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Im Göhltal
ZEITSCHRIFT der ;
VEREINIGUNG
für
Kultur, Heimatkunde und Geschichte
im Göhltal
N° 8
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DEZEMBER 1970
Vorsitzender : Peter Zimmer, Kelmis, Siedlung P. Kofferschläger, 10.
Sekretärin : Frl. Georgette Xhonneux, Neu-Moresnet, Lütticher Straße, 168
Tel. 59.467
Lektor : Alfred Bertha, Hergenrath, Bahnhofstraße 20 b
Schriftleiter : Jules Aldenhoff, Gemmenich, Craborn 9 A.
Kassierer : Fritz Steinbeck, Kelmis, Kirchstraße, 20
Bankkonto 251.251 der Soci&t€ Generale de Banque, Verviers (P.S.K. 695)
Die Beiträge verpflichten nur ihre Verfasser,
Alle Rechte vorbehalten,
Entwurf des Titelblattes : Frau Pauquet - Dorr, Kelmis.
Diese Skizze zeigt den Moresneter Göhlviadukt sowie die Hergenrather
Hammerbrücke in ihrer ursprünglichen Form.
Druck. : Jacques Aldenhoff, Gemmenich.
Vorwort
Mit Bedauern legen wir diese zweite Nummer des
Jahrgangs 1970 so spät vor. Aber unser Bedauern gilt
besonders dem geringen Umfang dieses Heftes. Auf der
bevorstehenden Generalversammlung werden die mit dem
Erscheinen und der Redaktion unserer Zeitschrift zusam-
menhängenden Probleme eingehend erörtert werden müs-
sen. Hier sei nur soviel gesagt, daß ein in Aussicht ge-
stellter langer Aufsatz nicht eingetroffen ist, während sich
zwei eingereichte Beiträge so, wie sie waren, nicht veröf-
fentlichen ließen. Wir bringen lieber weniger Druckreifes
als viel Unausgereiftes,
Der Schriftleiter
J. Aldenhoff
4
Eine besondere Flora im Göhltal
von M. Meerman
Im Stromgebiet der Göhl kommt eine besondere Pflanzen-
welt vor. Es ist die ”Zinkflora”.
Diese Flora setzt sich zusammen aus folgenden Pflanzen :
Viola lutea var. calaminaria, Zinkveilchen ;
Thlaspi alpestre var. calaminare, Galmeitäschel ;
Voralpen- Hellerkraut
Armeria elongata var. halleri, Grasnelke ;
Festuca ovina var. calaminaris, Schafschwingel ;
Alsine verna, Frühlingsmiere ;
und weiter, nicht ausschließlich zur Zinkflora gehörend :
Silene cucubalus, Aufgeblasenes Leimkraut ;
Polygala vulgare, Kreuzblume ;
Campanula rotundifolia , Glockenblume ;
Rumex Acetosa, Sauerampfer ;
Thymus serpyllum, Feldthymian.
Das Ganze nennt man die Zinkveilchen - Assoziation, in der
die zuerst genannten Pflanzen die charakteristischen Sorten bil-
den und die letzten die begleitenden Sorten. Die Zinkveilchen be-
trachtet man auch wohl als eine Einzelsorte und es ist nicht
ausgeschlossen, daß weitere Forschung zu dem Ergebnis führt,
daß unter den Begleitpflanzen einige sind, die sich geringfügig
von denen, die außerhalb der Zinkveilchenassoziation vorkom-
men, unterscheiden. Es handelt sich übrigens bei den obenge-
nannten Pflanzen um Varietäten, die unter recht unterschiedli-
chen Namen bekannt sind.
Die Zinkflora ist charakteristisch für Gegenden, wo Erze
im Boden vorkommen, wie dies am Oberlauf der Göhl der Fall
ist. Dieser Landschaftsbereich wird im Norden begrenzt vom
Aachener Wald, im Osten von der Inde, im Süden von der Weser
und im Westen von der belgisch-niederländischen Grenze.
Die Zinkflora im oben umrissenen Gebiet ist deshalb so
5
besonders, weil in dieser Pflanzenwelt das gelbe Zinkveilchen
(auch unter dem Namen Galmeiveilchen bekannt) als wichtigste
Vertreterin vorkommt, Außerhalb dieses relativ beschränkten
Gebietes sind Zinkveilchen nur in einem Gebiet in West-Europa,
nämlich auf dem Gelände einer Erzgrube bei Blankenrode, süd-
lich von Paderborn (Westfalen), zu finden, aber dort ist die Farbe
der Blümchen blau. (4) An manchen Orten in Deutschland, wo
es Erzgruben gibt, sind wohl andere Mitglieder der Zinkflora
angetroffen worden, z.B. Alsine Verna und Silene, aber nicht das
gelbe Zinkveilchen.
Deshalb gibt die Anwesenheit dieses Blümchens dem Strom-
gebiet der Göhl einen sehr exklusiven Charakter, Mehrere For-
scher haben sich mit der Frage beschäftigt, wo diese Flora her-
gekommen sein könnte. Unter ihnen ist Prof. Dr. J. Heimans (3)
nach langjährigen Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen,
daß die Standorte der Zinkflora, sowohl im belgischen als im
niederländischen Teil des Stromgebiets der Göhl, ein geschlos-
senes Gebiet bilden, das im ganzen als ein Relikt-Areal zu sehen
ist. Also ein Überbleibsel von einem sehr großen Gebiet, das
sich über das westliche und zentrale Flachland von Europa er-
streckte. Die Zinkpflanzen, die jetzt noch im Göhltal vorkommen,
sind die Überreste einer älteren Vegetation, die bis ins Alpenge-
biet reichte, Nicht alle Assoziations-Individuen sind jedoch Al-
penpflanzen ; nur bei Viola lutea var, calaminaria, Thlaspi al-
pestre var, calaminare und Alsine verna handelt es sich um al-
pine Arten, die in unserer Gegend sich dank besonderen Merk-
malen behaupten, u.a. durch eine größere Toleranz gegenüber
Zinksalzen. Deswegen sind sie in der Lage gewesen, mit später
aufkommenden, andersartigen Vegetationen zu konkurrieren,
Die Zinkflora könnte sich in unserer Gegend schon am Ende
der Glazialzeit angesiedelt haben (4 und 5).
In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß man
im selben Gebiet auch in der Fauna noch ein Relikt aus der
Glazialzeit beobachten kann. Das sind die ”Uferfliegen” (Per-
liden) mit Namen Perlodes dispar. Ramb., ein wenig auffallendes
Insekt, dessen Fortbestehen an die kalten, wirbelnden Wasser
der Bergbäche gebunden ist. (1).
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Wie die Lage der Zinkflora damals gewesen ist, ist schwer
zu sagen. Es ist anzunehmen, daß tektonische Wirkungen in der
Erdrinde nicht nur die Erzlager gebildet haben, sondern auch
an manchen Stellen die Erzader an der Oberfläche erscheinen
ließen. Später wird wohl auch die Göhl, die sich hier ein tiefes
Bett gegraben hat, Erzadern freigelegt haben.
Die Stellen, wo die Erzadern frei lagen, werden wohl die
ersten Standorte für die Zinkpflanzen gewesen sein und dort
wird wohl auch der Mensch die Erzvorkommen angegriffen ha-
ben.
Der Erzabbau hat viel zur Verbreitung der Zinkflora beige-
tragen, als die Methoden noch primitiv waren, wurden die im
Tagebau gewonnennen Erze an Ort und Stelle gereinigt und
verarbeitet, Dies hatte eine wachsende Menge von Abfällen zur
Folge. Sie häuften sich auf dem Gelände der Erzgrube an und
vergifteten den darunter liegenden Boden. War die Grube aus-
gebeutet, wurde der Zugang gesperrt, und im übrigen ließ man
alles liegen, wie es lag. An einer anderen Stelle fing man dann
von vorne an, und auf diese Weise entstanden mehrere Stellen,
wo der Boden für eine normale Vegetation untauglich geworden
war. Aber nicht für die Zinkpflanzen ! Die fanden auf diesem
Gelände ein gemachtes Bett !
Nachdem die an der Oberfläche. mündenden Flöze abge-
baut waren, fing man an, auch die tieferliegenden zu erschließen.
Die fortschreitende Entwicklung des Bergbaus ermöglichte dies.
Auch kam man zu der Einsicht, daß es ökonomischer war, das
erzhaltige Gestein nicht an Ort und Stelle zu verarbeiten, son-
dern nach einem zentral gelegenen Grubenbetrieb zu befördern
und es dort zu reinigen und zu verhütten.
So ein zentral gelegener Betrieb war die Grube Altenberg
in Kelmis. Die dort vorhandenen Wäschen und Hütte wurden
vergrößert, und es wurden Vorkehrungen getroffen für den Trans-
port. Alle Zechen, Gruben und Stollen im weiten Umkreis wur-
den mittels Straßenanlagen und Eisenbahnlinien mit dem Alten-
berg verbunden, Dies hatte eine Verschmutzung von Straßen und
7
Eisenbahndämmen zur Folge. Es brach mal eine Wagenachse ;
auf dem Schmalspurdamm kippten mal Karren um und stürzten
herunter, Der entstandene Schaden wurde dann so gut wie mög-
lich behoben, aber es blieb doch immer ein ordentlicher Rest
zurück ... für die Zinkflora !
Während mehrerer Jahrhunderte sind die Erzlager abgebaut
worden und dabei wurden die vorhandenen Vorräte immer we-
niger ; immer schwieriger wurde es, sie zu erreichen. Als dann
noch einige andere Faktoren hinzukamen, wurde der Betrieb
eingestellt und die Gruben nacheinander geschlossen ; die letzte
Grube in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts,
Was dann noch übrig blieb, waren die riesigen Schutthal-
den, die wie eine Geschwulst aus der Landschaft herausragten.
Im zweiten Weltkrieg stellte sich heraus, daß die Abfälle noch
nützlich waren, Durch die Entwicklung der Chemie hatte man
bessere Trennmethoden gefunden, und ihre Anwendung machte
es möglich, aus dem Schutt noch wertvolles Metall zu gewinnen.
Diese Arbeiten brachten eine erneute Verstreuung zinkhaltiger
Stoffe, und wieder profitierten die Zinkpflanzen davon. Diesmal
aber zum letzten Male,
Momentan verschwinden auch die letzten Reste des che-
maligen Bergbaus, und damit wird die Zinkflora in ihren
Existenzmöglichkeiten immer mehr beschränkt. Sie wird jetzt von
einer anderen Flora zurückgedrängt.
Die Entwicklung dieses Prozesses spürt man bei einem Spa-
ziergang die Göhl entlang von der belgisch-niederländischen
Grenze bis ins Quellgebiet des Flüßchens. An der Grenze wird
man dem Zinkveilchen in den Wiesen entlang den Ufern nur
vereinzelt begegnen.
Nach einiger Zeit erreicht man dann in der Gegend von
Bleyberg die Reste eines ehemaligen Bergwerks und auf diesem
Gelände blühen die Veilchen reichlicher. In dieser trostlosen
Öde, wo (noch) keine anderen Pflanzen wachsen können, bilden
die gelben Blümchen - vereinzelt oder in kleinen Gruppen ste-
hend - ein farbiges Mosaik.
8
Weiter die Göhl entlang gehend findet man zwischen Bley-
berg und der Eisenbahnbrücke bei Moresnet an einigen Stellen
eine ziemlich reiche Vegetation. Meistens direkt an den Ufern ;
je mehr man sich davon entfernt, um so weniger Veilchen begeg-
net man. Eine der Ursachen dafür, daß die Veilchen aus den
Wiesen verschwinden, sind die von den Bauern angewendeten
Düngmethoden. In den letzten Jahrzehnten ist man mehr und
mehr zur Bodenanreicherung mit Kunstdünger geschritten und die
darin vorkommenden Kalkstoffe sind entweder fatal für das Zink-
veilchen oder aber sie fördern das Wachstum der anderen Pflan-
zen dermaßen, daß die Zinkflora keine Chance mehr hat.
Weiter spazierend kommt man dann in die Gegend von
Kelmis, das Dorf, das jahrhundertelang das Zentrum des Bergbaus
war, Man erwartet, hier einen ausgedehnteren und reichlicheren
Rest der Zinkflora zu finden als an anderen Orten; aber es
täuscht alles sehr.
Doch gibt es in dieser Gegend ein Gebiet, das in bezug auf
die Zinkflora sehr wertvoll ist ; nämlich dort, wo der Hornbach
seinen Unterlauf hat. Ist diese Landschaft an sich bereits von
großer Schönheit, so gibt die Anwesenheit der Zinkflora ihr
einen unschätzbaren Wert und erhebt sie zum naturhistorischen
Unikum im Stromgebiet der Göhl.
Deswegen wird von Forschern und Naturfreunden die Frage
gestellt, ob es nicht an der Zeit wäre, dieses Gebiet unter Natur-
schutz zu stellen, damit etwas sehr Wertvolles für uns und unse-
re Nachkommen erhalten bleibt. Wenn man sich im Rahmen der
Aktion N 70 die Frage stellt, wo es für uns, Bewohner des Göhl-
tals, noch Objekte gibt, die in bezug auf den Naturschutz unsere
Aufmerksamkeit verdienen, dann ist die Antwort : in erster Li-
nie in diesem Gebiet ! Wenn es nicht gelingen sollte, das Gebiet
zum Naturschutzgebiet zu erklären, bleibt uns nichts anderes
übrig, als an die Zinkflora, gleich wo man ihr im Stromgebiet
der Göhl begegnet, mit der größten Umsicht heranzutreten.
9
Insbesondere das gelbe Zinkveilchen, das wertvolle Klein-
od, vom hohen Alter geadelt, hat ein Recht auf besondere Hoch-
achtung. Wenn man im Auge behält, daß die Möglichkeit besteht,
daß es in absehbarer Zeit ”nicht mehr da sein könnte”, kommt
man von selbst dazu, es in Ruhe zu lassen und sich mit einem
respektvollen Gruß zu verabschieden.
Literaturverzeichnis, d
1. Broeder Arnoud
Tets over de Oevervliegen, naar aanleiding van Perlodes Dis-
par Ramb. Natuurhistorisch Maandblad, 43° jaargang N° 1
1954
2. Dijkstr S. J.
De Zinkflora, Natuurhistorisch Maandblad, 46° jaargang.
N° 5-6 . „195%
3. Heimans J,
De oorsprong van de zinkflora aan de Geul.
Natuurhistorisch Maandblad. 26° jaargang. N° 2 und 5 1937
4. Heimans J.
Taxonomic, phytogeographical and ecological problems round
Viola calaminaria, the Zink-Violet.
Publ, van het Natuurhistorisch Genootschap in Limburg.
Reeks 12. 1960-1961
5. Schwickerath M.
Das Violetum calaminariae. Das Hohe Venn und seine Rand-
gebiete. Jena 1944.
10
Aus der jüngsten Geschichte des
Altenberger Grubenfeldes (Fortsetzung)
von Franz Uebags
Die Grube ”Schmalgraf”
Von den sechs Erzbergwerken der ”Vieille Montagne” war
Schmalgraf das größte und bedeutendste. Heute ist dieser Name
für die ältere Generation nur noch eine Erinnerung und für die
Jugend ist er Geschichte geworden. Viele, sehr viele unserer
Väter und Vorväter der benachbarten, plattdeutschen Ortschaf-
ten fanden hier Arbeit und Brot. Sie waren nahe bei ihrem
Arbeitsplatz, hatten deshalb keine Fahrtunkosten, und das schnel-
le Zuhausesein nach Schichtwechsel ermöglichte es ihnen, hier
oder da etwas nebenbei zu verdienen. Arbeiter aus Kelmis, Neu-
Moresnet, Hergenrath, Lontzen, Montzen, Bleyberg, Moresnet,
Henri-Chapelle, Welkenraedt und sogar aus Vaals fanden Be-
schäftigung auf Schmalgraf. Es dürfte interessant sein, das ehe-
malige Werk etwas genauer zu betrachten
Wo lag einst die Grube Schmalgraf ?
Die Grube Schmalgraf, auch Klousterschacht genannt, lag
auf dem Gebiet der Gemeinde Neu-Moresnet, 300 Meter nörd-
lich der Kreuzung ”Semmel”. Diese ist für Nichtortskundige am
leichtesten ab Ferien-Zentrum ”Country-Club Benelux” ausfin-
dig zu machen. Folgt man demselben Weg, dauert es nicht lange,
und die erste Kreuzung, die Kreuzung ”Semmel” ist erreicht.
Rechts des Weges steht ein sogenanntes Heiligenhäuschen sowie
ein aus der Franzosenzeit stammender Grenzstein mit den Initia-
len L. M. (Lontzen - Montzen). Von hier sind es noch etwa 300
m in nördlicher Richtung bis zum Haupteingang des Werkes.
Ihm gegenüber befanden sich die Halden. Eine kleine Fläche
des früheren Geländes ist bis heute noch abgezäunt. Einige
Mauern und Betonklumpen sind die Überbleibsel des einst so
blühenden Werks. Einen weiteren Eingang zum Grubengelände
gab es unterhalb der Kreuzung Semmel bei dem jetzt noch vor-
handenen Holzkreuz. Dieser galt für die aus Kelmis kommenden
Bergleute.
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Das Grubengelände
Das eigentliche Grubengelände hatte einen Umfang von
schätzungsweise 700 m. Darauf standen Büros, Lampenbude, Eß-,
Wasch- und Ankleideräume, Karbidlager, Schreinerei, Magazin,
Raum der Putzfrau, Schmiede, Schlosserei, das Kesselhaus mit
den drei Schornsteinen, Kohlenmagazin, Förderkammer, Büro
des Elektromeisters, der Förderschacht mit Turm (Belle-fleur),
zwei Pumpenkammern, der Max (großes Pumpenhaus), eine Be-
rieselungsanlage und die elektrische Zentrale. Ganz oben bei dem
zweiten Eingang wurde das ruhde Grubenholz aufgestapelt. Ge-
schnittenes und wertvolleres Holz lag nach Maß sortiert im so-
genannten Holzmagazin, Ein solider Zaun bürgte für dessen Si-
cherheit.
Die Inbetriebnahme
Im Jahre 1867 wurde der Klousterschacht, das heißt Grube
Schmalgraf in Betrieb genommen, Zu der Zeit stand die Vieille
Montagne, Abteilung Moresnet, unter der Leitung des Direktors
Max Braun. Er leitete die Gesellschaft vom 8. Mai 1859 bis 1.
Oktober 1874.
Die Betriebsführung des Werkes
Herr Westhoven, Vater des späteren Obersteigers der Grube
Lontzen, hat als Erster die Führung des jungen Werkes über-
nommen. Nach ihm übertrug die Direktion dem aus Deutschland
stammenden Steiger Theodor Blissenbach dieses Amt. Herrn Blis-
senbach, einem schlichten, einfachen Mann, der er immer blieb,
sagt man heutzutage noch nach, eine außergewöhnliche Kapa-
zität gewesen zu sein. Die Behauptung, er sei zu den Arbeitern
wie ein Vater zu seinen Kindern gewesen, ist keinesfalls über-
trieben. Die älteren Bergleute nahm er ganz besonders in seinen
Schutz. Als Beihilfe kam einige Jahre vor dem ersten Weltkriege
Steiger Wagner. Bei Kriegsausbruch verschonte ihn das Schick-
sal nicht, denn nicht lange nach seiner Einberufung zählte er
schon nicht mehr zu den Lebenden, Als nächster Mitarbeiter
des ”Alten” (so nannte man Herrn Blissenbach) trat 1926 der
aus Luxemburg kommende Steiger Kalbreier den Dienst an. Sein
Verbleib auf Grube Schmalgraf war kurzfristig, weil ihm schon
12
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Herr Theodor Blissenbach, langjähriger Betriebsführer der
Grube ”Schmalgraf”
1927 der Posten des Betriebsführers der Grube Eschbroich an-
vertraut wurde, An seiner Stelle folgte der ebenfalls aus Luxem-
burg stammende Steiger Philipp Schiel. Zwischen ihm und seinem
Vorgesetzten entstand ein vorbildliches Arbeitsklima. 1930 ent-
schloß sich Herr Blissenbach nach vielen Dienstjahren, in den
Ruhestand zu treten. Kurz nach seinem Rücktritt machte die
Direktion die Ernennung des Herrn Schiel, dessen Fähigkeit nie-
mand bezweifeln konnte, als Betriebsführer der Grube Schmal-
graf am schwarzen Brett bekannt. Ihm sowie seinen Vorgängern
standen stets drei Cberhauer zur Seite, denen man ebenfalls, ge-
nau wie dem Obersteiger, vollste Verantwortung abverlangte.
Alle Betriebsleiter bewohnten das Haus am Schmalgraf, jetziges
Eigentum der Familie Schyns-Everts,
Kein Wasser für die umliegenden Bauern
Da Wasser immer dem tiefsten Punkt zufließt, ergab es sich,
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daß die bei der Grube wohnenden Bauern ihre Brunnen, Quellen
und Kuhtränken wegen Wassermangel aufgeben mußten. Nun
verpflichtete sich die Gesellschaft, die Betroffenen mit Wasser
zu versorgen. Man grub Wassergräben, Rohrleitungen wurden
installiert und sogar Holzrinnen bis zu den Verbrauchern ange-
legt. Ging es absolut nicht anders, mußte der Fuhrmann der
Vieille Montagne selbst mit einem Wasserfaß die benötigte Quan-
tität bis an Ort und Stelle bringen. Somit blieb dieses Problem
für allezeit gelöst. Die Grube mit ihrem enormen Wasserzufluß
und eine saugkräftige Pumpe sicherten eine ununterbrochene
Versorgung.
Die Arbeit über Tage
Oberirdisch arbeiteten zirka 30 Mann teils auf Tages-, teils
auf Wechselschichten, je nach dem Posten, welcher ihnen anver-
traut war. Die Büroarbeiten erledigte ein einziger Angestellter,
Lange Jahre tat es Herr Mathieu Pauly aus Kelmis. Der ”Lam-
pist” füllte die Lampen mit Karbid, händigte sie gegen Abgabe
einer Marke aus und buchte die Namen der eingefahrenen Berg-
leute. Ein Elektromeister, Herr Nicolas Tilgers aus Luxemburg,
sowie die Handwerker, Dreher, Schlosser, Schmiede, Schreiner,
Elektriker befaßten sich mit den Reparaturen inner- und außer-
halb der Grube, fertigten Neueinrichtungen an und sorgten für
den Nachschub unter Tage. Der ”Holzmagaziner”, ein älterer
Bergmann, hatte die Verantwortung bei der Holzausgabe zu tra-
gen. Drei Heizer, einer auf jeder Schicht, hatten alle Hände voll
zu tun, die sechs Dampfkessel unter Druck zu halten. Ihnen
waren zwei Kesselreiniger zugeteilt. Trotz der drei Schichten
stellte die Direktion nur einen Fördermaschinisten ein. Es oblag
den Heizern, auf den Spätschichten die Fördermaschine zu bedi2-
nen. Zu erwähnen bleiben noch die Maschinisten der elektri-
schen Zentrale, zwei Elektriker und die Putzfrau.
Die Arbeit unter Tage
Im Erdinnern bemühten sich 120 Kumpels, soviel Blei- und
Zinkerz wie möglich zu gewinnen. Zur Frühschicht fuhren immer
60 Mann ein. Die restlichen Männer verteilten sich auf Nach-
mittag und Nachtschicht. Tagsüber herrschte in der Tiefe reger
Verkehr, weil nur dann das kostbare Gestein nach oben beför-
dert wurde. Hauer und Lehrhauer bohrten früher mit Schlagboh-
rer, nachher mit Preßluftbohrer, in das harte Gebirge, um mit
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Dynamit sprengen zu können. Wo das Gestein nicht allzu hart
schien, schoß man mit Nitroglyzerin. Entweder wurde das Roh-
material geladen, wo es gewonnen wurde, oder an bestimmten
”Rollen”. ”Rollen” hießen kleine Schächte, die eine Sohle mit
einer anderen verbanden, um bessere Verlademöglichkeiten zu
erhalten. Die Fahrjungen brachten den Stoff in Kippwagen zum
Schacht, von wo er zum Abtransport weiter geleitet wurde, Re-
paraturkolonnen, Schlepper und Pumpenknechte meisterten nach
Vorschrift ihre Aufgabe. Abgebaute Posten pflegte man zu ver-
packen, das heißt mit Steinen wieder ausfüllen. Während die
einen Vorrichtungen (1) machten, legten andere Luftleitungen,
besserten Bahnen aus, u.5.W.
Die Schichten wechselten um 6, 14 und 22 Uhr. Pumpen-
knechte und Maschinisten, sowohl die in der Grube wie auch die
über Tage beschäftigten, mußten an Sonn- und Feiertagen zur
Stelle sein. Die Beziehungen zwischen Betriebsleitung und Be-
legschaft wiesen deutlich auf kameradschaftliche Verbundenheit
hin. Es war zur Tradition geworden, daß jeder, beim Betriebs-
führer angefangen, einen originellen Spitznamen hatte,
Die verschiedener Schächte
Im Jahre 1932, als die Grube Schmalgraf außer Be-
trieb gesetzt wurde, hatte sie eine Teufe von nahezu 300
Meter erreicht. Diese Teufe bedingte zwei Seilfahrten. Von
Tage bis zur 132 - Meter - Sohle sanken zwei Schächte in
die Erde, der Förder- und der Pumpenschacht. 260 Meter
westlich von hier gingen drei weitere Schächte zum
Tiefbau, ein Förder-, ein Pumpen- und ein Kabelschacht.
Nun bleiben noch zwei Luftschächte. Solche sind in einer Grube
unentbehrlich, um eine normale Luftzirkulation zu erzielen. Einer
davon lag in der Hausweide‘ des Bauerngutes Wintgens (an
diesem Hause ist die Bezeichnung Schmalgraf angebracht) etwa
60 Meter links des Weges, war 132 m tief und trug den Namen
”Schacht Sartenaer”, Dieser Name dürfte wohl vom früheren
Besitzer der Wiese stammen. Auf einem angehäuften Erdhügel
1) ”Vorrichtung” heißt in der Bergbausprache das Auffahren von Gru-
benbauen innerhalb einer Lagerstätte zur unmittelbaren Vorbereitung
eines Abbaus. (Wahrig)
15
stand damals eine primitive Bretterbude, die aus Sicherheitsgrün-
den das tiefe Loch abschirmte. Hinter dem Heiligenhäuschen,
bei der Kreuzung Semmel, sank Schacht 7 in den Erdboden. Er
wurde gesenkt, um seinerzeit das große Schwungrad der unter-
irdischen Dampfpumpe an seinen Platz zu bringen. Seitdem dien-
te er als Luftschacht. Ein auf der 42-Meter-Sohle montierter
Ventilator saugte dort die frische Luft an, um sie nach 290
weiterzuleiten.
Das Einfahren der Bergleute
Vor Schichtbeginn holte jeder Bergmann gegen Abgabe
einer numerierten Marke seine Karbidlampe. Seine Marke hängte
der ”Lampist” an einen Haken, der die gleiche Nummer trug.
Dabei hing noch eine runde Platte, die weiß, rot oder schwarz
gestrichen war. Weiß bedeutete Früh-, rot Nachmittag- und
schwarz Nachtschicht. Wurden dann bei Schichtwechsel nicht
alle Marken abgeholt, notierte der ”Lampist” die Namen ihrer
Besitzer und übermittelte sie dem Steiger oder Oberhauer, der
dann wieder sofort die Grube befuhr, Ausschau nach den Ver-
mißten zu halten. Eine Glocke läutete zur Einfahrt in die Grube.
Erst versammelte sich die ganze Mannschaft im Eßraum, um
kniend das Bergmannsgebet zu sprechen. (Siehe ”Im Göhltal”
N" 2, Seite 12). Anschließend verteilte der Steiger oder der Ober-
hauer die Posten, gab Anordnungen und Hinweise und besprach
manchmal mit den Hauern die Sachverhältnisse. Wenn alle am
Schacht versammelt waren, begann die Seilfahrt. Im Förderturm
glitten zwei Körbe für je 5 Mann auf und ab. Verantwortlicher
für geregelte und gesicherte Ein- und Ausfahrt blieb immer der
Anschläger. Auch erteilte er dem Fördermaschinisten mittels
Signalhammers die Befehle, wenn die Körbe steigen oder sinken
konnten. Waren alle in dem Loch, begann der Materialtransport.
Wie sah es in der Tiefe aus ?
Beim Einfahren in die Grube konnte man, da der Korb
nicht allzu schnell sank, im stillen Schein der Lampe alles ganz
gut beobachten. Mächtige Vierkanthölzer stützten das rotbraune
Gebirge. Wasser rieselte und tropfte von Joch zu Joch. (Vier-
kantholz). Nach 42 Meter Fahrt fiel der Korb an der ersten Sohle
vorbei, die auch Stollensohle hieß. Ihr folgte die 92- und 132-
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Dampfpumpe, auch Pumpe I genannt, auf Sohle 132
Meter-Sohle. In allen vor dem Schacht ausgeschlossenen Kam-
mern brannte elektrisches Licht. Als Bodenbelag erleichterten
dicke Stahlplatten das Manövrieren der schweren Kippwagen.
Werkzeugkasten standen in Verwahr, und an den Wänden hatte
man Markiertafeln angebracht. Direkt neben dem Schacht auf
132 m führten drei Stufen in die Maschinenkammer der Pumpe I.
Fußboden und Wände waren mit hellen Fliesen ausgestattet ; es
herrschte auffallende Sauberkeit und jedem Neugierigen bot sich
ein einladendes Bild. Beim Verlassen des Korbes schien es, man
hätte an einem Verteilerring irgendeiner Autobahn gestanden.
Drei mannshohe, tunnelartige Bahnen drangen in das Gestein
hinein. Links die Strecke Sartenaer, die zum gleichnamigen
Schacht führte. In der Mitte der Gang von Schacht zu Schacht,
die Hauptbahn der Grube. Im Kopf hing die Preßluftleitung.
Unter den Schienen floß in einem 60 Zentimeter tiefen Wasser-
graben das hochgepumpte Wasser der Kuppel unter dem Schacht
zu. Zum Gehen lagen zwischen den Schienen Laufbretter. Deren
Benutzung konnte nur Routine sein. Auf halber Strecke regelte
eine Wettertür die Luftströmung, eine andere aus dickem Guß-
eisen mit Schraubenverschluß, bekannt als Dammtür, diente
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dazu, dem steigenden Wasser bei Versagen der Pumpen im Tief-
bau durch Verschließen Halt zu bieten. Ganz rechts führte eine
500 Meter lange Strecke zur Grube Eschbroich ; die beiden Ze-
chen waren also unterirdisch miteinander verbunden. Da jene
über keinen Förderschacht verfügte, holten die Schlepper das dort
erbeutete Erz nach Schmalgraf, um es hier seiner Bestimmung
zu übergeben. Eins steht fest, auf dieser Strecke wurde dem Ar-
beiter nichts geschenkt, zumal noch der Akkordlohn reizte. Kurz,
manch einem hat sie das Leben sauer gemacht. Eine geschickte
Hand schrieb über die Mündung folgenden derben Spruch ”Auf
dieser Strecke Fahr und Verrecke”, der lange Jahre unverwischt
blieb. Unweit des Einganges, es mögen 50 Meter gewesen sein,
fiel eine mit dem Warnschild Totenkopf beschlagene Tür auf,
das Sprengstoffmagazin. Dynamit und Nitroglyzerin lagerten da-
hinter sicher und geschützt. Im Gegensatz zu den Kohlengruben
konnte jeder Hauer Sprengstoff abholen.
Alle drei Bahnen waren mit Holz verbaut. Die mittlere
war sogar stückweise ausbetoniert.
Der 132-Meter-Etage, die keine Vorkommnisse mehr auf-
wies, konnte man noch vier weitere beifügen, Die zweite Seil-
fahrt sank nach 155, 210, 255, um den Tiefbau 290 Meter zu
erreichen. Überall suchte und gewann der Bergmann das wert-
volle Metall. Die Galerien, gleich in welcher Tiefe, ähnelten ein-
ander. Von allen Seiten drangen erfahrene Kumpels in der Erde
Schoß hinein. Gab es Posten, die rasch abgebaut waren, verspra-
chen andere dagegen eine reiche Beute. In der ganzen Grube
herrschte feuchte und kühle Luft, außer bei einem Posten auf
210. Unglaublich, so eine schwüle Hitze in dem Revier, wirklich
eigenartig. Der Kelmiser Bergarbeiter Leonard Stammen, der da
tätig war als Hauer, scherzte immer der Wärme wegen und be-
hauptete, kurz bei der Hölle zu sein. Dieses Erz war so heiß, daß
weißer Dampf hochstieg, wenn es mit Wasser in Berührung kam,
Im Tiefbau dagegen bereitete das Wasser den größten Kummer.
Nur mit Gummianzügen bestand die Möglichkeit zu arbeiten.
Zweifelsohne blieb das flüssige Element das Kostspieligste an
der ganzen Sache. Wer es nicht gesehen hat, kann sich keine Vor-
stellung davon machen, was für eine Menge Wasser gemeistert
18
“Grabe Schmalgral 27 De Vieille‘ Montägne
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Teilansicht der Grube ”Schmalgraf” um 1908
werden mußte. In der Zeit, wo die Grube noch nicht so tief ge-
sunken war, bewältigten vier Dampfpumpen, drei ober- und eine
unterirdische, dasselbe, Später wechselte man diese gegen moder-
ne elektrische Pumpen aus. Pumpe 1 und 3 drehten auf 132,
wogegen Pumpe 2 auf 210 und Pumpe 4, eine Hängepumpe, im
Schacht nach Tiefbau hing. So pumpten diese vier saugkräfti-
gen Riesen das Wasser ununterbrochen zur 42-Meter-Sohle, wo
es in den Wassergraben floß, den Stollen entlang lief, um im
Wald in den Lontzen-Bach zu münden.
Wer baute den Stollen und wozu ?
Zu früheren Zeiten, als die Technik noch nicht so weit fort-
® geschritten war, mußte das Rohmaterial per Fuhrwerk zur
Wäsche gebracht werden. Doch das änderte sich. Bekannt-
lich bringen neue Herren neue Bestimmungen. Der neue
Direktor, Oskar Bilharz, dem im Jahre 1859 die. Leitung
der Agence Moresnet anvertraut wurde, plante recht bald,
einen Stollen in Angriff zu nehmen. Das geschah 1862. Fünf
Jahre später, 1867, ging das Unternehmen zu Ende,
19
Ein 500 Meter langer Stollen war geschaffen. Er verlief von der
42-Meter-Sohle, deshalb der Name Stollensohle, und hatte sei-
nen Ausgang gerade vor dem Lontzen-Bach im Emmaburger
Wald, am Platz ”Auwe Berg”. Heute fragt man sich noch im-
mer : ”Woher der Name Oskar-Stollen ?” Weil er unter Oskar
Bilharz angelegt wurde, gab man ihm dessen Namen. Weiter
legte die Gesellschaft ein Bähnchen durch Wald und Wiesen, bis
zur Wäsche, Seitdem rollte ein Benzinmotor mit durchschnitt-
lich 12 bis 14 vollen oder leeren Wagen auf und ab. Das wie-
derholte sich 8, manchmal auch nur 7 mal pro Frühschicht.
Einige Maschinisten des Motors, wie Henri Meessen, Henri
Wertz, Joseph Uebags, Alois Rossaint und Hubert Taeter sind
noch in Erinnerung geblieben. Mit dem Bau dieses Stollens hatte
Direktor Bilharz dem Betrieb ein gutes Stück weiter geholfen.
Übrigens war dieser Herr Gemeinderatsmitglied von Neutral-
Moresnet von 1861 - 1864 und von 1869 - 1879. Von 1871 -
1879 amtierte Bilharz als Beigeordneter und von 1882 - 1885
als Bürgermeister der Gemeinde. Höchstwahrscheinlich ist er
ebenfalls der Urheber des Siegels und der schwarz-weiß-blauen
Fahne des neutralen Gebietes gewesen (mündlich mitgeteilte
Vermutung des Herrn Kulturinspektors F. Pauquet).
Die Auszahlung der Lohngelder
Am 6. und 20. eines jeden Monats kam ein Buchhalter der
Direktion aus Kelmis, die Lohngelder auszuzahlen. Am 6. gab
es Vorschuß, am 20. den restlichen Betrag. Vom Lohne zog
man nicht nur die sozialen Abgaben ab, sondern auch die Kosten
für die Ersatzteile und den Grubenlampenkarbid. Es war also
Tatsache, daß der Bergmann das für ihn an der Arbeit unent-
behrliche Licht selbst bezahlen mußte.
Grube Schma!graf schließt seine Tore
Längere Zeit schon liefen damals Gerüchte, Spanien liefere
das Blei und Zinkerz billiger nach Belgien, als es hier der Erde £
entnommen werden konnte. Alle zweifelten an diesem Gerede, a
keiner faßte es, keiner nahm es für bare Münze. Da keiner es
gern gehabt hätte, daß es so käme, glaubte man es eben nicht.
20
Doch die Gerüchte wurden Wirklichkeit. Am 15. April des Jah-
res 1932 hängte die Direktion, sagen wir : eine ”schwarze” Liste
aus, 60 meist unverheirateten Belegschaftsmitgliedern wurde ge-
kündigt. Ihre Frist lief laut Beschluß am 1. Mai, 14 Tage später,
ab. Die Verbleibenden schickte man nach Grube Roer und in die
Betriebe nach Kelmis, Eine kleine Anzahl blieb auf Schmalgraf,
Sachen von Wert schaffte man an die Oberfläche und bot sie
zum Kauf an. Es war, als sei alles nur ein Traum gewesen. Grube
Schmalgraf hatte hiermit am 1. Mai 1932 aufgehört zu existieren.
Nebenbei sei noch gesagt, daß die Grube im Jahre 1905
ebenfalls vor der Schließung gestanden haben soll. Nach Versagen
einer der untersten Pumpen stieg das Wasser dermaßen schnell,
daß es die ganze Sohle 132 gefährdete. Trotz Schließen der
Dammtüre wurde die Sohle vom Wasser überflutet. Es erreichte
sogar die Stollensohle. Direktion und Betriebsleitung standen
vor einem großen Problem. Die Lage schien hoffnungslos. Ein
Hilferuf in der Presse bewegte einige In- und Auslandsunterneh-
men, an Ort und Stelle zu kommen. Eines stand fest : die Damm-
türe konnte nicht anders als undicht sein. Niemand unternahm das
Wagnis, die Ursache zu beheben, bis eines Tages ein Taucher
aus Köln sich auf eigene Faust der Grubenleitung zur Verfügung
stellte, die Ursache zu klären und aus dem Wege zu schaffen.
Als Gehilfe teilte ihm die Grubenleitung den Heizer Hubert
Laschet aus Kelmis zu. Bald hatte ihn der Mann aus Köln durch
seine Instruktionen so mit seinen Apparaten und Signalleinen
vertraut gemacht, daß er es wagen durfte, das Experiment zu be-
ginnen, Erst nach drei Wochen gelang es ihm, die Dammtüre zu
erreichen. Hier konnte er feststellen, daß ein Stein dazwischen ge-
klemmt war. Er entfernte ihn und drehte den Schraubenver-
schluß bei. Das Wagnis war gelungen und die Grube gerettet.
Nach vollendeter Mission soll der Taucher, laut Herrn Laschet,
gesagt haben : ”Einmal, aber nie wieder”,
21
Vor 100 Jahren
Als im Jahre 1861 Hauset selbständige Pfarre wurde,
teilte am 1. 9. 1861 der Domkapitular Strauss aus Köln dem
Pfarrer Strom von Hauset mit, daß die Pfarrgrenze der Gemein-
degrenze gleichzuziehen sei.
Vier der sechs Bewohner von Fossey, Roverheide und Pre-
stert, die immer zur Pfarre Walhorn gehört hatten, protestierten
dagegen mit der Begründung, daß von Fossey nach Walhorn ein
immer begehbarer Weg bestünde, wogegen Hauset nur unter
großen Schwierigkeiten zu erreichen sei; es führe ein unwegsa-
mer Weg durch eine tiefe Mulde, die von einem reißenden Bach
durchquert werde, der von Kindern nicht überschritten werden
könne. Sie baten, vertreten durch den Landrat J.K. Jeisel, den
alten Zustand zu belassen. Da aber Köln damit nicht einver-
standen war, kam es zu einer Besprechung mit den vier pro-
testierenden Familien ; die beiden Parteien einigten sich wie
folgt :
Solange die Familien auf den Höfen ansässig blieben, soll-
ten sie bei Walhorn bleiben, verließe eine Familie ihren Hof,
ginge derselbe zur Pfarre Hauset über.
Damit einverstanden unterschrieben : H. J. FRANTZEN
Johann HAVENITH
P. PETERS
W.J. SCHMETZ
Als 1904 einem HAVENITH, Bewohner der Roverheide,
vom Walhorner Pfarrer das Heiratsaufgebot mit der Begründung
verweigert wurde, er sei Hauseter Pfarrangehöriger, richtete er
mit Hinweis auf den Vertrag von 1861 ein Protestschreiben nach
Köln und erhielt als Antwort : Er, seine Kinder, Enkelkinder,
etc. blieben bei Walhorn.
Frantzen, Peters und Schmetz hatten schon vor 1900 ihre
Höfe verlassen.
L.H. Fossey
2
Wer hilft suchen ?
Unbekannter Fundort römischer Keramik
bei Gemmenich
Der verstorbene Lehrer Bies aus Gemmenich sammelte ge-
wissenhaft Alles, was sich auf die Geschichte des Ortes und
seiner Umgebung bezog. Beginnend mit Versteinerungen er-
streckte sich seine Sammlung über Römerzeit und Mittelalter
bis zur Hinterlassenschaft des letzten Krieges.
In seinem Nachlaß befand sich ein Kistchen mit römischen
Gefäßscherben, leider ohne Angabe des Fundortes, der in der
näheren oder weiteren Umgebung von Gemmenich zu suchen
bleibt. Wenn es sich dabei um einen Hinweis auf einen römischen
Bauernhof des 2. oder 3. Jahrhunderts handeln würde, so bliebe
das Interesse relativ begrenzt. Die Scherben aus der Sammlung
Bies stammen aber aus einer viel älteren Zeit, vom Ende der
Regierung des römischen Kaisers Augustus und dem Regierungs-
beginn seines Nachfolgers Tiberius, etwa aus den Jahren 10 bis
20 n. Chr. Wegen ihrer historischen und kulturgeschichtlichen
Bedeutung sind Reste dieser Periode in unserer Gegend sehr
beachtlich.
Die Scherben sind in der Mehrzahl Stücke von flachen Tel-
lern mit ca. 16 cm (latein : catillus) und 32 cm (catinus) Durch-
messer. Sie haben einen niedrigen Standring und eine nach außen
überhängende Lippe. Daneben erscheinen Wandstücke von Tas-
sen und Töpfen, letztere mit eingerollten Wellen- und Strich-
ornamenten verziert. Alle diese Gefäße bestehen aus mäßig
hart gebranntem Ton, mit einem feinen, roten Überzug. In der
Mitte des Tellerbodens ist der Name des Töpfers tief einge-
stempelt, möglicherweise kann er auch dreifach radial gestellt
vorkommen. Diese Art der Keramik ist einheimische gallo-kel-
tische Ware. Sie kopiert in etwas abgewandelter Form die teueren
23
aus Italien und Südgallien importierten Gefäße aus Terra-Sigil-
lata. Untenstehende Skizzen erläutern das Aussehen der Teller
und Tassen im Schnitt und Außenansicht.
Die Leser der Zeitschrift werden freundlich gebeten, ihnen
vielleicht bekannte Fundstellen dieser Art Keramik mitzuteilen :
entweder an den Service des Fouilles de l’Etat, Prof. Roosens,
Muse du Cinquantenaire, Bruxelles, oder an das Töpferei-Mu-
seum in Raeren (Tel. 51632).
Dr. O. E. Mayer
24
.. Fragekasten : Unsere Mundarten und. wir
Geschätzte Leser !
Unter dieser Rubrik möchten wir in Zukunft des öfteren
Ihre Hilfe in Anspruch nehmen. Die Mundarten unserer Gegend,
des ehemaligen Herzogtums Limburg, bilden einen wichtigen
Bestandteil, ein Kerngebiet in dem breiten Übergangsraum der
kontinentalgermanischen Sprachen.
Nicht nur die hiesigen Mundartdichter und -forscher, son-
dern auch auswärtige Philologen haben den Wert und die Wich-
tigkeit unserer oft zu unrecht vernachlässigten Volkssprache er-
kannt. Seit einigen Jahren sind auch jüngere Wissenschaftler
unserer engeren Heimat damit beschäftigt, die verschiedensten
und feinsten Einzelheiten unserer Mundarten aufzuzeichnen und K
zu analysieren. Diese schwierigen Untersuchungen können jedoch
nur dann mit Erfolg durchgeführt werden, wenn Interessenten
aus den verschiedenen Ortschaften ihnen dabei zur Seite stehen.
Diesmal bittet Dr. Rene Jongen aus Moresnet, Dozent an
der Universität Löwen, ihm so bald wie möglich für die genaue(n)
Aussprache(n) folgender Wörter und Ausdrücke helfen zu wol-
len. Besonders über die vier ersten Fragen benötigt er das Ma-
terial dringend. Schicken Sie also bitte Ihre Antwort am besten
gleich an die angegebene Adresse oder geben Sie sie bei Leo
Wintgens, Aachener Straße 12, Moresnet-Kapelle ab. Wir dan-
ken Ihnen im voraus für Ihre wertvolle Mitarbeit.
IL: Ws
1) Welche von den drei folgenden Vergangenheitsformen der
schwachen Verben kommen in Ihrer Mundart vor (es sei,
daß Sie sie selbst gebrauchen oder daß Sie sie im Munde
anderer Mitglieder Ihrer Sprachgemeinschaft gehört haben)?
Vielleicht kommen alle drei Formen vor. Bitte schreiben Sie
jede der möglichen Formen so nieder, daß die Lautgestalt
genau wiedergegeben wird.
a) Wurzel + de ‚z.B. ech wünschde, ech makde oder
machde (ich wünschte, machte)
b) Wurzel + dene, z.B. ech wünschdene, ech makdene /
machdene
25
c) Wurzel + et ‚ z.B. ech wünschet, ech maaket / maa-
chet ;
Können Sie einige weitere Beispiele von Zeitwörtern geben,
die ähnliche Verganheitsformen aufweisen ?
2) Insofern die dritte Form (ech wünschet) in Ihrer Mundart
möglich ist, wie lautet die Form der 1. und 3. Person Mehr-
zahl (= wir/sie wünschten, machten, holten, drückten, klin-
gelten, bauten ...)? 3
3) „Kennen Sie, als abgeschwächte Form der negativen Parti-
kel neet (=. nicht), eine Form ent? Ist es etwa möglich, zu
sagen : -dat wet/wes he n ent (das weiß er nicht).
f dat es ent wu&r (das ist nicht wahr) 3
dat wett ent mi& jevi&(r)t (das wird nicht mehr
gefeiert)
4) Wird in Ihrer Mundart die negative Partikel en gebraucht ?
In welchen von den folgenden Sätzen etwa kann sie auftre-
ten? (en steht, in Klammern, an jener Stelle im. jeweiligen
Satz, wo es vorkommen könnte). Bitte, übersetzen Sie die
Sätze.
| a) Ich (en) weiß es nicht
b) Das (en) weiß ich nicht
c) Ich habe dir bereits gesagt, daß ich‘ das nicht (en) weiß
d) Ich (en) habe das nicht getan
e) Das (en) habe ich nicht getan
Ö f) Weil ich das nicht (en) gesehen habe
g) Weil ich das nicht gesehen (en) habe
h) Wenn es nur nicht (en) regnet
i) Wenn er das nur (en) tut
j) Wenn er so was nicht gesagt (en) hätte, dann (en) wäre
das nicht passiert
k) Ohne daß er mich (en) sah
1) Ich (en) habe nichts gesehen
m) Weil sie mich nicht verstehen (en) will
n) Weil sie mich nicht (en) verstehen will
o) Weil er das nicht (en) darf
p) Das (en) darfst du bestimmt nicht
q) Er schrieb mir, daß sein Vater es nicht (en) wolle
26
r) Sein Vater (en) kommt auch
s) Er sagte, daß sein Vater auch (en) komme
5) Übersetzen Sie : ”Heute ist Mittwoch. Sie ist (am) Montag
weggegangen und wird vermutlich erst (am) Samstag dort
ankommen.”
(Bitte nicht mit ”vorigen (Montag)” oder ”nächsten (Sam-
stag)” übersetzen ; versuchen Sie, das Wort, das Sie gerade
vor dem Wochentag gebrauchen, genau wiederzugeben. Sie
können etwa die folgenden Unterschiede machen : 1) /e/=
der Vokal von Deutsch ”jetzt”; 2) /ä/= der offenere Vokal,
wie in Deutsch ”frech” ; und 3) /&/=der Murmellaut, wie
in Deutsch ”Liebe”)
6) In der Nacht vom Donnerstag zum Freitag
7) Das geschah (am) Dienstag vor acht Tagen
8) Ich warte bis Sonntag
9) Ich warte bis Sonntag morgen
10) Das war Dienstag nachmittag
11) Das war Dienstag abend
12) Er kommt Dienstag über acht Tage
13) Es fängt um fünf Uhr an (Die Lautgestalt von ”um” genau
notieren ; sind etwa verschiedene Formen möglich, z.B.
&m, &n ...)
14) Er kam um ein Uhr
15) Das ist mir egal (gleichgültig)! (etwa : egal, (pure) pareil,
allelein, all in ein)
16) Beeile dich, sonst kommst du zu spät (etwa : zos, zös, os,
ös, andesch ...)
17) Es war alles umsonst
18) Ach, so ist das ! (etwa : zö, Ezö, zZuw&, Ezuwe€ ...)
19) So geht es nicht !
20) Du irrst dich, es war ganz anders (etwa : du vergißt dich, du
bist in den Bohnen ... und sonstige Ausdrücke ; aandesch,
anndesch, angesch ...)
Bitte, geben Sie genau an : Namen, Mundart, Alter und Geburts-
ort, und schicken Sie Ihre Antwort an die folgende Adresse :
R. Jongen, Kartuizerstraat, 8 - 3000, LEUVEN.
Rene JONGEN
Vz
27
Kaplan Bosch, der große Jugendfreund
von Peter Zimmer
Vor 6 Jahrzehnten, in der Nacht vom 15. zum 16. No-
vember, starb Heinrich, Nikolaus, Hubert Bosch, Kaplan in
Kelmis - Neutral-Moresnet, im blühenden Alter von 35 Jahren.
Nur wenige noch werden. sich dieses schlichten Mannes im
Priesterkleid, aus Homburg gebürtig, erinnern, der während 6
Jahren, von 1904 bis 1910, als eifriger Seelsorger und hervor-
ragender Jugendfreund in Kelmis gelebt und gewirkt hat.
Darum will ich kurz über die Tätigkeit dieses jungen Seel-
sorgers in der Göhltalortschaft Kelmis berichten, wo er vor 60
Jahren voll und ganz im Dienste der Jugend des neutralen Ge-
bietes stand ; durch seine Initiative wurde ein Vereinshaus ge-
schaffen, das auch heute noch seiner Bestimmung gerecht wird.
Im Jahre 1908 gründete Kaplan Bosch mit etwa 20 Jüng-
lingen den ”Aloysius Jünglingsverein” und stellte diesem Verein
einige Räume seiner Wohnung zur Verfügung,, um die heran-
wachsende Jugend von der Straße fernzuhalten und ihr durch
mannigfache Spiele ein gesundes Vergnügen zu ‘bereiten.
Da sich diese Räume aber, nachdem sich die Mitglieder-
zahl verdreifacht hatte, als zu klein erwiesen, leistete Kaplan
Bosch einmalige Pionierarbeit, um die finanziellen Mittel zu be-
schaffen, die erforderlich waren, ein geeignetes Lokal für die Ju-
gend mieten zu können.
Während des Winters, bei stürmischem Wetter, war Kaplan
Bosch, wie ein wahrer Apostel, durch das Göhltal unterwegs.
In seine Kappe gehüllt, in der einen Hand den Stock, in der
anderen seinen treuen Begleiter, eine furchterregende Dogge,
festhaltend, zog er bis spät in die Nacht von Haus zu Haus, um
K für sein Jugendwerk Almosen zu sammeln.
28
Überall wurde er freundlich empfangen und seine Mühen
durch reichliche Spenden belohnt, sodaß er schon im Februar
1909 in einem neugemieteten Saale in der Kirchstraße (Hack)
mit etwa 100 Jungendlichen Einzug halten konnte, Dort wurde
dann nicht nur den Jugendlichen Gelegenheit geboten, sich an X
passenden Spielen zu ergötzen und sich kulturell zu betätigen,
sondern auch eine wahre Lebensschule eingerichtet, Vorträge und
Lesungen abgehalten, um die Jugend mit den Gefahren des Le-
bens bekannt zu machen und ihr die nötige Willenskraft zu ge-
ben, damit sie als gute Christen, brave Arbeiter und charakter-
feste Menschen sich im späteren Leben bewähren konnten.
Kaplan Bosch gründete auch zu diesem Zwecke eine lehr-
reiche und bildende Monatszeitschrift für die Jugend des Neutra-
len Gebietes, deren Inhalt außer Gedichten, auch heimatkund-
liche Beiträge, Aufklärungen über religiöse und soziale Proble-
me, sowie sehr viel Wissenswertes aufwies ; sie trug den Namen :
”Altenberger Jugendfreund”.
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BO .
£in Teil der Titelseite des ”Altenberger Jugendfreund”
30
fahrtseinrichtungen, ein Komplex zustande kam, der das Zeit-
gemäße und Zweckdienliche in harmonischer Weise kombinierte
und zur Geltung brachte.
Im Herbst des Jahres 1910 war dieses Gebäude, die jetzige
Patronage (Pfarrheim), im Rohbau fertig, dessen Vollendung
Kaplan Bosch aber nicht mehr sehen konnte, weil er kurz zuvor
aus diesem Leben abberufen wurde. Der ”Aloysius Jünglings-
verein” aber blieb dank der unermüdlichen und opfervollen Tä-
tigkeit der Nachfolger des H. Kaplan Bosch noch fast 2 Jahr-
zehnte bestehen, bis schließlich die Christliche Arbeiterjugend-
bewegung und später auch die Patrojugend diese Aktivität über-
nahmen.
Die Patronage aber dient ununterbrochen nun schon fast
60 Jahre ihrem Zweck. Möge sie auch weiter, als Erinnerung
an Kaplan Bosch und seine treuen Mitarbeiter und Nachfolger,
der Jugend als Heimstätte dienen und zur Förderung des kultu-
rellen Lebens in der größten Ortschaft des Göhltales beitragen.
5 31
Aufruf
(Erschienen im ”Altenberger Jugendfreund” Juni/Juli 1910)
Allzu häufig hat die Öffentlichkeit Veranlassung genommen,
sich mit den Verhältnissen des neutralen Gebietes von Moresnet
zu befassen. In einer Weise, die mehr oder minder den Wunsch
hervortreten läßt, die Neutralität von Altenberg aus der Welt
geschafft zu sehen, hat man die Lage der Einwohnerschaft in
ungünstigem Licht darzustellen gesucht. Auch sind zu verschie-
denen Malen Ungeziemlichkeiten von außen her in das grenz-
streitige Gebiet hineingetragen worden, die ganz danach angetan
waren, die Verhältnisse in Altenberg als unerträglich erscheinen
zu lassen und so auf eine Beseitigung des bisherigen Verhältnis-
ses zu drängen. Ganz besonders aber wurde die hiesige Schule
angegriffen und in Wirklichkeit liegt hier der einzige wunde
Punkt, der für die Bevölkerung von Altenberg und damit wohl
auch für das gesamte Gebiet verhängnißvoll zu werden droht.
Hier auf Abhülfe zu sinnen und energisch Hand ans Werk zu
legen, ist eine Pflicht der Selbsterhaltung, und zur Erfüllung die-
ser Pflicht ist ohne Zweifel die ganze Einwohnerschaft bereit.
Was die Opfergesinnung der Gemeinde aus eigenen Mitteln nicht
zustande bringen kann, wird Gottes Macht ergänzen, denn hier
gilt das Wort : Hilf dir selbst, so hilft dir Gott !
Mit dem festen Vertrauen auf die hochherzige Gesinnung
der Bevölkerung hat daher die hochwürdige Geistlichkeit und der
Aloysius - Jünglingsverein von Neutral-Moresnet es in die Hand
genommen, den Bau und die Einrichtung einer Zentral-Bildungs-
anstalt zur Tat werden zu lassen. Diese soll der Heranbildung
unserer ganzen Gemeinde dienen in der Weise, daß der geplante
Bau gleichzeitig eine öffentliche Schule und ein allgemeines Ver-
einshaus für Altenberg in sich vereinigen soll.
Der Hochw. Pfarrer von Altenberg, Herr Kept, hat diese
Absicht und die bereits entworfenen Skizzen dem Hochwürdig-
sten Diözesanbischofe unterbreitet. Das Unternehmen fand in
allen Einzelheiten die volle Billigung des hohen Herrn, und Se,
32
Gnaden haben sich sogar bewogen gefunden, folgendes Empfeh-
lungsschreiben eigenhändig auszufertigen.
”Wir können den hochwürdigen Pfarrer von Kelmis nur
ermutigen in dem notwendigen Unternehmen, eine katholische
Schule für die Hunderte von Kindern seiner Pfarre sowie ein
gleichfalls notwendiges Patronat zu bauen. Wir empfehlen dieses
Werk der Liebe der Christen und wir zeichnen selbst für die
Summe von fünfhundert Franken.”
Lüttich, den 29. April 1910
Martin - Hubert
Bischof von Lüttich.
Nun ist es an Euch, Einwohner von Kelmis, der Öffentlich-
keit zu zeigen, daß Ihr für die wichtigen Interessen Eures Vater-
ortes opferwillig einzutreten vermöget, daß nicht nationale Ge-
gensätze Euch trennen, sondern daß Ihr es versteht, Eure Eini-
gung in Liebe zum angestammten neutralen Heimatlande auch
nach außen zu bekunden.
Die neue Schule und das neue Vereinshaus sollen ein Wahr-
zeichen dieser Liebe sein.
Aber auch die Nachbargemeinden mögen sich ihrer neu-
tralen Schwester eifrig annehmen und ihr Unternehmen kräftigst
unterstützen, damit in der ganzen Gegend das Gefühl der engen
Zusammengehörigkeit würdigen Ausdruck finde
zum Wohle des Volkes und seiner Jugend !
Der Vorstand des Altenberger Aloysius-Jünglingsvereins.
3
Das Lied von Kelmis !
veröffentlicht Oktober/November 1910 im Altenberger Jugendfreund
In unserer Heimaterde
erwuchs ein goldiger Stein,
das Gotteswort ”Es werde”
ließ ihn so reich gedeihn.
Hier haben ihn gefunden
die Väter jeder,Zeit ;
hier war zu allen Stunden
die Ernte voll bereit.
Und was die teuren hoben,
sie waren froh dabei;
wir Söhne wollen loben
den goldigen Stein Galmei.
. Sie sind dahingegangen,
die dieses Gut geschaut,
die einst mit Mut und Bangen
die Beute abgebaut.
Ihr Schaffen steht in Ehren ;
wir haltens treulich hoch ;
ihr Preis soll nicht versehren,
ob auch die Zeit verflog.
Noch wächst auf diesen Gründen
der Braven fromm Geschlecht,
die laut ihr Lob verkünden,
sei’s Meister oder Knecht,
Wohl fern dem lauten Treiben
der Welt, die rast und drängt,
sol uns der Friede bleiben,
der Trost und Freude schenkt.
Versanken Zeit und Reihe
ins moosbedeckte Grab,
von dieser Stätte weiche
der. Segen nimmer ab.
Wir bleiben treu dem Worte,
das drang durch Sturmgebraus :
”Glück auf” ruft nach dem Orte,
dem lieben Kelmis aus !
34
Advent en Chressmestiet
von Peter Zimmer
Et Lov es vajjen Böm jevalle,
De Velder, Wejje, die sönd kahl,
En kauw Natur deet os ömwalle
In de Platsch va wärme Sonnestrahl !
Verschwonde es et blöjend Läve
Ut Bom en Struch öm dese Tiet.
Wat welt se Jots os könne jäve,
Vrott männ’je Minsch met Sörg en Spiet.
Wenn och die Tiet vär Minsche schöjje,
Sitt me se kome doch jäer tröck,
Weil sej os stärkt en och det fröjje,
Der Wäch frej makt vör eweg Jlöck.
Wä deet net jlöcklech wer erwade
De Werjeburt va Joddeskenk,
Die spende kann os hell völ Jnade,
Wenn en der Jlov vär net sönd blenk.
Wä welt empfange Chressnaatsäje,
Brukt mer te sie va jowe Well,
Vör ajjen Krepp jäer avteläje
Der Has en Niet e Chressnaat stell.
Hüet Minsche heem of en et Vrejje ;
E Chressnaat op der Jlockeklank
En stellt öch och met en die Rejje,
Die Chressnaat senge Vräjesank.
Lott et dröm vreere, schnejje, wenge -
En Siel schadt niemals Wenk of Wär.
Helpt met, dat alle Minsche venge
De Krepp, wie einst der Chressnaatsstär,
35
Aus der guten alten Zeit...
von Gottfried Gronsfeld
Das Leben rast so schnell dahin und die Welt ändert sich
um uns her. Als älterer Mensch denkt man mit Wehmut an die
Jugendzeit zurück und im Geiste ziehen die Bilder vergangener
Tage an uns vorüber.
Als ich noch ein kleiner Junge von 7 bis 8 Jahren war, lief
das Leben viel geruhsamer als heute. Manche Bequemlichkeit,
auf die heute niemand mehr verzichten möchte, gab es zwar
noch nicht. Alles war viel einfacher, viel gemütlicher, nicht
so hektisch. Die Menschen hatten bedeutend mehr Zeit und
waren auch viel zufriedener, - so schien es mir wenigstens.
Wie war das früher doch gemütlich! Der Milchwagen
wurde von zwei kräftigen Braunen gezogen, die in gemächlichem
Trab durchs Dorf zogen, und es wurde immerhin Mittag, wenn
nicht darüber, bevor die leeren Kannen von der Molkerei zu-
rückwaren.
In meiner Jugend bestanden noch nicht überall Molkereien
und auf manchem Bauernhof wurde die Milch noch ent-
rahmt und einmal wöchentlich gebuttert. Jeder Bauer besaß eine
Milchmaschine mit Handbetrieb Marke ”Melotte” oder ”Alfa-
Laval” oder ”Westfalia” und nach dem Melken erklang aus der
”Milchküche” das ”Tim-Tim” der Maschine. Mancher Groß-
bauer verfügte aber auch schon über eine elektrisch betriebene
Entrahmungs- und Buttermaschine. An jedem Tag konnte man
auf der ”Schottelbank” die blitzblank geputzten Ringe der Ent-
rahmungsmaschine aufgestapelt sehen.
Heute braucht der Bauer sich nicht mehr um den Absatz
seiner Milchprodukte zu kümmern ; diese Sorge nimmt ihm die
Molkerei ab. Früher war das anders. Auf jedem Wochenmarkt
konnte man Stände von Butter und Weichkäse sehen; jeder
Bauer verkaufte seine eigenen Erzeugnisse. Viele Bauern hatten
in den Städten auch Stammkunden, die sie jede Woche mit
Butter, oder jeden Tag mit Milch versorgten. In Aubel gab es -
vielleicht gibt es ihn noch heute - einen wöchentlichen Butter-
markt und ich erinnere mich, daß an jedem Dienstag Bauern
aus Hauset, Eynatten, Raeren, Walhorn und Hergenrath früh
36
am Morgen mit ihrem ”Dozcart” nach Aubel zum Buttermarkt
fuhren. Im Laufe des Nachmittags kamen sie zurück und auf
manchem Gefährt sah man allerlei auf dem Markt erstandene
Güter, wie Melkeimer, Heurechen, Heckenscheren usw. Begü-
terte Bauern verfügten sogar über einen extra feinen ”Dogcart”,
sogar gummibereift,
Die Bauerngüter im Eupener und Herver Land sind nicht
alle Eigentum der dort wohnenden Landwirte, sondern manche
gehören reichen Herren, die dieselben für neun Jahre verpach-
ten. Ist die Pachtzeit abgelaufen, so kann der Pächter den Pacht-
vertrag für weitere neun Jahre verlängern, oder aber er muß
ein anderes Gut pachten und ausziehen. Die Pachtzeit begann
und endete gewöhnlich am 1. Mai des Jahres. Ich entsinne mich,
in meiner frühen Jugend mehrere solcher Bauernumzüge gesehen
zu haben.
Am Morgen des 1. Mai erschienen dann in langer Reihe
grün gestrichene Leiterwagen oder Heuwagen, wie sie im Eupener
und Herver Land üblich waren. Sie waren meistens mit zwei
kräftigen Pferden bespannt und sowohl Wagen wie Pferde wa-
ren über und über mit bunten Papierrosen geziert. Selbst die
Peitschen der. Fuhrleute trugen am Schaft bunte Schleifen. Da-
bei klangen die Glöckchen oder ”Bellen” am Kummet der Pferde
ganz leise. Die schweren Wagen waren hochbeladen mit Möbeln
und Hausrat sowie landwirtschaftlichen Utensilien. Jeder Bauer
besaß höchstens zwei solcher Wagen, darum mußte er sich für
den Umzug bei Nachbarn Pferde und Wagen ausleihen, denn die
Habseligkeiten eines Bauernhofes waren immer vielfältig, ange-
fangen bei den Möbeln, dem Hausrat, den landwirtschaftlichen
Maschinen bis zum Saatgut, Holz, und was weiß ich noch. An
den beiden Längsseiten der Wagen hingen Girlanden und die
einzelnen Fuhrmänner hatten eine Sonntagsjoppe an. Als letztes
Gefährt kam eine Kutsche oder ein Dogcart ; darin befanden
sich die Bauersfrau und die Kleinkinder, denn die größeren
Kinder und Knechte oder Mägde mußten die Kühe treiben. Auch
Kühe, Rinder und Kälber trugen bunte Papierblumen an ihren
Hörnern. Heutzutage, bei dem lebhaften Verkehr auf unseren
Straßen, wäre ein solcher Umzug gar nicht mehr möglich. Für
uns Kinder war so ein Bauernumzug immer ein Erlebnis, an das
man sich heute noch gerne erinnert,
I |
N
Lamentum Katzarum
(Katzejammer)
von Gerard Tatas
”Beer en Pick es Satanswater,
Jeft, dat Liev en Siel verdervt.
Jedder Suplap kömt ant bräene
Be der Düvel, wenne stervt !”
Sö hat hüj Pastuer jepredegt
Met e schro en wöst Jesecht,
En ne Bleck wie Bletz en Donder
Be et jöngste Strovjerecht.
Hat dobej met Vüs jehowe
Op dä auwe Predegstohl,
Dat dä waggelde en krakde
En bo vane Mur afvol.
Wie der Pitt sech no de Meddag
Trotzdem wer e krie jeht,
Sitte, dat der Herr Pastuer
Och at ajjen Thek do steht.
En der Pitt es janz verwondert,
Denn Pastuer drenkt met Pläser
Flott e Dröpke no et andert
En dertösche och noch Beer.
”Satt ens, leve Häer Pastuer,
- Sätt der Pitt, - wie hann ech dat?
Selver sött der now ant drenke,
Ja, do benn ech äl janz platt !
En der Nam va Jott der Vadder
En der Sohn en hel’je Jees
Hadder dese mörje dröver
Noch jeknotert ejjen Mees !”
”Dow höts jüst paraj jeschole,
- Sätt Pastuer - Pitt, jlöv mech dat,
Wenn dow dese mörje minge
Katzejammer höts jehat !”
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Der 4. August 1914 e Jömmelech
Öschte Weltkregsoffensive ut en Froschperspektive
von Gerard Tatas
Et es e hov Johrhondert län,
Du koem der Dütsch no Belge än.
Et wor vielleicht en Wäek ov twei
Vör Jömmljer Kermes op ne Plei,
Die es natürlech du met Balle
En Karesselle utjevalle.
Dat wor net schönn - en jrad deswäje
Hant och de Dütsche Pis’le kräje.
Öm dä Tit also, wie jesat,
Du koem de janze dütsche Mat
Söjar noch vör der Mörjenskaffe
Der Öckerweg eraf jetraffe.
Met Päed en Wagels en Kanonne,
Sö koemte se e lang Kolonne,
Meschien noch met en jruete Vahn
Jrad op ne Zol e Jömmlech an.
Et hauw sech äl dä Dag bejove,
Dat ajjne Zol a Celing ove
Ne Jard met Käppi en met Ausgabe
De Wak stong vör et Vaterland.
Wie dä now sog die janze Ströp
E Uniform en blinke Knöp
Va Ocke kome ohne Pas,
Du trok häe sech der Ausgabe ens vas,
Sot noch der Käppi sech jett schräg
En stot sech medde op ne Wäg.
”Halt !” rope kräfteg ”Nondevik !
Halt ! sag ech. ”Halt *! C’est 1a Belgique !”
Sö wol dä Jard, dä jowe Auwe,
De prüssesche Armee ahauwe.
Die äl wol onbedengt marschere
No Belge än - der Kreg verlere,
Die Dütsche blävte dröm net stue,
Mä döks noch hat hön Led jedue,
Dat sey der Kaiser van hönn Land,
Mie wie der Jard jelustert hant.
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Die Bleyberger Heinzelmännchen
Lokal - Sage, erzählt von J. Lousberg - 1909
in dem damaligen Altenberger Jugendfreund erschienen
Gab’s denn überhaupt auch Heinzelmännchen in unserer
Gegend ? ”Ganz bestimmt !” würde der Großvater antworten und
ohne Zögern auch seine Antwort beweisen ; ja wäre er noch fest
auf den Beinen, würde er uns‘ gewiß nach Bleyberg führen zu
den ”Uferlöchern”, wo die Heinzelmännchen vor vielen Jahren
hausten.
”Heinzelmännchen” nannte man sie in unserer Gegend
nicht ; diese winzigen Leutchen mit dem langen Barte unter dem
Kinn und der Zipfelmütze auf dem Kopfe wurden ”Ufermänn-
chen” genannt. Daher auch der Name ”Uferlöcher” für ihre Woh-
nungen.
Von diesen Männchen gab’s so ziemlich überall,
und überall hatte man sie gern, denn, wenn sie auch dann
und wann einen witzigen Streich spielten, so leisteten sie doch
dem Volke mancherlei Dienste.
Der Großvater will wissen, daß die Ufermännchen unserer
Vorfahren nicht gerade so zuvorkommend waren, insbesondere
Faulenzern gegenüber, Da hätte man sich auf die Bank legen
sollen, um seine Faulheit zu pflegen ! Die Männchen wären wohl
gekommen, nicht um die daliegende Arbeit zu verrichten, wohl
aber um den schlafenden Faulpelz an seine Bank festzuschnallen.
Anders war es, wenn jemand ohne seine Schuld eine drin-
gende Arbeit versäumen mußte ; es kamen dann die Ufermänn-
chen und rupp ! rupp ! ging es da, hopp ! hopp !, im Nu war die
Arbeit verrichtet. Es geschah dies aber nur bei Nacht, wenn im
Hause alles schlief. Die Ufermännchen wollten bei ihrem Schaf-
fen nicht gesehen werden. Wenn nun auch Evas Töchter damals
gerade so neugierig waren wie heute, so getraute sich doch keine,
die winzigen Männchen zu beobachten, aus Furcht, sie könnten
nicht mehr wiederkommen.
Nun trug es sich zu, daß im Göhltal zwischen Bleyberg und
Sippenaeken eine kleine Mühle lag. Der Müller, Hans Kurt, war
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zwar sehr fleißig, machte aber trotzdem keine glänzenden Ge-
schäfte, In jener Zeit gab’s nämlich nicht viel zu mahlen und
außerdem wurde die Arbeit schlecht bezahlt, dazu kam noch, daß
Kurts Familie eine sehr große war und wenn nun unser Müller
auch stets ein frohes Gemüt hatte und gewöhnlich allen Wider-
wärtigkeiten energisch entgegentrat, so konnte man doch sehen,
wie manchmal eine düstere Wolke seine Stirne überzog, wenn
die Stunde der Mahlzeit schlug und seine acht Kinder sich hung-
rig dem Tische näherten.
Die Kathrin, Kurts Frau, teilte zwar die Sorgen ihres Man-
nes, blieb aber stets unermüdlich fleißig und auch frohen Mutes,
trotz aller Not und Entbehrung. Des Müllers älteste Tochter
hieß Fina und war bereits 14 Jahre alt. Gar oft hatte man ihr
von den Ufermännchen erzählt, und ihre Neugierde war dadurch
sehr groß geworden. Sie wollte die kleinen Leutchen sehen und
war fest entschlossen alles aufzubieten, um zu ihrem Ziele zu ge-
langen.” Wenn ich ein Bub wär statt ein Mädel zu sein,” sprach
sie oft, ”würde ich mich in ihre Wohnung schleichen, sehr
Schlimmes könnte mir doch nicht passieren, höchstens daß ich
dagehalten würde und eine Zeitlang wie Schneewittchen den
Haushalt der Zwerge führen müßte.”
Fina war ziemlich stark und mußte der Mutter schon bei
der Arbeit helfen. Nun kam es einmal vor, daß beide an einem
langen Winterabend an der Kufe standen und die Wäsche hielten.
Da fühlte sich die Müllersfrau plötzlich unwohl und sah sich
gezwungen, ihr Lager aufzusuchen, ohne die angefangene Arbeit
vollenden zu können.
Fina war ein gutes Kind, und das Unwohlsein ihrer Mutter
berührte ihr junges Herz schmerzlich ; dennoch empfand sie ne-
benbei eine heimliche Freude ; nicht etwa weil sie faul gewesen
wäre und sich gefreut hätte, von der Arbeit erlöst zu werden. -
Nein, nur weil sie hoffte, nun einmal ihre Neugierde hinsicht-
lich der Ufermännchen befriedigen zu können. Da die Arbeit we-
gen eines unvorhergesehenen Hindernisses unverrichtet liegen ge-
blieben war, konnte man wohl erwarten, daß die Heinzelmänn-
chen kämen, um die Wäsche während der Nacht zu vollenden.
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Fina war von ihrer Meinung so fest überzeugt, daß sie, so-
bald alles im Hause schlief, heimlich ihr Schlafzimmer verließ,
in die Waschküche schlich und sich dort in einer Ecke verbarg.
Mit pochendem Herzen, aber doch geduldig, wartete sie lange ;
tiefe Stille füllte den Raum, nichts rührte sich. Zwölf Uhr schlug’s
- da! plötzlich wurde von außen die Türe leise geöffnet und
husch ! husch ! schlüpften sechs kleine Gestalten in die Küche.
Fina hätte vor Schrecken laut aufschreien mögen ; sie bezwang
sich aber schnell und duckte sich in aller Stille,
Die Männchen guckten mit ihren flackernden Augen einige
Momente umher ; da sie aber nichts Verdächtiges merkten, gab
eins, das wohl das Meisterlein sein mußte, den anderen ein stum-
mes Zeichen. Vier Stühle wurden nun an die Kufe geschoben und
vier Männchen schwangen sich behende hinauf - da sie so klein
waren, hätten sie ja sonst das Innere der Kufe nicht erreichen
können. Die zwei anderen packten zusammen einen Eimer auf
und eilten hinaus, um Wasser zu holen.
Nun ging’s mit rasender Geschwindigkeit über die Wäsche
her. Die kleinen, aber doch festen Hände der Heinzelmännchen
wühlten rastlos in der Kufe herum ; sie platschten und rieben,
daß es ein Spaß war zuzusehen. Der Seifenschaum erhob sich
und stieg immer höher, bis er schließlich über den Rand der
Kufe wallte und auf den Fußboden fiel. Auch hier wurde er
immer größer und floß weiter und weiter - Fina sah ihn auf sich
zukommen und wollte ausweichen. In demselben Momente kamen
aber die zwei Männchen mit dem Eimer herein und diese merk-
ten sofort, daß sich etwas in der Ecke bewegte, sie ließen den
Eimer fallen und sprangen auf das Verdächtige zu. Nun war das
unglückliche Mädchen verloren, auch die anderen Männchen
hüpften herbei, im Nu war Fina aus der Ecke gerissen und zu
Boden geworfen, auch hatte schon eins der Männchen ihr nas-
ses Handtuch als Knebel in den Mund gestopft, damit sie nicht
schreien konnte. Die Zwerge berieten einen Augenblick, welches
Los die Neugierige treffen sollte. Sie schienen aber schnell da-
rüber einig zu sein, denn auf ein stummes Zeichen des Meister-
leins war ein Bettuch herbeigeschafft und auf dem Fußboden
ausgebreitet. Nachdem dem Mädchen die Hände und Füße zu-
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sammengebunden worden waren, wurde es auf das Bettuch ge-
rollt und darin eingewickelt.
An jeder Seite stellten sich nun die Männchen zu dreien
auf, bückten sich im Tackt, packten ihre Bürde, machten einen
Ruck, und Fina lag auf sechs festen Schultern. Mit schnellen
Schritten ging’s nun hinaus in die mondhelle Nacht. - Der Nord-
wind sauste durch das Tal; der Schnee knirschte unter den hüp-
fenden Tritten ; schnell eilten die Männchen den Uferlöchern
zu. Fina hatte vor Schrecken die Besinnung verloren, als die
Zwerge sie zu Boden gerissen hatten. Wie sie nun wieder zu sich
kam, machte sie große Augen ; der rötlich beleuchtete Raum, wo
sie sich befand, war kreisrund, In der Mitte stand ein großer
aber gar niedriger Tisch, rings herum waren zahlreiche zierli-
che Stühlchen aufgestellt.
Fina selbst saß in einem Sessel; vor ihr stand als Schild-
wache ein Ufermännchen und schaute ihr dreist ins Antlitz. So-
bald sie aber die Augen geöffnet hatte und verwundert umher-
guckte, klatschte das Männchen in die Hände und in demselben
Augenblicke wurden rings im Kreise unzählige Vorhänge zurück-
geschoben und zahlreiche Männchen huschten in den Raum. Sie
lachten, schrien, knirschten, zischten und gebärdeten sich in son-
derbarster Weise ; einige sogar schlugen Purzelbäume und roll-
ten sich über den Fußboden. Es dauerte dies aber nur einige
Momente, Bald stellten sich alle in einem Kreise auf und hüpf-
ten singend um ihre Gefangene herum. Als auch dieses Spiel be-
endet war, verließ das Meisterlein den Kreis, trat vor Fina hin
und begann mit tiefer Stimme : ”Kind, du bist unsere Gefangene.
Deine Neugierde hat dich in unser Reich geführt, und dies sollst
du sobald nicht wieder verlassen. Mein Hofrat sprach Gericht
über dich und verurteilte dich zu zweijähriger Zwangsarbeit.
Zwei Jahre lang also sollst du hier im unterirdischen Reiche
bei uns wohnen, uns täglich Speise und Trank zubereiten, unsere
Kleider waschen und flicken und unsere Räume in Ordnung
halten. Mach deine Arbeit gut und versuche nicht zu fliehen.”
Das Meisterlein trat nun zurück, ein spöttisches Gelächter ging
von Mund zu Mund und nach einem allgemeinen He, He, zogen
sich alle in ihre Zellen zurück, Fina meinte, nun allein zu sein ;
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als sie aber ihre tränengefüllten Augen aufschlug, sah sie, wie
Zwerg Rick als Wächter vor ihr stand und ihr ein stummes Zei-
chen gab zu folgen. Er führte sie in ein kleines Schlafzimmer,
zog sich dann bescheiden zurück, schloß von außen die Türe
und stellte sich als Wache davor. Die Heinzelmännchen hatten
sich unterdessen auch zur Ruhe gelegt und bald hörte Zwerg
Rick nur das Schnarchen seiner Brüder, das das Schluchzen von
Fina übertönte.
Die Müllersfrau hatte sich während der Nacht gut erholt,
als sie am Morgen in die Waschküche trat, merkte sie sofort, daß
die Heinzelmännchen dagewesen und daß sie verscheucht wor-
den waren. Rasch schritt der Morgen voran, das Frühstück wur-
de aufgetragen, aber Finas Platz blieb leer. ”Sie wird sich wohl
verschlafen haben,” meinte der Müller und eilte leisen Schrittes
die Treppe hinauf. Einen Moment später kam er aber leichenblaß
zurück, die Mutter sprang vom Stuhle auf und der Müller sagte
mit bebender Stimme : ”Fina ist nicht oben, ihr Bett ist unbe-
rührt.”
Wie vom Blitze getroffen schauten sich alle an, und im
Geiste der Müllersfrau wurde der Gedanke wach : die Ufermänn-
chen waren hier heute Nacht, die werden Fina fortgeführt haben.
Auch dem Müller ging jetzt ein Licht auf ; in wilder Hast rannte
er dem Dorfe zu und posaunte überall die Nachricht vom Raube
seiner Tochter aus. Die Bauern hatten Mitleid mit dem Müller
und rotteten sich zusammen und zogen mit Spaten und Hacken,
mit Gabeln und Sensen bewaffnet der kleinen Mühle zu, von
hier aus verfolgten sie die Spuren und gelangten bald an den
Eingang der Uferlöcher. Das Reich der Zwerge sollte nun er-
obert werden, aber wie ?
Die Öffnung war zu klein, um einem aufrechtstehenden
Menschen Durchgang zu gewähren, so wurde denn beschlossen,
den Eingang zu erweitern. Ohne Zögern ging man an die Arbeit,
es wurde gehackt, geschaufelt, ganze Felsstücke wurden losge-
rissen und mühsam entfernt. Stundenlang wurde diese Arbeit
in wilder Hast fortgesetzt bis auf einmal nach all der rasenden
Anstrengung das letzte Felsstück fiel. Ein breiter Eingang zum
runden Zwergensaal lag plötzlich offen vor aller Augen.
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Hacken und Schaufeln fielen, und wild stürmten die Bauern
durch die Öffnung in den Saal. Bestürzt blieben jedoch alle ste-
hen, ein erschreckendes Bild bot sich ihren Augen. Mitten im
Saal saß Fina gefesselt in einem Sessel und jammerte und weinte.
Der Müller besann sich nicht lange, er sprang auf seine Tochter
zu, und im Nu waren die Stricke durchschnitten und entfernt.
Fina mußte nun über alles berichten, was ihr geschehen war, Sie
erzählte, wie Zwerg Rick das Klopfen draußen gehört hatte,
wie auf seinen Ruf die anderen Ufermännchen hinzugekommen
waren, wie man sie in den Sessel gestoßen und gebunden hatte,
und wie dann die Zwerge in die verschiedenen Richtungen ge-
flüchtet waren. Die Bauern untersuchten alsdann jeden Winkel
der unterirdischen Wohnung, sie fanden wohl die Zellen der
Zwerge und auch manchen Eingang zu geheimen Gängen, von
den Ufermännchen aber fanden sie keine Spur.
Diese waren und blieben verschwunden, selbst in späteren
Zeiten hörte man nichts mehr von ihnen !
45
Auf dem Büchertisch
von A. Bertha
Unsere Kulturlandschaft wäre um einiges ärmer geworden,
wenn die Zeitschrift «HEEM» ihr Erscheinen hätte einstellen
müssen. Seit 1956 gehörte HEEM zum festen Bestand der hei-
matkundlichen Publikationen ; in den dreizehn Jahren ihres Er-
scheinens hatte die Zeitschrift viele Freunde gefunden. Ende
1969 schien es nun, als sei dies alles aus. Wegen Krankheit des
Schriftleiters mußte HEEM von seinen Lesern Abschied nehmen.
Die spontanen Beweise der Sympathie, die daraufhin den
Herausgebern zugingen, bewogen sie dazu, HEEM nicht fallen
zu lassen, Die Sekretariatsarbeit aber mußte reduziert werden.
So liegt nun HEEM in neuem Gewande vor uns : ein ”Jahr-
buch 1970” statt der sonst alle zwei Monate erscheinenden Zeit-
schrift.
Das Jahrbuch ist reichhaltig und bietet für jeden etwas. Der
Schwerpunkt liegt auf der Geschichte der Voer- und Aubeler
Gegend. Daneben findet sich aber auch mancher Beitrag, der
die Göhltalbewohner interessieren dürfte : dialektologische For-
schungsergebnisse von Dr. Rene Jongen und A. Boileau. Ju-
genderinnerungen von Hermann Heutz, ein Beitrag von V. Gielen
über das Walhorner Bankgericht, ”der Preusbosch” von F. Pau-
quet, u. v. a. mehr. Zahlreiche Gedichte aus der Feder von J.
Vilvoie, Jos. Bindels, M. Th. Weinert-Mennicken, E. Gennen
und G. Tatas runden das Jahrbuch harmonisch ab.
Einen ”bescheidenen Beitrag zur Geschichte des Altenber-
ges” nennt Firmin Pauquet seine kürzlich erschienene Monogra-
phie
”Exploitation de la Vieille Montagne au XVII“ si&cle”
(Publications de la Societe d’Histoire et d’Archeologie du Plateau
de Herve, 2° serie, Imprimerie Jos. Jullien, Liege, 1970)
Die vorliegende Arbeit ist die Frucht eines eingehenden
Quellenstudiums. Es ist dem Autor gelungen, von der an sich
trockenen Materie eine sehr lebendige Darstellung zu geben.
Hier liegt zum ersten Male eine detaillierte Untersuchung vor
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über die Betriebsführung, die Technik der Galmeigewinnung,
Umfang und Wert der Produktion sowie die soziale Lage der
Arbeiter. Letzteres gehört zu den interessantesten Kapiteln. 39
Feiertage - ohne die Sonntage, wohlgemerkt - zählte man um
1630. Die Löhne waren jahreszeitlichen Schwankungen unter-
worfen. Ganz erstaunlich ist die große Lohnstabilität während des
ganzen untersuchten Zeitraumes. Eine Lohn-Preis-Spirale mit
inflationären Tendenzen scheint man nicht gekannt zu haben.
1681 verdiente der Grubenarbeiter 10 sols pro Tag im Sommer
und 9 sols im Winter, (Zum Vergleich : ein Pfund Stockfisch ko-
stete 2 1/2 sols, ein Pfund Butter 10 sols, ein Humpen Bier 3
sous). 1)
Auch Zulagen gab es. Allerdings nicht in Form eines drei-
zehnten Monatsgehaltes zu Weihnachten. 1 Florin 4 sols bekam
jeder Arbeiter ... zu Karneval !
Mit der sozialen Sicherstellung sah es nicht gut aus. Nir-
gendwo finden sich in den Archiven Hinweise auf Alters- oder
Invalidenrente ; auch über Streiks oder sonstige Arbeitskonflikte
schweigen die Dokumente. Die Arbeiter scheinen ihr Leben
lang den Arbeitsplatz nicht gewechselt zu haben. Manche began-
nen auf der Grube mit 12 Jahren und blieben im Dienst, solange
sie arbeitsfähig waren. (I. J. 1648 wird der Arbeiter Symon
Hont erwähnt ; er ist 80 Jahre alt !)
Die Kriege, die Europa in der 2. Hälfte des 17. Jh. heim-
suchten, blieben nicht ohne Folgen für den Altenberg. Der Fran-
zosenkönig legte sich mit allen an, und der Altenberg mußte hohe
Abgaben leisten, um die französischen Kriegslasten tragen zu
helfen. Dreimal kamen die Franzosen und plünderten. Beim
dritten Male, i. J. 1684, am 13. Januar, plünderten und brand-
schatzten sie ebenfalls Astenet, Hergenrath und Gemmenich,
Mit dem Krieg der Augsburger Liga führt uns F. Pauquet
bis an die Wende zum 18. Jh. Die Geschichte des Altenbergs
im 18. und 19. Jh. bleibt noch zu schreiben.
1) Der ”sol” ist eine Verrechnungseinheit.
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Wir gratulieren !
Nach vier Jahren schweren Universitätsstudiums hat unser
Vorstandsmitglied LEO WINTGENS vor einigen Monaten an
der Universität Lüttich mit Auszeichnung das Diplom eines
”licenci& en philologie germanique” erhalten. Daß Leo Wintgens
dies in der Minimalzeit von vier Jahren fertig brachte, ist ange-
sichts der vielseitigen Pflichten und Tätigkeiten, die ihm das
Leben und seine kulturellen Interessen auferlegten, nicht sein
geringstes Verdienst. Neben seinem Studium lief in kaum vermin-
dertem Umfang seine Lehrtätigkeit am Oblatenkolleg in Gem-
menich her. Im Laufe dieser Jahre vervierfachte sich auch, durch
die Geburt von Drillingen, die Kinderzahl daheim. Über den
Alltag eines Ehemann-Vater-Kindermädchen-Lehrer-Studenten
wird wohl niemand besser Auskunft geben können als gerade Leo
Wintgens. Doch dazu kommt noch seine ungebrochene und un-
verbrüchliche Treue, mit der er weiterhin zu unserer Vereinigung
gehalten hat : kaum eine Veranstaltung, wo er nicht mit dabei
gewesen wäre, und zwar oft als treibende Kraft, auch wenn er
vor zwei Jahren den Posten des Ersten Vorsitzenden, der ihm
als dem Hauptbegründer unserer Vereinigung zukam, notge-
drungen hatte fahrenlassen müssen.
Es gratuliert nochmals im Namen der Vereinigung
der Vorstand.
Inhalt
Vorwort 3
Wissenschaftliches und Geschichtliches :
M. Meerman, Kerkrade-West Eine besondere Flora im Göhltal 4
Fr. U:bags, Kelmis Aus der jüngsten Geschichte des
Altenberger Grubenfeldes :
Die Grube Schmalgraf 10
L. H., Fossey-Hauset Vor 100 Jahren 2X
O. E. Mayer, Raeren Wer hilft suchen ? Unbekannter Fund-
ort römischer Keramik bei Gemme-
nich 22
L. Wintgens, Moresnet Fragekasten :
und R. Jongen, Löwen Unsere Mundarten und wir 24
Erinnerungen, Sagen und Gedichte :
P. Zimmer, Kelmis Kaplan Bosch, der große Jugend-
freund 27
Aus dem ”Altenberger Jugendfreund” (1910)
Aufruf 31
Das Lied von Kelmis 33
P. Zimmer, Kelmis Advent en Chressmestiet 34
G. Gronsfeld, Nidrum Aus der guten alten Zeit 35
G. Tatas, Gemmenich Lamentum Katzarum 37
G. Tatas, Gemmenich Der 4. August 1914 e Jömmelech 38
J. Lousberg Die, Bleyberger Heinzelmännchen 39
Verschiedenes :
A. Bertha, Hergenrath Auf dem Büchertisch 45
Der Vorstand Wir gratulieren 47
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