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Landschaft im Grenzraum Nordostbelgiens
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ZEITSCHRIFT DER VEREINIGUNG FÜR
KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
IM GÖHLTAL
Nr. 81 — Februar 2008
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Im Göhltal
ZEITSCHRIFT DER VEREINIGUNG
FÜR
KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
IM GÖHLTAL
Nr. 81
Februar 2008
Veröffentlicht mit der Unterstützung des Kulturamtes der
deutschsprachigen Gemeinschaft
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|
Vorsitzender: Herbert Lennertz, Stadionstraße 3, 4721 Neu-Moresnet.
Sekretariat: Maxstraße 9, 4721 Neu-Moresnet, Tel. 087/65.75.04.
Lektor: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Kassierer: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Postscheckkonto Nr. 000-0191053-60.
Fortis Bank: 248-0068875-35
Konto NL: AMRO-BANK: 46.37.00.090 Vaals/L
Konto BRD: Aachener Bank: 821 363 012 (BLZ 390 601 80)
Die Beiträge verpflichten nur die Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten
Druck.: Aldenhoff, Gemmenich - 087-78 61 13.
3
Inhaltsverzeichnis
Alfred Bertha Zum Umschlagbild: Alensberg 5
Hergenrath
M.-Th. Weinert Noch immer U
Aachen-Forst
Walter Meven Frontläufer (T. 2) 13
Aachen
Maria Pauly Die Mädchen vom Göhltal 29
Hauset
Alfred Bertha 100 Jahre St. Josefsheim 30
Hergenrath
Jakob Langohr Dat Benzinpöttche 67
Bildchen
Henri Beckers Eine Anleihe der Bleyberger 69
Kelmis Grubengesellschaft
Hans-Dieter Iven Mord im Dom zu Aachen 72
Aachen-Laurensberg
Henri Beckers Uran vom «Altenberg»? E)
Kelmis
Henri Beckers Kelmeser Platt 91
Kelmis ut os Kengertüt
Herbert Lennertz In Memoriam W. Palm 99
Neu-Moresnet
Herbert Lennertz Jahresrückblick 2007 100
Neu-Moresnet
5
Zum Umschlagbild
Alensberg in Moresnet
von Alfred Bertha
Alensberg, an der Wegegabelung Moresnet-Montzen und Moresnet-
Bleyberg gelegen, stellt eine der 6 ehemaligen Grundherrschaften in
Moresnet dar und hing aller Wahrscheinlichkeit nach vom Kapitel des
Aachener Marienstiftes ab.
Guy Poswick' meint nicht fehlzugehen in der Annahme, dass der
Wohnturm von Alensberg um die Mitte des 15. Jh. durch einen gewissen
Johann von Alensberg erbaut wurde.
Dieser Johann von Alensberg ist 1467 Teilhaber einer von Arnold
Tsevel für den Galmeiabbau gegründeten Bergwerksgesellschaft. Es ist
auch nicht ausgeschlossen, dass er ein Mitglied der Familie Tsevel war
und sich nach seinem Wohnsitz benannt hat.
Zu Beginn des 16. Jh. waren die Herrschaften Alensberg und Eyneburg
in der Hand der Johanna von Tsevel, die sie durch Heirat mit Johann
von Dobbelstein an diese Familie brachte.
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Das herrschaftliche Schloss Alensberg i. Jahre 1680.
Das Gemälde befindet sich im Museum in Maastricht.
| (Zeichnung: G. Poswick, Les Delices du Duche de Limbourg, Verviers, 1951)
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1519 fiel Alensberg durch Teilung an Johann, Arnold und Arnold-
Adam von Dobbelstein. Die Dobbelstein blieben im Besitz von Alensberg
bis um die Mitte des 17. Jh.
Durch Heirat einer Dobbelstein mit Alexander von Straet(en) kam
Alensberg an letztere Familie. Da die Zeit der befestigten Burgen und
Wehrbauten zu Ende war, ließ der neue Besitzer die Wassergräben um
den mittelalterlichen Wohnturm anfüllen und ein herrschaftliches Schloss
an den Turm anbauen.
Der nächste Besitzer war Michel-Henri von Walhorn-Straet, ein Neffe
des vorgenannten Alexander von Straet. Dieser war seit 1681 verheiratet
mit Anna-Michöele de Budier, Edelfrau von Gemmenich. Er starb schon
am 27.8.1682 auf Schloss Crapoel in Rabotrath, das ebenfalls zu seinem
Besitz gehörte.
1690 wird Peter Christoph von Straet Besitzer von Alensberg. Ihm
folgt sein Sohn Wilhelm Godefrood von Straet.
Durch testamentarische Verfügung des Letzteren geht Alensberg 1736
an Pierre Godefroid Ignace de Lasaulx (1695-1767), der seinen Besitz
seinem Neffen Pierre Olivier Albert de Lasaux hinterlässt.
Dieser war geboren in Limbourg (Dolhain) im Jahre 1728; er starb
auf Alensberg im Jahre 1798. Aus seiner Ehe mit Anna E. J. von Mylius
aus Brilon stammte ein Sohn, der aus der Geschichte Neutral-Moresnets
bestbekannte Arnold Thimotheus von Lasaulx (de la Saulx), geboren
auf Schloss Alensberg am 24. Januar 1774.
1802 wurde er als «citoyen Lasaulx» von den Franzosen zum «Maire»
(Bürgermeister) der Bürgermeisterei Moresnet ernannt. Nach der
Dreiteilung dieser «Mairie de Moresnet» in Preußisch-Moresnet, Neutral-
Moresnet und Niederländisch (später Belgisch) Moresnet durch den
Aachener Grenzvertrag vom 26.6.1816 blieb Arnold von Lasaulx
Bürgermeister von Neutral- und Preußisch-Moresnet. Zudem übernahm
er 1823 auch noch die Verwaltung der Bürgermeisterei Hergenrath mit
den Orten Hergenrath und Hauset.
Der mit Dorothea von Braumann aus Bonn verheiratete Arnold von
Lasaulx verkaufte im gleichen Jahre 1823 das alte Schloss Alensberg an
John Cockerill. Dieser war ein Bruder des aus der Industriegeschichte
unseres Landes bekannten Charles-James Cockerill. Die beiden Brüder
Cockerill werden 1825 im Bleyberger Erzbergbau tätig. Charles-James
erlangt 1828 die Konzession des Bleyberger Grubenfeldes.
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Die Tochter von John Cockerill, Caroline, heiratete den Aachener
Industriellen Charles Suermondt und die Familie Suermondt prägte die
Geschichte des Hauses Alensberg im 19. Jh.
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Schloss Alensberg um 1850 (Zeichnung Schaepkens)
Der Sohn der Eheleute Suermondt-Cockerill, Armand Suermondt,
wurde nach dem Tode seiner Mutter Eigentümer des Schlosses. Er ließ
das Schlossinnere «im schlechten Geschmack seiner Zeit» (Poswick)
einrichten und vor der Fassade eine offene Säulenhalle (Loggia)
anbringen. Auch dies ein Stilbruch! An der nach Moresnet führenden
Straße ließ Suermondt einen imposanten Toreingang errichten, der vom
| späteren Besitzer (Ernst) mit dessen Wappen versehen wurde.
Beim Tode von Armand Suermondt (1921) ging Alensberg an dessen
Bruder Arthur über, der Ende 1922 verstarb. Die Witwe und die Kinder
zerstückelten den Komplex Alensberg und verkauften ihn. Das Schloss
und zwei angrenzende Bauernhöfe erstand der Notar Gustav Ernst-Petry,
dessen Kinder, der Notar Gerard Ernst und Lea Pir&e geb. Ernst,
Alensberg erbten. Bis zum Tode der Letzteren blieb Alensberg
gemeinsamer Besitz der Geschwister Ernst.
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Ansichtskarte von Alensberg aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg
Bei dann erfolgter Teilung fielen das Schloss und die beiden
Bauernhöfe an deren Tochter Edith-Jos., Fel., Flore Piree, verheiratet
mit Robert Thi&ron, Richter am erstinstanzlichen Gericht in Verviers,
der nach dem Tode seiner Gattin (27.1.1950) alleiniger Besitzer von
Alensberg wurde.
Die Sprengung der Moresneter Eisenbahnbrücke durch belgische
Pioniere in der Frühe des 10. Mai 1940 fügte dem nur wenig entfernt
liegenden Schloss Alensberg keine größeren Schäden zu. Die Bewohner
hatten das Schloss vor dem Einmarsch der deutschen Truppen verlassen,
sodass es während der Kriegsjahre als Notquartier für bombengeschädigte
Deutsche sowie als Unterkunft für deutsches und zuletzt amerikanisches
Militär diente. In diesen Jahren wurde Alensberg, so weiß Poswick zu
berichten, gründlich ausgeplündert. Es verschwanden u. a. die wertvollen
Wandteppiche, die die Eingangshalle geschmückt hatten.
Die Moresneter Brücke wurde noch im ersten Kriegsjahr wieder
aufgebaut. Als die deutschen Truppen kurz vor Ankunft der Amerikaner,
am 10. September 1944, durch Sprengung der Verkehrsverbindungen
den Vormarsch der Alliierten aufzuhalten suchten, wurde die Brücke
erneut gesprengt. Elf der 22 Brückenpfeiler wurden zerstört. Diesmal
erlitt Alensberg irreparable Schäden, so dass der Besitzer (Thi&ron) sich
1946 entschloss, den Bau niederzureißen.
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Der eingerüstete Turm
Aussehen verändert, während die Nordostseite durch einen Anbau bis
auf Höhe der 2. Etage verstellt ist.
Nur die beiden untersten Etagen sind zugänglich, die anderen haben
keine Fußböden mehr. Es besteht so gut wie keine ursprüngliche
Türöffnung oder Einrichtungsgegenstand mehr. Die Zwischenwände,
zum Teil unter Bewurf und durch die Vegetation überwuchert, haben
durch spätere Anderungen und Leerstand sehr gelitten. Kurz, die Deutung
(Interpretation) der einzelnen Bauteile wird dadurch erschwert. Sie bleibt
bruchstückhaft und manchmal hypothetisch.
Man betritt den ebenerdigen Eingang an der Nord-Ost-Seite durch
eine später angebrachte Türöffnung. Hier ist nichts mehr im
Originalzustand; alle Zwischenwände sind nachträglich eingezogen
worden, die Räume voller Schutt. Der ursprüngliche Boden lag tiefer.
Man findet keine Spur mehr von den Fenstern und dem ursprünglichen
Bodenbelag....»
11
Die Beschreibung der übrigen Niveaus lässt ebenfalls wenig positive
Schlüsse auf die Raumaufteilung etc. zu. Die bewohnbare Fläche wurde
pro Etage mit 39 m? angegeben. Die Dicke der Mauern beträgt 2 m.
Den baulichen Zustand charakterisierte der Autor als «verlassene
Ruine in kläglichem Zustand». Am 5.8.1998 wurde Alensberg unter
Denkmalschutz gestellt.
Die Ruine wechselte den Besitzer im Jahre 1996. Familie De Rouck-
Willems (Moresnet) begann 2004 mit der Restaurierung das alten Baues,
die inzwischen weit fortgeschritten ist. Der alte Wohnturm wird jedoch
keinen Dachaufbau erhalten, sondern durch eine Plattform abschließen.
In der Literatur zu Alensberg findet sich bisher keine Erwähnung des
Brandes, der am frühen Morgen des 12. Januar 1893 das Dach des
Bergfrieds zerstörte. Die Gebietszeitung «Das Freie Wort» berichtete
darüber am 14.1.1883 in der Rubrik «Lokal- und Provinzial-Nachrich-
ten».
«Heute Morgen gegen 3 Uhr», so die aus Moresnet vom 12.1.1893
datierte Meldung, «kündete Glockengeläute den Bewohnern unseres
Dorfes an, daß in der Nachbarschaft Feuer ausgebrochen sei, und zwar
stand der altertümliche Turm des dem Herrn A. Suermondt zugehörigen
Schlosses «Alensberg» in hellen Flammen. Der Turm ist vor einigen
Jahren vollständig restauriert worden und bildete seitdem eine Zierde
des anmutigen Schlosses. Dieses selbst ist glücklicherweise von dem
Brande verschont geblieben, obschon die Verbindung zum Turm arg
bedroht war. Dem raschen Eingreifen der Nachbarn und nicht zum
mindesten der Feuerwehr der Altenberger Gesellschaft ist es zu
verdanken, daß das Feuer auf seinen Herd beschränkt geblieben ist. Über
| das Entstehen desselben fehlt jede sichere Aufklärung.»
| Auch das Korrespondenzblatt des Kreises Eupen brachte am 18.1.1893
| in einer Kurzmeldung aus Bleyberg die Nachricht, an der Station
Montzen-Moresnet sei ein Teil des dem Herrn Suermondt gehörigen
| Schlosses Alensberg niedergebrannt.
| Die Restaurierungsarbeiten wollen die Besitzer, Familie De Rouck-
Willems, im laufenden Jahre (2008) weiterführen und abschließen. Dann
wird der malerische alte Wohnturm nach vielen Jahren wieder eine
besondere Attraktion des Göhltales darstellen und voraussichtlich einer
gastronomischen Nutzung zugeführt werden.
| Quellen:
| !In Les Delices du Duche de Limbourg, Verviers 1951, S. 235-240
| ? Donjons m&€di&vaux de Wallonie, 3: Province de Liege, 2003, S. 228-231
|
12
Noch immer
von M.-Th. Weinert
singt im Birkenbaum
die Amsel.
Will ihr Lied nicht verklingen
im Dunkeln?
Noch immer
duften die Rosen |
vom Garten herauf,
Verweht nicht ihr Hauch
in der Kühle?
Noch immer
füttern die Schwalben
im Nest an der Hauswand.
Spüren sie nicht,
dass es spät ist?
Noch immer
spielen die Kinder
um die Laterne,
sitzen die Alten
in der Laube aus Geißblatt.
Werden sie nicht müde?
Alle halten den Tag,
den schönen...
Keiner weiß,
was morgen ist.
13
Frontläufer (Teil 2)
von Walter Meven
Die Aktivitäten der Frontläufer gestalteten sich in den von den Alliierten
besetzten Gebieten stetig schwieriger. Neu aufgestellte Ordnungskräfte,
die durch Angehörige der «Armee Blanche» tatkräftig unterstützt wurden,
bemühten sich eifrig, unerwünschte Personen dingfest zu machen. Sie
waren selbstverständlich bewaffnet und scheuten sich nicht, von ihrer
Schusswaffe Gebrauch zu machen. Selbstredend mussten die ortskun-
digen Frontläufer weite Umwege in Kauf nehmen, um sich bei Nacht
ihren Zielen zu nähern. Übernachten konnten sie auch nur in den
angrenzenden Wäldern.
Einige der Frontläufer waren später an der Ermordung des von den
Amerikanern eingesetzten Aachener Oberbürgermeisters Franz
Oppenhoff beteiligt. Er war in Abwesenheit von den Nazibehörden zum
Tode verurteilt worden.
Den auf Aachen vorrückenden Amerikanern schlossen sich nicht selten
Angehörige der Freiheitsbewegungen an, die sich zu Raubzügen hinreißen
ließen. Die im Süden der Stadt Aachen gelegenen Villenviertel waren
bevorzugtes Ziel ihrer Eigentumsdelikte. Alles, was verwendbar schien,
namentlich Teppiche, Nähmaschinen und vorzugsweise elektrische
Geräte, wurde geraubt und über die nahe Grenze nach Belgien geschafft.
In der Nähe des Dreiländerecks, auf den Besitzungen des Aachener
Alexianerklosters, versuchten sie ebenfalls, sich an deren Eigentum zu
vergreifen. Sie gingen dort so weit, sich mit den Amerikanern einen
Schusswechsel zu liefern. Nach ihrem Verständnis waren ihre Raubzüge
eine «strafende Gerechtigkeit» (Nemesis). Den Amerikanern ihrerseits
gefiel dieses Treiben ganz und gar nicht, zumal ihr Ansehen dadurch
erheblich geschädigt wurde. Sie setzten dem Spuk eine schnelles Ende
mit der Verhaftung der Beteiligten und setzten sie fest. Das Gefängnis
auf dem Aachener Adalbertsteinweg wurde ihr bestimmt nicht
angenehmer Aufenthalt.
Die Maßnahmen veranlasste der amerikanische Kunstschutzoffizier
Captain Walker K. Hancock, der das Treiben auf der Lütticher und der
Eupener Straße auf dem Weg in die Stadt Aachen beobachtete und auch
später darüber berichtete.
| * S. Teil 1 in Nr. 80 dieser Zeitschrift, Aug. 2007, S. 53-62
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14
Übrigens unterhielten die Frontläufer auf Eynattener Gebiet eine
Funkstelle (auf Gut Neuenhof), von wo aus sie mit der Gestapo-Leitstelle
Schleiden/Eifel Verbindung aufnahmen und ihre Meldungen absetzten.
Die Leitstelle hatte bis zu ihrer Zerstörung ihren Sitz in Köln.
Anschließend fand sie ihr Unterkommen im Schleidener Schloss.
In unserem Beitrag geht es im Folgenden um zwei Frontläuferberichte;
der Erste stammt von den Herren Becker und Braun (beide aus dem
Eupener Land), der Zweite von den Kriminalbeamten Heidorn und
Hennemann.
Bericht Nr. 1
Am 31.10.1944 wurden wir durch die Krim.-Asst. Heidorn und‘
Hennemann!' durch die feindliche HKL (= Hauptkampflinie) nach Eupen
durchgeschleust. Den mit den Krim.-Asst. K. und H. verabredeten Treff
zwecks Rückkehr konnten wir nicht einhalten und sind erst am 5.11.44
nach Schleiden zurückgekehrt. Demnach haben wir uns noch einen Tag
länger im Eupener Gebiet aufgehalten und dabei selbst folgende
Feststellungen gemacht, bzw. zuverlässig in Erfahrung gebracht:
Am 4.11.44 beobachtete ich von meiner Wohnung aus, zunächst allein,
denn Becker kam erst später in meine Wohnung, daß von Eupen in
Richtung Aachen ein mächtiger Nachschubverkehr herrschte. In der Zeit
zwischen 9 und 11 Uhr vormittags zählte ich auf der Merolser-Landstraße,
Richtung Eynatten, 60 mittlere Panzerwagen. Außerdem 12-15 LKW
mit angehängten Geschützen. Schätzungsweise 15 Kal. Dazwischen
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Als Material- und Mannschaftstransporter diente vor allem der GMC Dreiachser.
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Der häufigste Panzertyp der amerikanischen Armee war der Sherman,
hier auf einem Sockel in Omaha Beach in der Normandie.
bewegten sich LKW mit Infanterie sowie LKW mit
Nachschschubmaterial, Munition und Benzin. Der Strom der Fahrzeuge
riss bis Mittag nicht ab, d. h., ein Fahrzeug rollte hinter dem anderen.
Am Nachmittag des gleichen Tages, zwischen 15 und 16 Uhr, zählte ich
nochmals 20 Panzer des gleichen Typs. Auch am Nachmittag war der
Fahrverkehr ununterbrochen. Schwere Panzer und schwere Geschütze
sind an diesem Tage die Merolser-Landstraße nicht entlang gefahren.
Wie ich später zuverlässig in Erfahrung brachte, haben die Panzer und
Geschütze an der Straßenkreuzung Walhorn-Merols-Raeren die Straße
Raeren in Richtung Rötgen befahren. Nordwestlich des durch die Krim.-
Asst. H.(= Heidorn) und H.(= Hennemann) näher bezeichneten
Feldflugplatzes im Ketteniser Busch befinden sich größere feindliche
Flakstellungen. Die Anzahl der Batterien konnten wir nicht feststellen,
jedoch handelt es sich um erhebliche Mengen von Geschützen. Es ist
mit Sicherheit anzunehmen, daß diese Flakstellungen nur zum Zwecke
der Sicherung des Feldflugplatzes angelegt sind. An der Straße Eupen-
Kettenis, etwa 1 km vom Bahnhof Eupen entfernt, befindet sich die große
Filzfabrik van Asten (Buschberg). In dieser Fabrik hat der Amerikaner
nunmehr eine große Panzerreparaturwerkstätte eingerichtet. In der
gleichen Richtung befindet sich schätzungsweise 200 Meter von der
Landstraße entfernt ein größeres Bauerngehöft, Besitzer Janclaes. Dieses
Gehöft liegt auf einer Anhöhe. In diesem Gehöft ist ein höherer
16
amerikanischer Stab untergebracht. Um ‚dieses Gehöft herum sind
ebenfalls mehrere Flakstellungen angelegt worden.
Auf dem Heidberg in Eupen, u. zw. in der Nähe der früheren Land-
wirtschaftlichen Schule, sowie auf der Landstraße Heidberg-Nispert sind
größere Panzeransammlungen. Wieviele Panzer dort z. Zt. abgestellt sind,
kann nicht angegeben werden, jedoch handelt es sich um eine
beträchtliche Anzahl der verschiedensten Typen.
In dem Ortsteil Kettenis-Klause ist ein großes Verpflegungslager der
Amerikaner angelegt worden. Die Lebensmittel werden in großen
Holzbaracken dort gelagert.
Eine schwere Batterie Artillerie steht z. Zt. am früheren belgischen
Zollamt in Raeren-Meurisse, an der Bahnlinie Raeren-Schmidthof. *
Wahrscheinlich handelt es sich um eine Batterie 21er Mörser.
Auf unserem Rückweg haben wir noch Fahrzeugkolonnen auf
verschiedenen Straßen gesichtet, die alle in Richtung Rötgen fuhren. In
der Hauptsache handelt es sich um schwere LKW, die mit Kies und
Schotter beladen waren. Innerhalb einer Stunde konnten wir 80 LKW
zählen. Weitere militärische Feststellungen haben wir auf unserem
Rückwege nicht gemacht.
Als jetziger Bürgermeister von Kettenis fungiert der Landwirt Josef
Klein, der unter belgischer Regierungszeit erster Schöffe von Kettenis
war. Klein ist in früheren Jahren besonders probelgisch und unionistisch
eingestellt gewesen. Vor dem Weltkriege und auch während des
Weltkrieges hat er in der deutschen Armee gedient und den Weltkrieg
1914/18 aktiv mitgemacht. Wegen seiner Einstellung und besonderen
Betätigung für Belgien wurde er unter belgischer Regierungszeit mit dem
Leopoldorden ausgezeichnet.
Heinrich H a ge 1s te in aus Membach, der bis zum Rückmarsch für
die Firma Mohn u. Cie. aus Herbesthal die deutschen Zeitungen sowie
deutsche Literatur täglich mit dem LKW nach Brüssel brachte, ist heute
als Kraftfahrer bei der Armee Blanche angestellt. Er trägt weiße
Armbinde, sowie Pistole. Bekannt ist, daß er sich auch heute an Verhaf-
tungen von Reichsdeutschen beteiligt.
Der Bruder des Vorgenannten, Leo Ha gelste in, der bis zum
Rückmarsch der deutschen Wehrmacht angehörte, ist ebenfalls bei der
Arm6e Blanche als Kraftfahrer angestellt. Ob er sich an Verhaftungen
von Reichsdeutschen beteiligt oder sich beteiligt hat, ist nicht bekannt.
Ebenfalls ist nicht bekannt, ob er bei dem Rückmarsch sich in Urlaub in
Eupen befand oder ob er von der Wehrmacht desertiert ist.
17
Ein Sohn des Wilhelm Cro€, wohnhaft Kettenis-Busch, der bei der
deutschen Wehrmacht diente, ist vor einigen Tagen in amerikanischer
Uniform, beim Marsch der Amerikaner auf Aachen auf einem
Panzerwagen sitzend gesehen worden. Er wies den Amerikanern den
Weg. Es ist der älteste Sohn des Croe, Vorname z. Zt. unbekannt.
Die Gebrüder Josef und Nikolaus A11 ar d aus Eupen, Hookstraße
und Ohlengraben wohnhaft, sind Angehörige der Arm6e Blanche. Beide
haben sich besonders bei Verhaftungen und Durchsuchungen der
Wohnungen von Reichsdeutschen hervorgetan. Die Gebrüder Allard
waren kurz nach dem Einmarsch der Amerikaner in meiner Wohnung
(Braun, Merols) und verhafteten meine Ehefrau. Sie erklärten, wenn
meine Ehefrau nicht in einer halben Stunde fertig sei, so würden sie das
Haus in die Luft sprengen. Meine Frau erwiderte ihnen, daß sie unter
keinen Umständen mitgehen werde und sie machen könnten, was sie
wollten, jedenfalls ginge sie nicht mit. Daraufhin haben sie mein Haus
verlassen. Am anderen Morgen erschien der belgische
Gendarmeriebeamte Till - den Beamten des GPK Eupen hinreichend
bekannt - der meine Frau festnahm und sie zwecks Vernehmung in Eupen
bei der Gendarmerie vorführte. Meine Ehefrau wurde beschuldigt,
kriegsgefangene Franzosen, die unter deutscher Regierungszeit mein
Haus anliefen, der deutschen Polizei verraten, bzw. übergeben zu haben.
Nach der Vernehmung wurde meine Frau wieder entlassen. Sie ist bisher
wegen dieser Anklage schon 3 mal vernommen worden. Anscheinend
sucht man einen Grund, um sie in Haft zu nehmen.
Vor meinem Fortgang (Braun) brachte ich eine Stute mit Fohlen zu
einem Bekannten, Landwirten in Kettenis. Der Sohn des Landwirten
Dobbelstein aus Eynatten, der jetzt Hilfspolizeibeamter in Eynatten ist,
erschien eines Tages bei dem bekannten Landwirt und holte dort Stute
mit Fohlen mit der Begründung ab, er müsste das Pferd mit Fohlen
abholen, weil es Braun gehörte. Die beiden Tiere hat er einem anderen
Landwirten in Eynatten, Name z. Zt. nicht bekannt, zugeführt und bei
diesem untergestellt. Meine Ehefrau und Sohn haben die Tiere später
dort fortgeholt und sie stehen nun wieder in meinem Stall in Merols. Der
Bürgermeister Klein aus Kettenis hat in meinem Haus eine Verfügung
anbringen lassen, mit folgender Aufschrift:
« Sämtliches lebendes und totes Inventar, das z.Zt. von der Ehefrau
Peter Braun verwaltet wird, ist durch die belgische Regierung
beschlagnahmt worden.
I.V. gez. Klein.»
18
Klein ließ meiner Frau mitteilen, daß er diese Verfügung habe
anbringen lassen, daß die Angehörigen der Armee Blanche keinerlei
Sachen mehr bei mir beschlagnahmen könnten.
Ein gewisser De m ont y aus Altenberg ist Angehöriger der Armee
Blanche, trägt weiße Armbinde und Pistole, vor einiger Zeit erschien er
bei meiner Ehefrau und erklärte ihr, daß er berechtigt sei, PKW zu
beschlagnahmen. Er wollte wissen, ob auf meinem Anwesen noch ein
PKW untergestellt sei. Meinen Wagen, der nicht bereift ist, hat er gesehen,
jedoch nicht beschlagnahmt. Gleichfalls sind 2 Angehörige der Armee
Blanche, deren Namen nicht feststehen, auf meinem Anwesen gewesen
und haben dort 2 Pferde beschlagnahmt. 1 Pferd (3jährig) haben sie ohne
Angabe von Gründen vor meinem Hause abgeschlachtet. Eine
Entschädigung oder Beschlagnahme- Verfügung, bzw. Quittung, hat meine
Frau nicht erhalten.
Der hinreichend bekannte Franz B e c k e r aus Lichtenbusch hat sich
über eine dritte Person nach meinem Aufenthalt (Becker) und Braun
erkundigt. Im weiteren Verlauf der Unterhaltung erklärte Becker: «Oh,
wir werden sie doch alle kriegen, die Lumpen!» Ob er Mitglied der Ar-
m6e Blanche ist, kann ich nicht sagen. Becker hat bereits 2 Jahre wegen
Devisenvergehen und Verdacht der Spionage in Berlin eingesessen. Seine
deutschfeindliche Einstellung ist zur Genüge bekannt.
Der ehemalige Feldwebel der Deutschen Wehrmacht Nikolaus Lenz,
wh. Eupen, Garnstock Nr. 165, ist von der Wehrmacht desertiert. Er hält
sich in Eupen auf und hat über meine Ehefrau (Becker) der Armee Blan-
che Mitteilungen zukommen lassen, die jeder Grundlage entbehren. U.
a. hat er angegeben, daß meine Frau den Aufenthalt von belgischen und
französischen Kriegsgefangenen der Staatspolizei verraten habe, sodaß
in jedem Falle die Festnahme erfolgt sei: Wegen dieser Anträgerei wurde
meine Ehefrau von Angehörigen der Armee Blanche festgenommen und
18 Tage nach Dolhain im Gefängnis eingesperrt. Nach 18tägiger Haft
wurde meine Frau mit dem Hinweis entlassen, daß, wenn sie Papiere
über die Unzuverlässigkeit des Lenz und seiner Angaben beibringen
könne, die Angelegenheit damit erledigt sei. Sie könne ja letzten Endes
nicht dafür, wenn ihr Mann für die Staatspolizei gearbeitet habe. Ihr Mann
sei aber jetzt schon zum Tode verurteilt. Meine Schwägerin, die die
Gastwirtschaft während der Abwesenheit meiner Frau weiterführte, hat
festgestellt, daß Le n z in meine Wohnung eingebrochen ist und dort
Uhr, eine Lederjacke und noch andere Gebrauchsgegenstände entwendet
hat. Meine Schwägerin verlangte vom Hausbesitzer Unterstützung, die
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ihr aber nicht gewährt wurde. Der wegen Wehrdienstentziehung gesuchte
Jan Bours aus Baelen - Overath, ist mit Angehörigen der Armee Blanche
bei meinen Schwiegereltern in Kettenis Talstraße gewesen, um meinen
PKW und Motorrad zu beschlagnahmen. Ebenfalls durchsuchte er die
Wohnung meiner Schwiegereltern, um mich (Becker) zu verhaften. PKW
und Motorrad haben sie mitgenommen. Eine Quittung haben meine
Schwiegereltern nicht bekommen.
Wer die Angehörigen der Armee Blanche waren, ist nicht bekannt: Es
waren 15 Mitglieder der Armee Blanche, die an dieser Aktion
teilgenommen haben.
Der Landwirt Josef Le y en s, aus Raeren, Adolf-Hitlerstraße, der
bereits mehrfach staatspolizeilich in Erscheinung getreten war und der
am 3.9.44 bei der allgemein durchgeführten Festnahmeaktion (politisch
unzuverlässige Personen) durch den Unterzeichneten festgenommen
wurde, befindet sich bereits wieder in Raeren. Soweit hier bekannt war,
befand er sich mit den anderen bei der Aktion festgenommenen Personen
in Köln. Leyens spielt jetzt in Raeren eine gewichtige Rolle. In der
Hauptsache betätigt er sich bei der Gemeindeverwaltung.
Ebenfalls ist er maßgeblich daran beteiligt, ob Personen in Haft
gehalten oder entlassen werden. Weiter hält er Propagandareden und
versucht die Bevölkerung für die belgischen Belange zu gewinnen.
Der frühere belgische Bürgermeister Keutgen aus Raeren ist nunmehr
wieder durch die amerikanische Besatzungsbehörde als Bürgermeister
eingesetzt worden. Keutgen gehörte vor dem Einmarsch der deutschen
Truppen in Belgien der «Katholischen Union» maßgebend an.
Der Häutehändler Baguette und Viehhändler Baguette, wh. in Raeren-
| Born und Raeren-Berg, sowie der Landwirt Josef Leyens haben vor
| einiger Zeit in Raeren eine Versammlung einberufen. An dieser
| Versammlung nahm auch der Bürgermeister Keutgen teil. Baguette
| eröffnete die Versammlung und teilte den Anwesenden mit, daß der
| Grund und Zweck der Versammlung der sei, daß die Landwirte
| freiwillig Vieh zur Verfügung stellten sollten, um die Bewohner in den
belgischen Städten mit Fleisch zu versorgen. Hierbei führte er aus, daß
es nicht so gemacht werden sollte, wie unter nationalsozialistischer
Regierungzeit, wo ein gewisser Druck ausgeübt worden wäre, sondern
dass die Bewohner von Raeren heute in einem freien Belgien wohnten.
Das zur Verfügung gestellte Vieh solle durch den Viehhändler
Schlembach, stellv. Bürgermeister von Eupen, abtaxiert werden. Ba-
guette entgegnete aber, daß Schlembach hierfür nicht infrage komme,
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sondern dass von den Einberufern der Versammlung die Abschätzung
erfolgen werde. Zu den Einberufern gehörte weiter der Landwirt Renardy,
wohnhaft in Ravenhaus.
Wir konnten weiter in Erfahrung bringen, daß im gesamten Kreisgebiet
Eupen die Hotels und größeren Gasthäuser, die Säle zur Verfügung
haben, durch die Amerikaner geschlossen wurden. In diesen Hotels
und Gasthäusern soll amerikanisches Militär untergebracht werden. Das
größte Hotel in Eupen, Schmitz-Roth, ist bereits geschlossen und sind
auch dort schon amerikanische Offiziere untergebracht. Die Besitzerin,
Frau Schmitz, hat Anweisung erhalten, nur für die amerikanischen
Offiziere ihre Küche offen zu halten.
Die Angehörigen von Inhaftierten haben Gelegenheit, täglich einmal ”
den Inhaftierten Essen zu bringen. So konnten wir u. a. beobachten, daß
Angehörige von Inhaftierten die Kleinbahnschienen als Gehweg benutz-
ten, um nach Eupen zu gelangen, damit sie dort das Essen abgeben
konnten.
Bekanntlich sind ja die Hauptverkehrsstraßen für den Nachschub-
verkehr gesperrt, d. h. für den zivilen Fahrverkehr. Die im Krs. Eupen
lebenden Reichsdeutschen erhalten durch die amerikanische Besat-
zungsbehörde keine Lebensmittelkarten. Ebenfalls wird ihnen keine
Arbeit zugewiesen.
Die augenblickliche Ernährungslage im Kreisgebiet ist als äußerst
schlecht zu bezeichnen. Zu der Ausstellung der neuen Carte d’Identite
können wir noch mitteilen, daß auf der Vorderseite der Karte ein roter
Stempel aufgedrückt wird mit der Aufschrift «Zuverlässig» oder «Nicht
zuverlässig». Meine Schwägerin hat bereits den Aufdruck «Nicht
zuverlässig».
Meine Frau hat ihre Carte d’Identit& noch nicht erhalten und somit
war ich nicht in der Lage, einen Ausweis mitzubringen.
Die in und um Eupen liegenden Fabriken arbeiten nicht. Wovon die
Bevölkerung lebt, kann man sich nicht erklären, da auch keinerlei
Unterstützung gezahlt wird. Post wird nicht befördert. Elektrisches Licht
ist nur stundenweise vorhanden. Als Zeitung erscheint die zur Genüge
bekannte Hetzzeitung «Die fliegende Taube». Sie wurde vor dem
Einmarsch der deutschen Truppen in Aubel/Belgien in deutscher Sprache
gedruckt, und in ganz Belgien vertrieben. Die «Fliegende Taube» ist
als eines der bekanntesten Hetzblätter gegen Deutschland bekannt.
Die Reichsdeutsche Tillmanns aus Eupen, wh_Horst-Wesselplatz, die
bei der Kreiskommandantur in Verviers (Passabteilung, Sonderführer Dr.
21
Iröniel) beschäftigt war, ist verhaftet worden und wurde, weil sie für die
deutsche Wehrmacht gearbeitet hat, zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt.
Der frühere V-Mann Arnold Cormann, wh. in Raeren-Pfad, hat
sich nach dem Rückmarsch den Amerikanern zur Verfügung stellen
wollen. Es war jedoch bekannt, daß er früher seit Jahren für die deutsche
Wehrmacht und Staatspolizei tätig war. Er ist von den amerikanischen
Besatzungsbehörden sofort verhaftet worden, da man annahm, daß er
Spitzeldienste für die Deutschen leisten würde. Wo er z. Zt. sich in Haft
befindet, ist nicht bekannt. Auch haben die Amerikaner seine hoch betagte
Mutter verhaftet.
Der Blutzeuge Josef Kerres aus Eupen, der am Einmarschtag der
deutschen Truppen in Belgien (10. Mai 1940) von belgischen Soldaten
vor der Gendarmeriekaserne in Eupen erschossen wurde, war auf dem
Ehrenfriedhof in Eupen zur letzten Ruhe gebettet. Von Angehörigen der
Arm6&e Blanche ist der Sarg nunmehr ausgegraben worden und wurde
unbekannten Ortes verschleppt. Als Grund für diese Maßnahme wurde
bekannt, daß von den Deutschen der belgische St. A. (Staatsangehörige)
Schmitz, der sich in landesverräterischer Weise für Belgien betätigt hatte,
auch ausgegraben worden sei. Schmitz hatte sich vor seiner Festnahme
vergiftet. Von einer Umbettung des Schmitz ist nichts bekannt.
Nachtrag: Braun berichtet noch, dass er durch seine Ehefrau erfahren
habe, dass ein Beamter der Grenzpolizei namens Zielinski beim
Einmarsch der Amerikaner in Verviers ermordet worden sei. Nähere
Angaben konnte sie nicht machen.
Aufgenommen : SS-Untersturmführer und KOS. Gol.
Bericht Nr. 2
Am 31.10.44 meldete ich mich mit dem Krim.- Ass. Heidorn
freiwillig zum aktiven Fronteinsatz und zur Feinderkundung. Auftrag
war, festzustellen, wo der apl. Krim. Ass.? Spitzkatz, der sich am 19.10.44
freiwillig zur Feinderkundung gemeldet hatte, verblieben ist. Spitzkatz
hatte den Auftrag, nach den im Einvernehmen mit der 7. Armee von
KOS. Schneider gegebenen Richtlinien im Bezirk Eupen wohnhafte V-
Personen anzulaufen, um ein geschlossenes Nachrichtennetz zu bilden.
Bei unserer Durchschleusung, die am 5.10.44 in den frühen
Morgenstunden erfolgte, schleusten wir gleichzeitig zwei V-Leute aus
Eupen, die bisher dem Einsatzkommando zur Verfügung standen, mit
durch. Die Durchschleusung vollzog sich im Großen und Ganzen glatt,
während der Spähtrupp, der uns bis zur feindl. HKL brachte, nach unserem
22
Trennen schweres Mg-Feuer von der Feindseite her erhielt und sich nur
unter den größten Schwierigkeiten absetzen konnte. Der Spähtrupp hatte
einen Mann Verlust, und zwar wurde ein Angehöriger des Spähtrupps
verwundet, der nicht zur deutschen HKL zurücktransportiert werden
konnte. Der Spähtrupp hat festgestellt, dass der Wehrmachtsangehörige
von den Amerikanern im verwundeten Zustand fortgeschafft wurde .
Nachdem wir uns vom deutschen Spähtrupp getrennt hatten, es war
am Waldrand des Hatze-Venn, in der Nähe der Ortschaft Mützenich. Die
feindl. HKL verläuft dort längs des Waldrandes. Uns war bekannt, dass
das Waldgelände vor der feindl. HKL stark vermint ist und die schweren
Minen durch Drahtzug verbunden sind. Die Breite des Minenfeldes dort
beträgt etwa 800 Meter. Das Durchtasten durch dieses Minenfeld
gestaltete sich deshalb schwierig, weil wir die V-Leute auch sicher
durchbringen mussten. Zur Durchschreitung brauchten wir etwa 2 1/2
bis 3 Stunden.
Als wir das Minenfeld passiert hatten, bewegten wir uns in nördl.
Richtung quer durch das Moor, auf die Höhe 569 (Brachkopf) zu. Von
dort aus in nord-ostw. Richtung zwischen Rötgen und Schwerzfeld bis
an die Straßenkreuzung Petergensfeld - Raeren - Petergensfeld —
Vennkreuz. Dann weiter parallel der Straße Petergensfeld — Vennkreuz,
etwa 500 Meter von der Straße entfernt im Waldgelände. Am Vennkreuz
überquerten wir die Straße, die in südostwärtiger Richtung nach Langestal
- Eupen und Reinartzhof verläuft. Nachdem wir die Straße passiert hatten,
bewegten wir uns in Richtung auf Höhe 394. Plötzlich stießen wir dort
im Waldgelände auf stärkere Telefonkabel und stellten fest, dass diese
Kabel zu einem größeren Munitionsdepot führten, das auf der Höhe 394
sich in unmittelbarer Nähe der Straße Vennkreuz - Abzweigung nach
Mospert - Eupen -, befindet. Wir konnten bis auf 150 Meter an dieses
Munitionsdepot herankommen, wurden aber von einem Posten bemerkt,
und erhielten sofort Mg-Feuer. Schätzungsweise ist dort 1 km im Quadrat,
in der Hauptsache schwere Artilleriemunition in großen Mengen
aufgestapelt. Diese Feststellung war durch das Auffinden von leeren
Pappkartuschen möglich, hauptsächlich 15 und 18er Kaliber. Durch den
Beschuss waren wir gezwungen, dieses Munitionsdepot in einem
größeren Bogen zu umgehen, Durch die Umgehung überquerten wir
später die gleiche Straße - Vennkreuz-Langestal/ Vennkreuz-Reinartzhof.
Etwa 1 bis 1 1/2 km, in süd-ostw. Richtung passierten wir die Straße und
beabsichtigten nunmehr, uns auf der Straße Petergensfeld - Vennkreuz
zu bewegen. Die Straße liegt vollkommen frei, der Wald ist zu beiden
23
Seiten abgebrannt und konnte infolge dessen vor Eintritt der Dunkelheit
von uns nicht begangen werden. Aus diesem Grunde warteten wir die
Dunkelheit im Waldgelände ab. Während unseres Aufenthaltes in diesem
Waldgebiet bemerkten wir am Straßenkreuz Vennkreuz einen feindl.
Funkwagen, der von 17,00 bis 17,30 Uhr in ständiger Funkverbindung
stand. Die Morsezeichen waren deutlich vernehmbar. An der Straße
Petergensfeld - Vennkreuz, etwa 1 1/2 km von der Straßenkreuzung
entfernt, befindet sich ein sogenannter Hochsitz, schätzungsweise 12 bis
15 m hoch, der vom Amerikaner besetzt ist. Zu diesem Hochsitz führen
mehrere Telefonleitungen, die von der Straße herkommen. Der Hochsitz
ist oben ausgebaut und vollkommen geschlossen. Ob er mit einem
Soldaten oder mehreren besetzt ist, konnten wir nicht feststellen.
Nach Anbruch der Dunkelheit überquerten wir die Straße Peter-
gensfeld-Vennkreuz und später die Straße Rott - Raeren und begaben
uns in nordwest. Richtung quer durch den Ketteniserwald auf die
Ortschaft Merols zu. Durch das verschiedene Ausweichen und
zwangsweise Verweilen im Walde, hatten wir bis zum Erreichen der
Ortschaft Merols einen Marschweg von 20 Stunden zurückgelegt. Die
V-Männer Braun und B e ck e r trennten sich hier von uns und begaben
sich zu ihren Wohnungen, während wir zunächst in unmittelbarer Nähe
der Wohnung des Braun in einem Wiesengelände verweilten.
Während unseres Marsches auf dem Hinweg nach Merols machten
wir folgende Beobachtungen:
Die Straßen Petergensfeld - Vennkreuz und Petergensfeld-Raeren laufen
bei Höhe 451 zusammen. Die Straße führt weiter nach Rötgen. An beiden
Straßen wurden innerhalb von drei Stunden 147 Fahrzeuge gezählt.
Hierbei handelte es sich um 3 schwere Panzer, 4 Panzerspähwagen, 96
LKW und 44 PKW. 40 LKW waren mit Infanterie in Stärke von je etwa
20 Mann besetzt. Die restlichen LKW mit Nachschubmaterial, zum
größten Teil Munition. An der Straßenkreuzung Vennkreuz - Langestal
und Vennkreuz- Reinartzhof war ebenfalls starker Nachschubverkehr.
Dort wurden in einer Stunde 70 LKW gezählt. Die Fahrzeuge luden zum
größten Teil aus dem Munilager - Höhe 394 - Munition und fuhren in
nordostw. Richtung weiter. Festgestellt konnte nicht werden, ob sie in
Richtung Langestal oder Reinartzhof fuhren. Ferner zählten wir an dieser
Straße 17 LKW, die teils mit Kies, teils mit Schotter beladen waren und
in gleicher Richtung fuhren. Bei den LKW handelte es sich um einen
Typ von 3 1/2 bis 5 Tonnen. Größere geschlossene Kolonnen wurden in
diesem Teilabschnitt nicht beobachtet. Im Raum Rötgen-Raeren wurden
24
sehr viele Ari-Abschüsse - schweren Kalibers - beobachtet. Das Feuer
nahm teilweise die Stärke von Trommelfeuer an. Ebenfalls wurde an der
Straße Eupen - Eynatten starker Fahrzeugverkehr beobachtet. Hier wurden
in 10 Stunden in beiden Richtungen fahrend 524 Fahrzeuge gezählt.
Hierbei befanden sich 24 schwere Zugmaschinen mit Raupenantrieb,
die Geschütze mit sich führten. Kaliber schätzungsweise 18 bis 20 cm,
genaue Feststellung war nicht möglich, da eigener Standpunkt 100 m
ostwärts der Straße lag. Von diesem Standpunkt nun wurde ferner ein
feindl. Feldflugplatz festgestellt. Dieser Feldflugplatz befindet sich im
Wiesengelände von Merols zwischen Raeren - Pfad - Straße Walhorn -
Raeren bei Belven und wird durch den Waldrand von Kettenis abgegrenzt.
Der Feldflugplatz kann an Hand eines Messtischblattes genauestens
gezeichnet werden. Auf diesem Platz herrschte den Tag über reger
Flugverkehr. An Flugzeugen wurden in der Hauptsache Ari-Beobachter
und Aufklärer beobachtet. Am Waldrande des Flugplatzes waren 5 Ari-
Beobachter abgestellt.
Beim Forsthaus Mospert, 2,5 km ostwärts an der Straße Langestal -
Vennkreuz / Reinartzhof - Vennkreuz, wurden am 3.11.44, gegen 24,00
bis 2,00 Uhr, auf dem Rückwege rastende Transportkolonnen des Feindes
ausgemacht. Die Fahrzeuge standen am Waldrand. Etwa 50 m einwärts
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Der kleine Willy’s Jeep, ein geländegängiger Alleskönner
25
des Waldes waren Zelte der Begleitmannschaften aufgestellt. Infolge der
Dunkelheit konnten wir nur 25 Zelte erkennen. Bewachungsposten sind
nicht bemerkt worden. Diese Kolonne mussten wir umgehen und haben
über die gesamte Anzahl der dort abgestellten Fahrzeuge keine näheren
Beobachtungen anstellen können. Auffallend war, dass in diesem
Waldabschnitt überall, und zwar vornehmlich an Straßenkreuzungen oder
Abzweigungen, jeweils 50 bis 60 gefüllte Benzinkanister abgestellt waren.
Ebenfalls in unmittelbarer Nähe dieser Behelfstankstellen befinden sich
kleinere Munitionsstapel. Die Tankstellen und Munitionsstapel sind un-
bewacht. Wir waren sehr nahe daran und haben in keinem Falle einen
Posten gesehen. Eine Formationszugehörigkeit der von uns gesichteten
Truppen konnte nicht festgestellt werden, da alle Tarnanzüge trugen.
Uns war bekannt, dass der apl. Krim.-Ass. Spitzkatz im Einvernehmen
mit der 7. Armee die Anweisung hatte, das Gut Neuenhof, Besitzer
Geschwister Lausberg, anzulaufen, um wegen des Einbaues einer FT-
Stelle Rücksprache zu nehmen. Durch Vermittlung der Geschwister
Lausberg sollten weitere gute V-Personen aus dem Kreise Eupen nach
Gut Neuenhof bestellt werden, damit Spitzkatz mit diesen Verbindung
aufnahm, um bei Errichtung der FT-Stelle von diesen V-Personen laufend
Nachrichtenmaterial zu erhalten. Es handelt sich um V-Personen, die bis
zum Rückmarsch von KOS Schneider geführt wurden. Die Ehefrau des
V-Mannes Braun ist nach ihren Angaben bereits auf Neuenhof gewesen
und hatte die Verbindung mit Spitzkatz aufgenommen. Aus ihren weiteren
Angaben geht eindeutig und klar hervor, dass Spitzkatz die angestrebten
Nachrichtenverbindungen, die er von KOS Schneider erhalten, zu Stande
gebracht hatte. Spitzkatz habe ihr erklärt, dass er ihr weitere Nachricht
zukommen lassen würde, wenn mit der Arbeit zu beginnen sei. Wie die
Ehefrau Braun erfahren hat, ist Spitzkatz sowie die Geschwister Lausberg
mit Dienstpersonal am 25.10.44 durch die Amerikaner verhaftet und dem
Kriegsgericht in Aachen zugeführt worden. Allgemein wird erzählt, dass
sich auf Gut Neuenhof ein geheimer Drahtfunk befunden habe und
dieserhalb dort alles festgenommen worden sei. Nach Ansicht der Ehefrau
Braun dürfte mit einer Freilassung nicht zu rechnen sein, da in ähnlichen
Fällen bisher immer die Todesstrafe verhängt wurde. Über Aburteilungen
| ist bisher nichts bekannt geworden.
| Wie bereits erwähnt, hielten wir uns vereinbarungsgemäß zunächst in
einem Wiesengelände in unmittelbarer Nähe des Anwesens des Braun
auf. Mit dem V-Mann Becker war verabredet, dass er am 2.11.44, um
10.00 Uhr, bei Braun sein sollte, um weitere Erkundungen anzustellen
|
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Auf Gut Neuenhof in Eynatten soll sich eine geheime Funkstation befunden haben.
und je nach Lage den Rückmarsch festzulegen. Becker ist jedoch nicht
zu diesem Treff erschienen. Der Grund ist uns nicht bekannt geworden.
Um Braun nicht unnütz in Gefahr zu bringen, hielten wir uns zunächst in
einem in unmittelbarer Nähe befindlichen Steinbruch (Werkbude) auf.
Braun war unser Aufenthaltsort bekannt und er versprach, uns Essen zu
schicken und Nachrichten über Becker zukommen zu lassen. Beides ist
jedoch nicht geschehen. Wir haben am 2.11.44 bis gegen 18.00 Uhr im
Steinbruch gewartet und mussten uns dann zurückziehen, weil wir am
gleichen Tage gegen 16.00 Uhr bereits einer Kontrolle durch einen
Hilfspolizisten unterzogen worden waren. Es handelte sich um einen
älteren Mann aus der Gegend von Kettenis, Namen nicht bekannt, der
eine weiße Armbinde trug und uns nach unserem Aufenthalt und nach
Ausweisen befragte. Dem Hilfspolizisten haben wir erklärt, dass wir die
Absicht hätten, nach Aachen zu gehen, um Anstellungen nach dem Ver-
bleib unserer Ehefrauen durchzuführen. Mit dieser Ausrede war er nach
längerem Hin- und Herreden einverstanden und er verließ die Werkbude.
Da Becker nicht zurückgekehrt war, mussten wir damit rechnen, dass
der Hilfspolizist Verstärkung heranholte, um uns doch festzunehmen.
27
Nach der Kontrolle hielten wir uns an der gleichen Stelle noch etwa 3
Stunden auf und beobachteten durch eine Türspalte das gesamte Gelände.
Gegen 18.00 Uhr haben wir dann den Rückmarsch angetreten.
Wir konnten weiter in Erfahrung bringen, dass z. Zt. ein gewisser Klein
in Kettenis von den Amerikanern als Bürgermeister eingesetzt worden
ist. (Über Klein werden noch weitere Ermittlungen angestellt, um nähere
Einzelheiten zu erfahren.)
Die Reichsdeutschen in Eupen müssen sich noch täglich bei der Poli-
zeibehörde melden. Sie tragen keine gelben Armbinden. Die bisher von
den amerikanischen Besatzungsbehörden ausgegebenen Passierscheine
sind im Kreise Eupen ungültig erklärt worden. An ihrer Stelle wurde die
frühere belg. Carte d’Identit& als Personalausweis eingeführt. Die Car-
tes d’Identite€ werden jedoch für jede Gemeinde besonders neu ausgestellt
und tragen den Stempel der amerikanischen Besatzungsbehörden. Es war
nicht möglich, eine neu ausgestellte Carte d’Identit& zu beschaffen.
Die Hauptverkehrsstraßen des Kreises Eupen sind tags über für den
gesamten zivilen Fahrverkehr gesperrt. Nur in der Zeit von 17.00 bis
18.00 Uhr ist das Befahren, auch mit Fahrrädern, gestattet. Die weitgehend
durchgeführten Verhaftungen durch belg. Gendarmerie und Angehörige
der Arm&e Blanche haben nicht nachgelassen. Die Verhaftungen erfolgen
meist auf Grund von Anträgereien. Es ist beabsichtigt, in nächster Zeit
ein Sondergericht, welches von Brüssel nach Eupen verlegt wird, einzu-
setzen, um die im Kreise Eupen festgenommenen Reichsdeutschen abzu-
urteilen. Es konnte festgestellt werden, dass die Bewohner des Kreises
Eupen sich krampfhaft bemühen, nur die französische Sprache in der
Öffentlichkeit zu gebrauchen, um sich nach außen hin den Anschein zu
geben, dass sie Belgier seien. Ernährungsmäßig ist die derzeitige Lage
als äußerst schlecht zu bezeichnen. Von den amerikanischen
Besatzungsbehörden sind keinerlei Nahrungsmittel herangezogen wor-
den. Brot ist bei den Bäckern so gut wie gar nicht zu kaufen. In der
Hauptsache wird Brot zu Wucherpreisen nur im Schwarzhandel ab-
gegeben. Neuerdings ist der belg. Franken, der in den Kreisen Eupen
und Malmedy im Umlauf ist, mit einem Stempel der Besatzungsarmee,
genau wie bei der Reichsmark, versehen worden. Außerdem wurde durch
die Amerikaner ein Besatzungsgeld ausgegeben, das in Größe und For-
mat den amerikanischen Währungsscheinen gleicht. Dieses Geld trägt
den Aufdruck: «Nur gültig in den besetzten westlichen deutschen
Gebieten.»
28
Innerhalb des Kreises Eupen macht sich eine allgemeine Beunruhigung
innerhalb der Bevölkerung dadurch bemerkbar, weil das Gerücht
verbreitet ist, dass sich nach wie vor Beamte der Geheimen Staatspolizei
dort aufhalten sollen. Auf Grund dieser Gerüchteverbreitung war ein
verstärkter Einsatz von belg. Gendarmerie- und Suret£&beamten
bemerkbar.
Der Rückweg gestaltete sich dadurch recht schwierig, weil wir öfters
gezwungen waren, größere Umgehungen zu machen um nicht Gefahr zu
laufen, verhaftet zu werden. In der Nacht vom 3. zum 4.11.44 erreichten
wir bei Imgenbroich die deutsche HKL.
Unterschrieben: Heidorn, Krim.-Ass., Hennemann, Krim.-Ass., sowie
SS. U. Sturmführer und KOS (Kriminal-Obersekretär) Schneider. {€
Anmerkungen
' Die Genannten gehörten später zu dem Kommando, das am 25.3.1945 den ersten
Aachener Nachkriegsbürgermeister Franz Oppenhoff ermordete. Die Gruppe bestand
aus dem SS-Untersturmführer Leitgeb (lief später auf eine Mine), den SS-Leuten
Wenzel (später untergetaucht) und Hennemann, dem SS-Mann Heidorn und der BDM-
Führerin Ilse Hirsch.
Mit einer notgelandeten alliierten Maschine kam das Kommando bis Gemmenich,
wo die Gruppe absprang, verbrachte die Nacht in einem Waldlager bei Hauset, von
wo aus sie durch die BDM-Führerin über die Eupener Straße zur Wohnung des
Oberbürgermeisters Franz Oppenhoff geleitet wurden. Oppenhoff war ein
Regimegegner, der als Rechtsanwalt mit einem Berufsverbot belegt worden war, weil
er Juden und Bistumsangelegenheiten vertreten hatte.
? Außerplanmäßiger Kriminal-Assistent
29
Die Mädchen vom Göhltal
von Maria Pauly-Schmetz
Die Mädchen vom Göhltal sind schmuck und adrett,
ob Sonn- oder Werktag, stets frisch und kokett;
die herrlichste Mischung von Großstadt und Land,
die Mädchen vom Göhltal sind weithin bekannt.
Die Mädchen vom Göhltal sind chic und charmant,
mal deutsch, mal französisch, sehr sprachengewand
ein prächt’ges Melang’ zwischen Osten und West,
die Mädchen vom Göhltal besteh’n jeden Test.
Die Mädchen vom Göhltal sind immer mobil,
bei Karneval, Kirmes, doch niemals zu viel;
bald geht es mal drüber, bald geht es drunter,
die Mädchen vom Göhltal so lustig und munter.
Die Mädchen vom Göhltal,sind sportlich sehr fit,
sie turnen, sie kegeln und wandern auch mit;
sie lieben das Schöne mit viel Ideal,
die Mädchen vom Göhltal sind universal.
Die Mädchen vom Göhltal lachen und scherzen,
doch beten sie auch mit gläubigem Herzen;
sind stets bereit zu helfen und geben,
die Mädchen vom Göhltal hoch sollen sie leben!
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100 Jahre St. Josefsheim in Moresnet
von Alfred Bertha
Der Kulturkampf und seine Folgen
Wer den Spuren der Ordensniederlassungen im ehemaligen Herzogtum
Limburg, heute z. T. Provinz Lüttich, z. T. Niederländisch-Limburg, folgt,
wird eine Vielzahl derselben wie an einer Perlenschnur aufgereiht in
Grenznähe zu Deutschland ausmachen.
Und auf die Frage nach dem Warum und Wieso dieser Häufung fällt
immer wieder die Antwort, es sei dies eine Folge des durch Bismark
ausgelösten Kulturkampfes. .
Darunter verstehen die Historiker den ab 1871 geführten Kampf der
preußischen Regierung gegen die katholische Kirche und die
Zentrumspartei, die den politischen Katholizismus vertrat. Der Begriff
geht zurück auf den Mediziner Rudolf Virchow, der 1873 offen Partei
für Bismark ergriff und in einem Wahlaufruf den Kampf des preußischen
Staates gegen die katholische Kirche als «Kampf für die Kultur»
bezeichnete.
Mit besonderer Schärfe wurde der «Kulturkampf» in Preußen geführt.
Die wichtigsten Etappen wurden markiert durch eine Reihe von Gesetzen:
- Der «Kanzlerparagraph» (1871) verbot den Missbrauch der Kanzel
zu politischen Zwecken;
- 1872 folgte das «Jesuitengesetz». Es verbot die Tätigkeit dieses Ordens
im Deutschen Reich;
- 1873 schlossen sich die 4 «Maigesetze» an, die eine wissenschaftliche
Vorbildung der Geistlichen vorschrieben;
- 1875 wurde die Auflösung aller nicht im Krankenpflegedienst tätigen
Klostergenossenschaften verordnet.
Da nun viele nicht in der Krankenpflege tätige Orden ihre Arbeit in
Preußen einstellen mussten, suchten sie diese ins grenznahe Belgien und
Holland zu verlegen. Auf diese Weise war es ihnen möglich, weiterhin
Ordensnachwuchs in Deutschland zu rekrutieren sowie Ordensschulen,
Waisenhäuser und Pensionate zu unterhalten.
Erst 1886, nach 15 Jahren harter Auseinandersetzungen, wurde der
«Kulturkampf» weitgehend beendet («Erstes Friedensgesetz» vom
25.5.1886). Bestehen blieben die staatliche Schulaufsicht, die
obligatorische Zivilehe, das Jesuitengesetz und der Kanzlerparagraph.
Von den unter Bismark ins nahe Ausland abgewanderten
Kongregationen hatten inzwischen viele dort eine definitive Bleibe
32
gefunden. Auch die Franziskanerpatres, die 1875 ein kleines, ihnen später
(3.11.1879) durch den Aachener Rentner Johann Wilhelm Josef Dahmen
geschenktes Haus in Moresnet auf der Flur «Sier» bezogen hatten, waren
durch die Betreung des Wallfahrtsortes und der immer größeren
Pilgerströme in eine neue Lebensaufgabe hinein gewachsen. Der Orden
hatte zudem zahlenmäßig kräftig zugenommen, was die Patres dazu
bewog, ein neues Kloster in der Nähe der Wallfahrtskirche zu errichten.
1889 konnten sie dort einziehen.
Das dadurch leer stehende Haus an der Gabelung der Siergasse, im
Volksmund nun «altes Kloster» genannt, mit einer Fäche von 190 qm,
verkaufte der Franziskanerpater Franz Maasmann am 13. Juli 1892 an
die Gemeinde Moresnet. Mit gleichem notariellen Verkaufsakt erstand ”
die Gemeinde von Marie Alphonse de REsimont, dem Schlossherrn von
Bempt, ein daran angrenzendes Haus mit Garten von 670 qm. Das Ganze
zum Preise von 8000 Franken!.
Die Gemeinde konnte nun die Verwirklichung eines schon länger
geplanten Vorhabens, nämlich die Schaffung eines Alten- und
Pflegeheimes, konkret in Angriff nehmen.
Vom Kloster zum Spital
In den Protokollbüchern des Moresneter Bürgermeister- und
Schöffenkollegiums? sowie des Gemeinderates finden sich interessante
Hinweise zur Entstehung des geplanten kommunalen Alten- und
Pflegeheimes. So z. B. im Sitzungsprotokoll des Gemeinderates vom
8.8.1892. Unter dem Tagesordnungspunkt «Hospiz. Zu treffende
Maßnahmen» gibt Bürgermeister Jean Michel Schmetz seinen
Ratskollegen ausführliche Erläuterungen zu den im Falle einer
Spitalgründung gesetzlich vorgeschriebenen Prozeduren. Als Erstes sei
ein Verwaltungsrat zu gründen, der dann alles Weitere in die Hand
nehmen müsse. Damit könnte die Aufgabe des Gemeinderates in dieser
Angelegenheit abgeschlossen sein, wenn nicht das Problem der
Finanzierung der zu gründenden Einrichtung gelöst werden müsste. Der
Bürgermeister ist der Ansicht, man könne in dieser Phase sich nicht auf
die private Spendenfreudigkeit allein verlassen. Diese werde in Zukunft
notwendig sein.
Ein weiteres Problem stelle sich bei der Suche nach einer
Ordensgemeinschaft, die das zu gründende Hospiz betreuen müsste. Mit
dieser Ordensgemeinschaft habe der Verwaltungsrat dann die Modalitäten
der Übernahme des Hauses vertraglich zu regeln.
33
Schon bei dieser Sitzung des Kollegiums zeigte sich der Bürgermeister
sehr optimistisch, was die Zusage einer Ordensgemeinschaft betraf.
Aufgrund der (von ihm) unternommenen Schritte, so der Bürgermeister,
werde dieser Punkt ohne Schwierigkeiten zu lösen sein. Man müsse nur
das nächste Frühjahr abwarten. Wörtlich sagte er:
«Das Luxemburger Mutterhaus der Spitalschwestern von Beloeil bietet
sich uns an, kostenlos, unter der Bedingung, dass das Spital die Nahrung
und die Kleinmöbel der Schwestern übernimmt. Der Verwaltungsrat wird
also damit ein annehmbares Angebot besitzen, worüber ohne
Schwierigkeiten zu verhandeln sein wird. Wir werden uns noch über die
Hausordnung ähnlicher Einrichtungen informieren, so im Hause «Cann»
in Aubel.»?
14 Tage nach der genannten Sitzung waren Bürgermeister und
Schöffen erneut versammelt, um über die zukünftige Gründung eines
Alten- und Pflegeheimes zu beraten“. Es zeigt sich, dass Bürgermeister
Schmetz die treibende Kraft war, aber auch, dass das gesamte
Ratskollegium ihn in seinem Vorhaben unterstützte.
Die Gemeinde, so der Bürgermeister, sei in Sachen Heimpflege gut
versorgt, und zwar durch die Öffentliche Unterstützungskommission
(Bureau de Bienfaisance) und durch die Vinzenz-von-Paul-Vereinigung®.
Für die Altenpflege, die unbemittelten Kranken, die unheilbaren Armen
habe man jedoch auswärts Hilfe suchen müssen. Die Schaffung des
Pflegeheimes Saint Francois im früheren Kloster der Franziskaner sei
also ein sehr glückliches Unternehmen, das diese Lücke fülle («une en-
treprise tres heureuse pour combler cette lacune»), verlange jedoch
während einiger Jahre von der Gemeinde «eine ziemlich runde Summe»
(«une dotation assez ronde»).
Die Gemeindeväter von Moresnet waren sich darüber im Klaren, dass
die Errichtung des Spitals keine verzinsliche Geldanlage darstellen würde
(«ne constitue aucun placement ä interet»). Die Gemeindekasse sei jedoch
in der Lage, diese mit unbestreitbaren Vorteilen verbundene Auslage zu
tragen.
Der Bürgermeister wusste auch zu berichten, dass inzwischen eine
Kommission gegründet worden sei, die die Einrichtung und Leitung des
Hauses zu übernehmen habe, während sie einer Ordensgemeinschaft
die Sorge um Küche und Haushalt («soins de m&nage et d’entretien»)
überlasse.
34
Diese Vorgehensweise sei ihm, dem Bürgermeister, durch seine
Gespräche mit dem Mutterhaus der Schwestern von Henri-Chapelle
aufgezeigt worden.
Der Bürgermeister schätzte die auf die Gemeinde zukommenden
Kosten auf 2.000 bis 2.400 F jährlich. Das benötigte Startkapital für die
Grundeinrichtung werde 3000 F betragen®. Bürgermeister Schmetz
beschließt die Sitzung am 22.8.1892 mit den Worten: «Hoffen wir, dass
der gute Gott unser Werk segnet und es gedeihen lässt.»
Moresnet, nach Henri-Chapelle und Baelen, die dritte Ordens-
niederlassung der Luxemburger Franziskanerinnen
Wie aus dem Vorhergehenden zu ersehen ist, haben erste Kontakte’
zwischen den Gemeindeverantwortlichen von Moresnet und dem
Mutterhaus der Schwestern von Beloeil 1892 stattgefunden. Die seit
1861 in Henri-Chapelle tätigen Schwestern bewohnten dort in den ersten
Jahren ein Haus in der Mitte der Ortschaft, ehe sie 1864 in das Haus auf
«Beloeil» umzogen. Die Niederlassung in Henri-Chapelle hatten die
Schwestern unter der Leitung ihrer Gründerin Sr. Elisabeth Dufaing
d’Aigremont aufgebaut. Diese 1804 in Izel in der Nähe von Orval
geborene Schwester war 1815 mit ihren Eltern in der Festungsstadt
Luxemburg ansässig geworden, wo sie schon früh die Auswirkungen
des Frühkapitalismus hautnah erleben konnte. Ihren Wunsch, in ein
Kloster einzutreten, konnte sie wegen des Widerstandes der Familie nicht
verwirklichen; aber sie wurde karitativ tätig, versorgte die Armen und
Kranken und stieß mit dieser Arbeit auf das wohlwollende Interesse von
Klerus und Ärzteschaft ihrer Vaterstadt.
Schwester Seraphine, welche die erste Biographie über Elisabeth
Dufaing verfasste, schrieb folgende persönliche Erinnerung nieder: «Ich
zählte etwa 4 Jahre, als ich zum ersten Male mit meiner Mutter zur Stadt
ging. Auf einem großen freien Platz, ich glaubte später, den jetzigen
Platz vor dem großherzoglichen Palast wiederzuerkennen, sagte meine
Mutter: «Da kommt Fräulein Dufaing; die trägt jetzt den armen Kranken
das Essen.» Ich schaute mir die Bezeichnete genau an. Ihr einfacher
Anzug bestand in einem dunkelbraunen Kleid, einem farbigen geblumten
Halstuch und einem schwarzen Seidenhut mit dichtem Spitzenschleier.
Am Arme trug sie einen vollgepackten, schwarzen Korb und ging rasch,
freundlich grüßend an uns vorüber.»”
35
Zwei Persönlichkeiten vor allem sollten den späteren Weg der jungen
Elisabeth Dufaing bestimmen: Es waren dies der apostolische Vikar für
Luxemburg, der aus Aachen stammende Bischof Johann Theodor Lau-
rent, der 1835 bis 1839 Pfarrer in Gemmenich gewesen war, und dessen
Freund, der aus Baelen stammende und in Luxemburg tätige
Seminarprofessor Leonard Sühs. Beide sahen die Notwendigkeit, die
Krankenpflege in der Stadt Luxemburg im Rahmen einer medizinischen
Einrichtung zu organisieren. Dazu schien ihnen Elisabeth Dufaing die
geeignete Person. Diese war bereit, den an sie heran getragenen Wunsch
zu verwirklichen. Am 15.6.1847 begann Elisabeth Dufaing ihre Arbeit
im «Grund», am Fuß der Festung, in der Diedenhofener Straße Nr. 14.
Sie hatte eine Mitarbeiterin (Louise Augustin) aus der Zeit des
Pensionates gewinnen können. In den nächsten Jahren gesellten sich
weitere Frauen zu ihnen. Zwei bis drei Zugänge im Jahr führten dazu,
dass eine erste Einkleidung am 30.3.1850 stattfinden konnte. Leonard
Sühs hatte die Ordensregeln für die Schwestern ausgearbeitet. Sie nannten
sich «Franziskanerinnen von der Barmherzigkeit».
Den Anstoß zu einer ersten Ausdehnung erhielten die Luxemburger
Schwestern aus Henri-Chapelle, wo der Ortspfarrer Franz Jos. Andreas
Klausener seit längerem eine Privatschule unterhielt, die er gerne mit
der Heimkrankenpflege, einem kleinen Spital und einem Altenheim
verbinden wollte. Diese Mädchenschule wurde von zwei franzö-
sischsprachigen Schwestern (aus dem wallonischen Landesteil? Aus
Frankreich?) geführt, die der deutschen Sprache nicht mächtig waren.
Deutsch war aber zur damaligen Zeit noch erste Hochsprache in Henri-
Chapelle, nur die Verwaltung war seit der Franzosenzeit französiert.
Pfarrer Klausener stand mit dem Seminarprofessor Sühs in Luxem-
burg in einem freundschaftlichen Verhältnis. Er wandte sich also an
Letzteren mit der Bitte, ihm mehrere «seiner» Schwestern zur Verfügung
zu stellen. Diese Kontakte fanden 1859 statt.
Professor Sühs ging auf den Wunsch seines Amtsbruders ein und am
1. Oktober 1861 nahmen die ersten vier Schwestern, darunter zwei
Lehrerinnen und eine Krankenpflegerin, die Arbeit in Henri-Chapelle
auf. Geführt wurde die kleine Gruppe von der Ordensgründerin. Sie
begannen mit der Volksschule und der ambulanten Heimpflege. Im
nächsten Jahre folgten eine Kinderbewahrschule und die Pflege alter
Leute im Haus, wozu drei weitere Schwestern aus Luxemburg abgestellt
wurden. Dieses von den Schwestern bezogene Haus lag in der Ortsmitte,
in der Nähe der Kirche®, heute «Village 37».
36
Elisabeth Dufaing, als Ordensschwester Mutter Franziska, kannte
Henri-Chapelle, da sie als junges Mädchen ihre Ferien (öfters?) auf
Schloss Ruyff verbracht hatte. Das Einleben fiel den Schwestern dennoch
nicht leicht, da die Bevölkerung sich ihnen gegenüber sehr distanziert
verhielt. Wie im Kongregationsarchiv der Franziskanerinnen in den
Erinnerungen der Wwe Tiquet-Sühs zu lesen steht, ließ das Misstrauen
der Bevölkerung den Kontakt nur langsam aufkommen. «Die Luxem-
burger Schwestern haben unsere belgischen Schwestern vertrieben», so
hieß es im Dorf. In der ersten Zeit konnten die Schwestern nicht mal
ihren Lebensunterhalt verdienen, so dass sie in äußerste Armut gerieten.
Langsam schmolz das Eis. Man brachte den Schwestern Milch, dann
eine Ziege, schließlich eine Kuh. Man lernte ihre Dienste schätzen und *
das Altersheim wurde gerne angenommen. Auch beim neuen Pfarrer,
Jean Langhoor, fanden die Schwestern volle Unterstützung.
Da die räumliche Enge die Arbeit der Schwestern beeinträchtigte,
wurde der Wunsch nach einem größeren Haus spürbar. So erstand Pfarrer
Jean Langhoor®, der Nachfolger von Pfarrer Klausener, 1862 eine auf
der Höhe von Beloeil gelegene ehemalige Pferdewechselstation und
Herberge der Post, wohin die Schwestern 1864 umzogen.
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Henri-Chapelle, das Haus «Village 37»
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Das Haus auf Beloeil hatte zur Zeit der Gründerin nur ein Obergeschoss und
zählte nur 5 Achsen. Dieser Kernbau ist durch die Kellerlöcher im Sockel und
durch etwas dunklere Fenstergewände zu erkennen. Die Kapelle wurde 1876
gebaut; 1880 folgten Vergrößerungsarbeiten.
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Beloeil heute. Die ehemalige Kapelle ist bei Umbauarbeiten 1990-92 in den
Wohnbereich einbezogen worden.
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Das Kloster St Francois in Forges/Baelen.
Im Vordergrund das Elternhaus v. L. Sühs
Zehn Jahre nach Beloeil folgte eine weitere Niederlassung der
Luxemburger Schwestern in unserem Grenzgebiet, und zwar in Forges/
Baelen, wo die Familie Sühs eine Papierfabrik betrieb. Auf der Anhöhe
hinter seinem Elternhaus ließ Leonard Sühs einen Klosterbau errichten,
den die Schwestern 1871 bezogen. «Zur Anbetung und Krankenpflege»
war das Haus gedacht, aber es entwickelte sich zu einem Pensionat und
Waisenhaus.
Durch Henri-Chapelle und Baelen waren die Luxemburger Schwestern
in unserem Raum also keine Fremden mehr. Es dürfte ihnen deshalb
auch leicht gefallen sein, bei der Gründung des geplanten Pflegeheimes
in Moresnet sich zur Übernahme desselben bereit zu erklären.
Die Chronik des Luxemburger Mutterhauses gibt leider zu den
Anfängen nur wenige Informationen. Unter dem 9, April 1893 vermerkt
die Chronistin:
«Übernahme des Gemeinde-Spitals zu Moresnet in Belgien, Bistum
Lüttig (sic), seitens der Genossenschaft.
Der Gemeinderat von Belgisch-Moresnet hat an die Obern des
Mutterhauses die Bitte gerichtet, Schwestern unserer Genossenschaft
839
zu erhalten, um dem zu gründenden Gemeinde-Spital vorzustehen und
in der Gemeinde die armen Kranken zu pflegen.
Da die in Aussicht genommenen Werke der Barmherzigkeit ganz dem
Orden entsprechen, so wurden heute, am 9. April 1893, drei Schwestern
von den Obern abgesendet: Schwester Michelina Scharff als Oberin,
Schwester Fanciska Knell und Schwester Dorothea Clees.»
Eine solide vertragliche Basis
Die vertragliche Absicherung der Arbeit dieser Schwestern wurde vom
6-köpfigen Verwaltungsrat des «Spitals» und dem Luxemburger
Mutterhaus durch Kontrakt festgelegt, allerdings nach Ankunft der
Schwestern und Aufnahme der Tätigkeit im Pflegeheim. Für Moresnet
besiegelten ihn durch ihre Unterschrift der Bürgermeister Jean-Michel
Schmetz (als Vorsitzender), Alphonse de REsimont, I. Cremer, Francois
Weber, F. Schmetz und H. Frank schon am 11. Mai 1893.
Für die Kongregation der Franziskanerinnen unterschrieben den
Vertrag am 4. Oktober 1893 die Ordensoberin Schwester Paulina und
der Superior Schmitz.
Der schriftlichen Fixierung des Vertrags war eine mündlich getroffene
Übereinkunft voraus gegangen, wie aus dem Vorwort zum Vertrag zu
ersehen ist, wo sich die Herren aus Moresnet auf das Gesetz vom 27.
November 1892 über die Kostenlosigkeit der medizinischen Versorgung
sowie auf eine vorher stattgefundene Versammlung vom 16. Dezember
1892 berufen, die den Beschluss gefasst hatte, eine schriftliche
Vereinbarung mit der Luxemburger Genossenschaft auszuarbeiten, und
zwar auf der Grundlage der mündlich getroffenen Übereinkunft
(d’apr@s les bases convenues verbalement»).
In genanntem Vertragstext werden in 7 Artikeln die Rechte und
Pflichten der vertragschließenden Parteien festgelegt.
Darin verpflichtet sich der Aufsichtsrat,
- den Schwestern die Räumlichkeiten des Hospizes zur Verfügung
zu stellen, diese mit dem notwendigen Mobilar auszustatten, Wäsche,
Gerätschaften und alles nötige Material sowohl für die Schwestern wie
für die von ihnen aufgenommenen Alten und Kranken zu besorgen;
- alle Unterhaltskosten inklusive der Gebäudereparaturen zu tragen;
- alle Lebenshaltungskosten der Schwestern und der Kranken zu
übernehmen, d. h. vor allem, Lebensmittel in genügender Menge zur
Verfügung zu stellen.
40
Ihrerseits verpflichten sich die Schwestern aus dem Geist christlicher
Nächstenliebe zur unbezahlten Übernahme der Leitung des Hauses und
der Pflegedienste, dies ohne Gewinnabsichten. Ihre persönlichen
” Bedürfnisse werden durch das Hospiz gedeckt, dessen Interessen sie
mit selbstloser Hingabe wahrnehmen werden.
Die Schwestern werden die mittellosen Kranken zu Hause besuchen,
ohne dafür ein besonderes Entgelt zu erhalten, und sie werden die zu
Lasten der Öffentlichen Unterstützung fallende medizinische Versor-
gung übernehmen, soweit sie es für notwendig erachten.
Auf Anfrage können sie auch begüterte Kranke gegen Entlohnung zu
Hause pflegen, unter der Bedingung, dass der Krankenhausdienst dies
zulässt. Die in diesem Fall nach einem festzusetzenden Tarif zu zahlende
Vergütung kommt den Schwestern zu, die frei darüber verfügen dürfen.
In allem, was ihren Ordensstand betrifft, bleiben die Schwestern vom
Mutterhause abhängig. Ihre Zahl ist auf drei festgelegt. Die vom Orden
ernannte Oberin wird die Bezeichnung Hospizleiterin tragen.
Die kleineren Ausgaben (menues depenses de menage) bespricht der
Verwaltungsrat monatlich mit der Hospizleiterin, die dem Einnehmer
Rechenschaft ablegt.
Den zu pflegenden Kranken gegenüber besitzt die Hospizleiterin alle
disziplinarischen Vollmachten. Sie hat über die Ausführung der vom
Aufsichtsrat getroffenen Entscheidungen zu wachen.
Die Anforderungen wachsen
Bürgermeister Jean-Michel Schmetz zeigte sich von Anfang an sehr
optimistisch im Hinblick auf die Entwicklung des Pflegeheimes. Im
Protokollbuch der Sitzungen des Bürgermeister- und Schöffen-
kollegiums vom 1.9.1893 gibt er seiner optimistischen Einschätzung in
folgenden Worten Ausdruck:
«Die Errichtung des Spitals wird hoffentlich gute Früchte tragen. Der
Anfang muss bescheiden sein und bis heute haben wir keinen Anlass
gehabt, die Schaffung dieser Einrichtung zu bedauern («nous n’avons
qu’a nous louer d’en avoir entrepris 1’&rection»). Die Einrichtung wird
in Zukunft gedeihen und wir dürfen nicht versuchen, die Zahl der fremden
Heimbewohner übermäßig zu steigern. Wir dürfen solche nur mit
Vorbedacht aufnehmen.»
Die kleine Gemeinschaft der luxemburgischen Schwestern wurde von
der Bevölkerung mit offenen Armen aufgenommen und das «alte
Kloster» oder «Spitälchen» erwies sich bald als zu klein. Über die
41
Belegung des Hauses in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts gibt die
Ordenschronik folgende Zahlen:
1900: Dauernde Pflege im Haus: 12
Ambulante Pflege: 20
1901: Dauernde Pflege im Haus: 21
Ambulante Pflege: 20
1902: Dauernde Pflege im Haus: 14
Ambulante Pflege: 25
1903: Dauernde Pflege im Haus: 12
Ambulante Pflege: 38
1904: Dauernde Pflege im Haus: 14
Ambulante Kranke: 56
1905: Dauernde Pflege im Haus: 16
Ambulante Kranke: 63
1906: Kranke im Spital: 30
Ambulante Kranke: 38
1907: 30 Kranke im Haus, 40 ambulante Pflegefälle.
«Zu Gottes Ehre und der Mitmenschen Wohl»
Unter dem 2.2.1906 findet sich in der Ordenschronik folgende
Eintragung: «In Moresnet hat sich das Gemeindespital schon seit Jahren
als zu klein erwiesen, um den vielseitigen Anfragen um Aufnahme von
Kranken und Pensionären genügen zu können. Da die dortige Gemeinde
nichts zur Vergrößerung desselben tun wollte und man bereits zu
wiederholten Malen von verschiedenen Seiten die Ordensobern ersucht
hat, ein eigenes Haus in Moresnet zu erbauen, so haben sich diese
endlich dazu entschlossen.
Vom Mutterhaus aus sandte man ein diesbezügliches Bittgesuch,
begleitet von einem Empfehlungsschreiben des hochwürdigsten Herrn
Bischofs von Luxemburg, an den Diözesanoberen von Moresnet, den
hochwürdigsten Herrn Bischof von Lüttich, und heute erhielten wir die
Genehmigung Seiner Bischöflichen Gnaden.
Als Bauplatz wird man eine gegenüber dem Spital gelegene Wiese
kaufen und sobald als möglich die Hand ans Werk legen zu Gottes Ehre
und der. Mitmenschen Wohl.»
Die Generaloberin der Franziskanerinnen, Sr. Pauline, hatte sich erst
am 30.1.1906 ehrfurchtsvoll an den Bischof von Lüttich gewandt, «um
demütig um eine Gnade zu bitten».
42
«Seit 1893", so schreibt die Oberin, «besitzt unsere Kongregation (die
Sr. vom Orden des hl. Franz von Assisi) eine Niederlassung in Moresnet,
in der Diözese Lüttich, wo die Schwestern im Geiste der christlichen
Nächstenliebe umsonst, ohne materiellen Gewinn, sich der
Krankenpflege zu Hause annehmen und ein kleines Spital leiten.
Die persönlichen Ausgaben der Schwestern sind zu Lasten des Spitals,
dessen Interessen sie sich in selbstloser Hingabe wahrzunehmen
verpflichten. Angesichts der großen Anzahl von Kranken, die um
Aufnahme im Hospiz bitten, wird die Notwendigkeit einer Vergrößerung
von Tag zu Tag dringender.
Da die Gemeinde dieser Notwendigkeit nicht nachkommen will, haben
wir beschlossen, den Wünschen und Bitten des ehrwürdigen Klerus ’
der Umgegend nachzugeben und das besagte Heim auf eigene Kosten
zu vergrößern. Es geht also nicht darum, ein neues Haus zu gründen,
sondern auf die bestehende Notwendigkeit einzugehen.
Dazu erbitten wir sehr demütig Ihre Genehmigung. Man könnte in
diesem Falle auch die ungenügende Zahl der Schwestern (vier) anheben,
die für die Bedürfnisse der Kranken im Dorf und im Spital nicht ausreicht.
Es bietet sich im Augenblick eine sehr günstige Gelegenheit, da ein
in der Nähe der Schwesternwohnung gelegenes Grundstück zum Verkauf
steht. Dieses Grundstück läuft Gefahr, zum Bau eines Gasthauses
verwendet zu werden, was sehr bedauerlich wäre.
Die Sr. Oberinnen der Häuser von Moresnet und Henri-Chapelle
werden für eventuelle weitere Auskünfte gerne bei Euer Exzellenz
vorstellig werden.
Im Voraus danken wir Ihnen, Monseigneur, aufrichtig...Ihre
untertänigsten Dienerinnen
Die Generalobere der Franziskanerinnen
Sr. Pauline
Luxemburg, den 30.01.1906.»
Ihrem Bittschreiben fügte die Oberin eine Empfehlung des Bischofs
von Luxemburg bei, der seinem Lütticher Amtsbruder die Bitte der
Franziskanerinnen aufs wärmste ans Herz legte («ose recommander ins-
tamment la demande de nos Soeurs Franciscaines pour le petit hospice
de Moresnet»).
Das Antwortschreiben von Bischof Martin Hubert Rutten lautete:
«Nach den mir zugegangenen Auskünften gibt es keine ernsthaften
Bedenken gegen die Errichtung des Spitals, das Sie zu bauen
43
beabsichtigen und wofür Sie um die Genehmigung zum Kauf eines
Grundstücks bitten.
Folglich erteile ich Ihnen hiermit die erbetene Genehmigung.
M. H. Rutten, Bischof von Lüttich
Lüttich den 16.3.1906
Der positive Bescheid des Bischofs von Lüttich überrascht durch seine
Kürze. Bischof Rutten bittet nicht um weitere Einzelheiten, verbindet
auch die Genehmigung mit keinerlei Auflagen. Auch der Hinweis der
Sr. Oberin auf die Notwendigkeit einer zahlenmäßigen Anhebung der
Moresneter Kommunität findet keine Erwähnung im Antwortschreiben
des Lütticher Oberhirten.
ok
Die Bauarbeiten an dem neuen Spital, dessen Architekt nicht bekannt
ist, gingen unter der Aufsicht von Sr. Innocentia (Jost), die bald noch
von Mutter Brigitta aus Luxemburg beraten wurde und schon 1906 starb,
so zügig voran, dass schon im August 1907 der Umzug erfolgen konnte.
Dazu die Chronik des Mutterhauses unter dem 5.8.1907:
«Die Kirche feiert heute das Fest «Maria Schnee». Die
Wallfahrtskirche in Moresnet ist darum von zahlreichen Gläubigen
besucht. Wie schon vorher geschrieben, hat unsere Gemeinschaft in
Moresnet ein geräumiges Haus erbaut, sowohl zur Aufnahme von
Kranken und Pensionären, als auch zur Beherbergung frommer Pilger,
die von nah und fern dorthin zum wundertätigen Gnadenbild «Maria
Hilf» kommen. Der Bau ist nun soweit vollendet und heute zogen die
Schwestern unter dem Schutz der allerseligsten Jungfrau im «Sankt
Josephshaus» ein.
Es sind die Schwestern Bibiana, Eulalia, Demetria und Melania.
Möge die liebe Gottesmutter und der hl. Joseph bei ihrem göttlichen
Sohne erflehen, dass durch diese neue Filiale Gottes Ruhm und Ehre
stets gefördert werde!
Mutter Pauline übernahm die Leitung des neugegründeten Sankt
Josephshauses.»
Der Neubau hatte die Summe von ca. 153.000 F gekostet.
ok
In der Lokalpresse, der aus Aubel kommenden «Fliegenden Taube»
und dem in Kelmis und Umgebung viel gelesenen «Freien Wort», finden
der Neubau des Josefsheimes und der Umzug der Schwestern in das
neue Heim keine Erwähnung.
44
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Ansicht von Sankt Josef in einer Aufnahme aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg.
In der Übersicht über die Tätigkeiten des Jahres 1907 registriert die
Chronik 30 Kranke im Spital und 40 ambulante Pflegefälle.
ok
Eine 1915 angelegte «Chronik der Niederlassung der Franzis-
canerinnen von Luxemburg. Moresnet. Josefsheim. Belgien» gibt zum
Einzug der Schwestern in das neue Haus zahlreiche Details. Erst aber
beschreibt die Schwester ausführlich die Lage des neuen Heimes. Sie
schreibt:
«Wer kennt nicht das >Eichschen<, jenes reizende Oertchen nahe der
deutschen Grenze? Nur wenige Häuser zählt es; inmitten derselben erhebt
sich das traute Gnadenkapellchen mit dem Franziskanerkloster. Ringsum
saftige grüne Wiesen, wo das liebe Vieh Tag und Nacht weiden kann.
Der Aachener Wald, etwa 100 m vom Kloster entfernt, bietet den
Einwohnern und Sommerfrischlern schöne Spaziergänge. Doch, was dem
Oertchen einen besonderen Reiz verleiht, ist wohl der wunderschöne
Kreuzweg, auch Kalvaria genannt — ein prachtvoller englischer Garten
mit breiten Parkanlagen, in dem Bäume, Sträucher und Pflanzen von
der edelsten Art, mit seltenem Geschmack, vierzehn Kapellchen
umgeben, welche die 14 Stationen, wahre Meisterwerke, bergen. Doch
zu weit würde uns die Beschreibung dieses so berühmten Kreuzweges
führen.
45
Wenden wir uns von Kalvaria weg; vor uns erblicken wir ein großes,
noch neues Gebäude, das «Josephsheim», welches den luxemburgischen
Franziskanerinnen gehört, von dem wollen wir hier sprechen.
Im Jahre 1893 kamen die ersten luxemburgischen Schwestern zur
Übernahme des Spitals und der auswärtigen Krankenpflege nach dem
«Eichschen». Damals war der Ort noch nicht so bevölkert wie heute;
der Kalvarienberg war ganz verwildert, nur erst eine Station, die XII.,
ragte hoch empor. Doch das Gnadenbild ULF zog immer mehr Pilger
heran; zahlreicher wurden die Prozessionen zur «Helferin der Christen»,
sodass schon mehrmals der Wunsch laut wurde, es möchte ein Haus
hier sein zur Erholung für Fremde, geleitet von Ordensschwestern.
Mehrere hochgestellte Persönlichkeiten wünschten dies, und im Jahre
1905 bot sich eine willkommene Gelegenheit dar zum Ankauf einer
Wiese für einen Bauplatz. Die Anfrage wurde an das Mutterhaus (Luxem-
burg) geschickt und von der ehrwürdigen Mutter Pauline, der
Generaloberin, genehmigt, sowie von ihren Ratsschwestern. Die Wiese
ward gekauft und mit dem Bau begonnen.
Man hatte vor, ein Haus mit Facade und 2 Flügeln zu errichten; zu
diesem großartigen Bau kam es aber nicht; er besteht nur aus einem
Flügel. Ob wohl je der Rest angebaut wird?! (Anm.: Wir können uns
den Bau also in der ursprünglichen Konzeption als offenes U mit zwei
im Osten durch einen Querbau verbundenen Seitenflügeln vorstellen).
Mutter Brigitta wurde von Luxemburg gerufen, um Schwester
Innocentia (Jost) bei der Aufsicht des neuen Baues zu raten und zu helfen.
Letztere starb schon 1906. Schw. Bibiana wurde als Oberin ins neue
Haus ernannt und im Juli 1907 von Mutter Pauline in ihr Amt eingesetzt.
Sie blieb jedoch im Spital bis zur Vollendung des Baues.
Unterdessen hatte die neue Oberin vollauf zu tun, für das
Allernotwendigste Sorge zu tragen. Sie wurde jedoch aufs trefflichste
dabei unterstützt von Mutter Brigitta. Mit welch’ selbstloser, hingebender
Liebe und wahrhaft mütterlicher Sorge sie sich Tag und Nacht um das
neue Heim bemüht hat, wissen wohl am besten die ersten dort ansässigen
Schwestern zu erzählen!
Am 5. August 1907 kamen von Baelen, wo tagszuvor die Einsegnung
der Grotte stattfand, die ersten Schwestern nach dem «Josefsheim», so
genannt wegen der großen Verehrung, die Schw. Innocentia zum hl.
Nährvater hatte. (Die große Statue des hl. Josef, die heute im unteren
Flur steht, war bestimmt, die «facade» zu zieren.)
46
Die ersten hieher gekommenen Schwestern waren: Schw. Oberin
Bibiana (Hilger), Schw. Eulalia (Lehners, die schon nach einem Monat
durch die Schw. Eugenia Simetin ersetzt wurde) Schw. Melania
(Grotenrath) und Demetria (Heymanns).
War es Zufall?...Auf dem Wege vom Bahnhof hieher kam ihnen der
Herr Pfarrer von Moresnet entgegen, begleitete sie liebevoll in ihr neues
Heim und — ging vor ihnen her durchs ganze Haus.-
Nun waren sie eingezogen, Schw. Bibiana mit ihren drei Schwestern.
Als erste Arbeit wurde die Haustüre eingesetzt!
All ihr Hab und Gut bestand nur noch aus 4 Betten, 4 Tischchen und
etwas Leinwand. Und wie sah alles aus! Die einzige Treppe, die steinerne,
hatte keine Geländer, die Zimmer keine Böden und Türen, überall Steine,
Bretter und Schutt; beständig gingen Arbeiter ein und aus.
Keine Spur von Garten, nur Wildnis, sandige Hügel und Gras. Was
zuerst tun in diesem Chaos!
Eine Pensionärin, ein älteres Fräulein (Schmitz), hatte sich auch schon
gemeldet; sie drängte so sehr um aufgenommen zu werden, daß man in
aller Eile Nr. 4 und 5 auf dem 1. Stock für sie einrichtete, doch verließ
sie bald wieder das Haus.
Louis Schintz kam als Gärtner, grub und pflanzte ein Stückchen Erde
zu einem notdürftigen Garten. Nun hieß es, die neue Wohnung säubern!
Zunächst trugen die Schwestern Schutt und Steine aus dem Haus; die
Schreiner wurden gerufen, Möbel und sonstige Gerätschaften ange-
schafft, Matratzen und Bettzeug verfertigt.
Die zwei Zimmer 17 und 18 auf der 1. Etage, nebst dem Stück Gang,
bildeten die Kapelle. Sie diente anfangs als Oratorium (Betraum) für
die Schwestern und enthielt nur eine Herz Jesu- und Muttergottesstatue,
nebst einer langen Bank (aus Henri-Chapelle)...»
ook
Nach dem Bau des St. Joseph-Heimes vermietete die Gemeinde das
«Klösterchen» bzw. «Spitälchen» (auch «Hospice St. Francois» genannt)
an die Öffentliche Unterstützungskommission von Moresnet, die dort
ein Altenheim unterhielt. Eine kleine Gruppe von vier Schwestern blieb
dort wohnen und war weiterhin (bis 1955) in der Altenpflege tätig.
ok
Die Schwestern schafften es in erstaunlich kurzer Zeit, die chaotischen
Wohnverhältnisse zu ordnen. Am 9. Dezember 1907 kam Mutter Pauline
mit Schwester Helene (Querelle) in Moresnet an. Schwester Bibiana
kehrte nun nach Luxemburg zurück.
47
Das neue Heim wurde immer wohnlicher und seine Bewohner, die
nach und nach einzogen, fühlten sich recht wohl in demselben.
Es sollte auch bald der von den Schwestern so heiß ersehnte Tag der
Einsegnung der kleinen Kapelle kommen. Am 18. Dezember traf der
Altar ein und Herr Pater Präses Lucas hatte den 9. Januar zur Feier
bestimmt, an der auch vier Schwestern aus der Niederlassung in Forges
teilnahmen. Auch viele Einwohner vom Eichschen waren zur Feier
erschienen. Erst abends herrschte wieder die gewohnte Ruhe im
Haus.... Von nun an war einmal wöchentlich eine Messe in der Kapelle.
Die an den Bischof von Lüttich gerichtete Bitte, einen Kreuzweg in
der Kapelle errichten zu dürfen, wurde am 19. Januar 1908 genehmigt.
Diese ersten Kreuzwegbilder wurden später durch größere ersetzt, die
Pastor Schneider den Schwestern von einer Romreise mitbrachte. «Es
sind dieselben, die heute die Wände der Kapelle zieren», schreibt die
Chronistin 1915. Die kleineren kamen nach Luxemburg (St. Antonius).
Eine weitere Bittschrift ging an den Bischof. Die Schwestern baten
um die Erlaubnis, an der ewigen Anbetung teilzunehmen. Dazu
bestimmten sie die Nacht vom 19. auf den 20. März.
Von 1908 bis 1912 hatten die Schwestern auch in der Person eines
erholungsbedürftigen Trappisten einen eigenen Hausgeistlichen, der den
Gottesdienst im Heim übernahm, die Seelsorge blieb aber weiterhin den
Franziskanern vorbehalten.
Im Sommer 1908 zählte das neue Erholungsheim schon «nicht wenig
Gäste». Wegen noch mangelhafter Einrichtung der Zimmer gaben die
Schwestern ihre Betten her für die Leute; sie selbst schliefen auf dem
Boden. Auch erwies sich die Zahl der Schwestern als zu klein, da die
Arbeit immer zunahm.
Die Schwestern Marcellina und Leocadia kamen hinzu. Auch die
Schwester Lydwina, bisher «drüben im Spital» beschäftigt, wurde dem
Josefsheim zugeordnet, um dort «die Sorge für Vieh und Garten zu
übernehmen. Sie hat bis dato ihr Amt trefflich verstanden; es war keine
kleine Arbeit, den wilden Garten eben und fruchtbar zu machen. Heute
gibt er reichlich, trotz des sandigen Bodens...» (Chronik)
Vieh und Garten? Schon im ersten Jahre zeigte sich der Drang der
Schwestern nach Selbstversorgung. «Etwas Vieh, Hühner und Schweine
wurden angeschafft und am 11. Dezember 1907 ging Schwester Helene
nach Henri-Chapelle (Beloeil) eine Kuh fragen!» So die Aufzeichnung
der Hauschronik. Viehhaltung bedeutete auch, dass man einen Stall bauen
musste. Dies geschah schon 1908.
48
Für Trinkwasser sorgte eine hauseigene Quelle, deren Wasser durch
einen Motor dem Haus zugeführt, in einer großen Zisterne gesammelt
und von dort aus auf die verschiedenen Stockwerke geleitet wurde.
Schon im Laufe des Jahres 1908 ward das Treppenhaus gebaut, mit
dem Stall. Mutter Pauline ließ auf einem Balcon ein Badezimmer und
ein Vorratszimmer errichten. Dies alles wurde dem Flügel des Hauses
beigefügt...
1909 ließ Mutter Pauline eine Grotte bauen; die Statuen der Berna-
dette und der Unbefleckten Empfängnis waren Geschenke der Oberin
aus Baelen. «Der Vater der Schwester Demetria hat beide Statuen auf
einem Esel bis hiehin gebracht», schreibt die Chronistin.
Die ehrwürdige Mutter Anna starb in Baelen im November 1910 und
Mutter Pauline wurde daselbst zur Oberin ernannt. Schw. Josepha (Strop)
kam nun als Oberin ins Josephsheim, am 4. Januar 1911, wo bald nachher
ihr SOjähriges Jubiläum gefeiert ward — ein unvergesslicher Tag für alle,
die die Freude hatten, am Fest teilzunehmen.
«Die Ordensfrauen hatten richtig gesehen: Das Heim erfreute sich
eines außergewöhnlichen Zuspruchs, bestand doch nun die Möglichkeit
für gewisse soziale Bevölkerungsschichten, in einem komfortablen Hause
den Lebensabend zu verbringen.» So schreibt Alfred Jansen in einem
Beitrag über die «Clinique» in der Zeitschrift «Im Göhltal» Nr. 44, S.
76 ff. Die Chronik bestätigt dies mit einer kurzen Notiz: «Immer mehr
Sommerfrischler verbrachten die schöne Jahreszeit im Josefsheim.
Mehrere Zimmer waren doppelt besetzt; das Kapellchen auf der 1. Etage
erwies sich als zu klein. Man mußte sich nach einem größeren Gotteshaus
umsehen und wählte zu dem Zwecke das große Bügelzimmer im
Erdgeschoß, welches in eine hübsche Kapelle verwandelt wurde. Man-
che schöne Geschenke: Heiligenstatuen, Teppiche, Meßgewänder usw.
verdanken die Schwestern den Hausleuten und edlen Wohltätern...»
Schwester Oberin Josepha war (bis zum heutigen Tag) unablässig
bemüht, für das Wohl des Hauses und seiner Bewohner recht mütterlich
Sorge zu tragen. Sie verstand es im rechten Sinne fortzusetzen, was ihre
Vorgängerinnen so mühevoll begonnen. Sie hat das Haus verschönert,
1913 die Anlagen des Gartens vergrößert; den Plan hiervon machte der
hochw. P. Johannes. Für die Schwestern ließ sie auf dem Speicher acht
sehr luftige «Franziskanerzellchen» bauen. Auch trug sie Sorge für ein
schönes bequemes Krankenzimmer auf dem Erdgeschoß.
49
Alles ist so recht einladend hier zur Aufnahme von Erholungs-
bedürftigen. Der Garten ist, wie oben erwähnt, gut gepflegt und seit
diesem Jahre (1915) haben die Schwestern ein nahegelegenes Gütchen
gepachtet, auf dessen grünen Wiesen vier schöne Kühe und eine große
Zahl Federvieh friedlich grasen.
Kriegsausbruch. Turbulente Tage, auch in Moresnet
«Der furchtbare Krieg, der nun schon ein Jahr seine Schreckens-
herrschaft führt, hat doch bis jetzt unser Örtchen mit außergewöhnlicher
Milde behandelt! Ohne Zweifel haben die Einwohner des «Eichschen»
dieses Privileg ihrer geliebten Gnadenmutter zu verdanken! Das
Josefsheim hatte dreimal Einquartierung von je dreißig Mann; die
Schwestern gaben, was sie konnten, wuschen und flickten für die
Soldaten und bedauerten, dass es ihnen nicht gegönnt war, die armen
Verwundeten zu pflegen.
Wohl erlebten sie einige Monate in beständiger Angst, verursacht durch
allerlei Gerüchte, durch unaufhörliches Kanonenschießen, Vorbeifahren
von Kriegern, Autos und Fliegern, bei Tag und bei Nacht. Auch einer
sehr strengen Hausuntersuchung musste das Josefsheim sich unterwerfen;
da blieb «vom Speicher bis zum Keller nicht einmal ein Kistchen
ununtersucht!». Manches Geschichtchen wissen seine Bewohnerinnen
noch von jenem denkwürdigen Tag zu erzählen.
Heute ist, Gott sei Dank, alles ruhig geworden. Wohl leidet das
Erholungsheim schwer unter der allgemeinen Teuerung.
«Es ist schon der zweite Sommer, wo die Gäste ausbleiben», schreibt
die Chronistin im Sommer 1915. «Kein Briefwechsel, kein Verkehr mit
Deutschland! Doch dank der mütterlichen Fürsorge von Schwester
Oberin haben die Hausleute vom Josefsheim noch nichts von Mangel
und Entbehrung in dieser harten Zeit empfunden.»
Wenn von «Mangel und Entbehrung» nichts zu spüren war, so auch
dank dem Umstand, dass das Josefsheim nicht nur einen gut gepflegten
und ertragreichen Garten besaß; die Schwestern hatten auch, wie schon
erwähnt, 1915 ein nahegelegenes Gütchen gepachtet, wo vier Kühe
und eine große Anzahl Federvieh für einige Grundnahrungsmittel sorgten.
Die Hauschronik wurde, wie schon gesagt, im Juli 1915 angelegt und
führt aus erster Hand bis zu den Anfängen zurück. Die nicht namentlich
genannte erste Chronistin unterbricht ihre Aufzeichnungen im Juni 1915
mit den Worten: «Fest vertrauen alle auf die gütige Allmacht des
50
göttlichen Herzens, unter dessen Schutz dieses Haus steht und flehen
um baldigen Frieden und bessere Zeiten für die schwer geprüfte Welt.»
Von Juni 1915 an wird die Chronik aus zweiter Hand weitergeführt.
Diese Chronistin geht nochmals auf den Kriegsausbruch zurück. Zehn
Monate dauere nun bereits der unselige Krieg und noch immer sei kein
Friedenszeichen am Himmel. Mit wahrhaft väterlicher Sorge habe der
Allerhöchste bis zu dieser Stunde das Haus beschützt. Mit der Kunde,
der Krieg sei erklärt, hätten alle Deutschen das Josephsheim verlassen,
das sie sich zur Erholung ausgewählt hatten. Lassen wir die Schwester
berichten:
«Es herrschte während den ersten Tagen des August (1914) nicht wenig
Aufregung hier. Am 5. August zogen die ersten Truppen - 3000 Mann
— die Gemmenicher Straße entlang nach Lüttich zu. Unter beständigen
Ängsten, unter unaufhörlichem Schießen, Vorbeifahren von Truppen,
Autos und Fliegern, verlebten wir die weiteren Tage.
Am 15. August hatten wir die erste Einquartierung. Brave Thüringer
waren es. Sie verließen uns schon nach 3 Tagen, alle versehen mit
Medaillen von unserer Ib. Frau von Moresnet.
Und weiter:
«Eines Morgens ritt unter schrecklichem Getöse eine Truppe Soldaten
an unser Haus heran. Im Nu sahen wir uns umringt von bewaffneten
Soldaten, das Gewehr auf uns gerichtet. Von seinem Pferde herunter
hielt der Hauptmann unter Donnerstimme folgende Ansprache an Schw.
Oberin: «Wegen niederträchtigen Schießens auf die Verwundeten ist
strenger Befehl gekommen, daß, wenn Waffen hier gefunden werden,
die Oberin gefangen genommen und das Haus dem Erdboden gleich
gemacht wird.»
Im nächsten Augenblick eilten auch schon 3 Dutzend von seinen
Gesellen ins Haus. Unbeschreiblich war der Schrecken von unseren
Leuten; zwar hatten sie einige Tage vorher alles, was nur einer Waffe
glich, ins Gemeindehaus getragen, doch sollte auch nichts Dergleichen
mehr in dem großen Haus vorhanden sein? Das war die bange Frage,
die man auf den Gesichtern las. Unterdessen blieben die Männer des
Gesetzes nicht müßig. Gleich einem Bienenschwarm wimmelt es schon
an allen Ecken vom Keller bis zum Speicher. Kisten und Kasten,
Schränke und Schubladen wurden aufs peinlichste untersucht, die
Klausur bis ins Kleinste durchforscht.
Sie fanden natürlich nichts Verdächtiges; nur waren die Messer in der
Küche etwas spitz, wurden also abgebrochen....Gott sei Dank! Kehrten
51
die Gefürchteten uns endlich den Rücken. Alles atmete erleichtert auf.
Kriegsgerüchte drangen bis zu uns und versetzten uns jedesmal in neue
Schrecken. Fast täglich konnten wir den Zeppelin von hier aus begrüßen.
Massenhaft fuhren Autos mit Verwundeten hier vorbei, alle nach Deutsch-
land zu. Uns wurde leider die süße Pflicht, die armen Krieger zu pflegen,
nicht zuteil. Noch zweimal hatten wir Einquartierung, alles sehr liebe
Leute, darunter viele Familienväter. Momentan sind etwa 200 Soldaten
hier in Moresnet zur Erbauung einer neuen Eisenbahn.
Die große ungewöhnliche Ruhe im Eichschen, das früher von
Sommerfrischlern wimmelte, die Stockung allen Verkehrs und dabei die
schreckliche Teuerung sprechen nur zu wahr von der furchtbaren
Geißelung, die über uns alle herangebrochen. Doch gerne tragen wir
auch dieses Kreuz, solange es Gott gefällt, hat er uns doch während der
vergangenen 10 Monate vor so großem Leid bewahrt und so väterlich
für uns gesorgt.»
Die Hauschronik berichtet mit keinem Wort über die weiteren
Kriegsjahre. Die Schreiberin nimmt ihre Aufzeichnungen erst im
September 1919 wieder auf, und zwar mit der Eintragung, 1919 sei das
Haus teilweise als Kinderhaus umgeändert worden.
Das Josephsheim wird Waisenhaus und Volksschule
Die deutschen Heimbewohner hatten mit Kriegsausbruch das
«Feindesland» verlassen, so dass sich mit Kriegsende die Notwendigkeit
ergab, das Haus einer neuen Bestimmung zu übergeben. Die
Ordenschronik sagt dazu:
«1919. In Moresnet wurde das Sankt Josephs-Haus, das zur Aufnahme
von älteren Pensionären und Kranken erbaut worden war, umgeändert
und teilweise für Kinder eingerichtet. Die Kosten belaufen sich auf 33.000
Franken.»
Mit dieser Neuorientierung ging auch eine Aufteilung der Funktion
der Oberin einher. Die Ordenschronik vermeldet die Ernennung einer
Oberin für «Moresnet-Spital» und einer solchen für «Moresnet-St. Jo-
seph».
Der zahlenmäßige Rückgang der Altenheiminsassen und Sommer-
frischler wurde verhältnismäßig schnell durch Internatsschülerinnen
ausgeglichen. Bis dahin waren Knaben und Mädchen im Heim der
Schwestern in Forges-Baelen untergebracht. Nun entschlossen sich die
Schwestern, die Mädchen — es waren ihrer 35 - nach Moresnet zu
verlegen. Pädagogisch ausgebildete Schwestern übernahmen den
32
Unterricht. Anfangs tat dies Schwester M. Liguori (Glauden) allein. Den
Religionsunterricht erteilte ein Franziskaner vom «Eichschen».
Als die Zahl der Schülerinnen (auch durch die Aufnahme externer
Mädchen) anstieg, wurde eine zweite Schwester (Sr. Leonarda Krafft)
für den Unterricht abgestellt und schon 1922 war die Schülerzahl so
groß, dass die Klosterverwaltung zusätzliche Baderäume und Toiletten
sowie einen Schulhof anlegen musste. Als dritte Lehrschwester kam
später noch Schwester Alix (Mertes) hinzu.
Die Betreuung der Kinder erfolgte durch die Lehrerinnen, die 24
Stunden auf 24 als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung standen.
Dadurch entstand ein Gefühl der Geborgenheit und so etwas wie eine
Ersatzfamilie. v
Die Zahl der Schülerinnen lag in den Jahren 1925-1928 bei 70-80.
Nach Beendigung der Volksschule konnten die Mädchen eine
Ausbildung in Hauswirtschaft anschließen.
Leider ist es uns bisher nicht gelungen, Spuren der Lehrtätigkeit der
Schwestern in Form von Schulheften oder Zeugnissen zu finden.
Kurznachrichten
Eine neue Chronistin übernimmt das Amt 1925. Ihre erste Eintragung
erwähnt die 175-Jahrfeiern des Moresneter Gnadenortes, die von Bischof
Kerkhoffs eröffnet wurden, der auch den Schwestern im Josefsheim einen
Besuch abstattete.
1926 wurde die ganze Hausfassade mit Zementputz versehen.
1927 wurden verschiedene größere Arbeiten innen und außen
durchgeführt: die Pflasterung vor dem Hause wurde vergrößert, ein
Windfang vor der Haustüre angebracht, die hölzerne Treppe mit Eisen
beschlagen...
1928 erstanden die Schwestern eine neue durch einen Motor
angetriebene Teigmaschine, 1929 eine elektrische Waschmaschine mit
Waschkessel, Warmwasserbehälter und Wringmaschine.
Moresnet wird Noviziat
Schon 1928 hatte der Generalrat der Kongregation die Gründung eines
Noviziates in Moresnet beschlossen. Dieses sollte für Kandidatinnen
«vorwiegend französischer Sprache» sein.
Der Bischof von Lüttich hatte am 24.11.1928 seine Einwilligung zur
Noviziatseröffnung gegeben. Das Vorhaben musste jedoch aus nicht
genannten Gründen auf später verschoben werden.
33
Die Ordenschronik berichtet unter dem 27.5.1936, die Notwendigkeit
einer solchen Gründung werde nun immer dringender, weshalb man bei
der Kongregation für die Ordensgemeinschaften in Rom die Erlaubnis
dazu angefragt habe.
Der Bischof von Lüttich hatte schon am 3.8.1935 seine früher erteilte
Genehmigung bestätigt. Aus Rom kam ein positiver Bescheid am
27.5.1936.
Die Schwestern beschlossen nun, einige «zweckentsprechende
bauliche Änderungen» vorzunehmen und dann die Eröffnung eines
Noviziates bekannt zu geben.
Diese baulichen Änderungen beschreibt die Hauschronik wie folgt:
Im September 1936 begann man die neuen Bauarbeiten; es wurde ein
neuer Stall gebaut; den alten Stall räumte man aus, baute denselben auf,
baute ein schönes Treppenhaus an, und so entstand ein schönes Gebäude,
das als Noviziatshaus für die belgischen Häuser gelten soll. ...Im Frühjahr
1938 ist der Bau vollendet.»
Am 16.7.1938 wurde das Noviziat mit 2 Novizinnen durch die Sr.
Oberin aus Luxemburg, Sr. M. Gerarda, und Sr. M.-Claire Müller als
Novizenmeisterin eröffnet.
Die Einsegnung des Hauses und einer darin eingerichteten Hauskapelle
nahm der Guardian der Franziskaner aus Moresnet-Kapelle am 16.7.1938
vor.
Die ersten Novizinnen waren Julienne Ramakers und Emilie Meyers.
Das Noviziat sollte bis September 1946 bestehen und dann nach Huy
verlegt werden.
Evakuiertenheim und Lazarett
Der Zweite Weltkrieg brachte eine radikale Wende, verboten doch
die deutschen Behörden den Schwestern die weitere Führung einer
Schule. So mussten die Kinder von nun an die Dorfschule in Moresnet
besuchen, wo sie von deutschem Lehrpersonal unterrichtet wurden.
«Die leeren Klassenzimmer wurden in Krankenräume umgewandelt
und die Schwestern wurden mit der Pflege der Insassen betraut», schreibt
Alfred Jansen.
Und weiter: «Als sich dann allmählich im Kriegsverlauf eine Wende
andeutete und immer mehr Städte in Deutschland den Bombenangriffen
ausgesetzt waren, wurden Opfer dieser Fliegerangriffe hier im Hause
untergebracht. Im letzten Kriegsstadium fanden auch zahlreiche
54
Heimatvertriebene hier im Haus eine provisorische Unterkunft. Mitunter
waren über 300 Personen in dem Klostergebäude einquartiert...»
(Anm.: Es ist nirgendwo schriftlich festgehalten, in welchem Maße
das Haus in Moresnet entflohenen Kriegsgefangenen auf ihrer Flucht
geholfen hat).
«Ein neuer Aufgabenbereich erwartete die Klosterfrauen mit dem
Einzug der amerikanischen Armee. Das Rote Kreuz nahm das Haus in
Beschlag. Dreihundert Feldbetten wurden in den Räumen aufgestellt,
ein Operationssaal eingerichtet; es wurde Lazarett.
Es braucht wohl nicht unterstrichen zu werden, dass bei den heftigen
Kämpfen um Aachen, im Hürtgenwald und in der Rundstedtoffensive
die Betten voll belegt waren, zumal vom amerikanischen Sanitätsdienst
auch Zivilpersonen, die in der Frontlinie verletzt worden waren, nach
Moresnet gebracht wurden.» (A. Jansen)
Leider ist diese Phase der Geschichte des Hauses durch keinerlei
Bildmaterial belegt. Eine 1975 angelegte Kurzfassung der Geschichte
des Moresneter Hauses nennt als Zeitpunkt der Umwandlung in ein
amerikanisches Militärlazarett den Februar 1945.
Was wird nun aus dem St. Josephsheim?
Der Krieg ging zu Ende. Die Obdachlosen und Vertriebenen wurden
in ihre Heimat zurückgeführt, das Lazarett aufgelöst. So stellte sich die
Frage nach der Zukunft des Hauses. In Moresnet und Umgebung war
man schnell zu dem Entschluss gekommen, die von den Amerikanern
vorgegebene Nutzung fortzuführen. «Dazu trug bestimmt der Umstand
bei», so Alfred Jansen, «dass die ganze Gegend zwar ärztlich versorgt
war, aber weit und breit keine Möglichkeit bestand, einen dringenden
Krankheits- oder Unglücksfall entsprechend zu behandeln.»
Schon am 27. Dezember 1945, so lesen wir in der Ordenschronik im
Januar 1946, hatte der Generalrat einen Umbau des Moresneter Hauses
beschlossen. Die Kontakte der Schwestern zu dem Vervierser Arzt Dr.
Delpierre hatten ergeben, dass dieser bereit wäre, einen Operationsraum
einzurichten, wenn die Schwestern das Haus in ein Krankenhaus
umwandeln wollten.
Anfangs schien diese Option den Schwestern «etwas gewagt», aber
nach weiteren Verhandlungen mit Dr. Delpierre wurde am 27. Januar
1946 beschlossen:
1. Dem Arzt zu gestatten, einen OP einzurichten;
2. Einen Personen- und einen Lastenaufzug einzubauen;
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3. Im dritten Stockwerk Einzelzimmer einzurichten;
4. Das 2. Stockwerk ebenfalls für Krankenzimmer umzubauen;
5. Die Kapelle ins Erdgeschoss zu verlegen.
Zur Finanzierung dieser Umbauten sahen die Schwestern sich genötigt,
eine Anleihe aufzunehmen. Deren Höhe sollte später bestimmt werden.
Da eine größere Summe benötigt wurde (2 Millionen F), holten die
Schwestern erst die Genehmigung dazu in Rom ein. Diese wurde am
6.9.1946 gegeben. Die Häuser in Huy und Antheit streckten ebenfalls
Geld für die Umbauten vor.
Die Gemeinden des Umlandes unterstützten das von den Schwestern
geplante Vorhaben.
Architekt Philippart aus Herve fertigte die Umbaupläne,
Bauunternehmer Gerard («Jrädes») Lavalle aus Neu-Moresnet erhielt
den Zuschlag für die Maurerarbeiten: Sechzig Zimmer waren auf die
entsprechenden Dimensionen zu bringen.
Das zweitgrößte Arbeitsvolumen stellten die Heizungs- und
Sanitäranlagen dar. Diesen Posten übernahm das Unternehmen Alex
Hackens aus Kelmis.
Blieb dann noch die Einrichtung der chirurgischen Abteilung.
Im Juli 1947 waren die Arbeiten abgeschlossen und die «Clinique
Saint Joseph» konnte ihre Arbeit aufnehmen. Am 11.7.1947 fand die
feierliche Einsegnung des Hauses statt.
Bürgermeister Hubert Hackens (Hergenrath) kam die Ehre zu, die
Festlichkeiten zu eröffnen und die geladenen Gäste zu begrüßen. Hu-
bert Hackens hatte ein besonders enges Verhältnis zu den
Franziskanerschwestern, deren Schule er in Forges-Baelen besucht hatte.
Zudem war eine Schwester von Frau Hackens, die aus Hergenrath
stammende Finchen (Josephine) Heeren, in den Orden der
Franziskanerinnen eingetreten und über längere Zeit in Moresnet tätig
gewesen. Sr. Marie-Sophie, so ihr Ordensname, war von ihrer Oberin
zwar für besondere Verwaltungsaufgaben im luxemburgischen
Mutterhaus vorgesehen, durfte aber auf ihren besonderen Wunsch hin
bis zum Tode ihrer Mutter in Moresnet bleiben.
Die Umwandlung des Moresneter Hauses in ein Krankenhaus war
also auch in den familiären Verbindungen des Hergenrather
Bürgermeisters zu den Moresneter Schwestern begründet.
Das Grenz-Echo hatte seinen Lokalreporter zur Klinikeröffnung
geschickt. Hier einige Auszüge aus seinem Bericht (GE vom 12.7.1947):
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«Unsere Leser kennen das «Kapellchen», die reizende Lage, die
gesunde Luft, das unter dem Namen ‚Josephsheim’ bekannte Haus der
Franziskanerinnen. Es war bestimmt ein glücklicher Gedanke, dort eine
Klinik zu eröffnen. Man darf ruhig behaupten, dass unsere Gegend, zu
der die Arbeiterdörfer Kelmis, Gemmenich, Bleyberg gehören, heute
reicher geworden ist. Die Klinik St. Joseph wird für unsere Gegend eine
Wohltat sein, deren Ausmaße wir heute noch nicht ganz erfassen...
...Operationssaal und Einrichtungen sind mit den modernsten
Errungenschaften ausgerüstet, ebenso die Röntgenstation. Und alles ist
hell, luftig, geräumig. Hervorzuheben ist noch die Tatsache, dass die
Klinik ‚einklassig’ ist, also kein Unterschied zwischen Wohlsituierten
und Armen gemacht wird... .
Bürgermeister Hackens unterstreicht die hervorragende Lage der
Klinik, den allen sozialen und gesundheitlichen Anforderungen
entsprechenden Aufbau derselben, das Einfache, Praktische und
Rationelle aller Einrichtungen. Dann lenkt er die Aufmerksamkeit auf
die guten opferfreudigen Schwestern, denen die Kranken anvertraut sein
werden. ...Von den zivilen Behörden erwartet er, dass sie die Klinik im
Interesse der Bewohner unterstützen werden...
Bürgermeister Lousberg (Moresnet) drückt den herzlichen
Glückwunsch der Gemeinde und Bevölkerung von Moresnet aus und
verspricht, das Haus so weit wie möglich zu unterstützen...
Damit ist die Klinik der Franziskanerinnen in das Leben unserer
Gegend und Bevölkerung übergegangen. Heute bereits, so wurde uns
gesagt, wird der Operationssaal in Anspruch genommen. Mehrere
Zimmer waren bereits belegt....
...Wir wünschen dem Hause und ganz besonders den guten
opferbereiten Schwestern eine segensreiche Zukunft und recht großen
Erfolg.»
Die Poliklinik
In den nächsten Jahren entfaltete das Krankenhaus eine rege
medizinische Tätigkeit. Chirurgie und Röntgenabteilung waren gut
ausgelastet, Spezialisten der verschiedensten medizinischen Bereiche
boten regelmäßige Konsultationen, Laboruntersuchungen fanden im
Hause statt...
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Die Interkommunale der medizinisch-sozialen Einrichtungen AIOMS
Eine Neuorientierung: St. Joseph wird Pflegeheim
Ab 1956 drängten die Inspektionsberichte des Gesundheits-
ministeriums immer stärker auf eine Anpassung der Altenheime an die
Sicherheits- und Hygienenormen. Die dadurch im «Spitälchen»
notwendig gewordenen Umbauarbeiten überstiegen jedoch die
finanziellen Möglichkeiten der kleinen Gemeinde Moresnet.
Aus diesem Grunde richteten sich 1959 Bürgermeister Guillaume
Jongen und Gemeindesekretär Joseph Mager zwecks Errichtung eines
neuen gemeinsamen Altenheimes an die Bürgermeister und die
Vorsitzenden der ÖUK der umliegenden Gemeinden. Tatkräftige
Unterstützung ihres Vorhabens fanden sie bei Peter Kofferschläger,
damals Abgeordneter und Bürgermeister von Kelmis, der sich persönlich
für das Projekt einsetzte.
Es war kein leichtes Unterfangen; 9 Gemeinden und 9 ÖUK wurden
kontaktiert: Hergenrath, Homburg, Kelmis, Moresnet, Neu-Moresnet,
Sippenaeken, Gemmenich, Montzen und Remersdael. Letztere
Gemeinde, stärker auf Aubel zu orientiert, nahm nur kurzzeitig an den
Verhandlungen teil.
Es war nur der Überzeugungskraft von Hrn Jos. Mager und des
Kelmiser Bürgermeisters und Abgeordneten Willy Schyns zu verdanken,
dass am 21.12.1965 die Interkommunale der medizinisch-sozialen
Einrichtungen (AIOMS) aus der Taufe gehoben werden konnte.
Es sollten jedoch noch 10 Jahre vergehen, ehe das neue Altenheim in
einer von den Franziskanerpatres erstandenen Waldparzelle seine Tore
öffnen konnte. Die Residenz «Regina» wurde am 26.2.1977 eingeweiht
und am 1. April desselben Jahres bezogen. Die ersten 7 Bewohner kamen
aus dem «Spitälchen» an der Siergasse, dem heutigen «Foyer de cha-
rite».
Bald aber kam man auf die AIOMS mit einem weit schwierigeren
Problem zu: Bei der Generalversammlung vom 21.2.1970 informiert
W. Schyns die Anwesenden über die Schwierigkeiten, denen sich die
1958 eröffnete Entbindungsstation der St. Joseph-Klinik gegenüber sieht.
Hatte man 1958 39 Geburten in Moresnet registriert, so waren es im
folgenden Jahre 182 gewesen. 1965 erreichte man mit 238 Neugeborenen
den Höchststand. Danach gingen die Zahlen leider ständig zurück. 1971
waren es noch 158, 1972 nur noch 71!
S9
Dieses Problem konnte die Gemeindevertreter im Verwaltungsrat nicht
gleichgültig lassen. Man wollte in einer Aussprache mit den Schwestern
zu einer Lösung kommen.
Schon zu Beginn der siebziger Jahre zeichneten sich größere
Schwierigkeiten ab. Der Bericht einer Gemeinderatssitzung in Kelmis
(Grenz-Echo vom 30.3.1971) vermerkt unter dem Stichwort
«Krankenhaus»: «Die wohl wichtigste Mitteilung befasste sich mit dem
Krankenhaus in Moresnet. Die finanzielle Lage hat sich derart
verschlechtert, dass die Schwestern darum gebeten haben, die
Interkommunale, die das Altersheim in Moresnet gründete, möge auch
das Hospital übernehmen. Das Krankenhaus war voriges Jahr nur
teilweise belegt. Insgesamt wurden 655 Patienten behandelt, davon 172
Kelmiser. Im gleichen Zeitraum wurden dort 152 Kinder geboren.
Verschiedene Ärzte schlagen trotzdem eine Auflösung des
Entbindungsheimes vor, während andere sich dagegen sträuben.
Bürgermeister Schyns hat Kontakt mit den dort ansässigen 12 Schwestern
gehabt und am vorigen Samstag fand eine Versammlung der
Interkommunalen im Raum Moresnet statt, bei der sämtliche
Gemeindevertreter sich einstimmig für die Erhaltung des Krankenhauses
aussprachen. Am 8. Mai wird wiederum eine Versammlung einberufen
mit dem Ziel, das Kankenhaus durch die Interkommunale zu erwerben...
Das Problem ist die Aufbringung der notwendigen Gelder...»
Die Lage wurde noch ernster! Am 8.5.1971 geht es um nicht mehr
und nicht weniger als das Weiterbestehen der Klinik.
Es erweist sich als überaus schwierig, die Entbindungsstation aufrecht
zu erhalten. Es gab vielseitigen Gedankenaustausch und man erwog eine
Kontaktaufnahme mit dem Klerus, dem Bistum und dem Mutterhaus
der Schwestern in Luxemburg.
Am 8.2.1972 kam es zu einem Treffen zwischen dem Vorstand der
Interkommunalen, der Sr. Oberin, den Vertretern der Caritas Catholica
und des Betriebsrates der Klinik. Es wurde der Wunsch ausgedrückt,
die bestehenden Klinikdienste zu erhalten.
Drei Vorschläge wurden erörtert:
- die Miete der St. Joseph-Klinik durch die Interkommunale
- die Mitverwaltung derselben durch Schaffung einer GoE und
- die Übernahme der Klinik durch die Interkommunale.
Letztendlich wurde der letztgenannte Vorschlag durch die Anwesenden
angenommen.
60
Bei der Übernahme sollten die Ordensschwestern weiterhin im Hause
tätig bleiben. Eine endgültige Entscheidung kann allerdings erst gefällt
werden, wenn der Generalrat der Kongregation der Franziskanerinnen
die Rentabilität der einzelnen Klinikabteilungen näher untersucht hat...
Am 12.2.1973 fand eine neue Versammlung statt unter Teilnahme der
Vertreter der Interkommunalen, der Mitglieder des Betriebsrates und
der Franziskanerschwestern.
Auf der Grundlage neuer Erkenntnisse wird die Diskussion über die
Schließung der Entbindungsstation, die Einstellung eines Facharztes für
klinische Biologie und das bei der Ärzteschaft (vertreten durch den
Allgemeinmediziner Dr. De Belder und den Spezialisten Dr. Jamin) zu
schaffende Problembewusstsein geführt. .
Die Schließung der Entbindungsstation i. J. 1972 erwies sich
schließlich als unumgänglich.
Die Umstrukturierung muss auch im Kontext der gesamtbelgischen
Entwicklung im Krankenhauswesen gesehen werden. Denn, so schreibt
A. Jansen, «seit der Gründung des Krankenhauses waren 25 Jahre ins
Land gegangen und es hatte sich vieles hier in der Gegend geändert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Hospital eine Notwendigkeit; mit
großer Freude war es eröffnet worden, aber inzwischen fuhren wir auf
asphaltierten Straßen, das Auto war zur Selbstverständlichkeit geworden
und erlaubte schnelle und bequeme Verbindungen, was sich letzten Endes
ungünstig auf unser Krankenhaus auswirkte. Zusätzlich erließ das
zuständige Ministerium immer strengere Verordnungen in Bezug auf
Sicherheit, Hygiene und Komfort, die die Schwestern vor immer
aufwändigere finanzielle Probleme stellten. Eine Lösung bot sich nur,
wenn eine Interessengemeinschaft sich der Sache annehmen würde.»
Präsident Willy Schyns bestätigte den Schwestern erneut, dass man
keineswegs beabsichtige, die Entscheidungsgewalt der Schwestern und
damit ihren «unverzichtbaren christlichen Einfluss» in der Klinik zu
beschneiden. Im Gegenteil! Man wolle sie von den materiellen Sorgen
entlasten und ihnen nach besten Kräften zum Wohle der Einrichtung zur
Seite stehen.
Vom Minister für Wallonische Angelegenheiten wurde W. Schyns
zwischenzeitlich informiert, dass die Einrichtung von 40 D-Betten
(Diagnose) und 18 C-Betten (Chirurgie) genehmigt wurde.
Die Suche nach Lösungen ging weiter. Auch an die Hinzuziehung
von Außenstehenden (Krankenkasse, Ärzte, Schwestern) wurde gedacht.
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Das Problem war auch finanzieller Art. Architekt Busch und die Herren
vom staatlichen Erwerbskomitee schätzten den Wert der Klinik auf etwa
3,5 — 4 Millionen F. Die Schätzung des Notars Lilien (Verviers), den die
Schwestern als Ratgeber hinzu gezogen hatten, lag bei 10 Millionen!
Man nahm Kontakt auf zur Krankenkasse «Les Travailleurs Chre-
tiens» in Verviers, um eine Lösung dieses schwierigen Problems zu
finden.
Genannte Krankenkasse war im Prinzip zu finanzieller und technischer
Hilfe bereit, unter der Voraussetzung jedoch, dass die Klinik sich neu
orientiere: die Abteilung Chirurgie sei zu schließen, die Abteilung
Diagnose und das Labor seien beizubehalten, eine Abteilung «V» für
Langzeitkranke zu öffnen. Letzteres unter Berücksichtigung des Mangels
an «V-Betten» im Bezirk Verviers.
Der Verwaltungsrat der Interkommunalen bittet die Schwestern, ihre
Entscheidung bzgl. der Schließung der Klinik am 31.12.1974 nicht publik
zu machen, ohne vorher nochmals mit der Interkommunalen gesprochen
zu haben.
Am 4.1.1975 beschließt die Interkommunale, die Klinik zum Preis
von 4,5 Mio F zu erwerben. Das vorhandene technische Material wird
auf 300.000 F angesetzt. Es wird beschlossen, zur Deckung dieser
Summen eine von den einzelnen Gemeinden zu garantierende Anleihe
beim Gemeindekredit aufzunehmen.
Durch Schreiben vom 24.2.1975 gibt der Minister für öffentliche
Gesundheit sein volles Einverständnis zum Erwerb der Klinik durch die
AIOMS und die Umwandlung derselben in eine Abteilung «V» mit 60
Betten, einer Poliklinik im Erdgeschoss und einem Labor.
Der Ankauf konnte durch den Staat nicht subsidiert werden, wohl
aber die in der Geriatrie anfallenden Umbau- und Einrichtungskosten.
Eine neue Gesellschaft ohne Erwerbszweck mit dem Namen «Klinik
St. Joseph» wird nun gegründet. Den Schwestern wird die freie Nutzung
der bisher ihnen vorbehaltenen Räumlichkeiten zugesichert, und zwar
so lange, wie sie in der Klinik bleiben. Ihnen wird dasselbe Statut zugeteilt
wie dem Laienpersonal. Die Anwesenheit der Schwestern wird wegen
ihres Apostolates, des bei ihnen herrschenden Geistes und der
Gruppenbetreung als ein Gewinn für das Haus betrachtet.
Die Vorstandsmitglieder der neuen GoE haben zahlreiche Kontakte
mit der Ärzteschaft. Hauptanliegen ist der Ausbau der Poliklinik und
die Aufnahme neuer Dienste. Außerdem wurde ein Abkommen mit der
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Klinik der Alexianerbrüder in Henri-Chapelle und ein weiteres wegen
der Analysen mit einer Gruppe von Ärzten aus Welkenraedt getroffen.
Am 18.11.1978 gab schließlich der Verwaltungsrat sein Einver-
ständnis, das «Bureau Planning» (Architekten Busch und De Winkel,
Verviers) mit der Ausarbeitung der Umbaupläne der Klinik gemäß den
Vorschriften des Gesundheitsministeriums im Hinblick auf die
Einrichtung von 60 «V-Betten» zu betrauen.
Unter der Leitung ihres Präsidenten, des Kelmiser Bürgermeisters
Willy Schyns, erklärte sich der Verwaltungsrat der G.o.E. der
medizinisch-sozialen Einrichtungen von Moresnet, die das Altenheim
«Regina» führte, bereit, auch das Krankenhaus durch Kauf zu
übernehmen. Der Übernahme voraus ging die Gründung einer neuen
Gesellschaft, der neben der genannten G.o.E. auch die christlichen
Krankenkassen des Bezirks Verviers angehörten. Das Gesundheits-
ministerium stand dieser Lösung positiv gegenüber, forderte aber die
Schließung der Abteilungen Chirurgie und Diagnose.
Ein Kredit von 7 Millionen Franken musste aufgenommen werden: 4
Millionen für den Gebäudeankauf, 3 Millionen für Umbauten und
Gerätschaften. Die Gemeinden übernahmen die Bürgschaft.
Auf die Frage eines Journalisten, ob eine Klinik nicht die finanziellen
Möglichkeiten der Gemeinde Kelmis übersteige, antwortete der
Vorsitzende des Kelmiser Sozialhilfezentrums, Pierre Schöffers, die
beiden Gemeinden (Kelmis und Bleyberg) zählten immerhin 16.000
Einwohner, was einer Kleinstadt entspreche. Moresnet sei auch aus
psychologischer Sicht wichtig: Die Bewohner der Umgebung fühlten
sich hier zu Hause, man sei näher als in Eupen oder Verviers... Und es
gebe die immer notwendigen ärztlichen Sprechstunden. Selbst wenn das
Spital teuer sei, könne man nicht darauf verzichten. Kelmis gebe
alljährlich 1 Million Franken für den Sport aus. «Wenn das Spital uns
N Geld kostet, dann ist es eben so!» sagte Schöffers.
Der Verkauf des Hauses durch die Schwestern an den zwischen-
gemeindlichen Verband der medizinisch-sozialen Einrichtungen im Jahre
1975 fand die Zustimmung des Diözesanbischofs van Zuylen. Die von
Generalvikar A. Meunier unterzeichnete und vom 21.5.1974 datierte
Genehmigung nennt einen Verkaufspreis von ca. 5 Millionen belgischer
Franken. Die Genehmigung ist an die Bedingung gebunden, dass als
Käufer die genannte Interkommunale und/oder die christlichen
Krankenkassen auftreten. Sollte das nicht der Fall sein, so müsste die
Generalobere der Franziskanerinnen vor einer festen Zusage Kontakt
63
mit dem Bischof aufnehmen und ihm mitteilen, was der eventuelle Käufer
mit der Immobilie zu tun gedenke ...
Das Krankenhaus für Langzeitkranke wird Pflegeheim
Von 1975 bis 1985 diente Moresnet nun als Krankenhaus für
Langzeitkranke (Häuser mit der Bezeichnung «V»).
Den weiteren Ablauf des Geschehens schildert Alfred Jansen wie folgt:
«Durchschnittlich war Moresnet zu 95% belegt und beschäftigte bis
zu 50 Personen. Doch dieses System erwies sich als viel zu aufwändig
für den Steuerzahler und im Jahre 1985 wurde der Krankenhausstatus
einer Reform unterzogen. Das Gesundheitsministerium beschloss, das
Haus in Moresnet der Kategorie MRS (Maison de Repos et de Soins/
Alten- und Pflegeheim) zuzuordnen. Konkret ausgedrückt bedeutete dies
folgendes:
Unter dem vorherigen System (Status «V») für Langzeitpflegefälle
kostete der Aufenthalt des Patienten die Krankenversicherungskasse pro
Tag 2000 Franken; der Kranke selber musste 200 F beisteuern.
Die neue Verordnung hob den Eigenbeitrag des Patienten auf 650 F
pro Tag an, während die Sozialversicherung 900 F übernahm. Eine
Aufnahme war nur mit ärztlicher Einweisungsbescheinigung möglich.
Um jetzt das Haus auf den neuesten Stand der ministeriellen
Anordnungen zu bringen, musste es vom Keller bis zum Dach einer
grundlegenden Renovierung unterzogen werden.
Das Pflegeheim beherbergte etwa 60 Personen. Räumliche Enge war
überall spürbar.
Die Planungsarbeiten wurden von den Architekten Van De Winkel
und Bosch vom Planungsbüro «Planning» aus Verviers durchgeführt.
60 Krankenzimmer wurden mit neuem Mobilar ausgestattet. Zur
Westseite wurde ein Anbau mit Kapelle, Aufenthaltsräumen und
Aufzügen beigefügt.
Eine Möglichkeit, weitere Räume zu gewinnen, bot sich im Ausbau
der bis dahin ungenutzten 4. Etage, d. h. des Dachbodens, wo vor allem
Feuerschutzmaßnahmen durchgeführt werden mussten.
In den unter dem Dach gewonnenen neuen Räumen konnten ein
Haarschneidesalon, ein Ergotherapiesaal, ein Kinesitherapiesaal sowie
ein Vielzweckraum von 100 m? eingerichtet werden. Letzterer dient nicht
nur für die Sonntagsmesse, sondern auch als Versammlungsraum für
rekreative Tätigkeiten sowie für die Hausverwaltung, Schulungsraum
für das Personal und Vortragsraum bei größeren Veranstaltungen.
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Zuzüglich musste der Aufzug um eine Etage «aufgestockt» werden,
was einen Dachaufbau notwendig machte.
Die Wetterseiten wurden ganz mit Schieferplatten bekleidet, das Dach
vollständig erneuert.
Die Umbauarbeiten wurden durch das Unternehmen Corman aus
Halleux ausgeführt.
Die Feuerwehr verlangte die Anlage eines rund um das Gebäude
führenden breiten Zufahrtsweges, um bei einem eventuellen Brand
ungehindert eingreifen zu können.
Die geplanten Arbeiten brachten einige Unannehmlichkeiten mit sich.
Die Patienten mussten für etliche Monate ausquartiert und das Haus
geschlossen werden. 7
Mit 80 Millionen Franken verursachte die ganze Umstrukturierung
auch erhebliche Kosten. Sie wurden zu 94,5 % von der französischen
und der deutschsprachigen Gemeinschaft getragen.
Die Einweihung des Hauses nahm der Bischof von Lüttich am
28.9.1985 persönlich in Anwesenheit der Geistlichkeit des Dekanates
und der Gemeindevertreter vor.
Die Palliativstation
Sog. Palliativ-Pflegestationen setzten sich in unserem Lande (im
Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern) erst sehr spät durch. 1990
bestanden solche Stationen nur in Namür (Foyer St. Francois, 1989)
und Brüssel (Clinique St Jean, 1990).
Als die Leiterin des Pflegedienstes in Moresnet den Gedanken einer
solchen Einrichtung auch bei uns vorbrachte, stieß sie auf die volle
Unterstützung des Verwaltungsrates, der sich für die Verwirklichung des
Vorhabens einsetzen wollte. Dies «zum Wohle unserer Bevölkerung und
unter der Bedingung, die Kranken auch zu Hause zu begleiten».
Dieses Engagement war für die beiden Gemeinden mit Kosten von
einigen Millionen jährlich verbunden. Aber auch die Bevölkerung stand
massiv dahinter.
Über die «Stiftung Sonnenschein» gingen (und gehen) viele Spenden
ein, die die Gemeindebüdgets entlasten. Soviel Engagement, auch seitens
der regionalen Politiker, ließ die zuständige Gesundheitsministerin nicht
unbeeindruckt. Sie änderte mehrere königliche Erlasse, um es zu
ermöglichen, ab 1998 die Moresneter Palliativstation als Krankenhaus-
Station (man könnte sagen: als kleinstes eigenständiges Krankenhaus
Belgiens mit 6 Betten) zu führen.
65
Eine Ära geht zu Ende
Der weltweit feststellbare Rückgang der Ordensberufungen machte
sich auch bei den Franziskanerinnen schon in den 60er Jahren des 20.
Jahrhunderts bemerkbar. Die Moresneter Niederlassung zählte in den
Jahren 1963-1971 noch 14 Schwestern. Danach fielen die Zahlen.
1972-73: 13
1973-74: 11
1975-83: 7
1983-85: 6
1986-91: 5
1992 :4
Doch die Schwestern hatten durch den Verkauf des Hauses und die
Übergabe der Heimleitung an die AIOMS die Weichen für den
Fortbestand von St. Joseph gestellt.
Die Jubiläumsfeiern zum 100jährigen Bestehen des Hauses, vom
12.10. bis 14.10.2007, boten der Heimleitung eine willkommene
Gelegenheit, Rückschau zu halten auf die segensreiche Tätigkeit der
Franziskanerinnen, die heutige Arbeit im Rahmen von Ausstellungen
der verschiedenen Dienste vorzustellen und einen Ausblick auf die
Zukunft des Hauses zu wagen.
Eine bei der Gelegenheit vorgelegte Festschrift «Pflegezentrum St.
Joseph — 100 Jahre — 1907-2007» diente uns als Grundlage zu diesen
Notizen. (Sie ist erhältlich «vor Ort» in Französisch und Deutsch zum
Preis von 5 ).
Direktion und Verwaltungsrat konnten zum Festakt am 12. Oktober
nicht nur die örtlichen Behörden (die Bürgermeister der Gemeinden
Kelmis, Bleyberg und Aubel, Mathieu Grosch, Thierry Wimmer und
Jean-Claude Meurens) begrüßen, sondern auch den Sozialminister der
DG, Herrn Bernd Gentges, die Abgeordneten der Frz. Gemeinschaft bzw.
der Wallonischen Region, Marc Elsen und Monika Neumann, sowie den
Generaldirektor der provinzialen Gesundheitsdienste, Dr. Philippe
Maassen. Ein ganz besonderes Willkommen galt auch den Vertreterinnen
des Franziskanerordens aus Luxemburg unter der Leitung der Sr. Oberin
Paule.
Die Festmesse am Sonntag zelebrierte Bischof Aloys Jousten
gemeinsam mit Dechant Baltus aus Aubel, dem Superior der
Oblatenpatres von Gemmenich, Pater P. Fourman, und dem ehemaligen
Dechanten von Montzen, Leopold Rixen.
67
Dat Benzinpöttche
A ee Deel hau se neet jedaat,
e Nönnche wie et wor op Vaat.
Esö Denk bruckt aaf än tu Benzin,
söss driene sech de Raar neet mihe.
Op die Landstroot wor neks los,
än et koem jee enzech Oos.
Ja wat blääf er now te due ,
se moss te Voot no-jen Tankstell jue.
Könnt an die Tankstell, vrott der Meester:
«Hat der jeväälles e-ne Kanister?»
«Oos», sätt der Meester, «wat kann dat sihe,
ech han jenge Kanister mihe .
Et koeme at bestemmt sess Lüj,
Dat es dech jo now waal jätt hüj.»
«Hat der da neet e Döske off e Tönnche?»
vrodde an der Meester du dat Nönnche.
Et duede jät, e blääf jät vut,
do koem e no dat Schop erut.
«Saat, deet ösch dat hej neet schenere?
Jät andesch kann ech ösch neet servere.
Ech vont partout jee ander Pöttche,
Ech han hej mä dat Kamerpöttche. «
Dat Nönnche loot sech Benzin drä due
Än joff sech langsam an et jue.
Magde sech op Wääch met janz kleng Schrettchere,
verstook dat Pöttche onder höör Habittche.
Et kluckerde e witschke bej et jue,
mä se daat: «Wat sow ech andesch due?»
Dat Janze wor jo jät abnorm,
die nöjj Benzinkanisterform.!
Se daat: „ Bis a je-ne Auto wät et jue,
Met dat, wat ech en dat Pöttche erä loot due.»
68
A hööre Auto blääf se stue
Suet dat Lökske vöör der Benzin erä te due. 4
Wie se dong dat Lökske venge,
Käek se lenks än räets, daat : « Könnt och jenge ? »
E-ne schwuere Laster blääf nävve ner stue
Än sätt: «Wat sött der do an-et due?»
Bekäek sech dat Nönnche va oove eraaf
Än kickt sech du dat Kamerpöttche a.
Sätt: «Met wat sött der dä Tank an-et völle?
Wellt der de Firma Shell vlecks kölle? ;
Now saat mech ens, wat sow dat da?
Wett der, üüre Jloff, dämm wöll ech ha!»
Jakob Langohr
69
Eine Anleihe der
Compagnie Anonyme des Mines
et Fonderies du Bleyberg
von Henri Beckers
Die ersten Gruben in diesem Raum werden 1365 unter dem Namen
«Bradersbergh» erwähnt. 1437 erteilt Herzog Philipp der Gute von
Burgund drei Aachener Bürgern die Erlaubnis, dort Bergbau zu betreiben.
Diese scheiterten jedoch schon bald — wie viele nach ihnen - an den
häufig auftretenden Überschwemmungen im Göhltal.
1828 erhielten Charles-James Cockerill, E. Peters, J. H. Jehenn€e,
Lisette und Gertrude Peters sowie D. Lepomme die Genehmigung, im
Bleyberger Grubenfeld Bergbau zu betreiben. Nachdem 1837 der Leiter
des Betriebes, Ch.-J. Cockerill, in Aachen verstorben war, gründete man
1841 die Soci&t&€ du Bleyberg en Belgique. Durch diese Gesellschaft
entwickelten sich die Tätigkeiten in der Region dermaßen, dass man
schon 5 Jahre danach die Compagnie des Mines et Fonderies du Bleyberg
(Gruben- und Hüttenwerke Bleyberg) ins Leben rief.
Sechs Jahre später wurde diese Gesellschaft aufgelöst und im An-
schluss daran die Socie&t& Anonyme du Bleyberg &s Montzen (Aktien-
gesellschaft des Bleybergs in Montzen) gegründet.
Den Erfolg verdankte diese Firma vor allem ihrem Direktor Remy
Paquot. Sein Verdienst waren auch die vielen sozialen Einrichtungen
der Gemeinde. Allerdings verhinderten schwierige Abbaubedingungen
und ungünstige Verkehrsverhältnisse ein kräftigeres Aufblühen der
Gesellschaft. So suchte sie Teilhaber, die sie in Spanien fand.
1881 wurde die «Societ&€ Anonyme du Bleyberg & Montzen» aufgelöst
und ihr Eigentum in die Compagnie Francaise des Mines et Usines
d’Escombrera-Bleyberg überführt. 1912 kam es zur Fusion dieser
Gesellschaft mit der Societ& Miniere et Metallurgique de Pennaroya.
In Bleyberg und Umgebung’ war die Erzförderung bereits 1882
eingestellt worden. Man verarbeitete nur noch ausländische Erze.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Hüttenbetrieb, der in den
Kriegsjahren geruht hatte, nochmals aufgenommen, jedoch 1922
endgültig eingestellt.
A
Oimpoguie anonyue der Mine et Tuderies | Compagnie auonyue do Mine a Thuderies
du Bleybeyg du Bleyberg .
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Die Coupons erbrachten jährlich 30 F Zinsen.
Quellennachweis: Jürgen Baral, Oberforstbach
72
Mord im Dom zu Aachen > oder:
Das schwarze Schaf in der Familie
derer von Heinsberg
von Hans-Dieter Iven
Es kann von nicht geringer Bedeutung sein, wenn sich in einer Familie
verschiedene Talente und Ämter bündeln. Sie können sich bei gegebener
Gelegenheit unterstützen und ergänzen. Man nennt dies wohl
«Familienbande», wobei das Wort «Ausgabee» mancherlei Bedeutungs-
variationen ermöglicht. Ü
Das Aachener Domkapitel hatte beschlossen, den Dom um einiges zu
erweitern, denn die großen Ereignisse wie die Aachenfahrt und die immer
wieder stattfindenden Königskrönungen ließen den Dom zu klein
erscheinen. Man baute die gotische Chorhalle, das Aachener «Glashaus»,
nach dem Vorbild der Sainte Chapelle in Paris. 1414 wurde das Bauwerk
feierlich durch den Lütticher Weihbischof Heinrich von Sidon in
Vertretung des Lütticher Bischofs eingeweiht. Im neuen Chor wurde der
Hochaltar, der früher im Oktogon gestanden hatte, errichtet. Hinter dem
Altar stand (wie auch heute wieder) der Karlsschrein. Ein festliches
Ereignis gab es im gleichen Jahr (am 9.11.): Es wurde dort Sigismund
vom Kölner Erzbischof Dietrich zum König gesalbt. Dem neuen König
und seiner Gattin Cilly wurden die Heiligtümer nach festlichem Ritual
gezeigt.
Nur wenig nach dem festlichen Großereignis war das neue Gebäude
die Bühne für eine scheußliche Bluttat: Ein Mord im Dom.
«In Maio auff Creutztagh», am 3. Mai 1428 geschah das Unglaubliche:
Zwei Abgesandte des Herzogs von Jülich und Berg nahmen gerade
Opfergaben für ihren Herrn entgegen, als plötzlich ein gewaltiger Lärm
das Gotteshaus erfüllte. Kriegsknechte des Herrn von Heinsberg drangen
in die Chorhalle ein. Sie bahnten sich schreiend und lärmend ihren Weg
bis zum Hochaltar. An der Kanzel ergriffen die Eindringlinge die beiden
Beamten des Herzogs von Jülich und stahlen ihnen das Opfergeld. Am
Hochaltar zelebrierte in diesem Moment der «Königliche Vikar» Reiner
von Wylre die hl. Messe. Er war der Inhaber des dem König zustehenden
Kanonikats. Der Kanoniker stellte die lärmende Soldateska zur Rede
und machte ihr die Verwerflichkeit ihres Tuns klar. Die Kriegsknechte
des Herrn von Heinsberg fielen alsdann über den Priester her und
BB
verprügelten ihn, dass er in seinem Blut liegend am Altar seinen
Verletzungen erlag. Die Kriegsknechte machten dem Namen ihres Herrn
von Heinsberg alle Ehre. Er hieß allgemein «Johann von Heinsberg der
Streitbare» (dictus bellicosus).
Schnell verbreitete sich die Kunde der Bluttat in der Stadt. Die «herren
von Aichen» befahlen den Gewalttätern, sofort das Gotteshaus zu
verlassen. Die Soldaten befolgten die Aufforderung und begaben sich in
das Haus «Zur Maus» auf dem Radermarkt gegenüber dem Dom. Noch
heute besteht dieses Haus als Gaststätte am Münsterplatz. Der Name:
«Maus am Dom». Dort vereinbarte der Rat der Stadt urkundlich (das sey
innen hantfestungh musten thuen) Einzelheiten über den Abzug. Auch
die jülich-bergische Seite traf mit den Heinsbergern eine Vereinbarung.
Sie konnten, ohne für ihre Untaten zur Rechenschaft gezogen worden zu
sein, abziehen. In der Stadt war man darüber höchst verwundert («dasz
grosz wunder was.>»).
Erstaunlich ist auch, dass über das blutige Ereignis nur wenige Quellen
berichten. Man hat offenbar erfolgreich versucht, das Ereignis klein zu
halten. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass der Sohn des Johann von
Heinsberg zu diesem Zeitpunkt Bischof von Lüttich war. Familienbande
machen offenbar manches möglich.
1429 wurde Gerhard von Berg Propst am Aachener Münster. Vielleicht
war es eine sublime Rache an der an Untaten reichen Familie derer von
Heinsberg, als der Propst sich einen kirchenrechtlichen Trick ausdachte.
Nach kirchenrechtlichen Vorschriften musste ein Kloster, ein Gotteshaus
oder ein Friedhof, wo eine Bluttat geschehen war, wieder «rekonziliiert»
werden. Den Ritus der Rekonziliation (Neuweihe) durfte nur der
zuständige Bischof vollziehen. In diesem Fall wäre der Übeltäter der
Vater des Bischofs von Lüttich gewesen.
Für das Domkapitel war das Ereignis ein «gefundenes Fressen»: Immer
wieder hatte das Kapitel das Bedürfnis, seine Unabhängigkeit vom
Bischof von Lüttich zu betonen.
Kurzerhand vollzog man den Ritus der Rekonziliation selbst. Um alle
möglichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Ritus zu zerstreuen, ließ
man sich im nachhinein vom Papst die Rekonziliation genehmigen.
Der Bischof von Lüttich (sein Name war ebenfalls Johann von
Heinsberg) hätte das Sakrileg mit einer Kirchenstrafe ahnden müssen.
Mit Rücksicht auf die Familienbande sah er davon ab.
Er war offenbar mehr seiner Familie verpflichtet als den Normen der
Kirche (echte Familienbande!). Zeitgenossen warfen dem Bischof
74
mangelndes Pflichtgefühl und eine unsittliche Lebensführung vor.
Die schlimmen Ereignisse hatten dennoch einen versöhnlichen
Ausklang: Walburga von Moers, die in das Haus derer von Heinsberg
einheiratete, schenkte dem Domkapitel kostbare Messgewänder: Eine
Kasel und zwei Dalmatiken in grünem Samt mit Granatapfelmuster und
golddurchwirkten Kölner Borten. In die Messgewänder ließ Walburga
ihren Namen einsticken: WALBURCH VA MOIRS / FRAUWE ZO
HENSBERGE /IND TZWO LEWEBERGE.
Das letzte Wort haben also nicht die schwarzen Schafe.
Literatur: siehe Severin Corsten in ZAGV Bd. 102 S. 105-116. Hier
auch weiterführende Literaturhinweise. .
75
Uran vom «Altenberg»?
von Henri Beckers
Nachstehender Beitrag ist die fast wörtliche Wiedergabe einer Internet-
Publikation von M. Kuszcynka (www.weetnet.nl/moresnet). Die darin
beschriebenen Zusammenhänge zwischen der Krankengeschichte der
russischen Zarenfamilie und dem Vorkommen von Pechblende in Kelmis
sind bisher nicht untersucht worden und lesen sich wie ein Kapitel aus
einem Polit-Thriller... Dass Pechblende in Kelmis gefunden wurde, steht
auch in einem Internet-Eintrag zu Eilendorf, wo es heißt, in der Nähe, in
Belgien, befinde sich der berühmte Eisenbahnviadukt und es gebe dort
«radioaktive Uranerze wie Pechblende».
ook
Wir schreiben das Jahr 1808. Karl Freiherr vom Stein und Leopold
Graf von Limburg-Stirum trafen sich unter strengster Geheimhaltung in
einem Schloss am Rhein, um über die Zukunft der kleinen Domäne
Moresnet, besser gesagt: die direkte Umgebung des Dörfchens Kelmis
und die dort gelegene Grube «Altenberg» zu verhandeln.
Steins Auftraggeber, niemand anders als der Zar von Russland, hatte
dort am Altenberg große Belange, wie wir später sehen werden.
Die beiden Edelmänner sorgten dafür, dass Stirums Arbeitgeber, das
gerade gegründete Königreich der Niederlande, und Steins Ex-
Arbeitgeber, das Königreich Preußen, eine Meinungsverschiedenheit
über die Souveränität der Erzgrube bekamen. Eine Meinungsverschie-
denheit, die während des Wiener Kongresses (1814-15) plötzlich entstand
und unlösbar schien. Erst ein Jahr später, in einem außergewöhnlichen
und trotzdem «zeitlichen» Grenzvertrag von Aachen kam es zu einer
vorübergehenden Vereinbarung. Abgesprochen wurde, dass ein ab dem
Vaalserberg südwärts in Form einer langgestreckten Raute verlaufender
Streifen zum Kondominium erklärt wurde: NEUTRAL-MORESNET.
Mussten beide Monarchen eigentlich wirklich einen so mühsamen
Kompromiss schließen über eine begrenzte Menge von Rohstoffen zur
Herstellung von Dachrinnen und Vordächern, die einer Katze zu heiß
unter den Pfoten werden konnte?
Sicherlich nicht, aber das Faszinierende waren Ursachen, die 190 Jahre
verborgen blieben!
76
Stein, ein freier Reichsritter, war in jungen Jahren in preußische
Staatsdienste getreten. Er begann — und das ist wichtig — im
Bergbausektor.
“1784, im Alter von 26 Jahren, wurde er zum Direktor aller Bergwerke
in Westfalen ernannt. Nach der Jahrhundertwende bekleidete er
verschiedene Ministerposten in Berlin. Er machte sich einen Namen,
indem er die Leibeigenschaft und die Inlandszölle abschaffte. Auch sorgte
er für die Einführung von Papiergeld, schuf ein statistisches Büro und
ein Gemeindegesetz.
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DE N
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Sn
vn
N
"A
Reichsfreiherr vom Stein (Gemälde von Johann Christoph Rincklake)
1807 tauchte ein privates Schreiben auf, in dem er sich gegen Napoleon
aussprach. Er flüchtete nach Österreich und wohnte auch einige Zeit in
Prag.
Die österreichische Regierung drohte mit Auslieferung und so musste
er diesmal nach Russland an den Zarenhof von St. Petersburg flüchten.
Napoleons Feldzug von 1812 machte er mit an der Seite und in direkter
Umgebung von Zar Alexander I., auf den er großen Einfluss hatte.
78
Die unlängst durch N. Dzjikija übersetzten geheimen Tagebücher von
Heinrich Julius Klaproth blieben sehr lange unbekannt, weil sie niemand
entziffern konnte, da sie in Tscherkessisch geschrieben wurden, aber
unter Verwendung der armenischen Schrift. Der Inhalt enthüllte
schließlich die Beziehungen von Vater und Sohn Klaproth mit Stein und
Zar Alexander. Es ging dabei vor allem um Uran: um das Uran von
Moresnet.
Uran, ein Genesungsmittel ?
Wer heute, in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, von Uran spricht,
denkt automatisch an Atombomben und Kernzentralen. Erst 1939 gelang
es den deutschen Chemikern Otto Hahn und Friedrich Straßmann am
Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin, durch Neutronenbeschuss Urankerne
zu spalten. Vor dieser Zeit wurde Uran gewonnen für andere, ziemlich
begrenzte Anwendungen. Auch wusste man nicht, dass das Erz an vielen
Orten auf dieser Erde vorkommt. Martin Klaproth, der Entdecker, war
von Haus aus Apotheker. Er suchte vor allem die Anwendungs-
möglichkeiten des Erzes in der pharmazeutischen Industrie auszuloten.
Er fand diese vorläufig nicht, stellte nur fest, dass Uraniumderivate vor
allem in der Porzellan- und Glasindustrie sowie zum Erleuchten von
Uhrwerkzeigern Anwendung fanden.
Merkwürdigerweise kam sein Sohn Julius zum ersten Mal in China
der Anwendung in der Medizin auf die Spur. Am Hof des bekannten
Mandschu-Kaisers Kiaking fand er Pechblende, d. h. die Form von
Uranerz, die er von seinem Vater so gut kannte. In China wurde damit
die «Mondkrankheit» behandelt. Damals wurde angenommen, dass
Anfälle von Psychose, Epilepsie und Schlafwandel durch den Mondstand
ausgelöst wurden. Das englische Wort «lunatic» weist noch heute darauf
hin.
Julius Klaproth vermutete, dass der Zar großes Interesse an diesem
«Medikament» zeigen würde. In dessen Familie kam Psychose öfters
vor. Der Großvater, Zar Peter III., sowie sein Vater, Paul I., litten beide
heftig unter dieser Krankheit.
Beide waren plötzlich unter einigermaßen verdächtigen Umständen
verstorben, als ihre Krankheit gefährliche Formen angenommen hatte.
Ohne Zweifel war Alexander darauf erpicht, diesem Schicksal für sich
selber und seine Familie zu entkommen.
9
Fundstellen
Es war ein Problem mit den Fundstellen. Erst im Jahre 1913 durch
die Erfindung des Geigerzählers wurde es einfach, Uran aufzuspüren.
Außerhalb des preußichen Grundgebietes waren 1815 nur drei Minen
bekannt, die als Nebenprodukte Pechblende förderten: Joachimsthal
(Jachymov) im Erzgebirge (Böhmen), St. Symphorien in Burgund
(zwischen Le Creusot und Autun) und die Vieille Montagne, der
Altenberg, in KELMIS.
Freiherr vom Stein und Apotheker Martin Heinrich Klaproth begriffen
nur zu gut, dass Sie für die Lieferung von Pechblende nicht abhängig
von Preußen sein durften, wo Fürst von Hardenberg, Steins alter Rivale
und Nachfolger als Staatskanzler, die Politik bestimmte.
St. Symphorien kam aus einem anderen Grunde nicht in Betracht:
Stein hatte genug durch die Bourbonen gelitten, um nicht von ihnen
abhängig werden zu wollen. Und er wollte gewiss den Bourbonen kein
Machtmittel gegen den Zaren in die Hand geben. Zudem lag dieses
Vorkommen in einem unzugänglichen Gebiet, weit entfernt von allen
internationalen Grenzen und Häfen.
Auch Joachimsthal, das auf österreichischem Gebiet lag, kam nicht
in Frage. Der Zar wollte nicht von Fürst Metternich abhängig sein.
Die einzige Lösung war also KELMIS, gelegen im umstrittenen
Grenzgebiet zwischen den Niederlanden und Preußen. Es musste
natürlich mit Umsicht gehandelt werden: Der neue König der
Niederlande, Willem I. von Oranien-Nassau, war sowohl ein Neffe wie
auch der Schwager des Preußischen Königs. Die größten Probleme
zwischen beiden — sie betrafen Nassau und Luxemburg — waren gerade
gelöst. Stein beschloss nun, die Karte von Stirum zu spielen.
Ein geplanter Konflikt
Stirum war der einzige Edelmann in der Leitungsspitze des
niederländischen Staates. Im November 1813 hatte er die praktische
Leitung bei der Machtübernahme inne gehabt, und die Einstellung von
Willem I. als Souverän ermöglicht.
Auch hatte er dem Prinzen von Oranien, dem späteren Willem II.,
beigestanden, als dieser an der Schlacht von Waterloo teilnahm und dort
verwundet wurde. Stein hatte außerdem vom Zaren ein schönes
Versprechen mitgebracht: Wenn dieses Unternehmen gelang, bot er seine
80
Schwester Anna Paulowna dem Kronprinzen zur Heirat an. Diese Allianz
mit dem kaiserlichen Zweig, die 1816 zu Stande kam, sollte nicht nur
der gerade gefestigten Monarchie zugute kommen, sondern auch das
Haus Oranien einigermaßen lösen von den allzu engen Ausgabeen mit den
Preußischen Hohenzollern.
1
£ £
Anna Paulowna, die Schwester Alexanders I., heiratete den Thronfolger
der Niederlande, Willem II.
Stein schlug daher von Stirum vor, er sollte dafür Sorge tragen, dass
die niederländische Delegation in Wien unvorhergesehen MORESNET
beanspruchte.
Stein hatte noch genug Freunde in der Preußischen Diplomatie, die
dabei helfen konnten. Der wichtigste Freund war der Gelehrte und
Politiker Wilhelm von Humboldt, der als Linguist auch von Klaproth
sehr gut kannte.
Humboldt sorgte dafür, dass der von Stein und Stirum vorbereitete
Plan, das Problem Moresnet außerhalb der Schlussakte von Wien zu
halten, gelang. Damit war das erste Ziel erreicht. Man konnte Regelungen
treffen, ohne von den Agenten Metternichs beobachtet zu werden.
Ein Jahr später, als der Prinz von Oranien mit der Zarenschwester
Anna verlobt war, kam der Aachener Grenzvertrag zu Stande. Dieser
sah die vorläufige, aber bis 1919 dauernde Dreiteilung von Moresnet
vor, und zwar so, dass das westliche Dorf Moresnet zu den Niederlanden
81
kam, der östliche Teil mit Neu-Moresnet Preußen zugeteilt wurde und
der schmale Streifen mit dem Dorf Kelmis und dem Altenberg — wo
alles einmal angefangen hatte — zur NEUTRALEN ZONE erklärt wurde.
Diese Zone kam unter die Leitung eines niederländischen und eines
preußischen Kommissars.
Freier Zugang
Der neutrale Status dieses kleinen Gebietes war sehr gut durchdacht:
Es war nicht unter die Herrschaft von Berlin und Den Haag gelangt
(oder Brüssel, da der Regierungssitz in dieser Zeit abwechselte).
Alles wurde durch die beiden Gouverneure geregelt, die im übrigen
erst 1817 ernannt wurden: Werner Jacob für die Niederlande und Wilhelm
Hardt für Preußen. Sie waren, so wie auch das «Staatsoberhaupt», der
Kelmiser Bürgermeister Arnold-Timoth6e von Lasaux, nur Strohmänner,
die die praktische Führung der Geschäfte dem betagten Bergwerksdirek-
tor J. J. D. Dony überließen.
Dieser brillante Chemiker, der ein Freund des alten Klaproth war,
war im Jahre 1805 der Erfinder des (Lütticher) Zinkofens und hatte die
Vieille Montagne vom französischen Besetzer gepachtet.
Das Uranium wurde zusammen mit den Zinktransporten in den Betrieb
von Dony gebracht, wo es dann von den anderen Erzen in einem
speziellen Verfahren geschieden wurde.
Niederländische Schiffe brachten dann die kostbare Fracht in den
Hafen von Rotterdam, wo sie umgeladen und anschließend nach St.
Petersburg verschifft wurde.
Zar Alexander I. und die gesamte Romanow-Familie hatten für ihre
geistige Gesundheit uneingeschränkten Zugriff auf die Uraniumtinktur.
Ein Zar verschwindet‘
Vorbemerkung. In seiner 1960 veröffentlichten «Geschichte Aachens
in Daten» geht Archivdirektor Bernhard Poll ausführlich auf den sog.
Monarchenkongress ein, der von September bis November 1818 in
Aachen tagte und über die weitere Haltung der Siegermächte gegenüber
Frankreich beschließen sollte.
Einige Aachener Straßennamen erinnern heute noch an diesen
Kongress, der im Herbst 1818 mehr gekrönte Häupter in Aachen
versammelte, als man je zuvor dort gesehen hatte.
83
Hause am Foggengraben, der in Friedrich-Wilhelm-Platz umbenannt
wurde,
Neben diesen 3 regierenden Monarchen zählte man 1 Kaiserin, 2
Kronprinzen, 2 Großfürsten, 3 Herzöge, 1 Herzogin, 13 Fürsten, 1
Fürstin, 7 Prinzen, 1 Prinzessin, 37 Grafen, 8 Gräfinnen, 1 Staatskanzler,
15 Staatsminister, 43 Generale, 1 Admiral, 18 Bankiers, 24 Musiker und
17 Maler!
ok
An einem strahlenden Herbsttag im Oktober 1818 konnten
aufmerksame Einwohner von Kelmis, der einzigartigen Siedlung von
Neutral-Moresnet, ein merkwürdiges Schauspiel erleben. Der Herr
Bürgermeister von Lasaulx, begleitet vom preußischen Kommissar Hardt
und dessen niederländischem Amtskollegen Jacob, empfing einen
merkwürdigen Herrn mit einem auffälligen glatten Gesicht und einer
ältlich wirkenden grauen Zopfperücke. Der Gast war soeben aus einer
schwarz verdeckten Kutsche ausgestiegen, die ganz neutral ohne
jegliches Emblem oder Wappenschild, aus Richtung Aachen kommend
in Kelmis vorgefahren war.
Er reiste, so hatten neugierige Anwesende erfahren können, unter dem
Titel eines Grafen von Todtleben. Mehrere Gestalten, in schwarz
gekleidet, die mit dem Herrn Grafen reisten, alle breitschultrig und mit
typisch slawischen Gesichtszügen, weckten bei den Anwohnern ein
gewisses Misstrauen. Ein gewöhnlicher Graf reiste doch nicht mit so
vielen finsteren Typen umher!?
Ein einzelner Zuschauer, der eine Woche zuvor etwas von einem
Aachener Kongress mitbekommen hatte, muss ihn erkannt haben.
Nachdem sich die ganze Gesellschaft zu Fuß auf den Weg zu den
Büros der Grubenleitung begeben hatte, trat aus dem Zuschauerkreis
ein unauffälliger Mann heraus, den nur die kleine Feder am Hut, die
krumme Pfeife und die Lederhose als Fremdling zu erkennnen gaben.
Er schnappte sich sein an einen Baum angebundenes Pferd und ritt in
Richtung Aachen auf und davon.
Eine Bankrotterklärung mit Folgen
Der hohe Herr, der incognito unter dem Namen des Grafen von
A Todtleben, abgestiegen war, war niemand anders als der Zar von
Russland. Probleme waren entstanden nach dem Bankrott des
Konzessionärs des Altenberger Grubenfeldes, J.D.D. Dony, noch vor
84
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Die Monarchen der Heiligen Allianz (v. 1.): Zar Alexander I.,
Kaiser Franz I. von Österreich und König Friedrich Wilhelm III. von Preußen
Ende des Jahres 1816. Dony war ein brillanter Chemiker, jedoch ein
schlechter Geschäftsmann. Geldnöte hatten ihn gezwungen, den Pariser
Bankiers Hektor Chaulet und Dominique Mosselman die Mehrheit seiner
Anteile am Kelmiser Bergwerk zu überschreiben. Trotz größeren
Finanzspritzen aus St. Petersburg kam Dony ganz einfach nicht über die
Runden.
Was genau zur Sprache kam, wird man sicher nicht erfahren, aber
bereits 1817 war Mosselman alleiniger Besitzer der Vieille Montagne
zu Kelmis.
85
Merkwürdige Entwicklung
Der preußische Chemieprofessor Klaproth, Entdecker des Urans und
Teilnehmer am Komplott des Freiherrn vom Stein, erlebte dies nicht
mehr. Er wurde während der Silvesternacht in Berlin durch einen
Feuerwerkskörper getroffen und starb am Neujahrstag 1817 an seinen
Brandwunden. Sein Sohn Heinrich Julius, der andere Verschwörer, war
kurz davor überhastet aus Georgien abgereist. Man kann nur spekulieren,
was zwischen 1816 und 1818 passiert ist.
Wurden die Uranium-Transporte nach Russland zeitweilig
unterbrochen?
Der Nervenzusammenbruch des Zaren Alexander Anfang 1817 könnte
darauf hinweisen.
Wie dem auch sei, der in bescheidenen Umständen geborene
Mosselman bekam auf einmal Zugang zu den höchsten Kreisen. So
heiratete seine Tochter den jüngsten Sohn des Herzogs von Dino, besser
bekannt als der französische Ex-Premier Talleyrand.
Seine Enkeltochter heiratet etwas später sogar in das polnische
Fürstengeschlecht Poniatowski ein.
Strahlungskrankheit
Biografen weisen darauf hin, dass nach 1817 sowohl der geistige wie
auch der körperliche Zustand Alexanders I. sich verschlechterten.
Der anhaltende Gebrauch von Uranium-Präparaten half in keiner
Weise gegen seine angeborenen Neurosen, seinen religiösen Wahnsinn
und seine Depressionen. Wohl aber kam es dadurch zu sämtlichen
Symptomen von Strahlungskrankheit: Magengeschwüren, chronischer
Blasenentzündung, Bronchitis, inneren Blutungen. Seine politischen
Meinungen wurden immer konservativer, ja sogar reaktionär geprägt.
Man hat die Entwicklung seiner Persönlichkeit dem Einfluss der an
seinem Hofe lebenden pietistischen Mystikerin Juliana Baronin Krüde-
ner zugeschrieben. Diese behauptete sogar, die Idee von der Heiligen
Allianz der europäischen Fürsten sei von ihr ausgegangen. Auffällig war,
dass er sich ab 1818 nach den Ansichten von Kanzler Fürst Metternich
von Österreich richtete.
In diesem Jahr wohnte der Zar dem internationalen «Monarchen-
kongress» in Aachen bei. Bei diesem Kongress bot sich die Gelegenheit,
incognito zu dem Ort zu verschwinden, wo er sich seine persönliche
86
Medizin besorgte. Aus den Archiven des «Instituts für Österreichische
Geheimrats-Forschung» kennen wir das gelegentlich durch den Zaren
benutzte Pseudonym. «Von Todtleben» war wie eine Illustrierung sei-
nes Gemütszustandes. 7
Es kann als sicher angesehen werden, dass der Zar eine größere Menge
an Pechblende aus dem Kelmiser Bergwerk mit nach Hause nahm.
Auch Metternich war inzwischen informiert, da seine Agenten nun
wussten, wozu das Uranerz Verwendung fand. Er fragte einen politischen
Preis für seine Verschwiegenheit. Ab dem Moment hatte er den Zar in
den Händen. Auch die preußischen Beamten bekamen von der Sache
Wind und somit wurde auch Friedrich Wilhelm III. sprichwörtlich
hellhörig. Darauf weist auch hin, dass der preußische Kommissar Hardt
kurz danach seines Amtes enthoben und durch Johann M. D. Mayer aus
dem nahen Düren ersetzt wurde.
Der Zar verschwindet
Autosuggestion vermag sehr viel: nach seinem Besuch in Aachen und
Kelmis blieb Alexander I. doch noch ganze sieben Jahre auf dem
russischen Thron. Aber er wurde immer kränker und war nur noch selten
bei Hof zu sehen.
Das Ende seiner Regierung ist nur vage beschrieben und sehr lange
ein Rätsel geblieben.
Im November 1825 spazierte er mit seiner Ehefrau Louise Maria von
Baden am Strand des Asowschen Meeres — einem Nebenmeer des
Schwarzen Meeres - nahe bei Taganrog, wo er ein Landhaus besaß.
Die Zarin fühlte sich nicht wohl und kehrte zurück zu ihrem Landgut.
Sie starb einige Monate später.
Der Zar führte seinen Spaziergang in aller Einsamkeit und alleine
fort.
Er ist von diesem Spaziergang NIE zurückgekommen und es wurde
auch nie mehr eine Spur von ihm gefunden. Die darauf folgende
Verwirrung: die Brüder Constantin und Nikolaus, die sich gegenseitig
als Zar anerkannten; der dann entstehende Aufstand der Dekabristen,
das alles fällt außerhalb des Rahmens dieser Geschichte. Wie auch die
Episode des sibirischen Bettelmönchs, der 1852 auftauchte und
behauptete, er sei Zar Alexander I. und der sogar zu einem persönlichen
Gespräch mit Zar Nikolaus I. gebracht wurde. Er wurde als Schwindler
demaskiert und bestraft.
88
vorgestellt. Es konnte 7-8 Meter tief tauchen und mindestens drei Stunden
unter Wasser bleiben.
Als Fulton im Jahre 1815 verstarb, hatte er bereits ein größeres Boot
entworfen, in dem 100 Menschen Platz fanden.
Es war 1825 also technisch möglich, mit einem Boot die Küste von
Taganrog zu verlassen, über Wasser das Schwarze Meer zu durchqueren
und anschließend die türkische Seeenge wieder unter Wasser zu passieren.
Im offenen Wasser der Ägäis kann ein Passagier dann in ein normales
Schiff umgestiegen sein.
Dies ist zwar Theorie, aber eine Erklärung dafür, wie «Graf von
Todtleben» zu Beginn des Jahres 1826 wieder in Kelmis auftauchen
konnte. Das Letzte wissen wir aus einem Brief an von Limburg-Stirum, *
den der niederländische Kommissar J. Brandes, seit dem Jahre 1823
Nachfolger von Jacobs, verfasste.
Steins comeback
Dass der inzwischen in Rente gegangene, nun bald siebzigjährige
Limburg-Stirum in die Ereignisse verwickelt ist, deutet auf die Hand
des beinahe gleichaltrigen vom Stein.
Stein musste sein Schloss verlassen, das durch den Souverain Wilhelm
von Nassau-Weilburg besetzt wurde, und zog in sein Landgut
Kappenberg in Westfalen um, wo er sich mit der Ausgabe der MGH
beschäftigte. Nach dem Tod seines Rivalen Fürst Hardenberg, im Jahre
1822, gab man ihm die Chance, wieder ins öffentliche Leben
zurückzukehren.
1823 trat er wieder in den westfälischen Landtag ein und wurde
Vorsitzender der Evangelischen Synode. Auch wurde er im Anschluss
daran in den Berliner Staatsrat berufen. Sein Einfluss war also groß
genug, um den Co-Kommissar von Neutral-Moresnet, Mayer, zu
neutralisieren.
Der falsche Todtleben
Der genannte Brief von Brand®s an Stirum, der im Familienarchiv
derer von Limburg-Stirum auftauchte, datiert vom 29. Februar 1826 und
ist lange unbemerkt geblieben. Ohne die Berichte des Kaiserlichen
Geheimdienstes aus dem Jahre 1818 konnte niemand den darin erwähnten
Grafen von Todtleben als den richtigen Zaren identifizieren. J. Rammel-
89
man-Elsevier, der Chronist des Geschlechtes derer von Limburg-Stirum,
dachte zuerst, es könnte Willem II. gewesen sein. In der Tat findet man
in der populären Literatur des 19. Jahrhunderts der Oranjefürsten
folgende Geschichte:
Willem II. , nach dem legalen Staatsstreich von Thorbecke, war nicht
mehr motiviert genug, um weiter als «Automat der Verfassung» zu
regieren, und hat seinen Tod 1849 in Szene gesetzt, indem er bei Nacht
und Nebel einen leeren Sarg von Tilburg in die Gruft von Delft
transportieren ließ. Mit der Hilfe seines Schwagers Zar Nikolaus I. hätte
er ein neues Leben unter dem Namen von Todtleben begonnen.
Aber die Geschichte über das zweite Leben Willems II. ist eine reine
Fiktion, vielleicht sogar eine Wanderlegende.
Der «wahre falsche» Todtleben war sein anderer russischer Schwager,
Alexander. Brandes meldet 1826 an Stirum, dass «notre cher Comte
von Todtleben» nach beinahe acht Jahren zurückgekehrt ist in das
«Chateau de Bempt». Das kam daher, dass Bürgermeister von Lasaulx
kurz davor sein seit Generationen im Besitz der Familie befindliches
Schloss Alensberg dem Lütticher Fabrikanten Cockerill verkauft hatte.
Dieser Verkauf wurde bereits 1823 getätigt, aber dies blieb Stirum
verborgen. Besonders zu vermelden ist, dass alles in Bewegung gesetzt
wurde, um schnellstens ein neues Badezimmer anzulegen, damit der
Gast seine «medizinischen Bäder» genießen konnte.
Alexander hatte also ein Motiv, um aus Russland zu verschwinden
und incognito in Moresnet zu bleiben. Er war überzeugt, dass nur das
Bad in einem Uranium-Präparat seine Gesundheit verbessern würde.
Dazu waren Mengen an Pechblende nötig. Weitere Nachrichten über
seinen Aufenthalt im Schloss Bempt liegen nicht vor.
Die Uranium-Bäder taten dem kranken Mann im übrigen durch die
Abgabe der Strahlen eher nicht gut.
Aber seine Anwesenheit in Moresnet ist sicher nicht spurlos vorbei
gegangen. Am 1. April 1827, so meldet ein im Archiv derer von Limburg-
Stirum befindlicher Brief von Bürgermeister Lasaulx an Stirum, ist unser
«guter Graf, wohnend auf Schloss Bempt» verstorben.
Diese merkwürdige Episode der noch jungen Geschichte von Neutral-
Moresnet, der es seinen eigenen Status zu verdanken hatte, war mit dem
Tod des Zaren Alexander I. zu Ende gegangen. Es bestehen, wie gesagt,
keine weiteren schriftlichen Unterlagen über den Verbleib des russischen
90
Zaren auf Schloss Bempt. Über Generationen weiter gegebene mündliche
Überlieferung weiß von einem sehr reichen Herrn, der viele Bäume
eigenhändig fällte, sie zersägte und Schiffsmodelle baute, die er auf der
Göhl zu Wasser ließ.
Nachtrag: Pechblende: Auch Uraninit oder Uranpecherz genannt, ist
mit der chemischen Zusammensetzung UO2 ein Oxid-Mineral und kam
auch neben dem Zinkspat im Bergwerk in Kelmis vor, wenn auch nur in
geringen Mengen.
Durch seinen Urangehalt ist es radioaktiv, aber wer wusste dies schon
Anfang des 19 Jahrhunderts. Jüngere Uranite glänzen glas- bis pechartig,
während die älteren Exemplare mehr und mehr metallisch glänzen.
Vorkommen: Pechblende tritt gewöhnlich in sulfidhaltigen Hydro-
thermaladern auf, daneben in sauren Tiefengesteinen wie Pegmatiten,
die auch in Kelmis abgebaut wurden.
Erst im Jahre 1896 wurde durch den französischen Physiker Antoine
Henri Becquerel die Radioaktivität entdeckt, wie auch durch die
polnische Chemikerin und Nobelpreisträgerin Marie Curie das Uran-
Zerfallprodukt Radium.
Historisch entstand der Begriff Pechblende im Erzgebirge. Die dort
im Silberbergbau tätigen Bergleute hatten keine Verwendung für die
pechschwarzen Steine und verwarfen diese. Als «Blende», wurden
Mineralien bezeichnet, die aufgrund ihres Gewichts einen Metallgehalt
vermuten ließen, der aber mit den damaligen Verhüttungstechniken nicht
gewinnbar war (so auch Zink aus Zinkblende). Ob auch gesundheitliche
Aspekte eine Rolle spielten, ist nicht bekannt. Als später auf den Halden
des alten Bergwerks in Kelmis verschiedenfarbige Oxidationsprodukte
sowie Uranerze zu finden waren, wurden sie zur Gewinnung von diesen
neuen Farben abgebaut. Später, als die bereits oxidierten Materialien
verbraucht waren, wurden die Farben auch in einem gewissen Maßstab
aus Pechblende hergestellt. Daher sind heute einige alte Kunstwerke in
der Welt radioaktiv belastet.
Quellennachweis: Wikipedia und Möritz Kuszczynka
91
Kelmeser Platt
ut os Kengertüät
von Henri Beckers
Alle Menschen sprechen in der heutigen Zeit von Globalisierung.
In diesem Zusammenhang gewinnen jedoch auch regionalhistorische
Bezugspunkte wieder neues Leben.
In den letzten Jahrzehnten werden ausschließlich die sogenannten
Kultursprachen gelehrt.
Dadurch verliert die Regionalsprache, die uns von unseren Eltern und
Großeltern in die Wiege gelegt wurde, immer mehr an Boden.
Unsere Muttersprache lernt man nur noch in der Praxis.
Seit den Gemeindefusionen in den 70er Jahren und den andauernden
Schulreformen ist die Muttersprache gewaltig auf dem Rückzug.
Obwohl jeder weiß, dass wir in unserem Grenzraum immer eine wichtige
Mittlerrolle zwischen mehreren großen Kulturräumen wahrgenommen
haben, wird in den Schulen keine Anstrengung unternommen, das
Kulturgut unserer Regionalsprache zu fördern.
Als geborener Kelmiser des Jahrganges 1946 wuchs ich in Kelmeser
Plattdütsch auf. Ich kann mich noch gut erinnern, dass auf dem Schulhof
und beim Spiel nie etwas anderes als Kelmeser Platt gesprochen wurde.
Jeder von uns hat aber auch die Fremdsprachen gelernt. Viele sind
überzeugt, dass unsere Muttersprache weiter leben soll, nur werden zu
wenige Initiativen ergriffen, um die Regionalsprache zu fördern.
In Kelmis wird die Gemeinderatssitzung (hoffentlich noch lange!) in
unserer Muttersprache abgehalten. Auch im Karneval, bei der Volksbühne
und durch den Vortragswettbewerb 3 + des Kiwanis-Clubs Kelmis-
Göhltal, lebt das Kelmeser Platt weiter.
In der heutigen Zeit wird alles hochdeutscher, französischer und vor
allem englischer - und das ist jammerschade!
Es bleibt nur zu hoffen, dass weitere Initiativen aus den Familien heraus
folgen, damit unsere Muttersprache nicht verloren geht. Ganz besonders
sind hier die Großeltern gefordert. Nur durch die Praxis kann das
Interesse bei den Kindern und Jugendlichen wieder geweckt werden.
Aus allen diesen Gründen begann ich Wörter und Ausdrücke zu
sammeln, wie andere Briefmarken oder Bierdeckel zusammentragen,
teils im Kopf, teils auf der letzten weißen Seite meines Taschen-
kalenders, teils auf sortierten Karteikarten.
92
Fast jeder, der davon in den letzten Jahren erfuhr, meinte, diese Wörter
oder Ausdrücke müssten gedruckt erhalten bleiben.
So entsteht nun eine Folge von Veröffentlichungen, möglichst lesereif
aufgeschrieben, von dem, was ich in den letzten Jahren zusammen-
getragen habe.
Unter der Rubrik Kelmeser Platt ut os Kengertiit möchte ich in
alphabetischer Reihenfolge diese gesammelten Sprachschnitzel in der
Zeitschrift «Im Göhltal» vorstellen und durch diese Kolumne besonders
seltene Wörter und Ausdrücke wach halten und den jungen Menschen
näher bringen!
Bei derben Aussprüchen möchte ich um Verständnis bitten, aber sie |
gehören nun einmal dazu. Selbst erfunden habe ich keinen.
Da die Sammlung alter und kurioser Wörter noch weiter entwickelt
werden soll, bin ich dann auch für jeden Hinweis dankbar.
Hier sind ganz besonders die Senioren gefordert. Ich würde mich über
jeden Hinweis und jedes neue Wort freuen.
Ich wünsche allen viel Freude an diese «Raritäten» in Platt.
Anfangen will ich, wie es sich im Alphabet gehört , mit den Buchstaben
«A» und «B».
Wöat met «A»
Aat mz. Aade Wasserrinne, Abflussader:
I ose Kelder wor en Rat i-jen Aat
aade kleng geschräeve, in jemandens Art schlagen:
dä aad no singe Upa, no wää aade dä ?
Aadeje, aadech komischer, merkwürdiger Typ:
Dä Aadeje dong aadech
Aafjons, afjönstech Missgunst, missgünstig
aafmendere beim Stricken, Maschen abnehmen
aafmoole photographieren, abmalen:
Ech mot m&ch ne nöje Paas hoole
Ech loot mech dovör aafmoole
aafnupe abknöpfen:
däm nup vör b6j et Kaate et Jäld af
aaftääre abzehren, abmagern, entkräften:
Wä Ping hat, täärt af
Ääg Eine Egge, Ackergerät
ääge eggen, kultivieren
98
aakile sich verfressen, sich voll stopfen:
dat Äete woor esue joot, dat Ech mech
rechtesch aajekild han
Aar Grundstücksmaß, Zahlwort — abgekürzt
Ar: Enge Ar €&s Hondert m?
äduke einnicken:
der Upa €s ijene Sässel äjedukt
Äkepit Gaffer, Eckensteher
Äref Bauernhof
Ärvel Armvoll:
Dä hauw ne Ärvel Höj jeholt
ävel, ääl, äver, än aber
Aijerlööper Eieruhr:
Verjäet n&€t der Aijerlööper op - te
stelle wänn de Aijer kauche
äkstemeere schätzen, achten:
sing Äldere äkstem&&re
Alejaasche Fisematenten, Umstände machen:
Dä Käel makt ömmer Alejaasche
alejenh6€ eine Strecke entlang:
lans en Autobahn stönt alejenh&& Lampe
alewil, alewils, alewile, alevuls,
aneenaa, alösch Heutzutage, unaufhörlich, erst:
alewil €&s alles düür woede
alljosch alljährlich:
alljosch set vör der Chre&sboom op
almelääves stets (mein ganzes Leben lang):
alselääves almelääves hant vör Jeburtsdaach
jeviert
alöör Zahlwort, KM/H, zeitig (frz: a 1’heure):
vör en Schuele döat me mär 30 alöör vaare.
Äls, Älse Baum: eine Else, Elsenfrüchte (= Erle)
Altstem Altstimme (Gesang), Tonlage
Alunste&n Alaunstein, blutstillend beim Rasieren
Amarölche Streich, eine unglaubwürdige Geschichte:
Amerölche Dä Grueßpap hat me&ch w&rrem Amarölchere
verzapt.
änätse, äsprenke benetzen, befeuchten, besonders die Bügel-
wäsche
94
äneste sich einnisten:
dä welt s£ch bej os äneste
ankeroot beunruhigt sein, in Angst sein
äntääjeloope entgegen laufen, entgegen gehen
äntsad entsetzt
äokse eintrichtern der Prüüfongsstoof äcokse
apaat getrennt, für sich (frz. ä part)
apaad besonders eigenartig, eigen sein
äpenne einschlafen:
Ech wool mech jät rööste än wor äjepennt
Apelvenk Vogel: Kirschkernbeißer
äpiipe einrauchen ü
now han Cch der Kösch (Pfeife) äjepäepe
aplaatsch aufgeräumt wo es hingehört:
rümt alles aplaatsch oder dä €s aplaatsch (in
Ordnung)
äpööle einschlagen eines Zaunes, eines Gatters,
einpfählen
äpote Blumen eintopfen
apselüts unbedingt
ar66jel ordentlich, wie es sich gehört:
schriiv ar&&jel (schön)
ärlite einreißen:
has-te de Boks äjeräete ?
arivee (nur mit einem - r - ) Ankunftslinie
bei einem Lauf oder Radrennen
äkrie sich erholen, sich fangen
Ärtelööt Erbsenhülse
Ärteriiser dünne Zweige, die in den Boden gesteckt
werden, damit die Erbsen daran hochwachsen
können
ästue für etwas einstehen, zu etwas stehen
ästuke in den Boden stauchen:
der Betong ästuke
atwer, atwerem
alwerem schon wieder
auertitsch archaisch, altmodisch:
de Grueßmodder &s auertitsch ajedue
95
Autöke kleines Auto, kleines Fahrzeug
Jonge schpääle et l&&vste met Autökere
äüübe einstudieren, einüben dä d&et vör et Konzärt
äüübe
ävääme einfädeln,
kanns-te me&ch ens di Nöld ävääme?
Wöat met « B »
baa Ausdruck des Ekels
bää Ausdruck der Schadensfreude
baachstälts Vogel: Bachstelze, Bergbachstelze, Wiesen-
stelze
Baakoov Rindvieh, jemand der sich dumm verhält
(«Bachkalb»)
Baaneblom Blume, violett, wächst vorwiegend am
Bahndamm. Kinder streuten die Blüten wänn
de Bronk jong (= wenn die Prozession auszog)
Bäärevot breiter Hintern vorwiegend beim Vieh auch
Schimpfwort ......d£cke Pröt
Baarloope sehr altes Nachlaufspiel
Bääske Diminutiv von Bääs, Küsschen (frz. un baiser)
Bävekööske Pflanze: Grasart, Zittergras
Bassong Musikinstrument = Fagott (frz. basson)
bagele wenn ein Schwein (Sau) ferkelt
Baij poetisch für Pferd
oder Drahtzaun
oder Mietvertrag (aus dem franz. bail)
Bakprum Frucht: Dörrpflaume, Zwetschke
Bälbruut König und Dame, Trumpfkarte aus dem
Kartenspiel Namens «Mitsche»
Bammel 1) eine Schlampe
Bammel haa 2) Angst haben, Bammel haben
Bänet sumpfige Wiese (auch Flurname «Bend»)
De Kenger jonge ijene Bänet schlete
bärev (aus «brave») fleißig
Dä kann aapake, dat- €&s ne bäreve
(auch euphemistisch für Faulpelz)
96
bäreves barfüßig, barfuß
dä löpt bäreves
Baskül- aus dem franz. «bascule»: Brückenwaage;
Stückgutwaage, Dezimalwaage
Bavejaan Schimpfwort: kommt von Pavian
bävernäl oder de bibernäl haa, zittern, beben
dä hat de Bävernäl o. Bibernäl
bedet sehr altes Verb, heißt «die Absicht haben»
Ech han bed&t te trowe
bedue ... altes Wort: mach Dir nichts draus
och wänn dä dat sät, bedöch d&ch neet
befuutele bemogeln, beschwindeln }
dä hat mech b6&j- et kaate befuutelt
bejaje sich besudeln,
dat Kengk hat s£ch janz bejajdt
beje (veraltet) warten op der Bus b&je
bEjene€ versammelt, zusammen
öm Kermes koam vör ömmer b&jen&e
Bejing Ordensfrau, Nonne, Begine, seltener: Peking
(die Hauptstadt von China)
bejoome anlaufen lassen, beschlagen
de janze Vänstere sönt bejoomd
belakmaijert in der Patsche, geliefert, gelackmeiert now sönt
vör schön belakmaijert
bemaschele, bemajele beklecksen, bekleckern
(ech) han m&ch de Boks bemajelt
Bemol Musik: Zeichen der Halbtonerniedrigung
Dow bes dernäve, do st&€&t bemol, = As
bemüfd muffig,
H6&j rükd et bemüfd
berömpeld verschrumpelt
Ech hauw en berömpelde Päär ijene Körev
beschiite of bedrüite bescheißen, Angst haben
Spruch.: met minge än minge beschiit s&ch ens
Enge
Beschüd aus dem franz. biscuit (= zweimal gebacken),
Zwieback
Besslöfke Gemüse: Schnittlauch
schneppel Besslöfke över en Äedäppel
7
betitschd verrückt, bescheuert 5
betuutele bereden, beschwatzen
has de d&ch va os Nobesche betuutele loote?
Bidä aus dem franz. bidet: Fußbecken
bierech brünstig sein (von Säuen)
Bigoudi aus dem franz. Lockenwickler
Has-te de Krolspange opjedreet?
bimse eine Ohrfeige geben
dä hauw Eng jebimst kräje
Blääres der Kopf, (Bölles)
En &€n twaij kriss-te €ng vör dä Blääres
Bläs länglicher weißer Fleck auf der Stirn
vör hant e Päet än en Koo met en Bläs
blätsche bellen
i-jen Stroat blätscht ene Möp
Bletsboom Schürzenjäger im vorgeschrittenen Alter
ne auwe Bletsboom
Blöö aus dem franz. Waschblau (bleu) zum Kalken
u. Bleichen
blotskop barhäuptig, dä loop blotskop dörch di Kauw
Blüje ein Hilfloser, ein Beschämter, schüchterner
Mensch
Bof (ne) ein Happen, ein Bissen
Böjschäsel Schimpfwort: Waldesel
Bokbaat Pflanze: Gras, das sich schwer mähen lässt
(Bocksbart)
bocke widerspenstig sein, bockig, (auch vom Motor)
Böckem Fisch: Bückling
Tadel, Rüge: Enge ene Bökem jääve
Bokseboom Hosenboden
Boksedrüter Angsthase, Hosenscheißer
Boksemaan kleiner Bub, mit einer zu weiten Hose
Boksesölder zu weite Hose, tapsiger Mensch
böldere zuschlagen, sich schlagen
Der Baal vutböldere
bölsche bellend husten (siehe blätsche)
Bonelööt Gemüse: Bohnenschote
Böös Griffelkasten in der Schule (Büchse)
98
Böömaan eine erfundene Gestalt, womit die Erwachse-
nen bei Dunkelheit Kindern Angst einjagten
Boomlöperke Vogel: Baumläufer
Boor Totenbahre
Ze hauwe em i-je Duudehüske open Boor
jelaat
booven&, boover&e übereinander
hang di Fotos mär boover&€
Böschep sehr alter Begriff für Bischof
braakele Die Nacht so zubringen, dass man nicht schläft
Dow has wer de janze Naat jebraakelt
Breacksschpeel Spielverderber |
Briem Dornenzweig
Brigebeker Ziegelbrenner
Brösselpot, Brösselbäär Schwätzer, jemand der Stuss redet
bruuse gären
der Wiin €&s anet bruuse
Bültäng Schulzeugnis aus dem franz. bulletin
Bumskop Schimpfwort: Dickschädel
Dä hat villeich ene Bumskop
Buschong Buschonge: altes Spiel, Flaschenstopfen, auf
dem beim Buschonge Geld liegt.
büse&re in der Schule durchfallen lassen (Belgizismus:
buser)
Büüjel 1) Signalhorn
2) Kleiderhalter
Buurevräeter Arbeiter, der über die Bauern schimpfte
Büüs, büss 1) ein Zylinderhut,
2) Misserfolg bei der Wahl
Bwa, bua, bwases Ausruf des Staunens
99
In Memoriam
Am 12. August 2007 ging von uns unser langjähriges
Vorstandsmitglied
a Herr Willi Palm
‚
2 PL
AN ) £ Nach seiner aktiven Laufbahn in der
Va Materialprüfungsabteilung der RWTH
RB Aachen stellte er sich gerne in den
il Dienst unserer Vereinigung, ab 1970 im
Redaktionsausschuss und 1978, nach
dem Tode von Herrn Jean De Ridder,
A als Schriftführer.
Als solcher war er ein dem Neuen gegenüber aufgeschlossener
Mitarbeiter, dessen sprichwörtliche Zuverlässigkeit jeder zu schätzen
wusste:-Nur ungern mussten wir 2002 auf seine Dienste verzichten.
Unsere Vereinigung ist Herrn Willi Palm zu bleibendem Dank und
Gedenken verpflichtet.
Herbert Lennertz, Präsident
100
Jahresrückblick 2007
von Herbert Lennertz
21.1.2007. Überaus zahlreich hatten sich die Mitglieder im Hergen-
rather Kulturheim zur jährlichen Generalversammlung der Vereinigung
eingefunden. Nach den Begrüßungsworten ließ der Vorsitzende die
Veranstaltungen des vergangenen Jahres Revue passieren. Bei den
Mitgliedern sind die Veranstaltungen (Ausfahrten, Ausstellungen,
Wanderungen) durchaus auf positive Reaktionen gestoßen. Einen
besonderen Platz nahm dabei die Mehrtagesfahrt nach Böhmen unter der
Ltg. von Helene Bings ein. .
Die Mitgliederzahlen entwickeln sich seit einigen Jahren leicht
rückläufig. Im Vorstand mitarbeiten wird in Zukunft Herr Alain Brose,
Historiker aus Kelmis.
Dank der finanziellen Unterstützung durch die Deutschsprachige
Gemeinschaft, die Provinz und die Gemeinde schloss die
Rechnungsablage ohne Defizit.
In einem Lichtbildervortrag von Helene Bings konnten die Anwesenden
anschließend die Mehrtagesfahrt nach Böhmen (Karlsbad, Franzensbad,
Marienbad, Eger, Krumau...) aufleben und sich durch Wort und Bild auf
die bevorstehende Fahrt nach Kroatien und Slowenien einstimmen lassen.
3.3.2007. Druckereimuseum Weiss in Monschau-Imgenbroich. Der
«Reise in die Vergangenheit» der Druckkunst steht ein Wort von Georg
Christoph Lichtenberg (1742-1799, Physiker und Schriftsteller) voran:
«Mehr als das Gold hat das Blei die Welt verändert, und mehr als das
Blei in der Flinte jenes im Setzkasten der Drucker.» Und dann stellen die
Ausstellungsmacher die Frage: «Was wäre unser Leben ohne die
Errungenschaften der schwarzen Kunst?»
Die Antwort gibt das Museum im Handwerkerviertel von Imgenbroich
auf 2 Etagen, wo der Besucher von den Anfängen der Schrift im Zwei-
Strom-Land über Ägypten (rd. 700 Bilder und Zeichen), Griechenland
und Rom in die mittelalterlichen Skriptorien der Klöster geführt wird und
schließlich beim Bibeldruck des Johannes Gutenberg aus Mainz anlangt.
Von nun an dreht sich das Rad der Geschichte der Druckerei stets
schneller und immer wieder neue Entwicklungen setzen Meilensteine
im Druckgewerbe, das seit rd. 20 Jahren auch zu einer digitalen Welt
geworden ist.
Ein Druckereimuseum, dessen Besuch jeden beeindrucken muss.
101
21.4.2007. Solingen. Das Bergische Land ist eine bedeutende Wiege
der Industrie; es war schon früh ein Zentrum der Eisen- und
Textilindustrie.
Eine besondere Ausprägung erlangte die Eisenindustrie in Solingen,
dessen Ruhm durch die Schneidwarenproduktion in alle Welt getragen
wurde.
Im Solinger Klin- _ WE BE} ?
genmuseum im Fach- N N 7 ie 7 7 4 8
werkviertel Gräfrath - SEN EZ A &
kann der Besucher die | A F} AP
Geschichte der 8 N A I SR SE
Klingenherstellung N EN
(Messer und Schere) EN N A Et
von der Frühzeit BED ES
(geschliffene Steine ES Se TEE
und Speerspitzen) bis rn C
zum heutigen Tage a
anhand der Exponate [| |
verfolgen. Schwerter a “
und Degen, Küchen- 3
und Taschenmesser, Mi - > < N
aber auch Essbe- Like Den .
stecke gehören dazu, = LT I
wurde doch die Ess- Im Klingenmuseum in Solingen-Gräfrath:
kultur maßgeblich Ein Pfau aus Scheren
durch den Gebrauch von Messer und Gabel bestimmt.
Solingen me fecit, mich schuf Solingen, kann man auf einer Blankwaffe
lesen. Was für die Säbel und Degen galt, galt auch für die Scheren-
herstellung, die im Solinger Raum zur industriellen Fertigung gebracht
wurde. In der Gesenkschmiede Hendrichs kann der Besucher die
verschiedenen Arbeitsgänge bei der Herstellung der Scherenrohlinge
verfolgen und miterleben, wie aus einem rotglühenden Flacheisen unter
dem Schlag des mechanisch angehobenen Hammers ein Scherenrohling
entsteht, der dann zur Weiterverarbeitung einem Schleifer anvertraut wird.
In die Wohn- und Arbeitswelt der Schleifer bekamen die Mitfahrenden
Einblick beim Besuch eines Schleifkottens in Wipperau.
2.6.2007. Vaals. Zwischen Schneeberg und Vaalserberg liegt das
Städtchen Vaals, gerne scherzhaft als «das reformierte Balkönchen
Aachens» bezeichnet. Damit ist ein Charakteristikum dieses Grenzstädt-
chens genannt: eine reformierte Enklave im umliegenden katholischen
Gebiet.
102
Schon im 16. Jh. EZ
wurde Vaals zu BE
einem Refugium der x. En A
Protestanten, die im N Ss TE ]
katholischen Aachen "a SE
diskriminiert wurden 8 Yin WS BE
und somit in die Pi EN ET En
umliegenden Orte % KR BA
Aa ES spe RE ea
(Stolberg, Burt- ASS A KO a) =
scheid, Vaals) ab- 3 er he
wanderten. VE EEE
Die bekannteste A ex = ee Ba
und wohlhabendste N 3 SR Dax a
protestantische Fami- . wur *
lie, die sich in Vaals = FA El i 5]
niederließ, war die | A411 12 Vs
Tuchmacherfamilie 6 zn A
von Clermont, deren a N
Namen mit Schloss °
Neuerburg, Vaals- en
broeck und Bloe- E VAR (
mendael verbunden A
ist. Nachdem die katholische Pfarrkirche über längere
Johann Arnold Zeit von beiden Konfessionen (Reformierten und
von Clermont ließ Katholiken) benutzt worden war, bauten die
1761-1765 eine re- Reformierten schließlich ihr eigenes Gotteshaus,
ERS Su ln heat AAN DA A
Tuchfabrik in Vaals (1892-93) abgerissen. Der alte Turm hat sein
errichten, eine wehrhaftes Aussehen behalten.
ursprünglich
vierseitig geschlossene Anlage mit Walkmühle, Scherräumen, Färberei
etc. Als Architekt des Barockbaues zeichnete Johann Jak. Couven
verantwortlich. Der Bau ging Mitte der 70er Jahre in den Besitz der Stadt
Vaals über, die dort ihre Verwaltung unterbrachte.
Charakteristisch für Vaals sind aber auch die vielen Gotteshäuser der
verschiedenen protestantischen Ausrichtungen: Lutheraner, Mennoniten,
Reformierte, Methodisten...
24.6.-1.7.2007. Ziel der diesjährigen Mehrtagesfahrt (Lei-tung Helene
Bings) war die kroatische Halbinsel Istrien, die von Opatija (an der Kvar-
ner Bucht) aus erkundet wurde.
103
Schwerpunkte wa- {[} 0 TR NS
ren hier die dalma- u SP N = x
tinische Küste mit \xn € HELMUT
Pula, Rovinj und |.S&% ; 8. we Herd a! Gl TO
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Hauptstadt Ljubljana
(Laibach) an, die eine gelungene Abrundung der diesjährigen
Mehrtagesfahrt darstellte.
Am 22.9.2007 führten Helene Bings und Gaby Regulla die Göhltaler
in die Kaiserstadt Trier, die im Rahmen der Veranstaltungen
«Kulturhauptstadt Europas» eine Ausstellung zu Leben und Wirken Kai-
ser Konstantins des Großen beherbergte. Im Rheinischen Landesmuseum,
dem Bischöflichen Museum und dem Stadtmuseum waren insgesamt rd.
14.000 Exponate aus 160 Museen, u. a. dem Louvre und dem Vatikan, zu
sehen. Konstantin und seine Zeit werden allen Teilnehmern dieser Fahrt
ein Begriff bleiben, auch wenn in der Kürze der Zeit von den drei genannten
Museen nur das Rheinische Landesmuseum besichtigt werden konnte.
Am 6.10.2007 führte Gaby Regulla eine starke Gruppe «Göhltaler»
ins nahe Festungsstädtchen Limburg a. d. Weser. Der Rundgang führte
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über die Wälle und den St. Georgs-Platz, beleuchtete die bewegte
Geschichte des von den Großmächten als kriegswichtig eingeschätzten
und so oft umkämpften Bollwerks, wies auf die architektonischen
Besonderheiten hin und endete mit einem gemütlichen Beisammensein
bei Kaffee und Reisfladen.
22.11.2007. Peru im Diavortrag. Die Kontakte zur SIM (Schweizer
Indianer-Mission) führten Rosemarie und Willy Flückiger (Kelmis) in
den Andenstaat Peru, von wo sie beeindruckendes Bildmaterial
mitbrachten, das Herr Flückiger am 22.11.2007 im Kulturheim in
Hergenrath zeigte.
Kommentar und Bilder ergänzten sich auf glückliche Weise und -
zeichneten ein vielseitiges und abwechslungsreiches Bild dieses
südamerikanischen Landes, das mit seinen 1,285 Millionen km* rund 42
mal so groß wie Belgien ist und nur etwa 23 Millionen Einwohner zählt.
Der Dia-Vortrag führte u. a. über den Inka-Weg zu den imposanten
Ruinenfeldern von Machu Picchu, zeigte dazu kontrastierende spanische
Barokarchitektur und gab Einblick in die von der Schweizer Indianer
Mission geförderte Arbeit beim Bau eines Gesundheitszentrums.
8.12.2007. Als letzte Veranstaltung dieses Jahres stand ein Spaziergang
durch die Altstadt von Stolberg, dessen Messingindustrie in früheren
Zeiten auch Abnehmer des Kelmiser Galmeis war, auf dem Programm.
Die so genannten Kupferhöfe halten die Erinnerung an diese Zeit wach
(wie denn auch das Museum «Zinkhütter Hof» und der
Kupfermeisterfriedhof.) Stolberg hatte den aus Aachen vertriebenen
protestantischen Kupfermeistern Aufnahme gewährt. Mit diesen
entwickelte sich die Messingindustrie zu großer Blüte und Stolberg nennt
sich noch heute «Kupfermeisterstadt», auch wenn inzwischen andere
Industriezweige (Prym, Dalli, Chemie Grünental) die Wirtschaft
bestimmen und die Stadtverantwortlichen sich bemühen, den Sektor der
Dienstleistungen anzukurbeln. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei dem
Fremdenverkehr.
Der Vorsitzende des örtlichen Geschichtsvereins, Herr Ramm, verstand
es, «seine» Stadt in all ihren Facetten darzustellen und so den Besuch in
Stolberg, der mit einem Besuch des Weihnachtsmarktes auf der Burg
ausklang, zu einem besonderen Erlebnis werden zu lassen.
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