern der Jungfrauenkongr(eg)
ation von Stephan.
Nun, die Informationen bezüglich des drohenden Unheils könnten
deutlicher nicht sein.
Statt des zugesagten Urlaubs muss verstärkt Wache geschoben wer-
den. Auch der Osterurlaub ist gefährdet und, wenn überhaupt, nur
denkbar, wenn die Mutter sein Gesuch vom Baelener Bürgermeister
befürworten lassen kann. Ansonsten ist aufgeregte Betriebsamkeit zu
spüren. Schießübungen in Beverlo und Ostende.
Aber Stephan freut sich, endlich einmal das Meer zu Gesicht bekom-
men zu können.
Außerdem berichtet Stephan von einer einstündigen Mobilmachung,
„kriegsmäßig verpackt“, auf dem Kasernenhof.
Bitte kein Geld ins Fresspaket! Hier wird kontrolliert - und geklaut.
Liebe Mutter !
Beverlo, den 15.3.1914
Quittiere hiermit dankend den Empfang eures Pakets am Montag-
morgen richtig erhalten zu haben und waren die Eier und alles unver-
lässt (= unverletzt) jetzt sind sie schon zerbrochen, nachdem ich sie ei-
nen halben Tag habe. Habe jetzt schon 3 Tage in Beverlo herum und
bleiben wir bloss 28 Tage hier, haben es auch jetzt nicht so arg schlimm
hier, denn wir tun hier nichts anderes jetzt, als wieder den halben Tag
schießen und dann die andere Hälfte unsere Sachen ordnen.
51
Haben jetzt schon die 3 Tage tüchtig geschossen und bin ich bis heute
der beste Schütze in unserer Kompagnie. Musste gestern zuviel lachen
hier, denn ich kriegte 0,10 ctm von unserem Kommandanten, weil ich
so gut geschossen hatte, denn es war so schlechtes Wetter und die an-
deren schossen allemal schlecht und hatte ich ganz gut geschossen und
darum kriegte ich 0,10 cem. (centimes?) denn unser Kommandant ist
einer als wenn er nicht richtig gescheit wäre, denn der weiß oft nicht
was er sagt, arg schlimm ist er doch nicht, denn ich habe es ganz gut
bei ihm stehen. Und denke ich, dass ich mich verschiedene Preise hier
heraus schießen werde.
Und sagte unser Kommandant gestern, dass ich am Preisschießen
vom Regiment müsste teilnehmen, falls ich so gut schießen bleibe und
werde dafür blos einen oder zwei besten Schützen von jeder Kompagnie
ausgestellt und ist da der Preis 50 Franken und ein Diplom.
Und ist das hier die Hauptsache hier das Schießen.
Nun das allerschlimmste haben wir hier vom 31. bis zum 9., denn
dann haben wir die 9 Tage kleine Manöver und kommen dann die alten
von 3 Jahrgängen von 1910, 1911 und die wieder von 1912 für 14 Tage
ein und wird das dann ein Sport werden.
Als zweites schreibt ihr von dem Schreiben an unserem Komman-
danten für Urlaub, das braucht noch kurz vor Ostern zu geschehen und
werde ich das dann näher schreiben. Werde unseren Kommandanten,
falls er gut gesinnt ist, fragen, ob ihr das Schreiben nicht nötig habt. Nun
muss ich schließen, da ich noch mein Gewehr ein bisschen putzen muss,
denn morgen geht wieder das Knallen los und habe ich den Spass dran.
Nun zum Schluss die herzlichsten Grüße an euch allen in Erwartung,
dass dieser Brief euch so gesund und munter antrifft wie er mir verlässt
seid herzlich gegrüsst von Stephan.
Es ist erschreckend zu lesen, wie naiv der gute Stephan ist.
Stolz berichtet er von seinen Schießleistungen. Sogar Prämie und
Diplom werden in Aussicht gestellt. Als schlimm bezeichnet er die Wie-
dereinberufung dreier alter Jahrgänge. Das „soll ein Sport“ werden
und am ‚, Knallen „ hat er Spass.
Ich glaube hier Sarkasmus zu erkennen und denke, dass Stephan all-
möählich zu ahnen beginnt, wohin die Reise geht.
Liebe Mutter
Berchem, den 9.5.1914
Quittiere hiermit dankend den Empfang eures Paketes am Freitag-
abend erhalten zu haben und muss ich fragen, ob ihr diesmal keinen
32
Brief drin gelegt hattet, denn dass bin ich immer gewöhnt, einen Brief
drin zu finden und jetzt war keiner drin, denn da such ich immer es ers-
tes nach, anders konnte ich nicht sehen, dass irgendetwas drauss gewe-
sen wäre und da ich die drei Wochen noch nichts von euch gehört hatte,
denke ich doch sicher, dass ihr da einen Brief gelegt hattet.
Ich habe noch immer ein sehr faules Leben hier, denn ich bin bis
heute bloss 4 Stunden mit zum Exerzieren gegangen, auch dass ich
nochmals wollte mitgehen vor dem, dass ich aus Urlaub zurück bin und
mache ich jetzt bald wass ich will hier. Die anderen haben auch nichts
zu lagen (= lachen) hier, als einen Tag wie den anderen große Märsche
von 35 bis 40 km und dann war es schon die vorige Woche, dass es
schon sehr warm hier war und dann sah man sie oft heran gestürren -
(gestürmt) kommen.
Nun muss ich mal fragen, wie sieht es jetzt mit dem Pfanni (Fanny,
Pferd ) aus, ich denke wohl, dass er jetzt wohl wird bald wieder her-
gestellt sein? Dass er für diesen Sommer nur gut in Schuss ist. Und
mit dem Heu, ob ich noch nicht bald in Heuurlaub brauch zu kommen,
könnte mit Pfingsten auch wahrscheinlich für 2 oder 3 Tage in Urlaub
kommen, aber ich glaube nicht, dass ich kommen werde, denn auf
Pfingsten werdet ihr doch bald im Heu anfangen und nehme ich dann
den Urlaub in einem und habe ich jetzt wieder ein ordentliches Paket
und kann ich es wieder gut aushalten mit viel zu schlafen gut zu es-
sen und ein bisschen arbeiten. Hätte vorige Woche können für vierzehn
Tage bei unserem Kommandanten können gehen für eine Hecke um den
Garten abzusetzen, aber das konnte ich nicht, denn ich sagte, das hätte
ich noch nimmer gesehen, denn bei uns wäre alles Land ohne Hecken
und muss man nur schlau sein hier, da behält man es auch schlau.
Nun muss ich schließen. Zum Schluss die herzlichsten Grüsse an
euch alle in Erwartung, dass dieser Brief euch so gesund und munter
antrifft wie er mir verlässt seid herzlichst gegrüsst von Stephan. In Eile
Stephan vermisst den üblichen Brief seiner Mutter im erhaltenen Pa-
ket mit Essware.
Da ich nicht davon ausgehe, dass die Mutter dieses ihm so wichtige
Schreiben vergessen haben könnte, komme ich zu der Vermutung, dass
dieser Brief der Zensur zum Opfer fiel. Schließlich darf man nicht außer
Acht lassen, dass dieser Brief von Walhorn (Preußen) aus abgeschickt
wurde. Ich halte es für denkbar, dass die Mutter von Einzelheiten aus
Preußischer Sicht berichtete, die nach Meinung der belgischen Zensur
einem belgischen Soldaten besser vorenthalten werden sollten. Lustig
53
finde ich, wie Stephan sich davor drückt, dem Kommandanten die He-
cke zu stutzen. IE
Liebe Schwester!
Berchem, den 3.6.1914
Habe soeben deinen komischen Brief erhalten und habe ihn drei mal
lesen müssen, da ich es mit zweimal bald noch nicht glaubte. Ich meine
nun, dass irgendwo anders ein Hund schon mal ein bisschen gebellt hät-
te oder ist dass die Wirkung der Kongre(g)ation. Nun jeder muss wissen
was er tut. Und schaff dir später einen neuen Esel an und reite weiter, da
ich auch noch eine Eselin haben muss.
Andere große Neuigkeiten weiss ich von hier noch keine zu berich-
ten.
War Samstagabend wohl noch am Bahnhof gewesen und dachte,
dass sie vielleicht noch wären herüber gekommen und wäre es dann
dumm gewesen, wenn ich nicht wäre da gewesen, da ich doch nichts
zu machen hatte. Hubert Pelzer schrieb mir auch vorige Woche, dass er
von Brüssel wäre zurück gekommen und meinte, dass er wahrscheinlich
auch noch dienen müsste.
Kann sein, dass ich Sonntag nach Brüssel fahre den Alfons besuchen,
um zu sehen, wie es da bei dem aussieht und kriege ich Brüssel dann
auch zu sehen.
Sonst noch alles gesund und munter was ich auch von euch hoffe,
schließe ich mit den besten Grüßen an euch alle von deinem Bruder
Stephan.
Stephan erhielt offenbar zwischenzeitlich einen „komischen“ Brief
von seiner Schwester, dessen Aussage er offenbar nicht so richtig deu-
ten kann und den er deshalb „komisch“ findet. Meiner Meinung nach
wird deutlich, dass seiner Schwester der Verehrer abhanden gekommen
ist und Gertrud einfach Liebeskummer hat. Stephan rät ihr, sich einen
neuen Esel zu suchen und verweist darauf, dass er ja auch noch eine
Eselin zu suchen hat.
Dass Stephan im Brief an seine Schwester seine Freunde, die Brüder
Hubert und Alfons Pelzer, erwähnt, scheint mir, so gesehen, kein Zufall
zu sein.
Liebe Mutter
Berchem, den 12.6.1914
Quittiere hiermit dankend den Empfang eines Paketes richtig erhal-
ten zu haben und muss ich jetzt tüchtig essen, sonst krieg ich es nicht
54
auf, bevor ich in Urlaub komme, denn ich hatte noch einen Vorrat. Von
dem Brief, wo ihr von schriebt, werde ich dann auch in den ersten Tagen
senden und falls ihr dann anfragen wollt, schickt ihn mir dann nur. Ich
meine, wenn ich 21 Tage fragte wären genug, da, wenn Wetter ist, wir
das Heu doch dann bequem herein haben.
Hat(t)e sich vorige Woche wieder hier ein Unteroffizier von der 4.
Kompagnie in seinem Zimmer aufgehangen und wurde das Sauaas aber
gefunden und abgeschnitten ehe er kaputt war.
Unsere Kompagnie war diesen Vormittag zum ersten mal schwim-
men gewesen und habe ich mich halb krank gelagt (= gelacht) als sie
zurück kommen und sagten sie, sie wären halb versoffen und dann war
es noch ziemlich kalt und regnete es ein bisschen und sind jetzt noch am ,
Wasser ausspeien, so hatten sie gesoffen.
Werde jetzt am Sonntag wahrscheinlich nach Brüssel fahren, Alfons
besuchen, da ich vorige Woche schon wollte gefahren sein, wir aber
gerade die Wache waren und ich so nicht konnte und schrieb der Al-
fons mir, dass am Sonntag noch eine große Pferdeausstellung da wäre
und hätte er diese Woche schon Pferde von da gesehen und schrieb er,
dass er sohne (= solche) Tiere noch niemals gesehen hätte und wird
der König dann selbst die Preise austeilen. Andere große Neuigkeiten
weiss ich für heute kaum und schließe mit den besten Grüßen an alle in
Erwartung, dass dieser Brief euch so gesund und munter antrifft wie er
mir verlässt von deinem Sohn Stephan.
Stephan freut sich auf den nächsten Urlaub. Er beabsichtigt 21 Tage
zu beantragen, um zuhause bei der Heuernte mitarbeiten zu können.
Weiter schreibt er, dass sich vorige Woche erneut ein Unteroffizier
durch Erhängen das Leben habe nehmen wollen. Offenbar wurde er
äber so zeitig gefunden und abgeschnitten bevor er „kaput“ (!) war. Ich
frage mich, ob hier erneut Stephans Sarkasmus zum Ausdruck kam oder
seine tiefe (katholische) Verachtung der „Selbstmörder“ ?
Mir scheint das erneute Vorkommnis deutlich zu machen, dass die
Unteroffiziere, im Gegensatz zu den einfachen Wehrdienstpflichtigen, :
über einen Informationsvorsprung bezüglich der drohenden Kriegsge-
Jahr verfügten, und diesem Druck nicht standhalten konnten. Außerdem
war seine Kompagnie zum ersten Mal im kalten Wasser schwimmen,
was jedoch für etliche seiner Kameraden gesundheitliche Folgen ge-
habt hätte, weil sie halb „versoffen „ wären und anschließend Wasser
ausgespieen hätten, weil sie zuviel „gesoffen,, hätten. Beide Formulie-
rungen „versoffen“ und „gesoffen“ scheinen mir erneut den sarkasti-
schen Charakter von Stephan zu bestätigen.
55
Den vorgesehenen Besuch bei „Alfons“ in Brüssel, hatte er wegen
Wachdienst absagen müssen. Jetzt plant er diesen Besuch für den nächs-
ten Sonntag. Mit Alfons soll ein beeindruckender Pferdemarkt besucht
werden, bei welchem die Preisverteilung durch den König vorgenom-
men werden soll.
Liebe Mutter
Berchem, den 22.6.1914
Habe euren Brief erhalten und teile euch nun noch mit, dass noch
einiges gemacht werden muss, um 21 Tage Urlaub zu erhalten. Nämlich
dieses: Ihr geht zu dem Sekretär in Baelen, expliziert ihm die Sache,
dass ich zuhause nötig wäre und dann muss der euch ein Sädifikat (= Be-
scheinigung) machen und das muss gestempelt werden vom „Güstepä““
(= Juge de Paix = Friedensrichter) wahrscheinlich vom Gericht in Eupen
oder das wird der Sekretär euch dann sagen wo der Güstepä wahrschein-
lich von uns ist. Und ihr schickt mir dieses dann so bald als möglich ein.
Sonst noch alles gesund und munter mit den besten Grüßen an alle
von Stephan.
Also bei dem Sekretär in Baelen ein „Sädifikat“ (= Zertifikat, Be-
scheinigung) fragen und dem nach dem „Güstepä“ fragen und von dem
muss es gestempelt werden.
Die Sache mit dem 21-Tage-Urlaub klappt nicht.
Stephan beschreibt seiner Mutter, was sie seiner Meinung nach tun
sollte, um das Vorhaben zum Erfolg zu führen.
Liebe Mutter
Undatiert
Schicke euch hiermit das gemachte Schreiben für Heimaturlaub und
es ist für 21 Tage und schickt es, falls ihr denkt anzufangen, mir nur ein,
da es dann noch immer 8 bis 10 Tage dauert, wenn es schon hier ist,
ehe ich herrüber kommen kann, da das vom Kommandanten noch zum
Regimentskommandanten gehen muss und müsst ihr dennoch selbst das
Datum oben drauf setzen und dann noch stempeln vom Bürgermeister.
Mit den besten Wünschen von Stephan.
Stephan schickt der Mutter ein dringliches Kurzschreiben in Sachen
Urlaubsantrag und erklärt ihr, wie sie vorgehen soll. Dieses Schreiben
lässt deutlich erkennen, dass dem Stephan längst klar geworden ist,
dass „die Hütte brennt“ und ein Kriegsausbruch unmittelbar bevor-
steht. Stephan möchte sich mit Hilfe des Urlaubsgesuches für die Heu-
ernte unbedingt aus der „Schusslinie‘“ nehmen.
56
Davon ausgehend, dass dieser undatierte „Brandbrief“ zeitnah zu
dem Schreiben vom 22. Juni abgeschickt wurde, dürfte Stephan sich
ausgerechnet haben, dass er, einschließlich der üblichen Vorlaufzeit von
8 bis 10 Tagen, bei Gewährung des Urlaubsantrages, sich für die Dauer
des Monats August legal von der kriegsbedrohten Truppe würde entfer-
nen können.
Ich bin davon überzeugt, dass der Milizpflichtige Stephan nicht im
Geringsten daran interessiert gewesen sein dürfte, im bevorstehenden
Krieg zum „Helden“ zu werden. Ich bin vielmehr der Meinung, dass
er sich mit dem Urlaubsantrag im preußischen Walhorn in Sicherheit
bringen wollte. Wäre, womit er vermutlich rechnen konnte, der Krieg
während seines Heimaturlaubes ausgebrochen, dann wären die preu-
Bisch-belgischen Grenzen mit Sicherheit „dicht“ gewesen, sodass es
ihm unmöglich gewesen wäre, zu seinem Regiment zurückzukehren.
Doch sein Plan ging nicht auf, denn schon wenige Tage später wurde
am 28. Juni in Sarajewo der österreich-ungarische kaiserliche Thron-
folger, Erzherzog Franz Ferdinand, durch ein Attentat ermordet. Wir
alle haben gelernt, dass dieses Ereignis den Anlass zum Beginn des
ersten Weltkrieges bot. Stephans Briefe lassen jedoch erkennen, dass
das Attentat lediglich der Auslöser für einen Waffengang war, der sich
schon seit Jahresbeginn 1914 ankündigte.
Stephans Plan, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, war also
gescheitert, denn jetzt noch weiter auf eine Urlaubsgewährung zu hof-
fen, war illusorisch. Stephan sollte seine Mutter und sein Walhorn nicht
mehr wiedersehen.
Der Umstand, dass bis zum 28. September offenbar kein Brief mehr
Stephans Mutter erreicht hat, lässt auf hektische Aktivitäten in den bel-
gischen Kasernen schließen.
Liebe Mutter
Berchem, den 28.7.1914
Muss soeben die Feder zur Hand nehmen um euch in Eile nicht ganz
die erfreulichsten Worte mitzuteilen, da wir auch mit der Kriegserklä-
rung Serbiens und Österreichs so ziemlich auf kriegsmäßigen Füßen
stehen, seit gestern abend. Stehen nämlich seid diesem Morgen so ziem-
lich bereit zum Abrücken und warten wir blos auf Bescheid, ob guter
oder schlechter kommt, weiß Gott. Und falls wir ausrücken müssen,
sind wir auf Zeit von 6 Stunden unten an der französischen Grenze bei
Arlon. Und brauchen wir blos die Grenze zu befestigen.
57,
Nun, wir wollen das Beste hoffen und als das Schlimmste kommt,
dann in Gottes Namen.
Und heißt es dann, der König rief und alle kammen. Und dann macht
euch blos keine Unruhe über mich, was so viele Tausende und Milli-
onen mitmachen, werde ich auch sicher mitmachen können, es kommt
wie es kommt, ein echter Vaterlandsverteidiger darf selbst den Tod im
Feld nicht fürchten.
Nun liebe Angehörigen muss ich schließen und dann macht euch blos
keine Unruhe über mich, es fehlt mir nichts und falls ich etwas Neues
vernehmen werde, werde ich euch sofort Antwort schreiben.
Nun zum Schlusse die ganz liebsten Grüsse an alle von deinem Sohn
Stephan.
Schreibt mal bitte gleich Antwort, wie es in Deutschland mit den
Kriegsverhältnissen aussieht. Hörte soeben am Schluss dieses Briefes,
dass wenn wir ausrücken müssen, wir nicht an der französischen Gren-
ze, sondern an der deutschen Grenze hinter Verviers zu liegen kämen.
Nun zum Schluss nochmals die besten Grüße an alle von Stephan.
Stephans letzte Hoffnungen schwinden.
Über seine Mutter hofft er zu erfahren, wie es in Deutschland mit den
Kriegsverhältnissen aussieht. Ob er diesbezüglich letztlich verwertbare
Informationen erhalten hat, ist unbekannt.
Liebe Mutter
Berchem, den 30.7.1914
Quittiere hiermit dankend den Empfang eures Paketes und es ist gera-
de nicht zu verwerfen, da man bei den Soldaten immer sehr gern Wurst
hat. Werdet jetzt wohl auch meinen Brief erhalten haben und glaube
ich sicher, dass von der ganzen Geschichte nichts geben wird, da wie
es scheint jetzt bald Ruhe auf dem Balkan ist, denn seid diesen Morgen
ist alles ziemlich still hier. Es war schon seit vorigen Tagen hier alles
in solcher Bewegung und hätte ich es auch schon eher schreiben kön-
nen, aber ich dachte, du schreibst nicht eher als es nötig ist, da die zu
Haus denn doch mehr Unruhe davon haben, als wie ich, denn ich hätte
schon gewollt, dass sie sich mal ordentlich mit den Köpfen gekriegt
hätten, dann hätten sie auch noch Belgien kennen gelernt, dass es hier
schon nicht ganz gut mehr aussieht, seht ihr schon daran, dass schon seit
Dienstagabend die alten von drei Jahrgängen eingerufen und hier waren
und war schon der ganze Schwindel, welchen wir haben, eingepackt
58
und auf Kammer war und brauchten wir blos umzuschnallen und dann
weg. So standen wir bereit hier. Und wir sind auch ziemlich eingepackt,
denn in einer Stube, wo anders 16 Mann liegen, liegen jetzt 38 und
dann die Bettes sind selbstverständlich weg nur im Besitze eines Herren
Strohsackes und einer Decke und liegen wir wie die Hühner auf ner Re-
cke aber geh (= je) mehr, dass wir mitgelassen werden, geh mehr Spass
haben wir, denn es ist ein Sport hier mit den alten, das ist großartig.
Wenn irgendein Unteroffizier in die Stube herein kommt, wird gefragt,
ob sie den Strohsack oder die Decke auch noch wollen und dann sagen
sie, das Fleisch von unseren Knochen können sie haben, aber die Kno-
chen bekommen sie nicht.
Von der (Walhorner) Kirmeseinladung werde ich wohl jetzt keinen’
Gebrauch machen können, wenn es auch schon still bleibt, denn dann
wird dennoch nicht so schnell nachher Urlaub gegeben werden, denn
wenn, das aber nicht vorviel (=vorfiel), dann kommt der Stephan aber
wohl herüber, denn dass war schon geplant, denn wir haben hier noch
einen Monat Urlaub beigesetzt für diejenigen, welche guten Dienst ge-
tan haben und habe ich noch 21 Tage zu bekommen mit dass ich die-
sen Sommer die 15 Tage gehabt habe. Ist auch hier jetzt seit 8 Tagen
nur recht regnerisches und kaltes Wetter, wie ihr auch von zu Hause
schreibt.
Nun, andere grossen Neuigkeiten weiss ich für heute keine und
schließe in der Erwartung, dass dieser Brief euch gesund und munter
antrifft wie er mir verlässt und zum Schlusse seid alle gegrüßt von dei-
nem Sohn Stephan
Dies ist Stephans letzter Brief an seine Mutter.
Deutlich sind die Widersprüche zwischen Hoffen und Bangen zu spü-
ren. Resigniert stellt er fest, dass er, trotz Urlaubsanspruch, von der
Einladung zur Walhorner Kirmes wohl keinen Gebrauch mehr wird
machen können. Wie es scheint, sind ihm vor Ort aber einige Tage der
Ruhe vergönnt gewesen.
Es waren dann wohl Tage der Ruhe vor dem Sturm.
ck
Der Erste Weltkrieg begann für Stephans Heimat dann sogar noch vor
der Walhorner Kirmes und zwar mit dem Durchzug deutscher Truppen
in Richtung Belgien am 4. August. Von den folgenden dramatischen
Ereignissen in der Heimat hat Stephan vermutlich keine Kenntnis mehr
bekommen, denn sehr bald sickert in Walhorn durch, dass Stephan seit
59
der Schlacht bei Put Kapel (Gem. Wilsele b. Löwen) vom 12. Septem-
ber 1914 vermisst werde.
Wie Stephan den Tod fand
Das Startzeichen zum Ersten Weltkrieg war bekanntlich das tödliche
Attentat von Sarajewo am 28. Juni 1914.
In der Folge überschritten die deutschen Truppen die Grenzen Belgi-
ens, das bis dahin seine Neutralität gewahrt hatte. Am 7. August ergab
sich die Festungsstadt Lüttich.
Selbst der vorgelagerte Festungsgürtel unter dem Befehl des Gene-
rals Leman, der sein Hauptquartier in der Festung Loncin aufgeschla-
gen hatte, konnte dem weiteren Vormarsch der Invasionstruppen nur
eine kurze Zeit (eine Woche) widerstehen. Diese kurze Zeit genügte
jedoch den belgischen Truppen, sich bis hinter die Gete zurückzuziehen
und sich dort neu aufzustellen.
Am 12. August 1914 stellten sie sich -leider vergeblich und unter
großen Verlusten- den deutschen Truppen in der Schlacht der „Sil-
bernen Helme“ bei Halen. Nach weiteren Schlachten bei Houtem und
Aarschot sowie der Besetzung Brüssels am 20. August zogen sich die
belgischen Truppen zur Verteidigung Antwerpens weiter zurück.
Die Kaiserlichen marschierten aber nicht in Richtung Antwerpen,
sondern schwenkten nach Süden in Richtung Paris, wo nun die alliier-
ten Truppen der Franzosen und Briten unter Druck gerieten. Um diese
zu entlasten, starteten die Belgier nun von der Festung Antwerpen aus
einen Gegenangriff .
Am 25. und 26. August 1914 griffen sie mit Erfolg die völlig über-
raschte Flanke der deutschen Truppen an. Es gelang ihnen sogar, bis
einige Kilometer vor Brüssel vorzudringen, wo sie sich verschanzten.
Als die Deutschen dann zum Großangriff an der Marne ansetzten, wag-
ten die belgischen Truppen vom 9. bis 13. September 1914 unter dem
Oberkommando von König Albert I. von Aarschot aus einen zweiten
Gegenangriff. Dies war jene Schlacht, in welcher auch mein Großonkel
Stephan Janclaes am 12. September 1914 zwischen Putkapel und Wil-
sele den Tod fand.
Die Einzelheiten:
Am 10. September 1914 waren die Belgier via Rotselaer bis Wijg-
maal durchgedrungen. Weil sie davon ausgingen, dass die dort gelege-
60
nen Remy-Fabriken von den deutschen Truppen besetzt waren und die
Fabriktürme von den Deutschen als Ausguck benutzt wurden, nahmen
sie diese Fabrik von Wilsele und Putkapel aus unter Artilleriebeschuss.
Dieser Fabrikkomplex musste unbedingt eingenommen und die Brü-
cke über den vorbei fließenden Bach besetzt werden. Dieser mörderi-
sche Kampf ging, wie schon gesagt, als „die Schlacht an der Mühle von
Rotselaer“ in die belgische Geschichte des 1. Weltkrieges ein.
Das auf der folgenden Karte erkennbare Schlachtfeld mit der Mühle
(Molen) südwestlich von Rotselaer als Zentrum weist einen Durchmes-
ser von etwa 2000 m auf.
Die Belgier rückten mit drei Angriffsspitzen vor: in die Richtung
der Wijgmaal-Brücke, von Wakkerzeel in Richtung Wijgmaaldries und *
Vaartbrücke (via Walenstraat) sowie über den Weg nach Wijgmaal via
Rotselaer-Mühle.
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( 4 1125
‚Achterheide Lozenhoek
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2/111/5010.00)
Dries ‚D Jezuictenhoeve
0 km
wügmaat|
Skizze des Schlachtfeldes bei der Mühle von Rotselaar
62 3
1935 wurde in Rotselaer, in der Nähe der Brücke über die Dyle, zur
Erinnerung an die Schlacht bei der Mühle ein Denkmal errichtet, wel-
ches in flämischer und französischer Sprache folgende Inschrift trägt:
„Sie waren 300 des 5. und 25. Linienregiments sowie Maschinenge-
wehrschützen der 5. Brigade, die am Morgen des 12. September 1914
fielen.“
Am folgenden 13. September 1914 zog sich das dezimierte belgische
Heer, ohne den Verlauf des Ersten Weltkrieges nennenswert beeinflusst
zu haben, in die Stellungen bei Antwerpen zurück.
Erst im Jahre 1921 wurde der Tod des Soldaten Stephan Janclaes
offiziell bestätigt. Er war 20 Jahre alt geworden.
7 @ SET Am 3.4.1923 wurde die Mutter,
6 S SS ARE ‘| durch das Kriegsministerium be-
LE nachrichtigt, dass der Bürgermeis-
E ZR K ter (von Baelen) ihr in Kürze die
| KA persönlichen Gegenstände ihres für
4 ‚das Vaterland gefallenen Sohnes
|! überbringen werde.
| Am 26. Januar 1924 wurde der
Mutter durch den Landesverteidi-
gungsminister mitgeteilt, dass ih-
rem Sohn am 5. September 1921
8 posthum in Anerkennung seines
A ‘_ Einsatzes für das Vaterland das
A ) Ritterkreuz Nr. 9890 des Ordens
A Leopold II. und das Kriegskreuz
106 AM verliehen worden seien. Sie werde
RU ® = rückwirkend für ihren Sohn eine
SEES En Gefallenenrente in Höhe von 800 F
eines Soldaten des 6. Linienregiments Jährlich erhalten.
Am 27. Oktober 1924 wurde der
Mutter mitgeteilt, dass die sterblichen Überreste ihres Sohnes Stephan
Janclaes auf dem Soldtatenfriedhof von Velthem-Beyssem bei Löwen
(heute Teil der Großgemeinde Herent) beigesetzt wurden, wo sein Grab
bis heute erhalten blieb. Mitte der 50er Jahre hat mir mein Vater das
Grab (Nr. 678) gezeigt. Der Friedhof machte damals einen vernachläs-
sigten Eindruck, wurde aber im Jahre 2001 umfassend renoviert.
63
TR . =.
>
A LA m DE
Der Militärfriedhof von Velthem-Beissem
ER Fa ;
8 BR A
A
& A
Rn ke
Das Grab des gefallenen Soldaten Janclaes auf dem Ehrenfriedhof in
Velthem-Beissem (Gem. Herent).
64
Uber die Rechte und Pflichten
eines Dorfschullehrers
im 19. Jahrhundert
von Alfred Bertha
Wenn auch die Schulpflicht in den preußischen Provinzen erst 1825
eingeführt wurde (womit Preußen auf schulischem Gebiet eine Vorrei-
terrolle einnahm) darf man doch nicht daraus schließen, dass bis da-
hin nirgendwo Schulen bestanden hätten. In Walhorn sind schon 1625
zwei Lehrer tätig und eine Schulstiftung des Herrn von Walhorn, Arnold .
Schuyl, aus demselben Jahre gab dieser Dorfschule eine gesicherte fi-
nanzielle Grundlage. Aus den Kapitelsprotokollen des Aachener Mari-
enstiftes ersehen wir, dass auch von kirchlicher Seite schon früh Bemü-
hungen unternommen wurden, Dorfschulen zu errichten. So vermerken
diese Protokolle unter dem 26.6.1576, das Kapitel habe einen Kanoni-
ker ernannt, der sich um die Errichtung von Schulen in Gemmenich und
Orsbach kümmern solle.
Die Walhorner Schule war eine Einrichtung, die allen Kindern der
gesamten Bank Walhorn zugänglich war. Besucht wurde sie jedoch nur
von den wenigsten. Die Eltern verzichteten nicht gerne auf die Arbeits-
kraft ihrer Kinder, sahen wohl auch selten das „Wozu“ einer soliden
Schulbildung.
Wenn dennoch erstaunlich viele junge Leute aus dem Walhorner
Land durch glänzende Hochschulstudien und eine beachtliche Karriere
ihren Namen in die Geschichtsbücher eingeschrieben haben, so ist das
wohl in den meisten Fällen dem Einfluss des Dorfpfarrers oder dem
Beispiel eines geistlichen Onkels zu verdanken...
Fast in allen Dörfern der Bank Walhorn entstanden die ersten Volks-
schulen schon im 17.—18. Jahrhundert und meist wurde der Küster oder
der Kaplan mit dem Unterricht der Dorfjugend betraut.
Wie Viktor Gielen schreibt, ist der erste in Raeren erwähnte Schul-
lehrer der Küster Martin Laschet, der von 1650 bis 1690 als Lehrer fun-
gierte.
Aus dem Jahre 1704 liegt der Anstellungsvertrag eines Kaplans vor.
Die Gemeinde sieht ihren Pfarrer Aegidius Momber durch zwei Sonn-
tagsmessen und zwei Predigten körperlich überlastet und fürchtet für
dessen Gesundheit. Deshalb beschließen die Gemeindevertreter, einen
65
Frühmessner anzustellen. Dieser solle an Sonn- und Feiertagen die
Frühmesse halten und außerdem die Dorfschule übernehmen. Die ent-
sprechende Passage in dem in brabantischer Sprache verfassten Anstel-
lungsvertrag zwischen dem Frühmessner (Kaplan) Laurentius Emonts
und der Gemeinde lautet: „Er soll an allen Sonn- und Feiertagen die
Frühmesse halten. Ferner soll er die Gemeindeschule führen. Dort soll
er die Kinder unterrichten, wie es sich für einen frommen und vorbildli-
chen Geistlichen geziemt, sowohl im Lesen als auch im Schreiben und
auch in der Furcht des Herrn. Er muss dies selbst tun oder sich durch
einen fähigen Hilfslehrer vertreten lassen...“
Lesen, Schreiben und Religion sind also die einzigen Fächer auf dem
Schulplan. Rechnen, Geschichte, Erdkunde, Naturkunde etc. sind noch
unbekannte Begriffe. In anderen Anstellungsverträgen der vorfranzösi-
schen Zeit, so in Hergenrath, ist das Schulgeld unterschiedlich hoch, je
nachdem, ob ein Kind nur lesen lernt oder ob zusätzlich das Schreiben
auf seinem Lernplan steht.
Der Schulkaplan Emonts ist auch der französischen Sprache mächtig
und er verpflichtet sich, auf Wunsch auch Französisch zu unterrichten,
„für den Fall, dass einige Französisch lernen wollen“. Da Laurentius
Emonts aus Raeren stammt, soll der Unterricht im Hause seiner Mutter
stattfinden, wie dies auch „unser seliger Küster Martin Laschet getan
hat“.
Da Raeren und Neudorf nicht mit Gütern gesegnet sind, kann der
Schulkaplan kein festes Gehalt erwarten. Die Bürger verpflichten sich
durch ihre Unterschrift, jährlich 15 Stüber bis 4 Schillinge als Entgelt
für den Schulkaplan zu zahlen, je nach Leistungsfähigkeit.
Aus späterer Zeit wissen wir, dass die Schule sich in Titfeld neben der
Kirche befand. Die Anstellung des Schulkaplans galt für die Dauer von
sechs Jahren und konnte dann erneuert werden.
Bis zur Franzosenzeit lag der Schulunterricht in den Händen des je-
weiligen Raerener Kaplans. Viktor Gielen, der selber Pfarrer von Rae-
ren war, fand im Pfarrarchiv einen weiteren Anstellungsvertrag mit ei-
nem Schulkaplan aus dem Jahre 1789. Am 12. Juli jenes Jahres war die
Dorfgemeinschaft in der Gemeindeschule versammelt, um nach dem
Tode des Schulkaplans Heinrich Cratz einen neuen Lehrer zu ernennen.
Es ist der aus Hoffeld (Luxemburg) stammende Johannes Gregorius
Reuter. Die Vertragsbedingungen sind im Protokollbuch der Gemein-
deversammlungen des Quartiers Neudorf festgehalten und umfassen
neun Punkte. Die beiden ersten Punkte umschreiben die seelsorglichen
Pflichten des Geistlichen, die anderen seine Aufgaben als Lehrer.
66
Letztere geben wir in Anlehnung an V. Gielen' wieder.
3. Er wird Schule halten. Im Winter (31. Oktober bis 31. März) von 8
bis 11 Uhr und von 1 bis 4 Uhr. Im Sommer von 7 bis 11 und von 1 bis
4 Uhr. Nur der Monat Oktober ist schulfrei.
4. Während der Unterrichtsstunden muss der Lehrer bei den Kin-
dern bleiben und dieselben vormittags einmal und nachmittags zweimal
„aufsagen lassen“. Hieraus ersieht man, dass dem Auswendiglernen viel
Bedeutung beigemessen wurde.
5. Zwischen St. Andreas (30. November) und Ostern muss der Lehrer
eine Hilfskraft einstellen, und zwar eine fähige Person, die die Kinder
im Lesen und Schreiben unterrichten kann. (Dies erklärt sich daraus,
dass die Zahl der die Schule besuchenden Kinder im Winter bedeutend >
höher liegt als im Sommer).
6. Jeden Samstagnachmittag muss der Lehrer, nachdem die Kinder
einmal „aufgesagt“ haben, dieselben im Katechismus und in den Glau-
benswahrheiten unterrichten.
7. Er darf keinen Unterschied machen zwischen Arm und Reich. Die
armen Kinder muss er, wenn erwünscht, umsonst unterrichten. Die an-
deren Kinder zahlen 6 Aachener Mark pro Monat.
8. Für Steinkohlen und Brand für die Beheizung des Schullokals zah-
len Raeren und Neudorf jährlich 20 Lütticher Gulden. Das Fegen des
Kamines muss der Lehrer auf eigene Kosten durchführen lassen.
9. Der Lehrer wird auf Wunsch auch Latein- und Französischunter-
richt erteilen. Für den Lateinunterricht sind monatlich pro Kind 18 Aa-
chener Mark zu zahlen, für Französisch 12 Mark. Auch Rechenunter-
richt ist mit 12 Mark zu entgelten.
ook
Die Franzosen geben zum ersten Male dem Unterrichtswesen eine
gesetzliche Grundlage. Vieles bleibt jedoch Stückwerk.
Brot und Bildung sah der französische Revolutionär Danton als die
beiden Grundbedürfnisse des Menschen an. In der Erklärung der Men-
schen- und Bürgerrechte vom 26. Juni 1786 wird jedoch mit keinem
Worte auf Schule und Bildung eingegangen. Erst in der Verfassung vom
3. September 1791 wird ausdrücklich festgehalten, dass ein öffentliches
Unterrichtswesen aufgebaut und organisiert wird. Der Unterricht soll
allen Bürgern zugänglich und für alle kostenlos sein, soweit es sich um
die für jedermann notwendigen Lehrfächer handelt.
1 “Raeren und die Raerener im Wandel der Zeiten”, 2. Aufl., Markus-Verlag, Eupen
1976, S. 115-117.
67
Die neue Verfassung vom Jahre 1 (Ende Juni 1793) nennt in Artikel
22 die Schulbildung als eine „alle Bürger betreffende Notwendigkeit“.
„Die Gesellschaft“, so heißt es weiter, „muss mit allen Kräften die Fort-
schritte der öffentlichen Vernunft fördern und die Bildung allen Bürgern
zugänglich machen.“
Als die Verfassung am 22.8.1795 erneut revidiert wurde und nun
nicht mehr nur die Rechte, sondern auch die Pflichten des Menschen
und Staatsbürgers auflistete, fehlt jede Erwähnung des Rechtes auf Bil-
dung.
Der Gesetzgeber hat in der Franzosenzeit auch nie den Schulbesuch
zur Pflicht gemacht oder die Kostenlosigkeit eines solchen Unterrichtes
gesetzlich verankert. Die Schaffung und der Unterhalt von Grundschulen
blieben den örtlichen, sprich kommunalen Behörden überlassen. Die von
diesen vorgeschlagenen und von der Departementsverwaltung ernannten
Lehrer erhielten kein Gehalt; sie waren allein vom Schulgeld abhängig.
Das napoleonische Schulgesetz vom 1. Mai 1802 reorganisierte das
Grund- und Mittelschulwesen. Aber auch jetzt blieb die sog. Volks-
schule ureigenste Angelegenheit der Gemeinden, die für die Einrich-
tung dieses Schulzweiges verantwortlich blieben. Die Lehrer erhielten
von der Gemeinde freie Wohnung und von den Eltern der Schulkinder
ein sog. Schulgeld. Damit war man genau dort, wo man zum Ende des
„Ancien Regime“ gestanden hatte. Man sagt auch, Napoleon habe sich
für die Grundschulen kaum interessiert. Die Unwissenheit des „Volkes“
(Arbeiter und Bauern) war in seinen Augen eher dazu angetan, einen
„passiven Gehorsam“ der Obrigkeit gegenüber zu erzielen. Statistiken
weisen aus, dass die Zahl der Analphabeten in der Zeit des Ersten Kai-
serreichs zugenommen hat. Es sollte bis 1832 dauern, ehe Frankreich
sein Volksschulwesen durch eine forschrittliche Unterrichtsgesetzge-
bung (Guizot) grundlegend neu organisierte. Die Gemeinden mussten
nun Volksschulen errichten, doch wurde die Schulpflicht vorerst nicht
eingeführt. Erst 1881-82 ging man diesen letzten und entscheidenden
Schritt in Frankreich, der dann auch mit der Kostenlosigkleit des Unter-
richts verbunden war.
Die Preußen konnten 1814 zwar auf der bestehenden Schulinfra-
struktur aufbauen, doch der rheinische Generalgouverneur von Sack
sah es als eine der vordringlichsten Aufgaben an, die Lage im Schulwe-
sen zu verbessern. 1823 wurde in Brühl ein Lehrerseminar eröffnet und
für schon angestellte Lehrer wurden Fortbildungskurse angeboten, z. B.
in Aachen, wo sie sich in „der neueren Methode“ weiterbilden konnten.
68
1825 wurde der Schulbesuch zur Pflicht gemacht. Allerdings dauerte
es einige Zeit, ehe das Gesetz auch allseits befolgt wurde.
Eine Verordnung der „Königlichen Hochlöblichen Regierung zu Aa-
chen“ vom 26. Juni 1826 legte die Ausführungsbestimmungen der Al-
lerhöchsten Kabinettsorder vom 14. Mai 1825 bezüglich Schulbesuch,
Schulgeld und Schulzucht fest.
Danach durfte „vor dem vollendeten fünften Lebensjahr“ kein Kind
in die öffentlichen Schulen aufgenommen werden. Mit dem Beginn
des sechsten Lebensjahres aber trat „überall in Städten und geschlos-
senen Dörfern, wo die Schule nicht über eine Viertelstunde von dem
schulpflichtigen Hause entfernt ist, die Schulpflichtigkeit ein“. War der
Schulweg aber länger als eine Viertelstunde, so konnte „das vollendete -
sechste Jahr als Anfang des schulpflichtigen Alters betrachtet werden“.
Die Dauer der Schulpflichtigkeit hängt vom Grad der schulischen Er-
folge ab. Diese werden vom Pfarrer begutachtet. Erkennt der Pfarrer,
dass ein Kind „seinen Verhältnissen und seinem Stande gemäß hinläng-
lich unterrichtet“ ist, so kann er demselben darüber „auf ungestempel-
tem Papier“ eine Bescheinigung ausstellen.
Dem Schulvorstand „liegt es zunächst ob, die Aufsicht über die schul-
pflichtigen Kinder zu führen, den Schulbesuch derselben nach Kräften
zu fördern und zu dem Ende die säumigen Eltern zu ermahnen“, Soll-
ten die Ermahnungen nichts fruchten, so muss der Schulvorstand den
Bürgermeister zu Rate ziehen und ausloten, „wie der Schulbesuch ohne
Zwangsmittel gefördert werden könne“.
Zwangsmittel gegen die säumigen Eltern mittels Polizeistrafe sind
aber erst dann erlaubt, wenn gütliche Ermahnungen vorhergegangen
und fruchtlos geblieben sind.
Wo solche Polizeistrafen für nötig befunden werden, stellt der Schul-
vorstand beim Bürgermeister einen entsprechenden Antrag und dieser
leitet die Angelegenheit an das Polizeigericht weiter. Die den Eltern
auferlegte Strafe konnte bis zu 5 Taler betragen. Sollte auch die Polizei-
strafe nicht den erhofften Erfolg haben, so war die Regierung in Aachen
über den Fall zu informieren.
Die Regelmäßigkeit des Schulbesuchs wird an Hand von Listen der
schulpflichtigen Kinder nachgeprüft. Diese Listen enthalten neben den
Namen der Schüler 3 Rubriken für Bemerkungen seitens des Bürger-
meisters, des Schulvorstands und des Lehrers.
Da in manchen Gemeinden die große Entfernung vom Schulhause, in
anderen Fällen die ländliche Beschäftigung oder sonstige den Kindern
übertragene Arbeiten ein Hindernis am täglichen zweimaligen Schulbe-
69
such waren, auch die Schulzimmer manchmal nicht allen Schulkindern
gleichzeitig Raum boten, so waren die Schulinspektoren ermächtigt, in
Übereinstimmung mit Bürgermeister und Schulvorstand eine „ange-
messene Abänderung der Schulstunden zu veranlassen“. Dies konnte zu
einer Trennung der Kinder nach Alter und Fähigkeit oder nach dem Ge-
schlechte führen. Die tägliche Arbeitszeit des Lehrers konnte dadurch
(ohne zusätzliche Vergütung) bis auf 7 Stunden ansteigen.
Das monatlich zu zahlende Schulgeld legte die Regierung auf 3 Sil-
bergroschen fest. Mit obrigkeitlicher Genehmigung konnte von dem an-
gegebenen Richtwerte abgewichen werden.
Das Schulgeld wurde monatlich vorausbezahlt und es gab keinen Ab-
zug für einzelne Tage oder Wochen, während welcher das Kind die Schu-
le nicht hatte besuchen können. In der Regel war es der Gemeinde-Emp-
fänger, der das Schulgeld beitrieb. Dafür standen ihm 4% Hebegebühr zu.
Wenn im Anstellungsvertrag eines Lehrers festgelegt war, dass er selber
das Schulgeld eintreiben müsse, so konnte es bei dieser Regelung blei-
ben. Bei Neuanstellungen war aber der Gemeinde-Einnehmer damit be-
traut. Letzterer richtete sich nach einer Liste, die halbjährlich vom Lehrer
angefertigt, von dem Schulvorstande und dem Bürgermeister bescheinigt
und vom Landrat als vollstreckbar erklärt worden war. In dieser Liste
waren die sog. Armenkinder in einer besonderen Kolonne aufzuführen.
Wer zum Armenrechte zuzulassen war, bestimmte der Armenvorstand.
Das eingegangene Schulgeld konnte dem Lehrer entweder am Ende
eines jeden Monats oder auch vierteljährlich ausbezahlt werden.
Über den Schulbesuch der Armenkinder führte der Lehrer ein beson-
‚deres Verzeichnis. Das Schulgeld für diese Kinder wurde aus Armen-
oder, wenn nötig, aus Gemeindemitteln gezahlt. Eltern, die ihre Kinder,
ohne gehörige Dispensation, nicht regelmäßig zur Schule schickten,
hatten keine Unterstützung aus Armenmitteln zu erwarten.
Die Regierungsverordnung legt des weiteren einige Regeln zur
Schulzucht fest. Der Paragraph 5 der Allerhöchsten Kabinettsorder vom
14.5.1825 erteilt den Lehrern ausdrücklich das Recht auf körperliche
Züchtigung. Die Aachener Regierung hofft jedoch, dass die Lehrer von
dieser Befugnis „einen bescheidenen Gebrauch“ machen. Diejenigen
Lehrer verdienten den Vorzug, die es verstünden, die Schulzucht ohne
körperliche Züchtigung aufrecht zu erhalten...
Sollten wider Erwarten Misshandlungen auftreten, welche ein Diszi-
plinarverfahren gegen einen Lehrer begründen könnten, so werden die
Schulvorsteher dem Schulinspektor Anzeige machen. Dieser wird so-
dann der Regierung darüber berichten.
70
Mit diesen Ausführungsbestimmungen zum Schulgesetz von 1825
hatte die Regierung zu Aachen die wichtigsten Felder des Grundschul-
unterrichts abgedeckt.
Berufsbriefe, d. h. Anstellungsverträge der frühen Preußenzeit, zei-
gen, welche Fortschritte in wenigen Jahrzehnten erzielt wurden. Einen
solchen Berufsbrief des Raerener Lehrers Johann Anton Fober aus dem
Jahre 1840 wollen wir unseren Lesern im Folgenden vorstellen.
Berufsbrief für den Lehrer Johann Anton Fober an der Elementar-
schule zu Raeren bei der Kirche, im Kreise Eupen, Regierungs-Bezirk
Aachen. }
I. Pflichten.
Nachfolgende Pflichten werden von dem gen. Fober zu erfüllen ge-
fordert:
1. Hat derselbe täglich von acht bis elf Uhr, Morgens, und Nach-
mittags von halb zwei bis halb fünf Uhr der untern Abteilung der Schü-
ler, mit Ausnahme des Mittwochs und Samstags, Nachmittags, öffentli-
chen Unterricht zu ertheilen.
2. Die Gegenstände des Unterrichtes sind: Religion, biblische Ge-
schichte, Lautieren, Lesen, Schreiben, Kopf- und Schriftrechnen, über
welche Gegenstände der Lehrer halbjährig einen Lektionsplan anzufer-
tigen und dem Schul-Vorstande zur Genehmigung vorzulegen hat.
3. Derselbe ist besonders gehalten, die Kinder zu guten Christen
und getreuen Unterthanen des Landesherrn und der gesetzlichen Obrig-
keit heranzubilden; wozu das eigene gute Beispiel nothwendig voraus-
gesetzt wird.
4. Ebenfalls ist der Allerhöchsten Kabinetts-Ordre vom 14. Mai
1825, sowie der Verordnung Königl. Hochlöbl. Regierung zu Aachen
vom 20. Juni 1826 insofern diese nach der hier getroffenen Einrichtung
bei unserer Schule Anwendung findet und die Obliegenheiten des Leh-
rers betrifft, von diesem gebührend nachzuleben.
Dagegen werden dem Lehrer für die Übernahme der vorgenannten
Pflichten
71
II. folgende Vortheile zugesichert:
1. An jährlichem Gehalte bezieht der Lehrer hundert fünfzehn
Thaler Courant aus der hiesigen Gemeindekasse; wogegen der Gemein-
de-Empfänger das übliche Schulgeld von den schulpflichtigen Kindern
mit 3 Sgr (= Silbergroschen) monatlich von jedem Kinde zu Gunsten
der Gemeindekasse erhebt.
2. Als Schulpflichtige werden alle Kinder vom vollendeten sechs-
ten bis vierzehnten Jahre betrachtet; wovon jedoch hinlänglich unter-
richtete oder zu Hause unentbehrliche Kinder ausgenommen sind.
3. Erhält der gen. Lehrer jährlich sechzehn Thaler aus der Armen-
Kasse, welche Summe die Armen-Verwaltung demselben für den Un-
terricht armer Kinder zuerkennt.
4. Wird dem Lehrer sein Gehalt aus der Gemeindekasse monatlich
postnumerando (= nach Ablauf des Monats) und aus der Armen-Kasse
quartaliter (= vierteljährlich) auf Anweisung des Herrn Bürgermeisters
von Raeren von dem betreffenden Empfänger gegen Quittung ausge-
zahlt.
5. Sollte es sich ergeben, dass Kinder unter sechs oder über vier-
zehn Jahren die Schule besuchen, so hat der Lehrer das Recht, von ei-
nem jeden dieser Kinder monatlich 3 Sgr als Privat-Einkommen zu neh-
men.
6. Jede Reparatur des Schul-Zimmers z. B. Weißen etc, fällt der
Gemeinde zur Last.
Bei getreuer Pflichterfüllung darf der gen. Lehrer sich der Liebe und
Achtung der Unterzeichneten vergewissern.
Nachdem dieser Berufsbrief die Genehmigung Königlicher Hoch-
löblicher Regierung erhalten haben wird, bleibt derselbe für uns und
den Lehrer bindend und kann nur durch höhere Entscheidung, Ver- oder
Entsetzung, aufgehoben werden.
Dem Lehrer steht es frei, einen anderen Beruf anzunehmen; indessen
darf er nur ein Vierteljahr nach geschehener Ankündigung seine Stelle
verlassen.
Nachdem derselbe sich durch seine Unterschrift für die Annahme des
Berufs erklärt hat, soll die Bestätigung bei der Königlichen Regierung
nachgesucht werden.
Raeren, den 6. Mai 1840.
72
Der Gemeinderat Der Schul-Vorstand Der Armen- Vorstand
Havenith Havenith Havenith
J.L. Pesch J.L#Pesch J.,.P. N. Creutz
M. Laschet M. Thoma, Pfr. J+L.. Pesch.
J. P. Falter M. Thoma, Pfr.
H. Duyster
J.P. N. Creutz
N. Crott
L. Falter
Der Unterlehrer
J. A. Fober
Gesehen und auf drei Jahre genehmigt.
Aachen, den 15. Mai 1840
Königl. Regierung, Abthl. des Innern
(Unterschrift)
Quelle: Privatarchiv
73
Nachträge zur Familie Beaufays
von Martha Beaufays-Schillings
Zu den in Nummer 85 (Februar 2010, S. 83-100) gebrachten Notizen
zur Familie Beaufays hiernach noch einige zusätzliche Informationen
bzw. Berichtigungen.
Die S. 87 genannte Franziska (1877-1971) kam durch Vermittlung
ihrer Kusine (Frau Therese Mannel) in den damals selbst in Paris be-
kannten Salon Wüsthoff, wo auch die Kaiserfamilie große Garderoben
anfertigen ließ. Von dort ging sie dann nach Köln, wo meine Mutter
Rosa später auch als Schneiderin/Directrice ausgebildet wurde. Es mag
interessieren, dass sie damals vom Bruch bis zum Bahnhof nach Her-
genrath zu Fuß gehen musste, auch bei Dunkelheit!
Der auf S. 91 genannte Geistliche Joseph Beaufays war auch Lehrer
am Gymnasium in Düsseldorf. Er hatte 2 Doktortitel erworben. Wo er
gestorben ist, entzieht sich bisher meiner Kenntnis, da er später zu sei-
nem Bruder Franz keinen Kontakt hatte.
Kriegsschicksale
Die Söhne von Anton Beaufays (S. 91) sind beide am Kriegsende
gefallen. Besonders tragisch ist dabei, dass einer der beiden noch am 9.
Mai auf eine Mine getreten ist. War es dieser, der verheiratet war und
einen Sohn hatte? Die Witwe hat einen Amerikaner geheiratet. Vermut-
lich hat dieser den Sohn seiner Ehefrau adoptiert. Dessen Spur konnten
wir bisher nicht wiederfinden.
Die Ehefrau von Anton Beaufays (der in Berlin ansässig war) ist auf
der Flucht bei den mecklenburgischen Seen verhungert. Anton meldete
sich dann in seiner Not bei seinem Bruder Franz in Sudmühle. Dort
lernte ich ihn bei meiner Hochzeit kennen. Er war ein stiller Mann. Lei-
der konnten die beiden Brüder nicht zu einander finden...
Anton hat dann im Münsterland auf einem Bauernhof gewohnt und
ist auch dort gestorben.
74
Zusätzliche Daten zum Stamme Franz Beaufays
1. Franz Beaufays, geb. am 20. Juli 1879 in Drensteinfurt,
vermählt a) mit Christine Overmann am 30. 1.1904,
b) mit Maria Tüllinghoff (Düsseldorf) am 22.8.1918
gest. in Lengerich am 4.10.1961
2. Christine Beaufays geb. Overmann, geb. am 10. Mai 1884 in Werne
a. d. Lippe, gest. am 15.10.1915 in Düsseldorf.
3. Maria Beaufays geb. Tüllinghoff, geb. am 10.1.1889 in Münster i.
W., gestorben in Sudmühle am 4.10.1962.
4. Josef Beaufays, geb. am 28.10.1904 in Werne a. d. Lippe, gest. in
Arnsberg am 11.1.1961.
Vermählt a) mit Karola Dröge in Münster i. W. am 10.5.1932. a
b) mit Martha Schillings in Arnsberg am 21.8.1947 (Ziviltrauung),
kirchliche Trauung am 22.8.1947 in der Maria Himmelfahrtskirche
in Dyckburg.
5. Karola Beaufays geb. Dröge, geb. am 25.1.1906 in Münster i.
Westf., gest. am 1. Juli 1946 in Arnsberg.
6. Martha Beaufays geb. Schillings, geb. am 7.1.1924 in Kettenis b.
Eupen (Belgien)
7. Theodor Beaufays, geb. am 12.7.1906 in Werne a. d. Lippe, ver-
mählt mit Anni Bußmann in St. Mauritz am 6.10.1936, gest. in
Sudmühle am 10.2.1997.
8. Anni Beaufays geb. Bußmann, geb. am 13. Juli 1916, gest. am
22.9.1939
9. Dieter Beaufays, geb. am 30.3.1939 in Arnsberg, wohnhaft in Han-
dorf/Münster
10. Peter Beaufays, geb. am 10.8.1942 in Ostbevern, wohnhaft in Han-
dorf/Münster
11. Theodor Beaufays, geb. am 6.4.1945 in St. Mauritz, wohnhaft in
Telgte.
12. Franz Beaufays, geb. am 13.7.1907 in Werne a. d. Lippe, gest. als
Kriegsopfer in Warschau am 18.3.1944.
13. Rolf Beaufays, geb. am 1.10. 1934 in Bergheim a. d. Erft.
14. Rudolf Beaufays, geb. am 15.3.1909 in Werne a. d. Lippe. Ver-
mählt mit Marialuise Neukirch in München am 20.3.1940, gest.
1988
15. Marieluise Beaufays geb. Neukirch, geb. am 25. 3.1916, gest. 1952.
16. Christa Beaufays, geb. am 19. Juli 1941 in München, wohnhaft da-
selbst.
75
17. Rudolf Beaufays, geb. am 14. Juni 1944 in Paderborn, wohnhaft in
Hamburg.
18. Leo Beaufays, geb. am 31.3.1909 in Werne a. d. Lippe, vermählt
mit Malli Dasch in St. Mauritz am 22. Mai 1942, gest. ar'29.4.1984
in Telgte.
19. Malli Beaufays geb. Dasch, geb. am 5. Mai 1917 in Münster i. W.,
gest. 14.11.2001.
20. Ursula Schlüter geb. Beaufays, geb. am 16.4.1943 in Münster i. W.,
wohnhaft in Münster.
21. Klaus Beaufays, geb. am 2. Mai 1944 in Münster i. W., wohnhaft
in Osnabrück. Dessen Tochter Sandra, geb. am 18.4.1970, verhei-
ratete Stieber, ist Medizinerin an der Uni in Hamburg und hat ihren
Namen beibehalten. Sie hat ein Töchterchen mit Namen Hanne-
Lotta, geb. 21.08.2001.
22. Annelise Beaufays, geb. am 14.2.1920 in Bergheim a. d. Erft, gest.
in Münster am 28.9.1990.
Vorstehende Daten vervollständigen die schon veröffentlichten Noti-
zen zur Familie Beaufays und zeigen die weite Streuung derselben. Im
Rahmen dieser Aufzeichnungen konnten nur wenige interessante De-
tails wiedergegeben werden.
76
Der Euro
von Jakob Langohr (+)
E Europa dönt ver os neks mie,
wenn ver now der Euro krijje.
Ech krääch ääl waal eng op die Kess,
de Bank saat: ‘“Dämm kritt der neet ömmesöss.”
Ech saat: „Ech hann jeng Jölde, Mark än Frange,
now lott der mech waal janz vies hange!
Ech daat, ech krääch en Tüt met Sching f
An en klenger noch met klingeling.”
Die Bank vrodde:‘“ Wue hat der da de Busche?
Die dönt ver ösch da öm hej tusche.“
Now stong ech do, hauw lääsch de Mowwe,
Allelula, mä op Jott vertrowwe.
Donn ech die Schingchere mech bekicke,
Pötze, Brögge, Kerke, janz antike,
met Symbole vöör et Lääve
hann ömmesöss bis hüj noch jenge krääje.
Än die Värve, fein än nöj,
wenn ech er do e paar va höj!
Van die lila wöll ech er jär jät ha,
weil do sönt de metste Nulle dra.
Än die Mönze, klingelingeling,
nee wat sönt die Plättchere schönn!
Wenn ver now e Ferie vaare,
könne ver de Tuschjebüüre spare.
Jh
No a-je Meer än no-jen Berje,
et selbe Jeld än jenge Ärjer.
Lenks a-jen Sij de Mandeliin,
Räets e-jen Hand de Wanderküll
Än öm e-ne Hoos der Eurobüll.
Alles vör de hoove Priis,
Prummevlaam än Herverkies.
Än wenn me now e Länder jeet,
wue enge der andere neet versteet,
dat wor esö schwuer, me wor an et pappele,
now deet me met der Eurobüll mä rappele.
Me lustert stell än es janz vrue,
hüet me örjens Klöckskere jue;
mä rösch, ech jlööf et es neet schwuer,
ver hannt die Euroklöckskere vlott e-je Uur.
Sö ming ech met dat Jeld die Wende,
Dat hat och e janz vlott Ende.
Da vroore ver spieder: „Wie wor dat,
wie ver dat ander Jeld jehat?“
Vresch jewaat än oone Bange,
et es noch ömmer, ömmer jot jejange!
78
Die Marmorwerke Raeren A. G. /
Marbreries d’Hergenrath S. A.
von Henri Beckers
Der 1884 eröffnete Bahnhof Hergenrath führte zu einer regen indus-
triellen Tätigkeit im Bereich der neuen Haltestelle. Nicht alle in diesen
Gründerjahren etablierten Unternehmen konnten sich im Zuge des wirt-
schaftlichen Auf und Ab behaupten. So auch die Eisengießerei Gustav
Vogeno & Co., die 1890 Konkurs anmelden musste.
Am 21.1.1899 errichtete die Firma Ruyters Paul & Cie auf dem Ge;
lände der Fa Vogeno eine Steinsägerei, Schleiferei und Poliererei.
Sägereien.
Muyter8, Paul & Tie., Marmor-Sägerei-,
ker a 13g.
DE ct. Yof., Holafägerei, Drennhag
1133d.
Im Adressbuch des Jahres 1902 steht die Fa Ruyters unter „Sägereien‘“ vermerkt.
Die Firma Ruyters bezog ihr Rohmaterial aus Italien. Sie machte
während des Ersten Weltkrieges bankrott. Daraufhin erwarb Joseph
Ludwig Pirnay das Werk, das er unter dem früheren Namen bis zum
Konkurs im Jahre 1923 weiterführte. Pirnay war alleiniger Inhaber des
Marmorwerks Hergenrath. Er war auch Besitzer des Gutes Neuhaus,
wo er „seit einigen Jahren“ (Brief vom 3. März 1920 an den Bürger-
meister von Walhorn) mit seiner Familie seinen Wohnsitz genommen
hatte.
Marmorwerk Hergenrath
Paul Ruyters & Co.
Fersoprocher Nr. 42. CO A C
Dresdoor Bank
Iweigeteiie Oupan.
=> Biedssrhim Ban
EEE & Wählhrn,
Briefkopf Pirnay 1920
79
Pirnay war der Sohn eines geborenen Eupeners und sagt von sich
selber er habe „obige Industrie (das Marmorwerk) wieder aufgerichtet“
und er werde dieselbe „noch bedeutend vergrößern‘. Auch betrachte er
sich als ein „nützliches und arbeitsames Mitglied des Kreises Eupen“.
Die Umstände des Konkurses von Pirnay im Jahre 1923 sind nicht
bekannt.
Das Hergenrather Werk wurde nun von der Firma Sclessin (Spri-
mont) übernommen, die auch einen Betrieb in Raeren besaß. Die Firma
wurde am 16.11.1923 unter dem Namen „Marbreries d’Hergenrath S.
A., Hergenrath“ ins Handelsregister eingetragen.
Alphonse Beyens erhielt 1180 Aktien und 1250 „parts de fondateur“
(Gründeranteile), Emile Burguet 20 Aktien und 200 „parts de fonda-
teur“. Ende der 20er Jahre (1928?) siedelte der ganze Betrieb von Her-
genrath nach Raeren über, wo man besser ausgestattet war.
Die Gesellschaft wurde am 18.3.1941 dem deutschen Aktienrecht
angepasst.
Als Zweck wird angegeben „der Betrieb von Stein- ‚ Marmorwerken
und Steinbrüchen, sowie der Handel mit Bergwerkserzeugnissen“.
Noch heute existiert der Betrieb, verarbeitet allerdings nur noch im-
portiertes Steinmaterial.
Kapital 1923: 850.000 bfr in 1700 Aktien zu 500 bfr
1941: 140.000 RM in 140 Aktien zu 1000 RM
Quellennachweis: Jürgen Baral, Oberforstbach
81
POW in Amerika
von Alfred Bertha
Das Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutete für viele Wehrmachtssol-
daten den Marsch in die Gefangenschaft der Alliierten. In Russland war
dies meist gleichbedeutend mit jahrelangem Warten auf die Freilassung.
Den strengen Haftbedingungen des Lagerlebens (meist in Sibirien) waren
zudem viele Gefangene nicht mehr gewachsen. Sie starben in Russland
und sind bis heute verschollen.
Wer im Westen in Gefangenschaft geriet, hatte auch nicht immer das
große Los gezogen. Die riesigen Lager unter freiem Himmel am Rhein
sind denen, die dort durchgeschleust wurden, in Erinnerung geblieben.
Manche unserer ostbelgischen Wehrmachtsangehörigen wurden
während eines Heimaturlaubs von der Ankunft der Amerikaner überrascht.
Für sie war damit der Krieg zu Ende, so glaubten sie wenigstens. Aber
dann kam eines Tages die Aufforderung, sich auf dem Gemeindeamte
zu melden. Nichts Böses ahnend, wurden sie dort gefangen genommen
und anschließend nach England verfrachtet, wo sich viele Ostbelgier im
Lager Cnudsford wiederfanden. Die Behandlung durch die englischen
Wachsoldaten sei sehr human gewesen, sagt man.
Andere an der Westfront Gefangene kamen nach Amerika und muss-
ten dort längere Zeit in Gefangenenlagern zubringen. Auch hier war die
Behandlung gut. Die Gefangenen wurden sogar bei Arbeiten auf dem
Felde oder in den Wäldern eingesetzt.
Zu dieser Gruppe gehörte auch der aus Kelmis stammende Land-
schaftsarchitekt Hans Kaldenbach, den wir in Heft 75, S. 71-77 unserer
Zeitschrift vorgestellt haben. Sein zeichnerisches Talent nutzte der Kel-
miser, seine Lager im Bild festzuhalten. Vier dieser nur sehr spärlich
beschrifteten und deshalb auch nicht leicht zu identifizierenden Bilder
bringen wir hiernach. Sie entstanden 1944 in New Orleans im Staate
Louisiana, im Süden der Vereinigten Staaten, am Golf von Mexiko.
Sollte zufällig einer unserer Leser Bekanntschaft mit einem dieser
Gefangenenlager gemacht haben, so würden wir uns über eine Rück-
meldung freuen.
82
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Gesamtansicht des Prisoner of War-Camps (Kriegsgefangenenlager), das die
Bezeichnung „Livingston», 1st Compound (= erste Abt.) trägt. Wären nicht die
Wachttürme, so könnte man die Anlage für eine Arbeitersiedlung halten... Für
sportliche Ertüchtigung ist vorgesorgt. Weitere 5 solcher Barackenlager sind
angedeutet.
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Die Einzelbaracke des Camp Livingston im Staate Louisiana, am Golf von
Mexiko, mit der Nr. 1921. Die Baracke hat neben den Fenstern mit Maschen-
draht und Klappläden versehene Belüftungsöffnungen.
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Es lässt sich nicht sagen, ob dieser Vorratsraum (supply room) zur Baracke 1921
gehört. In der Mitte das Bett des Gefangenen H. Kaldenbach (mit Mückennetz?)
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Das Prisoner of War Camp in New Orleans gleicht einer großen Fabrikanlage
und ist offensichtlich in einem Industrieviertel angesiedelt.
Die hohen Stacheldrahtzäune wirken wenig einladend...
84
Wie es sich trifft
von M.-Th. Weinert
Herr Dümlich steigt in einen Bus
Mit Fiffi an der Leine,
dieweil er selber stehen muss,
beschnüffelt Fiffi Beine.
Schnell ist er bei Frau Kugelich,
die mit zwei dicken Pudeln
beansprucht eine Bank für sich
(als äße sie gern Nudeln.)
Der Fiffi ist gleich hochentzückt, R
er zerrt und zieht und drückt und rückt,
als endlich seine Leine los,
springt er Frau Kuglich auf den Schoß.
Herr Dümlich liebt die Frauen nicht
— ein stiller Junggeselle —
verlegen schnappt er seinen Hund
und drängt zur Haltestelle.
Dann steigt er aus — ein freier Mann —
Doch fügt sich’s wunderlich:
Mit ihren Pudeln nebenan
marschiert Frau Kugelig!
Die Hundefreude ist enorm,
Frau Kugelig kommt aus der Form,
es schlingt sich jede Leine
um ihre kurzen Beine...
Vergeblich müht die Ärmste sich
Mit Schimpfen und mit Wimmern,
Herr Dümlich kann nun anders nicht,
er muss sich um sie kümmern.
Mit Vorsicht löst er jede Leine
Um dieser Dame kurze Beine,
dann braucht man nicht mehr weit zu laufen,
um Hundehalsbänder zu kaufen.
Man sieht bereits das große Haus,
allwo in Lettern bunt
85
am Schaufenster zu lesen ist:
„Das Beste für den Hund!“
Nachdem drei Hunde neu geschmückt
Mit roten Lederbändern,
wünscht sich Frau Kugelig Kaffee,
Herr Dümlich kann’s nicht ändern.
Im Cafe atmen beide auf
Und sprechen nur von Hunden
Und wundern sich schon bald darauf,
dass Herz zu Herz gefunden.
Oft braucht das Schicksal eine List,
um Leben zu verändern...
und wenn’s nicht anders möglich ist,
mit Hundehalsbandbändern.
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Ein Ausflug des Aachener
Geschichtsvereins nach Montzen
) von (+) Walter Meven
Der Führererlass vom 18.5.1940 hatte in knappen Worten nur be-
stimmt, dass „die durch das Versailler Diktat vom Reich abgetrennten
Gebiete von Eupen, Malmedy und Moresnet“ wieder Bestandteil des
Reiches seien.
Ein weiterer Führererlass vom 23. Mai 1940 präzisierte, dazu gehör-
ten die ehemals preußischen Landkreise von Eupen und Malmedy ein;
schließlich Neutral-Moresnet sowie „die angrenzenden in Verfolg des
Versailler Diktates im Wege der Grenzfestsetzung an Belgien gefalle-
nen Gebietsteile“‘.
Gemeint waren Teile der Kreise Aachen-Land, Monschau und Prüm.
Das altbelgische Gebiet von Montzen bis Sippenaeken wurde in kei-
nem der beiden Erlasse erwähnt.
Es wurde erst bei der Grenzfestsetzung am 29. Mai 1940 dem Reichs-
gebiet angegliedert, allerdings durch einen geheimen Runderlass des
Innenministers. Die damals von den verschiedenen Stellen in Umlauf
gebrachten Karten sehen sehr widersprüchlich aus!
Für den Aachener Geschichtsverein, der regelmäßig zu kunsthistori-
schen Exkursionen einlud, tat sich mit der Grenzverschiebung ein lange
Zeit nicht zugänglich gewesenes Betätigungsfeld auf.
Dombaumeister Professor Josef Buchkremer (1901-1949), Archivdi-
rektor Dr. Albert Huyskens, Dipl. Ing. Hans Königs (1903-1988), Son-
derschullehrer August Schumacher und andere nutzten die Gelegenheit
zu regelmäßigen Ausflügen ins nahe Grenzland. Eine dieser Exkursio-
nen führte die Teilnehmer am 2.10.1940 nach Montzen, wo Professor
Buchkremer die baulichen Besonderheiten der Pfarrkirche erläuterte,
während Dr. Huyskens den geschichtlichen Hintergrund darlegte.
Dabei ging der Archivdirektor bis auf das Jahr 1075 zurück, als Erz-
bischof Anno II. von Köln bei der Dotierung der Kölner Stiftskirche
Mariae ad gradus (Mariengraden) u. a. „predia‘“ (Güter) in Munzhic
(Montzen) im Aachengau verwendete.
Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Wiedervereinigung der Gebiete
79 Eupen, Malmedy und Moresnet mit dem Deutschen Reich, vom 18. Mai
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1225 tritt Herzog Walram III. von Limburg zu Gunsten des Aache-
ner Marienstiftes von seinen Ansprüchen auf das Patronat in Montzen
zurück. Als Inhaber des großen Zehnten hatten Dechant und Kapitel
des Marienstifts gegenüber der Montzener Pfarrkirche gewisse Ver-
pflichtungen, die auf Antrag der „Vormünder‘ der Kirche am 15. April
1342 von der Dekanatsversammlung in Maastricht festgestellt wurden.
Die Verpflichtungen werden eingehend erörtert mit Einzelheiten über
die Kirchenanlage. Im besonderen waren Dechant und Kapitel für den
baulichen Zustand von Chor und Langhaus der Kirche zuständig; auch
hatten sie die Zehntglocke zu unterhalten.
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Die Pfarrkirche von Montzen
Das Register des Landdekanates Maastricht verzeichnet unter „Mon-
thyns“ (Montzen) einen Sakramentsaltar und einen Marienaltar.
Bis 1789 bleibt Montzen im Landdekanat Maastricht und kommt
dann zum neu errichteten Landdekanat Herve.
1691 begann der Montzener Pfarrer Johannes Birven mit der Anlage
eines Tagebuches, das volle 80 Jahre weitergeführt wurde. Daraus er-
fährt man:
88
1664 ist die Kapitelsglocke gebrochen. Im folgenden Jahre wird sie
durch den Lütticher Glockengießer Grognat neu gegossen, hatte jedoch,
weil zu klein und zu dick gegossen, keinen Klang.
Sie wog 1206 Pfund.
Daraufhin ließ man diese Kapitelsglocke beim Glockengießer Chri-
stoffel von Trier in Aachen neu gießen, aber die Ohren (gemeint sind
wohl die Henkel der Glockenkrone) waren aus Blei, die an sich schöne
Glocke musste erneut eingeschmolzen werden. Wieder entsprach das
Werk nicht den Erwartungen. Die Glocke hatte nämlich ein Loch und
wurde schon 1684 neu gegossen. Diesmal war der Klang schlecht!
Am 21. Oktober 1709 bekam diese Glocke beim Mittagsläuten einen
Riss und wurde noch im selben Jahre umgegossen. Die neue Glocke,
wog 1528 Pfund.
Mitte des 18. Jahrhunderts werden die Gräber aus der Kirche entfernt.
Im September 1792 bringt Johann Ignaz van der Heyden aus Wien
Reliquien und andere Geschenke.
Die Orgel hat ein Meister Heiliger aus Aachen gebaut.
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} Chorraum der Montzener Pfarrkirche (Aufn. 1940)
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Zusätzlich zu den Notizen aus dem Tagebuch des Johannes Birven
liefern die Kapitelsprotokolle des Aachener Marienstiftes einige De-
tails zur Kirche bzw. Pfarrgeschichte von Montzen. Im November 1578
„gibt der Pastor von „Münzen“ das Pfarramt in die Hände des Kapitels
zurück. Am 16.7.1599 verzichtet der Pfarrer auf sein Pfarramt in Mont-
zen „weil er kein genügendes Einkommen hat; das Kapitel nimmt den
Rücktritt an.“
Im Oktober 1613 verlangen die Montzener vom Kapitel Messwein,
Licht (Öl) und Hostien, was abgeschlagen wird.
Am 17. Juni 1667 lesen wir, nach einem Urteil sei es Sache der Dorf-
gemeinschaft (communitas), ein Pfarrhaus in Montzen zu errichten.
1697 lässt das Kapitel das Dach des Kirchenschiffes reparieren.
1703 diskutiert das Kapitel über die rückläufigen Zehnteinnahmen
in Montzen. Dort werden, so die Notiz, keine Zehnten von den Wiesen
bezahlt und viele Äcker werden in Grünland umgewandelt.
Das Protokoll einer Kapitelsversammlung vom Juni 1767 zeigt uns,
dass der Zehnt in Montzen verpachtet wurde. Der Pächter war gehalten,
„wie von Alters her üblich“, den Gemeindestier zu stellen („intertinere
taurum“‘).
Im Februar 1772 liegt eine Bittschrift des Pastors von Montzen vor.
Grund dieser Eingabe ist der Zustand des Pfarrhauses.
Unter dem 6. Mai 1785 lesen wir, der Pastor von Montzen nehme die
Anfertigung der Beichtstühle, des Predigtstuhles und der Kommunion-
bank auf sich.
Zu Architektur und Innenausstattung der Pfarrkirche machte Dom-
baumeister Buchkremer folgende Notizen:
Die jetzige Kirche wurde 1780 fertig gestellt. War der für das Aache-
ner Marienstift tätige Architekt Moretti, dem wir u. a. die Kirchen von
Gemmenich (1775) und Slenaken (1792) verdanken, auch der Erbauer
der Stefanus-Kirche von Montzen? Die Frage lässt sich nicht definitiv
beantworten. Der Bau hat einige Ähnlichkeit mit Moretti, aber die inne-
- ren Gliederungen sind viel schwächlicher als bei diesem. Moretti bau-
te auch für das Aachener Stift die ungarische Kapelle (1748-1767); in
Eupen baute er die Kapuzinerkirche (1773-1776). Der Chor der unweit
von Montzen liegenden Pfarrkirche von Homburg ist wohl demselben
Baumeister wie Montzen zuzuschreiben.
Die Montzener Pfarrkirche mit einem neueren, 1865 errichteten
Turmvorbau ist ein Saalbau mit flacher Holztonne und Pilastern mit io-
nischen Kapitellen. Keine guten Verhältnisse dieser Architekturformen.
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Chor, halb so breit, schließt außen und innen halbkreisförmig ab.
Ebenfalls Tonnen mit Halbkuppel und Pilasterteilung. Oberhalb der
Fenster Stichkappen.
Die Ausstattung:
Chor und Decke zeigen gute angetragene Stuckarbeiten. An der
Chorwand seitlich Embleme und in der Mitte Darstellung des hl. Ste-
fans, dem die Kirche geweiht ist.
Die innere Ausstattung ist sehr einheitlich bis auf die neuen Seitenal-
täre und die aus gleicher Zeit stammende neue Mensa des Hochaltars.
Dieser ist ein Tabernakelaltar in ziemlich genauer Nachbildung des
Pfarraltars von Dovern, der 1812 von dieser Pfarre von der Annakirche
in Aachen erworben war, als diese protestantisch wurde. Dieser Dover--
ner Altar ist ein Werk Couvens (1750).
Im Chor ein Adlerpult, der Adler vergoldetes Holz, der Sockel neu,
ein ganz ähnliches findet sich in der Kirche in Homburg. Kanzel,
Beichtstühle und der ganze Orgeleinbau mit Orgelprospekt sind gute
Arbeiten aus dem Schluss des 18. Jhrh. Die Bänke, ähnlich wie die von
Homburg, haben als Wangen Stollen; die nach dem Chor zu stehenden
sind etwas mit späten Rokoko-Ornamenten und dazu passenden Türen
versehen.
Unter der Orgelempore 6 einfache Barockfiguren, wohl aus der alten
Kirche. Die Postamente der die Orgelempore tragenden Säulen sind aus
Marmor, ihre Deckleiste hat nach außen hin gut angearbeitete muschel-
förmige Weihwasserbecken.
Auch die Kommunionbank stammt aus dem Schluss des 18. Jhs. Sie
ist schön geschwungen, ihre Felderaufteilung zeigt Balluster abwech-
selnd mit durchbrochenem Ornament.
Außen ist die Kirche sehr einfach. Auf dem anschließenden Friedhof
stehen hinter dem Chor alte Grabkreuze dicht zusammengestellt.
Soweit die Notizen von Prof. Buchkremer, die von einigen Interesse
sind, erlaubt uns doch dieser Zustandsbericht aus dem Jahre 1940 einen
Vergleich mit der heutigen Situation.
9i
Pirla woll ens vreje jue
va Henri Beckers
Kännt d’r mech neet?
Well vreje, dat Där ’t wett!!
Ech han es steiv!
Wett d’r wuevör?
Änn €&s dat net e kle€ Malör,
Ech kriej j&enge mett!
Wet neet wueraa dat litt.
Jo, Ech örem verdrüschde Beschütt
Höj ech doch mär‘ ens ene Kavalöres a Schip.
Ech vrejde tertu ezö jäär, dat de Kne& wagelde
Mä ’t welt zech jenge Räänpit aa mech vergrabele
Ech kann ’t ne&t bejriepe, ander Fluuse va Vrowlüj
könne Enge haa a j&der VEnger,
mä vör mech blitt noch neet ens ene Bahrebenger.
Ech kann ’t net bejriepe,
dat och ens j&nge Tuppes
welt bEj mech aabiete.
Ben ech da esue berömpelt Schaniel?
No mech kikt jo j&ng Enzeje Minscheziel.
Wänn €ch met de Krolle ijen Vänster lij
än et koome Mannslüj langs,
da kike di no jen ander Sij!
Ech waisch mech alle Daach de Kne€,
än koom doch ne&t an’t vreje!
Ech schminck mech de Backe
än drien op de Krolle.
Ech wöhl ens we&te
wat die Einfallspinsele va Jonge
Ejentlech wolle ?
SD
Now loot £ch mech noch de Pocke aazeete
än och de Schprootele verdrieve
än vernoodert zE&ch da j&nge,
dat ze da do blieve !
Ech han at verschiedene jehat en mi Lääve,
mär j&nge, och je&nge, Es bes now klääve blääve !
Däm wüer &ch te maajer, dr andere te schlank,
Ech höj noch jät op Laajer, £ch wüer vööls ’t langk
D’r andere wüer £ch te örem, £ch höj te wänech Knööp,
Sch wüer at verrottelt, E£ch röeck at no de Schöp.
Schwitt-mech-dr-va, Mannslüj, oontröj Fijuure
Die hant et vuusdeck bater-jen Uuhre
B&j de me&tste, do vengste j&E Jlööck,
et Es et Be&tste, me hölt sech op‘en Stöck.
Et köss Enge koome met enzön Rabauw,
dä köss och aafhoowe,
dänn Mannslüj kanns-te n&et vertroowe!
Weet där wat ene Mannskäel dong saare,
Ech höj en Naas wi‘ en Jurk än en Mull wie en Bladder
Wue €ch Papa dra zäet, dat wüer n&et mi Vadder?
Du zaat Ech, h€ Männeke, dat saach £&ch Dech now
„Ech han mie Vaddere jehat wie dow!“
Wett-Där, Ech ben jaar neet verlääje N
vör mech noch Enge ijene Esscch te lääje.
Wänn och ene suene Mannskäel während et vr&je,
tröj vör Enge nEErkne6jt,
jetroowt &s noch lang neet jevrejt !
Wänn zech och Enge ’t Hämme vör Enge utdecht,
ijen Trow €s dat andesch, £ch w&et Besche&t !
Während et Vre&je, saare ze duusend mool
„Ech han dech ezue jäär“,
än in de Trow, do ändert z&ch dat wer.
93
Wänn de Flitterwäeke langs zönt,
än de Mannslüj hant et Vet vajen Zopp
da hüere de Fisematäntschere flot op.
Komme ze vr&je, rüücke ze no Parfüm
än zönt schick,
Hat me ze dre&€j Wäeke, rüüke ze no Pick.
Schpölt me, €&s me jetrowt, ne€t diräkt de Jrülle,
da zätt Dä, dow bes ze de&ch werrem aan et knülle.
Wänn di Ööster vrej, da flintsche se Enge
allerhand ömme ne Kopp,
ijen Trow krijje ze Vätie Daach de Mull neet op!
Et Betste €s, £ch bliev alleng,
da kritt m&ch wännenstens j&nge klEng.
Da hüer £ch och j&nge knottere än pröttele,
än brueck neet jeder WeEh-Weh te töttele.
Et stött mech jenge va ’n Püss eraaf
of trekt Nats de Decke mech aaf.
Et Natsjeschiir bruuk &ch da alleng,
vör twai €s dat sue-wie-sue te kleng
Jew6ss, ijene Wenkter hant Maan en Vrow,
wänn da de jruete Kauw,
vööl wäremer, wänn se tesaame schloope,
Ech ming, dat welle vör now esue loote
Now 6s et Tüt
Ech loot now noo
De m&etste Mannslüj zönt sue-wie-sue, foo!
Än schle&pt de&ch Enge vut, örjens ijene Äck
Da hescht ’t: „Haste ’t jehuuet, oss Pirla &s wäck.!“
94
Zum besseren Verständnis
Pisla.... Mädchenname (eine Verrückte)
Beschütt Zwieback
Schip (ha) einen Freund erobern
tertu, tertans jedoch
Bahrebenger Schwätzer
Räänpit oberflächlicher Mensch
Fluuse Flittchen
Schaniel Scharnier, magere Frau
Pocke aazeette impfen
Pick Schnaps 5
Jrülle Geschirr EC
Rabauw dicke Rübe (Nase)
Bladder Schreierin
Essech Essig
Fisematäntschere Fisimatenten
knülle pennen, schlafen
Ööster Aas als Bezeichnung f. Menschen
Schprootele Sommersprossen
flintsche vorgaukeln
Weh-Weh Schmerzen haben
töttele liebkosen, hätscheln
Püss Bett
Natsgeschür Nachttopf
95
Zu einem Grenzstein
von Alfred Bertha
Im vorletzten des 43 Artikel umfassenden Aachener Grenzvertrages
vom 26. Juni 1816, der die Grenzen zwischen Preußen und dem Kö-
nigreich der Niederlande festlegte, wurde vereinbart, innerhalb von 14
Tagen nach erfolgter Räumung bzw. Gebietstausch mit der Errichtung
von Grenzpfählen zu beginnen. Es heißt dort:
„Diese Grenzpfähle sollen von Eichenholz sein, 12 Rheinl. Fuß (=
3,76 m) Länge haben, 8 Fuß über der Erde und 4 Fuß unter der Erde
stehen...Sie sollen auf der preußischen Seite schwarz und weiß, und auf
der niederländischen Seite orange und weiß gestrichen werden. Sie wer-
den mit Nummern versehen... Es sollen so viele Grenzpfähle gesetzt
werden, als die Commissarien für nötig erachten...“
Da, wo ein Fluss oder eine Straße die Grenze bildete, sollten jedes-
mal zwei Pfähle gesetzt werden, der eine auf preußischem, der andere
auf niederländischem Gebiet. Diese beiden Pfähle sollen jedoch nur mit
einer einzigen Nummer versehen werden und blos mit der für das be-
treffende Gebiet angenommenen Farbe gestrichen werden.
Der Ausgangspunkt der Grenze war bei Schengen an der Mosel (Lu-
xemburg), wo der Pfahl Nr. 1 zu stehen kam. Der letzte Pfahl mit der Nr.
359 stand in den Niederlanden bei Mook an der Maas.
Die geplante Abpfählung geschah jedoch erst mit einiger Verzöge-
rung, denn die Unternehmer lagen mit ihren Forderungen über den Kos-
tenschätzungen der eingesetzten Grenzkommissare.
Erst am 22. Oktober 1817 konnte der preußische Regierungskommis-
sar von Bernuth der Regierung berichten, die Abpfählung zwischen den
beiden Staaten sei abgeschlossen.
Im Regierungsbezirk Aachen zählte man 442 Pfähle. 1839 — inzwi-
schen hatte Belgien die Nachfolge der Niederlande angetreten — begann
man damit, mittlerweile abhanden gekommene Pfähle durch Steine zu
ersetzen. Bis 1856 war im Kreis Eupen die gesamte nun belgisch-preu-
Bische Grenze durch Steine markiert.
Einige davon waren wie vorgesehen in doppelter Ausfertigung gesetzt
worden. So der Stein Nr. 186 auf Gemehret, an der heutigen Spielhalle,
wo die Grenze auf die Neutralstraße Eupen-Weißes Haus stieß. Auch
der nächste markante Punkt, am Weißen Haus, wo die Neutralstraße in
die Aachen-Lütticher Chaussee mündet, musste mit zwei Pfählen bzw.
Steinen markiert werden. Sie bekamen die Nummer 187. Der eine stand
96
an der Hausecke des alten Zollhauses, der andere gegenüber auf der
rechten Seite der Straße Aachen-Lüttich. Der Stein Nr. 186 blieb auf
belgischer Seite bis heute erhalten. Das preußische Pendant ging 1963-
64 bei Straßenarbeiten verloren!
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Das Weiße Haus mit dem Stumpf des Steines Nr. 187
97
Der nächste Stein, die Nr. 187, an der Ecke des „Weißen Hauses“,
wurde (wahrscheinlich bei Straßenarbeiten oder durch ein Fahrzeug,
vielleicht sogar durch ein amerikanisches Militärfahrzeug - einen Pan-
zer? - gegen Endes des Zweiten Weltkrieges) stark beschädigt, so dass
die obere Hälfte mit der Nummer abbrach und seitdem als verschollen
galt.
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5 AR A A)
(A so ;
Das wiedergefundene Bruchstück der Säule Nr. 187 des «preußischen» Steines
im Fuhrpark der Gemeinde in Herbesthal
Groß war nun die Überraschung, als unlängst (am 8.4. d. J.) bei den
am Weißen Haus durchgeführten Arbeiten zur Anlage eines Kreisver-
kehrs das genannte Teil im Straßengraben wiederentdeckt wurde. Nach-
dem der Fund dem zuständigen Lontzener Schöffen signalisiert worden
war, ließ die Gemeinde durch ihre Arbeiter das Bruchstück sicherstellen
und vorläufig im Bauhof in Herbesthal deponieren. Inzwischen sind die
für die Reparatur notwendigen Angebote dreier Steinmetzunternehmen
eingegangen. So können in absehbarer Zeit die beiden Teilstücke wie-
der zusammengefügt werden.
Das niederländisch-belgische Pendant mit der Nr. 187 hatte bisher
auf seinem angestammten Platz gestanden. Nun aber, im Zuge der schon
erwähnten Straßenbauarbeiten, ist jemand auf die Idee gekommen, den
98
alten Grenzstein in der Mitte des angelegten Kreises als Bekrönung auf
die angebrachte Aufschüttung zu setzen. Da es sich um ein steinernes
Zeugnis von geschichtlichem Interesse handelt, ist solches Vorgehen
absolut unzulässig! Hoffen wir, dass die Gemeinde Welkenraedt die
nötigen Schritte unternimmt, den „Fehltritt“ einer Straßenbaubehörde
wieder rückgängig zu machen!
= RR
R PRO kn
( Sa
EEE sd
\ .
SA = DE en
Der Kreisverkehr mit dem «niederländisch-belgischen» Stein Nr. 187
99
WOET MET «G-H>»
va Henri Beckers, Kelemes
Vorbemerkung :
Die in Nr. 81 (Febr. 2008) begonnene Reihe mit seltenen Begriffen in
Kelmeser Platt möchten wir nachstehend mit den Anfangsbuchstaben
G-H fortführen.
Giid aus dem franz. Reiseführer, Museumsführer
glöö,glöj gühend, di Biren &s glöj
graje lange Schritte machen, över-en Ste&ng graje
grälech umfangreich, sehr groß
e-ne grälgje Hoop Höj
gresele dickflüssig, körnig werden
vööl Gresele ijene Bre&j
Greselsküüt Rogen im Fisch
vöör äete och de Greselsküüte va dr Hereng.
Griiläächer ein Grinser, der aber eigentlich höhnisch
lacht, do domme Griiläächer !
Grüniiser Tränensuse, Nörgler
bes röhech dow Griiniiser
Grobejaan Grobian, ein rauher Geselle
Gromet Grummet, Viehfutter
vöÖr dr Wenkter maake de Buhre Gromet
Grönvenk Vogel, Grünling, Grünfink
och decke Grööne jenannt
grötsch alter Begriff für hochnäsig
Grofelsnaarel Gewürznelke
Gruetschtool Möbel, sehr altes Wort für Sessel
Grülle Essgeschirr, de Grülle spööle
Guvärnemänt v. franz. Regierung
Haar(g)edriihter Heckenscheißer, abwertig für Zöllner
Haar(g)evühr Heckenfeuer, Vertilgung des Heckenschnitts
et Haar(g)evühr schwamde dörch en Jäjend
häälewäch ungefähr, fast, häälewäch ene Kilo
Haam Joch zum Eimer tragen, Kummet fürs Pferd
Haan(r)epenkel Hagebutte, rote Frucht des Weißdorns
Schimpfwort.: Willenloser
100
Haarboll alter Begriff für Dengelamboss
op-ne Haarboll woed de Säns jeschleiepe
haija haija maake, schlafen gehen
de Klengste jönt no-jen Haija
Hajel hinkende Frau, örem auw Hajel
Haijntselmännchere Heinzelmännchen, kleine Fantasie- Wesen
verrichteten die Arbeit für den Menschen
hakelepak huckepack, KeEnger hakelepak draare
Häckseschot Hexenschuss, Rückenleiden
Hälep Hosenträger, Rückenriemen
Halkoti jemand der sein Versprechen nicht hält
Dä Halkoti hau mech jehatt S
Hansmuv Begleiter des hl. Nikolaus, Hans Muff
haspele durcheinander reden
Dä haspelt s£ch jätt derva
Haverbüll Hafersack, e Päet vrett utt-ne Haverbüll
Häss Kniekehle
he&sch altes Wort für heiser sein, graam siie
Hekepck Schluckauf, H&kepek, £ch don et neet mie
Höchsel Bordwand auf dem Heuwagen
Hoddelekriemer Lumpensammler, Unfähiger
Hölleböhl Ungeschickter
Höllewöhl Tölpel
Höjschtel Heuboden, Heustall oder Dummkopf
Dat €s- ne r£&chteje Höjschtel
Hömpetömp ungeschickter Mensch
ställ d&ch net aa wi ene Hömpetömp
Hondervääl Gänsehaut
Dä hauw mech verschrekt dat &ch
Hondervääl hauw
hönentwääje ihretwegen
Hontsfott feiger Zeitgenosse
Hokemaan Kinderschreck
paas-op, dr Hokemaan &s ajene Pötz
(Pötz = Brunnen)
Hongerlier Schimpfwort: geiziger Mensch
Hoobwa Musikinstrument, alt für Oboe
Hookesspookes hookesspookes Piraates,
scherzhafte Zauberformel
101
Höjbärem Schimpfwort: Tollpatsch
höönesch verächtlich
Dä belaachde mech höönesch
Hööt Kopf, Haupt, Hüte
dat kriij £ch n&et onder en Hööt
Hornoks Dummkopf, Hornochse
Dow bes ne Hornoks
Hootvolee franz. haute volge, vornehme Gesellschaft
Dat hat sch aajeströpt wi de Hootvolee
(aajeströpt = angezogen)
Hovaad Einbildung, Eitelkeit
dat Vroomesch €s hooväedech
Hovjehange unordentlicher
Dow löps eröm wi-e-ne Hovjehangene
Hüssi franz. huissier, Gerichtsvollzieher
di hauwe alles verkoad kräje va der Hüssi
huuesch-kom-eraaf sich etwas einbilden
Dat &s Enge va huuesch-kom-eraaf
Humbuug Schwindel, Unfug, Humbug
Hunnes starrköpfiger Mensch
Wat-ne Hunnes
Hureet Hornisse (Insekt)
husch schnell, zum Antreiben
husch now- ne Staal erä
Huskluk Stubenhocker
wänn vör danze jönt, blitt di Huskluk h&&m
Husmannszaake davon verstehst Du nichts
dat zönt Husmannszaake
Husschwälber Mehl- oder Hausschwalbe
Huts Stoß oder Schaden
Dat Schaav hat ene Huts
Hüübaij Schaukelpferd
Dr KlEnge hauw ene Hüübaij
Hüüv Murmel oder Knicker
Koom vör schpääle met de Hüüve
Huvejupp Blödhammel, auf den kein Verlass ist
Bes‘ne r£chteje Huvejupp
102
Auf dem Büchertisch
Als Albert Creutz im Jahre 2000 seine erste Veröffentlichung zu Ge-
denksteinen und Wegekreuzen im Grenzraum des Göhltales vorlegte,
kamen viele Leser ins Staunen, enthielt doch das Verzeichnis der vorge-
stellten kleinen Denkmäler nicht weniger als 88 Objekte, die der Autor
vorwiegend im Raum der ehemaligen Bank Walhorn registrieren konn-
te.
Eine zweite Veröffentlichung zum gleichen Thema erschien im Jah-
re 2005. Sie führte den Autor (und den Leser) von Aachen-Sief über
Walheim, Raeren, Eynatten und Hauset bis Hergenrath und stellte in
Bild und Text 153 Gedenksteine, Wegekreuze, Bildstöcke und ähnliche”
Denkmäler vor.
In diesem nun vorliegenden dritten Ausgabe wird vorwiegend das Gebiet
von Lontzen, Herbesthal und Walhorn abgedeckt. Kettenis, Eupen, Bae-
len, Welkenraedt und Montzen werden gestreift. Die Vorgehensweise
des Autors bleibt die gleiche. Es geht nicht um eine Typisierung der
kleinen Bodendenkmäler anhand stilistischer oder sprachlicher Merk-
male, sondern um eine Einordnung derselben in die allgemeine und in
die Familiengeschichte.
Dazu finden wir die notwendigen und detailreichen genealogischen
Hintergrundinformationen, die das Buch für Familienforscher zu einer
unumgänglichen Quelle machen.
In fast allen Fällen betritt Albert Creutz Neuland. So auch bei der Auflis-
tung der durch V 1-Einschläge sowie Sprengbomben und Granatsplitter
gegen Ende des Krieges zu beklagenden Zivilopfer. Seine Fleißarbeit
erforderte viel Einsatz, hat sich jedoch gelohnt. Mit diesem Buch hat
der Autor allen Heimatfreunden einen weiteren lesenswerten Beitrag zu
einer Kultur der Erinnerung in die Hand gegeben. Aus diesem verläss-
lichen Informationsschatz wird man in Zukunft schöpfen können und
wir wünschen dem Buch, dass es den Weg in viele Heimatbibliotheken
finden möge.
Albert Creutz, Gedenksteine und Wegekreuze in Lontzen-Herbesthal-
-Walhorn, 465 S., Helios-Verlag, Aachen, 2010, ist erhältlich in allen
Buchhandlungen sowie bei der Göhltalvereinigung (Maxstraße 10,
Neu-Moresnet) zum Preise von 30 €.
103
3 Max und Finchen
von M.-Th. Weinert
Max und Finchen, zwei Kaninchen,
leben bei dem Bauern Kall
in dem gleichen, dunklen Stall.
Gerne wären sie beinand’,
doch sie trennt die Bretterwand...
Max hat Finchen nie geschaut,
doch hält er sie für seine Braut.
Deshalb kratzt er mit den Pfoten
oder trommelt auf die Wand,
was der Bauer ihm verboten,
weil er so was nicht verstand.
Er kann keine Weiber leiden,
daher füttert er die beiden
Max und Finchen, die Kaninchen,
nur weil er ihr Fleisch gern isst,
und im Garten braucht er Mist,
Bauer Kall, der Egoist.
104
Chronik einer Familiengruppe
in Hergenrath
von Helga Wisniewski
Das Vereinswesen macht seit längerem eine rückläufige Bewegung
durch. Sogar traditionsreiche Vereine klagen über fehlenden Nach-
wuchs. Die in vielen Bereichen feststellbare Bindungsangst, die ei-
nem langfristigen Engagement entgegen steht, wirkt sich auch in den
meisten Vereinen negativ aus.
Andererseits gibt es jedoch auch neue Formen des geselligen Zusam-
menfindens, die ohne Satzungen festen Bestand haben können. )
Eine solche Gruppierung besteht in Hergenrath seit nunmehr 25
Jahren. Sie entstand 1985 auf Anregung des damaligen Hergenrather
Pfarrers Ferdi Hecker, der bei der Vorbereitung auf die Erstkommunion
die Kommunionbegleiterinnen (die Mütter der Kinder) zusammenführ-
te und dadurch ein Netz von Freundschaften aufbaute, das seitdem im
Dorfleben festen Bestand hat.
Aus der Kommunionbegleitgruppe wurde eine Wander- und Reise-
gruppe mit regelmäßigen Aktivitäten für die Familien, wobei sich in der
Chronik der 25 Jahre Nah- und Fernziele von der Eifel bis nach Südtirol
ablösen und ein buntes Kaleidoskop europäischer Kulturzentren darbie-
ten. Das Elsass und die Champagne, Norddeutschland und Berlin, Süd-
tirol und Hessen: es waren immer Fahrten, die alle Sinne ansprachen!
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