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Landschaft im Grenzraum Nordostbelgiens
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ZEITSCHRIFT DER VEREINIGUNG FÜR
KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
IM GÖHLTAL
Nr. 80 — August 2007
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Im Göhltal
ZEITSCHRIFT DER VEREINIGUNG
FÜR
KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
IM GÖHLTAL
Nr. 80
August 2007
Veröffentlicht mit der Unterstützung des Kulturamtes der
deutschsprachigen Gemeinschaft
Vorsitzender: Herbert Lennertz, Stadionstraße 3, 4721 Neu-Moresnet.
Sekretariat: Maxstraße 9, 4721 Neu-Moresnet, Tel. 087/65.75.04.
Lektor: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Kassierer: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Postscheckkonto Nr. 000-0191053-60.
Fortis Bank: 248-0068875-35
Konto NL: AMRO-BANK: 46.37.00.090 Vaals/L
Konto BRD: Aachener Bank: 821 363 012 (BLZ 390 601 80)
Die Beiträge verpflichten nur die Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten
Druck.: Aldenhoff, Gemmenich - 087-78 61 13.
3
Inhaltsverzeichnis
Alfred Bertha Zum Umschlagbild: 5
Hergenrath
Emile Hollman In den Schaufenstern von Schunck Wi
Heerlen spiegelte sich das Kohlerevier
M.-Th. Weinert Noch immer 27
Aachen-Forst
Jean Vandenhove (*) Drei Monate im Jahre 1944 28
Hergenrath
Hans-Dieter Iven Aachener Gastfreundlichkeit, oder: 50
Aachen Die Leiden des Erasmus von Rotterdam
M.-Th. Weinert Der Kiebitz 32
Aachen-Forst
Walter Meven Frontläufer 53
Aachen
Jakob Langohr De Ruesestrückskere 63
Kelmis a-je Elderehus
Henri Beckers Die Isolierrohrwerke Hergenrath 65
Kelmis
Alfred Bertha Raeren-Neudorf, 67
Hergenrath nur eine Kapellengemeinde?
Josef Minetti (+) Der Lousberg bei Aachen E
Herbesthal
Die Redaktion Ein Schulbild aus Herbesthal 95
Iwan Jungbluth Rückblick auf das Zollamt Tülje 96
5
Zum Umschlagbild
; von Alfred Bertha
Obwohl der große amerikanische Militärfriedhof auf dem Grundgebiet
von Homburg liegt, hat Henri-Chapelle vor allem durch eben diesen
Friedhof einen überregionalen Bekanntheitsgrad erlangt. Hier ruhen heute
noch nahezu 8.000 amerikanische Soldaten, die im letzten Kriegsjahr
ihr Leben verloren haben. Viele von ihnen gehörten zur Ersten Divi-
sion.
An diese Erste Division erinnert auch das Denkmal unserer Titelseite.
Es steht am Ausgang von Henri-Chapelle Richtung Battice-Herve-
Lüttich, in der Nähe von Beloeil, und wurde errichtet im Jahre 1946.
Wie das Grenz-Echo am 17.1.1946 berichtete, war man in Henri-Cha-
pelle von der Absicht der Amerikaner informiert worden, an besagter
Stelle ein Denkmal zur Erinnerung an den Durchmarsch der 1. Division
zu errichten, und es war mit der Gemeindeverwaltung und den
Grundeigentümern ein diesbezügliches Abkommen getroffen worden.
Der Obelisk zeigt zur Straße hin die große „1“ der Ersten Infanterie-
Division.
>Keine Mission zu schwierig; kein Opfer zu groß; die Pflicht zuerst!<
So die Devise der Ersten US-Division, der „Fighting First“, der „Big
Red One“, die im 2. Weltkrieg während 443 Tagen als Gesamteinheit
und zudem mit einzelnen Truppenteilen noch mehr als 100 Tage unter
anderem Kommando im Einsatz war, und zwar meist dort, wo es am
heißesten herging.
Die im Ersten Weltkrieg aufgestellte „Erste“ war die erste
Infanterieeinheit, die in England ankam, die erste, die in Nord-Afrika,
in Sizilien und Frankreich an Land ging, und auch die erste, die die als
uneinnehmbar geltende Siegfriedlinie durchbrach. Der „Ersten“ gehörten
mehrere renommierte Infanterie-Regimenter an, so das 1798 gegründete
16.Inf.-Reg., das bis 1812 zurückgehende 18. Inf.-Reg. und das 1901
aufgestellte 26. Infanterie-Regiment. 1918 hatte sich die Erste Division
in Frankreich ausgezeichnet, u. a. in den harten Kämpfen an der Marne.
Beim Waffenstillstand war die Einheit bis Sedan vorgestoßen.
Neben den genannten Infanterie-Einheiten verfügte die Division über
4 Artillerie-Bataillone und weitere Spezialtruppeneinheiten wie Pioniere,
Spähtruppen, Lazarett-Truppen, Ordonnanz-Kompanie etc. Als Erken-
nungszeichen hatten die Soldeten auf dem Ärmel einen Aufnäher mit
6
einer großen roten „1“ auf olivgrünem Grund. Daher auch ihr Name
„Big Red One“ d. h. große rote Eins.
Von der Landung in Nordafrika bis zu den Toren von Aachen
Ihre Feuertaufe im 2. W. K. erlebten die GI’s der Ersten Division in
Nordafrika, wo sie am 8. November 1942 bei Oran an Land gingen und
auf härtesten deutschen Widerstand stießen. Nach verlustreichen
Kämpfen in Nordafrika folgte die Landung auf Sizilien, dann in
Süditalien. Nach 37-tägigem ununterbrochenem Einsatz gönnte man den
Truppen ab Oktober 1943 eine Erholungspause in England, die aber
vorwiegend der Vorbereitung auf die Landung in der Normandie diente.
Als dann besagte Landung am 6. Juni 1944 (wider Erwarten) nach
unsäglichen Opfern an Menschenleben geglückt war, begann der
Vormarsch nach Westen. Über Marigny, Mayenne, Paris, Soissons und
Laon erreichte die „Erste“ die belgische Grenze bei Maubeuge am 3.
September 1944. In Mons stießen die Amerikaner auf erbitterten
Widerstand der Deutschen und mussten vier Tage lang hart kämpfen,
ehe sie ihren Vormarsch über Charleroi, Namür und Lüttich fortsetzen
konnten. Die deutschen Truppen hatten der Übermacht der Amerikaner
nur noch wenig entgegen zu stellen und am 12. September standen diese
vor den Toren Aachens, von dem sie annahmen, es sei stark bewaffnet.
So blieb es vorerst bei einer Umgehung der Stadt, die erst nach 6 Wochen
und nach heftigen Straßenkämpfen von den Deutschen aufgegeben
wurde.
Die Vormarschroute der „Big Red One“ säumen von der Normandie
bis ins Egerland (Sudetenland) fünf gleich aussehende Obelisken mit
den Namen der in den verschiedenen Kampfphasen Gefallenen. Der erste
Obelisk steht in der Normandie, an der „Omaha Beach“, wo die Truppen
am 6. Juni 1944 an Land gingen (627 Tote); der nächste folgt in Mons
und wurde errichtet für die Opfer des Vormarsches vom 25. Juli bis 6.
September 44; es folgt Henri-Chapelle mit den Namen der Toten vom 7.
September bis 15. Dezember 1944 (1223 Namen); Bütgenbach erinnert
an die Toten der Rundstedtoffensive vom 16. Dezember 44 bis zum 7.
Februar 45 (458 Opfer); in Cheb (Eger) steht das 5. Denkmal dieses
Typs mit den Namen von weiteren 775 Toten der Ersten Division.
Auch in Washington wurde schon nach dem Ersten Weltkrieg ein
Denkmal für die Toten der 1. Division errichtet. Es steht sozusagen im
Schatten des Weißen Hauses und wurde 1924 eingeweiht. Es wurde
mehrfach erweitert, so 1957, um die Namen der 4.325 Opfer des Zweiten
7
Weltkrieges aufzunehmen, sodann 1997, um der Opfer des Vietnam-
Krieges zu gedenken. Alle anderen Denkmäler der Ersten Division, die
an deren Gefallene des Ersten Weltkrieges erinnern, stehen auf
französischem Boden: in Cantigny (199 Tote), Buzancy (2.213 Tote),
Vigneulles (98 Tote), St Juvin (1790 Tote) und Wadelincourt (80 Tote).
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Die der Straße abgewandte Seite des sechseckigen Obelisks zeigt die «1» im
Siegeskranz und darunter — unter dem Oberbegriff «Aachen 7. September 44 —
15. Dezember 44» — die Namen der einzelnen Einsatzorte von Namür bis
Luchem (b. Langerwehe).
Der Obelisk an der Lütticher Straße in der Nähe von Beloeil trägt nach
Angaben des Colonels J. T. Corley (1954) rund 2000 Namen von Gefallenen der
Ersten Division, die «Society of the First Infantry Division» gibt die Zahl mit
1223 an. Sie fielen zwischen dem 7. September und dem 15. Dezember 1944,
vornehmlich in den Kämpfen um Aachen und im Hürtgenwald.
8
. Der Kampf um Aachen
In einer unter dem Titel „Aachen. Military Operations in Urban Ter-
rain“ veröffentlichten Geschichte des 26. Infanterie-Regiments vom 8.-
20. Oktober 1944 (die Autoren sind 5 hochrangige Offiziere der Ersten
Division) geht Stanhope B. Mason in seinem Beitrag „Reminiscences
and Anecdotes of World War II“ auch auf den Vormarsch seiner Divi-
sion ein, deren Stab er 1944 befehligte. „Seitdem wir uns von Lüttich
aus nach Osten bewegten“, so der ehemalige Offizier, „hatte ich einen
zunehmenden Widerstand seitens der Deutschen verspürt. Die
Bevölkerung des Gebietes, in eher verdrießlicher als Ferienstimmung,
gab uns ein Gefühl der Bedrohung. Während unsere Spitzen die
deutschen Stellungen innerhalb der Grenzen der Siegfriedlinie
auskundschafteten, war der größte Teil der Division in Belgien und wir
vermuteten unter einer uns freundlich gesinnten Bevölkerung.
Die belgische Grenze in der Nähe von Aachen (wie viele internatio-
nale Grenzen) ist wirtschaftlich mit der nächsten Stadt, in diesem Falle
mit Deutschland, verbunden und so bestand die Zivilbevölkerung aus
Belgiern und Deutschen mit verständlicherweise entsprechenden
Sympathien.
Jedenfalls begannen wir, konkrete Maßnahmen zu unserer eigenen
Sicherheit zu treffen. Dazu gehörte meinerseits eine sorgfältige Wahl
des Standorts für den vorgeschobenen Divisionsstab. Ich wählte dazu
ein kleines Industriestädtchen namens Hauset, etwa 1000 Yards vom
eigentlichen Deutschland entfernt. Wegen der Biegung der dortigen
Grenze waren wir genau südlich von Aachen, dessen südlicher Stadtrand
etwa 400 Yards nördlich vor uns lag.
In dem kleinen Ort Hauset hatte ich eine solide gebaute Wohnung für
unseren vorgeschobenen Kommandoposten gesucht. Nach Aachen hin
sollte die Höhe einigen Schutz bieten und der aus Stein gefügte Bau
sollte uns vor deutschem Artilleriefeuer und Kampfbombern schützen.
Die Eigentümerin des Hauses war eine mollige deutsch aussehende
„Hausfrau“ (so im englischen Text) von etwa 35 Jahren. Sie hatte noch
eine schmächtige ältere Frau und ein kleines Kind bei sich wohnen. Wir
ließen sie in das 3. Stockwerk umziehen, während wir selbst die beiden
unteren Etagen belegten‘.
* Die Bewohner des Hauses waren damals Frau Richard Bohlen mit Töchterchen
Dorothee und Schwiegermutter.
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Die Villa Bohlen, in der von Mitte September bis Mitte Dezember 1944 der Stab
der 1. Division untergebracht war
Was früher einmal als „gute Stube“ (parlor) gedient hatte, benutzten
General Huebner (Kommandeur der 1. Division) und ich selber als Büro.
Der übrige Stab belegte die restlichen Räume.
In der „guten Stube“ und in einem oder zwei anderen Räumen hatten
wir kleine bauchige Eisenöfen, die uns die nötige Wärme spendeten.
Der Rest der vorgeschobenen Einheiten lag in einem Umkreis von
100 Yards. Das Einzige, was uns noch zu tun blieb, war die Eroberung
von Aachen...“
„...Hollands Staatsgrenze berührt Belgien an den westlichen
Stadtgrenzen von Aachen, so dass diese deutsche Großstadt an der
deutschen Grenze am Zusammenstoß der belgischen und der
holländischen Grenze liegt.
Vor der Schlacht um Aachen war die Erste Infanterie-Division über
drei Staatsgebiete verstreut (Belgien, .Holland, Deutschland); dazu kam
noch, dass ein Teil der Nachhut noch in Frankreich zurückgeblieben
war. Hitlers Siegfriedlinie schloss die Verteidigungswerke Aachens mit
ein. Eine verstärkte Infanterie-Division (etwa 14.000 Mann) hat einen
Tagesbedarf von 600 Tonnen Nachschub an unterschiedlichstem
Material, um einsatzfähig zu bleiben. Den Amerikanern aber fehlte der
10
Nachschub an Munition und Treibstoff. Es fehlte auch der Zusammenhalt
der Division, die eine lange Verfolgung des Feindes hinter sich hatte.
Dieser fehlende Zusammenschluss erlaubte uns keinen koordinierten
Angriff auf die Siegfriedlinie.“
Aachen mehr als eine Schlacht
„Aachen was more than a Battle“ (Aachen war mehr als eine Schlacht)
schreibt der Chronist der Ersten Division, Generalmajor Clift Andrus,
in einer kurzen Darstellung der Ereignisse.? „Bei der Kapitulation von
Aachen, am 21.10.1944, verlor Deutschland mehr als.ein Kultur- und
Geschichtsdenkmal, ein Zentrum der Waffen- und Kohlenindustrie, eine
Schlüsselposition in der Siegfriedlinie. Aachen war für die Deutschen
ein Symbol heroischen Widerstandes, so wie Stalingrad es für die Russen
gewesen war. Seine ergfolgreiche Verteidigung sollte eine Garantie für
die Unverwundbarkeit des Reiches sein. Aachen sei uneinnehmbar, so
hatte man dem deutschen Volk glaubwürdig versichert. Die Verteidiger
von Aachen hatten vom Befehlshaber der 7. Armee den Befehl erhalten,
die Stadt bis zum letzten Mann zu halten: „Euer Kampf für die alte
Kaiserstadt wird mit Bewunderung und atemloser Erwartung verfolgt.
Ihr kämpft für die Ehre der nationalsozialistischen deutschen Armee!“
So der Kommandeur der 7. Armee, Erich Brandenberger, in einem
Durchhaltebefehl an die Stadtverteidiger. Aber Aachen, -anders als Sta-
lingrad-, fiel und die Nazi-Ehre erlitt einen vernichtenden Schlag.“
Die Deutschen, die den Hauptangriff von Süden erwarteten, hatten
ihre stärksten Abwehrkräfte dort massiert. Selbst nach dem 1. Oktober,
als die Stadt schon beinahe allseits umzingelt war und amerikanische
Spähtrupps die innere Verteidigung auskundschafteten, behielten die
Deutschen ihre festen Stellungen im Süden und gingen meist nur zu
Gegenangriffen über, um eine vollständige Umzingelung zu verhindern.
Am 3. Oktober 44 schlug ein schwerer deutscher Gegenangriff, dem
ein massiver Granatbeschuss (3.500 Granaten!) vorher gegangen war,
das 16. Infanterie-Regiment im Osten zurück. Als das erbitterte
Nahgefecht zu Ende war, war die Hälfte der Angreifer tot und die Hälfte
der schweren Geschütze ausgeschaltet.
Im Gegenzug startete das 18. Inf.-Reg. fünf Tage später einen heftigen
Gegenangriff auf „Crucifix Hill“, (gemeint ist der „Kaniensberg“ bei
? Verwiesen sei auch auf eine Reihe authentischer Berichte über das Schicksal Aachens
im Herbst 1944, die in der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins, Doppelband
66/67, 1954/55, S. 193-268, von Bernhard Poll veröffentlicht wurden.
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Generalmajor Clarence R. Huebner, Kommandeur der 1. US-Division
Haaren, auf dessen Höhe ein Kreuz stand), die beherrschende Höhe
nordöstlich der Stadt. Jeder Bunker wurde einzeln eingenommen,
nachdem die Verteidiger durch Flammenwerfer oder direkten Beschuss
vertrieben worden waren. Gleichzeitig bewegte sich das 26. Inf.-Reg.
auf Forst und den Beverauer Wald zu. Nachdem diese Ziele sicher in
ihrer Hand waren, wurde die letzte Fluchtroute nach Norden unter
Beschuss genommen.
Eine erneute brutale Gegenattake wurde von Osten lanziert. Die Härte
des Gefechtes kann man daraus ersehen, dass, nachdem die 1. Kompanie
des 16. Inf.-Reg. einen Angriff mit dem Bajonett abgewehrt hatte, mehr
als 250 tote Deutsche vor den Stellungen der Kompanie lagen!
Nach der Umzingelung der Stadt waren weitere harte Kämpfe in den
schuttübersäten Straßen in Aussicht.
12
Am 10. Oktober überbrachte man der Stadt ein Übergabe-Ultima-
tum. Es kam keine Antwort. Dies war das Zeichen zum Hauptangriff.
Kampfbomber griffen die Verteidigungsstellungen an und die Artillerie
belegte das Ostende der Stadt mit 5000 Granaten. In den nächsten 3
Tagen kamen die Männer langsam voran, Haus um Haus, Straße um
Straße...
Unterdessen dauerten die Gegenangriffe der Deutschen an. Das 18.
Inf.-Reg. wurde am „Crucifix Hill“ in heftige Kämpfe verwickelt. Eine
noch heftigere Attake wurde am 15. Oktober von der 3. Panzer-Grena-
dier-Division gegen das 16. Inf.-Reg. gestartet. Zwei Tage lang warfen
die Deutschen Panzer und Infanterie gegen die Anhöhe des „Observatory
Hill“? am Nordrand der Stadt. Miserables Wetter verhinderte Hilfe aus
der Luft und begrenzte den Einsatz der Artillerie, doch Nahkämpfe mit
Bajonett und Handgranaten zwangen die Angreifer in die Knie. Während
die Division mit einer Faust parierte, schlug sie mit der anderen hart zu.
Vom 16. Oktober an musste der Feind sich darauf beschränken, den
Verteidigern der Garnison Versorgung über Fallschirmabwürfe
zukommen zu lassen.
Am 20.10. verblieb noch Widerstand rund um die Technische
Hochschule am Westrand der Stadt. Am folgenden Tag ergab sich der
kommandierende Offizier, Oberst Gerhard M. Wilk, bedingungslos.
Die schweren Waffen schwiegen in einer toten Stadt: zerstörte
Abwässerkanäle, gebrochene Gasleitungen, aufgeblähte Tierkadaver,
zersplittertes Glas, herunterhängende Stromleitungen, Unmengen von
formlosem Schutt... Nicht ein einziges Haus war unbeschädigt. Der
einzige Gewinn für die Division: die Stadt und etwa 2000 Gefangene.
Die Deutschen zeigten keinerlei Absicht, sich ganz aus dem Rheinland
zurückzuziehen und die Kämpfe versprachen erst noch härter zu werden.
Die Deutschen hielten die Gegend jenseits Verlautenheide und Stolberg
und wurden jeden Tag zahlreicher. Man bereitete sich vor auf den Kampf
im Hürtgenwald. Um diesen Wald hatte sich vorher niemand besondere
Gedanken gemacht, aber nun wird dieser Name nie mehr vergessen
werden, so wie der Argonnerwald* oder die Wälder von Belleau®.
? Gemeint ist die Wetterbeobachtungsstation im Kurpark
* Hart umkämpftes bewaldetes Grenzgebiet zwischen Lothringen und der Champa-
gne. Die Erste amerikanische Division errang dort 1918 den Sieg von Montfaucon.
5 Departement Aisne, amerikanischer Sieg im Juni 1918
16
Dass es sich dabei um eine große Schau handelte, daran war kein
Zweifel. Die letzten Ziele des Unternehmens waren nie ganz klar, aber
es war wahrscheinlich, dass die Operation als ein riesiger auf Antwerpen
und Brüssel zielender Beutefeldzug gedacht war. Jedenfalls war das erste
Ziel des Unternehmens die Einnahme von Verviers und Lüttich sowie
der enormen Vorratslager in diesem Bereich; darohne würde der ganze
Angriff ergebnislos verlaufen...
Der Big Red One blieb keine Zeit zur Erholung. Sie wurde in die
Ardennenschlacht der Rundstedtoffensive geworfen, wo sie einen hohen
Blutzoll zahlte. Das Denkmal in Bütgenbach, an der Abzweigung nach
Amel-St. Vith, trägt nicht weniger als 458 Namen von Soldaten der 1:
Division, die in den Kämpfen zwischen dem 16. Dezember und dem 7.
Februar gefallen sind.
Nachdem die Ardennenoffensive zusammengebrochen war, konnte
die Erste Division den Vormarsch nach Deutschland fortsetzen. Die
letzten Monate des Krieges führten diese Truppen bis ins Sudetenland,
in die damalige Tschechoslowakei. In Eger (Cheb) steht das letzte der
Denkmäler, das an die Gefallenen der 1. Division erinnert. Es trägt 775
Namen von Männern, die zwischen dem 8. Februar und dem 6. Mai
1945 ihr Leben lassen mussten.
Wir danken Herrn Peter Sparla, Vaals, für Überlassung der Fotos
zu diesem Beitrag.
17
In den Schaufenstern von Schunck
spiegelte sich das Kohlerevier '
von Emile Hollman
„Wer die Geschichte der Kaufmannsfamilie Schunck schreiben
möchte, kommt nicht umhin, auch die Geschichte von Heerlen
aufzuwickeln“, schrieb sinngemäß das Limburgs Dagblad, als im Mai
1935 der „Glaspalast“ des Kaufhauses Schunck in Heerlen? seine Tore
öffnete. Die Geschichte dieser Familie ist jedoch nicht nur mit Heerlen,
sondern auch mit dem Göhltal verbunden, denn hier haben sie ihre
Wurzeln.
Schunck und Heerlen sind untrennbar miteinander verbunden.
Schunck wurde groß mit Heerlen und umgekehrt. Wenn Heerlen in der
Krise steckte, teilte auch der Betrieb Schunck die Malaise. So z. B.
während des Ersten Weltkrieges oder nach Schließung der Kohlengruben
Anfang der siebziger Jahre.
Vor einigen Jahren wurde Schunck von „Berden Meubelen“ aus Venlo
übernommen, so dass die Familie beinahe nichts mehr mitzubestimmen
hat. Aber die Erinnerung ist in der Stadt spürbar. Und das ganz gewiss,
wenn in Kürze das Glaspalais in altem Glanze wieder hergestellt wird?.
Es war nämlich Peter Jos. Schunck, der dem Architekten Fritz Peutz
den Auftrag zum Bau dieses für damalige Zeiten ultramodernen
Warenhauses erteilte.
Die Geschichte der Familie, die mit Mut und Bravour sich entwickelte,
ist in zwanzig Umzugskartons verpackt. Nach einer Gamma-Strahlen-
Behandlung, die alles, was an Schimmel und dergleichen darin wimmelt,
abtötet, werden die Archive durch ein Team des Stadtarchivs im
Thermenmuseum nach Besonderheiten über die Familie durchforscht.
So rechnet Stadtarchivar Tom van Slooten damit, Korrespondenz-
unterlagen zwischen dem Auftraggeber und dem Architekten des
Glaspalastes zu finden. Auch dürfte der „alte“ Schunck mit seinem in
Amerika wohnenden Sohn über Betriebsführung korrespondiert haben.
'__ Dieser Beitrag erschien in niederl. Sprache im „Limburgs Dagblad» vom 18.2.2001,
S. 31-33.
? Der 1935 erbaute „Glaspalast“ zählt zu den wichtigsten Zeugnissen der Architektur
des 20. Jahrhunderts.
3 Inzwischen ist die hier angedeutete Renovierung des Glaspalastes abgeschlossen.
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Eine Ausstellung mit den interessantesten Fundstücken soll folgen, am
liebsten in dem renovierten Glaspalast.
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Mit dem Glaspalast ging Fritz Peutz in die Architekturgeschichte ein.
Da wäre zuerst der Mann mit dem langen, wehenden Bart, Nicolas
Schunck. 1776 kommen Männer aus dem nordostpolnischen Bialystok,
Industriestadt 150 km nordöstlich von Warschau, an der weißrussischen
(
Grenze. Russ. Bielostok) zu Schunck mit der Frage, ob die Familie nicht
geneigt sei, in der Stadt an der Bila eine Weberei aufzubauen. So machen
sich drei Söhne der Familie Schunck von Hauset aus auf den weiten
Weg in den Nordosten Polens, wo sie unternehmerisch tätig werden.
Nicolas Schunck kehrt später zurück und gründet in Eupen eine
Weberei und in Hauset eine Spinnerei. Als der Konkurrenzdruck der
Aachener Textilindustrie existenzbedrohend wurde, beschloss der Sohn
Arnold, sich in Sittard niederzulassen und dort ein kleines Handelshaus
zu gründen.
Zu dieser Zeit sind die Verkehrsverbindungen noch vollkommen
mittelalterlich. Mit der Postkutsche gibt es eine einzige Nord-West-
Verbindung am Tag. Mit lautem Hornsignal holpert der Postwagen über
die unbefestigten Wege. Doch Arnold geht zu Fuß. Auf dem Rückweg
macht er Station im Hotel Cloot in Heerlen, an der Ecke Bongerd und
19
Emmastraat. Heerlen ist zu der Zeit ein Dorf von kaum 5.000
Einwohnern. Doch nicht so verschlafen, wie manche denken mögen.
Zwar liegt es herrlich versteckt zwischen den Äckern des Geleentales,
doch es ist absolut kein Bauerndorf. Man findet dort Ledergerber,
Nadelfabrikanten, Bierbrauer, Ziegelbäcker, Siruphersteller. 1877 drehen
in Heerlen ein paar Mühlen, arbeiten eine Buchdruckerei, fünf Webereien
(darunter eine Kunstweberei), zwei Uhrmacher und ein Hutmacher. Zwei
Notare haben sich dort niedergelassen, auch zwei Ärzte, zwei Apotheker
und ein Rechtsanwalt.
Der Reiz des Dorfes nimmt Arnold Schunck gefangen. Oder müssten
wir sagen: Er sieht Zukunft in Heerlen. Am 24. August 1874 rollt die
Familie Schunck mit einem langen, mit Stoffen beladenen Karren in
Heerlen ein. Arnold hat 900 Taler in der Tasche und bezieht ein Haus an
der heutigen Willemstraat.
Dem bescheidenen Geschäft ist eine ebenso bescheidene Tuchweberei
angegliedert. Wollene und halbwollene Stoffe stehen auf der Produkt-
palette sowie das populäre „Tirty“, aus dem die Frauen ihre Röcke
herstellen. Schunck kauft die Wolle bei den Bauern der Umgegend und
wäscht sie im Bachwasser des Caumer. Die harte Konkurrenz zwingt
ihn schon schnell zum Umschalten auf Konfektion.
1893 stehen die Heerlener ungläubig und kopfschüttelnd vor den zwei
bzw. drei Meter breiten Schaufenstern eines Geschäftes. „Was soll das
in einem Dorf, das kaum Wachstum kennt? Ist der Mann überge-
schnappt?“
Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass Schunck die Heerlener zum
Staunen bringt.
Arnold Schunck starb 1905. Das hieß damals offiziell: „Er wurde den
Seinigen und den Geschäften entrissen.“Inzwischen hatte man Steinkohle
gefunden. Eine Eisenbahnstrecke verband Heerlen mit Sittard und 1910
zählte der Ort 12.000 Einwohner. Die Bevölkerungszahlen nehmen rasch
zu: 1918 zählt man 25.000, zwei Jahre später 32.000 und 1932 schon
50.000 Einwohner.
Heerlen wächst und Schunck wächst mit. Jetzt unter der Leitung von
Arnolds Sohn Peter. Vor dem Ersten Weltkrieg war die deutsche Mark
das am meisten verwendete Zahlungsmittel. Die Mark ist aber nach dem
Krieg nichts mehr wert. Der schnelle Wertverfall der Mark lässt die Preise
in Heerlen steigen. In Aachen kauft man einen Maßanzug für 17 Piek (=
Gulden), in Heerlen kostet derselbe 70 Gulden! Kein Wunder, dass man
über die Grenze geht und Handel treiben in Heerlen „Kummer und Qual“
20
ist. Doch Peter Schunk lässt sich nicht unterkriegen. Kommen die Kunden
nicht zu ihm, dann geht er sie eben holen! Er kauft vier Omnibusse und
lässt diese aus Sittard, Valkenburg und De Locht sein Geschäft ansteuern.
Eine kleine Hausse im Bergbau bringt wieder etwas Aufschwung. Doch
die neue Wirtschaftsmisere deutete sich schon an, als Peter Schunck
sein Meisterstück vollbrachte.
An der Ecke Bongerd und Emmaplein liegt ein Schunck gehörendes
Grundstück, eine Art Baugrube mit einem Bretterzaun rundum. Das
„schmutzige Eckchen“, wie die Bevölkerung das nennt, ist den
Stadtvätern schon lange ein Dorn im Auge. Fünf Jahre lang muss Schunck
regelmäßig bei der städtischen Verwaltung vorsprechen und sich
rechtfertigen. Als der Bretterzaun 1932 umkippt, ist das Maß voll. Die
Stadtverwaltung stellt ein Ultimatum: Bauen oder Enteignung.
Obwohl die Wirtschaft „in den letzten Zügen liegt“, will Schunk einen
Neubau errichten. Mit dem Heerlener Architekten Fritz Peutz hat er sich
des öfteren schon unterhalten und ist auch rundgereist. Das Warenhaus
Decre im französischen Nantes kommt Schuncks Vorstellungen am
nächsten. Bei der Vorstellung der Baupläne zu dem ultramodernen
Kaufhauspalast schreibt das „Limburgs Dagblad“ u. a.: „Ein modernes
und großes Geschäftshaus, das seinesgleichen in unserer Gegend nicht
hat. Heerlen wird stolz und verwundert hinschauen.“
Am 29. Mai 1935 war Geschäftseröffnung. Dazu nochmals der
Berichterstatter der Zeitung: „Schunck ist eröffnet. Das war so ungefähr
das Schlagwort von gestern und es wurde in vielen Tonarten wiederholt.
Die Menschen auf der Straße sagten es sich gegenseitig, als sie die großen
Fahnen über dem imposanten Geschäftshaus am Markt wehen sahen.“
Dechant Nicolai dankt Gott, der zu guter Letzt einen Neubau möglich
gemacht hat. In einer Ansprache erinnert der Geschäftsleiter daran, dass
mit dem Neubau nicht nur an Familie und Personal, sondern an die ganze
Heerlener Gemeinschaft gedacht wurde.
Auch als der Betrieb 40 Jahre später ernsthaft in der Krise steckte,
betrauerte der Direktor die Folgen für die Heerlener Bürger. Die
Volkskrant wollte nichts von dem Glaspalast wissen. Ein Redakteur
schrieb über ein viereckiges gläsernes „loeder“ (Luder, Aas) von einem
Warenhaus“ das „unverschämt“ neben die „prächtige“ Pankratius-Kirche
hingestellt wurde. „Solche Bauten haben die hässliche Eigenschaft nicht
zu brennen“, so der Redakteur.
Mindestens so hart ist die Reaktion des Alt-Ministers Verschuur, der
zu der Zeit zu einer Betriebsbesichtigung in der Region weilte: „Nur ein
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Sankt Pankratius: Kontrast von Mittelalter und Moderne
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Verrückter kann in einer wirtschaftlichen Depression solch einen Bau
errichten. Es ist ein waghalsiges Unternehmen.“
Das muss Peter Schunck einen Deut gekümmert haben. Er besitzt
nun einen eigenen Aufzug, der durch den strahlenden Neubau schwebt
und es möglich macht, in jedem gewünschten Augenblick auf einer Etage
zu erscheinen. Die Familie wohnt übrigens luxuriös auf der obersten
Etage und hat einen prächtigen Blick über die Umgebung. Der
gleichnamige Enkel von Peter Schunck, 58, erinnert sich noch sehr gut.
„Mein Großvater und mein Vater waren beide Produkte ihrer Zeit.
Großvater war etwas steifer in der Art, ein echter Patriarch. Er war der
Meinung, dass ein guter Geschäftsleiter über seinem Betrieb wohnen
sollte.“ %
Im dann folgenden Zweiten Weltkrieg wurde der Glaspalast dreimal
durch Artilleriegeschosse getroffen.
Schunck hat sich einen Namen gemacht, ist berühmt geworden. Zu
seinem 80. Geburtstag, 1953, empfing er per Telegramm den päpstlichen
Segen.
Ein Jahr später eröffnet er eine Niederlassung in Geleen mit einem
für die damalige Zeit spektakulären Fest: Autorennen, „Speedway“,
Pferdesport und Radrennen. Zur Eröffnung kamen hohe weltliche und
kirchliche Persönlichkeiten.
Es kam die Zeit der „stunts“, wahrer Bravourstückchen. 1955 schloss
Schunck ein Abkommen mit dem Keukenhof, der wochenlang alle zwei
Tage 10.000 Tulpen und 20.000 Narzissen lieferte, um die Schaufenster
zu schmücken. Modepuppen wurden in historische Kostüme gesteckt.
Im selben Jahr ertönte der Startschuss für die „Tour de Schunck“: Kunden
konnten auf der „Insel“ im Glaspalast auf ein richtiges Rennrad steigen
und versuchen, an die Geschwindigkeit der damaligen Radasse Wout
Wagtmans und Dan de Groot heranzukommen. Komplette Meister-
schaften mit Vorrunden und Finalen wurden abgehalten.
1956 zieht im Karnevalsumzug durch die Straßen von Heerlen eine
von zwei Apfelschimmeln gezogene und von zwei Kutschern gelenkte
weinrote Kalesche mit dem „Brautpaar des Jahres“, zwei bei Schunck
beschäftigen jungen Leuten, begleitet von einem Hornbläser, Knappen
und Brautjungfern. Und als Rapid JC, der Vorgänger von Roda, die
Landesmeisterschaft errang, ging der Betrieb „spielerisch darauf ein“.
Wieder ein Jahr später holte man den landesweit bekannten Radiomann
Jan Boots nach Heerlen, um die Bewohner der „Mijnstreek“, des
Kohlenreviers, auf Kosten von Schunck mit dem in den Vereinigten
23
Staaten so unerhört populären und neuen Spielphänomen Scrabble
vertraut zu machen.
Der Betrieb zeigt paternalistische Züge, die unzweifelhaft den Gruben
der Umgebung „abgeschaut“ sind, die ihre Arbeiter von der Wiege bis
zum Grabe versorgen wollten.
Nach der Niederlassung in Geleen folgt 1957 eine Zweigstelle in der
Saroleastraat in Heerlen. 1958 lockt Schunck den weltberühmten
Jojovirtuosen Billy Panamavit nach Heerlen, im folgenden Jahr dreht
ein Minikarussell zwischen den Schaufensterauslagen und von 1960 an
holt Schunck die berühmtesten Mannequins des französischen Mode-
hauses Boussac nach Heerlen, womit er einen durchschlagenden Erfolg
erzielte. Filmstars wie Genevi&ve Marcillac de Balmain, Modekönigin
Peggy Rock€ und andere „Olala-Püppchen“, insgesamt 120 Models,
kommen nach Heerlen, wo sie, herausgeputzt nach der letzten
französischen Mode, - Dior, Ricci, Laroche - auf dem Laufsteg ihre
üppigen Formen zeigen. „Tout Heerlen“ kommt und will das sehen.
Journalisten und Fotografen stehen blau vor Kälte stundenlang am
Bahnhof von Heerlen und warten auf die Damen. Schunck als
Werbemakler.
Jetzt ein Betrieb wie viele andere...
Wir sind 1962. Schunck besitzt das Warenhaus im Glaspalast, ein
Teppichgeschäft in der Saroleastraat, ein Bettengeschäft auf dem Bongerd
und ein Haus für Mutter und Kleinkind auf der Ecke Bongerd/
Emmastraat. Es ist an der Zeit, mal wieder alles unter ein Dach zu bringen,
muss Peter Schuncks Sohn und Nachfolger Leo gedacht haben. 1963
öffnet er ein neues Kaufhaus an der Promenade, wo heute Berben-
Schunck Mode und Möbel verkauft. Wieder runzeln die Heerlener die
Stirn. Der Neubau bietet eine Verkaufsfläche von 75.000 m?, was
anderthalb mal so viel ist, wie die gesamte Oberfläche aller Maastrichter
Kaufhäuser! Unterstützt durch Schunck lässt Bürgermeister Ch. van Rooy
seine Stadt schon 1963 auf Werbeplakaten als „Heerlen Einkaufsstadt,
soll heute der Slogan sein“ darstellen. Abgesehen von der Größe, bot
das neue Kaufhaus noch zwei Neuerungen für den Süden: Einen
„Lunchroom“ und einen Warenhaussupermarkt. Hören wir Leo Schuncks
Worte bei der Eröffnung: „Ich kann beinahe nicht mehr stehen. Welch
eine Teilnahme. Herrlich „gewoon“. Ich denke, dass ich wohl 6.000
Hände gedrückt habe und ich spürte, dass jeder Glückwunsch ehrlich
24
gemeint war. Schauen Sie, das habe ich schon nötig. Das unterstreicht
meine Behauptung, dass der Glaube an Heerlen und das Kohlerevier
nicht unbegründet ist.“ In einer Ansprache sagt Schunck, seine
Gesellschaft verdanke Heerlen viel; der Bürgermeister behauptet das
Gegenteil. Nun, er unterstreicht das Eine wie das Andere mit dem
Angebot, eine Straße nach Peter Schunck zu benennen.
Der Neubau wird als ein Denkmal für den Unternehmer betrachtet.
Auch in dem neuen Kaufhaus sind die Schaufensterauslagen das Po-
dium für spektakuläre Aktionen. 1967, am Tag des Tieres, nehmen fünf
Löwenwelpen für einige Zeit in den Schaufenstern Platz. Scharen von
Kindern drücken ihre neugierigen Nasen gegen die Scheiben. Später
kommt noch ein erwachsenes Löwenpaar hinzu, Zambesi und Kongo,
die durch zwei Männer mit langen Peitschen und Revolvern bewacht
werden. Oder was soll man von einer wirklichen, durch Schunck
organisierten Autoschau auf der Promenade halten? Das kann alles nicht
zu Ende gehen.
Selbst in Zeiten der Not bleibt Schunck der Stadt treu. Denn mit dem
Rückgang der Kohlenindustrie fällt auch Schuncks Geschäftsresultat in
den Keller.
Erst muss die Konkurrenz, der „Grand Bazar“ die Waffen strecken,
dann scheint auch Schunck zu fallen. Große Schlagzeilen in den
Zeitungen, denn niemand Geringerer als der Nachbar und Konkurrent
Vroom und Dreesmann stehen zur Übernahme bereit. Für das drohende
Ende seines Unternehmens, zwei Jahre vor der Jahrhundertfeier, hat Leo
Schunck zwei Erklärungen: Die Schließung der Kohlengruben und die
Einführung der Mehrwertsteuer.
„Die Deutschen bleiben aus; die Einkommen sind um 20% gefallen“,
sagt er missmutig. Man spricht von mehr als hundert Entlassungen. Allein
im Jahre 1971 mussten schon 491 Firmen im Revier ihre Tore schließen.
Die Gewerkschaften geben plötzlich ein ganz anderes Bild von der
Betriebsführung bei Schunck. Man halte sie nicht auf dem Laufenden
und die Direktion erwecke den Anschein, dass sie bei den
Übernahmeverhandlungen machtlos ist. Gewerkschaftsführer Bruls
seufzt: „Schunck hätte den Glaspalast nie verlassen dürfen.“
Es geht um Schunck und so werden denn auch Fragen in der Kammer
gestellt, denn wenn Schunck fällt, hat das unzweifelhaft ernsthafte Folgen
für die schon wackelnde Wirtschaft des östlichen Reviers. Auch Anton
Dreesmann reagiert erleichtert, befürchtet er doch, dass Schunck in
seinem, Sturz den Namen von Heerlen als Einkaufsstadt sowie V&D
25
mitreißen könnte. „Es nutzt niemandem, und gewiss nicht V&D, wenn
es mit Schunck schlecht ausgehen sollte, aber es erinnert mich ein wenig
an Van Speijck: dann lieber „in de lucht in“. Und der kam stückweise
herunter“ (die kwam in stukjes naar beneden).
Enkel Peter erinnert sich gut dieser elenden Zeiten. „Die Gespräche
drehten sich nur noch ums Geschäft. Damit standen wir auf und damit
gingen wir schlafen. Wir hatten gerade einen Neubau errichtet. Und dann
kam der große Warenhausbrand bei der „Innovation“ in Brüssel (A d.
R.: Eine Brandkatastrophe in diesem Großwarenhaus am 22. Mai 1967
forderte 322 Todesopfer). Die Brandschutzbestimmungen wurden
verschärft und wir mussten gewaltig viel in ein Sprinklersystem
investieren. Die Gruben schlossen und das war also „foute boel“. Dabei
hatte uns die Direktion der Staatsgruben versichert, diese würden nicht
geschlossen. Sonst hätten wir die Wirtschaftskrise voraussehen können.“
Schließlich wurde Schunck gerettet. Doch siebzig Personen verloren
ihren Arbeitsplatz und Leo Schunck legte enttäuscht die Leitung der
Firma nieder.
„Er hat gekämpft wie ein Löwe“, sagt Sohn Peter, der natürlich
vorbestimmt war, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Obschon er
seit einigen Jahren im Geschäft arbeitet, bedankt er sich dafür. „Als die
Probleme begannen, dachte ich: Das wird nichts mehr. Es gibt nur wenige
Familienbetriebe, die vier Generationen durchhalten. Ich sah schon eine
zweiköpfige Geschäftsleitung, die mit aller Gewalt das Geld im Betrieb
halten wollte und siebzig Onkel und Tanten, Neffen und Nichten, die
alle mit dem Geld in Urlaub wollten.“
Leo Schuncks Schwester Christine übernimmt gemeinsam mit dem
von Akzo gekommenen Wirtschaftsfachmann Verleisdonk die Leitung
des verschlankten Unternehmens, das nun doch das hundertjährige
Bestehen feiern kann, auch wenn das Jubiläum in etwas bescheidenerem
Rahmen als bei Schunck üblich gefeiert wurde: Mit Piet Knarren, den
Globetrotters und den Kirchroatsjer Maedsjer. Danach scheint die
Schlagsahne zu fehlen: Schunck ist ein Betrieb geworden wie viele
andere. 1995 wurde die „bv“ (besloten genootschap) durch Berden-
Meubelen aus Venlo übernommen.
Noch vor dem Tode des früheren Geschäftsleiters im Januar dieses
Jahres beschloss die Familie, das Archiv dem im Thermenmuseum
untergebrachten Stadtarchiv zu übergeben. Zwanzig Umzugskartons,
bereit für Forscher, Biografen und Historiker. Vielleicht interessiert es
sie, die Geschichte der Familie Schunck zu schreiben. Davon abgesehen,
26
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Aus dem Erscheinungsbild Heerlens ist der Glaspalast nicht mehr wegzudenken.
ist dieses Material unverzichtbar für die Geschichtsschreibung Heerlens
im 20. Jahrhundert, denn hundert Jahre lang spiegelte sich Heerlen in
den Auslagen von Schunck.
Nachtrag
Nach dem Umzug von Schunck zur Promenade wurde der Glaspalast
1964 an den ABP (Pensionsfond) vermietet.
1973 ging der Bau durch Kauf an den Architekten Bep Groenendijk
über, der große Umänderungen vornahm, u. a. Rauchglas einsetzte.
Am 13.11.1974 wurde das Geschäftshaus wieder eröffnet, doch im
Laufe der Jahre immer weniger unterhalten. Am 4.12.1995 kam der
Glaspalast auf Betreiben einer Stiftung und der Stadtverwaltung unter
Denkmalschutz. Die Stadt kaufte den Bau 1997 und erteilte Ende 1998
den Architekten Jo Coenen und Wiel Arets den Auftrag, dem Glaspalast
sein ursprüngliches Aussehen wieder zu geben.
Als kulturelles Zentrum beherbergt das ehemalige Großkaufhaus die
verschiedensten kulturellen Aktivitäten. Neben einem Foyer und großem
Cafe im Parterre findet man im Glaspalast ein Zentrum kreativer Kunst,
die Musikschule, einen Film-Club, Ausstellungsräume und die städtische
Galerie moderner Kunst.
27
Noch immer
von M.-Th. Weinert
Noch immer
singt im Birkenbaum
die Amsel.
Will ihr Lied nicht verklingen
im Dunkeln?
Noch immer
duften die Rosen
vom Garten herauf.
Verweht nicht ihr Hauch
in der Kühle?
Noch immer
füttern die Schwalben
im Nest an der Hauswand.
Spüren sie nicht,
dass es spät ist?
Noch immer
spielen die Kinder
um die Laterne,
sitzen die Alten
in der Laube aus Geißblatt.
Werden sie nicht müde?
Alle halten den Tag,
den schönen...
Keiner weiß,
was morgen ist.
28
Drei Monate im Jahre 1944
von Jean Vandenhove
Vorbemerkung
f f Jean Vandenhove, dessen Eltern Joseph
® BA Vandenhove und Hubertine Van Wersch
8 A Ze in der Dorfstraße Nr. 42 (heute Asteneter
? Be‘ Straße Nr. 4) ein Lebensmittelgeschäft
7 € 8 A führten, ist den Hergenrathern noch als
® RE 6 A engagierter Vereinsmensch in bester
«SE Erinnerung. Besonders den Karnevalisten
WR der KG 1927 und dem Quartett- und
Be Theaterverein war er eng verbunden. Der
ja unverheiratet gebliebene Mann war
während des Krieges als Setzer in der
\ Druckerei Kaiser in Eupen und nach dem
7 Kriege beim Grenz-Echo beschäftigt. In
Jean Vandenhove seinem Heimatdorf Hergenrath hielt er
ee jedes erwähnenswerte Geschehen im Bild
fest und sammelte bei sich zu Hause eine Menge von Illustrierten, die
den Dachboden und das dahin führende Treppenhaus füllten.
Als der am 21.10.1912 geborene Jean Vandenhove am 15.5.1986 starb,
fanden sich im Altpapier auch handschriftliche Aufzeichnungen aus dem
Jahre 1944. Es war ein kleiner Notizblock mit Eintragungen zum
Tagesablauf und Tagesgeschehen, wobei vor allem das Schicksal Aachens
Herrn Vandenhove berührte, da dort eine Tante wohnte. Aber auch zum
Wetter und vielem anderen finden sich Notizen in diesem „Tagebuch“,
das stichwortartig geführt wurde.
Die Aufzeichnungen beginnen am Freitag, dem 23.4.1944. Jean
Vandenhove stand an jenem Tage um 6 Uhr auf, war um 7 Uhr in Eupen
auf der Arbeitsstelle und arbeitete 9 Stunden. Das Wetter war trübe, kühl,
etwas Regen. Den Abend verbrachte er zu Hause mit Lesen. Keine Sirene
störte seinen Schlaf,
Lassen wir ihn selber berichten, was er in den folgenden 3 Monaten
als bemerkenswert festhielt. Die Fußnoten haben wir hinzugefügt.
Samstag, 25.3.44. In der Nacht schwer geschossen. Am Fenster
geschaut. Wieder ins Bett gelegt. Zu müde.
29
10 Stunden Arbeit. Mildes Wetter. Mehrmals LW.'
Sonntag, 26.3.44. LW. Nachmittags LS-Appell*. Abends Kino. Vor 8
Uhr zu Hause. 9 Uhr Alarm. Im Keller gewesen.Bomben. Heiteres Wetter.
Montag, 27.3.44. Hatte Verspätung. 6 1/2 Stunde Arbeit. Heiter.
Ziemlich mild. Nachmittags zum Kino Capitol. „Gefährlicher Frühling“.
Ganz nett. Heute mehrmals LW, auch abends.
Dienstag, 28.3.44. 9 1/2 St. Arbeit. Heiteres Wetter. Mehrmals LW.
Abends keine Sirene.
Mittwoch, 29.3.44. 9 St. Arbeit. Heute trübes Wetter. Neblig. Bilder
(für) Anton Jungbluth gemacht. Heute keine Sirene gehört.
7 Uhr 30 zur Parteiversammlung. Es sprach Pg* Delonge. Zu Hause
Bilder für A(nton) Jungbluth fertig gemacht.
Donnerstag, 30.3.44. 9 St. Arbeit. Mehrmals LW. Vergangene Nacht
viel geschossen. Heute kühl, trüb. Abends LW bis halb 11 Uhr, danach
Alarm. Sehr starke (Flieger-) Verbände brausten über uns. Mit Jägern*.
Leuchtbomben. Im Keller.
Freitag, 31.3.44. Gefroren. 9 St. Arbeit. Schon nach 7,30 Uhr LW.
Mehrmals. Heiter, wolkig. Flugzeuge im Kreisgebiet herunter
gekommen. Abends LW.
Samstag, 1.4.44. 5 St. arbeiten. Heiteres Wetter. Gegen 9 Uhr Alarm.
Von Mina verabschiedet. LW.
Sonntag, 2.4.44. Geschäftlich gearbeitet”. Trüb. Wind. Heiter. Uhr
vorgesetzt. Kino Altenberg: „Meine Freundin Josefa“.
Die Abkürzung steht für Luft-Warnung, d. h. Fliegeralarm/Luftalarm. Es war die
mit Sirenen gegebene Warnung vor Bombenangriffen, wobei die unterschiedlichen
Heultöne unterschiedliche Bedeutung hatten: Drei gleichlange und gleichbleibende
Heultöne = öffentliche Luftwarnung, auch Voralarm, der gebrechliche Personen und
Familien mit Kindern zum Aufsuchen von Luftschutzanlagen/Luftschutzbunkern
aufforderte; auf- und abheulende Töne = Vollalarm, ausgelöst bei einer größeren
Zahl anfliegender Bomber; dabei löste man den Alarm aus, wenn die Flugzeuge
noch etwa 100 km entfernt waren. Dieses Sirengeheul dauerte oft mehrere Stunden
lang. Ein langgezogener gleichbleibender hoher Heulton bedeutete Entwarnung.
Bei Flakfeuer oder Aufsteigen von Leuchtbomben galten die gleichen Bestimmungen
wie bei Fliegeralarm, u. a. sofortige totale Verdunklung von Bahnhöfen und
Flugplätzen, die sonst für den notwendigen Betrieb schwach beleuchtet waren.
? Luftschutz-Appell. Luftschutz-Warte kontrollierten die Verdunklung und die
Löschgeräte.
3 Gängige Abkürzung für Partei-Genosse
*_ Die britischen Lancaster- und Halifax-Bomber waren zum Schutz vor aufsteigenden
deutschen Abfangjägern von Langstreckenjägern begleitet.
5 Der Schreiber machte zu Hause die im Dorfladen der Eltern anfallenden
Schreibarbeiten. .
31
Samstag, 8.4.44. Vormittags mehrmals LW. Gegen 1 Uhr Alarm. Auto-
bus mit Verspätung nach Entwarnung. Heiteres Wetter. Vormittags
Flieger-Flak schwer geschossen. Es war kritisch. Nachmittags und abends
LW + Alarm.
Ostertag 4.4.44. Noch Trauer gemacht’ Mostert-Braun. Gegen 11 Uhr
fertig mit Anzeigen. Mild, trüb, etwas Regen, abends schön. LW. Abends
einzelne Flieger. Heute über Tag schwere Kampfverbände über
Nordwestdeutschland.
Ostermontag, 10.4.44. Morgens war schon Alarm. Abends gegen 6
Uhr Alarm. Nach Entwarnung zum Kino Capitol mit Lieschen. Später
angefangen wegen Alarm. Dadurch Zug nicht bekommen‘. Gegen 10
Uhr 30 zu Hause, LW + Alarm. Nichts los hier. In Belgien schwere
‘ Flakschießerei. Angriffe auf Brüssel usw. Trübe- heiter — wolkig — mild.
Dienstag, 11.4.44. 9 St. Arbeit. Wolkig, heiter. Oft LW. Abends
Neuhaus ausgestiegen. Viehmeldung geholt bei Bauern meines Blocks.
Nach 9 Uhr zu Hubert Jungbluth. Unterhalten. Dorf-Lagemeldung gehört.
Feindliche Flugzeuge im Anflug auf Westdeutschland. Alarm. Noch nicht
viel los. Angriff auf Aachen®. Im Keller. Es war furchtbar. Gebetet. Die
Bomben krachten sehr nahe. Alles bei uns Gott sei Dank gut gegangen.
77 «Trauer gemacht» bedeutet, dass der Schreiber Todesanzeigen gesetzt hat.
® Herr Vandenhove musste den Zug bis Herbesthal nehmen und dort umsteigen nach
Hergenrath.
* Aachen hatte den ersten Luftangriff schon am 11. Mai 1940 (Hasselholzer Weg, 9
Sprengbomben, 1 Toter). Im Laufe der Kriegsjahre wurden die Angriffe immer
häufiger und intensiver. Im Januar 1944 erlebte die Stadt 5 Angriffe, im Februar 9,
im März waren es 11. Am 11. April 44 erfolgte dann ein Großangriff, wie ihn die
Stadt bis dahin nicht gekannt hatte. Ca. 350 Flugzeuge warfen zwischen 22,40 Uhr
und 23,01 Uhr ihre todbringende Last ab (Schwerpunkt Burtscheid). Man zählte
4047 Spreng-, 34.200 Brand- und 8.685 Phosphorbrandbomben. Der Angriff kostetet
1.525 Zivilisten das Leben. Zerstört oder beschädigt wurden u. a. St. Johann
(Burtscheid), St. Foillan, St. Michael (Burtscheid), Herz-Jesu, Theresienkirche, St.
Leonard, Romanisches Haus, Polizeipräsidium, Textilingenieurschule, 6
Krankenhäuser. Allein in den Städtischen Krankenanstalten beklagte man 91 Tote
und 31 Verletzte.
Bei einem früheren Großangriff auf Aachen, in der Nacht vom 13. auf den 14. Juli
1943, hatte es schon einen Bombenabwurf in Hergenrath gegeben, wo das von
Familie Bauens bewohnte Armengut „Alte Kirche“ getroffen wurde und abbrannte.
32
Später gehört, dass in H(ergenrath) ein Haus zerstört worden ist. Leute
aus Keller gerettet!®.
Aachen. Himmel rot. Zeitzünder krepierten dauernd, keine Lust zum
Schlafengehen. Bett gegen 3 Uhr. Kein Licht an.
(An dieser Stelle möchten wir in die Aufzeichnungen des Herrn
Vandenhoven als Ergänzung die Notizen einer Walhorner Zeitzeugin zu
jenem Osterdienstag 1944 einfügen. Sie schreibt:
„Am 11. April gab es hier in Walhorn Bombenalarm. Ehe wir aus
dem Bett und die Treppe runter waren mit unseren zwei Kindern, fielen
schon die ersten Bomben. Bei uns barsten verschiedene Fensterscheiben,
ein kleiner Splitter traf mich am Kopf. Auf einer Entfernung von 10
Minuten Fußweg von uns ab waren Bomben gefallen. Über der Stadt
Aachen sah man „Christbäume“ stehen; so hießen die Leuchten, die den
Bombern das Ziel angaben. Von uns aus sah man die Stadt lichterloh
brennen; die Amerikaner (Anm.: Es waren die Engländer) hatten die
Stadt dem Erdboden gleich gemacht. Mein Mann und noch ein paar
jüngere Männer mussten noch in der Nacht nach Aachen, um zu helfen,
die Obdachlosen zu versorgen. Mein Mann brachte in dieser Nacht zwei
junge Mädchen in unser Haus, die uns zugewiesen worden waren. Alle
Leute im Dorf bekamen Obdachlose. Die bekamen nachher Kleiderkarten
und Karten für Schuhe, denn die hatten ja nichts als das nackte Leben...
In jener Nacht fielen dann die Bomben auf das Haus der Familie
Ludwig Voss. Vater, Mutter (Kusine meines Vaters), zwei Söhne und
eine Tochter lagen unter den Trümmern. Die Toten wurden in einer
unbenutzten Schulklasse aufgebahrt. Am darauffolgenden Sonntag
standen fünf Särge auf dem Platz vor dem jetzigen Jugendheim, damals
{
19 Das von einer Bombe zerstörte Haus stand auf dem Grundstück, wo sich heute das
Haus F. Kever-Snoeck befindet. Es war ein Zweifamilienhaus, das einer Frau Lena
Habets gehörte und dessen eine Hälfte von der Familie Jakob und Anna Zinzen-
Rotheudt nebst Kindern Hubert und Josef bewohnt war. Das Haus hatte einen
überwölbten Keller (Weinkeller), in den sich die Familie Zinzen beim Anflug des
von der Flak angeschossenen Bombers noch in allerletzter Sekunde hatte retten
können, ehe ein Volltreffer das Haus dem Erdboden gleich machte. Die Familie
blieb die Nacht über verschüttet, nur die Mutter hatte erhebliche Kopfverletzungen
davon getragen. Die Kinder waren unverletzt. Familie Zinzen fand Unterkunft bei
Verwandten auf der Schampelheide (Gehlen), später in einer Notwohnung.
Besagter Bomber hatte wohl ein Dutzend Bomben auf Hergenrath fallen lassen:
Zwei in die Wiese des Hauses Nobel, zwei gegenüber dem Hause F. Kever, zwei
weitere etwas höher, wo heute der Neubau Brice Kever sich befindet... Ein
Blindgänger wurde 1976 bei Arbeiten zum Anbau des Hauses Franz Kever gefunden.
33
Schulplatz. Sie wurden unter Teilnahme der Ortsvereine, des
Bürgermeisters und vieler Menschen zu Grabe getragen. Es war schon
hart, besonders wenn man befreundet ist...“
Mittwoch 12.4.44. Eupen. 4 St. Arbeit. Heiter — warm — Mittag in der
Stadt. Viele Aachener. Heute LW und 3 x Alarm. Viele Feindflieger.
Donnerstag 13.4.44. Eupen. 4 St. Arbeit. Heute dreimal Alarm. Flieger
gekommen. Heiter, warm. Gewitter u. Regen. Nachher wieder schön.
Vater hat im Garten angefangen. Züge fahren wieder bis Ronheide. Von
Aachen noch nichts gehört. Abends nach 10 Uhr Alarm.
Freitag, 14.4.44. 6 Uhr auf. Sehr müde. Eupen. 9 St. Arbeit. Trüb u.
heiter, schön, nicht kalt. Auseinandersetzung mit E. wegen Stunden am
Ostermontag. Mich sehr geärgert darüber. Nicht gesprochen mit Ew. Er
gab mir fast nichts zu setzen. Heute LW. Verschiedene neue
Stammkunden auf Autobus.
Samstag 15.4.44. Heute mussten wir 50.000 (Toten-) Zettel für Aachen
machen. Trüb, heiter, abends Regen. Heute keine Sirene. Mussten
nachmittags arbeiten für Kreisleitung Aachen (1000 Plakate). Keine
Sirene. Wie ich hörte, lebt Tante und Onkel und Lieschen.
Sonntag, 16.4.44. Hochamt. Jubiläum. Küster 50 Jahre''. Nachmittags
mit Vater die Bombeneinschläge besichtigt. Kino Altenberg. Wolkig,
heiter, ziemlich warm. Heute keine Sirene.
Montag, 17.4.44. Trüb, kühl, Regen. Tag gut verlaufen. Sehr müde.
Gegen 10,30 Uhr (abends) Alarm. Alles vorbereitet. Im Keller. Kurz
nach 12 Uhr Entwarnung. Autobus abends sehr voll.
Dienstag, 18.4.44. 9 St. Arbeit. WB'* geholt. Wird in Eupen gemacht.
Heute kühl, trüb, heiter. Mehrmals LW; nachmittags 1/4 Stunde Alarm.
Nichts los hier. Abends gegen 10,30 Uhr Alarm. Vorbereitungen
getroffen, nichts in unsere Gegend gekommen.
Mittwoch, 19.4.44. 9 St. Arbeit. Vormittags etwa 1 Stunde Alarm.
Durch -gearbeitet. Mehrmals Flieger gehört. LW. Mittags nicht aus.
Herrliches Wetter.
Abends Führerbild geschmückt im Betrieb'®. 7 Uhr zu Hause. Fenster
mit Führerbild dekoriert. Etwas gelesen. Keine Sirene.
‘Es handelt sich um den Küster Nikolaus Schmitz.
!? Steht für „Westdeutscher Beobachter“. Nachdem das Grenz-Echo schon mit
Kriegsbeginn im Westen sein Erscheinen einstellen musste, blieben den Lesern als
Informationsquellen die „Eupener Zeitung“ (Nachfolgeblatt des Korrespondenz-
blattes) und der WB (Westdeutscher Beobachter mit Lokalteil „Eupener
Beobachter“). Beide Blätter waren regimefreundlich.
3 Am folgenden Tag, dem 20.4., war Hitlers Geburtstag.
34
Donnerstag, 20.4.44. Führers Geburtstag. Geflaggt. Eupen. 9 Stunden
Arbeit. Heiteres Wetter, Sonnenschein, abends etwas Regen. Mittags
Stadt. Zeitungen geholt. Am Betrieb Fahne aufgehangen. Abends 7 Uhr
zu Hause. Sehr müde. Vater schlecht gelaunt.
Den ganzen Tag keine Sirene. Gegen 12 Uhr (Mitternacht) Alarm.
Einige Flieger. In Keller. Gegen 0,40 Uhr zu Bett. Durch Flieger und
Flak wach geworden. 1 Uhr 50 auf zum Keller. Schwerer Fliegerverband
über uns. Gegen 3 Uhr wieder zu Bett.
Freitag, 21.4.44. Vor 6 Uhr 30 auf. Sehr müde. 9 Stunden Arbeit. Gut
gelaunt. Viel Trauersachen. Nicht aus mittags. Heiter, wolkig. Oft LW.
Spät nachmittags Trauer für Hergenrath gekriegt. Fertig gemacht. 7
Uhr zu Hause. Gefalzt (Anzeigen). Geschäftlich gearbeitet. Ärger mit
Vater. Keine Sirene.
Samstag, 22.4.44. 4 Uhr 30 Alarm. Auf. Einige Flieger. Nach 5 Uhr
wieder Bett. Vor 6 Uhr 30 auf. 5 Stunden Arbeit. Heiteres Wetter.
Trauersachen gemacht. Heute viel LW + Alarm. Flak abends gegen 9
Uhr. Feindflug über Wald Hergenrath. Flak schoss. 11 Uhr LW. Rasiert.
12 Uhr Bett. Nach einer halben Stunde wieder Alarm. Viele Flieger.
Alles in Keller. Scheinwerfer. Sehr viel Beleuchtung. 2,30 Uhr zu Bett.
Sonntag, 23.4.44. 5,30 Uhr auf. Zug nach Herbesthal. Anzeige
aufgenommen. 1 Uhr mit Kleinbahn. 2,30 Uhr zu Hause. Sehr müde.
Heute Nacht LW; Alarm. Herrliches Wetter. Zu Hause geblieben. Auch
nicht zum Kino. 11 Uhr (abends) Alarm. Flieger. Keller. 0,30 Uhr zu
Bett.
Montag 24.4.44. 9 Stunden Arbeit. Zusammenstoß mit Ewald, weil
ich ihm zu wenig bei der Wache gearbeitet habe. Mittags 12-14 Uhr
Fliegeralarm. Nachmittags mehr LW + Alarm. Ich durchgearbeitet. Fast
den ganzen Tag nicht geraucht. Heiteres Wetter. Abends schwarze
Wolken. Später Sturm und Regen.
8 Uhr RLB-Appell'* mit Besuch in Altenberg. Gegen 10,30 zu Hause.
LW. 11 Uhr Alarm. Viele Flieger durchgekommen. Im Keller. Zu Bett 1
Uhr 15.
1 Der RLB, Reichsluftschutzbund, wurde 1933 durch Hermann Göring ins Leben
gerufen. Die Angehörigen des RLB hatten eine Dienstkleidung in graublauem Tuch
und ein Hoheitsabzeichen am linken Unterärmel sowie an der Mütze.
Die RLB-Mitglieder wurden geschult im luftschutzmäßigen Herrichten von Häusern
und Wohnungen, der Brandbekämpfung, dem Gasschutz sowie in Erster Hilfe und
Meldewesen. Das offizielle Organ des RLB war „Die Sirene“.
35
1Uhr 30 schwerer Bumms. Flugzeug herunter bei Sippenaeken. Auf.
Wieder zu Bett. Vor 2 Uhr Flak und viele Flieger. Aufgestanden. 2,30
Uhr schlafen.
Dienstag, 25.4.44. 9 Stunden Arbeit. Regen, kühl. Mit Ewald wieder
langsam in Ordnung. Einige Male LW. Abends Sandtüten mitgebracht.
7 Uhr zu Hause. Gegen 9,45 Uhr aufs Bett gelegt mit Kleider an, um
gegen 11 Uhr aufzustehen, wurde aber erst morgens wach. In der Nacht
hatte Sirene gegangen. Ich habe nichts gehört.
Mittwoch, 26.4.44. 9 St. Arbeit. Im Laufe des Vormittags zweimal
Alarm. Heute mehrmals LW bis abends. Kühl, heiter. Mittags Stadt.
Auto(bus) sehr voll. 7 Uhr zu Hause. Marken gekramt und geklebt.
Noch LW. 1,30 Uhr Alarm. Bett 2,30 Uhr.
Donnerstag, 27.4.44. 9 1/2 Stunde Arbeit. Mittags nicht aus. Abends
6 Uhr Alarm. 8 Uhr RLB-Zusammenkunft. LW. Kaum 1/4 Stunde im
Bett kam LW und kurz darauf Alarm in Aachen. Sofort auf. Alles zum
Keller.
Alarm in Altenberg. Dann fielen auch schon die ersten Bomben. Alle
waren im Keller. Savelsberg und Verwandte kamen auch gelaufen.
Schwerer Angriff auf Montzen'°. Wir hatten gebetet.
Der Himmel sah fürchterlich aus. Nachher und im Block noch gebetet.
Dort nichts passiert. Gegen 3,30 Uhr zu Bett.
Freitag, 28.4.44. Heute viel gearbeitet. Mittags Stadt. Zeitungen geholt.
Kühl, trüb. Heute einige Male LW. Es war mir heute einige Male ganz
komisch von der Nacht. Abends sehr müde. Gegen 10,30 Uhr auf. Vorher
LW. Nach 12 Uhr Bett. K(eine) S(irene).
5 Bei diesem Angriff auf den Bahnhof Montzen in der Nacht vom 27. auf den 28.
April 44 fanden 26 Zivilpersonen im Orte selbst sowie rund 50 deutsche
Wehrmachtsangehörige und Bahnbedienstete den Tod. Rund hundert Wohnhäuser
wurden getroffen, ca. 40 Gebäude erlitten Totalschaden. Wie Hubert Beckers (siehe
„Im Göhltal“ Nr. 33, S. 4-15) berichtet, gab man um 1,02 Uhr „Öffentliche
Luftwarnung“. Kurz darauf erfolgten die ersten Anflüge von alliierten
Bomberverbänden auf den Bahnhof Montzen. Etwa 120 Flugzeuge waren daran
beteiligt. 1200 Sprengbomben „schweren Kalibers mit Verzögerungszünder“ wurden
abgeworfen, dazu zahlreiche Leuchtbomben und Stabbrandbomben. Der
abschließende Bericht der Deutschen Reichsbahn gibt die Gebäudeschäden mit 57
Totalschäden (hauptsächlich in Montzen-Cit€), 71 schweren Schäden und 277
leichten Schäden an. Die Zahl der Toten wird mit 66 angegeben, die der Verwundeten
mit 150. Insgesamt 410 Personen wurden obdachlos. Nach Aussagen von Pfarrer
Emile Nyssen (+ 2003) war die belgische Widerstandsbewegung durch die Alliierten
von dem bevorstehenden Bombardement benachrichtigt worden, hatte diese
Nachricht jedoch nicht an die Zivilbevölkerung weitergegeben.
37
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Links und rechts dieser kleinen Rochuskapelle in Montzen-Cite haben die
Bewohner dieses Dorfviertels Erinnerungssteine an die Opfer des Bombarde-
ments gesetzt. «Le Quartier se souvient 28.4.1985» lesen wir und «In Memoriam.
A nos victimes du bombardement du 28.4.44»
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Eine Bombe blieb als Blindgänger zurück.
38
Samstag, 29.4.44. 5 St. Arbeit. Trüb, kalt, vor 24 Uhr LW. 0,45 Uhr
im Bett. Nicht im Keller,
Sonntag, 30.4.44. 7,30 Uhr mit Rad nach Eupen. Für Mostert 1000
Anzeigen. 1,30 Uhr zu Hause. Trüb, kühl, windig. 4,30 Uhr wieder nach
Eupen mit Rad. Gearbeitet bis 8 Uhr. 9 Uhr zu Hause. Nach 11 Uhr LW
+ Alarm. Flak tüchtig geschossen. Im Keller. Später nochmal Schießerei
und Keller.
Montag, 1. Mai 44. Feiertag. Heiteres Wetter. Viele Soldaten.
Abrechnung gemacht. Sollte nach Montzen arbeiten gehen'®, war aber
zu müde von dem arbeitsreichen Tage vorher. .
Heute oft LW. Mehrmals Alarm mit Flakschießerei. Nach 6 Uhr zum
Kino. LW + Alarm. Im Keller. Flak geschossen. Gegen 0,45 Uhr zu Bett.
Dienstag, 2.5.44. 9 St. Arbeit. Oft LW. Heiteres Wetter. Es blüht alles
herrlich. Heute den ganzen Tag Trauersachen gemacht. 11 Uhr LW. Flak
geschossen, sehr nahe. Im Keller. Nach 24 Uhr Entwarnung. Noch was
geschrieben für Geschäft. Nach 1 Uhr zu Bett.
Mittwoch, 3.5.44. Regen, kühl, nachher heiter. Heute auch viele
Trauersachen gemacht. Gegen 10,30 auf Bett gelegt, durch Flak wach
geworden. 0,15 Uhr LW. Auf bis nach 1 Uhr.
Donnerstag 4.5.44. Keine Sirene
Freitag, 5.5.44. 9 St. Arbeit. Heute Morgen LW. Heute Sturm, kalt,
Regen. Keine Sirene.
Samstag, 6.5.44. 9 Stunden Arbeit. Kalt, Wind, Regen. Heute auch
meistens Trauersachen. 2,30 Uhr zu Hause. Sehr müde. 6 Uhr nach
Altenberg. Beichte. Keine Sirene. Kakao getrunken. Nach 11 Uhr LW.
Flieger gehört. 0,20 Uhr zu Bett.
Sonntag, 7.5.44. Vergangene Nacht zwei Mal LW. Flieger gehört. Nicht
auf.
Vormittags Sirene, viele Flieger gehört. Morgens heiter, kalt, trüb,
Regen. 3 Uhr bis Montzen mit Rad. Beisetzungsfeier‘’. Spät
angekommen. Gegen 4,30 Uhr zu Hause. Gegen 7,30 Uhr Alarm. Viele
Flieger gehört. Nach 1 Uhr auf. LW + Alarm.
Störflieger'®, Flak. Luftkämpfe. Im Keller. Gegen 2,30 Uhr zu Bett.
16 Die Aufräumarbeiten am Bahnhof von Montzen dauerten vom 28.4.44 bis zum
16.5.44.
77 An jenem Sonntag fand die Beisetzung der Zivilopfer des Bombenangriffs auf dem
Ehrenfriedhof statt.
18 Störflieger galten als eine besonders teuflische Erfindung. Sie brachten Unruhe,
indem sie mal hier, mal dort ihre Bomben abwarfen oder mit Bordwaffen erkannte
Ziele angriffen.
39
Montag, 8.5.44. 9 Stunden Arbeit. Heute sehr kalt im Betrieb. Trüb,
kalt. Nicht viel Arbeitslust. Müde. Heute oft LW.
Dienstag, 9.5.44. 9 St. Arbeit. Vergangene Nacht tüchtig gefroren.
Vergangene Nacht LW nicht gehört. Vater und Mutter auf. Flieger gehört.
Keine Flak. Ab 12 mittags kein Strom (Bressoux kaputt).
Abends 5,30 Uhr Strom in Eupen (für Licht gut). Später auch in
Hergenrath. Mehrmals LW, einige Male Alarm. Emil kurze Zeit im
Betrieb, begrüßte mich nicht. Abends Besprechung RLB wegen
Übungen. 10,30 Uhr zu Bett.
Mittwoch, 10.5.44. Vor 4 Jahren kamen die Soldaten des Führers in
unsere Heimat. Morgens frisch, schönes Wetter. Heute mehrmals LW
und Tagesalarm. Vergangene Nacht Sirene gehört, nicht auf, zu müde.
11,15 Uhr Alarm. Im Keller (nicht lange). Bei Alarm Flieger schon da.
Nach 1 Uhr zu Bett.
Donnerstag, 11.5.44. 9 Stunden Arbeit. Herrliches warmes Wetter.
Gegen 6 Uhr LW. 6,30 Uhr Alarm. Ab sofort keine Trauersachen mehr
für Private, nur für Soldaten und Luftkriegsopfer. Gegen 11,15 Uhr LW
+ Alarm. Störflieger. Flak nicht geschossen. Hausbewohner in Keller. 1
Uhr zu Bett.
Freitag, 12.5.44. 9 St. Arbeit. Herrliches Wetter. Viel LW. 2 x Alarm.
7,30 Uhr LS (Luftschutzübung) in der Aachener Straße. 11 Uhr
Störflugzeuge im Anflug. 0,20 Uhr zu Bett. 20 Minuten später Alarm.
Auf. Gegen 1 Uhr Entwarnung. Nach 1 Uhr zu Bett.
Samstag, 13.5.44. 5 St. Arbeit. Sehr warm. 3 Uhr Ausflug gemacht
mit Willy, Mathie, Karl. Bleyberg, Montzen, Welkenraedt. Bei Hubert
Sebasten/Herbesthal steht viel Flak. Heute Mittag LW + Alarm. Abends
nach 0 Uhr zu Bett. Keine Sirene.
Sonntag, 14.5.44. Vor 12 Uhr nach Eupen mit Rad. Wache. 2 Stunden
gearbeitet.
Gegen 10,30 Uhr LW. Alarm. Entwarnung. Kurz darauf wieder LW.
Nichts los hier. 0,30 Uhr zu Bett.
Montag, 15.5.44. 9 Stunden Arbeit. Trüb, heiter, kalt, Regen.
Vergangene Nacht gegen 4,30 Uhr Alarm. Flak geschossen. Nicht auf,
Mutter wohl. Gegen 11 Uhr zu Bett. Heute keine Sirene gehört. Gegen
11,30 Uhr LW. Gegen 1 Uhr LW. Flieger und Flak. Nicht auf, Mutter
wohl.
Dienstag, 16.5.44. 9 St. Arbeit. Trüb, kalt, Regen. 11,40 Uhr Bett. In
der Nacht keine Sirene gehört.
40
Mittwoch, 17.5.44. 9 Stunden Arbeit. Trüb, heiter, kalt. Heute keine
Sirene.
Donnerstag, 18.5.44. 9 St. Arbeit. Abrechnung Zuckermarken‘”
geklebt. Heute keine Sirene. Gegen 1 Uhr zu Bett.
Freitag, 19.5.44. Wolkig, heiter, kühl. Heute nochmal LW. Gegen 11,20
Uhr zu Bett. Nachher Alarm. Auf. Nichts los. 1 Uhr zu Bett.
Samstag, 20.5.44. Heiter, trüb, Wind. 8 Uhr Namenstagsfeier. Alarm.
Flak.
Sonntag, 21.5.44. Muttertag. Heute Tagesalarm. 5 Uhr Kino Altenberg.
Gegen 10 Uhr LW, vor 11 Uhr Entwarnung. Gegen 11,30 Uhr LW. Gegen
0,30 Uhr zu Bett. Nachher Alarm. Aufgestanden. Im Keller. Gegen 2
Uhr zu Bett. 3
Montag, 22.5.44. 9 St. Arbeit. Mehrmals LW. Nachmittags schoss die
Flak. Feindliche Jäger haben im ganzen Kreisgebiet die Bevölkerung
unter Beschuss genommen.
In Hergenrath 6 Flaksoldaten gefallen, eine Anzahl schwer
verwundet”, 7 Uhr zu Hause. Gegen 11,30 Uhr LW. Gegen 1,30 Uhr
Alarm. Auf. Im Keller. Nicht viel in unserer Gegend (Flak geschossen).
Gegen 2,30 Uhr zu Bett.
Dienstag, 23.5.44. Sehr müde. 9 St. Arbeit. Sehr kalt. Trüb, wolkig.
LW.
Mittwoch, 24.5.44. Vergangene Nacht LW (nicht lange); nichts los.
Mit Kleider an weiter geschlafen. Gegen 6,30 Uhr auf.
Mehrmals LW. Nach 5 Uhr Anruf aus Hergenrath: Fina gestern in
Ensival durch feindliche Terrorbomben in einem Geschäft mit noch 15
anderen Personen tot geblieben*'. Wollte gegen 11,30 Uhr zu Bett gehen,
da kam LW. Danach 2 x Alarm.
19 Zucker war rationiert und wurde im Austausch gegen Marken gegeben. Die Anzahl
Marken wurde nach der Zusammensetzung des Haushaltes zugeteilt.
20 Es handelt sich um die Opfer der Flakstellungen auf der Hammerbrücke, die gegen
15,27 Uhr durch 6 alliierte Tiefflieger aus Richtung Buchenbusch (Kirchbusch)
angegriffen wurden. Zwei schwer verwundete Flaksoldaten sollen auf dem Trans-
port ins Lazarett Bloemendael b. Vaals bzw. kurz nach der Einlieferung dort
verstorben sein. (S. W. Timmermann, Die Hammerbrücke bei Hauset/Hergenrath in
„Im Göhltal» Nr. 53, S. 33 ff.).
2! Die Bombe zerstörte ein Geschäft in der rue de Verviers 33. Fina ist die in Ensival
bei einem alliierten Luftangriff ums Leben gekommene Halbschwester des Jean
Vandenhove, dessen Vater Peter Joseph in erster Ehe Luise Mennicken geheiratet
S hatte (+ 1911). Die genannte Fina, geb. in Hergenrath am 18.7.1904, war verheiratet
mit Martin Auguster. Sie wohnte in Wegnez, rue d’Ensival 197.
41
Sehr viele Flieger über uns hinweg. Flak schoss gewaltig. Es war
kritisch. Letzte Entwarnung 3,30 Uhr. Bin gegen 4 Uhr zu Bett gegangen.
Angriff auf Aachen”,
Donnerstag, 25.4.44. Gegen 6,30 Uhr auf. Sehr müde. Eupen. 9
Stunden Arbeit. Vormittags Alarm.Flak hat ordentlich geschossen. Heiter,
schön, Wind, trübe. 9,30 Uhr zu Bett.
Freitag, 26.5.44. Vergangene Nacht keine Sirene. Die ganze Nacht
durchgeschlafen. Wecker gesetzt für 12 Uhr. Nicht gehört!
Trüb, Regen, nicht sehr kalt. Heute 2 x LW. Nichts los. Heinrich Zim-
mermann in Urlaub. Marken geklebt den ganzen Abend. Heute ist Fina
beerdigt worden. Wir konnten nicht hingehen”. 11,50 Uhr zu Bett. Franz
Bauens auf dem Hof. Mäuerchen abgebrochen. Treppe verändert. Gegen
12 Uhr Störflieger. Flak tüchtig geschossen. Im Keller. Entwarnung 1,15
Uhr. 1,30 Uhr zu Bett.
Samstag, 27.5.44. 5 Stunden Arbeit. Schönes Wetter. Tagesalarm. Flak
u. geschossen. Nachmittags LS-Wache* in Eupen. Gearbeitet. Ewald
auch da. Mehrmals LW. 11,40 Uhr zu Bett. 0,20 Uhr auf. LW längere
Zeit nach dem Alarm. Terrorangriff auf Aachen”. 3,30 Uhr Entwarnung.
Sonntag, Pfingsten, 28.5.44. Bis 9 Uhr geschlafen. Gewaschen, rasiert,
Kaffee getrunken, umgezogen, Hochamt.
Gegen 12 Uhr nach Aachen-Burtscheid mit Rad. Sehr umständlich.
Math. auch da. Lieschen hat Bescheid, dass Bernhard vermisst ist. Viel
Alarm und LW. 2 x im Stollen. Heute war es sehr warm. Schönes Wetter.
11 Uhr zu Bett. 0,20 Uhr Alarm. Störflieger, keine Flak, 2 Uhr zu Bett.
Montag, 29.5.44. Kaffee. Schuhe rein gemacht. Gewaschen.
Angezogen. Hochamt. Heute sehr heiß. Schönes Wetter. Nach Hochamt
??_ Von 0,52 bis 1,15 Uhr und von 2,20 bis 2,38 Uhr griffen etwa 350 Flugzeuge Aachen
an, davon wurden 2 (!) abgeschossen. Hauptziele des Angriffs waren der
Westbahnhof und Rote Erde. Nahezu 3000 Spreng- und ebenso viele Brandbomben,
480 Phosphorbrandbomben und einige Minen verursachten große Schäden an St.
Adalbert, dem Dom, dem Kreuzgang, dem Alexianerkloster und der Vorburg des
Ponttors. Beide Stadtviertel waren „wie umgepflügt“. Man zählte 198 Tote und 156
Verletzte. (S. B. Poll, Geschichte Aachens in Daten, Aachen 1960).
2 Siehe Fußnote 21
2% Luftschutz-Wache
2 Bei diesem Angriff war Aachen-Forst das Hauptziel. 135 Flugzeuge streuten ihre
Bombenteppiche. Bilanz des Angriffs (neben hohen Sachschäden) 167 Tote und
164 Verletzte.
42 Ö
gearbeitet. Geklebt (Marken). Abrechnung gemacht bis 4 Uhr. Rasiert.
Nach Altenberg. Kino: „Der Weiße Traum“. 9,30 Uhr zu Hause. 11,30
Uhr zu Bett.
Heute fast den ganzen Tag Alarm. Flak geschossen.
Dienstag, 30.5.44. Vergangene Nacht nichts gehört. Eupen. 9 Stunden
Arbeit. Sehr heiß. Schönes Wetter. 1 x Alarm. Einige Male LW. Nicht in
unsere Gegend gekommen. Gustav Palm auf Urlaub. 2 Aufnahmen
gemacht. Morgens 2000 Plakate für Aachen gemacht. Wegen der Hitze
nicht viel Arbeitslust. 11 Uhr zu Bett.
Mittwoch, 31.5.44. Vergangene Nacht kurze Zeit LW, Nichts los hier.
8 1/2 Stunde Arbeit. Heiter, bedeckt, Gewitter, Regen. Abends Tabak-
Abrechnung gemacht. Heute mehrmals LW, 1 x Alarm (vormittags), etwa
1/2 Stunde.
Donnerstag, 1.6.44. Vergangene Nacht kein Alarm. 9 Stunden Arbeit.
Abgekühlt, Gewitter, wolkig, Regen. Heute keine Sirene. Fast den ganzen
Tag Trauersachen gemacht. Vater Zuckerabrechnung neu gemacht.
Freitag, 2.6.44. Vergangene Nacht LW, etwa 1 Stunde; so halb im
Schlaf gehört; nicht auf.
9 Stunden Arbeit. Trübe, Regen, heiter, kühl. 11,25 Uhr zu Bett.
Samstag, 3.6.44. Vergangene Nacht 12 Uhr Alarm; bis 1,30 Uhr auf’m
Bett gelegen. 5 Stunden Arbeit. Trüb, kühl, Regen. Abends Radio gehört.
11,20 Uhr zu Bett. Keine Sirene gehört.
Sonntag, 4.6.44. Alarm um 0,20 Uhr. Auf bis 1,30 Uhr. Nachher gegen
2 Uhr nochmals Sirene. Nicht hier. Lieschen und Mathie waren hier.
Mit ihnen nach Altenberg. Ich war imKino: „Ich vertraue dir meine Frau
an“. Gegen 11,20 Uhr zu Bett. Heute keine Sirene.
Montag, 5.6.44. Vergangene Nacht Alarm. Auf. Nichts los, etwa 1
Stunde. 9 Stunden Arbeit. Trüb, kühl, Wind, Regen. Abends etwas
geschäftlich gearbeitet. Heute Meldung über (?) von Rom.Heute keine
Sirene. 11,25 Uhr zu Bett.
Dienstag, 6.6.44. Vergangene Nacht LW. 0,15 Uhr auf. Meldungen
gehört. Bett 1,15 Uhr. 9 Stunden Arbeit. Mittags Stadt. Mittags die große
Neuigkeit gehört. Die Invasion hat begonnen. 2 Uhr Nachrichten gehört,
abends rasiert. Heute keine Sirene.
Abends gelesen. Radio gehört. Gegen 11 Uhr zu Bett.
Mittwoch, 7.6.44. Vergangene Nacht 2 x auf (1 Uhr und 3 Uhr).
Störflieger. Trüb, kalt, Regen. 7 Uhr Stukas (Sturzkampfflugzeuge) hier
durch gen Westen. 9 Stunden Arbeit. Kritische Arbeit. Nicht viel Lust.
Abends Marken geordnet. Seifenmarken geklebt. Heute keine Sirene.
43
° N
-Blutiger Opfergang auf Befehl Moskaus -
= .. °
Sofort schlagkräftige Abwehr
8 ; } N 7 Berlin, 6. Juni
Der seit langem erwartete Angriff der Briten und Nordamerikaner gegen die nordiranzö-
sische Küste hat In der Dienstagnacht begonnen. Wenige Minuten nach Mitternacht setzte der
Feind unter gleichzeitigen heitigen Bombenangrifien im Gebiet der Selnebuch! starke Luftver-
bände ab. Kurze Zeit später schoben sich, geschützt durch schwere und leichte Kriegsschiff”
einheiten, zahlreiche feindliche Landungsboote auch gegen andere Abschnitte der Küste
vor. : Die Abwehr ließ sich an keiner Stelle überraschen. Sie nahm den Kampf sofort mit
aller Energie auf. Die Luftlandefruppen wurden zum Tell schon beim Absprung erfaßt und
dBe feindlichen Schifie bereits anf hoher See wirksam unter Feuer genommen. Viele Fall-
schirmelnheiten wurden aufgerieben oder gefangen, andere von hochgehenden Minen zer-
rissen. Trotz fortgesetzter heftiger Luftangriffe und schweren Beschusses durch die feindliche
Schiisartiierie grifien die Geschütze des Atlantikwalls ebenfalls in den Kampf ein. Sie er-
zielen Trefier auf Schlachtschllieinheiten und den sich einnebeinden Landungsbooten. Der
Kampf gegen die Invasionstruppen Ist in vollem Gange.
Mit einer fetten Balkenüberschrift über 5 Spalten berichtet der WB am 7. Juni
über die am Vortag erfolgte Landung der Alliierten in der Normandie. Als „großen
Waffengang“ bezeichnet die Zeitung das dramatische Geschehen. „Sturm auf
Europa“ nannte es im Kommentar Martin Schwaebe, ein Mitglied des Reichstages,
und der Reichspressesprecher Dr. Dietrich gab folgende Außerung zum Beginn
der Invasion: „Heute früh sind unsere Gegner im Westen zu ihrem blutigen
Opfergang, vor dem sie so lange sich gescheut haben, auf Befehl Moskaus
angetreten. Der so oft angekündigte Angriff der westlichen Helfer des
Bolschewismus auf die Freiheit Europas hat begonnen. Wir werden ihnen einen
heißen Empfang bereiten. Deutschland ist sich der Bedeutung der Stunde bewußt.
Es wird mit ganzer Kraft und mit leidenschaftlicher Entschlossenheit kämpfen,
um Europa, seine Kultur und das Leben seiner Völker vor dem Ansturm der
Barbarei zu bewahren.“
Donnerstag, 8.6.44. Vergangene Nacht Störflüge. Alarm 12 Uhr. 1,45
Uhr zu Bett. 9 St. Arbeit. Viel geregnet. Schweres Gewitter, Strom fort.
Heute keine Sirene. 11,20 Uhr zu Bett. 12 Uhr auf. LW. Nichts los. 0,40
Uhr zu Bett.
Freitag, 9.6.44. Heute keine Sirene. Viel geregnet.
Samstag, 10.6.44. Vergangene Nacht LW. Nichts los, weiter
geschlafen. 5 Stunden Arbeit. Fast immer geregnet. Abends 12 Uhr LW;
Störflüge; Flak geschossen, 1,15 Uhr zu Bett.
Sonntag, 11.6.44. Mit Rad nach Eupen. Wache. Kino Altenberg.
Liebesgeschichte.
Mit Lavalle nach Hause.
Montag, 12.6.44. Nacht gut geschlafen. Keine Sirene. 9 Stunden
Arbeit. Trüb, etwas Regen, heiter, frisch. Heute war Messe für Fina.
Vater und Mutter da.
44
8 Uhr Appell RLB (Reichsluftschutzbund). 11,20 Uhr zu Hause. Heute
keine Sirene gehört.
Dienstag, 13.6.44. Vergangene Nach LW + Alarm. Flak geschossen.
1 Uhr auf, 2,20 Uhr zu Bett. 9 Stunden Arbeit. Nicht viel mit Ramstein
gesprochen. Der neue Stift (Lehrjunge) kann sich die Sache ansehen.
Emil kann sich mit ihm befassen. Heute keine Sirene.
Mittwoch, 14.6.44. Vergangene Nacht LW. Kurze Zeit auf (1,50 Uhr
bis 2,10 Uhr). 7 Uhr Autobus nach Eupen. 7,15 Uhr bis nach 8 Uhr
Alarm. Später nochmals LW.
Donnerstag, 1516.44. Vergangene Nacht gegen 1 Uhr LW. Nicht auf.
2,20 Uhr bis 2,45 Uhr Alarm. Auf. Nichts los hier. Heute nicht gut gelaunt.
Abends sehr müde. 11,15 Uhr zu Bett. °
Freitag, 16.6.44. LW. Nicht lange. Nicht auf. Trüb, Regen, kühl.
Abends in Zeitungen gekramt. Beginn der Vergeltung. Heute 1 x LW.
Vergangene Nach 1 Uhr auf. LW + Alarm. Gegen 2,30 Uhr zu Bett. 5
Stunden Arbeit. Sehr müde. Heute keine Sirene. Am 15.6., 23,40 Uhr,
begann die Vergeltung gegen England?®.
11,30 Uhr zu Bett.
Sonntag, 18.6.44. Vergangene Nacht von 2 bis 2,45 Uhr LW + Alarm.
Nichts los. Zum Zug nach Eupen. 9 Stunden in Eupen (im Betrieb bei
Ewald). Großappell mit SA-Obergruppenführer Lasch (?)
11,40 Uhr mit Kleinbahn und Zug nach Hause.
Montag, 19.6.44. Vergangene Nacht nur kurze Zeit LW; nicht auf.
Nachmittags Betriebsappell.
Dienstag, 20.6.44. In der Nacht keine Sirene. Viele eigene Flugzeuge
durchgeflogen. 9 Stunden Arbeit. Heiter, warm. Gewitterneigung. Heute
Trude Laschet gesprochen. Heute keine Sirene.
Mittwoch, 21.6.44. Vergangene Nacht keine Sirene. 9 St. Arbeit. Trüb,
heiter. Keine Sirene.
Donnerstag, 22.6.44. Nachts 1 Uhr Alarm. Auf. Keller. Flak. 2,30
Uhr Entwarnung. 3 Uhr Bett. 9 Stunden Arbeit.
Freitag, 23.6.44. Vergangene Nacht LW, etwa 1 Stunde. Nicht auf. 9
Stunden Arbeit. Marken geklebt. Abends 9 Uhr LW.
2% Die erste V1 (Vergeltungswaffe) wurde nach anderen Angaben schon am 12.6.44
von Calais aus auf London abgefeuert. Die Flugbombe mit starrer Flugbahn flog in
einer Höhe von rund 2000m mit einer Geschwindigkeit von 500-600 km /St. und
transportierte 820 k Sprengstoff.
46
Was die Leser aus dem WB erfuhren
F. A, Köln, 17, Juni über den Luftterror gesagt Jahn, Wir wer-
Kurz und knapp, aber an erster Stelle ‚den sie’ mit der Nase daraul stoßen, auf die
bringt der Wehrmachtbericht am Freita „Murder Incorporated“, auf die Negerstal-
den lakonischen Satz: „Südengland | fein, 'die sie auf unsere Wohnviertel, auf
das Stadtgebiet von London wurden in der unsere Kathedralen, auf unsere Kranken-
vergangenen Nacht und heute vormittag häuser, auf unsere Kulturstätten und Schu-
mit Dec Sprengkörpern schwersten len .Josließen, auf die Jagdverbände, die
Kalibers belegt.“ Es ist die Nachricht; auf "Ihre Mordgeschosse auf pflügende Bauern,
die das deutsche Volk seit Jahr und Tag auf Spaziergänger, auf spielende Kinder,
mit brennendem, Herzen gewartet hat. Da- auf Trauerversammlungen abschossen, auf
für hat es mit der geballten Faust in der das moraltriefende, heuchlerische Ge-
Tasche ausgeharrt in all den Nächten, in schwätz ihrer Bischöfe und Prälaten, Wir
denen die Bomben seine Städte niederleg- werden sie erinnem-an die „Wohnblock-,
ten und das Feuer in seine Wohnstätten ‚knacker” und an die Nachläufer eines Van-
ah Dafür hat es all das unsägliche Leid sittart, die aus ‚den deutschen Landen eine
ausgehalten, damit der Soldat an der Front Wüste‘ machen‘ wollten, „öder als die Sa-
sich die Ausgangsstellung zur Entscheidung hara”. Nein, wir haben nichts vergessen,
schaffen konnte und damit der deutsche In- und wir wollen nichts vergessen! Zu frisch
genieur und der deutsche Rüstungsarbeiter sind die Gräber, an denen wir vor wenigen
den Gegenschlag vorbereiten konnten, Nun Tagen .noch in Aachen und Köln gestanden
ist der Augenblick gekommen, in dem all A zu heftig brennen die ‚Wunden, die
das zur 1} reift, ‚was die Heimat un- man uns und unseren Städten geschlagen
tor Eandigen L Arotz einem un- hat, als daß man heute dem deutschen Volk
Mpeg en und trotz Se mit Mitleid kommen könnte,
‚en len tungsstätten Eurı „Wir selbst haben kein Mitleid verlangt,
erdacht und erarbeitet. hat. Ueber der Dr als der heimtückische Feind im Schutz der
tischen Insel entlädt sich sun der dunklen Nächte und der regenschweren
Haß, den ein- Volk im unzälligen Stunden Wolken sich an das Reichsgebiet heran-
scheußlichster und verbrechsrischäter Bom- pirschte und seine mörderischen Lasten
bardierungen aufgespeichert hat, und @$ auf unsere Frauen und Kinder herunter-
gibt keinen Menschen in Deutschland, der warf, Wir haben all. das ertragen und aus-
Nicht mit dem Gefühl der größten Genug- gehalten, weil wir auf die Stunde der Rache.
tuuhg den geschichtlichen” Satz, mit‘ dem warten kannten, Nun, da sie gekommen
sich der letzte Wehrmachtbericht sinteitete, ist,.kann uns keiner diese Rache mehr ent-
gelegen hätte: Schwerste Sprengkörper aus reißen. Wir wollen sie zu Ende führen nach
Neuartigen Waffen auf England! dam vom jüdischen Weltfeind gepeAgten
Natürlich wird das eintreten, was wir Satz: „Aug& um Auge, Zahn um 1” Es
„seit ae für diese Stunde vorhergesagt ist nur die ewige Gerechtigkeit der Welt-
haben. Die Mörder in der Sngliuchen Rü- geschichte, wenn der feige Mord nun, ver-
gierung werden aufschreien und an das Ge- golten wird, Churchill und sein Innenmini-
wissen der Weltöffentlichkeit appellieren ster mögen heute vor dem Unterhaus wim-
wollen, Aber wir haben nichts vergessen, mern, es wird, ihnen keiner die Verantwor-
bei uns ist alles Cr Aria aufgezeich- tung nehmen, die sie selbst auf sich gela-
net, was jemals die Churchilis, die Harris, den haben. Das deutsche Volk-will seine
die Duff Coopers, di& Roosevelts zynisch Genugtuung haben!
Der Westdeutsche Beobachter kommentiert den Einsatz der «Vergeltungswaffe»
V1 und versucht, ihn zu rechtfertigen.
Mittwoch, 28.6.44. Vergangene Nacht LW + Alarm. Aufgestanden.
Bei Entwarnung kamen drei weiße Leuchtkugeln am Himmel, weiß nicht,
was das ist.
Heute 1 Tag Urlaub. Heute Morgen gegen 8 Uhr war schon Alarm.
Den ganzen Tag fast nur Zeitungen aufgeräumt. Heiter, wolkig, Wind.
Nach Altenberg spaziert. Kino („Nacht ohne Abschied“). Erste
Wochenschau-Invasion. 9 Uhr zu Hause. Heute nicht mehr Sirene gehört.
ko
47
Soweit die Tagebuchnotizen aus jenen ereignisreichen Monaten kurz
vor dem Einmarsch der Amerikaner. Hatte Herr Vandenhove ein zweites
Notizblöckchen mit Aufzeichnungen der Folgezeit? Es ist wohl
anzunehmen. Doch selbst bei der kurzen Zeitspanne, die Jean
Vandenhovens Notizen umfassen, besitzen diese schon einen besonderen
Stellenwert, da sie auf sehr geraffte Art einen Einblick in den Alltag
jener Monate in Hergenrath gewähren. Bei der eher dürftigen Quellenlage
der Kriegszeit ist jedes Mosaiksteinchen wertvoll.
Anhang
Der „Westdeutsche Beobachter“ vom 1. April 1944 informierte über
die Arbeitsweise und Auswertung des „Drahtfunks“ (Rundfunks) im Gau
Köln-Aachen. Er warnte davor, sich allzu sehr auf die vom Rundfunk
durchgegebenen Warnmeldungen zu verlassen. Die Meldungen seien
auf den Gau Köln-Aachen bezogen und berichteten in gewissen
Zeitabständen über Einflüge und Luftlage im Gaugebiet. Es sei einzig
und allein erforderlich, sich nach den Sirenen zu richten und bei der
durch sie angekündigten Gefahr den Luftschutzraum aufzusuchen.
Maßgebend für das der Bevölkerung zur Pflicht gemachte
Juftschutzmäßige Verhalten sei nach wie vor die akustische Warnung
durch die Sirenen. Das Abwarten der nächsten Luftlagemeldung des
Drahtfunks sei eine Zeitversäumnis, die sich bitter rächen könne. Der
Drahtfunk habe nur den Zweck, während des Fliegeralarms oder der
öffentlichen Luftwarnung die Bevölkerung über die allgemeine Luftlage
zu unterrichten.
Achtung, Achtung: Feindflugzeuge!
„Wenn zum Beispiel, so der W.B., gemeldet wird, dass um 21,05 Uhr
ein Flugzeug über Mönchen-Gladbach mit Südostkurs in Richtung Köln
fliegt, wird der Hörer anhand seiner Uhr feststellen, dass es vielleicht
schon 21,09 Uhr ist. Er muss also berücksichtigen, dass die gemeldete
Feindmaschine in diesen vier Minuten Zeitunterschied weiter geflogen
ist, und zwar bei den heutigen Flugzeuggeschwindigkeiten eine ganz
beträchtliche Strecke. Die feindlichen Flugzeuge legen in einer Minute
(je nach Baumuster) sechs bis neun Kilometer zurück. In unserem Falle
ist also das gemeldete Feindflugzeug inzwischen 30 oder noch mehr
Kilometer weitergeflogen. Hat es seine Richtung beibehalten, wird es
48
also beim Abhören der angeführten Meldung schon 15 bis 20 km vor
Köln stehen...“
Zum richtigen Verständnis der Drahtfunkmeldungen brachte der W.B.
die hier von uns wiedergegebene Karte mit den Grenzen des Gaues Köln-
Aachen und den wichtigsten Orten. An den Ringen konnte die Entfernung
jedes Punktes von Köln abgelesen oder geschätzt werden. Zusammen
mit einem Zeitvergleich hatte der Rundfunkhörer so die Möglichkeit,
den ungefähren Standort der inzwischen weitergeflogenen Maschine zur
Zeit des Empfanges der Meldung festzustellen. G
49
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50
Aachener Gastfreundlichkeit — oder:
Die Leiden des Erasmus von Rotterdam
(1518)
von Hans-Dieter Iven
„Ihr dürft keinerlei Aas essen. Du sollst es dem Fremden... zum Essen
überlassen oder es einem Ausländer verkaufen.“ (Deut. 14,21).
Dem Bibelkundigen wird der Satz bekannt sein als eines der
Speiseverbote des Moses. Bibelkundig war ohne Zweifel der gelehrte
Humanist und Dr. theol. Desiderius Erasmus, gen. Erasmus von Rotter-
dam. Der vielgereiste Schriftsteller war auf seiner Rückreise von Basel
nach Löwen über Köln und Aachen gekommen (1518). An seinen Freund
Beatus Bild gen. Rhenanus in Schlettstadt berichtete er von dieser Reise:
Er hatte den Grafen Hermann von Neuenahr in Bedburg besucht, wo er 5
angenehme Tage geblieben war. Bald war sein fünfstündiger Ritt von
Köln zum Grafen auf einem „lahmenden Gaul“ vergessen. Zur
Weiterreise nach Aachen und Löwen mietete er einen Zweispänner. In
der Nacht der Abreise erhob sich ein furchtbarer Sturm. „Es war ein
Südwind, nichts als ein echter Pesthauch, ich glaubte mich in meinen
Kleidern ausreichend geschützt, aber dieser Wind drang mit Gewalt
überall durch.“ In der Nacht folgte ein feiner Regen, der ihm noch mehr
zusetzte als der Wind. Todmatt und erschöpft von der Rüttelei des Wagens
erreichte er Aachen. Im Stillen sehnte er sich nach der strapaziösen Fahrt
nach seinem lahmen Kölner Gaul. (Die Verbindung von Köln nach Aachen
war wohl immer schon etwas schwierig).
Der Graf von Neuenahr hatte ihm eine Empfehlung an den Stiftskantor
des Aachener Domkapitels mitgegeben. Aus seiner Herberge wurde er
in das Haus des Kantors „geschleppt“. Dieser war nicht allein, denn in
seinem Haus „zechten, wie gewöhnlich einige Kanoniker“. Man hatte
ihm nur ein mageres Frühstück gereicht, so dass sein Magen knurrte.
Bei den Domherren gab es nur Karpfen, und die auch noch kalt. Trotz
der schlechten Unterlage zechte Erasmus mit den Kapitelsgrößen bis
spät in die Nacht. Dann bat er, sich etwas legen zu dürfen.
„Am folgenden Tage werde ich in das Haus des Vizepropstes geschleppt,
denn jetzt war dieser an der Reihe.“ Obwohl der Vizepropst als guter
Gastgeber bekannt war, gab es wegen der schlechten Witterung nur Stock-
fisch. Normalerweise mochte Erasmus diese deutsche „Spezialität“ gern,
aber er stellte fest, dass der Fisch noch ziemlich roh war. „Jener
SE
Kanonikus, ein sehr gebildeter Mann“, plauderte mit Erasmus anderthalb
Stunden. Inzwischen kam ihm „einiges Erbrechen hoch“. Als er alleine
war, „ging er auf den Abort und entleerte seinen Darm“. Allerdings spürte
er keine Erleichterung. Er „steckte den Finger in den Mund einmal und
noch einmal. Da kommt der rohe Fisch heraus und sonst nichts.“ Abends
wurde er vom Domkapitel wieder zu einem nächtlichen Gelage geladen.
Dankend winkte der große Humanist ab. Er bat nur um ein warmes
Süppchen und um eine kleine Kohlpfanne. Auf dem Rückweg zu seinem
Quartier, -er übernachtete beim Kantor-, „blähte sich sein Magen
merkwürdig zum nächtlichen Himmel auf“.
=‘
A Y
* A =
KA
HT
Erasmus von Rotterdam. Gemälde von Q. Metsys
Am nächsten Tag nahm Erasmus frühmorgens ein paar Bissen Brot und
eine warme Biersuppe zu sich. Dann bestieg er ein „lahmes Pferd“ und
setzte seine Reise nach Löwen fort.“ Ich war schon so mitgenommen,
dass ich mich lieber im Bett hätte wärmen, als auf einem Gaul sitzen
sollen. Indes ist nichts bäuerischer oder unschöner oder auch unfrucht-
{ barer als jene Gegend: das liegt an der Faulheit der dortigen Bevölkerung.“
Seine Unpässlichkeiten ließen ihn die Angst vor Räubern,“die dort
besonders groß war“ vergessen. Mit Erleichterung, so berichtete Erasmus
seinem Freund Beatus Rhenanus, erblickte er die Türme von Maastricht.
Offenbar hat Erasmus von Rotterdam keine gute Erinnerung an Aachen,
gastronomisch gesehen. Aber auch er als Bibelkundiger kannte sicher
den Satz: „Du sollst nichts essen, was ein Greuel ist.“(Deut. 14.3).
Zitate nach: Kaemmerer, Aachener Quellentexte S. 291 ff.
52
Der Kiebitz
von M.-Th. Weinert
Ein kleiner Kiebitz, ganz allein
sucht auf der Wiese Futter.
Er will nicht bei den Brüdern sein,
nicht mal bei seiner Mutter...
Was schert ihn der Gevatterzug,
das Auf und Ab im Flatterflug?
Er singt nicht mit im Kiebitzchor, ®
das kommt ihm einfach albern vor. A
Darüber daß sie sich bewachen,
wenn er es könnte, würd’er lachen...
er hält sich für genug gewitzt,
eh’ ihn der alte Fuchs stibitzt.
53
Frontläufer
von Walter Meven
Am 12. September 1944 nahmen die Alliierten im schnellen Vormarsch
quasi den gesamten Grenzbereich westlich Aachens in Besitz. Dann kam
| die Front wegen akuten Nachschubmangels vorläufig zum Stehen.
Das Wehrkreiskommando meldete am 12. September 44 um 18 Uhr:
| „Feindkräfte beiderseits Malmedy. Feindvorstoß aus Raum Eupen nach
Norden. Stärkere Feindkräfte um Vise.“
Von deutscher Seite bemühte man sich um möglichst umfassende
Nachrichten zu der Lage und den Vorgängen in Eupen-Malmedy. Zu
diesem Zwecke wurden ortskundige Beamte (Zöllner, Kriminal-Beamte)
als sog. Frontläufer (Späher) eingesetzt. Deren Beobachtungen wurden
schriftlich festgehalten.
ok
Ein zusammenfassender „Bericht über die Ergebnisse des Front-
läufereinsatzes“, der die Zeit vom 15. September 1944 bis 24. Oktober
1944 umfasst, gibt interessante Einblicke zum Kriegsgeschehen und zur
Haltung der Bevölkerung im Grenzgebiet. Er umfasst 9 eng beschriebene
Schreibmaschinenseiten. Aus Datenschutzgründen haben wir die Namen
gewisser Personen nur mit den Initialen gegeben.
15.9.1944, 21,30 Uhr, Rückbeil, Krim. Oberasst. Neumeier und Krim-
Asst.Heidorn über Imgenbroich. Berührt wurden Rötgen, Petergensfeld,
Konzen und Lammersdorf, Festgestellt wurde, daß auf der Straße Eupen-
Rötgen starker PKW- und LKW- Verkehr herrschte. Ferner wurde in der
Fa. Junkers in Lammersdorf eine Panzerreparaturwerkstätte ausgemacht.
Später über Reinartzhof vorgestoßen und dabei 3 km östlich davon eine
schwere Ari-Stellung festgestellt. 5 Geschütze, Kal. 10,5 cm, auf
Selbstfahrlafette. Starker Nachschubverkehr dorthin. Stellung gesichert
durch 2 Mg-Nester rechts und links davon. Bewohner von Konzen waren
| von amerikanischen Offizieren aufgefordert worden, deutsche
Minenfelder zu erkunden. Rückkehr über Konzen. Zusammenarbeit mit
den Fronttruppen sehr gut. Es wurde bekannt, daß die Panzerreparatur-
werkstätte in Lammersdorf durch Ari-Feuer' erledigt wurde.
16.9.1944, 17 Uhr, Rückbeil, apl.? Krim.-Asst., bei Hollerath mit dem
Ziel Malmedy durch deutsche Linien. Rocherath berührt und feindliche
2 außerplanmäßig
54
Panzerkräfte dort festgestellt. Panzer und Panzerspähwagen in Richtung
Höfen gesehen, ca. 20-25 Fahrzeuge. Bevölkerung glaubt nicht mehr an
deutschen Sieg. Teilweise leistet sie den Amerikanern offene’
Unterstützung. Durchkommen nach Malmedy war wegen starkem
Beschuss unmöglich. Rückkehr über Hollerath. Was militärisch veranlasst
wurde, unbekannt. Zusammenarbeit gut.
15.9.1944, 20 Uhr, bei Hollerath Zollasst. Schmitz und Zollsekretär
Volley zusammen mit apl. Krim.-Asst. Kamp durch deutsche Linien in
Richtung St. Vith. Durchkommen durch feindliche HKL (= Hauptkampf-
linie) wegen zu starkem Beschuss unmöglich. In Manderfeld
amerikanische Panzer festgestellt. Rückkehr 16.9.44, 17,30 Uhr bei +
Hollerath. Zusammenarbeit gut.
Am 15.9.1944 apl. Krim.-Asst. Kamp durch deutsche Linien gegen
22 Uhr in Richtung Mürringen. Betreten des Ortes unmöglich wegen zu
starker Besetzung. Feindliche Panzer in Mürringen festgestellt.
Bevölkerung lobt humane Behandlung durch die Amerikaner. Männliche
Mitglieder der Bevölkerung wurden in rückwärtige Rüstungsbetriebe
verpflichtet. Durchdringen nach Malmedy unmöglich. Rückkehr am
16.9.44, gegen 18 Uhr über Hollerath. Zusammenarbeit gut.
Am 16.9.1944 Hilfszollassisten Müller und Livet mit apl. Krim.-Asst,
Spitzkatz bei Imgenbroich auf Raum von Monschau eingesetzt. In der
Nähe der Burg 5 schwere Panzer in Stellung, die nach Höfen und
Imgenbroich schießen können. Schanzarbeiten am Abhang der
Umgehungsstraße in Monschau. 2 Kompanien Infanterie. In einem Hause
im Anfang von Monschau ein Spähtrupp von 20 bis 25 Mann festgestellt.
Beobachtung Leutnant Möller mitgeteilt, der sofort Spähtruppunter-
nehmen dagegen einsetzte. Dieses scheiterte durch starkes Mg-Feuer und
wahrscheinlich auch durch Verrat der Zivilbevölkerung. Hilfszollassistent
bei dieser Gelegenheit wahrscheinlich zum Feind übergelaufen. Am
18.8.44 im Auftrag der Wehrmacht bei Monschau eine ausgefallene
deutsche Packstellung (= Panzerabwehrkanone) aufgesucht und
festgestellt, dass durch Volltreffer Geschütz vernichtet und
Bedienungsmannschaft schwer verwundet. Rückkehr am 18.9.44 gegen
Mittag. Erfasst wurde ein Abzeichen der 9. amerikanischen Schützen-
division. Zusammenarbeit sehr gut.
55
17.9.44, 18 Uhr, apl. Krim.-Asst. Grau und Krim.-Asst. Schönauer
über Walerscheid in Richtung Kalterherberg-Monschau eingesetzt. Bei
Höfen 5 schießende Granatwerfer festgestellt, die in den Höfener Forst
schossen. Starke Ausweiskontrolle an den Ortsein- und -ausgängen.
Rückkehr über Alzen-Schöneseifen am 18.9 44. Zusammenarbeit gut.
Am 18.9.1944, 19 Uhr, Krim.-Asst. Ritzen und apl. Krim.-Asst.
Stephan über Simmerath nach Westen eingesetzt. Wegen starkem
feindlichem Feuer Durchkommen unmöglich. Unternehmen ergebnislos.
Zusammenarbeit sehr gut.
20.9.1944, 17 Uhr, Krim.-Asst. Thal und Neutsch über Hollerath nach
Westen eingesetzt. Bis zum Ortseingang von Rocherath vorgedrungen.
Dort mehrere Ari-Stellungen im Ort ausgemacht. Von Einwohnern
erfahren, daß die Amerikaner Passierscheine eingeführt haben. Personen
Ohne Passierscheine werden festgenommen. Mürringen und Umgebung
während der Nacht unter deutschem Ari-Feuer. Ortseingang in Mürringen
durch Mg-Schützen stark gesichert. Amerikanische Batterien schossen
von Mürringen aus Störungsfeuer nach Hollerath. Eindringen in Ort
wegen starkem Beschuss unmöglich. Rückkehr über Hollerath am
21.9.1944. Was militärisch veranlasst wurde, ist unbekannt.
Zusammenarbeit gut.
Am 19.9.1944, 17 Uhr, über Eicherscheidt nach Monschau Krim.-
Asst. Jost und apl. Krim.-Asst. Brückner eingestezt. Wegen starkem Ari-
Beschuss Vordringen am 19.9.44 nicht mehr möglich. Am 20.9.1944, in
den frühen Morgenstunden, nach Monschau gelangt. Dort festgestellt,
dass der frühere Stadtrentmeister Lennartz als Bürgermeister von den
Amerikanern eingesetzt ist. Lennartz war früher Mitglied der
Zentrumspartei in Monschau. Der Klempnermeister Reinartz mit Ehefrau
von den Amerikanern erschossen, weil sie außerhalb der Sperrzeit die
Straße betreten hatten. Am 20.9.44 vormittags 2 Infanterieschützen-
bataillone und 7 Panzer von Mützenich durch Monschau in Richtung
Höfen. Nachmittags 87 Zugmaschinen mit Ari-und Packgeschützen,
sowie 27 Panzer in Richtung Höfen. 1 km östlich von Monschau Ari-
Stellung festgestellt. Rückkehr 21.9.44, 2,30 Uhr über Eicherscheidt. Was
militärisch veranlasst wurde, ist unbekannt. Zusammenarbeit gut.
Am 21.9.1944, 17,30 Uhr, Krim.-Asst. Lorenz und apl. Krim.-Asst.
Kamp bei Kamberg® in Richtung St. Vith eingesetzt. Übernachtung im
3 bei Rescheid
56
Walde wegen starkem Ari-Beschuss. Weiteres Vordringen am 22.9.44
früh morgens. Vorhaben wegen zu starkem Beschuss eingestellt. Rückkehr
am 22.9.1944, gegen 19,30 Uhr über Kamberg. Zusammenarbeit gut.
21.9.1944, 17 Uhr, apl. Krim.-Asst. Grötzinger und Krim.-Asst.
Neutsch über Paustenbach in Richtung Rötgen eingesetzt. Festgestellt,
dass Paustenbach besetzt und Zivilbevölkerung den Ort geräumt hat.
Durchgedrungen bis zur Bahnlinie Konzen. 1 km davon eine Batterie
festgestellt. Daneben ein Granatwerferstand. Sperrfeuer von dort auf
Simmerath. Rückkehr am 21.9.1944, 8 Uhr, über Kesternich.
Zusammenarbeit gut.
Hilfszollassistent Köhler und Oberasst. Schmitt am 22.9.1944, 18 Uhr,
über Rohren nach Monschau eingesetzt. Vordringen bis Höfen, welches
besetzt war. Von dort auf der Straße Monschau-Eupen in Gegend von
Mützenich im Zeitraum von 1 Stunde etwa 200 feindliche Fahrzeuge in
Richtung Eupen. Brücke an der Hauptstraße Monschau-Imgenbroich wird
von den Amerikanern wieder hergerichtet. An der gleichen Straße
Schanzarbeiten der Amerikaner. Rückkehr nachmittags über Rohren. Was
militärisch veranlasst wurde, ist unbekannt. Zusammenarbeit gut.
Am 22.9.1944, 8,30 Uhr, Krim-Sekr. Begass und Krim.-Angestellter
Beckers in Richtung Aachen-Stolberg eingesetzt. Vorgedrungen bis
Stolberg. Die Berge vor der Stadt vom Feind besetzt. Verlautenheide
ebenfalls besetzt. Weiteres Vordringen wegen starkem Ari-Beschuss
unmöglich. Rückkehr am 24.9.44. Zusammenarbeit gut.
Am 23.9.1944, gegen 17 Uhr, wurden Krim.-Asst. Schönauer und apl.
Krim.-asst. Martin an der Straßenkreuzung Kamberg-Rescheid nach
Westen eingesetzt. Beide Frontläufer wurden von der Wehrmacht
festgenommen und nach etwa 1 Stunde wieder frei gelassen. Kurz darauf
erneute Festnahme und Vorführung vor Major Sprung, der eine
fernmündliche Verbindungsaufnahme mit Herkules —IC-* ablehnte.
Schließlich Übergabe an die Feldgendarmerie in Schmidtheim und von
dort an den IC-Offizier in Sötenich, der KOS> Schneider fernmündlich
anrief und daraufhin die Beamten freiließ. Zusammenarbeit mangelhaft.
4 Für die Feindlage zuständiger Offizier
5 Kriminal-Ober-Sekretär
57
Am 21.9.1944, 10 Uhr, apl. Krim.-Asst. Spitzkatz und Hilfszollassistent
Müller bei Imgenbroich eingesetzt. Oberleutnant Möller ließ beide Leute
durch die Minensperre schleusen über Imgenbroich durch die
amerikanische Linie. Mützenich bereits von den Amerikanern besetzt.
Weiter Marsch nach Eupen. Waldschneisen und Waldränder vom Feind
besetzt, dagegen das Innere des Waldes nicht. Von Mützenich bis Eupen
keinerlei Geschütze. Zwischen Mützenich und Imgenbroich im Walde
drei Geschütze festgestellt. Nachtsüber starker Fahrzeugverkehr von
Eupen nach Mützenich. Panzer-, Ari- und Mg.-Kolonnen. Brücken
werden nicht bewacht. Spitzkatz geht alleine nach Aachen weiter. Müller
kommt um. Müller teilt weiter mit: Amerikaner gehen wenig in die
Wohnungen der Zivilbevölkerung, um sie nicht zu stören. Amerikaner
beabsichtigt, neue Ausweise der Besatzungsarmee einzuführen.
Kommunistischer Bürgermeister Berens in Eupen ist abgesetzt worden.
Die deutschen Lebensmittelmarken, außer Brotmarken, außer Kurs
gesetzt. Zahlung mit Reichsmark und belgischen Franken. Amerikaner
verpflegen sich selbst, nur ganz wenige in Privatquartier.
Bevölkerung von den Amerikanern begeistert. Bevölkerung beschwerte
sich über deutschen Bürgermeister und Partei, die sie zu früh im Stich
gelassen hätten und als Erste ihr Hab und Gut in Sicherheit brachten.
Deutsch eingestellte Leute werden von den Amerikanern zu
Zwangsarbeiten herangezogen. Probelgier denunzieren Deutsche.
Amerikaner verteilt Kaffee, Schokolade und Rauchwaren, um sich beliebt
zu machen.
Am 22.9.44 ein neues Geschütz bei der Kirche in Mützenich
festgestellt. Stand am 21.9.44 noch nicht da. Kann von dort nach
Imgenbroich und Simmerath schießen. Kaliber unbekannt. Gelangte nach
Beschießung wieder zu Oberleutnant Möller zurück, der der deutschen
Ari Kenntnis von dem neuen Geschütz in Mützenich gab. Kurz darauf
starke Detonationen. Darauf hat das Geschütz nicht mehr geschossen.
Rückkehr am 24.9.44. Zusammenarbeit sehr gut. Militärisch Veranlasstes
geht aus dem Bericht hervor.
Der apl. Krim.-Asst. Spitzkatz trennte sich am 22.9.1944 vor Eupen
von dem Hilfszollassistent. M. sprach in Eupen mit einem Bauer, dem
die Amerikaner 3 Pferde aus seinem Stall entwendet hatten. Sah
Angehörige der Armee Blanche, die Personenkontrollen vornahmen. Sie
tragen Kakiuniform, schwarz-weiße Armbinde am Oberarm. Als
Bewaffnung 1 Infanteriegewehr. Personenkontrolle sehr scharf. Auf
Umwegen nach Kettenis. Wirtschaft Jean Klein von Bewohnern in Brand
58
gesteckt worden‘. Frau und Tochter wurden von den Amerikanern
festgenommen. Fast alle Häuser mit belgischen Fahnen geschmückt.
Straßenbahn Eupen-Aachen verkehrt nicht. Ebenfalls nicht die Eisenbahn.
Amerikanischer Militärwagen nahm ihn nach Walhorn mit, weil er hinkte.
Amerikaner stellten keine Fragen. Er erhielt von einem 5 Zigaretten,
Biskuit und Süßigkeiten. Am Eingang von Walhorn eine schwere Batte-
rie Artillerie. Rohre Richtung Aachen. Insgesamt 4 Batterien schwere
Langrohrgeschütze. Walhorn sonst ohne Truppen. In Hergenrath wieder
Angehörige der Armee Blanche. An der Straße legten die amerikanischen
Nachrichtentruppen Leitungen. Bauer half ihm durch Hergenrath, indem
er ihn als Viehtreiber mitnahm. Wurde nicht kontrolliert. Hinter Bahnhof
Hergenrath Kraftwagenpark mit Reparaturwerkstätte in dem Hause von
Jungbluth’. Die amerikanischen Truppen auf dem linken Oberarm ein
„I“ in roter Farbe, etwas anderes wurde nicht festgestellt. Am Ortseingang
Häuser stark mit belgischen Fahnen geschmückt, in dem Ort selbst
überhaupt nicht.
In Altenberg wieder Personenkontrolle. Auf Umwegen in den Ort.
Amerikaner hat aus der Filzfabrik Maschinen herausgeholt. Starke
belgische Beflaggung. Noch kein Bürgermeister eingesetzt. Amerikaner
lassen Bevölkerung vollständig in Ruhe. Sperrzeit in Moresnet-Kapelle
von 20,00 — 06,00 Uhr, in Altenberg von 19,00 Uhr bis 7,00 Uhr. Mehr
Angst vor der Arm6&e Blanche als vor den Amerikanern.
Am 24.9.1944 Versuch über Hergenrath nach Aachen zu gelangen.
Bis Maria-Theresien-Allee vorgedrungen. Durch starkes Ari-Feuer zur
Umkehr gezwungen. In einem zerschossenen Haus Unterschlupf
gefunden. 2 gefangene deutsche Soldaten bemerkten ihn dort. Sie waren
ohne Bewachung. Einer war vom Panzer-Regiment 16, der andere von
einem Infanterieregiment. Dem Panzersoldaten erzählte er, er hätte früher
bei der SS gedient. Er meinte daraufhin, ob er Deserteur sei. Kurz nach
dem Weggang der Beiden wurde er. von 2 amerikanischen Soldaten
festgenommen und zum Pelzerturm gebracht. Auf die Frage, was er in
Aachen wolle, gab er an, seine Familie dort besuchen zu wollen, was
6 Wie O0. E. Mayer in einem Beitrag im Grenz-Echo vom 10.9.1949 schrieb, hielten die
zurückweichenden Deutschen am Nachmittag des 11. September 1944 noch eine
Stellung am Johberg sowie eine weitere in Eynatten. Mit den Amerikanern hätten sie
sich auf größere Entfernung ein Geschützduell geliefert. Dabei seien einige der leichten
Granaten in Kettenis eingeschlagen und hätten dort auch einige Brände verursacht, u.
a. sei die Wirtschaft Klein getroffen und vollständig zerstört worden.
7 Gemeint ist das Haus Ernst in der Hauseter Straße Nr. 25.
S9
ihm abgeschlagen wurde. Er wurde vorläufig festgenommen. Er gab an,
infolge Unfall nicht eingezogen worden zu sein. Übernachtung in einem
Bunker beim Zollamt Köpfchen. Dort erfuhr er, dass die deutschen
Soldaten ihn als SS-Mann angeschwärzt hatten. Füllfederhalter und
Taschenmesser wurden ihm weggenommen. Dann Überführung in das
Kloster Josefsthal® bei Heinrichskapelle, wo 180 deutsche Zivilgefangene
beiderlei Geschlechts waren. Am 26.9.1944 in einem unbewachten
Augenblick entflohen. Über Welkenraedt-Herbesthal nach Eupen. Überall
belgische Flaggen. Eisenbahnbrücke Herbesthal — Weißes Haus nicht
gesprengt. Wiesen von Gemehret bis Eupen rechtsseitig mit Rote-Kreuz-
Wagen belegt. Belgische Gendarmerie und Angehörige der Armee Blan-
che in der Gendarmeriekaserne in Eupen untergebracht. Bürgermeister
Zimmermann dort wieder eingesetzt. Durch Anschläge Rationen der
Bevölkerung bekanntgegeben. Lieferung wird jedoch nicht eingehalten.
Am Eingang von Eupen Begrüßungsschild für die Amerikaner. Rückkehr
über Mützenich am 27.9.1944. Was militärisch veranlasst wurde, ist
unbekannt. Zusammenarbeit sehr gut.
Am 29.9.1944 über Lammersdorf in Richtung Fringshaus die Krim.-
Asst. X und Y vorgestoßen. Unternehmen konnte nicht zum Abschluss
gebracht werden, da gleichzeitig starkes deutsches Spähtruppunternehmen
durchgeführt wurde. Bei Bickerath und im Walde 5 Feuerstellungen mit
etwa 18 Geschützen festgestellt. Was militärisch veranlasst wurde, ist
nicht bekannt. Zusammenarbeit sehr gut.
Am 24.9.1944, 19 Uhr, die Krim.-Asst. Benke und Unsöld über
Kesternich nach Westen eingesetzt. Durch starken Beschuss konnten keine
Feststellungen getroffen werden. Rückkehr am 25.9.1944, 14 Uhr, an
der gleichen Stelle.
1.10.1944, Krim.-Asst. Lorenz und apl. Krim.-Asst. Kamp gegen 20
Uhr nach Westen eingesetzt. Auftrag war, die Stärke des Feindes bei
Manderfeld festzustellen. Erreichten die Ortschaft Lanzerath mit
deutschen Soldaten. Soldat schoss ohne Befehl auf amerikanischen
Vorposten. Dadurch starkes Feuer ausgelöst. Amerikaner zieht
Koppeldrähte mit Handgranaten in 40 cm Höhe über dem Waldboden.
Am 2.10.44 erneuter Versuch, nach Manderfeld zu kommen. Infolge
starken Beschusses nach Buchholz gelangt. Transportzug entladen. 3
Panzerspähwagen bewachten diesen zur Sicherung. Ausgeladen wurden
8 Bezeichnet das Lazaristen- (Vinzentiner-) Kloster von Ruyff
60
Kisten. Lokomotive nicht getarnt. Etwa 300 m vom Bahnhof nordwärts
‚in einer früheren Pension wahrscheinlich ein Regimentsstab, da vor
diesem ein Doppelposten aufgestellt war. Rückkehr am 3.10.1944, 18
Uhr, an der gleichen Stelle. Gelangten ohne bemerkt zu werden durch
die deutsche Linie bis zur Dienststelle. Was militärisch veranlasst wurde,
ist unbekannt. Zusammenarbeit war gut.
Am 1.10.1944 die Krim.-Asst. Hennemann und Heidorn über
Imgenbroich nach Eupen eingesetzt. Eupen am 2.10.44, 19 Uhr, erreicht.
Gelangten bis kurz vor Heinrichskapelle. Auf Lütticherstraße in Richtung
Aachen starker Verkehr, 30-35 LKW mit Infanterie, pro Wagen 20 Mann.
Dann 10 schwere Panzer, 5 mittlere Panzer und 10 leichtere Panzer.
Motorisierte Artillerie von 18-20 cm Kaliber hinter Zugmaschinen mit
dazu gehörigem Tross. Dazu Sanka- und Tankwagen. Die Beobachtungen
erstreckten sich über 2 Stunden. Herbesthaler Straße in Richtung Eupen
rechts und links mit großen Lazarettzelten belegt. Auch auf dieser Straße
starker Fahrzeugverkehr in Richtung Eupen mit motorisierter Infanterie.
Von Dolhain nach Eupen Infanterie auf LKW. Soldaten tragen auf linkem
Oberarm in schwarzer Farbe „A“ — 1. Armee.
In Eupen Infanterie in Marschrichtung Aachen bereit. Sie gehörten
dem 12. Korps an. Bei den Panzereinheiten wurde ein pyramidenförmiges
Abzeichen in Orangefarbe, hellgelb eingefasst, festgestellt.
Wahrscheinlich Angehörige des 19. Korps. Verbandsabzeichen
springender Esel in weißer Farbe.
Schwere Batterie Artillerie, 18 cm Kaliber, von Eupen in Richtung
Aachen. Erfuhren von Bekannten, dass größere Panzereinheit sich nach
Rötgen bewegt hätte, Verkehr habe 1 1/2 St. lang geruht. Dabei wurden
Panzer mit kurzem Rohr und ausnahmsweise großem Kaliber festgestellt.
In Altenberg soll eine 28 cm-Kaliber Batterie nach Aachen schießen.
Amerikaner wollen 40-42 cm Kal. Geschütze einbauen, um bis nach
Köln zu schießen. Skizze an Hand eines Stadtplanes von Eupen über
gemachte Feststellungen angefertigt. In Kabelwerken in Eupen
Hauptpanzerreparaturwerkstätte. Pierlot, der belgische Ministerpräsident,
kündigt Aufstellung einer neuen belgischen Armee an. Leiter der Armee
Blanche in Eupen ist Rolf Pesch. Quartier in Eupen Hotel Bredohl. Pesch
hielt sich bisher in Belgien verborgen.
Leiter der belgischen Gendarmerie ist Michaelis und Leiter der
Kommunalpolizei Kreusch.
Zurückgebliebene reichsdeutsche Beamte wurden entlassen. Flüchtige
Wehrdienstpflichtige und Deserteure sind nach Eupen zurückgekehrt.
61
Van Werweke und Xhaflaire® sind ebenfalls zurückgekehrt. Angehörige
der Arm&e Blanche verhafteten Mitglieder der NSDAP und deren
Gliederungen. Festgenommen wurden K., F., O0. und E. Bo. Ebenfalls
der SA-Mann Josef M. Die Gefangenen befinden sich in der
Gendarmeriekaserne Eupen, Herbesthaler Straße. Bisher sollen es 200
deutsche Personen sein. Alle nicht festgenommenen Reichsdeutschen
müssen sich täglich im Rathaus in Eupen in der Zeit von 8 bis 10 Uhr
melden. Im übrigen sollen unverdächtigte zurückgebliebene
Reichsdeutsche in das Reichsgebiet abgeschoben werden. Als
Gegenmaßnahme für die von uns festgenommenen Geiseln sollen
Reichsdeutsche als Geiseln nach Belgien gebracht werden".
Einer der jetzt geltenden Passierscheine wurde überbracht. Den Leuten
soll Gelegenheit gegeben werden, die belgische Staatsangehörigkeit
wieder zu erwerben, auf Antrag, und man rechnet damit, dass der größte
Teil der Bevölkerung davon Gebrauch macht. Man glaubt langsam doch
wieder an einen deutschen Sieg. Der belgische Franken wird zur Mark
mit 10-1 gerechnet. Am Rathaus in Eupen hängen die Bilder des
belgischen Königspaares.
Am 4.10.1944 begab sich Spitzkatz bei Imgenbroich nach Mützenich.
Dort hat er bei Bekannten Fahrrad geliehen und ist am gleichen Tage,
gegen 21 Uhr, in Richtung Eupen gefahren. Truppen nicht
wahrgenommen. Vor Eupen Fahrrad abgestellt und versteckt.
Unter Umgehung von Eupen nach Baelen-Rünschen bis Hauptstraße
Eupen vorgedrungen. Straße beobachtet von 9 bis 18 Uhr.
9 Pierre van Werveke, ein aus Gent stammender Jurist, war Generalsekretär der
Regierung Baltia. Er gilt als der Gründer des „Grenz-Echo“. L6on Xhaflaire, Notar in
Eupen, war Kreiskommissar '(Commissaire de district) unter Baltia gewesen. Hatte
sich sehr für den Anschluss Eupen-Malmedys an Belgien eingesetzt.
10 In der ersten Septemberdekade waren viele Personen aus dem gesamten Gebiet, die
nach dem Attentat auf Hitler von den deutschen Behörden als unzuverlässig betrachtet
wurden, nach Köln verbracht und dort u. a. in den Messehallen interniert. Hier war
ein „Arbeitserziehungslager» eingerichtet worden. In einem Erlebnisbericht über die
Haftbedingungen (AVZ 30.7.1954) schreibt Dr. Albert Maas u. a.: „Schon in Aachen
war zu uns eine Gruppe Belgier aus den deutschsprechenden Grenzgemeinden in der
Eupener Gegend gestoßen. Der Pfarrer von Altenberg war unter ihnen, der in unserer
seelischen Not eine Nachmittagsgebetsstunde vorschlug. Jeden Nachmittag
versammelten wir uns in seiner Baracke. Lange hatten wir nicht mehr so andächtig
den Rosenkranz gebetet. Erst waren es etwa 12 Teilnehmer, dann 20 und 30. Selbst
ein Kommunist aus Stolberg war zuletzt regelmäßig dabei.“
62
Am 5.10. 1944 in einer Stunde 175 Fahrzeuge mit Besetzung pro
Wagen bis 20 Mann festgestellt. Alle Richtung Eupen. Darunter schwere
Lastwagen und Tankwagen. Während der Stunde 45 schwere Sherman-
Panzer gezählt. Bei Einbruch der Dunkelheit überquerte er die Straße
und erreichte über Baelen-Heggen-Lanzenberg unter Umgehung von
Heinrichs-Kapelle die Hauptstraße Lüttich-Aachen. In der Nacht vom 5.
zum 6.10.44 hat er dort keinen Fahrzeugverkehr wahrgenommen.
Am 6.10., gegen 8,30 Uhr, setzte der Verkehr wieder ein. Bis gegen
10,30 Uhr passierten nur Transportkolonnen die Hauptstraße Lüttich-
Aachen. Gegen 10,30 Uhr passierte eine Kolonne mit 10 Geschützen die
Straße in Richtung Altenberg. Die Rohre waren 6-7 m lang auf
Selbstfahrlafette. Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach um
Kaliber 21. Gegen Mittag gelangte er zu dem Versteck seines Fahrrades
zurück. Infolge starker Kontrollen durch die Armee Blanche konnte er
nicht in die Stadt Eupen reinkommen. Ebenfalls eine Verbindung mit
Zivilpersonen war unmöglich. In der Nacht vom 6. zum 7.10.44 von
Eupen nach Mützenich gefahren. Gegen Mittag des 7.10.44 die feindliche
HKL passiert und gegen 14 Uhr bei einem deutschen Gefechtsvorposten
angelangt.
Am 24.10.1944 wurden die belgischen St. A. (Staatsangehörigen)
Verbruggen und Van Durmen südlich Hollerath bei der Ortschaft
Ramscheidt eingesetzt. Auftrag war, im Raume Malmedy festzustellen,
welche feindlichen Truppenverbände dort sind. Sie marschierten in
Richtung Büllingen. In gleicher Richtung bewegten sich 20 amerikanische
Soldaten, die nicht bewaffnet waren. Ebenfalls bewegten sich von Krinkelt
in Richtung Büllingen etwa 24 Panzer. Infolge Dunkelheit konnten keine
näheren Feststellungen getroffen werden. Am Ortseingang von Büllingen
waren Angehörige der Armee Blanche. Sie waren mit Karabiner
bewaffnet. Von diesen wurden sie bemerkt und beschossen. Nachher
setzten sie noch Suchhunde ein. Sie mussten sich zurückziehen und
wurden gegen Morgen des 6.10.1944 von einem amerikanischen
Spähtrupp beschossen. Ein deutscher Gefechtsvorposten eröffnete das
Feuer, wurde jedoch von dem Amerikaner schwer verletzt. Verbruggen
und Van Durmen trugen gemeinsam den deutschen Soldaten mit weiteren
Wehrmachtsangehörigen zur deutschen HKL und Verbruggen trat bei
dieser Gelegenheit auf eine Mine. Er wurde dabei schwer verletzt am
rechten Bein. Später wurde ihm beim Hauptverbandsplatz das rechte Bein
bis zum Knie amputiert. Van Durmen erlitt leichtere Verletzungen an der
rechten Hand und an beiden Beinen.
63
De Ruesestrückskere a-je Elderehus!
Jakob Langohr
Et jet jät wue ech ömmer noch dra denk,
van a dat ech denke kann als Kenk.
Wie der Vadder soot op e Fleckske Dreck,
twei Ruesestrückskere heem a je-ne Eck.
Et wät e-ne Zwilling wie der Vadder saat,
wie e e-jen Aed die Strückskere braat.
Räets koome rue än lenks da wette Ruese,
me mot se fleje, et kann waal noch jät duere.
Koss neet verstue dat van die Strückskere
die vör jeplanzt haue en dat Eckske,
e Ruesewonder sow entstue,
wue janz vööl Minsche blääve stue.
Ech hau se jehegt än dong se fleje,
wie och der Wenk öm en Huus dong väje.
Joof se Water e-jen wärrem Somertiüit,
höj se Water och jejääve bej Iis än Schnie.
Se wooße now wier esö Johr öm Johr,
ömschlonge vass wie e Liebespaar.
Se wooße bo no je-ne Muer erän,
als säete se: "Hej blive vöör, hej sönt vöör heem."
Mi janz klee Kengerhat et schloch,
wie ech de öschte Blättchere soch.
Än wie allösch de öschte Knospe koeme,
wor ech te bang vör se a te oome.
Ech höj se neet vör Jot än Jeld jejääve,
die Ruesestrückskere wore e Stöckske va mi Lääve.
Wenn et da werrem wor esö wiit
än et wor at werrem Ruesetiit,
da haue se plötzlech övver Naat,
der Dank vöör all ming Fleje braat.
64
Die donkel Ruese,wiit koss me se sihe,
dotösche die wette wie vresche Schnie.
Bejee jewaaße et wor en Pracht,
wat do sing Schönheet opjemagd.
Jeddes Johr wie e Wonder, ömmer werr op nöjj,
stong do dat dobbel Strückske e-jen Blöjj.
Sooch vör ming Owwe ech da e Beld,
ie ech vut wor wiit en de Welt,
wor et ömmertu mi Ruesestrückske, 4
dat heem sech döjjde e-ne Hückske.
E Jedanke hatte mech ömmer mot jejääve, .
de schönste Erennerong va mi Lääve!
65
Elektrische Isolierrohrwerke
Anonyme Ges. Hergenrath
(Usines a tubes d’Hergenrath)
von Henri Beckers
Gegründet von Theophil Leonard, Reiner Weisshaupt und Jakob Cremer
1919 als Elektrische Isolierrohrwerke GmhH. Umgewandelt am 7.12.1927
in eine Aktiengesellschaft nach belgischem Recht. Eingebracht wurden die
Grundstücke und Fabrikgebäude, ferner die Maschinen, Rohstoffe, Halb-
und Fertigwaren, die Außenstände, die Kundschaft und die Geschäfts-
beziehungen.
Als Gegenleistung für die Einlagen erhielten Herr Weisshaupt achtzig,
Herr 7heophil Leonard neunzig, Herr Cremer hundert, Fräulein Leonard
fünf, Fräulein Weisshaupt zehn, Frau Autor zehn und Herr Wilhelm Leonard
fünf Aktien.
Zweck des Unternehmens waren Herstellung, Vertrieb und Handel von
elektrischen Bedarfsartikeln, u. a. verbleiter Isolierrohre. Die elektrischen
Leitungen wurden in Papier-, später Stahlrohren verlegt, sogenannte Kulu-
Rohre. Hierdurch war es erstmals möglich, elektrische Leitungen unter Putz
zu legen.
Wegen der Devisenbeschaffungswirtschaft wurde vor dem Krieg auch
ein Zweigwerk in Aachen betrieben. Der Großteil der Produktion - teils mit
40 Beschäftigten im Schichtbetrieb - ging in den damaligen belgischen
Kongo. Am 30.6.1941 wurde die Umwandlung in eine AG nach deutschem
Recht vollzogen.
Als nach dem Krieg Plastik als Isolierrohrmaterial Anwendung fand,
nahm die Firma solche Produkte anderer Hersteller in den Vertrieb auf. Der
Name war in Usines ä Tubes de Hergenrath geändert worden.
1975 wurde die Produktion eingestellt, der Verkauf jedoch noch einige
Jahre aufrecht erhalten. 12 Beschäftigte verloren ihre Arbeit.
Kapital
1927: 150.000 F in 300 I. A. (Inhaber-Gesellschaftsanteile) zu 500 F
1936: 1.200.000 F in 2.400 Aktien zu 500 F
1941: Umstellung ; 150.000 RM in 150 S. A. zu 1.000 RM (Umstempelung der Aktien
von 1927)
1950: 5.100.000 F in 1200 Aktien zu 4.250 F
Quelle: Jürgen Baral, Oberforstbach
67
Raeren-Neudorf,
nur eine Kapellengemeinde?
von Alfred Bertha
Es ist unbestritten, dass die Mutterpfarre Walhorn ursprünglich
deckungsgleich mit dem Gebiet der Hochbank Walhorn gewesen ist und
sich die Randgemeinden erst nach und nach zu unabhängigen Pfarren
verselbständigt haben. Wie dies im Einzelnen geschehen ist, lässt sich
nicht in allen Fällen belegen; Kettenis ist von den genannten Orten der
Einzige, der eine bischöfliche Urkunde der Pfarrerhebung (11.8.1648)
vorweisen kann, während aus einer Eintragung in den Registern der
Pfarrer-Ernennungen im Erzdiakonat Condroz hervorgeht, dass „im Jahre
1676, am 30. Mai, die Ernennungen auf die Kapelle von Eynatten
ausgedehnt worden sind. Letztere war durch die Absetzung bzw.
Rückgabe des Amtes in die Hände des zeitlichen Herrn von Eynatten,
des Herrn Gerard von Dieden Malatesta, vakant geworden und dieser
hatte schriftlich (literatorie) für den Dienst an derselben Kirche oder
Kapelle den Herrn Cornelius Mathei vorgeschlagen, der dazu zugelassen
und bestätigt wurde“.
In einer kurzen Pfarrchronik von Eynatten, die genannter Mathei 1722
anlegte, steht hingegen, am Tage seiner Ernennung, am letzten Tag des
Monats April, sei die Kapelle von Eynatten, die bis dahin unter den
Kapellen geführt wurde, in den Rang einer „Semi Ecclesia“ erhoben
und den „Semi-Ecclesiis“ hinzugefügt worden.
Wie dem auch sei, Raeren, Eynatten und Hergenrath können darauf
verweisen, dass sie schon früh eine eigene Kapelle besaßen. Für Raeren
ist eine solche im Zusammenhang mit einem Bend, „durch den der Pfad
zur Kirche von Titfeld führt“, schon 1415 in den Lehensregistern des
Aachener Marienstiftes erwähnt. Die Kapelle zu Hergenrath wird in den
selben Registern im Jahre 1441 genannt, während in Eynatten eine schon
sehr lange bestehende Schlosskapelle im Jahr 1444 durch den Adel und
das gemeine Volk durch den Bau eines Chores und eines Turmes eine
erhebliche Vergrößerung erfährt. Diese Kapelle wurde durch den
Lütticher Weihbischof am 16.10.1444 geweiht.
In den Kapitelsprotokollen des Aachener Marienstiftes findet sich unter
dem 20. August 1618 die Eintragung, die von Walhorn hätten „etliche
Baptisteria“ (Taufen) errichtet und es werde demnächst darüber beraten;
doch schon.1617 hatten die an den Kapellen von Eynatten, Hergenrath
68
und Raeren tätigen Geistlichen die Erlaubnis zur Spendung der Taufe in
den jeweiligen Gemeinden erhalten (S. Viktor Gielen, Mutterpfarre, S.
25).
Die Eynattener Pfarrchronik vermerkt unter dem Jahre 1619: „Dem
Pastor von Eynatten sind alle Pfarrfunktionen, wie in Walhorn, übertragen
worden.“
Einen sehr wichtigen Schritt auf dem Wege zur Selbständigkeit taten
die genannten Orte, als der Walhorner Pfarrer Wilhelm Darimont (1604-
1635) am 23. Februar 1633 durch seinen Bevollmächtigten Anton
Lamberts vor dem Walhorner Schöffengericht ein Abkommen
beurkunden ließ, wonach es den Kaplänen von Titfeld (= Raeren),
Eynatten und Hergenrath erlaubt wurde, alle Funktionen eines Pfarrers
auszuüben.
Allerdings ist dieser Akt nicht gleichzusetzen mit einer Pfarrerhebung,
werden doch die Rechte des Walhorner Pfarrers keineswegs angetastet,
wie aus dem Wortlaut der Urkunde hervorgeht. Dort heißt es:
„Vor dem Gericht der Bank Walhorn ist erschienen Antonius Lamberts
als Momber und Beauftragter des ehrwürdigen Herrn Wilhelm Darimont,
z. Zt. Pastor der Mutterkirche von Walhorn, und bittet im Namen des
genannten Pastors und der Mutterkirche das zuständige Gericht, es möge
in bester Form eine Urkunde verfasst und hinterlegt werden bezüglich
der den Kapellen und Gemeinden genehmigten Benefizien,
Vergünstigungen und Erleichterungen, wie folgt:
dass nämlich der vorerwähnte Herr Pastor Darimont den Seelsorgern
an diesen nachfolgenden Kapellen, nämlich „Titfelt (= Raeren), Enneten
und Hergenraede“ angesichts der weiten Entfernung zur Mutterkirche
die Einwilligung und Vergünstigung gegeben hat -(in soweit der gen.
Pastor dies durfte oder konnte)- in den Kapellen ihrer Dörfer den
Einwohnern die hl. Taufe zu spenden und Beerdigungen auf dem
Friedhofe vorzunehmen, und das alles ohne Schaden und Nachteile der
Mutterkirche, des Pastors oder dessen Nachfolger.
Auch bleiben in der Verkündigung von Bräutigam oder Braut,
Kindtaufen, Begräbnissen und dergleichen der vorgenannten
Mutterkirche alle ihre von alters her zustehenden Rechte reserviert und
vorbehalten, so wie es bisher und allzeit gewesen ist, und wird
diesbezüglich der Mutterkirche nichts weggenommen.
. Drossard und Schöffen erklären, dass ihnen sehr wohl bekannt ist,
dass dieses so redigierte Abkommen zustande gekommen ist in der Stadt
Aachen, durch Vermittlung (interventie) des Hochwürdigen Herrn
69
Weihbischofs von Lüttich, im Beisein des ehrwürdigen Herrn Wilhelm
Darimont, Pastors der Kirche von Walhorn, sowie des Herrn Peter
Darimont, Kanonikers der Kirche Unserer Lieben Frau zu Aachen und
Vizdom daselbst.
In Zeiten der Not und wenn er darum ersucht wird, soll der Pastor
von Walhorn, wie von alters her, gehalten sein, „den Einwohnern der
genannten Dörfer mit den hochheiligen Sakramenten und den
Kirchenrechten zu dienen“.
So geschehen zu Walhorn am 23. Februar 1633; als Zeichen der
Wahrheit des Vorstehenden haben wir, Drossard und Schöffen der Bank
Walhorn, unser gewöhnliches Siegel hierunter aufgedrückt und den Akt
durch unseren Gerichtsschreiber unterschreiben lassen. (Der Akt trug
die Unterschrift von Reynier Reul.)
Gegen eine vollständige Loslösung der drei Kapellengemeinden von
der Mutterkirche Walhorn hatte Pfarrer Darimont also offensichtlich
Bedenken. Vielleicht fürchtete er nur eine Schmälerung seiner Einkünfte
durch den Verlust der ihm in diesen Dörfern zustehenden Zehntabgaben,
von denen dem Pfarrer von Walhorn 1/3 und dem Aachener Marienstift
2/3 zukamen. Im täglichen Leben führten sich die Vikare an den Kapellen
von Raeren, Eynatten und Hergenrath jedoch wie Pastöre auf. Eigenartig
war ja auch deren Stellung dem Pastor-von Walhorn gegenüber. Hatte
dieser in Kettenis trotz der Loslösung von Walhorn weiterhin das
Besetzungsrecht der Pfarre, (- die Urkunde zur Pfarrerhebung des Ortes
hebt ausdrücklich hervor, dass dem Walhorner Pfarrer dieses Recht auf
ewige Zeiten zustehe-) so besaß er in den drei genannten Kapellenorten
keine Befugnis dieser Art. In Raeren wurden die Seelsorger von der
Bevölkerung dem Lütticher Bischof in Vorschlag gebracht und erhielten
von Letzterem bzw. vom Erzdiakon des Condroz (Generalvikar) die
Einsetzungsurkunde; in Eynatten waren es die Herren des Vlatten- bzw.
des Amstenrather Hauses, die wechselweise die Pfarrstelle besetzten; in
Hergenrath war es ebenfalls die Bevölkerung, die einem ihr genehmen
Seelsorger die Anstellungsbedingungen diktierte und diesen dem Bistum
zur „Investitur“ präsentierte.
Wie wenig klar die Rechtslage war, wurde allerdings erst in der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts ersichtlich, als mit Pfarrer Johannes Vanden
Daele in Walhorn ein Mann das Sagen hatte, der nicht bereit war, die
Gegebenheiten einfach hinzunehmen. Dass er sich nicht scheute, notfalls,
d. h., wenn er sich im Recht wähnte, die höchsten gerichtlichen Instanzen
70
zur Verteidigung seiner (vermeintlichen) Rechte anzurufen, zeigen eine
Reihe von Prozessen, die er in den Jahren seiner Amtszeit geführt hat.
1752 lag Vanden Daele im Streit mit den Bankbehörden und den
Bankbewohnern, weil diese sich weigerten, von neugerodetem Land in
der „Aachener Heide“ dem Pfarrer den Zehnten zu zahlen, und dies unter
Hinweis auf die Abtei Kornelimünster, wo von Neurodungen auch kein
„novale thiende“ (Rodungszehnt) zu zahlen sei.
1753 legte sich der Pfarrer mit seinem Eynattener Amtsbruder an,
weil er der Meinung war, in allen Orten der Bank Walhorn Anrecht auf
1/3 der Zehntabgaben zu besitzen. In Eynatten hatte jedoch der örtliche
Seelsorger sich dieses Drittel (widerrechtlich ?) angeeignet.
1765 kam es zum Prozess zwischen dem Aachener Marienstift und
dem Pfarrer, weil dieser den ganzen Kartoffelzehnten in Eynatten für
sich beanspruchte und ein Pferd des Zehntpächters, des Advokaten Smets,
als Gegenwert der Kartoffeln durch den Gerichtsvollzieher versteigern
ließ.
1776 prozessierte Vanden Daele gegen Nijs Cool. Es ging um die
Frage, ob der Pfarrer das Recht habe, eine Gemeindeversammlung
einzuberufen oder zu annullieren.
1776-1778 führte der Pfarrer einen Prozess gegen das Aachener
Marienstift und den Pfarrer von Hergenrath, dem er durch ein früheres
Urteil des Brabanter Oberhofes eine Gehaltszulage zu zahlen verpflichtet
worden war.
1781 war die Frage zu klären, ob der Zehntherr verpflichtet sei, in
den einzelnen Orten den Stier und den Hengst zu stellen. Vanden Daele
bestritt dieses.
Vermutlich hat der Walhorner Pfarrer noch weitere Prozesse geführt.
Doch diese wenigen genügen schon, um ihn als äußerst streitbar
auszuweisen. Für die Nachwelt haben diese sich meist über Jahre
hinziehenden Prozesse auch ein Gutes: Die Prozessakten enthalten viele
Abschriften von Dokumenten aus den verschiedenen Pfarrarchiven und
tragen häufig zum besseren Verständnis der Pfarrgeschichte von Raeren,
Eynatten und Hergenrath bei. Viele der Raeren betreffenden Unterlagen
sind im Staatsarchiv Düsseldorf in der Sammlung Hetjens enthalten.
1780 wurde Pfarrer Vanden Daele gegen seinen Willen in einen Prozess
gegen den Pfarrer und die Gemeinden von Raeren und Neudorf
verwickelt. Worum ging es ?
In Raeren hatte 1728 nach dem Tode von Ägidius Momber (auch Gilles
Mommer gen.) der aus Breinig stammende Geistliche Tilmann Ganser
71
die Pfarrstelle übernommen. Ganze 50 Jahre stand Pfarrer Ganser an
der Spitze seiner aus der Doppelgemeinde Raeren und Neudorf
bestehenden Pfarre. Er starb am 10.4.1778.
Sein Nachfolger war der aus Afden in Westfalen stammende Johann
Anton Vincken, 1778-1795. Einer vom 4. April 1781 datierten und vom
Pfarrer selbst verfassten Besitzaufstellung zufolge verfügte Pfarrer
Vincken über folgende Güter bzw. Einkommen:
1. Der Pfarrer von Raeren besitzt ein Haus mit kleinem Garten und kleiner
Obstwiese; der Grund und Boden dazu wurde durch Johann Herster
überlassen und ist belastet mit einem ewigen Jahrgedächtnis für den
genannten Herster und dessen Ehefrau. (Anm.: Die richtige Lesart
wäre Heyster statt Herster).
2. Dieses Pfarrhaus wurde erbaut durch meinen Vorgänger T. Ganser
mit dem Geld aus dem Verkauf von zwei Bauernhütten (casarum
rusticarum) und gewisser Güter, auf denen fünf Jahrgedächtnisse
lasteten. Das Pfarrhaus ist heute noch mit diesen fünf
Jahrgedächtnissen belastet. Zusammen mit dem Jahrgedächtnis für
Herster sind es 6, vier Sing- und zwei Lesemessen.
3. Für diese Anniversarien (Jahrgedächtnisse) schuldet der Pastor dem
„matriculario“ (Rendant) 28 Mark und muss der Kirche den Wein
und das Öl stellen. Ich frage mich, ob ich nicht wie ein Mieter im
Pfarrhaus bin, das an einer Seite gänzlich unfertig ist.
4. Der Pastor besitzt den Zehnten eines kleinen Distrikts, der ihm durch
den adligen Herrn Johann Lomont, den Besitzer von Burg Raeren, als
Einkommen geschenkt wurde. Er bringt jährlich 40 Gulden ein; ich
habe ihn dem Johannes Havenith verpachtet.
5. Die Gemeinde Raeren zahlt dem Pastor jährlich als „subsidium“ wegen
des fehlenden und geschuldeten Einkommens 38 Florins und 2 Liards.
6. Die Gemeinde von Neudorf zahlt zu demselben Zwecke 34 Florins
und 5 Stüber.
7. Beide Gemeinden zahlen dies nach Belieben, denn es handelt sich
um eine Gratisgabe, deren Zahlung jederzeit eingestellt werden kann.
Wie mir einer der Kommissare für die Katasteraufstellung sagte, werde
in kürze den genannten Gemeinden, die ziemlich verschuldet sind,
verboten werden, diese genannten Florins weiterhin zu zahlen.
Schluss
Dieses alles habe ich nach gründlichen Recherchen treulich notiert, ohne
List und Arg, so dass ich ruhigen Gewissens darauf einen Eid schwören
könnte, darum sage ich noch zusätzlich, dass keine anderen Einkünfte,
72
Kapitalien, Zehnten oder anderes besteht, aus dem ich ein ehrliches
Auskommen hätte und dort, wo es die Vernunft und die Notwendigkeit
erfordert, Gastfreundschaft zeigen könnte.
Das bezeuge und erkläre ich eigenhändig und mit dem gewohnten Siegel
meiner Pfarrkirche zu Raeren und Neudorf am 4. April 1781. J. A.
Vincken, Pastor in Raeren und Neudorf.
ak ak ak Ok RO
Es ist erstaunlich, dass die Pfarrstelle in Raeren materiell so schlecht
abgesichert war. Noch erstaunlicher jedoch ist, dass sich trotz kärglichem
Einkommen Seelsorger fanden, die bereit waren, das Pfarramt im
Töpferdorf zu übernehmen. Für Pfarrer Vanden Daele war das geringe,
Einkommen seines Raerener Amtsbruders der Beweis dafür, dass Raeren
nie von Walhorn losgelöst worden war. Ein genügendes Einkommen
war nämlich für die bischöfliche Behörde eine der Voraussetzungen zur
Pfarrerhebung. In der Ketteniser Urkunde der Pfarrerhebung (1648) heißt
es: „Da die genannte Kirche mit einem genügenden Einkommen
ausgestattet scheint...“ und seitens der Ketteniser Einwohner war in der
Bitte an den Bischof, ihren Ort von Walhorn loszulösen, das gesicherte
Einkommen des Pfarrers ein gewichtiges Argument. Raeren konnte nichts
dergleichen vorweisen und die Raerener argumentierten, wegen der lange
zurückliegenden Zeit und wegen der verschiedenen Brände und anderen
Vorfälle in der Bank Walhorn könne man die Urkunde der Erhebung zur
selbständigen Pfarre nicht mehr vorweisen, doch sei dies kein Grund,
diese Erhebung in Zweifel zu ziehen.
Als nun der neue Pfarrer von Raeren, Johann Anton Vincken, 1780 eine
Aufbesserung seines Einkommens verlangte und sich an den Hohen Rat
in Brüssel wandte mit der Bitte, man möge die bisherigen Zehntherren
in Raeren, nämlich das Kapitel Unserer Lieben Frau von Aachen, den
Prior und das Kapitel der Abtei von Malmedy, den Pastor von Walhorn,
den Herrn de Royer von Merols namens seiner Ehefrau sowie die Witwe
de Moreau und Nicolaus Crutz dazu verpflichten, ihn „sive divisim sive
separatim“ (einzeln oder gemeinsam) prompt und unverzüglich mit einem
gehörigen Einkommen („eene behoorlijke competentie“) zu versehen
und sie notfalls durch kostenpflichtiges Urteil dazu zwingen, brachte er
eine mächtige Prozesslawine ins Rollen. Die Bittschrift des Pfarrers von
Raeren liegt uns leider nicht vor, doch aus der Antwort des Brüsseler
Rates lassen sich die Argumente von Pfarrer Vincken herauslesen:
73
„-..dass unter diesen Umständen der Bittsteller nicht über ein gehöriges
Einkommen verfügte, um ehrlich leben zu können und außer einigen
Gebühren, die er für gestiftete und durch ihn zu lesende Jahrgedächtnisse
erhielt, und einigen sehr kleinen und geringen Stolgebühren, nur über
einen kleinen Zehnten, der jährlich 36 Gulden Lütticher Währung
einbringt, und etwa 40 Gulden an Kapitalrenten verfügte. Damit war er
nicht im Stande, als Pastor einer so schweren Pfarre, ja selbst nicht als
der kleinste Kaplan, sich das zum Leben Notwendige zu kaufen...“
Unterstützt wurde Pfarrer Vincken in seinen Bemühungen um
Gehaltsaufbesserung durch die Gemeindevorsteher von Raeren und
Neudorf, die immer als Mitkläger gegen den Pfarrer von Walhorn
auftreten. Letzterer zeigte sich durchaus bereit, für das Einkommen des
Raerener Seelsorgers aufzukommen, doch nur unter der Bedingung, dass
ihm dann auch das Recht zugestanden werde, die Seelsorgerstelle in
Raeren zu besetzen, denn Raeren sei nie aus der Pfarre Walhorn
herausgenommen und zur selbständigen Pfarre erhoben worden. Folglich
sei der Ort an der Iter weiterhin Bestandteil der alten Mutterpfarre und
der Pfarrer von Walhorn habe das Recht, die Kaplanstelle in Raeren mit
einem Geistlichen seiner Wahl zu besetzen und den Lohn mit demselben
auszuhandeln. Träte der Pfarrer unter den gegebenen Umständen seinen
Zehnten in Raeren freiwillig ab, so würde das Kapitel des Aachener
Marienstiftes sich ihm gegenüber zu nichts verpflichtet fühlen.
Was die Stellung des Walhorner Pfarrers sehr schwächt, ist der Umstand,
dass er selber am 22. Juni 1779 bei einer Zusammenkunft im Pfarrhaus
von Raeren im Beisein des Herrn Cratz seinem Amtsbruder Vincken
geraten hatte, sein Einkommen von den Zehntherren zu fordern!
Gegen den Anspruch des Walhorner Pfarrers auf das Besetzungsrecht
der Seelsorgerstelle in ihrem Ort wehrten sich die Raerener mit aller
Vehemenz und versuchten mit Urkunden und Auszügen aus ihrem
Pfarrarchiv zu beweisen, dass sie „seit unerdenklichen Zeiten“ eine
eigene Pfarre gebildet haben und auch höheren Orts als solche betrachtet
worden sind.
Eines ihrer Argumente ist die Liste ihrer Pfarrer, die vom Bischof von
Lüttich bzw. vom Erzdiakon des Condroz eine Ernennungsurkunde
(„brieven van institutie“) erhalten hatten.
Pfarrer Viktor Gielen (in „Raeren und die Raerener im Wandel der
Zeiten“, S. 76-79) listet die Raerener Seelsorger auf und unterscheidet
zwischen jenen vor und jenen nach der Pfarrerhebung“, wobei er die
74
angebliche Pfarrerhebung ins Jahr 1670 datiert. Diese Datierung ist
jedoch ziemlich willkürlich und beruht nur auf der Eintragung von Pfarrer
Johannes Meyer im 1668 beginnenden Taufbuch als „pastor zu den
Rahren und Neudorf“.
Derselbe Geistliche nennt sich auf der ersten Seite des genannten
Taufregisters „animarum curator procuratus“, d. h. bevollmächtigter
Seelsorger“.
V. Gielen hat folgende Geistliche aufgelistet und chronologisch geordnet:
Christian Voihs (Vos) um 1605.
Bartholomäus Buchfink, um 1620. A
Heinrich Hochstein, um 1648 .
Johannes Schweller, um 1665. fl
Johannes Meyer, 1670.
Johannes Graass (Graß) aus Luxemburg, gestorben 1682.
Peter Jakob Großmeyer aus Aachen, 1693-1698.
Aegidius Momber aus Eynatten. Dieser war erst Karmeliter in Aachen,
durfte dann, um für den Unterhalt seiner Eltern zu sorgen, das Kloster
verlassen und in Raeren die Kaplanstelle annehmen. Hier wirkte er als
Pastor von 1698 bis 1728. Momber war der Erbauer der Pfarrkirche und
der Anna-Kapelle auf Berg.
Tilmann Ganser aus Breinig, 1728-1778. Er baute das heutige Pfarrhaus
(1732?)
Johann Anton Vincken aus Afden, 1778-1795.
Johann Georg Reuter, 1795-1805.
Zu diesen Angaben wäre noch zu bemerken, dass Heinrich Hochstein
noch 1658 in Raeren belegt und Johannes Graass/Graß erst am 10.
November 1692 gestorben ist.
Die erste, (aus der Burgkapelle auf Titfeld im 14. Jh. hervor gegangene
Kirche?) wird, wie schon gesagt, 1401 in den Lehnsregistern des
Aachener Marienstiftes genannt. 1415 erwähnen sie die Walhorner
Gudungsbücher. Eine Auflistung der Kirchen des Bistums Lüttich
erwähnt dieselbe im Jahre 1497 (J. Paquay, Pouille de l’ancien dioc&se
de Liege, en 1497. Tongern 1908, S. 135).
In einem Register des Erzdiakonates Condroz aus dem Jahre 1608 werden
für Walhorn und die umliegenden Orte folgende Angaben gemacht:
„Walhorn ist eine „ecclesia integra“ im Herzogtum Limburg und ist 100
Müdden wert. Davon hängen ab:
75
Eynatten, dessen Einwohner den Kaplan oder diensttuenden Geistlichen
auf eigene Kosten unterhalten, indem sie ihm außer den Stolgebühren
ein Gehalt zahlen.
Raeren, dessen Einwohner ebenfalls den Kaplan auf eigene Kosten
unterhalten, wie hiervor.
Herckenrath, unter der Anrufung des hl. Martinus, dessen Kapelle wie
die vorhergehenden bedient wird.
Kettenis, das ebenfalls auf Kosten der Einwohner durch einen Kaplan
bedient wird. Der Ort besitzt eine Kapelle, die ihm zur Ehre gereicht
und die viele Pfarrkirchen übertrifft.“
Wie man sieht, wird zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch keine der vier
Kapellen als „Pfarrkirche“ und keiner der dort tätigen Kapläne als
„Pastor/Pfarrer“ bezeichnet.
Auch 1644 findet sich eine sehr ähnliche Eintragung. Und während in
einem späteren Register die Pfarrerhebung von Kettenis ausdrücklich
vermerkt steht („Kettenis, capella sub Walhorn, erecta fuit in Ecclesiam
mediam a° 1648, valet 50 mod.“), findet sich nichts dergleichen für
Raeren, Eynatten und Hergenrath.
Die Raerener Kapelle wurde 1612 im Kontext der Religionswirren „laider
in Brandt gestochen und angezündet“ (Stadtarchiv Aachen, Akten des
Marienstifts. Zitiert durch Herm. Wirtz, Eupener Land, S. 24).
Der danach errichtete Neubau, 1616-1628 entstanden, sollte keine
hundert Jahre dienen. Darüber lesen wir in einem 1616/17 beginnenden
Register des Baumeisters und Kirchenmombers Jan Schlenter: „Das
Schiff der Kirche und das Mauerwerk des Turmes habe ich bedient mit
viele Mühe und Arbeit, aber auf Wunsch der Pfarrangehörigen und mit
ihrem Geld. Gott sei Lob und Dank. Jann Schlentter“ (zitiert von V.
Gielen, Raeren, S. 72). Mehr als zehn Jahre später schreibt derselbe Jan
Schlenter: „1628 ist denn kirckhof und den thoren van der Kercken
vollendet und ferdig worden met veele moeyten und arbit, got seydanck,
durch mich gedaen.“
Der an dieser Kirche diensttuende Geistliche (Desservitor) hieß
Bartholomäus Bestlinck (Buchfink?).
Kirchenmomber und Baumeister Jan Schlenter fertigte am 23. September
1626 eine Aufstellung der Güter der Kapelle von Titfeld, die er „zu der
ehren Gottes und unser Kirchendiener sein nottwendig underhalt“ „nach
seinem besten“ abgeschrieben hatte. Auf Blatt 3 lesen wir:
76
„Erstich behoort zu der Capellen von Titfelt das haus, collhof (Garten)
und kleyn grashofgen gelegen zu den Raren regenoet (= gegenüber)
Crinshof in der bosch.“
Der älteste abschriftlich erhaltene Anstellungsvertrag eines Raerener
Seelsorgers ist datiert vom 21. August 1628. Der bisher in keiner
Veröffentlichung erwähnte Geistliche hieß Adam Capperts. Über seine
Herkunft ist bisher nichts bekannt.
Der Anstellungsvertrag hat folgenden Wortlaut:
„Kundt und offenbar sey iederman wie das auff heut dato her unde gemelt
is, versprocken und verabredt twischen der herr Dom. Adams Caperts
van .....wessen zu komende Kirch diener der gantzer nachberschaff
Titsfelt, Raederen und nieudorp wie das gemelter herr en vorsc. Mehr‘
soll den Kirch dienst vertretten und wir obgesc. Naeberschaff sollen den
vorsc. Herren jarlichs betaelen fauff und ffertig Reich(s)t(al)er voor sein
notwendigh underhalt daerneben sol den herren folgen das haus, bongart
und kolof, so und gleich der Capellen zu gehorig ist, mits dem die vorsc.
Nachperschaff alle reparatien, Schathung daervor tragen sollen, und
bovendas, sol der vorsc. Heer folgen alle der nachber (fehlt ein Wort).......,
nemlech an St. Johannis mit Kaes und in der Vastel abont mit fleisch,
gleich von altes gebrauchlich, vorders sol der her (= Herr) alle
accidentalia opfer und alle den abfal der Kirche gleich gespecificeert is
in het Contrat van Domino Renerus ophoff und damit sol vorsch. Herr
uns getreuwlich lehren und versehen mit gottes wort und sol alle die
renten der Capellen zugehörig selber inbeuren (= einkassieren) und was
daraen manqueert (= fehlt) zu den vorsc. Dominum zu (= so) sol et vorsc.
Nachberschaff obligen, und alle jahrs bethahlen, mit der Conditionen
das gemelter herr hier bey uns sol verbleiven alsolangh, bis zu der zeit
der herr, den nachbaeren den heer kein ursach geben werden den dienst
auffkundigen.
Aldus gethan und gepasseert auff heut dato den 21. augti a° 1628, und
zu urkundt de warheydt dieses mit eygen handen onderteeckent, Wilhelm
von Schwarzenberg, Adamus Capperts presbit. In den nahm die vorsc.
Nachberschap haf ich dieses op dato wes oben unterschrieben Jan
Schlinter, Johan von Loomont.“
In diesem Vertrag verdienen einige Angaben besonders hervorgehoben
zu werden.
1. Zum Vermögen der Raerener Kapelle gehörte (schon 1626) ein für
den Seelsorger bereit gestelltes Haus mit Gemüsegarten („kolof“) und
GT
Obstwiese („bongart“), dessen Reparaturen und Steuern (Schathung/
Schatzung) zu Lasten der Dorfgemeinschaft gehen.
2. Neben einem festgesetzten Betrag von 45 Reichstalern verpflichten
sich die Raerener, ihrem künftigen Seelsorger („zu kommende Kirch
diener“) zweimal jährlich eine Unterstützung in Naturalien, nämlich
Käse und Fleisch, zukommen zu lassen. Termin für die Abgabe an
Käse ist auf St. Johannis-Tag, d. h. am 24. Juni, die Fleischabgabe ist
mit Fastnacht („Vastel abont“) fällig.
Zu bemerken ist, dass hinzugefügt wird, diese Naturalabgabe sei „von
alters gebräuchlich“. Diese Bemerkung hat nur dann Sinn, wenn schon
die Vorgänger von Adam Capperts zusätzlich zum Gehalt Käse und
Fleisch bekommen haben. In späteren Zeiten wurden solche Abgaben
meist durch Geld abgegolten.
3. Der Geistliche erhält alle „accidentalia“, d. h. die für geistliche
Handlungen wie Taufen, Trauungen, Beerdigungen etc. zu zahlenden
Stolgebühren.
4. Die Kirche von Raeren verfügt auch über gewisse Kapitaleinkommen
(Renten). Dabei kann es sich u. a. um Zinsen aus ausgeliehenen
Geldern oder auch um Pachtgelder handeln. Diese Renten muss der
Seelsorger selber einkassieren; was daran fehlt, verpflichten sich die
Einwohner beizusteuern.
5. Vom künftigen Seelsorger - er wird „Kirchendiener“, nicht „Pastor“
genannt - erwartet die Gemeinde, dass er sie „getreulich“ lehre
(unterrichte) und mit Gottes Wort versehe“ und dass er solange bleibe,
wie er der Einwohnerschaft von Raeren und Neudorf und diese
ihrerseits ihm keinen Grund liefert, den Dienst aufzukündigen.
Der neue Seelsorger nennt sich selbst „presbyter“, d. h. „Ältester“,
Gemeindevorsteher, im weiteren Sinne „Priester“. (Vgl. im
Französischen „presbytere“ = Pfarrhaus).
Diesem Kaplan (?), der, wie Pfarrer Vanden Daele sich geringschätzig
äußerte, „für sie die Messe las“, gestattete der Walhorner Pfarrer Wilhelm
Darimont am 23.2.1633 auf Bitten der Bevölkerung, die Taufe zu spenden
und die Toten zu beerdigen.
Adam Capperts war also der erste Raerener Seelsorger, der mit
ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Walhorner Pfarrers die
Taufe in Raeren spendete und die Toten dort beerdigte.
Pfarrer (Kaplan?) Adam Capperts scheint unter einer großen materiellen
Not gelitten zu haben, die ihn dazu bewog, sich 1633 (die uns vorliegende
Abschrift ist nicht datiert) an das Gericht in Walhorn zu wenden mit der
78
Bitte, es möge den Junker Schwarzenberg und den Schöffen Jan Schlenter
als Bürge und Kautionssteller dazu verpflichten, dafür Sorge zu tragen,
dass sein Einkommen aufgebessert werde.
Wörtlich schrieb der Pastor: «Herr Drossardt und gerichte hiemit zu
wissen, wie ich nunmehr in das funfte Jahr den nachparen von Radere
unnd Neudorp bedienet gewesen unnd den Kirchendienst vertretten habe,
aber die Competenz (= Einkommen) geringh und auch die bezahlung
gar schlecht ist, als (= also) ist mein demutiges begerren an herr Drossardt
und gerichten gemelt, als nemblich die Summa von funf und dreissig
einen (?) halben Reichth(ale)r ungefehr, so will (= so viel) die auflagh
dere funff jahre, meiner bedienungh bedraegen thun, fur welche Sr
Wilhelm van Schwarthenbergh unnd johan Schlinter Scheffe an Statt
der ganzen nachparschaff sich verschrieben und angelopt haben. Damit
ich aber zu meine geburliche bezaehlung kome, als(o) beger ick abermahl
L. L. wollen sich gelieben lassen, mir eine gerichtlichen Tax framtwilligh
zy Communiciren und mitzentheile dan der der Altar dienet muss auch
von altar leben, soo ist auch arbeiten seines lohns wirdigh hiemit
geschieht wie oben.
L. L. Diener
Adamus Capperen, Pastor Raederen“
Das Walhorner Gericht entsprach dem Wunsch des Bittstellers und
verpflichtete den Junker von Schwarzenberg und den Schöffen Schlenter
„dass sie dafür Sorge tragen, dass dem gen. Herrn Pastor und
Kirchendiener Genüge getan und er bezahlt werde“.
Die Kopie trägt das Datum „Walhorn, den 14. Juni 1633". Wie aus einem
weiteren Urteil in dieser Streitsache ersichtlich, ist hier wohl „1632" zu
lesen.
Die zur Zahlung verpflichteten beiden Raerener, die sich für ihre
Mitbürger „verschrieben (= verbürgt) und „angelopt“ (= das Versprechen
gegeben) hatten, zeigten sich jedoch nicht zahlungswillig, so dass Pastor
Capperts beim Gericht nachhaken musste. Die Verfügung des Gerichtes
werde nicht befolgt, so der Pastor, und er sei weiterhin „gepriveert van
sijn betaelinge ende verdiende Loon“. Das Gericht rief deshalb am 27.
September 1632 den beiden Beklagten ihre Verpflichtungen nochmals
ins Gedächtnis; ob mit Erfolg, ist nicht belegt.
Adam Capperts sieht sich als „Pastor“ von Raeren und Neudorf.
79
Von den unmittelbaren Nachfolgern des Adam Capperts im Amt des
Raerener Seelsorgers wissen wir nur sehr wenig.
Heinrich Hochstein, den Pastor V. Gielen „um 1648" ansetzt, war, wie
schon gesagt, noch 1658 im Amt. Pfarrer Gielen fand im Heiratsregister
der Aachener Pfarre St. Peter eine Eintragung, der zufolge der „Pastor“
an der Kirche zu Titfeld am 29. Juni 1648 einem seiner Pfarrkinder die
Erlaubnis zur Eheschließung vor dem Pfarrer von St. Peter gab. Titfeld
wird als „Pfarre“ bezeichnet. Am 5. Juli 1658 unterschreibt der Raerener
Seelsorger mit „Henricus Hochstein, pastor in Titfelt“ eine
Empfangsbescheinigung über ein halbes Schwein für „verlauffene (=
abgelaufene, fällige) Kirchenpacht“. Auch hier fällt auf, dass der
Seelsorger sich „Pastor“ nennt.
Pfarrer Vanden Daele geht nur ganz kurz auf diesen „gewissen Heinrich
Hochstein“ ein, von dem er vermutet, dass ihn die Raerener, wie später
im Falle von Pfarrer Großmeier, „abgesetzt oder weggejagt“ haben. Die
Kläger schwiegen sich zu diesem Seelsorger vollständig aus.
Auch Johannes Graaß, der aus Luxemburg stammte und durch die
Prozessunterlagen 1678 als Seelsorger in Raeren belegt ist, nannte sich
„Pastor“.
Am 16.4.1678 bescheinigen Wilhelm Voets, Pastor von Walhorn, Cor-
nelius Matthaei, Pastor von Eynatten, und Johannes Longuehaye, Pastor
von Kettenis, dass Johannes Graaß, seit der Zeit, dass er aus Lüttich
zurück gekommen sei, d. h. seit dem 3. März, nicht mehr in ähnliche
Verfehlungen gefallen sei wie diejenigen, über die die Pfarrkinder sich
beklagt hatten, dass er im Gegenteil sein Amt sehr gut ausgeübt habe, so
dass es nicht zweifelhaft sei, „dass er in Zukunft ein nützlicher Pastor
und Diener der Kirche sein wird“.
Der Pfarrer von Walhorn bescheinigt zudem, dass er durch den Herrn
von Schwartzenberg für die Beichte nach Raeren gerufen worden sei,
wo er die Kirche visitiert habe. Diese habe er „genügend geziert und die
liturgischen Gegenstände gut sauber vorgefunden“. (Aus diesem Bericht
von Pfarrer Wilhelm Voets schließt sein Nachfolger Vanden Daele, dass
der Walhorner Pfarrer in Raeren Funktionen ausgeübt hat, die mit seiner
Eigenschaft als Pfarrer zusammen hingen. Die Raerener waren hingegen
der Meinung, es hätte auch ein anderer Geistlicher durch den Herrn von
Schwartzenberg gerufen werden können).
Auch eine große Anzahl Raerener Bürger bescheinigen ihrem Seelsorger,
dass er seit der Rückkehr aus Lüttich, „in kein fähler (Fehler), darvon er
angeklagt ist gewesen, kommen oder gerathen seye, sondern sein Dienst,
80
wie es einem redlichen pastorn gebürt und zusteht aussgerichtet und
volbracht habe“.
Dies unterschrieben eigenhändig bzw. mit Handzeichen Wyllem
Weyllems der junge, Frans Kochs, Johann Bertemss Deuster, Hoppert
der Wal, Collas Roderbourgh, ...Kannebecker, Peter Mennicken, Willem
Kalff der junge, Claes Emonts, Cornelis Kisteman, Steven Karls, Krein
Connigs J(ung), Krein Conigs Alt, Bertroff Scheyff, Willem Kuper, Arnet
Kreits, Gilles Ements botz, Lenart Momber holley Jungh, Lennart
Mennicken botz, Jan Mennicken botz,... Wick sowie vier weitere
Einwohner, deren Namen unleserlich sind. $
Johannes Graaß war, wie es scheint, wegen Alkoholproblemen in
Schwierigkeiten geraten. Hatte er deshalb seine Pfarre für einige Zeit‘
alleine lassen müssen? Oder war er nur zu einem Gespräch mit dem
Erzdiakon nach Lüttich gerufen worden?
Es wird zwar bescheinigt, dass der Pastor nach dem 3. März ein
mustergültiges Verhalten an den Tag gelegt hat. Doch er hatte auch
Gegner, die ihn beim Bischof anklagten und verleumdeten, indem sie
behaupteten, dass er sich erneut dem Trunk ergebe und sein Amt nicht
gehörig versehe.
Diese böswilligen Angriffe bewogen den Pastor dazu, sich in einem
Schreiben unmittelbar an den Bischof zu wenden. Böswilligkeit und
Feindschaft seien, so Johannes Graaß, die Triebfeder seiner Ankläger,
die ohne Wissen der übrigen Pfarrangehörigen vorgegangen seien. Diese
hätten ihnen gewiss solches Vorgehen untersagt, da es bekannt sei, dass
er seit dem 3. März seine Arbeit in der Pfarre „ehrenhaft und lobenswert“
verrichte, so wie es sich für einen guten und wahrhaften Pastor geziemt,
was auch der größere und bessere Teil der Pfarrgemeinde und vor allem
alle wichtigen Persönlichkeiten bezeugen, wie auch aus beigefügtem
Schreiben zu ersehen sei. Diese sind bereit, ihre Aussage jederzeit zu
bestätigen und zu wiederholen. Sie wollen keinen anderen Pastor als
ihn und bitten darum, ihn für ein Jahr in seinem Amt zu bestätigen und
seine Rechte zu verteidigen; dies umso mehr, als die Pastöre der
Nachbarorte bescheinigen (16.4.1678), dass der Bittsteller sich ehrenhaft
benimmt sowie ein gutes Leben und Benehmen an den Tag legt. Dazu
kommen die Empfehlungen der höher gestellten Personen, die über den
Lebenswandel und die Redlichkeit des Bittstellers Bescheid wissen. Sie
klagen ihn nicht an, sondern loben ihn aufrichtig.
81
Pastor Graaß bittet den Bischof, er möge auf solche Verleumdungen
und Anklagen nicht achten und ihn, wie es der Großteil der
Pfarrangehörigen wünsche, in seinem Amt bestätigen.
Der Bischof entbietet „seinem geliebten Bruder.in Christus, Johannes
Grass“ seinen Gruß im Herrn und gibt ihm für die Dauer eines Jahres
die Erlaubnis, die Beichte seiner Raerener Pfarrkinder beiderlei
Geschlechts zu hören und die anderen Sakramente zu spenden (5. März
1677).
Pastor Graaß scheint in der Folgezeit und bis zu seinem Tode sein Amt
in Raeren ausgeübt zu haben. Er starb am 10. November 1692.
Wie die Taufregister ausweisen, waren 1692 und 1693 verschiedentlich
Kreuzherren aus dem Kloster Brandenburg in der Seelsorge in Raeren
im Einsatz.
Erst 1693 gibt sich die Raerener Einwohnerschaft mit Peter Jakob
Großmeyer aus Aachen (geb. 1665) einen neuen Seelsorger, den sie dem
Bischof von Lüttich zur Ernennung vorschlägt. Am 24.4.1693 erhält
Peter Jakob Großmeier vom Erzdiakon für den Condroz gegen Zahlung
von 24 Gulden und nach geforderter Eidesleistung die notwendige
Ernennungsurkunde. Der neue Pfarrer ist besonders durch sein 1693
angelegtes Einwohnerverzeichnis („status animarum“) von Raeren und
Neudorf bekannt.
Pfarrer Großmeyer hatte seine Einsetzungsurkunde vom Bistum „an der
Kapelle von Raeren und Neudorf unter Walhorn“ erhalten.
Vanden Daele interpretierte: Unter Walhorn = in der Pfarre Walhorn.
Die Raerener verstanden diese Formulierung als gleichbedeutend mit
„in der Bank Walhorn gelegen“. Vielleicht, so meinen die Raerener, sei
diese Formulierung in alten Registern zu finden gewesen; sie könne indes
den Kern der Sache nicht ändern.
Pfarrer Großmeyer blieb nur fünf Jahre im Amt und wie seine Vorgänger
bezeichnete er sich als „Pastor“.
Am 30. November 1698 kam es zur Wahl eines neuen Pfarrers für den
Doppelort Raeren-Neudorf, nachdem zwischenzeitlich wieder das
Kloster Brandenburg Aushilfe geleistet hatte.
Das Protokoll der Wahl des Ägidius (Gilles) Momber als Pfarrer ist
erhalten. Das in brabantischer Sprache verfasste Dokument ist auch für
die Raerener Familienforschung von Interesse. Wir bringen es in
Übersetzung.
„Da die Pfarrstelle von Raeren und Neudorf vakant ist und zur Ehre
Gottes und zu unserem Seelenheil besetzt werden muss, hat der Herr
82
dieser Bank oder sein Beauftragter die Bewohner von Raeren und
Neudorf am 30. November 1698 in der Kirche hierselbst dazu eingeladen,
sich nach dem Mittag im Hause der Witwe Krein Pesch zu versammeln,
wo ein jeder, der hier wohnt oder fähig ist, seine Stimme oder „voeten“
(= frz. vote = Wahl) einem anderen Fähigen zu geben, der uns den heiligen
Dienst als Pastor oder Desservitor tun soll; so haben dem zufolge die
Unterschriebenen ihre Stimme und Wahl dem Ehrwürdigen Herrn
Aegidius Momber gegeben, der von seiner geistlichen Obrigkeit die
Erlaubnis erhalten hat, (das Kloster zu verlassen, um) seine Eltern zu
unterhalten. .
So geschehen zu Raeren, am 30. November 1698 im Hause wie
vorgenannt, und zur Ehre Gottes und unser aller Seelenheil. War‘
unterzeichnet („Zeichen“ bedeutet, dass der Betreffende nicht schreiben
konnte und mit „Handzeichen“, einem Kreuzchen, unterzeichnete):
Bruder Laurentius Emonts von Brandenburg, W. von Wicherding, Jan
Ertz, Johannes Emondts gass, W. Emonts drisch, Crein Connigs, J. Kittel,
Wiellem Keuffer, Gerard Schonmecher (in Abwesenheit meines Vaters
Jan Schonmecher), Willem Emonts holley, Jan Emonts alt, Emond
Emonts gass.
Dies ist das Zeichen (+) von Jacob Radermecker, Baltes Cruz, Zeichen
+ von Jan Fanck (?) berg, Zeichen (+) von Teves Peusken, Emont Emonts
dreisch, ..........Radermecher, Henderich Schüntt (Schunck?), Emond
Emonts berg, ...... Mennicken, Gilles Emonts gass, Hauwert Mennicken
botz, Gerard Schonmecher, Peter ....., J. Mennicken driesch an Stelle
seiner Mutter, Johannes Kersgen im Namen meines Vaters, Zeichen +
von Hupert Moll, Willem Emonts becker, Gilles Emonts brewer, Zeichen
+ von Jacob Jacque berg, Zeichen + von Jacob Moll, Zeichen + von
Mathes Holzbecker, Heindrich Emonts, Zeichen + von Cornelis Wellix
(auch Weylinck geschrieben), Zeichen + von W. Crin pesch,.....Lautter,
Peter Rotheut, Peter Clengen in den Nam van meine Mutter, Zeichen +
von Jan Wirnusch, IMH, Jan Kreidt Jung, Zeichen + von Jan Zanders,
Emond Emonts brand, Emont Emonts botz, Willy Roderburch, Jan
Emonts bach, Jan ....., Jan Pesch, Jan Emonds becker, Zeichen + von
Jan Pacque platz, Lennert Menicken holley, Jan Schlenter in nam van
meyner Motter, Zeichen + von Jan Roderborgh, Zeichen + von Merten
Crott in nam der Moeder, Lennert Lorintt, Zeichen + von Anna Schöff
in nam sin Moeder, Jan Schauff, Gerard Luth, Cathrin Klein, Zeichen +
von Hermann Laschet,......., Jan Mennicken botz, Zeichen + der Witwe
83
Teuves Mees, Geert Crutz, Welter Koch in nam van meyn Muter, Zeichen
+ von Tonis Ertz, Claus Emonts butz, Zeichen + von Hermann Schlenter.
Heute am 30. November ist die Versammlung zur Wahl eines Pastors
geschlossen worden. Zur Wahl standen der ehrwürdige Herr Petrus
Großmeyer und der ehrwürdige P. Ägidius Momber. Und dieses sind
die für den ehrwürdigen Herrn Ägidius Momber abgegebenen Stimmen:
insgesamt 70, sage: siebzig, und wird hiermit abgeschlossen.
So geschehen wie oben. Gez. M. Emontz.
Darunter stand: „Wir unterzeichnete Geschworene (= Bürgermeister)
von Raeren und Neudorf erklären und bescheinigen hiermit, dass der
Herr Peter Jacob Großmeyer an dem zur Wahl eines Pastors angesetzten
Tag „nicht mehr als sieben oder acht Stimmen erhalten hat“.....(Es blieb
die Möglichkeit, auch noch nach diesem besagten Tag seine Stimme für
den einen oder anderen Kandidaten abzugeben).
Unterschrieben hatten das Wahlprotokoll für Neudorf die beiden
Bürgermeister, Jacob Kittell und Crein Connigs, und für Raeren
Bürgermeister Jan Erz und Emondt Emonds als Stellvertreter des
Bürgermeisters Jan Emonds gass.
Am 11. Dezember meldeten sich noch einige Bürger, die am Wahltag
nicht hatten anwesend sein können und die vernommen hatten, dass am
besagten Tag die Raerener den ehrwürdigen Herrn Ägidius Momber zum
Seelsorger „in onsere Keirspell (Kirchspiel) alhier tot Raeren ende
Neudorp“ gewählt hatten. Sie gaben zu Protokoll, dass auch sie denselben
als ihren „allgemeinen Seelsorger“ anerkennen und zwar aus dem
Grunde, dass derselbe „Heir Mommber“ (Herr Mommer) ihnen bestens
bekannt sei und sie ihn schon lange als fähig befunden hätten. In der
Abschrift ist nur die Unterschrift (Handzeichen) des Gilles Pesch
erhalten.
Der Walhorner Pfarrer Vanden Daele betrachtet die Wahl des Ägidius
Momber als „vorgeblich“. Der Erzdiakon habe diesem Geistlichen eine
Ernennungsurkunde, wie es sich bei einem wirklichen Pastor gehöre,
wohl „weder geben können, noch geben wollen“. Im Gegenteil, er habe
die Wahl und die Präsentation für so ungültig („invalide“) gehalten, dass
er die Worte gebrauche: „Wir haben ihm den Dienst und die Seelsorge
anvertraut, bis wir ihn abberufen (usque ad revocationem nostram). Eine
Ernennungsurkunde, wie die des Karmeliters Momber, habe es im Bistum
Lüttich noch nicht gegeben!“
Die Formulierung „bis wir ihn abberufen“ deuten die Raerener so,
dass der Erzdiakon möglicherweise daran gezweifelt hat, ob er einem
84
Ordens- oder Klostergeistlichen eine „weltliche“ Pfarre anvertrauen
dürfe. Auf keinen Fall aber habe diese Formulierung etwas am Status
von Pfarrer Momberts geändert, der 30 Jahre lang und bis zu seinem
Tode im Jahre 1728 die Pfarrstelle unbehelligt besessen habe. Auch
bemerken sie, dass der damalige Pfarrer von Walhorn, Wilhelm Caproens,
bei der Einführung von Pfarrer Momberts als Zeuge anwesend war, was
er gewiss nicht getan hätte, wenn er der Meinung gewesen wäre, hier
werde jemand in eine nicht bestehende Pfarre oder in eine von Walhorn
zu vergebende Pfarrstelle eingeführt. Auch bei der Einführung von Pfarrer
Tilmann Ganser (1728) sei der Walhorner Pfarrer Heinrich Henuse als
Zeuge anwesend gewesen.
Peter Jakob Großmeyer, obwohl nicht mehr Pastor von Raeren, nimmt
am 30.10.1698 noch eine Taufe vor und bezeichnet sich in der Eintragung
als „Ex-Pastor“. Dass er so wenig Stimmen bei der Pfarrerwahl
bekommen hatte, lag wohl daran, dass er gar nicht mehr bleiben wollte
und ein Kanonikeramt in Worms angenommen hatte und nicht, wie
Pfarrer Vanden Daele hämisch bemerkt, weil die Raerener ihn
hinausgeschmissen („affgedanckt ofte weggejaegt“) hätten. Der
Walhorner Pfarrer bemängelt des öfteren, dass die Seelsorger in Raeren
auf Gedeih und Verderb von der Bevölkerung abhängig seien.
Über seine Einführung als neuer Pfarrer in Raeren schreibt Ägidius
Momber:
„Am Vorabend des Festes des hl. Kirchenpatrons der Raerener Kirche,
d. h. des hl. Nikolaus, bin ich hier eingeführt worden durch die
Ehrwürdigen Herren
Pastor und Vizedechant von Lontzen,
Pastor von Walhorn,
Laurentius Emonts, Regular-Kanoniker des Ordens vom hl. Kreuz.“
Der Pfarrer unterschreibt mit „Bruder Cornelius a Sto Augustino, alias
Ägidius Momber, Kaplan in Eynatten und von dort stammender
Karmeliter.“
Hauptanliegen des neuen Seelsorgers war der Bau eines neuen
Gotteshauses. Die Einwohnerzahl von Raeren und Neudorf war seit dem
letzten Kirchenbau von 1616-1628 erheblich angestiegen und die Kirche
somit zu klein geworden. Doch auch der bauliche Zustand ließ sehr zu
wünschen übrig.
Am 25.4.1719 legte man dem Bischof von Lüttich im Konsistorium ein
Schreiben des Raerener Seelsorgers vor, in dem es heißt:
85
„...erkläre ich demütigst, dass meine Pfarrkirche in Raeren, im Herzogtum
Limburg dem Ruin sehr nahe ist (ruinae proxima“); deshalb hat auf mein
Drängen hin die Gemeinde sich entschlossen — da die alte Kirche, weil
zu klein, das Volk nicht fassen kann — sie zu vergrößern (ampleare) und
von neuem aufzubauen (noviter aedificare), doch wegen der örtlichen
Lage (situationem loci) ist das nicht anders möglich, als mit der Fassade
nach Norden, wie bei den Karmelitern in Aachen und den Kapuzinern
in meiner Nähe, in Eupen, wozu ich hiermit die Ausnahmegenehmigung
demütigst erbitte.
Da wohl 10 oder 20 Fuß ungeweihter Erde am Kopf der Kirche,
desgleichen auf dem Friedhof an einer Seite 6, an der anderen vorne
mehr oder weniger 20 Fuß ungeweihter Erde hinzukommen, bitte ich
untertänigst, diese Fläche einfach segnen zu dürfen.
Ich bitte schließlich auch, an einem „altare portatile“ die Messe feiern
zu dürfen, bis die Gemeinde mit den Arbeiten so weit ist, dass alles in
feierlichem Ritus durchgeführt werden kann.
Der Ehrwürdige und Illustre Herr möge mir glauben, dass meine
Pfarrkinder wahrlich arme Töpfer („vere pauperes figuli“) sind, die mit
viel Arbeit und Schweiß (summo labore et sudore) ihr Brot zu verdienen
gezwungen sind.“
Am 9. Mai 1719 erteilte der Generalvikar von Lüttich die erbetene
Genehmigung.
Auf der anderen Seite der Eingabe von Pfarrer Momber stand zu lesen:
„Am Sonntag, der dem St. Markusfest folgt, d. h. am 30. April, findet
hier eine feierliche Sakramentsprozession unter großer Beteiligung des
Volkes statt; nach der Feier werde ich alle dazu aufrufen, für Ihre ewige
Belohnung im Himmel auf den Knien, einstimmig und einmütig, ihre
Gebete zu Gott zu schicken.“
Mit dem Bau der neuen Kirche nach den Plänen des Aachener
Stadtbaumeisters Laurenz Mefferdatis wurde 1719 begonnen.
Ägidius Momber betrachtete sich nicht als Kaplan, sondern als Pfarrer
von Raeren und Neudorf. In einem Schreiben an den Bischof vom 5.
Oktober 1706 machte er darauf aufmerksam, „dass in der Pfarre Raeren,
die an der Grenze der Diözese Lüttich und nahe dem zur Erzdiözese
Köln gehörenden Münsterland gelegen ist, die beiden schadhaften
Glocken umgegossen worden sind und neu geweiht werden müssen.
„Und da die arme Pfarre zwischen Bergen, Felsen und Wäldern gelegen
(„inter montes, rupes et sylvas situata“) und von armen Töpfern bewohnt
ist, die für den Umguss der Glocken eine Kollekte gehalten haben und
86
andere Auslagen zu tun nicht im Stande sind, bitte ich Sie untertänigst,
in Ihrer angeborenen Güte und Barmherzigkeit, mir, dem Pfarrer, und
dem Ehrwürdigen und Erlauchten Generalvikar von Hennesthal sowie
dem Ehrwürdigen und Erlauchten Erzdiakon des Condroz, Herrn von
Stockheim, die Genehmigung zur Weihe der Glocken zu erteilen.“
Auf der Rückseite stand: „Mein Ew. und Erlauchter Herr erteilt dem
Bruder Momber, Pfarrer in Raeren, auf dessen Bitte hin die
Genehmigung, dieses eine Mal 2 große und 2 kleine Glocken zu weihen.“
Auf Ägidius Momber folgte als Seelsorger in Raeren Tilmann Ganser
aus Breinig. Den 15 Punkte umfassenden Anstellungsvertrag vom 20.
Juni 1728 haben wir in dieser Zeitschrift Nr. 21 (Aug. 1977), S. 87-88,
veröffentlicht. Wie damals üblich, werden in diesem Vertrag die Rechte
und Pflichten des neuen Pfarrers im Einzelnen festgelegt. Die hl.
Sakramente muss er gratis spenden und nur bei Taufen, Trauungen und
Beerdigungen stehen ihm Stolgebühren zu. Für die übrigen
Seelsorgedienste wird der Gemeindeeinnehmer ihm jährlich aus der
Gemeindekasse 26 Aachener Mark bezahlen.
Der Pastor hat freie Wohnung, muss aber „das Pfarrhaus und frühere
Bauten, wie auch das Haus zu Titfeld, das der verstorbene Herr von
Wicherding für ein Pfarrhaus (Kaplanei) geschenkt hat, mit der darauf
stehenden Belastung auf seine Kosten gehörig unterhalten und reparieren,
sowohl, was das Dach betrifft, als das andere“.
Interessant ist auch, dass der Vertrag, wie im Falle von Adam Capperts,
die Naturalabgaben erwähnt, die einen festen Teil des Pfarrereinkommens
bilden. Jeder Pfarrangehörige hatte dem Pfarrer nach seinem Vermögen
Eier, Fleisch oder Käse zu geben. „Im Falle, wo kein Fleisch abgegeben
wird, muss der Pfarrangehörige dafür sieben Mark zahlen; für den Käse
drei Mark und für die Eier zwei Mark. Die Armen, welche weder Fleisch,
noch Eier, noch Käse abliefern können, sind davon befreit.“
Als „Pastor von Raeren und Neudorf“ wurde Tilmann Ganser am 9. Juli
1728 durch den Erzdiakon des Condroz gegen Zahlung der fälligen
Gebühren ernannt.
Unbehelligt („vredelijk“) übte der Raerener Pastor sein Amt beinahe 50
Jahre aus. Ganz besonders weisen die Raerener darauf hin, dass Pastor
Ganser während 40 Jahren den Walhorner Pfarrer Vanden Daele als
Amtsbruder in der Nachbarpfarre hatte und Letzterer ihn zu keiner Zeit
in der Ausübung seines Amtes gestört habe.
Der Walhorner Pfarrer findet, der Anstellungsvertrag des Tilmann Gan-
ser sei lächerlich („ridicule“); man habe in Raeren dem diensttuenden
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Geistlichen das zugewiesen, was man für gut befunden habe. Man habe
ihm vorgeschrieben, wie und in welcher Manier er sich in der Ausübung
seines Amtes aufzuführen habe. Die Raerener bestimmten über das, was
ihr Seelsorger benötige, wie man am Beispiel des Pfarrhauses sehen
könne. Vanden Daele verurteilt scharf die „unerhörte Handlungsweise“
der Raerener Bevölkerung.
Den gesamten Streitfall fasste der Pfarrer polemisch in folgenden Worten
zusammen:
„.. dass ihr gesamtes Vorgehen hierin gipfelt, dass sie behaupten, das
Recht zu besitzen, Mietlinge oder Söldner anzustellen, um diese zu
Pfarrern zu machen. So handeln sie gegen ihre eigenen Interessen und
vermehren die Missbräuche, statt ordentliche Wege einzuschlagen, die
durch die förmliche Errichtung einer Pfarre nur zu ihrem Vorteil führen
könnten.“
Der Pfarrer war auch der Meinung, die Raerener hätten schon lange
ihren falschen Weg verlassen, wenn „ihr Herr Haveniet nicht den Stock
ins Rad stellte“.
Aus den Unterlagen geht hervor, dass der genannte Herr Haveniet in
Raeren als Notar fungierte und die Interessen von Pfarrer und Gemeinde
vertrat. Der Walhorner Pfarrer könnte sich eine Beilegung des Streites
durch eine Volksversammlung vorstellen, so wie dies im nahen Montzen
in einem Streitfall zwischen dem dortigen Pastor und den „Regierenden“
geschehen sei.
Auch wenn die Kläger sich auf fünf auf einander folgende
„Präsentationen“ (Vorschläge) von Seelsorgern und darauf erfolgte
Ernennungsurkunden („brieven van institutie‘“) berufen und so tun, als
ob sie noch mehr solcher Dokumente vorweisen könnten, so hat dies
nach Meinung des Walhorner Pfarrers keinerlei Beweiskraft, denn die
Kläger übersehen, dass der absolut notwendige Akt der Pfarrerhebung
nicht stattgefunden hat.
Die in Raeren vorliegenden bischöflichen Ernennungsurkunden waren
tatsächlich ein gewichtiges Argument, das die Raerener für ihre schon
lange bestehende Unabhängigkeit von Walhorn ins Feld führen konnten.
Als weitere Argumente führten die Raerener an:
- das Alter der Kirche. „Sie war 1719 schon so alt, dass man eine
neue errichten musste“, schreiben die Kläger. Wir wissen, dass
mindestens zwei Vorgängerbauten bestanden haben, von denen
der Ältere 1612 durch Brand zerstört wurde. Die Existenz eines
88
Gotteshauses ist jedoch für sich allein genommen kein Beweis
für die Selbständigkeit einer Kirchengemeinde.
- Die Glocken. Diese waren 1706 „bedorven ende gebroken“, so
dass ein Neuguss notwendig war. Dabei heben die Raerener
besonders hervor, dass man von zwei Glocken spricht, was auf
eine Pfarrkirche, nicht auf eine „simple Capelle“ hindeute.
- Taufstein und Friedhof. Die Kirche von Raeren besitze seit
„unerdenklichen Zeiten“ einen eigenen Taufstein und einen
eigenen Friedhof. (Leider sind die alten Grabsteine, die wohl
einiges zum Alter des Friedhofs aussagen könnten, nicht mehr
erhalten).
- Die Pfarrgrenzen. Seit jeher hat die Pfarre Raeren und Neudorf
feste Grenzen und Grenzsteine („limiten ende paelen“) besessen
und alle binnen dieser Grenzen lebenden Menschen gehörten
zur besagten Pfarre.
- Die seelsorglichen Handlungen. Innerhalb der genannten
Grenzen sind die seelsorglichen Handlungen und kirchlichen
Dienste ausschließlich vom Pfarrer von Raeren verrichtet
worden. Dieser hat ausschließlich und allein in seiner Pfarrkirche
alle Sakramente gespendet, getauft, beerdigt, die Beichte gehört,
die Kommunion und die hl. Ölung gespendet und den Trausegen
gegeben. In seiner Kirche haben die Raerener „ihre Ostern
gehalten“. Weder der jetzige Pfarrer von Walhorn, noch dessen
Vorgänger haben aus eigener Autorität seelsorgliche Funktionen
in Raeren ausgeübt. Es würde Pfarrer Vanden Daele wohl sehr
schwer fallen, das Gegenteil zu beweisen.
- Das Einkommen. Es geht aus den Dokumenten hervor, dass die
Kirche von Raeren schon 1606 „gute Renten und Einkommen
hatte“.
- Das Amt des Pfarrers. Dieses haben die Raerener seit
unerdenklichen Zeiten als Amt eines Pfarrers („als eene
pastoreye“) vergeben. Dem Erzdiakon in Lüttich haben sie den
Seelsorger als Pfarrer vorgeschlagen und dieser erhielt daraufhin
die Ernennungsurkunde („brieven van investituur“ bzw.
„institutie“). Dafür gibt es klare Belege und Dokumente.
- Es hat gewiss noch mehr Ernennungen bzw.
Einsetzungsurkunden gegeben, doch sind diese wohl in Zuge
der Kriege und Plünderungen, unter denen Raeren zu leiden
hatte, verloren gegangen. Die vorliegenden Dokumente genügen
89
jedoch vollends, um das Recht der Kläger zu belegen und sie in
diesem Recht zu schützen. Es ist sogar so, dass solche
Dokumente, wenn sie einen gesetzlich vorgeschriebenen
Zeitraum abdecken, das Vorschlagsrecht begründen. Das Konzil
von Trient setzt einen Zeitraum von nur 50 Jahren, in dem das
Vorschlagsrecht ununterbrochen ausgeübt worden sein muss. Die
weltlichen Herrscher haben jedoch diese Bestimmung des
Konzils im Falle eines weltlichen Vorschlagsrechtes nicht einfach
übernehmen wollen. Was die Kläger vorweisen können, sind
die Belege dafür, dass sie das Vorschlagsrecht ihrer Seelsorger
über eine Zeitspanne von weit mehr als 50 Jahren ungestört
ausgeübt haben. Allein daraus ergäbe sich schon ein
Gewohnheitsrecht. Der Pfarrer von Walhorn kann dem nichts
anderes entgegen halten, als die Forderung, man möge ihm den
urkundlichen Beleg für die Erhebung Raerens zur Pfarre bringen.
Ohne eine solche Pfarr-Erhebung könne keine Seelsorgerstelle
und kein Vorschlagsrecht (ius patronatus) bestehen oder
angenommen werden.
- In der ganzen Provinz Limburg gibt es wohl keine zehn
Pfarrkirchen, die eine Urkunde der Pfarr-Erhebung beibringen
könnten. Hat der Pfarrer von Walhorn eine solche Urkunde
vorzuzeigen? Er kann wahrscheinlich auch nur darauf verweisen,
dass seine Kirche seit Jahrhunderten den Rang einer Pfarrkirche
besitzt und von allen als solche angesehen worden ist.
- Nehmen wir an, Raeren sei vor einigen hundert Jahren Teil der
Pfarre Walhorn gewesen. Daraus folgere keineswegs, dass der
Ort noch immer als von Walhorn abhängig zu betrachten sei. Es
genügt, dass Raeren und Neudorf seit mehr als hundert Jahren
eine Pfarrkirche besitzen, genau wie die von Walhorn, eine
Pfarrkirche, in welcher, genau wie in Walhorn, die Sakramente
gespendet werden; es genügt zu sagen, dass Raeren und Neudorf
seit unerdenklichen Zeiten einen Pfarrer besessen haben, der
nach kirchlichem Recht eingesetzt worden ist und der, nach
kanonischem Recht, genau dieselbe Jurisdiktion über seine
Pfarre ausübt, wie dies der Walhorner Pfarrer in Walhorn tut.
- Die ununterbrochene Reihenfolge von Pfarrer-Ernennungen
zeigt, dass eine Erhebung zur Pfarre stattgefunden haben muss
und dass damals alles geschehen ist, „um eine wirkliche Pfarre
zu werden“. Auch wenn man wohl infolge von Kriegen und
90
Plünderungen keine diesbezügliche Urkunde mehr besitze,
werde doch nach den Grundregeln der Rechtsprechung
vorausgesetzt, dass eine solche Urkunde bestanden habe. Das
„System“ des Walhorner Pfarrers, auf eine Urkunde der Pfarr-
Erhebung zu bestehen, führe dazu, dass nichts mehr sicher sei
im menschlichen Zusammenleben und alles in Unordnung
gebracht werde. Die meisten Pfarrkirchen des Herzogtums
Limburg würden in diesem Falle zu bestehen aufhören, obwohl
sie vielleicht drei- oder vierhundert Jahre als Pfarrkirchen
angesehen worden sind und entsprechende Rechte genossen
haben. Ein unruhiger Geist, wie der Pfarrer von Walhorn einer
sei, werde sagen, diese Kirchen seien als Kapellen zu betrachten
und zwar so lange, wie sie keine Urkunde der Pfarr-Erhebung
vorlegen können. Damit würde ein ganzes Land in Streit und
Verwirrung gestürzt.
- Man könnte, folgte man der Argumentation des Walhorner
Pfarrers, auch von den Fürsten und Herrschern verlangen, sie
sollten die Urkunde vorzeigen, die ihre Besitzansprüche auf
Staaten und Länder rechtfertigen, was jedoch häufig unmöglich
wäre. Man könnte sagen, ihr Tausend und mehr Jahre
zurückreichender Besitz beruhe auf Usurpation. Doch die
Rechtsgelehrten sind sich einig, dass man die Grundgesetze des
Staates erschüttern würde, wollte man die Besitzverhältnisse bis
an ihren Anfang zurück verfolgen, um aufzuzeigen, dass zu
Beginn Ungesetzlichkeiten begangen worden sind.
- Der Rechtsgelehrte Camus sagt dazu: „Wenn ein Pfarrer oder
ständiger Vikar um das Existenzminimum bittet, so wäre es
schikanös, wollte man von ihm die Urkunde verlangen, die sein
Amt begründet... Es genügt also, den Besitz festzustellen, dies
jedoch durch untrügliche Beweise. Ein Taufstein, ein Friedhof,
die Grenzen des Seelsorgebezirks sind keine klaren Zeichen,
denn sie können sowohl auf eine Pfarre wie auf eine Filialkirche
hinweisen. Es müssen mehrere Einsetzungen in das Benefizium,
mindestens drei, über einen Zeitraum von 40 Jahren
stattgefunden haben, woraus hervor geht, dass das Benefizium
als Pfarre übertragen worden ist.“
- Im Falle von Raeren und Neudorf ist es so, dass die Kläger sich
nicht auf doppeldeutige Zeichen wie Taufstein etc. stützen, um
ihre Rechte zu verteidigen; sie weisen vielmehr darauf hin, dass
91
über hundert und mehr Jahre 5 Geistliche die
Ernennungsurkunde als Pastor von Raeren erhalten haben, ganz
zu schweigen von denjenigen, die in der vorauf gegangenen Zeit
dort eingesetzt worden sind.
- Der Rechtsgelehrte Dunod sagt: „Von allen Belegen der
Zivilgesellschaft ist der seit jeher bestehende Besitz der
sicherste.“
- Die Größe der Pfarre. Raeren sei mehr als doppelt so groß wie
Walhorn und auch die Zahl der Pfarrbewohner übersteige
diejenige Walhorns um das Doppelte. Der Pfarrer von Raeren
habe 1600 Kommunikanten und 620 Kinder, denen er als einziger
Seelsorger „die geistliche Nahrung“ geben müsse. Seine Pfarre
sei eine der schwersten der ganzen Provinz Limburg und der
Pfarrer müsse ein vernünftiges Auskommen besitzen.
Den Raerenern geht es nicht darum, in ihrer Pfarre einen untergeordneten
Geistlichen anzustellen und mit diesem, wie es der Walhorner Pfarrer
beabsichtigte, einen geringen Lohn auszuhandeln. Nein, sie möchten
ihrem Pfarrer ein Einkommen sichern, das es ihm erlaubte, in einer so
großen und beschwerlichen Pfarre seinem Stande gemäß leben zu
können.
Es sei „dorf- und landeskundig“ sagen sie, dass der Vorgänger von Pfarrer
WVincken (Pfarrer Ganser) „sehr kümmerlich und schlecht“ gelebt habe,
obwohl er noch ein beträchtliches Erbe von seinem Bruder erhalten hatte.
Ohne dieses hätte er wie ein gewöhnlicher Bauer leben müssen.
Der Pfarrer von Walhorn ist Zehntherr von Raeren in seiner Eigenschaft
als Pfarrer von Walhorn, so wie dies auch der Fall in Hergenrath war,
wo er dazu verurteilt wurde, dem dortigen Pfarrer ein genügendes
Einkommen zu zahlen oder zu dessen Gunsten auf den Zehnten zu
verzichten.
Der Pfarrer von Walhorn, so die Meinung der Raerener, handele aus
purer Lust am Prozessieren („puyre pleysucht“), gegen besseres Wissen,
und er erlaube sich, den Rechtsanwalt Havenith überall zu verleumden,
als ob dieser die Schuld am Widerstand der Raerener Bevölkerung trage.
ok
Raeren könne keine eigene Pfarre gebildet haben, so lautet das
Hauptgegenargument des Walhorner Pfarrers, denn die geringen
92
Einkommen des Geistlichen bestanden noch nicht zu der Zeit, wo man
vorgibt, schon Pfarre gewesen zu sein. Sie wurden erst nach und nach
durch Privatschenkungen gesichert. Was am Einkommen fehlte, zahlte
man aus der Gemeindekasse.
x
Weitere Prozessunterlagen zum Streit zwischen dem Walhorner Pfarrer
und den Orten Raeren und Neudorf liegen in der schon genannten
Sammlung Hetjens nicht vor. Es ist anzunehmen, dass sich dieser Streit
noch lange hingezogen und die Amtszeit von Pfarrer: Johann Anton
Vinken (1778-1795) erheblich belastet hat. Dessen Nachfolger, Johannes
Georg Reuter (1795-1805) war der letzte von der Raerener
Einwohnerschaft per Stimmzettel gewählte Pfarrer.
Pfarrer Vanden Daele starb 1788.
93
Der Lousberg bei Aachen!
(Eine Volkssage)
Der Kaiser Karl saß einst zu Rath
Zu Aachen im Palaste,
Und um ihn her stand im Ornat
Mit manchem hohen Gaste,
Prälat und Fürst aus Süd und Nord,
Erwartend ihres Herrschers Wort,
Deß er sich jetzt entlaste.
Da hub Herr Karol an und sprach:
„Mein Aachen — wie ihr schauet —
Das lang durch Krieg zerstöret lag,
Ist wieder neu erbauet.
Drin blühe nun mit Gottes Gunst
Das Handwerk und die edle Kunst,
Vom Segen reich betauet.
Doch eins noch fehlt der guten Stadt,
Trotz allem Glanz und Schimmer,
Den sie am Dom und Palast hat,
Und dies vergeß ich nimmer.
Was nützt ihr denn wohl jede Pracht,
Wenn frei der Feind sie über Nacht
Vernichten kann auf immer?
Dies Eine ist: Zu sich’rem Schutz
Zur Veste sie zu schaffen,
Daß sie dem Feinde biete Trutz
Mit Mannen und mit Waffen,
Wenn er vor ihre Thürme dringt
Und Schwert und Lanze klirrend schwingt,
Um alles zu entraffen.
' Aus dem Korrespondenzblatt des Kreises Eupen vom 25.7.1860. Der Autor führt den
Namen „Lousberg“ auf „lausiger Berg“, „kahler Berg“ zurück, weil die „jetzt so schöne
Waldeshöhe zu seiner Zeit nur ein kahler Sandberg war“. „Lousberg“ ist jedoch abgeleitet
von „Ludwigs/Louis-Berg“.
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Dieses Emailschild zierte einst das Zollamt Tülje.
Das ehemalige Zollamt „Tülje”, im gleichnamigen Ortsteil der bis
1976 selbständigen Gemeinde Neu-Moresnet angesiedelt, fand seinen
Ursprung nach dem 1. Weltkrieg, als durch die veränderte Grenzziehung
| infolge des Versailler Vertrages das frühere Preußisch-Moresnet (heute
| Neu-Moresnet) zu Belgien gekommen war.
Ss 97
Vor dem 2. Weltkrieg, in den 30er Jahren, wurde angesichts der stärker
werdenden Spannungen an der Westgrenze in direkter Nähe zum alten
Zollgebäude ein hoher Betonwall mit Schießscharte errichtet, um
eventuelle Angreifer aufzuhalten. Dahinter, in einer Holzbude, hielten
sich die Zöllner, Grenzwächter und Gendarmen zur Grenzüberwachung
an den Schlagbäumen auf. .
Zur gleichen Zeit erschwerten und verlangsamten drei Steinschickanen
die Passage auf der Straße zwischen Platzegel und Grenzposten; nur der
Tram, der Straßenbahn Aachen-Kelmis, wurde freie Durchfahrt gewährt.
Nach dem 2. Weltkrieg avancierte „Tülje” an der Nationalstraße 3 an
dem direkten Wege von und nach Deutschland gelegen, zu einer der
bedeutendsten Grenzübergangsstellen in Belgien. Von 1948 bis 1958
beschränkte sich der Grenzverkehr jedoch im Wesentlichen auf den Bus-
und Pkw-Verkehr. +
Seine Blütezeit erlebte „Tülje”, dessen etymologische Bedeutung sich
nicht einwandfrei nachweisen lässt, zwischen 1958 und 1963. Vor allem
während der Weltausstellung des Jahres 1958 war auf der
Direktverbindung von Köln über Aachen nach Lüttich und Brüssel ein
erhebliches Verkehrsaufkommen zu verzeichnen.
Mit der Eröffnung der Autobahn über Lichtenbusch, 1964, nahm auch
das Verkehrsaufkommen in Tülje ab.
In den 50er Jahren entstand in der Straßenmitte, in einem neuen
Gebäude, die bekannte Kontrollstelle für den Reiseverkehr, in der
Gendarmen und Zöllner gemeinsam lange Jahre ihren Dienst verrichteten.
Am Fuß des Aachener Stadtwaldes, am unteren Backertsweg, befand
sich das damalige deutsche Zollamt, in einer Zeit, in der „Bildchen”
unter belgischem Protektorat (General Bolle) stand. Dieses manchmal
scherzhaft „Bollenien” getaufte Gebiet ging 1958 wieder an Deutschland
zurück. Oberhalb vom Entenpfuhlerweg unterhielt der belgische Zoll
einen Vorposten.
Mit dem gewerblichen Güterverkehr, der die Grenzstelle Tülje
ansteuerte, siedelten sich etliche Verzollungsagenturen zur Bearbeitung
der erforderlichen Zollformalitäten an.
In Zusammenarbeit mit Zollbeamten und Gendarmerie diente der
Grenzposten auch als Passkontrollstelle und somit dem Aufspüren zur
Fahndung ausgeschriebener Personen. Für diese wurde Tülje, dessen
Gendarmen der Kelmiser Brigade angehörten, so auch für Belgien und
98
Deutschland viele Jahre zur offiziellen Auslieferungs- bzw. Übergabe-
stelle.
Seitens der Zollbeamten wurden der kleine Grenzverkehr sowie die
Verzollung der Lkw-Frachtgüter überwacht.
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Zoll und Gendarmerie im Einzatz bei einer Grenzkontrolle
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Am Grenzübergang Tülje 1948
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Der Ortsteil „Tülje” wurde zur Drehscheibe im Grenzverkehr, mit
einer immer größeren Ausdehnung, das Leben pulsierte, zahlreiche
Wirtschaften / Restaurants wie „Cafe de 1a Douane”, „Hotel Touring”,
„Cafe Europa Stop” siedelten sich an. Das „Cafe Pohlen” bestand schon
länger. Auch etliche bekannte Persönlichkeiten aus dem politischen und
dem sportlichen Leben sowie aus der Showbranche legten auf ihrer Reise
einen. Zwischenstop ein. Ferner ließ die Banque de Bruxelles sich im
Bauernhof Zimmer nieder, um mit den diversen Wechselstuben beim
Grenzübertritt den Eintausch der Währungen zu gewährleisten.
Außerdem belebten der Zigarettenboom und die Nachfrage nach
belgischer Schokolade viele Jahre das geschäftliche Leben.
Als 1957 für die ausländischen Fahrzeuge die „Grüne Versicherungs+
karte” eingeführt wurde, richtete „Touring Secours” im Hotel bei Klaus
Schmetz („Hotel Touring”) eine Anlaufstelle ein.
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Sogar eine eigene Fußballmannschaft hatten die Zöllner und Gendarmen
gebildet. Mal spielten die Gendarmen gegen die Zöllner, mal bildeten beide
Gruppen (wie hier) eine gemeinsame Mannschaft. Das 1971 entstandene Bild
zeigt v.l.n. 1. :
- hockend: Louis Defays (+), (Roger ?) Willems, Jacques Marchand (Inspektor),
Roger Goedert, Oscar Kinet
- stehend: Anton Fey (+), Raymond Francois, Robert Crama, Jacky Cloth,
Marcel H&las, unbek.
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| Ferner sicherten drei Tankstellen, nämlich Heinz Schreul, Peusgen
und Thaeter, im Bereich des Zollamtes die Kraftstoffversorgung der
Reisenden.
Lebensmittel und mehr gab es bei Lavalle. Als Traditionsgeschäft darf
| die von Nicolas Wertz betriebene Bäckerei nicht unerwähnt bleiben. Das
angegliederte Kolonialwarengeschäft wurde in der 4. Generation bis zur
Schließung Ende 1996 von den Töchtern Emma, Angela und Elisabeth
Wertz weiter geführt.
| Das Brot mit der geschätzten Geschmacksnote wurde im großen
Holzbackofen gebacken, der mit 75 Brotlaiben beschickt werden konnte.
Noch bis 1953 wurden die beliebten Backwaren beim Haus-zu-Haus-
| Verkauf mit Pferd und Karre, später mit dem Automobil ausgefahren.
/ Beim Bauer Nikolaus Zimmer gab es dagegen frische Eier und Milch.
In seiner Blütezeit verdienten bis zu 200 Personen am Grenzposten
„Tülje” ihren Lebensunterhalt. Jeder kannte jeden, es herrschte eine
kameradschaftliche Atmosphäre. Auch viele Feste wurden an Tülje
gefeiert, in der Freizeit wurden zwischen den Zöllnern, Gendarmen und
den Angestellten der Zollagenturen Fußballturniere ausgetragen.
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An den Grenzen unseres Landes, auch auf Tülje, wurde auf die
Brüsseler Weltausstellung 1958 aufmerksam gemacht. Die Aufnahme wurde
vom Ansichtskartenverlag Nelis hergestellt.
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Das «Cafe de la Douane» lag an der Lütticher Straße, an der Abzweigung
der Zufahrt zum Firmengelände Bruch.
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Der Kontrollstand von Zoll und Gendarmerie bildete eine Verkehrsinsel.
103
Vielen wird auch nicht unbekannt sein, dass die größten und
bekanntesten Zirkusunternehmen über Tülje ausreisten und ihren
Aufenthalt zu einer Vorstellung in Kelmis nutzten.
Mit dem Wegfall der Grenzen im europäischen Verbund (1992) ist es
auf „Tülje” still geworden. Noch kurz vor dem Fall der Grenzen hatte
man große Stellplätze für Lkw’s angelegt. (Es war im Büdget
vorgesehen!). Häufig mussten die Fernfahrer wegen des Wochenend-
Fahrverbotes auf deutschen Straßen am belgischen Zoll bis sonntags
abends 22 Uhr warten, ehe sie weiterfahren durften.
In dem Zusammenhang sei auch noch erwähnt, dass der Warenverkehr
aus der ehemaligen DDR und anderen Ostblockstaaten vorwiegend über
Tülje lief und dort durch das Verzollungsbüro der Fa Ziegler abgefertigt
wurde.
Die Kontrollbude und die Holzbuden der Zollagenturen, die das Bild
von „Tülje” prägten, sind verschwunden.
Für viele, die über viele Jahre das Leben auf Tülje miterlebten, bleiben
nur noch nostalgische Erinnerungen übrig an ein Stück Heimatgeschichte,
deren Ära 1992, nach über 70 Jahren Zollgeschichte zu Ende ging.
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Ganz links im Bild das „Cafe Touring“, daneben die Gulf-Tankstelle Schreul
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Zollagenturen:
Viele werden sich noch an die zahlreichen Zollagenturen an „Tülje”
erinnern, die mit dem Ausstellen der erforderlichen Antragsformulare
| zur Verzollung den gewerblichen sowie auch den privaten Warenverkehr
| erleichterten.
| Folgende Firmen waren in Tülje angesiedelt:
| Ziegler, Ghemar, Panalpina, Mond, Peusgen, Vyghen, Grayet-
| Heidner, Demonthy, Lavalle, Magemon und Kremer.
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Stellvertretend möchten wir Ihnen die Zollagentur Ziegler vorstellen,
in einer Holzbaracke untergebracht, die in den 70er Jahren noch mit
| rund 20 Angestellten, unter Leitung von Theo Peusgen, als einer der
| Ansprechpartner den grenzüberschreitenden Warenverkehr sicherte.
| Aus diesem Büro möchten wir Ihnen eine Aufnahme vorstellen.
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Das Foto aus dem Büro Ziegler entstand bei der Nikolausfeier 1975 und zeigt v. 1. n. 1:
Frau Anne Wauthelet, Irmgard Heyeres, Chantal Krickel, Sylvianne (N.N.),
Marie-Jeanne Spobeck und Yvette Bauens.
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