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Im Göhltal
ZEITSCHRIFT DER VEREINIGUNG
FÜR
KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
IM GÖHLTAL
Nr. 79
Februar 2007
Veröffentlicht mit der Unterstützung des Kulturamtes der
deutschsprachigen Gemeinschaft
Vorsitzender: Herbert Lennertz, Stadionstraße 3, 4721 Neu-Moresnet.
Sekretariat: Maxstraße 9, 4721 Neu-Moresnet, Tel. 087/65.75.04.
Lektor: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Kassierer: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Postscheckkonto Nr. 000-0191053-60.
Fortis Bank: 248-0068875-35
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Konto BRD: Aachener Bank: 821 363 012 (BLZ 390 601 80)
Die Beiträge verpflichten nur die Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten
Druck.: Aldenhoff, Gemmenich - 087-78 61 13.
3
Inhaltsverzeichnis
Alfred Bertha Zum Umschlagbild: 5
Hergenrath Der «Hergenrather Hof»
Erwin Bruch Die Familie des Werner Heins 25
Neu-Moresnet aus Astenet
M.-Th. Weinert Im April 36
Aachen-Forst
Walter Meven Vom Krönungsstift zum Kollegiatsstift 37
Aachen
Helmut Christoph Die «Ports» oder «Boutique» 41
Oberkirch in Walhorn
Dieter Iven Chronik einer Dienstreise 50
Aachen
Bernard Liemann/ Aus der Gemeindechronik von 55
Sebastian Scharte Preußisch-Moresnet
Münster
Henri Beckers Die Aktie der Preußisch-Belgischen 80
Kelmis Verbindungsbahn
Jakob Langohr Wat ech esue schrääf 82
Bildchen
Alfred Bertha Neu-Amerika, ein Nachtrag 84
Hergenrath
Peter Zimmer (+) Wat wür et Jöhltal 90
Herbert Lennertz Jahresrückblick 2006 91
Neu-Moresnet
5
Zum Umschlagbild
Der «Hergenrather Hof»*
von Alfred Bertha
Zu den genealogischen Ausführungen zur Familie Beelen, die Herr
de Janty in der vorigen Nummer dieser Zeitschrift veröffentlichte‘, lassen
wir hiernach einige Einzelheiten zum Wohnsitz der Familie Beelen in
Hergenrath folgen. Dieses Haus trägt bis heute den Namen “Bertolff*‘;
im Volksmund ist es unter dem Namen „Hergenrather Hof“ bekannt.
Im Besitz der Familie Bertolff war der „Hof zu Hergenrath“, der in
den Lehensregistern der propsteilichen Mannkammer des Achener
Marienstiftes schon 1441 genannt wird, von 1460 bis 1562.
Auch nachdem der „Hof“ im Jahre 1567 durch Verkauf an Lambert
Beel von Imbach übergegangen war, blieb der Name der vormaligen
Besitzer an ihm haften.
Eine „Specificatio feudi in Hergenraedt“ (d. h. eine Auflistung der
zum Hergenrather Lehen Bertolff gehörenden Ländereien) vom 27. Mai
1627 gibt uns eine vage Vorstellung des Umfanges von „Bertolff‘““ und
den dazu gehörenden Grundbesitz. Die Auflistung ist auch wegen der
genannten Flurbezeichnungen von Interesse.
Sie wurde angefertigt, als Lambert Beel und Claes Beelen, beide
Schöffen der Bank Walhorn, dem Propst des Aachener Marienstiftes
ihre Hergenrather Besitzungen zum Lehen übertrugen?. Im einzelnen
werden genannt:
Zum ersten das Gut („Aensaell‘) zu Hergenrath genannt „der Hof“
gelegen an der Gillis Heide mit seinen (Wasser-) Gräben;
Zum zweiten 12 Morgen Benden gelegen außerhalb der Gräben;
Zum dritten ein Weiher mit 2 Pfühlen sowie ein Weiher „oben am
Brunnen“‘;
Zum vierten noch 18 Morgen Land, davon 6 Morgen gelegen am
Fußpfad, der zur Kirche führt, sowie 1 Morgen längs St. Mertens Busch;
* Zeichnung Sonja Firmenich-Laschet, Hergenrath
'_ Im Göhltal, Nr. 78, S. 19-42
?_ « Ich Lambert Beelen ende Claes Beelen ...geven oever an den Eirw. ende erenvesten
Propst Vitsdom als Lehen Herr der Propst. Lehen guderen bennen der Bank Walhorn
alsulchen Lehen geuder als wij besetten ende possedieren gelegen Int quarteir
Hergenraedt...‘“ Domarchiv Aachen, Propsteiliche Lehengüter zu Hergenrath.
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Das Herrenhaus Bertholf
desgleichen 6 Morgen „Land“ (= Ackerland) gelegen im Schlem-
pertal;
desgl. 2 Morgen Land gelegen „vorne im Feld‘;
desgl. 2 Morgen Land gelegen „op Zefrosch“‘;
desgl. 1 Morgen gelegen „op Zefrosch‘ genannt das „Winkelstück‘‘;
Zusammen waren das 11 Morgen Ackerland, wofür Lambert und Claes
Beelen jährlich 3 1/2 Fass Hafer an den Prinzen/Herzog und 12 Fass an
die Kirche von Hergenrath abführen mussten.
Kleinere, unbedeutende Absplisse („Spletten‘“‘), die zum Gut gehörten,
sind hier nicht von Interesse,
7
Am 19.8.1651 empfängt Johann Beel das etwa 36 1/2 Morgen große
Gut zu Hergenrath als Universalerbe laut Testament seines Oheims Claes
Beel. Der genannte Johann Beel (en) war 1680 Meier „der Bank (!) und
Herrlichkeit Hergenrath“.
Die Familie Beelen besaß seit 1640 einen Grabstein in der Walhorner
Kirche. 1684 brannte das Haus Bertolff ab „par une suite de guerre‘“ —
infolge von Kriegshandlungen -, wurde aber durch Johann Albert von
Beelen wieder aufgebaut. 1748 wurde Bertolff erneut von französischen
Truppen heimgesucht und geplündert, sodass, wie es die Walhorner
Schöffen 1770 bezeugen, diese Familie durch Feuer und Plünderung
der Feinde unserer Herrscher die Urkunden und Papiere verlor („„de sorte
que cette famille a perdu par les flammes et le pillage des ennemis de
Nn0s souverains les actes et papiers‘®.
Im 18. Jahrhundert bleibt der Hergenrather Hof im Besitz der Familie
Beelen, ist jedoch selten in einer einzigen Hand. 1766 ist der kaiserliche
Rat und General-Auditor Johann Albert von Beelen alleiniger Besitzer
des Hofes, der im September 1766 auf Antrag des Hauptmannes in
holländischen Diensten Franz Joseph de Ringler mit Arrest belegt wird.
Der hochverschuldete General-Auditor Beelen und dessen Frau Anna
Catherina d’Ansillon übertragen am 6. Juni 1771 ihr Lehen Bertolf „mit
Schloss, Gräben, Teichen, Gärten, Wirtschaftshof, Busch und Land
sowohl Lehen-, als Zinsgut, den Hof Gillesheide und andere, nicht von
der Mannkammer lehnrührige Güter ihrem ältesten Sohn, dem Auditor
Maximilian von Beelen. Über die Zahlung einer Rente an die Eltern und
die Abrechnung und die Auszahlung an die Geschwister nach dem Tode
der Eltern werden umfangreiche Vereinbarungen getroffen“.
Wie sein Vater, so bleibt auch Maximilian von Beelen hochverschuldet.
So bekennt er am 14. September 1781, dem Generaleinnehmer W. J. F.
Birven 4.353 Gulden Steuerrückstände zu schulden. Als Sicherheit stellt
er sein Schloss Bertolff mit Zubehör, die Pachthöfe Gillesheide und
Vergaederinghe, sowie das, was er von Jan Stickelman erworben hat°.
Am 3. Oktober 1781 bekennt er, dem Cornelius Arnold Mostert 2.978
Gulden zu schulden. Auch in diesem Fall stellt er das Schloss Bertolff
als Sicherheit.
Wegen weiterer Schulden werden die in Hergenrath, Hauset und
Astenet gelegenen Güter des Maximilian v. Beelen und seiner Frau Maria
3 Stadtarchiv Aachen, ungeordnete Akten der Hochbank Walhorn, Bündel 5.
* v. Coels, Die Lehensregister der Propsteilichen Mannkammer, Lehen 157, S. 270
5 ‚ebd.
9
Vente d’un bien: pafrimonial, + wu
Le mercredi 16 novembre 18174, A dix heures du matin ;
Chez le SS", Cuillaume Beuven, maison de feu M. V’echevin
Bounie , a Biltgen , commune de Hergenraed , sise, & une liene
d’Aix-la-Chapelle, sur la chaussge de Titge, il sera proc6d&
devant Ic notaire soussignd , residant a Eupen, a ia requeie de
Madame Marie-Jeanne-Joseph van Casteel , dowairi&re de .feu
Monsicur Ie baron Maximlien de‘ Beelen de Bertholff et do sag
‚enfans, 3 V’adjudication preparaloire, et le mercredi 30 du meme
mois de novembre, & Ina möme heure et au nıdme lien, da V’ad-
judication definitive des immeubles, dont suit le deiail, situde
en ladite commune de Hergenracd , cercle de Verviers , depar-
tement de Meuse‚et-Ourte ; & proximit& et du cöt& gauche de
ladite grande route d’Aix-Ia-Chapelle & Lidge ; savoir :
1°, Chäteau de Bertholff, ayant un site des plus pittoresques ,
abondammen?” pouryuw d’eau en toute.saison, consistant en um
vaste quartier de ıhaltre, couvert en ardoises, jardins A fleure
ei A fruits, condaits et jets d’ean, trois pepinitres, plusieurs
dröves et Etangs.; hois de sapin et autres hocages, f
20. Basse-cour attenante audit chäteau, et une formant avec
jcelui, qu'un ensemble, consistant en maison d’habitstjon de
fermier, couyerte en Iuiles ect autres vastes häliınens, Ccuries ,
etables , granges et.remises , avec un graud pre A faucher, en-
tourant ces-bätimens, et une grande prairie & päture, et mombıe
de terres labourables de la premitre classe,et de ‚la; meilleure
qualite, NEE
La” hassv-cour est tenue en location par Ia ‚veuve P. Rader-
mecher. &
30. Aufie ferme dite Cilles-Heyd , occupde par le censier
Jacques Nicol. har
4“. Dito, ferme appelee Vergaederinge, occupee par la dame
veuve Chabert, nce Stecunarts. i X
5°, Dito , nanımfe” Specte Molen ; Toude au’ censter” Andre
Laschet; cette dernidre -ferme est situge & Kelmis, commune
de Moresnet. i in S
Les inmeables susdits ,confiennent en tout, suivant les ca-
dastres, 3 journaux, 6 verges, faisanı 67 hectates, Oo ares,
20 centjares. RE DAN \
S’adresser en l’ötude dudit notaire pour connaltre prealablement
les conditions de lasvente, | MORE Ani
Fait 4 Eupen, le 295 octobre 1814. . n
» -—=P;’S. HENNEN..
$ X &
Anzeige im Journal des Nieder- und Mittel-Rheins vom 4. August 1814.
Bei der Angabe der Gesamtfläche (unter 5°) ist dem Drucker ein kleiner Irrtum
unterlaufen. Es muss heißen: 77 bonniers, 3 journaux, 6 verges.
10
Niederösterreich. Seine Witwe kehrte nach Hergenrath zurück, wodurch
sie der Beschlagnahme und dem Verkauf ihres Besitzes zuvorkam. Die
Kinder, die beiden Söhne Eugen Baron von Beelen und der noch
minderjährige in Wien lebende Charles sowie die Tochter Marie von
Beelen blieben im Ausland. Letztere war verheiratet mit dem Baron
von Pelichy aus Kremsier in Mähren und dort wohnhaft. Der Sohn Eugen
war 1807 Kapitän im Infanterieregiment Charles Schroeder Nr. 7 und
in Pressburg (damals ungarisch, heute Bratislava, Hauptstadt der
Slowakei) ansässig.
Eugen Baron von Beelen, Miterbe seines verstorbenen Vaters,
handelnd für sich und für seinen in Wien lebenden und noch
minderjährigen Bruder Charles, dessen Vormund er ist, erlaubt am ’2.
Oktober 1807 seiner in Brüssel wohnhaften Mutter Marie Jeanne Jo-
seph van Casteel alle ihre in der ehemaligen Provinz Limburg gelegenen
Güter öffentlich zu verkaufen. Ein gleiches tut die Tochter Marie durch
notarielle Beurkundung in Kremsier am 27. Oktober 1807, während die
Witwe Beelen geb. van Casteel am 2. Januar 1808 vor dem Bürgermeister
und dem Stadtrat der Stadt Lintz in Oberösterreich schriftlich dem
Brüsseler Notar Antoine Jean Stinglhamber die Vollmacht zum Verkauf
all ihrer im früheren Herzogtum Limburg gelegenen Güter erteilte. Diese
drei Schriftstücke werden allerdings erst am 28. November 1814 in Eupen
registriert. Der Eupener Notar Peter Joseph Hennen ließ die Güter durch
Plakatanschlag in den umliegenden Orten und Bekanntmachungen in
den Zeitungen des Ourthe-Departements und der Stadt Aachen zum
Verkauf anbieten.
Der gesamte Grundbesitz der Familie Beelen wurde in vier Lose
aufgeteilt, die zuerst einzeln, dann zusammen zur Versteigerung kamen.
Der Hergenrather Hof
Los 1 umfasste 31 Positionen, und zwar:
1) das Schloss Bertholff mit seinen Wirtschaftsgebäuden, Scheunen,
Schuppen und Anbauten, insgesamt 126 Ruten oder 27 a, 46 ca;
2) einen Gemüsegarten von 198 Ruten oder 43 a, 15 ca;
3) eine eingefriedete, als Baumschule angelegte Parzelle dem Schloss
gegenüber gelegen, groß 712 Ruten oder 1 ha, 55 a, 19 ca;
4) eine ähnliche Parzelle von 79 Ruten oder 17 a, 22 ca;
5) einige Weiher, die inmitten der Mähwiesen Nr. 38 und 39 des
Katasters liegen, zusammen 355 Ruten oder 77 a, 38 ca;
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Dieses alte Ölbild (Haus Zimmermann) zeigt im Vordergrund den schon lange
verschwundenen Fleunisweiher/Flönnesweiher.
6) einen Weiher von 32 Ruten oder 6 a, 97 ca, genannt „Fleunisweiher*‘,
grenzend im N an den Weg, im S, O und W an die Güter der Witwe
Gerard Laschet;
7) einen „Hau“ (Parzelle) Wald von 380 Ruten oder 82 a, 82 ca;
8) 17 Ruten oder 3 a, 60 ca Gestrüpp, grenzend an den Wald und den
Herrn Nagelmackers;
9) eine Enklave Wald von 349 Ruten oder 76 a, 7 ca;
10) 2 Heideflächen, die eine genannt „Hochheide“, die andere „Scham-
pelheide“, groß 3 Bunder, 1 Morgen, 91 Ruten oder 3 ha, 3 a, 19 ca;
Die Witwe Peter Radermecker, Pächterin der Wirtschaftsgebäude,
bewirtschaftete folgende Grundstücke:
1) einen Gemüsegarten von 71 Ruten oder 15 a, 7 ca, grenzend an den
Garten des Hofes Gillesheide;
2) eine Weide von 10 Bunder, 96 Ruten oder 8 ha, 92 a grenzend im
Osten an den Weg, im S an die Witwe Heinrich Hennen und an das
„Feld“, im Westen an den Mertensbusch und im N an die Erben Ringler
und Laurenz Barth;
12
3) eine Mähwiese von 11 Bunder, 2 Morgen und 62 Ruten oder 10 ha,
18 ca, grenzend im Osten an die große „avenue“, im S an Mathieu Cupper,
Laurent Barth und Brice Goor, im W an Joseph van den Hertz und im N
an den Weg, die „platte Weide‘ und die Gebrüder Monchamps;
4) einen Acker an Mertensbusch, grenzend an die Erben Peter Moresnet,
die Verkäufer, die Erben des Notars Bounie und den genannten Wald,
groß 169 Ruten oder 36 a, 83 ca;
5) einen Acker von 582 Ruten oder 1 ha, 29 a, ca, genannt „kleines
Slemperdael“ (= St Lamberts-Tal?);
6) einen Acker von 3 Bunder, 54 Ruten oder 2 ha, 73 a, 33 ca, genannt
„Slemperdael‘‘, grenzend im O an die Verkäufer, im S an die Erben Jakob
Fober, im W an den Weg und im N an die Erben Ringler; .
7) einen Acker von 80 Ruten oder 17 a, 3 ca „an der Ossengatz‘‘;
8) einen Acker von 254 Ruten oder 55 a, 36 ca, grenzend im Osten an
die Gebrüder Monchamps, im S an den Eyneburger Weg, im W an Herrn
Birmans und im N an Herrn Birven;
9) einen Acker im Bouwinkel, groß 68 Ruten oder 14 a, 82 ca, grenzend
im Osten und W an die Gebrüder Monchamps, im S an den Eyneburger
Wald;
10) einen Acker von 95 Ruten oder 20 a, 70 ca, grenzend im Osten an
Herrn Birmans, im S an den Wald, im W an die Verkäufer und im N an
die Gebrüder Monchamps;
Giebelspitze der Gillesheide mit Jahreszahl 1728
13
11) einen Acker von 352 Ruten oder 20 a, 72 ca, grenzend im Osten an
die Verkäufer, im S an Monchamps und im W an den Eyneburger Wald;
12) einen Acker von 106 Ruten oder 23 a, 10 ca, grenzend im Osten an
die Verkäufer und im W an Herren Nagelmaeckers;
13) einen Acker von 1019 Ruten oder 2 ha, 22 a, 11 ca, grenzend im
Osten an den Weg, im Süden an Monchamps, im W an den Wald und im
N an die Gebrüder Monchamps und die Witwe Heinrich Hennen;
14) einen Acker von 44 Ruten oder 19 a,59 ca, grenzend im Süden und
im O an die Erben Fredrics, im W an den Eyneburger Wald;
15) einen Acker am Eyneburger Weg, grenzend im Osten an Stephan
Hahn, im S an den Weg, im W an die Erben Mathias Maeger, groß 215
Ruten oder 59 a, 94 ca;
16) einen Acker genannt „Roubelaer“, groß 369 Ruten oder 80 a, 43 ca,
grenzend im Osten und Süden an die Gebrüder Monchamps, im Westen
an Herrn Nagelmaeckers und im Norden an den Weg;
17) eine Parzelle teils Ackerland, teils Mähwiese, groß 1093 Ruten oder
2 ha, 38 a, 24 ca;
18) einen Acker genannt „Ochsenstall“ ursprünglich zur Gillesheide
gehörend, nun davon abgetrennt und dem Schlosshof zugeschlagen, groß
300 Ruten oder 65 a, 39 ca;
19) einen Acker von 82 Ruten oder 17 a, 87 ca, herausgelöst aus dem
Hof „Vergaederinge“;
20) eine Ackerparzelle von 16 a, 56 ca, z. Zt mit Bäumen bepflanzt, von
der „Speetenmolen“ abgetrennt;
21) ein Sumpfloch am Tüljebach von 15 a, 25 ca, aus der Speetenmühle
herausgenommen.
Die Vermessung ergab für das zum Hof gehörende Gut eine Fläche
von 37 Bunder, 3 Morgen und 27 Ruten oder 32 ha, 97 a, 16 ca.
X Die Gillesheide
Das zweite Los des Beelen-Besitzes umfasste das in der Nähe des
Hergenrather Hofes gelegene Gut Gillesheide (auch Gilles Heyde
geschrieben). Die Flurbezeichnung „Gillis Heyt“ findet sich schon im
Hergenrather Gudungsbuch am 16.11.1632. Der Hof trägt als Jahr der
Erbauung im Giebel die Zahl 1728.
Die Gillesheide war 1814 bewohnt vom Pächter Jacques Nicol. Der
Hof umfasste laut Vermessung durch den Landmesser Jean Arnold Kes-
sel 11 ha, 11 a und 81 ca, und zwar
- das Haus mit den Wirtschaftsgebäuden in einer Größe von 4 a, 57 ca;
14
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Der Hof Gillesheide (Foto 2006)
- einen Gemüsegarten von 7 a, 41 ca;
- eine Weide gegenüber dem Hof, genannt Perdts-Weyde (Pferdeweide),
groß 1 ha, 35 a und 79 ca;
- eine Weide von 500 Ruten oder 1 ha, 8 a, 98 ca, gelegen hinter dem
Haus und grenzend an die Repräsentanten Ringler;
- eine weitere Weide genannt „platte Weide‘, groß 607 Ruten oder 1
ha, 32 a, 30 ca;
- eine Mähwiese von 250 Ruten oder 54 a, 49 ca, grenzend im Westen
an die große „avenue“ des Schlosses und im Norden an einen Weiher;
- einen aus drei Parzellen bestehenden Acker genannt „Kattenwinkel“‘,
374 Ruten oder 81 a, 52 ca groß;
- eine weitere Ackerparzelle gelegen „in de Kehl“, grenzend im Norden
an den Mertensbusch, groß 141 Ruten oder 30 a, 73 ca;
- eine Ackerparzelle von 785 Ruten oder 1 ha, 71 a, 10 ca;
- eine Ackerparzelle von 261 Ruten oder 56 a, 59 ca;
- eine Ackerparzelle von 551 Ruten oder 1 ha, 20 a, 10 ca gelegen auf
der Schampelheide;
- eine Ackerparzelle auf der Hochheide, groß 478 Ruten oder 1 ha, 4 a,
18 ca,
- eine kleines Haus mit Gemüsegarten und Obstgarten, bewohnt durch
Leonard Knops mit einer Fläche von 122 Ruten oder 26 a, 59 ca.
15
1835 ist Mathias Laschet als Pächter auf der Gillesheide, die er aber
in jenem Jahre nach Verkauf von Vieh und Mobilar verlässt. Ihm folgte
bis Juli 1836 der Pächter Dionys Heuschen.
Die Vergaedering
Das dritte Los umfasste Haus und Grund der „Vergaederinge‘. Dieses
an der Aachener Straße Nr. 55 gelegene und heute durch Herrn S. Palm
bewirtschaftete Gut leitet seinen Namen ab vom niederländischen
„vergaedering“, d. h. Versammlung. Im 18. Jh. war hier über längere
Zeit der Versammlungsort der Bürger, die zu „Naeber-Vergaederingen“
zusammenkamen, um gemeinsam mit ihren Bürgermeistern die
anstehenden Probleme zu besprechen. Auch die Bürgermeisterwahlen
fanden hier statt.
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Der Hof «Vergaedering» (Foto 2006)
In der Franzosenzeit wohnte hier der Bürgermeister Louis Chabert;
nach dessen Tod (1814) wurde die Vergaedering von der Witwe weiter
bewirtschaftet.
16
Die Speeten- oder Jansmühle
Als viertes und letztes Los kam bei der Versteigerung die Speeten-
oder Jansmühle zum Aufruf, Diese auf dem Gebiete von Moresnet,
Abteilung Kelmis, gelegene Mühle wurde damals von dem Müller An-
dre Laschet bewohnt.
Die Mühle wurde 1777 durch die Kinder und Erben der verstorbenen
Eheleute Jan Speet und Catharina Sproeten an den Auditor Beelen
verkauft und mal „Speeten-Molen“‘, mal „Jans-Molen“ genannt. Letztere
Bezeichnung hat sich bis heute erhalten.
Zur Jansmühle gehörten neben dem Haus und anderen Gebäulichkeiten
von 9 Ruten oder 1 a, 96 ca eine Hauswiese von 1479 Ruten oder 3
Bunder, 2 Morgen, 79 Ruten bzw. 3 ha, 22 a, 37 ca;
- eine Parzelle Ackerland von 743 Ruten oder 3 ha, 61 a und 95 ca;
- eine Ackerparzelle genannt Rott von 80 Ruten oder 17 a, 43 ca.
Insgesamt gehörten so zur Jansmühle rund 5 ha Land.
Die Gesamtübersicht ergab folgendes Bild:
Das Schloss Bertolff 7393/87 15 ca
Der Schlosshof 32 ha, 97 a, 16ca
Die Gillesheide 1lha, 11 a, 81 ca
Der Hof Vergaederinge 10 ha, 74 a, 10 ca
Die Speeten- oder Jansmühle Sha; 3a 75ca
Das Lastenheft des Verkaufs vermerkt ausdrücklich: „Alle hier
aufgeführten Immobilien sind ausschließliches Eigentum der Witwe von
Beelen, des Herrn Barons Eugen von Beelen und der Baronin Marie
von Beelen, Ehefrau Pelichy, da ihr Sohn resp. Bruder Charles von Beelen
verstorben ist.“
Die Verkaufsbedingungen umfassen nicht weniger als 22 Artikel, die
erst in französischer Sprache und dann in der Landessprache („en lan-
gue du pays“) erläutert wurden. Da der beurkundende Notar aus
Hergenrath stammte, müssen wir unter „langue du pays“ wohl den
heimischen Dialekt verstehen.
Wir greifen hier die wichtigsten dieser Bedingungen heraus.
1. Die Bezahlung muss in „monnaie decimale‘‘, d. h. in französischen
Franken geschehen.
2. Der Käufer übernimmt alle auf den erworbenen Immobilien lastenden
Hypotheken.
3. Da.das Pachtjahr mit dem 1. Mai begonnen hat, wird der Käufer in
den Genuss der fälligen Pachtgelder kommen, aber auch alle
Grundsteuern des Jahres 1814 tragen müssen.
17
4. Die Einregistrierungskosten sind voll zu Lasten des Käufers.
5. Die Einregistrierungsgelder sind dem Notar Hennen binnen 8 Tagen
nach dem definitiven Verkauf zu übergeben.
6. Als Entgelt für die Abfassung des Lastenheftes, die
Verkaufssitzungen, die Veröffentlichungen in den verschiedenen
Zeitungen, die Verkaufsplakate usw. zahlt der Käufer sofort dem
Notar Hennen 3% des Kaufpreises.
7. Der Verkäufer kann die Lose nach eigenem Belieben
zusammenstellen.
9. Die Gebote auf das erste Los müssen wenigstens 50 Franken, auf
die anderen Lose wenigstens 25 F und auf alle Lose zusammen
wenigstens 100 F betragen.
10. Jede als zahlungsfähig anerkannte Person wird zum Mitsteigern
zugelassen.
12. Die Ansteigerer übernehmen sowohl die passiven wie die aktiven
Gerechtsame.
13. Für die angegebenen Flächengrößen wird keine Garantie gegeben.
15. Nach Landesbrauch müssen die Ankäufer die Hälfte der bestellten
Wintersaat dem Pächter überlassen. Die andere Hälfte sowie das
Stroh gehören dem Ankäufer.
18. Der Ankäufer des ersten Loses darf zu jeder Zeit mit Wagen, Karren
und Pferden über den Hof Vergaederinge zum Hergenrather Feld
und zurück fahren.
19. Soweit dies nötig ist, haben die Höfe „Gillesheide“ und
„Vergaederinge‘“ freie Durchfahrt mit Pferd und Wagen über die
„grande avenue“ oder „dre&ve‘“ zur Bernhag (= Brennhag).
20. Der Ankäufer des ersten Loses (Schloss) ist berechtigt, seine von
dem Weiher genannt „Fleunisweiher‘“ über den Hof „Gillesheide‘‘
führende Wasserleitung „zu bauen und zu unterhalten“.
22. Die Ankäufer begnügen sich mit dem Eigentumsnachweis über 30
und mehr Jahre.
Der definitive Verkauf von Bertholf und den übrigen Gütern der
Familie Beelen fand am 30. November 1814 statt, und zwar auf Bildchen,
bei Guillaume Beuven, im Hause des verstorbenen Notars Nicolas
Bounie.
Der Aachener Kaufmann Jacques Mauss erstand die Lose 1-3, das
Los Nr. 4 ersteigerte der Aachener Rentier Nicolas Ludwigs. Nachdem
der Notar die Lose 1- 4 noch einmal zusammen zum Verkauf angeboten
18
hatte, erstand Jacques Mauss die gesamten Immobilien zum Preis von
52.300 Franken. (Derselbe Mauss erwarb am 12.8.1816 von den
Eheleuten Mennicken-Kittel die Hergenrather Mühle).
Der Versteigerungserlös genügte nicht, alle Forderungen der Gläubiger
zu befriedigen. Auch die Gemeinde Hergenrath war unter den Gläubigern,
die auf ihre Forderungen (jährlich 5 Taler, 12 Silbergroschen und 9
Pfennige) verzichten musste.
Aus den Angaben der Lehensregister und der Verkäufe können wir
schließen, dass es sich bei Bertholf um eine dreiseitig von Wassergräben
umgebene Anlage gehandelt hat, die jedoch nicht genügend Schutz vor
marodierenden Truppen bot und so mehrfach durch Brand und
Plünderungen stark gelitten hat.
Ob der Aachener Kaufmann und Tuchindustrielle Mauss, der nun neuer
Besitzer von Bertholf war, das Haus auch selbst bewohnt hat, ist fraglich,
ja unwahrscheinlich. Im Korrespondenzbuch der Gemeinde Hergenrath
findet sich nämlich unter dem 8. Oktober 1819, im dort angeführten
Brand-Kataster, die Eintragung: „Ein unbewohntes Schloss, Bertolf
genannt“. Und 1826 schreibt Bürgermeister von Lasaulx, es gebe im
ganzen Ort kein einziges Haus, das als Pfarrhaus gemietet werden könnte,
außer dem Herrenhaus Bertholf, welches schon längere Zeit unbewohnt
und „zu anderen ökonomischen Zwecken“ genutzt worden sei.
Wahrscheinlich war es auch nicht der genannte Jakob Mauss, der 1839/
40 das jetzige Herrenhaus Bertholf errichten ließ. Das Korrespondenzblatt
des Kreises Eupen vom 16.7.1841 kündigt nämlich einen Verkauf von 9
Losen gefälltem Bau- und Nutzholz an, der auf Anstehen des Herrn Karl
Opdenhoff stattfindet. Das Holz befindet sich „um dem neuerbauten
Herrenhause Bertholf“‘.
Die nächste Nachricht zum Hause Bertholf findet sich im
Korrespondenzblatt des Kreises Eupen. Anlässlich eines Verkaufs von
Vieh- und Ackergeräten „auf dem Gute des Herrn Opdenhoff, Bertholf
genannt, sollen am 6.12.1847 öffentlich verkauft werden: 14 Kühe, 4
Rinder, 1 Stier, 2 gute Ackerpferde, zwei Karren mit schmalen und breiten
Rädern, 1 Pflug, 1 Egge, Welle und sonstiges Ackergeräte‘“.
Am 13.3.1848 findet auf Anstehen von Herrn Opdenhoff ein weiterer
Verkauf auf Schloss Bertholf statt. 40.000 Pfund Heu, 5000 Pfund
Schaufstroh (= Stroh zum Dachdecken) sowie Hausmobilien kommen
zum Verkauf. Bei Letzteren handelt es sich um 2 Hausuhren, Tische,
Schränke, 4 Butterfässer, 2 Schlagkarren, 1 lange Karre etc.
19
Sroßer Vieh, Ucergeräthbes und Mılche
gerötbe, Year und Fruchts Berkauf
Ä * zu „Hergenratb.
Auf Anfiehen des Yerrn AYdvokat-Auwaults Dick
und auf Ddeffen Oute „Bertolferhof“ zu HYergens
ratb, follen
am Montags, den 10; Aprik 1865;
Morgens punkt 9ı Uhr,
vor dem unterzeichneten Notar auf Kredit. gegen
Bürgichaft öffentlich verkauft werden: Ä
; 28B.theil6 frifchmelkende. theils tragende Nühe,
6 tragende Minder, Z einjährige Minder, %
zweijähriger Stier, holländifcher Mace, 1 eins
jähriger. Stier, mehrere Zugkälber, 2 Ichöne
einjährige Fohlen, LI Fruchtwaugen, k£ lange
Karre mit eiferner‘ Zchfe, Veitern und breiten
Rädern falt neu, 1 lange Karre mit Rohls
brettern und Leitern, eiferner Achfe und breis
fen Rädern, 1 brabanter Pfkua, 1 Dombasles
pflug, 1 eiferner Küpperspflug, 1 hiefiger Neits
. pflug, 2 Eggen, wobei: eine mit eifernen Rähs
nen, £ NMübenfchneidmafchine, 2 Schubfarren,
1 Schleifftein, verfchifdene Haudmobilien, als:
1, Ricderchrank, Tılche, Stühle, Beitladen,
3 Defen nebit Zubehör, 1 große Backmulde 36;
ferner fämmtlıches Mılds und Kefergefchirr,
ale: Butterfäffer, Bütten und Fimer, eine
‚große Partie hölzerner Milchnäpfe, Kälebeden,
"Käfeplanfen und Horden, Milchgeftell, fodann
80 Malter Korn und 80000 Pfuxd gutes Wien
fen Heu. ; Schüler.
Verkaufsanzeige im Korrespondenzblatt des Kreises Eupen vom 8.4.1865
20
1851 steht das „Landgut Bertolf, in Hergenrath, in der Nähe der
Rhein.-Belg. Eisenbahn, zwischen Eupen und Aachen gelegen, und groß
circa 326 Morgen, aus freier Hand zu verkaufen.
Dasselbe besteht aus einem großen, ganz neu erbauten und äußerst
bequem eingerichteten herrschaftlichen Wohnhause mit Stallungen und
Remisen, sehr schönen Gartenanlagen mit Fischteichen, großen
Baumwiesen, alle zum Teil mit jungen Obstbäumen ausgezeichneter
Sorten bepflanzt, verschiedenen Gehöften für vier Pächter-Wohnungen,
sehr fruchtbaren Wiesen und guten Ackerländereien, Holzungen und
Weiden.
Durch die in jeder Beziehung ausgezeichnete Lage dieses Gutes mit
einer der schönsten Fernsichten in die romantischen Umgebungen
desselben, in der Nähe von Aachen und Eupen, eignet sich dieses Gut
nicht allein zu einer der schönsten Sommerwohnungen, sondern dürfte
dasselbe auch zu jeder industriellen Anlage geeignet erscheinen.
Erforderlichenfalls werden bei genügender Garantie ausgedehnte
Zahlungsfristen bewilligt.
Auskunft erteilt der unterzeichnete, zu Aachen wohnende Notar
Gronen.“
Hat das „Landgut Bertolf‘““ damals den Besitzer gewechselt? Wir
vermuten, dass dies erst 1853 geschah, denn im Korrespondenzblatt des
Kreises Eupen vom 24.6.1853 wird der „freiwillige Güter-Verkauf eines
zusammenhängenden Areals von 327 Morgen, 59 Ruten“ nach Sterbefall
angezeigt (Notar Creutz). 1861 ist der Hof im Besitz des Aachener
Anwaltes Dick, wie aus einer Anzeige im Korrespondenzblatt des Kreises
Eupen vom 28.8.1861 hervorgeht. War Dick durch Kauf auch Eigentümer
der zu Bertholf gehörenden Güter Gillesheide, Vergaedering und
Jansmühle geworden?
Am 18.3.1865 steht in dem gleichen Korrespondenzblatt eine Anzeige
über einen großen „Vieh, Ackergeräthe-, Frucht- und Heu-Verkauf zu
Hergenrath“. Auf Anstehen des Herrn Advocat-Anwalts Dick und auf
dessen Gute „Bertolferhof“ solle am 27. März 1865 vor Notar Schüller
auf Kredit gegen Bürgschaft öffentlich verkauft werden:
5 starke Ackerpferde, 2 schöne einjährige Fohlen, sämtliches
Ackergeschirr, und zwar: 1 Fruchtwagen, 1 lange Karre mit Leitern,
eiserner Achse und breiten Rädern, fast neu, 1 lange Karre mit
Kohlenbrettern, eiserner Achse und breiten Rädern, 2 Dombasle-Pflüge,
2 hiesige Pflüge, 1 brabanter Pflug, 1 dreischariger Pflug, 1 eiserner
Küppers-Pflug, 4 Eggen, wobei eine eiserne, 1 sehr schwere Walze, 1
AA
ä ‚Berpachtung, u
DaZ in der Gemelhde Hergen-‘
rath Kreis Eupen, in der Nähe der
GSifenbahuftation gelegene AWiefen-
nd Ackergut Bertholf, groß 25. WA
wird am erften Mat 1887 pachtfrei.
‚KautionZfähige NReflectaunten wollen
ich mit. ihrem Gefüge {OL ober
Perfünlih wenden, an. den . Eigen
$Hümer -
; Eduard Kesselkaul,;
Da een
Anzeige vom 17.04.1886 im Korrespondenzblatt
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e WE Ce 5 GR ER
An den früheren Besitzer von Bertholf, Eduard Kesselkaul,
erinnert noch dieser Grenzstein mit seinen Initialen (Ecke Bertholf-Panneschopp)
22
Rübenschneidemaschine, fast neu, 1 Häckselmaschine, fast neu, 2
Wannmühlen, 2 Schubkarren, 1 schöner Schleifstein, alles
Arbeitsgeschirr, sämtliches Pferdegeschirr, als: 5 Hahmen, 3 Sättel, 5
Hinterhahmen, 4 Paar Baumseile, Reitkissen etc, verschiedene
Hausmobilien, worunter 2 Öfen, 1 großer Kleiderschrank, Tische, Stühle,
Kanapees, Bettladen, 1 große Backmulde etc; sodann 40.000 Pfund gutes
Heu, 30 Malter’ Weizen, 50 Malter Roggen, 1 Malter Erbsen, 80 Malter
Hafer, 10.000 Pfund Kartoffeln, wobei 5.000 Pfund Samenkartoffeln,
300 Pfund Schweinefleisch, 50 Pfund Schweinefeder und Schweinefett.
Ein weiterer großer Verkauf wurde im Korrespondenzblatt vom
8.4.1865 für den darauf folgenden 10.4. angekündigt. Diesmal kamen
zum Verkauf 28 Kühe, 6 tragende Rinder, 7 einjährige Rinder, 1
zweijähriger Stier, mehrere Zuchtkälber, 2 einjährige Fohlen, 1
Fruchtwagen, 1 lange Karre mit eiserner Achse, Leitern und breiten
Rädern, fast neu, 1 lange Karre mit Kohlbrettern und Leitern, 1 brabanter
Pflug, 1 Dombasle-Pflug, 1 eiserner Küpperspflug, 1 hiesiger Reitpflug,
2 Eggen, wobei eine mit eisernen Zähnen, 1 Rübenschneidemaschine, 2
Schubkarren, 1 Schleifstein, verschiedene Hausmobilien als: 1
Kleiderschrank, Tische, Stühle, Bettladen, 3 Öfen nebst Zubehör, 1 große
Backmulde etc; ferner sämtliches Milch- und Kellergeschirr als:
Butterfässer, Bütten und Eimer, eine große Partie hölzerner Milchnäpfe,
Käsebecken, Käseplanken und Horden, Milchgestell, sodann 80 Malter
Korn und 80.000 Pfund gutes Wiesenheu.
Aus diesen Verkaufsanzeigen ist ersichtlich, dass der Hergenrather
Hof doch ein ansehnliches Gut darstellte.
Wie lange der Advokat-Anwalt Dick im Besitz von Bertholf geblieben
ist, wissen wir nicht. Am 2. September 1876 heißt es im
Korrespondenzblatt, auf dem Gute „Bertolf“ werde am 4. September
1876 infolge Präsidial-Ordonnanz vom 18. August 1876 die zur
Benefiziarmasse des Nachlasse des zu Aachen verstorbenen Kaufmannes
Herrn Richard Dick gehörigen Mobilien, Kleidungsstücke, Leinwand,
Pendül, silberne Taschenuhr, eine Partie Bücher und Musikalien etc.
Öffentlich versteigert werden. War Richard Dick der Sohn des oben
genannten Advokaten?
Eine Anzeige im Korrespondenz-Blatt des Kreises Eupen vom
17.4.1886 weist Eduard Kesselkaul (Aachen) als Besitzer von Bertholf
aus.
7 Ein Malter entspricht 690 Liter.
24
Besitz in Hergenrath betroffen. Die Herren Barth und Pirnay kauften
die im Hergenrather Feld gelegenen Grundstücke. Das Herrenhaus und
der Park fielen unter die Domänenverwaltung, die das Haus als
Wohnraum für Zöllnerfamilien zur Verfügung stellte.
Als in der großen Hauswiese von Bertholf Tonvorkommen gefunden
wurden, verkaufte Nikolaus Laschet Hof und Wiese an die
Tonwarenfabrik in Welkenraedt („C&ramique de Welkenraedt‘) und baute
für sich einen neuen Hof im Roten Pfuhl. Ein großer, noch von Herrn
Kesselkaul gebauter Schweinestall sowie eine Umfassungsmauer wurden
abgerissen und das Material zum Neubau im Roten Pfuhl verwendet,
der durch Maueranker ins Jahr 1924 datiert ist. Die Ziegel für die
Vorderfront lieferte die Welkenraedter Ziegelei.
Während des Krieges war das Herrenhaus im Besitz von Herrn Hans
Wauben aus Vaals/Holland, diente aber auch als Unterkunft für Aachener
Familien, die ausgebombt worden waren.
Als Zollbeamte haben auf Bertholf u. a. gewohnt:
Arnold MEURRENS (1927), Camille HIOT (1929/1934), Celestin
GENON (1929), Hubert GAENS (1931), Robert GOLINVAUX (1931),
Heinrich Johann Baptist SCHRÖDER (1932), Albert LAMBERT (1933),
Joseph WEBER (1936), Martin Marie VANDERBORGH u. Sohn (1938-
39), Pierre DITTGEN (1939).
Aus der Nachkriegszeit erinnert man sich u. a. an Justin RASKIN,
und Clement LEFEVE.
Da die „Ce&ramique de Welkenraedt” nur am Tonvorkommen
interessiert war, verkaufte sie 1953 nach Abbau desselben das ganze
Areal (einschließlich Wirtschaftsgebäude) an Frau Berta Cremer, Ehefr.
Johann Pascal Heck aus Eupen. Das Tongelände wurde wieder
rekultiviert.
Durch Zukauf von Teilen des Hofes „Jaap‘““ (Jonas, Aachener Str.) im
Jahre 1964 vergrößerte sich die Hausweide des „Hofes“ beträchtlich
und stieß nun an die Knippstraße, wo seit den 70er Jahren eine Reihe
von Einfamilienhäusern entstanden sind.
Das Herrenhaus wurde von der Domänenverwaltung nicht unterhalten
und verfiel zusehends. Am 11.9.1971 ging es durch Kauf in die Hände
von Frau Cremer (Aachen) über, deren Söhne das Haus erbten und
dringende Reparaturen an Dach und Fenstern ausführen ließen; dann
aber fiel Bertholf wieder in einen langen Winterschlaf, aus dem das im-
posante Herrenhaus erst wieder erwachte, nachdem es Ende der neunziger
Jahre in den Besitz von Herrn Willms übergegangen war.
Z5
Die Familie des Werner Heins aus Astenet
von Erwin Bruch
1. Einleitung
Die Einführung der Kirchenbücher war auf dem Konzil von Trient
(1545-1563) beschlossen worden. Die praktische Umsetzung war aber
auch hier in der Gegend zumeist schleppend. In der Pfarre Walhorn'
stammt die erste Eintragung aus dem Jahre 1596. Aus den ersten
Jahrzehnten sind viele Unterlagen verloren gegangen, und dies
insbesondere während der Wirren des 30-jährigen Krieges (1618-1648),
der für unsere Gegend besonders verheerend war. Die zeitweilige
Vertreibung der Geistlichen, die Flucht der Bevölkerung vor den
plündernden Soldaten, die Pest, die Hungersnöte und all die anderen
Sorgen und Nöten, mit denen unsere Vorfahren zu kämpfen hatten,
erklären wohl, warum in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts die
Kirchenbücher nur sporadisch geführt wurden. Aber auch in den
folgenden Jahrzehnten klaffen noch so manche Lücken in den
Eintragungen, was eine gesicherte Aufstellung einer Genealogie auch
für diese Zeit erschwert. Auch in späterer Zeit, wie während der Wirren
der ersten Jahre der französischen Zeit, sind wohl ebenfalls viele
Unterlagen verloren gegangen. Besonders schmerzlich für die
Familienforschung unserer Gegend ist auch der Verlust eines
Kirchenbuchs von Hergenrath?.
Als Ergänzung zu den in dieser Zeit spärlich geführten Kirchenbüchern
sind die Akten der Schöffengerichte und der Notare eine reichhaltige
Quelle. Bei den dort protokollierten Verkäufen oder Erbteilungen werden
manchmal die Zusammenhänge einer Familie über zwei oder drei
Generationen erwähnt, was in den Kirchenbüchern, außer bei seltenen
Ausnahmen, nicht der Fall ist. Man trifft dort auch Familienmitglieder
an, die in den Kirchenbüchern nicht zu finden sind.
In diesem Beitrag werden die drei bis vier ersten Generationen der
Familie Heins aus Astenet beschrieben. Der Name schreibt sich
anfänglich Hens, mit zahlreichen Varianten wie Hensz, Heyns, Hins oder
Hyns, bis sich letztendlich die Schreibweise Heins allgemein durchsetzt?.
!_ Die Walhorner Kirchenbücher sind durch J. Kohnen verkartet worden, Cercle G6-
n€alogique d’Henri-Chapelle et environs.
? Vom Schicksal der Hergenrather Kirchenbücher, Walter Meven, Im Göhltal Nr. 60,
1997, Seite 38 bis 52.
3 Vereinzelt findet man heute auch die Schreibweise „Heyns“, wie zum Beispiel auf
einigen Grabsteinen in Membach.
26
2. Werner Heins und der Mützhof
Zu dem umfangreichen Grundbesitz des Aachener Marienstifts gehörte
auch das Stocklehen Mützhof in Astenet. Durch zahlreiche Erbschaften
und Verkäufe war dieses Stocklehen aber schon am Anfang des 17.
Jahrhunderts unter mehrere Besitzer aufgeteilt. So findet man im Archiv
der Bank Walhorn* die Abschrift einer Aufstellung von Antonius
Lamberts aus dem Jahre 1627, wo er die verschiedenen Besitzer des
Stocklehens Mützhof in Astenet aufführt. Bei den Besitzern handelt es
sich um die Erben des Nikolas Peltzer aus Henri-Chapelle, der in erster
Ehe mit Maria von der Sande, genannt Mützhagen, verheiratet gewesen
war, und in zweiter Ehe mit Gudula Welters, die als Witwe Winand von
Astenet heiratete.
Als Nachkommen aus der ersten Ehe des Nikolas Peltzer werden
erwähnt:
1. Der Schultheiß von Henri-Chapelle und seine Adhärenten
(= Verwandten):
Bei diesen muss es sich um die Familie des Symon Kleynen handeln,
der mit Maria Peltzer, einer Tochter aus erster Ehe, verheiratet war.
2. Derich van Imbach:
Bei ihm muss es sich um den Sohn von Diederich von Eimbach*® und
Catharina Peltzer handeln, die ebenfalls eine Tochter aus erster Ehe war.
Als Erben der Gudula Welters werden die Kinder aus ihren beiden
Ehen erwähnt:
1. Reinhard Reul, der mit Barbara Peltzer verheiratet war.
2. Anton Lamberts, der mit Catharina Astenet verheiratet war®.
3. Gillis Hoen, verheiratet mit Odilia Astenet.
4. Jacob d’Evengrodt, verheiratet mit Clara Astenet.
5. Leonard de Vischer, der mit Gudula Astenet verheiratet war.
Am 9.11.1629’ vollzieht nun Dierich Ernens? einen Erbwechsel mit
Wernerus HEYNSCH und dessen Frau Anna für ein Stück Land des
Mützhofes in Astenet, welches der Erste von seinen Eltern Diederich
von Eimbach und Catharina Peltzer geerbt hatte.
$_ Erist vor dem 28.3.1620 verstorben. Siehe: Luise Freiin von Coels von der Brügghen,
Die Lehensregister der Propsteilichen Mannkammer des Aachener Marienstifts,
Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde LII, 1952, S. 134.
5 Unter ihren Kindern sei erwähnt der Abt von Rolduc Winand Lamberts. Siehe:
Winand Lamberti aus Walhorn, 31. Abt von Rolduc, Alfred Bertha, Im Göhltal Nr.
70, 2002, S. 9 bis 36.
7 Luise Freiin von Coels von der Brügghen, a. a. O., S. 135.
® Er ist identisch mit dem 1627 erwähnten Derich van Imbach.
21
Im Archiv der Bank Walhorn befindet sich eine zweite Aufstellung
der Besitzer von Mützhof aus dem Jahre 1685. Dort werden als Besitzer
aufgeführt:
1. Der Herr Prälat®
2. Evegrott
3. Claes Henne, er ist ein Sohn von Gilles Hoen und Odilia Astenet
4. Jan Priem
5. Thomas Pael
6. Thomas Rentgens
7. Jan Heyns
8. Kerst Heyns
9. Thonis Becker
10. Die Erben des Anton Lamberts
11. Hermann Moresnet
Es fällt direkt auf, dass der Besitz sich weiter aufgesplittert hat. Bei
Jan und Kerst Heyns wird es sich wohl um zwei Söhne des Werner
Heynsch handeln. Dies wird zusätzlich dadurch untermauert, dass sowohl
Jan als Kerst Söhne haben, die auf den Namen Werner getauft werden.
Den Erben des Egidius Heins, eines Sohnes des Jan, gehört am
24.11.1773 ein Stück Land hinter dem Mützhof in Astenet!®.
3. Kerst Heins und seine Nachkommen
Kerst Heins und seine Frau Margaretha werden nur sporadisch in den
Kirchenbüchern erwähnt. Der Familienname der Frau von Kerst Heins
wird an keiner Stelle erwähnt. Durch die Patenschaften ist jedoch
wahrscheinlich, dass sie ein Mitglied der Familie Bart ist. Kerst Heyns
wird am 29.8.1665 in einem Schöffenbrief der Bank Walhorn unter den
Vertretern der Einwohner von Walhorn, Merols und Rabotrath erwähnt!!.
Unter den Kindern von Kerst Heins konnten bis jetzt ermittelt werden:
1) Guilielmus'? (= Wilhelm) getauft am 17.3.1647 in Walhorn (Paten:
Joannes Hens'?, Gulielma Bart)
? Um wen es sich handelt, konnte bis jetzt nicht ermittelt werden.
19 Luise Freiin von Coels von der Brügghen, a. a. O., S. 106.
"Luise Freiin von Coels von der Brügghen, a. a. O., S. 728.
” Da bei dem zweiten Kind ein Guilielmus Bart junior Pate ist, kann man davon
ausgehen, dass Guilielmus/Wilhelm der Vorname des Großvaters mütterlicherseits
> Tonanes Hens ist wohl der Bruder des Vaters.
29
a) Margaretha? Maria, getauft am 15.10.1681 in Walhorn (Paten:
Leonardus von Hagen, Barbara Schoenmeckers), gestorben am 6.8.1772
op der Knave Pleye in Walhorn, sie heiratete am 14.4.1709 in Walhorn
(Zeugen: Lambertus van de Zaen, Dionysius Haesz, Clemente
Schomecher) Laurentius KOOL, getauft am 11.8.1680 in Walhorn (P:
Wernerus Hens, Catharina Beckers) als Sohn von Dionysius de Coel
und Catharina Scheyl, gestorben am 5.9.1770 in Walhorn; ihre Kinder
werden am 18.12.1765 in den Lehnsregistern” erwähnt.
b) Hermanus?®, getauft am 30.9.1683 in Walhorn (Paten: Wilhelmus
Schoenmecher, Oda Louvre), gestorben am 19.7.1773 in Walhorn; er
heiratete am 6.2.1723 in Walhorn (Zeugen: Gerard Haes, Jacob Lamberts,
Thecla Schoemecker, Maria Smets) Joanna LAMBERTS, getauft am
12.4.1693 in Walhorn (Paten: Lambertus Kolen, Catharina Lamberts)
als Tochter von Ludwig Lamberts” und Christina d’Evengrood?®,
gestorben am 14.11.1762 in Walhorn (Prysmeulen); diese Ehe blieb
kinderlos.
Soweit die Angaben zu den Nachkommen von Kerst Heins.
4. Jan Heins und seine Nachkommen
Bei der Klärung der Nachkommenschaft von Jan Heins war die
Erbteilung seines Sohnes Heinrich Heins und dessen Frau Maria
Stickelmann besonders hilfreich. Da diese keine Kinder hinterlassen,
werden in der Erbteilung deren Neffen, Nichten, und zum Teil die
Großneffen und Großnichten erwähnt. Solch ausführliche Angaben findet
man in keinem Kirchenbuch.
Jan Heins? ist am 8.2.1697 in Astenet gestorben. Er wird am 30.3.1677
in einem Protokoll der Schöffen von Walhorn erwähnt mit Nellis Pitz
und Willem Schoomerker als Vormünder der minderjährigen Kinder des
verstorbenen Willem Hompesch des Jüngeren und dessen Witwe
Messgen Schomerker. Er heiratete am 3.11.1648°° in Walhorn (Zeugen:
% Sie trägt den Vornamen ihrer Großmutter Margaretha Bart.
3 Luise Freiin von Coels von der Brügghen, a. a. O., S. 718.
2% Er trägt den Vornamen des Großvaters väterlicherseits. Er ist am 26.3.1726 Pate in
Walhorn bei der Taufe von Joannes Bartholomäus Kever, Sohn von Joannes Kever
und Catharina Brouwer.
27 Siehe « Die Familie Lamberts in Walhorn », Erwin Bruch, 1999.
2% Sie ist eine Enkelin der bereits erwähnten Jacob d’Evengrodt und Clara Astenet.
2 In den Kirchenbüchern wird sein Familienname meistens mit Hens angegeben.
3 Kurz nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges
31
c) Joannes Teller, getauft am 18.8.1689 in Walhorn (Paten: Henricus
Hens, Barbara Teller), gestorben am 9.9.1774 in Walhorn (op Ruelle),
er heiratete Gertruyd RAERMECKER, Tochter von Derich Raermecker
und Elisabeth Stickelman”
2) Maria, getauft am 30.11.1651 in Walhorn (Paten: Bartholomeus
Schoenmecker, Anna Crummels; Name der Mutter: Magdalena), über
sie erfahren wir erst 1748 bei der Erbteilung Heins-Stickelman, dass sie
Nachkommen hatte, denn dort werden als ihre Enkelkinder erwähnt
Gertruydt Tortaeu, verheiratet? mit Joannes Becker, und Agnes Tortaeu.
Über diesen Zweig konnte noch nichts Weiteres ermittelt werden.
3) Wernerus®, getauft am 3.2.1654 in Walhorn (Paten: Gerardus
Rademecker, Catharina Smet; Eltern: Joannes Heus und Helena); ein
Wernerus Heins ist am 2.5.1685 Trauzeuge in Walhorn, ein Wernerus
Heins verstirbt am 10.2.1688 in Astenet
4) Catharina, getauft am 12.3.1656 in Walhorn (Paten: Guilielmus
Hompes junior, Mechtild Vaes; Name der Mutter: Lina)
5) Guilielmus®, getauft am 3.11.1657 in Walhorn (Paten: Egidius
Moember, Helena Hompes; Name der Mutter: Lina)
6) Anna, getauft am 30.11.1661 in Walhorn (Paten: Joannes Foron,
Maria Hensz; Name der Mutter: Helena)
7) Henricus, getauft am 29.6.1664 in Walhorn (Paten: Christianus
Rimmes, Maria Hompes; Name der Mutter: Leonora), gestorben sehr
wahrscheinlich in Hergenrath zwischen dem 13.1.1730* und dem
19.4.1730*, erwähnt am 16.3.1715 als Bürgermeister von Hergenrath
in einem Protokoll der Schöffen von Walhorn; in einem Protokoll der
Schöffen von Walhorn aus dem Jahre 1722 wird er erwähnt als Regleur
(= Bürgermeister) des Quartiers (= Ortschaft) Hergenrath, am 15.2.1724
genannt als Geschworener des Quartiers Hergenrath“*. Obwohl er
37 Sie ist eine Schwester von Maria Stickelman, der Frau des Heinrich Heins. So erwähnt
bei deren Erbteilung.
3 Sie heiraten am 2.7.1747 in Eupen, sie genannt Courtout, mit den Zeugen Henricus
Beckers und Maria Agneta Courtout. Zwischen 1748 und 1759 lassen sie 4 Kinder
in Eupen taufen. In einer Randnotiz vom 4.6.1748 eines Akts der Schöffen von
Walhorn werden erwähnt Johan Becker und Maria Gertrud Dortu, als Erben des
verstorbenen Hendrich Heins.
Er trägt als erster Sohn den Vornamen seines Großvaters väterlicherseits.
* Dieser Vorname kommt bei der Familie Hompesch regelmäßig vor und könnte
folglich der seines Großvaters mütterlicherseits sein.
*!_ Datum seiner letzten Erwähnung in einem Protokoll der Schöffen von Walhorn.
% Erwähnung als „verstorben“ in einem Akt von Notar Mathias Wilhelm Lamberts.
#3 Luise Freiin von Coels von der Brügghen, a. a. O., S. 577.
32
zahlreiche Ämter bekleidete, war er anscheinend des Schreibens nicht
mächtig, da er die zahlreichen ihn betreffenden Protokolle der Schöffen
von Walhorn nur mit „HH“ unterschrieb, er heiratete Maria
STICKELMANN, laut Protokoll der Schöffen von Walhorn vom
27.6.1713 war ihr Vater Andreas Stickelmann, sie ist gestorben vor dem
19.9.1747 als erstes Datum der Erbteilung der Hinterlassenschaft der
Eheleute durch Notar Peter Lamberts in Eynatten“ .
8) Leonardus, getauft am 16.5.1666 in Walhorn (Paten: Guilielmus
Kersten, Catharina Ovrelen; Name der Mutter: Maria)
9) Egidius: ihm und seinen Kindern ist der nächste Absatz gewidmet.
in WS = CZ VE U a
em } % N A SS CA F
; N
Das Zeichen « HH » von Heinrich Heins unter einem Akt der Schöffen von
Walhorn vom 16.3.1715.
5. Egidius Heins und seine Kinder
Egidius wurde am 25.9.1667 in Walhorn getauft (Paten: Antonius
Priem, Helena Schoenmecker; Name der Mutter: Lingen), und am
16.11.1749 in Walhorn begraben. Egidius Heins war zweimal verheiratet,
was jedoch erst aus einem Akt* von Notar Peter Lamberts in Eynatten
vom 4.5.1734 hervorgeht, wo seine Söhne Wilhelm und Johannes
erklären, sie seien Halbbrüder, und ihre jeweiligen Eltern angeben. Dieser
Akt wurde von Egidius Heins und seinen beiden Söhnen eigenhändig
unterschrieben. Egidius Heins heiratete in erster Ehe Anna Maria
HOMPESCH“, die am 23.4.1702 in Walhorn gestorben ist. Er heiratete
in zweiter Ehe“ am 4.5.1710 in Walhorn (Zeugen: Barbara Clocker,
Johannes Teller, Anna Barbara Kittel) Sofia ROTHEUDT, getauft am
# Der umfangreiche Akt befindet sich unter den Unterlagen des Jahres 1748
(Staatsarchiv Eupen). Als Erben der Familie Heins treten auf die Nachkommen seiner
Geschwister Margaretha, Maria und Egidius Heins.
% Auf Grundlage dieses Akts wurde die gleiche Angelegenheit am 14.5.1734 vor den
Schöffen von Walhorn protokolliert.
% Die etwaige Verwandtschaft mit ihrer Schwiegermutter konnte noch nicht ermittelt
werden.
#7 Die Heirat erfolgte mit Dispens wegen Verwandtschaft 2. Grades. Die genaue
Verwandtschaft konnte jedoch noch nicht ermittelt werden. Zwischen dem Tod seiner
ersten Frau und seiner zweiten Heirat liegen folglich 8 Jahre, was ungewöhnlich
lang ist. Das Einwohnerverzeichnis von Walhorn aus dem Jahre 1740 erwähnt jedoch
ausdrücklich „Sophia Rothaft, secunda uxor“.
. 33
27.2.1681 in Walhorn (Paten: Mathias Fey, Maria Schoemecker) als
Tochter von Nikolaus Roothott und Anna Schimecher, und gestorben
am 3.10.1772 in Walhorn*®, In einem Akt von Notar Mathias Wilhelm
Lamberts vom 17.3.1729 wird Gilles Heyns erwähnt als gewesener
Bürgermeister des Quartiers Astenet. Laut dem Einwohnerverzeichnis
von Walhorn von 1740 wohnte er in Astenet „In de Nieuw Straet“®. Wie
schon erwähnt, gehörte den Erben Gilles Heyns am 24.11.1773 ein Stück
Land hinter dem Mützhof in Astenet“.
AB Wk 4
ME N N SS
Unterschrift von Gilles (= Egidius) Heins und seiner Söhne Willem und Joannes
unter dem Akt von Notar Peter Lamberts in Eynatten am 4.5.1734.
Egidius Heins hatte Kinder aus beiden Ehen:
1) Magdalena®', getauft am 28.12.1695 in Walhorn (Paten: Jacobus
Radermecker, Maria Stickelmann)
2) Wernerus“”, getauft am 17.11.1698 in Walhorn (Pate: Mathias
Schoepffel), gestorben am 12.11.1788 in Lontzen; er heiratete Maria
HEUDT, gestorben am 19.2.1760 in Lontzen, Tochter von Johannes
Heudt und Gertrud Mutsenich. In einem Akt vom 22.5.1739 von Notar
Mathias Wilhelm Lamberts aus Hauset wird er erwähnt als Bürgermeister
% Laut dem Kirchenbuch ist sie Witwe von Egidius Schyns, wohl statt Hyns!
4 Catalogus inscriptorum confraternitatis sub titulo adorationis perpetuae, S.S.
Sacramenti, Walhorner Pfarrarchiv, Nr. 564, Staatsarchiv Eupen, S. 125. Für das
Einwohnerverzeichnis von 1740 siehe auch: Alfred Bertha, Einwohnerverzeichnisse
der Pfarre Walhorn aus dem 18. Jahrhundert, Im Göhltal, Nr. 72, 2003, S. 20 — 46 &
Nr. 73, 2003, S. 56 — 93.
5 Luise Freiin von Coels von der Brügghen, a. a. O., S. 106. Hierbei handelt es sich
wahrscheinlich um das Stück Land, dass Wernerus Heynsch am 9.11.1629 erworben
hatte.
5 Als erste Tochter erhält sie den Vornamen ihrer Großmutter Magdalena Hompesch.
5 Als erster Sohn hätte er normalerweise den Vornamen seines Großvaters Jan Heins
erhalten sollen. Er erhält jedoch den Vornamen seines Urgroßvaters Werner Heins,
da die beiden Werner Heins aus der vorigen Generation wohl ohne Nachkommen
gestorben sind, und somit den Leitvornamen der Familie nicht vererben konnten.
34
von Lontzen; er wird in den Einwohnerverzeichnissen von Lontzen von
1740 und 1776 erwähnt, sie hatten 5 Kinder, die in Lontzen getauft
wurden.
3) Wilhelmus*, getauft am 3.3.1701 in Walhorn (Paten: Alexander
Teller, Gudula Evegrot), gestorben vor dem 10.2.1748°°, laut der
Erbteilung Heins-Stickelmann hatte er mehrere nicht namentlich
genannte Kinder. In einem Protokoll der Schöffen von Walhorn vom
22.7.1782 wird Maria Sibilla Heins als seine Tochter in einer
Erbangelegenheit der Eheleute Hinrich Heyns und Maria Stickelman
erwähnt. Genauere Angaben über seine Frau und seine Kinder konnten
bis jetzt nicht ermittelt werden.
4) N., durch die Hebamme im Mutterleib getauft®, gestorben am
12.3.1711 in Walhorn
5) Joannes”, getauft am 9.3.1712 in Walhorn (Paten: Heinrich Heins,
Thecla Rotheudt), gestorben am 11.6.1792 in Astenet. Er heiratete°® Anna
Catharina FREDRIX, getauft am 18.7.1716 in Lontzen als Tochter von
Michael Fredericks und Martina Pirnet; nach ihrer Heirat haben sie von
1742 bis ca. 1748 in Hergenrath gewohnt und dort mindestens 4 Kinder
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Auszug aus den durch Bürgermeister Chabert am 3.11.1800 unterschriebenen
Angaben aus dem verschollenen Kirchenbuch von Hergenrath, mit den Taufen
der vier Kinder, die Jean Hyns und Anna Catharina Friderigs in Hergenrath
taufen ließen. Die rechte Kolonne nennt die Namen der Paten. Bei der Nr. 28
handelt es sich um Zwillinge.
3 Einwohnerverzeichnis von Lontzen, Baron C. de Broich, Cercle GenEalogique de
Henri-Chapelle et environs.
5 Dieser Vorname war in der Familie Hompesch verbreitet und es ist wohl folglich
der Vorname seines Großvaters mütterlicherseits.
5 Gemäß der Erbteilung Heinrich Heins — Maria Stickelman.
5% Als Name der Mutter wird Sophia Kutgens angegeben.
5 Er trägt den Vornamen seines Großvaters väterlicherseits.
5 Am 27.1.1742 d. d. in Walhorn für die Heirat in Lontzen. Für diese Zeit fehlt das
Heiratsbuch von Lontzen.
35
taufen lassen”, von 1750 bis 1760 lassen sie 4 Kinder in Montzen taufen;
laut dem Einwohnerverzeichnis von Walhorn von 1768 lebten sie mit 7
Kindern in Astenet.
6) Nicolas, getauft am 3.4.1714 in Walhorn (Paten: Joannes Teller,
Barbara Clockers), gestorben am 21.5.1775 in Hergenraedt und begraben
am 23.5.1775 in Walhorn, heiratete in erster Ehe® Gertrud KRIESCHER,
und in zweiter Ehe am 19.1.1761 in Eynatten (Zeugen: Mathias Frantzen,
Anna Wolcknars) Maria Catharina BISCHOFF; laut Protokoll der
Schöffen von Walhorn vom 25.4.1777 lassen die Erben von Claes Heyns
seine Güter in Hergenraeth, die von Peter Criescher herkommen,
verkaufen, es werden dort erwähnt als Witwe Maria Catharina Bischop
und ein Sohn aus zweiter Ehe.
7) Anna Maria, getauft am 3.7.1716 in Walhorn (Paten: Joannes N.,
Anna Elisabeth Beckers), begraben am 26.8.1748 in Walhorn; sie
heiratete am 1.3.1745 in Walhorn (Zeugen: Nicolas Heins, Philipp Ja-
cob Coemaet) Joannes COEMOUTH
8) Egidius, getauft am 19.4.1720 in Walhorn (Paten: Dionisius Born,
Maria uxor/Ehefrau Michael Roftheudt), begraben am 16.12.1745 in
Walhorn
9) Magdalena, getauft am 29.10.1722 in Walhorn (Paten: Lambert
Cohl, Angelina Feeringh), begraben 9.11.1749 in Walhorn, ledig
6. Die weiteren Nachkommen der Familie Heins
Laut dem aktuellen Stand der Familienforschungen sind die Eheleute
Joannes Heins und Anna Catharina Frederix die Stammeltern der heute
weit verzweigten Familie Heins. Deren weitere Nachkommen lassen
sich ohne sonderliche Schwierigkeiten anhand der Kirchenbücher, und
später der Standesamtsregister, ermitteln. Dies würde aber bei weitem
den Rahmen unseres Beitrages sprengen.
5 Diese entsprechenden Daten und Paten werden in einer Liste vom 3.11.1800 der in
Hergenrath geborenen und in Walhorn lebenden Personen erwähnt (Archiv der
Gemeinde Walhorn, Nr. 113, Staatsarchiv Eupen). Siehe auch: Erwin Bruch, Beitrag
A FE in den KB von Hergenrath, Genealogie ohne Grenzen, Nr. 61, 1/2004, S.
® Am 17.9. 1754 dd in Walhorn zur Heirat in Hergenrath.
36
Im April
Gelb strahlt der alte Weidenstrauch,
im Hang blühn wilde Veilchen,
die Wiese quillt vom jungen Gras
so lichtbeglänzt, so regennass-
Am Waldrand, wo der Vogel ruft, N
äugt schmales Reh ein Weilchen,
spürt es den leisen Blütenhauch
in kühler Abendluft? r
Aprilwind jagt das Wolkenschiff
auf weiten, blauen Wogen
zum Venn, wo die Narzissen stehn,
Aprilwind will sie schwingen sehn
die tausend goldenen Glocken,
die — unterm Regenbogen —
gelb über feuchten Gründen wehn
und neben Tümpeln locken.
M. Th. Weinert
37
Vom Krönungsstift zum Kollegiatsstift
von Walter Meven
Der letzte Propst des Krönungsstiftes war Graf Clemens Vincenz Franz
Freiherr von der Heyden, genannt Belderbusch. Er war im Jahre 1754
geboren und entstammte einem alten limburgischen Adelsgeschlecht aus
Montzen (Belgien). Die Schlösser Broich und Streversdorp erinnern noch
heute an die einst bedeutende Familie. Er trat als Herr der Herrlichkeit
Montzen auf, die der spanische König Philipp IV. im 17. Jahrhundert an
meist begüterte Adelige verpfändete und wenig später definitiv verkaufte.
Über seine Ausbildung und spätere Studien ist uns nur wenig überliefert.
1773 erhielt er die Würde eines Propstes des Krönungsstiftes in Aachen.
Er hielt noch drei weitere Kanonikate in Paderborn, Speyer und
Hildesheim. Vor dem zweiten Anrücken der Franzosen auf Aachen im
September 1794 hat er und tausend vermögende Aachener Bürger die
Stadt Aachen verlassen mit dem Ziel, jenseits des Rheines ein Exil zu
finden. Die Situation schien sehr unheilsträchtig, weil die Franzosen nach
den Vorfällen des 2. März 1793, wo die Aachener in die Rückzugsgefechte
tätig eingegriffen haben, bei ihrer Wiederkehr strenge Repressalien
verhängen wollten. Als Exil wählte Belderbusch den kleinen Ort Altenahr.
Dort ist er uns als Pfarrer überliefert. Nachdem die Franzosen die
Vorrechte von Adel und Klerus aufgehoben hatten, befürchtete er, als
Adeliger und Grundherr von Montzen einer Verfolgung durch die fremden
Herrscher ausgesetzt zu sein. Er floh weiter nach Hildesheim, wo er, wie
bereits erwähnt, ein Kanonikat hielt. Dort finden wir ihn im Jahre 1798
letztmals als Propst von Aachen erwähnt. Gelegentlich einer Unterredung
mit dem Bischof von Hildesheim, ob er der Entnahme der Reichsinsignien
(Reichsevangeliar, Stephansburse und Schwert) aus den nach Paderborn
geflüchteten Kisten des Marienstiftes zustimme, weigerte er sich zunächst
mit dem Hinweis auf seine Besitzungen, die unter der Botmäßigkeit der
Franzosen stünden. Wenig später lehnte er nach erneutem Befragen die
Entnahme strikt ab. In den Akten des Marienstiftes finden wir keine
weiteren Hinweise auf seinen späteren Lebensweg. Er starb bei seinen
Verwandten im Jahre 1821 in Bonn und wurde dort auch beerdigt. Sein
Grabstein ist heute noch auf dem alten Friedhof in Bonn erhalten. Für
die Zeit von 1798 - 1826 ist kein weiterer Propst ernannt worden.
Die Neuordnung der französischen Bistümer veranlasste Napoleon,
sie auch auf die neuen Departements auszudehnen. Aachen als Hauptstadt
des Roerdepartements sollte Bischofsstadt werden. Napoleon wählte den
38
Bischof Marc Antoine Berdolet, bisher Bischof der Diözese Colmar, zum
ersten Bischof von Aachen. Im Jahre 1802 schlug Bischof Berdolet dem
Minister Portalis acht Kanoniker zur Wahl für das neue Kapitel vor.
Präfekt Mechin nahm ihnen 1803 nach Zustimmung von Minister Portalis
den Treueid ab; es waren:
Braun, Hermann Joseph, 1802 Domkapitular. Verstorben am 16.6.1816.
Beissel, Johann Peter Joseph, 1802 Ehrenkanoniker. Verstorben am
12.1.1833
Cardoll, Konrad Hermann, geb. in Kettenis auf Hasenhof am 26.3.1741.
Seine Mutter war eine Nichte des Stiftskanonikers Wilhelm Wildt, des
Gründers der Kapelle zu Eynatten-Berlotte. Dessen Neffe, Franz Wilhelm
Wildt, ebenfalls Kanoniker des Marienstiftes, starb am 13.10.1760. Die
Kanonikerpfründe ging am 14.11. desselben Jahres auf den Neffen des
Verstorbenen, den genannten Konrad Hermann Cardoll über.
Als dieser 1787 zum Dechanten des Krönungsstiftes ernannt und
eingeführt wurde, geschah dies mit großem Gepränge und Aufwand. Der
Neuernannte gab, so war es Brauch, drei Festessen (Bankette), eines für
die Bürgermeister, Ratsherren und Kanoniker; ein zweites für die
Ordensgemeinschaften der Stadt und ein drittes für die Bediensteten und
die Pächter des Kapitels.
Mit dem Amt des Dechanten war die Vergabe der Pfarrstellen von
Moresnet und Saive verbunden. Der Dechant war selber Pfarrer von
Jupille, wo er sich jedoch von einem «ewigen Vikar» vertreten ließ.
1802 wurde Cardoll Domkapitular. Er verstarb am 24.7.1832.
Deboeur, Anton Wilhelm, 1803 Ehrenkanoniker und Domkapitular.
Verstorben am 14.1.1842.
Gauzargues, Pierre, (Kanoniker von La Rochelle) 1802 Domkapitular.
Am 10.4.1811 tritt er von seinem Amt zurück und übergibt es an Dr.
Adam Johann Schumacher. Begnadeter Redner. Verstorben am 21.9.1841.
Hutmacher, Francois, (Landdechant), 1802 Domkapitular. Er verstarb
am 13.11.1812.
Monpoint, Joseph, (Pfarrer von Monvillars), 1805 Kapitelssekretär
von Bischof Berdolet. 1814 flüchtet er mit Bischof Le Camus beim
Anrücken der Alliierten nach Paris. Nachfolger Kapitular Hutmacher.
Am 10.5.1814 fordert Generalgouverneur Sack von Montpoint eine
Erklärung, warum er dem von Napoleon ernannten Bischof Le Camus
nach Paris gefolgt sei. Seine Erklärung erfolgte am 17.5.1814: Er sagt,
seine Mutter sei krank und er sei unpässlich.
Moulan, Julien Gerard, 1803 Dompfarrer und Dechant. Verstorben
am 4.8.1817.
39
Ruland, Jean Leonard Conrad, (aus dem alten Krönungsstift), 1802
Domkapitular. 13.4.1814 Treueid an die Alliierten. Verstorben am
1.8.1817.
Smeets,Franz Johann Joseph, (aus dem alten Krönungsstift),
19.11.1802 Domkapitular. Verstorben am 18.1.1818.
Timmermanns, Pierre, (aus dem alten Krönungsstift), 19.11.1802
Domkapitular. Verstorben am 3.5.1812.
In diesem Zusammenhang ist es nicht uninteressant festzustellen, dass
die adeligen Mitglieder des alten Krönungsstiftes bei der Besetzung des
neuen Kapitels keine Berücksichtigung mehr fanden. Waren sie etwa
auch vor den Franzosen geflohen ?
Den Vorsitz im Kapitel behielt sich Bischof Berdolet selbst vor, ließ
sich aber meist von einem Generalvikar vertreten. Im Jahre 1803 wählte
Bischof Berdolet Martin Wilhelm Fonck zu seinem Generalvikar. Vier
Jahre später, im Jahre 1807, wählte er Michael Klinkenberg
(Prämonstratenser aus Steinfeld), zu seinem zweiten Generalvikar.
Nach dem Tode von Bischof Berdolet im Jahre 1809 ernannte Napoleon
im Jahre 1810 Jean Francois Denis Camus, genannt Le Camus, zum
Nachfolger. Dieser fand jedoch nicht die Bestätigung durch Papst Pius
VII. Das Aachener Kapitel versuchte einen kirchenrechtlichen Ausweg,
indem es am 7.11.1811 Le Camus neben Fonck und Klinkenberg zum
dritten Generalvikar- Administrator wählte. Er nannte sich stets &v&que
nomm6e. Le Camus verließ beim Anrücken der alliierten Heere am
6.1.1814 die Stadt Aachen. Er starb bereits am 27.4.1814 in Paris. Die
Aachener behielten diesen gelehrten und bescheidenen Mann in guter
Erinnerung. Man hielt im Dom eine Totenmesse. Sein Grab befindet sich
in Saint Denis in Paris. Der Preußische Generalgouverneur des
Großherzogtums Niederrhein, Sack, forderte das Kapitel auf, «es soll
dem Herrn Camus die Administration der Aachener Diözese wieder
genommen werden». Nach dem Tode von Le Camus leiteten Fonck und
Klinkenberg die Geschicke des Bistums weiter. Nach der
Neuumschreibung der Preußischen Bistümer im Jahre 1821 durch die
Bulle «De Salute animarum» ging zunächst die Tätigkeit der
Kapitelsvikare weiter. 1825 übergab Fonck die Verwaltung an den
Erzbischof von Köln, von Spiegel. Den ihm im Jahre 1828 angebotenen
Bischofsstuhl von Lüttich lehnte er ab. Fonck starb am 28.6.1830 in Köln.
Dr. Michael Tilmann Klinkenberg starb am 12.3.1822. Am 28.1.1826
fand die feierliche Einrichtung des Aachener Kollegiatsstiftes durch
Erzbischof Graf Spiegel statt. Das Aachener Kollegiatskapitel erhielt, -
40
gemäß der Tradition der vorfranzösischen Zeit-, wieder die Dignität eines
Propstes. Im Jahre 1826 wählte das Kollegiatskapitel mit Matthias
Johannes Claessen seinen ersten Propst des neuen Kapitels. Diese
Tradition wird bis heute, ausgenommen die Zeit des Kulturkampfes,
fortgesetzt.
Das neue, heutige Bistum ist nach mehr als hundert Jahren im Jahre
1931 aus den im Westen gelegenen Teilen des Erzbistums Köln gegründet
worden. Die westliche Grenze folgt seit langem der Landesgrenze gegen
Belgien und Holland.
Das von Napoleon im Jahre 1802 gegründete Bistum Aachen war ein
Suffraganbistum von Mechelen. Vor 1802 gehörte es zum Fürstbistum
Lüttich, dessen östliche Grenze die Wurm war. Diese entspringt bei
Aachen/Diepenbenden und folgt stark mäandernd in etwa dem Lauf der
Eupener Straße. In der Stadt ist ihr Lauf kanalisiert und tritt im Osten der
Stadt wieder zu Tage. Sie wendet sich stark nordwärts, um endlich in die
Rur zu münden.
Bei der Gründung des Bistums ist man den römischen Gaugrenzen
gefolgt. Die Stadt Aachen gehörte damit zu Lüttich, während Burtscheid
Kölner Diözesangebiet wurde.
41
Die « Portz » oder « Boutique » in Walhorn
von Helmuth Christoph“
Erste urkundliche Belege
Die früheste Erwähnung dieses Hauses fand Dr. Michel Kohnemann
(Flurnamen des Walhorner Landes) in den Walhorner Gudungsbüchern
des Jahres 1546. „Up die portz‘“ bezeichnet dort den Hof gegenüber der
Kirche. Auch in den Lehensregistern der propsteilichen Mannkammer
des Aachener Marienstiftes findet sich schon unter dem 8.4.1553 ein
Hinweis auf dieses alte Walhorner Haus. Hermann Cronenborch als
Sachwalter, so lesen wir dort, empfange für seine Mutter und Miterben
das Gut die Porte, das seiner Mutter nach Tod des Heyn Meiwys durch
das Los zugefallen sei (Coels, Lehensregister, S. 720, Nr. 418).
Am selben Tage geht das Haus bzw. Gut an Marie, die Tochter des
Lenss Cronenboerchs.
1576 empfängt Laurenz Krum, Sohn des Frederich Krum und der
Marie von Kronenburgh, das Gut „die Portz‘“ zu Walhorn mit dem übrigen
Nachlass seiner Eltern.
Durch Kauf geht am 28. Juli 1584 „ein Viertel der Gebäude die Portz
zu Walhorn vor der Kirche mit Scheuer, Stall, Mist- und Kohlplatz‘“ von
Diederich van der Rotzen an Arnoldt Schuil, Rentmeister des Herzogtums
Limburg (Coels, ebda).
In den besagten Lehensregistern finden sich keine weiteren
Eintragungen zur „Portz“‘.
Von „Pyras Haus“ zur „Boutique“
Eine wichtige Quelle zur Erforschung der Eigentumsverhältnisse
stellen die Walhorner Gudungsbücher dar, in denen durch das
Schöffengericht die Grundstückskäufe und —verkäufe festgehalten
wurden.
* Nach Erscheinen unseres Beitrages über die Walhorner Einwohnerliste von 1740 (s.
Im Göhltal Nr. 72) übermittelte uns Herr Christoph die hier folgenden Notizen zum
Walhorner Haus „Boutique“ oder „Pottick‘“. Herr Christoph, dessen Mutter aus
Hergenrath stammte und eine Tochter des Ziegeleibesitzers Josef Schmetz war,
hatte über die Familienforschung eine profunde Kenntnis der genealogischen
Querverbindungen im alten Herzogtum Limburg gewonnen. Er liebte es, andere an
seinen Forschungsergebnissen teilhaben zu lassen. Kurz nachdem er uns den
vorliegenden Bericht hatte zukommen lassen, verstarb er plötzlich am 12.5.2004 im
Alter von 72 Jahren.
43
den berühmten Raerener „Pottebäcker“ (Töpfer) Jan Emens Mennicken
heiratete, und ein Sohn, Wintgen Helwich Pira, Küster in Walhorn, der
Trine Decker heiratet und das Haus an der Kirche in Walhorn erhält.
Durch Kauf kommt „Piras Haus‘ an den Schöffen Heinrich Cro(e)m,
(auch Krum geschrieben), verheiratet mit Mechtild von Cronenberg, der
Tochter des Claes von Cronenberg.
Aus dieser Ehe sind zwei Töchter bekannt, und zwar Elisabeth (Elsgen)
und Catharina.
Erstere heiratet Claes Becker aus Hauset und bleibt im Elternhause
wohnen, während Catharina den Junker Hermann Crümmel von Eynatten
zu Merols heiratet. Den beiden Töchtern fällt je eine Hälfte des
Elternhauses zu.
Der Junker Hermann Crümmel verkauft am 14. Februar 1634 dem
Hendrick Feyff „seinen rechten Anteil am Hause seines verstorbenen
Schwiegervaters Hendrich Crom, das man Pyras Haus nennt...“ Der
Kaufpreis liegt bei 3 1/2 Taler Erbpacht, mit denen die Güter des Claes
Mertens in Thimister belastet sind.
Der neue Besitzer trennt sich wieder von dieser Haushälfte am 18.
Juni 1635. Der schon genannte Claes Becker fügt dieselbe seinem Besitz
hinzu.
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16.2.1634 : «...te volgende Inden ersten overdrecht der vorsc. Cromel tot beseht
van Heinderich syn rechte aendel van die behausingen dar Henderich Crom des
vorsch. Cromels Schoenvader uyt verstorven is dat men heyst Pyras Huys gelegen
tot Walhorn beneffens des voerschreven Hendrich Behuissongen...»
(Staatsarchiv Lüttich, Walhorn, Oeuvres, 33).
Die Eheleute Claes Becker und Elisabeth Cro(e)m hatten zwei Söhne:
- Peter, Schöffe von Lontzen, heiratet Helene Meessen. Diese sind
die Eltern des Nicolaus Wilhelm Becker, Baron von Walhorn,
Kaiserlicher Leibarzt in Wien.
44
- Johann, Schöffe von Walhorn, wohnt an der Kirche in Walhorn;
1635 hat er das Haus in Besitz. Er stirbt 1646. Die „Portz‘“ bleibt dann in
den Händen der Erben und wird stark belastet, bis es 1716 zur
Versteigerung kommt.
Auszug aus dem großen Register des Gerichtshofs Walhorn vom
7. Juli 1716
Das Haus und die Güter „von weiland Jan Becker, genannt Bou-
tique“.
Nachdem Lamberts durch Vorlage der „Affichen“ (Plakatanschläge)
gezeigt hatte, dass der angegebene Tag zum endgültigen Verkauf des
genannten Hauses und der Güter festgesetzt worden war, wurde zum
Abhalten „des letzten Sitzungstages und des Verkaufs“ geschritten. Aus
der vorgenannten Formulierung geht hervor, dass ein öffentlicher Verkauf
(Versteigerung) in mehreren „Sitzungen“ stattfand. Noch heute ist es
so, dass der Zuschlag dem meistbietenden Ankäufer zunächst nur
vorbehaltlich eines Übergebotes gegeben wird und der endgültige
Verkauf erst in einer zweiten oder dritten „Sitzung“ stattfindet.
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«Het huys ende goederen van wylen Jan Becker tot Walhorn genoempt den
boutique» (S.A.L., Walhorn, Oeuvres, 42)
Zunächst wurden die Kapitalforderungen der Gläubiger bekannt
gegeben. Es waren
- Die Erben und Angehörigen von weiland Willem Momber von Nispert
- Der Herr von Trips von Crapoel
- Der Herr Leonard Gobl&€ als „Bediener des Hl. Kreuz-Altares zu
Walhorn‘“
- Die Bürgermeister („Geschworenen“‘‘) und Einwohner des „Quartiers“
(Dorf) Walhorn
- Herr Rechtsanwalt Hodiamont als Vertreter des Herrn Groeteclaes
wiederholt eine am 19.9.1662 erhobene Forderung
- Der Schultheiß Haegen als Armenmomber der Pfarre Walhorn
- Die Vertreter von weiland Peter Slenter
45
- Die Vertreter von weiland Witwe Jan Looslever
- Jan Ortmans für sich und seine Miterben oder Vertreter von weiland
H. Osseman
- Der Schöffe Lamberts und seine Miterben und Vertreter von weiland
Jacob Lamberts
Die Vorgenannten geben zu bedenken, dass sie sich durch den letzten
Artikel der Kaufbedingungen dadurch benachteiligt sehen, dass die
Käufer alle Lasten des Verkaufs zu tragen haben und sie davon nichts
auf den Kaufpreis anrechnen können. Ihrer Meinung nach müssten die
Gerichts- und Verkaufskosten aus dem Gesamtaufkommen des Verkaufs
gedeckt werden.
Das Gericht schloss sich dieser Sicht der Dinge an und schritt sodann
zum Verkauf folgender Immobilien:
1) Haus, Hof und Garten („Coolhoff*‘), für die der Schultheiße Haegen
50 Pattacons bot, gingen nach mehreren Übergeboten an denselben für
104 Pattacons. Der Schöffe Aen übernahm die Bürgschaft.
2) Die Weide auf Loodrieschen, 1137 Ruten groß, wurde vom
Schultheißen Haegen mit 60 Pattacons angesetzt, Merex Cormann bot
75, Herr Stragh 100, der Herr von Craepoel 105 und letztlich 135
Pattacons. Bürge ist der Schöffe Jan Meessen. (Nach dem Verkauf
überlässt der Herr von Trips die genannte Weide dem Jan Looslever).
3) Auf den Siegel („Segel“) auf dem „Foss‘““ in einer Größe von 177
Ruten, 2 Fuß, bietet Merex Corman 10 Pattacons; der Schultheiße Haegen
erwirbt diesen Grund für 70 Gulden. Bürge bleibt Jan Looslever.
4) Das Land am Eupener Weg („op den Eupender wegh“‘) mit einer
Fläche von 200 Ruten und 12 Fuß, eingesät mit Getreide, wird dem
Hendrik Looslever zugeschlagen für 70 Gulden. Der Ankäufer muss
sich verpflichten, die noch ausstehende Grundsteuer für das verflossene
Jahr 1715 sowie diejenige der Jahre 1716 und 1717 zu zahlen. Als
Gegenwert erhält er die halbe Ernte („den halben Knop“) des Jahres
1716 und des kommenden Jahres 1717. Er muss allerdings dem
„Ackermann“ den Samen abtreten. Bürge ist Mathys Keutjen.
So geschehen auf der Halle zu Walhorn am Tage wie oben angegeben.
Die Verkaufsbedingungen waren auf Verlangen der Witwe de Bruge
(eines ehemaligen Schöffen des Limburger Hochgerichts) und der Witwe
des Leutnants Hannotte wie folgt festgesetzt worden:
Man verkündet und lässt jedermann wissen, dass gemäß dem Gesetz
und mit Genehmigung der Justiz der Hochbank Walhorn nach dreimaliger
Bekanntgabe und in drei Sitzungen zum Verkauf von Haus und Besitz
des Jan Becker in Walhorn, genannt „die Boutique“ geschritten wird.
46
Zunächst wird man das Haus des Jan Becker mit An- und Zubehör
verkaufen, im Ganzen oder in Einzellosen, so wie der höchste Erlös
daraus zu erzielen ist.
Der Käufer des vorgenannten Hauses und der vorgenannten Güter
soll den Kaufpreis um den Betrag der „erblichen und nicht tilgbaren
Hypotheken, die darauf lasten‘“ kürzen, sofern die Gläubiger damit
einverstanden sind, diese Hypothek darauf stehen zu lassen.
Der Käufer ist verpflichtet, die restliche Kaufsumme binnen 14 Tagen
nach Verkauf beim Gerichtsschreiber des Walhorner Gerichts zu
hinterlegen, um damit die Ansprüche der Gläubiger zu decken.
Wenn ein Gläubiger vorgenanntes Haus und vorgenannte Güter
ersteigern sollte, so soll er nur soviel beim Gericht hinterlegen, wie über
den Betrag seiner Forderung hinausgeht.
Der Ankäufer, dem vorgenanntes Haus und Güter nach „Palm-Schlag‘“
und gehöriger Hinterlegung der Kaufsumme zugeschlagen werden, tritt
den Besitz sofort an, und zwar so, wie genannter Jan Beckers oder dessen
Erben ihn besessen haben, mit allen daran anklebenden Rechten, ohne
Garantie für das genaue Maß.
Sollte der Ankäufer keine Forderungen haben (kein Gläubiger sein),
so muss er innerhalb von 14 Tagen den Kaufpreis in „gutem zugelassenem
Gelde*“‘ („‚in goeden gepermitteerden gelde‘“‘) beim Greffier des Walhorner
Gerichtes hinterlegen, andernfalls er die „executie‘“ (Pfändung) zu
erwarten hat, oder es wird auf Wunsch der Gläubiger in einer einzigen
Sitzung zu einem erneuten Verkauf der Güter geschritten, und wenn
dieselben dann zu einem geringeren Preis verkauft werden, sollen alle
Kosten und Mindererlöse zu Lasten des nicht zahlungsfähigen Käufers
und dessen Güter gehen; ein Mehrerlös soll den Gläubigern zukommen.
Der Ankäufer ist gehalten, unmittelbar nach dem „Palm-Schlag“ die
Kosten des Kaufaktes zu bezahlen und eine genügende Kaution für den
Kauf zu stellen, andernfalls wird derjenige zum Besitzer erklärt, der
unmittelbar davor das höchste Gebot abgegeben hatte.
Der Ankäufer trägt alle nach dem „Palm-Schlag‘““ entstehenden Kosten,
die Grundbucheintragung („realisatie‘) usw, ohne etwas davon vom
Kaufpreis absetzen zu dürfen.
Wechselnde Besitzer
Durch den Verkauf vom 7. Juli 1716 war die Boutique mit dem dazu
gehörenden Grund und Boden in den Besitz des Schöffen Jan Hagen
übergegangen.
47
Am 31. August 1717 erscheinen vor dem kgl. Notar in Eupen Hendrich
Osseman, Peter Becker und Willem Becker (Letzterer mit
Handlungsvollmacht seiner im Ausland weilenden Schwestern Clara und
Maria Becker) einerseits, sowie Matthijs Hamecker von Lontzen
andererseits. Die Erstgenannten erklären gemeinsam und jeder einzeln
verkauft und übertragen zu haben zum „Urbar und Nutzen und Profit“
des anwesenden und dies akzeptierenden Matthijs Haemecker aus
Lontzen ihr Haus genannt die Boutique gelegen in Walhorn vor der
Kirche mit den dazu gehörenden Stallungen, Scheune, Garten und
Grashof, herrührend von weiland Claes Goelsen alias Vontsen Claes,
neben Jan Looslever und Witwe Geurt Teller gelegen, grenzend an
den genannten Grashof, „geterft“ vom Herrn Pastor von Walhorn
und Jan Schoonmecker, doch so wie das genannte Haus mit all
seinem Zubehör dort gelegen ist. Dazu kommen noch an Ländereien:
- eine Weide von 7 Morgen genannt Grasweide gelegen an Leenjens
Gasse;
- ein Stück Ackerland von 5/4 (Morgen) gelegen oberhalb Crümmelshof
nahe dem großen, nach Langmüs führenden Weg;
- ein Stück Ackerland von etwa 2 Morgen, genannt die Kalkhaege;
- ein Stück Land auf dem Alchenberg;
- ein Stück Land von 3/4 Morgen gelegen an den Vrankenbenden;
- ein Stück Ackerkland von etwa 1/2 Morgen genannt „in de Heuck“‘;
- ein Stück Land von 3/4 Morgen gelegen am Weg zum Kreuz;
- ein Stück Land von etwa 1/2 Morgen gelegen im Dylgendall;
- ein Stück Land gelegen am Leichenweg nach Rabotrath;
- ein kleines Stück Land gelegen zwischen dem genannten Leichenweg
und dem zum Kreuz führenden Weg.
Ausgenommen vom Verkauf ist ein „Gereth achdedeel‘“ (Geräte-
schuppen?) des vorgenannten Hauses, das dem Baelener Schöffen Hyssel
gehört.
Belastet sind die Boutique und die Ländereien mit 11 Gulden und 10
Stüber, und zwar:
15 Schüsseln Hafer „an die Domäne des Königs“
1 1/2 Kapaun an den Grafen von Hoen auf Stockem
2 Fass Spelz an die Witwe Dedrich Haegen
7 Gulden an die Armen von Walhorn.
Weitere Belastungen sind den Verkäufern nicht bekannt, auch in den
letzten mehr als 20 Jahren nicht bezahlt worden. Wenn aber andere
Forderungen erhoben werden sollten, so sind sie voll zu Lasten des
Käufers.
48
Auch bezüglich der zu zahlenden Grundsteuer können die Verkäufer
keine präzisen Angaben machen.
Eine weitere mit dem Kauf verbundene Bedingung ist das Recht der
Pächter, die genannten Grundstücke bis zum Auslaufen ihres Pacht-
vertrages weiter benutzen zu dürfen.
Der Käufer der Boutique, Matthijs Haemecker aus Lontzen, scheint
ein vermögender Mann gewesen zu sein. Den Kaufpreis, 1500 Gulden,
zahlt er zu 2/3 in bar, die restlichen 500 Gulden durch Überlassung
eines Schuldscheines zu Lasten der Güter des Nijs Erenst zu Lontzen-
Busch.
Für Leihkauf und Gottestaler zahlt Haemecker 5 Pattacons bzw. 1
Schilling. Hinzu kommt noch das Kirmesgeld für die Ehefrauen der
Verkäufer, nämlich 6 Pattacons.
Im Zusammenhang mit diesem Verkauf hat Matthijs Haemecker viele
Mühen auf sich genommen; dafür wollen ihn die Verkäufer entschädigen.
Der Kauf wird rückgängig gemacht
„Retrocessie‘“ gefolgt von den Namen Matthijs Haemecker, Maria
Osseman bzw. Willem Becker in deren Namen lesen wir eingangs eines
am 28. September 1717 vor Notar Mathias Wilhelm Lambertz
beurkundeten Verkaufs, zu dem der bisherige Besitzer der Boutique,
Matijs Haemecker in Begleitung der Zeugen Willem Hanssen und Jan
Coomaet erschien, um für und im Namen von Maria Osseman, der
nächsten Blutsverwandten von Hendrick Osseman, Willem Becker und
Konsorten, das in Walhorn gelegene Haus mit den dazu gehörenden
Ländereien genannt die „Boutique“, das unlängst durch die genannten
Osseman, Becker und Konsorten verkauft wurde, zu „vernaederen“‘.
Mathijs Haemecker erklärt, die „Boutique“ an genannte Maria
Osseman zu „retrocedeeren“ (zurückzugeben), womit Willem Becker
für und im Namen der Maria Osseman einverstanden ist.
Als Kaufpreis inklusive Leihkauf und Gottestaler, Kirmesgeld und
Notariatskosten erklärt Haemecker, 1439 Gulden und 2 Stüber erhalten
zu haben.
Die genannte Maria Osseman(n) war eine Verwandte einer Tochter
des Anton Becker, Margaretha Becker, die Heinrich Osseman geheiratet
hatte.
Maria Osseman übernimmt also die Boutique und heiratet (1720)
Christian Hendrix aus Baelen, dessen Tochter aus erster Ehe, die am
8.11.1710 geborene Jenne Catharina Hendrix, am 12.2.1736 in
49
Walhorn Hermann Becker, den Sohn des Wilhelm Becker und dessen
erster Frau Antoinette Moresnet, heiratet. Als Pfarrer Vanden Daele 1740
sein Häuserverzeichnis anlegte, ist Catharina Hendrix schon nicht mehr
unter den Bewohnern der „Boutique“. Mit ihrem Ehemann Hermann
Becker und den Kindern Mathias Wilhelm und Gaspar Christian bewohnt
sie das Gut „In de Vaen“ in Astenet.
Wilhelm Becker war Besitzer des Gutes Neuhaus, (heute Schloss
Neuhaus). Er heiratete in 2. Ehe die Tochter seines Nachbarn Mathias
Hennen vom Gute Himmelsplatz, Elisabeth Hennen. Seine erste Frau
kam vom nahebei gelegenen Gute ‚„Vahn“/Vaen/Fahne.
Der „Pottick‘“ kam also durch Heirat der Jenne Catharina Hendrix
mit Hermann Becker in den Besitz dieser Familie. Erst 1838 findet sich
wieder ein Hinweis auf einen Verkauf.
Am 22.6. jenes Jahres werden „Haus und übrige Gebäude nebst
anhabenden Grundgütern“ auf Anstehen der Kinder und Erben des Josef
Becker zu Walhorn öffentlich verkauft (Korr.-Blatt 1.6.1838).
Als Dorfschenke ist das Haus schon 1849 belegt. In einer Anzeige im
Korrespondenzblatt des Kreises Eupen vom 13.6.1849 heißt es: “Bei
dem Schenkwirte Keutgen zu Walhorn in der Boutique“.
Seit mindestens vier Generationen ist der ”Pottick‘“ im Besitz von
Familie Kessel.
EEE EEE A
Ar Freitag, den 22. Juni 1838,
EIER Vormittags 40 Uhr, wird unterzeiche
A 231 neter Notar auf Anftehen. der. Kinder-
ad Erben: des: H; Sofeph Becker zu Walbhurn,
im Haufe Boutique genannt, Öffentlich: zum, Vers.
Tauf ausftellen: -
. bdaffelbe Haus und. übrigem Gebäude, nebft
anhabenden Srnudgütern, haktend im Ganzen.
faut Katafter 48 Morgen, 124 Ruthen 90 Sup,
HAT N Cl
50
Chronik einer Dienstreise von Aachen
nach Frankfurt Anno 1742
von Hans-Dieter Iven
In der alten Reichsstadt Aachen erfuhr man am 29. Oktober 1740 die
Nachricht vom Tode Kaiser Karls VI. Er war nach einer Regierungszeit
von 29 Jahren gestorben. Im Dom wurden am 6. und 7. Dezember die
feierlichen Exequien gehalten. Wegen der komplizierten politischen Lage
stand die Wahl und Weihe des neuen Kaisers erst 1742 an. Aachen hatte
inzwischen seinen Rang als Krönungsstadt der Könige und Kaiser
verloren. Die Feierlichkeiten sollen nunmehr in Frankfurt stattfinden.
Aachen hatte aber noch einen Trumpf: Die Reichskleinodien. Ohne den
sog. Säbel Karls des Großen, die Stephansburse und das Reichsevangeliar
war keine Krönung möglich. Diese Gegenstände befanden sich in der
Obhut des Aachener Domkapitels und mussten zur Krönung nach
Frankfurt gebracht werden.
Das Kapitel war verschnupft darüber, dass die Einladung nach
Frankfurt «nur» durch den Stadtsekretär Heinrich Albert Ostlender
überbracht wurde. Bei einer langen Sitzung einigte sich das Kapitel über
den Abreisetag, die Route und die Kostenteilung, nachdem man ausgiebig
dem Wein zugesprochen hatte. Am 20. Januar 1742 machte man sich auf
den Weg nach Frankfurt. Die stiftischen Deputierten waren Dechant Graf
Ludwig Johann Albert von Schellard, der älteste Kanoniker Arnold
Wolfgang Freiherr zu Schlenderhan, Stiftssyndikus Johann Gottfried
Salden und Stiftssekretär Johann Matthias Bohnen.
Die Aachener Delegation umfasste 8 Deputierte mit 16-18 Domestiken
und ungefähr 25 Pferde. Reichsquartiermeister Georg Wolfgang von
Welck wird um ein «convenables Quartier» in Frankfurt gebeten. Die
erste Etappe ging über Aldenhoven nach Jülich. Man logierte in der
Herberge «Prinz Eugen». Die Delegation lebte nicht schlecht: Die
Rechnung des ersten Tages, so berichtet Stadtsekretär Ostländer, 48
Reichstaler und 14 Stüber. Die Rechnungen der einzelnen Etappen liegen
im Stadtarchiv Aachen. In Jülich z. B. «eine Soupe von 12 Herren, 15
Maas Wein, 36 Maaß Bier, Licoeur, Brandwein, Caffee und the vor alle,
28 Portionen Oessenfleisch, ein Hammelbraden, 2 Capaun, 6 Fransbrot,
die Leuth gefrühstückt, 3 Maaß Bier usw.»
Für die Weiterreise stellte der Herzog von Jülich eine Begleiteskorte.
(Es ging ja an Köln vorbei, da weiß man nie, was alles passieren könnte...
51
Aachen und Köln waren sich nie grün!). Man umging die Stadt und
durchquerte sie nicht, sondern setzte außerhalb der Stadtmauern mit Pon-
tons über nach Deutz. Dort logierten die Deputierten im Gasthof «Zum
Ochsen». Getafelt wurde wieder ausgiebig. Obwohl man sich
rechtschaffen gestärkt hatte, reiste man am nächsten Tag mit Verspätung
weiter nach Hennef. An der städtischen Karosse war wieder einmal ein
Rad gebrochen.
Am 24. Januar hatte man schon eine deftige Verspätung. Die Wahl
wurde durch den Reichserzkanzler um einige Tage verschoben.
Am 25. Januar kam man in Freilingen an. Gegen 17 Uhr fing der
Küchenschornstein der Herberge Feuer «wovon wir ein großen Schrecken
gehabt und die Insignia sambt der Bagage zu flüchten ahngefangen hatten.
Es ist dieser Brandt, Gott seye Lob, durch die mit unß gehende Escorte
und durch Rührung der Trommelen beyeinanderversambleten Bauren
gleich gelöscht wurde» (Bericht von Sekretär Ostlender). Auch die
städtische Karosse brach wieder zusammen und musste repariert werden.
Der Aachener Bürgermeister Theodor Oliva musste die Reise in
Siegburg wegen Unpässlichkeit unterbrechen. Ob sein Ausfall in der
üppigen Verpflegung oder im dem Gerumpel der Karossen über holperige
Straßen seinen Grund hatte, ist nicht überliefert.
Am 26. Januar erreichte die Delegation Limburg an der Lahn.
Erfreulich war, dass nichts Aufregendes passierte.
Am 28. Januar kommt die Aachener Delegation endlich in Frankfurt
an. Auch der wegen Unpässlichkeit zurückgebliebene Bürgermeister
Oliva stieß wieder zu seinen Kollegen.
Die «stadtfranckfurthische Cavallerie-Compagnie zu Pferd mit
klingenden Trompetten undt vorreithenden Herren Rittmeistern Busch,
welchen nahmens deren franckfurthischen Herren Bürgermeisteren
unserer Herren Deputirten ein gahr höffliches mündtliches Compliment
in limitibus territorii gemacht hatte.(Bericht Ostlender). Die Aachener
Delegation logierte in Frankfurt im Haus «Zum Krachbein». Man reiste
mit sieben «Carossen» in die Stadt Frankfurt und 50 Mann Eskorte, die
allerdings vor den Mauern Frankfurts (Bornheim) zurückbleiben musste.
Viele Tausend Zuschauer begleiteten die Delegation mit klingendem
Spiel.
Am 29. Januar begrüßte die Stadt Frankfurt die Aachener mit 16 Viertel
Ehrenwein. Man zeigte sich großzügig und gab den 8 Bediensteten ein
üppiges Trinkgeld, «womit man große Ehr eingelegt, hingegen die
nürrenbergische Herren Gesandten ihrer Sparsamkeit halber viele
Verachtung haben ausstehen müssen(!)», berichtet Ostlender.
52
Am 31. Januar war es endlich so weit: Einzug Karls VII. in Frankfurt,
«welcher so pompeus, brillant, reich undt köstlich gewesen ist, dass kein
Mensch deßgleichen mehr gesehen zu haben sich vantieren kann. Dieser
Einzug hat gewähret 2 biß 4 Uhren nachmittags» (Bericht Ostlender).
Am 3. Februar wird die Aachener Delegation vom Kölner Kurfürsten
Clemens August (Bruder von Karl VII.) empfangen. Die Krönung wurde
auf den 12. Februar verlegt. Hierfür gab es einen einleuchtenden Grund:
Frankfurt feierte Karneval, die Aachener Delegation feierte ausgiebig
mit. Die am 7. Februar vorgesehene Audienz bei einigen Ministern fiel
wegen Unpässlichkeit der Teilnehmer aus.
Am 8. Februar besichtigt die Nürnberger Delegation die Aachener
Reichskleinodien. Ss
Am 10. Februar protestiert die Aachener Delegation bei der
kurmainzischen Kanzlei wegen der Verlegung der Krönung von Aachen
nach Frankfurt. Dies sei auf Dauer grundsätzlich nicht so zu halten.
Außerdem verlangte man die Ersetzung der Reisekosten und
Entschädigung für die nicht erhaltenen Geschenke. Ein zustimmendes
Reversale! wurde der Aachener Delegation zugestellt.
Am 12. Februar, dem Tag der Krönung, kam es in der Domsakristei
zu einem Eklat: Ein französischer Delegierter äußerte sich verächtlich
über die Bedeutung und den Wert der Kleinodien: «Es räumte ihm Hr.
Losungsrath Haller das Maul ab: Es käme ihm nicht zu, von Sachen, die
er nicht verstünde, zu raisonieren, und die von der ganzen Welt für
venerabel und ächt anerkannten uralten Kaiserlichen Reichsinsignien so
meschant zu kritisieren. Es sei ein Glück für ihn, dass sie an heiliger
Stelle beisammen wären, denn wenn er Hr Losungsrath ihn anderwärts
hätte - so wolle er ihn lehren, nicht nur mit größerem Respekt hiervon zu
sprechen, sondern auch für seine Unverschämtheit genugsam zu
züchtigen. Worauf sich der Franzmann schamrot retirirte und alle
Anwesenden sich über dessen Verwegenheit sattsam ärgerten, welche
Begebenheit auch überall eclatierte und sogar bei Hofe ruchbar wurde.»
(Bericht des Hieronymus Wilhelm von Ebner Eschenbach). Merke:
Aachener kennen bei Geringschätzung Aachener Karlsreliquien kein
Pardon !
Nach der Krönung leistete Kaiser Karl VII. als neues Mitglied des
Aachener Marienstiftes den Kanonikereid. Er bestätigt die Privilegien
des Stiftes. Auch erhielt das Domkapitel vom Kaiser Geschenke.
Versicherungen, in denen ein Fürst bei der Huldigung der Stände erklärte, die Rechte,
Freiheiten und Privilegien seiner Untertanen nicht anzutasten.
54
Am 23. Februar erbittet und erhält die Aachener Delegation ein
Reversale, das aussagt, dass die Krönung diesmal nur ausnahmsweise in
Frankfurt gehalten sei. Der eigentliche Krönungsort sei, wie auch in der
Vorzeit, natürlich Aachen. Am 25. Februar wird in Aachen in Stadt und
Dom mit Illumination und Feuerwerk die Krönung gefeiert. In Frankfurt
erhielten die Aachener Abgeordneten 750 rheinische Gulden für die
Reisekosten. Die Stiftsvertreter erhielten nichts. Später wurden ihre
Ansprüche teilweise befriedigt. Am 10. März kehrte die Delegation nach
Aachen zurück. Die stiftischen und die städtischen Delegierten brachten
die Kleinodien in die Domsakristei. Man verabschiedete sich voneinander
und bedankte sich für «friedfreundlichste Reysgesellschaft». Ostlender
war froh, «Godlob zu Achen wiederumb retournirt zu sein».
Fazit: Die Hinreise dauerte 8'? Tage und die Rückreise 9'? Tage. Mit
einer durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit von 4-5 km/h legte man
täglich 25-30 km zurück. Im Westerwald gab es jeweils Probleme mit
dem Schneefall. Nach Abzug der Spenden des Kaisers und der Stadt
Frankfurt musste die Aachener Delegation noch 2.700 Taler selbst zahlen.
80% brauchte man für Verpflegung, 13% für «Honorare» für hochgestellte
Personen, 4% für Trinkgelder, Musikanten, Feuerfresser und Künstler,
2% für Reparaturen. (Weitere Einzelheiten siehe ZAGV 97, S. 221-291.
Hier auch Bildmaterial).
55
Aus der Gemeindechronik
von Preußisch-Moresnet
Bernhard Liemann/Sebastian Scharte
«Was in dem Laufe des Jahres sich in der Gemeinde und
für dieselbe Bemerkenswerthes zugetragen hat».
Die Chroniken der Bürgermeisterei Preußisch-Moresnet 1859-1914
Einleitung
«Wir haben beschlossen, unter dem Namen ‚Chronik‘ in jeder
Gemeinde unseres Verwaltungsbezirks ein Buch anlegen zu lassen, in
welchem am Ende eines jeden Jahres in einfacher und gleichförmiger
Art alles aufgezeichnet werden soll, was in dem Laufe des Jahres sich in
der Gemeinde und für dieselbe Bemerkenswerthes zugetragen hat.» Mit
diesen Worten eröffnete die Königlich Preußische Regierung ihre
«Circular-Verfügung an die Gemeinden des Regierungs-Bezirks Aachen»
vom 8. April 1825.'
Das amtliche Berichtswesen, in den altpreußischen Territorien schon
seit 1727 dank der «Zeitungsberichte» etabliert, erhielt mit den
Gemeindechroniken auch in der Rheinprovinz ein neues Fundament.
Waren die «Zeitungsberichte» zeitnahe, zumeist monatlich verfasste
Verwaltungsnotizen über Land und Leute, so sollten sich die Chroniken
— bereits an ihrer festen Buchform erkennbar — durchaus zu
Autobiographien des Lokalen entwickeln: «Aus der Chronik wird auch
hervor- und auf die Nachkommenschaft übergehen, was die Gemeinden
zu der Verbesserung ihrer mancherlei öffentlichen Anstalten, zu der
Vervollkommnung ihres Kulturzustandes geleistet und durch welche
Anstrengungen sie es bewirkt haben.»
Im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
geförderten Projekts am Seminar für Volkskunde/Europäische Ethnolo-
gie der Universität Münster? sind unter anderem die Chroniken der
!_ Abgedruckt ist diese Verfügung im ersten Ausgabe einer Chronik jeweils auf der zweiten
Seite.
? «Nationalismus und Alltag an der deutsch-belgischen Grenze (1815-1920)» lautete
der Name des Projekts, das 2005/2006 von Prof. Dr. Ruth-E. Mohrmann geleitet
wurde.
56
Bürgermeisterei Preußisch-Moresnet? ausgewertet worden. Nachfolgend
wird ein Einblick gegeben in diese Chroniken, die «einen Wert nicht nur
als realgeschichtliche Quellen, sondern auch als Dokumente zur
Mentalitätengeschichte der preußischen Lokalbeamten»* haben. Dass
die amtlichen Aufzeichnungen aus Preußisch-Moresnet zu den
ausführlichsten und aussagekräftigsten im Gebiet der heutigen
Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens zählen, steht grundsätzlich
außer Frage. Gleichwohl interessieren hier vor allem die administrativen,
wirtschaftlichen und alltagskulturellen Verflechtungen der Bürger-
meisterei mit den benachbarten Neutral-Moresnet und Hergenrath.
Einführungstext ]
„Chronik von Preuß. Moresnet, angelegt von Bürgermeister Kohl —
van Wersch.
Die Gemeinde Preuß. Moresnet ist ein Teil der ehemaligen
französischen Gemeinde Moresnet und gehört in administrativer Hinsicht
zum Kreise Eupen, Regierungsbezirke Aachen, in kirchlicher Beziehung
zur Pfarre Hergenrath, Erzdiözese Köln, in Justiz-Sachen zum
Friedensgerichte Eupen Landgerichtsbezirk Aachen, in Militair-
Angelegenheiten zum 25. Landwehrregiment.
Vor der französischen Occupation 1795 bildete Preußisch Moresnet
mit dem größten Teile des neutralen Gebietes die Gemeinde Kelmis und
stand unter österreichischer Herrschaft. Es gehörte damals zur Grafschaft
Dalhem> im Herzogtum Limburg und mit diesem zu den österreichischen
Niederlanden.
3 Die Chroniken
—Ausgabe 1 für die Zeit zwischen 1859 und 1900, Ausgabe 2 für die Jahre 1901 bis 1914/18
— liegen lediglich noch als Kopie vor; das Schicksal der Originale ist ungewiss.
Ebenfalls nicht zu klären ist die Frage, warum die Aufzeichnungen erst 1859 unter
Bürgermeister Kohl beginnen und nicht, wie ursprünglich gefordert, in den 1820ern.
Es kann nur vermutet werden, dass sich die Aachener Bezirksregierung und der
Eupener Landrat im Umgang mit Bürgermeister von Lasaulx stets nachsichtig zeigten
— er verwaltete schließlich auch noch Hergenrath sowie Neutral-Moresnet und
berichtete seinen übergeordneten Behörden vom Gemeindeleben ohnehin häufiger
als andere Bürgermeister.
* Kahmann, Uli: „Es sey Gutes oder Böses und allerhand Partikularia». Das amtliche
Berichtswesen im Königreich Preußen im 18. und 19. Jahrhundert. Manuskript eines
WDR 3-Hörfunkbeitrags, 01.12.1998: Gemeindechroniken und „Zeitungsberichte
sind keine objektiven Bestandsaufnahmen, sie stellen stets auch Deutungen des
Geschehens durch die protokollierenden Chronisten dar.»
5 Diese Angabe ist nicht korrekt: Kelmis gehörte zur Bank Montzen im Herzogtum
Limburg.
57
. Chronik
der
Bürgermeifterei Moresnetk,
k im
BAAR NN
Begierungs-Bezirk Machen.
BA Chroniken Buch enthält vier und’ fedözig Blätter, wovon das erfte|
3 und leßte Blatt von den Unterzeidhneten paraphirt if.
den * "4828,
S ; Der Bürgermeifter,
Titelseite des ersten Ausgabees der Chronik von Preußisch-Moresnet
58
Durch die Franzosen wurde Kelmis, welches ohne Zweifel seinen
Namen von den in dieser Gemeinde befindlichen sehr alten Galmei — in
der Ortssprache Kelmis -Bergwerken hat, mit der Nachbargemeinde
Moresnet zu einer Gemeinde unter dem Namen Moresnet vereinigt und
dem Kanton Aubel, Departement der Ourthe einverleibt. In Folge des
Pariser Friedens vom 30. Mai 1814 und des Wiener Traktats vom 19.
Juni 1815 wurde Moresnet von Frankreich wieder abgelöst und teils der
Krone Preußen, teils dem Königreich der Niederlande zuerkannt. Bei
der in 1816 stattgehabten Grenz-Regulierung konnten die Grenz-
Kommissarien wegen der sehr bedeutenden Bergwerke über die Teilung
nicht einig werden und es wurde daher beschlossen, das streitige Teil
vorläufig und vorbehaltlich einer späteren Regelung ungeteilt liegen ’zu
lassen. Auf diese Weise wurde Moresnet von N.W. nach S.O. in 3 gleiche
Teile geteilt®, und zwar in den preußischen, den neutralen und belgischen
Teil. Der erste ist unter dem Namen Preußisch Moresnet, der zweite, auf
welchem sich die Bergwerke befinden, Neutral Moresnet oder auch wohl
Kelmis und der dritte, der eigentliche Ort mit der Pfarrkirche schlechtweg
unter dem Namen Moresnet bekannt.
Preußisch Moresnet hat einen Flächen-Inhalt von 2648 Morgen und
wird im Norden durch die Gemeinde Laurensberg und Aachen im Osten
durch Hergenrath im Süden durch Lontzen im Westen durch das
Königreich Belgien und das neutrale Gebiet begrenzt. Es bildet einen
eigenen Gemeinde- Verband gehört aber seit 1825 zum Armen-, Kirchen-
und Schulverbande Hergenrath. Vor dem Jahre 1825 gehörte es als Stück
der früheren Sammt-Gemeinde Moresnet zum Pfarrverbande belgisch
Moresnet’, Diözese Lüttich.
Bei der Grenz-Regulierung in 1816 hatte Preuß. Moresnet 246
Einwohner in 49 Wohnhäusern, gegenwärtig hat es 643 Einwohner in
93 Wohnhäusern. Ein großer Teil der Einwohner sind Beamte oder
Arbeiter des Bergwerkes und meist erst seit 1845 zugezogen; die übrigen
Einwohner sind Landwirte welche meist Viehzucht treiben. Der
Konfession nach sind unter den Bewohnern von Preuß. Moresnet 570
Katholiken und 73 Evangelische; in 1816 waren nur Katholische
vorhanden.
6 Tatsächlich waren es drei ungleiche Teile: Der neutrale Teil hatte nur 344,5 ha, das
belgische (niederländische) Moresnet 673 ha und das preußische Moresnet 662 ha.
7 Preußisch-Moresnet gehörte zum Pfarrverband Moresnet. Das Attribut «belgisch»
ist natürlich erst aus der Perspektive des Chronisten von 1860 zu erklären.
59
Die Verwaltung von Moresnet führte seit der Teilung der Gemeinde,
also seit 1816 — 1850 der Herr Arnold von Lasaulx welcher zugleich
Bürgermeister von Hergenrath und Moresnet neutral war. Im Jahre 1847
legte dieser wegen hohen Alters die Funktionen als Bürgermeister von
Hergenrath und 1850 die von Preuß. Moresnet nieder und an seine Stelle
trat für beide Gemeinden der damalige Beigeordnete von Moresnet Herr
Corneil Hubert Mostert. Auf sein wiederholtes Ansuchen wurde Herr
Mostert mit Januar 1859 von der Verwaltung in Preuß. Moresnet
entbunden und diese nunmehr dem früheren Stadtsekretär von Eupen
Joseph Kohl kommissarisch übertragen. Die Beigeordneten des jetzigen
Bürgermeisters sind der Obersteiger Philipp Krauss und der Ackerer
Wilhelm Keutgen. Beide fungieren seit 1856.
In Anerkennung der großen Verdienste, welche sich Herr von Lasaulx
durch seine langjährige, unentgeltliche Verwaltung und durch seine sehr
große Wohltätigkeit gegen die Armen erworben, wurde ihm von Seiner
Majestät dem Könige von Preußen zunächst der rote Adler-Orden IV.
Klasse und im Jahre 1852 der rote Adler-Orden III. Klasse mit der
Schleife verliehen. Bei Überreichung des letzteren wurde dem
Dekorierten von Seiten der Gemeinde ein glänzendes Festessen gegeben,
welchem außer den Notabilitäten von Preußisch-, Neutral- und Belgisch
Moresnet der Herr Regierungs-Präsident Kühlwetter von Aachen, der
Herr Landrat von Harenne zu Eupen, sämtliche Bürgermeister des Kreises
und mehrere andere auswärtige Herren beiwohnten.
Das Vermögen von Preuß. Moresnet besteht aus Anteilen an zwei
Waldungen und zwar am Preusswalde und an den beiden Bambüschen.
Der erstere ist 1800 Morgen groß und liegt teils auf preußischem, teils
auf neutralem, teils auf belgischem Gebiete. Von ihm besitzt Preuß.
Moresnet in Domainschaft mit Neutral-Moresnet 1/9. Der übrige Teil
des Waldes gehört den belgischen Gemeinden Gemmenich, Montzen
und Moresnet. Die beiden Bambüschen haben angeblich eine Fläche
von 42 1/2 Morgen. Sie sind in Belgisch Moresnet belegen und mit
schönem Eichen-Hochwald bestanden. Von ihnen gehört Preuß. Moresnet
mit Neutral Moresnet als frühere Gemeinde Kelmis 1/3, die übrigen 2/3
gehören Belgisch Moresnet.
Die Schulden der ehemaligen Gemeinde Moresnet, die von Belgisch-,
Neutral- und Preuß. Moresnet zusammen sollen circa 18.000 Florin
betragen.
Das Gemeinde-Vermögen wird noch immer durch den Bürgermeister
von Belgisch Moresnet verwaltet, und sämtliche Revenuen fließen in
60
die Gemeindekasse daselbst. Ebenso wurden bis vor wenigen Jahren
die sämtlichen Verwaltungskosten sowohl von Preuß. Moresnet als vom
neutralen Gebiete aus der gedachten Kasse bestritten. Seit dem Jahre
1850 hat die belgische Gemeinde-Verwaltung indes angefangen, bald
diese, bald jene Zahlung zu verweigern und ist es dadurch nötig
geworden, für die hiesige Gemeinde einen eigenen Haushalt zu gründen
und einen eigenen Empfänger anzustellen, dieser in der Person des
Steuer-Empfängers Kremer früher zu Aachen, jetzt zu Eupen wohnend.
Die Verhandlungen wegen der Vermögens-Auseinandersetzung
zwischen den drei Anteilen von Moresnet haben schon im Jahre 1819
begonnen. Ursprünglich waren damit beauftragt: preußischerseits der
Landrat von Scheibler zu Eupen und niederländischerseits der Sous-
Intendant des Arrondissements von Verviers J. C. Nicolai zu Aubel. Bevor
dieselben zu einem Resultate gelangt waren, trat die belgische Revolution
ein, in Folge deren sich die Verhandlungen gänzlich zerschlugen. Erst
in neuerer Zeit sind dieselben wieder aufgegriffen und zur Vollziehung
der Teilung nunmehr zu Teilungs-Kommissarien ernannt worden:
Preußischerseits der Landrat von Harenne zu Eupen und belgischerseits
der Distrikts-Kommissar Jamme, früher zu Verviers, jetzt zu Lüttich
wohnend. Wenngleich auch deren Unterhandlungen sich in die Länge
ziehen, so hofft man doch, dieselben nächstens zum Abschlusse gelangt
zu sehen.
Die Verwaltung der Waldungen sowie die Aufsicht über dieselben
führten seit 1816 auf gemeinschaftliche Kosten von Montzen, Moresnet
und Gemmenich Forst-Administratoren und Förster und zwar wurde von
Preußischen Beamten der im Preußischen und im Neutralen belegene
Teil und von belgischen Beamten der Teil verwaltet, welcher im
Belgischen liegt. Der erste Preußische Forst-Administrator seit der
Teilung von Moresnet war der Oberförster Gronenscheldt, welcher von
1818 — 1831 fungierte. Nach dessen Pensionierung wurde der
Oberförster-Kandidat Biermans Administrator und als dieser in 1841
Königlicher Oberförster wurde, erhielt Herr von Gabain aus Malmedy
die hiesige Administrator-Stelle, der sie bis heute noch bekleidet.
Als Förster fungierten von 1816 — 1839 Nic. Gronenscheldt, nach
dessen Tode von 1839-1858 Simon Gronenscheldt und nach dessen
Entlassung von 1858 bis jetzt der Ackerer Matthis Laschet.
Mit der Vereinigung von Moresnet mit Hergenrath zu einem Kirchen-
und Schul-Verbande also seit 1825 war man darauf bedacht, die für die
Bevölkerung viel zu kleine alte Kirche und das elende ungesunde
61
Schulhäuschen zu Hergenrath durch neue Gebäude zu ersetzen. Nach
vielfachen Verhandlungen kamen die Gemeinderäte im Jahre 1838 dahin
überein, daß zuerst ein neues Schulhaus gebaut, die Kirche aber vorläufig,
womöglich vergrößert werden solle und daß Hergenrath zu den
Baukosten 2/3 und Moresnet 1/3 beitragen. Die Königliche Regierung
erklärte sich mit dem Schulbau einverstanden, nicht aber mit der
Vergrößerung der Kirche, vielmehr bestimmte dieselbe, daß nach
Erbauung einer neuen Schule sofort auch der Bau einer neuen Kirche in
Angriff zu nehmen sei und daß der Plan und Kosten-Anschlag schon
gleich angefertigt werden solle. Der damalige Bürgermeister v. Lasaulx
kam dieser Verfügung nach, beging aber das Versehen, den Kosten-
Anschlag nicht durch den Gemeinderat von Moresnet, welcher
hauptsächlich für die Vergrößerung der alten Kirche gewesen war,
genehmigen zu lassen. Nach Vollendung des Baues weigerte sich dieser
daher, zu den Baukosten der Kirche etwas beizutragen. In Folge
vielfacher Bemühungen der Behörden erklärte er sich endlich bereit, zu
den
Schulbaukosten ad 2.217-26-9
Zu den Kirchenbaukosten ad 20.019-22-0
[SUMME] 22.237-19-9
einen Beitrag von in toto 4723-17-6
zu leisten, welches [...] der Gemeinderat zu Hergenrath am 25. März
1850 akzeptierte und wodurch er Moresnet von ferneren Beiträgen
dechargierte.
Da die Gemeinde Moresnet von der angebotenen Summe nur 2223
Ril. 17 Sgr. 3 Pf. gleich ablegen konnte, so verpflichtete sie sich, den
übrigen Betrag allmählig und zwar mit 300 Rtl. jährlich abzulegen, bis
zur gänzlichen Abbezahlung aber 5 % Zinsen zu bezahlen. Mit der
Abtragung wurde gleich begonnen und die Schuld in 1858 getilgt.
Zu den Utensilien und den Dekorationen der Kirche, insoweit solche
bereits beschafft worden, hat Moresnet auch 1/3 beigetragen.
Bis gegen 1845 waren evangelische Einwohner in Moresnet fast gar
nicht vorhanden. Die wenigen, welche da waren, gehörten bis 1848 zur
evang. Pfarre Eupen und von da ab zur evang. Pfarre Aachen. Seit 1849
und namentlich seit 1851 hatte sich die evangelische Bevölkerung durch
Zuzug aus Deutschland so vermehrt, daß sie 1852 schon von 9 auf 33
Seelen gestiegen war und daß sie 1855 schon 56 Seelen zählte. Der Ober-
Ingenieur der Bergwerks-Gesellschaft Herr Max Braun, selbst
Evangelischer, ließ es sich nun angelegen sein, nicht nur eine eigene
62
evangelische Kirche, sondern auch eine evangelische Schule hier zu
gründen und vermittelte zu diesem Zwecke zunächst die Berufung eines
Pfarrvikars und dann eines evangelischen Lehrers. Ersterer hielt zuerst
in einem Privat-Saale Gottesdienst. Nachdem die Gemeinde durch die
Kirchenbehörde als solche anerkannt worden war, wurde schon am 7.
Juli 1856 (durch den Superintendenten Rosshoff zu Aachen) in
Gegenwart des Pfarrers Michels aus Eupen, des evangelischen
Pfarrvikars Lekebusch von hier und verschiedenen anderen Herren der
Grundstein zur neuen Kirche gelegt, welche in 1857 vollendet wurde.
Die Baukosten der Kirche wurden zum Teil durch die Gesellschaft des
Altenbergs und teils durch Kollekten zusammengebracht, auch wurden
bedeutende Unterstützungen von Seiten der deutschen Gustav-Adolphs-
Vereine geleistet. Die Gesellschaft gab 2.000 Francs und bewilligte einen
Teil des Terrains auf welchem die Kirche steht, die Kollekten brachten
2.930 Taler ein und die Unterstützungen der genannten Vereine beliefen
sich auf 1.010 Taler. Die durch die Kirchen-Gemeinde und Private
geleisteten Beiträge betrugen 14-1500 Taler. Im Ganzen also betrugen
die zum Kirchenbau gesammelten Gelder circa 6.000 Taler. Von der Zivil-
Gemeinde wurde zu dem Kirchenbau ein Geldbetrag nicht geleistet,
sondern nur zwei Gemeinde-Grundstücke, groß 100 Ruthen 30 Fuß zur
Anlage eines Kirchhofes geschenkt.
Da zum Kirchenbau nur 4.500 Taler erforderlich waren, so bildete
man aus dem Überschusse einen Pfarrdotationsfonds, zu dessen
Vergrößerung seitdem noch von verschiedenen Privaten Beiträge
bewilligt worden sind. Einen Teil der Pfarrerbesoldung übernahm die
Gesellschaft; auch gab diese ein Schullokal her und bewilligte die
Besoldung des evangelischen Lehrers.
Besuch hoher Standespersonen hat die Gemeinde oder vielmehr das
Bergwerk mehrere gehabt. Ihre Namen wurden in das auf dem Bergwerke
befindliche Fremdenbuch eingetragen, wo sie noch aufbewahrt werden.
Die letzten hohen Besuchen fanden im Jahre 1856 und 1857 statt, als
die Frau Prinzessin von Preußen und Höchst ihre Tochter, die
Großherzogin von Baden auf den Altenberg kamen. Bei Hochderen
letzten Anwesenheit machten Ihre Hoheiten der neuerbauten
evangelischen Kirche verschiedene schöne Geschenke u. a. einen
goldenen Kelch und ein Kruzifix.
In Betreff der evangelischen Schule macht der Herr Ober-Ingenieur
Braun, zugleich Mitglied des Gemeinderates darauf aufmerksam, daß
63
diese Schule nicht als evangelische, sondern als Beamtenschule
gegründet worden sei, die damals außerordentlich nötig gewesen sei.»
[Datum: 2. Juni 1860, Unterschriften]
1859
«Das Jahr 1859 war für unser Vaterland ein hartes, denn es wurde der
Staat zu außergewöhnlichen, nicht unbedeutenden Opfern veranlasst.
Durch die kriegerischen Verhältnisse wurde Preußen in die
Notwendigkeit gesetzt, gegen Frankreich hin seine Grenze zu sichern
und zu diesem Zwecke einen Teil seiner Arme[e]n mobil zu machen.
Diese Mobilmachung® war namentlich hart für die Gemeinden der
Rheinprovinz, denn nicht nur hatten diese mit an den Kosten der
Mobilmachung zu partizipieren, sie mussten auch, da das hiesige
Armeecorps mit zu den mobilen gehörte, einen Teil ihrer besten Kräfte
hergeben.
Am nachteiligsten wirkte die Einberufung der Wehrleute, weil dadurch
nicht bloß Arbeitskräfte verloren gingen, sondern den Gemeinden auch
die zurückgebliebenen Angehörigen derjenigen zur Last fielen, die
Vermögen oder sonstige Subsistenzmittel nicht besaßen. In letzterer
Beziehung litten dann auch die hiesigen Gemeinden bedeutend, denn es
wurden aus Preußisch und Neutral Moresnet nicht weniger als 19
Wehrleute, meist Familienväter und außerdem verschiedene Reservisten
einbeordert. Um den Gemeinden und dem Kreise in etwa Erleichterung
zu verschaffen, bildete sich unter dem Vorsitze des Herrn Ober-Ingenieur
Braun ein Unterstützungs-Verein für Moresnet und Hergenrath, dem
sämtliche Notabeln der Gemeinden beitraten und durch welchen die
zahlreichen hilfsbedürftigen Angehörigen der Einberufenen hinlängliche
Unterstützung bezogen, solange die Mobilmachung dauerte. Eine andere
nachteilige Folge der kriegerischen Lage Europas war für hiesige
Gemeinde die Hemmung des Bergbaues und der damit verbundenen
Zinkfabrikation. Letztere wurde soweit reduziert, daß anfangs Mai nur
mehr die Hälfte der Öfen in Betrieb waren. Zwar wurden dieserhalb
keine Arbeiter entlassen, es musste jedoch die Arbeitszeit so beschränkt
werden, daß die Leute nicht mehr als für ihren nötigen Unterhalt
verdienen konnten. Zum Nebenverdienste wurden verschiedene Arbeiten
in den Gemeindewegen angewiesen, wodurch dann einzelne bessere
Zeiten erreichten, ohne Schulden machen zu müssen.
® Alle von nun an in Fettdruck gesetzten Begriffe dienen der Orientierung des Lesers
— in den Originalen finden sie sich in Normalschrift.
64
Nach dem Friedensschlusse von Villafranca begann die Industrie sich
wieder zu heben, die Zinköfen wurden nach und nach wieder angezündet
und der Bergbetrieb wurde lebhafter. Gegen Anfang Winter waren daher
fast alle Arbeiter wieder vollständig beschäftigt.»
«Mit dem 1. Juli wurde dem commisarischen Bürgermeister von
Preuss. Moresnet, Joseph Kohl auch die Verwaltung des neutralen
Gebietes übertragen und am 18. October wurde derselbe für Preuss.
Moresnet definitiv als Bürgermeister vereidet.
Dem Herrn Ober-Ingenieur Max Braun wurde im Jahre 1859 in
Anerkennung seiner vielen Verdienste um den Bergbau von Seiner
Majestät dem Könige von Preußen der rothe Adlerorden IV Klasse und
dem Obersteiger und Beigeordneten Bürgermeister Herrn Philipp Krauss
ist das allgemeine Ehrenzeichen verliehen worden.»
1861
«Seine Majestät unser allverehrter König Friedrich Wilhelm IV. der
seit 2 Jahren, von schweren Leiden getroffen, die Regierung des Landes
an Seine Königliche Hoheit den Prinzen Wilhelm von Preußen
übertragen, erlag den Leiden am 2. Januar 1861 morgens um 12 Uhr 40
Minuten. Es wurden die öffentlichen Lustbarkeiten bis nach dem 17.
Januar untersagt, bis zum 15. ejusdem die Trauergeläute in allen Kirchen
gehalten und die Dienstbriefe während 6 Wochen schwarz gesiegelt.
Am Sonntag den 17. Februar fand die allerhöchsten Orts befohlene
Gedächtnisfeier mit Predigt in den Kirchen statt. Am 17. August besuchte
Seine Excellenz der Minister der auswärtigen Angelegenheiten Herr von
Schleinitz den Altenberg und zwar in Begleitung des Herrn Regierungs-
Präsidenten Kühlwetter von Aachen. Dieselben kehrten nach kurzem
Aufenthalte zurück nach Aachen.
Am 18. October wurde höherer Anordnung zufolge der Krönungstag
Seiner Majestät Wilhelm I. in den Kirchen durch Hochamt und Te Deum
gefeiert, nachdem dieses Fest am Vorabend mit allen Glocken eingeläutet
worden.»
1862
«Am 17. April wurde der Bau einer katholischen Kirche für das
benachbarte neutrale Gebiet in Verding gegeben und im September
wurden die Fundamente der Kirche begonnen. Wegen des
Zusammenhanges hiesiger Gemeinde mit dem genannten Gebiete hat
der Beginn des sehr nöthigen Baues auch hier große Freude erregt.»
65
«Ende 1861 war die Anlage des großen Teiches diesseits der
Emmaburg begonnen worden und in 1862 wurde dieselbe beendet. Auch
wurde in 1862 eine Anlage für künstliche Fischzucht mit den nöthigen
Brutkästen und einem kleinen Zuchtteich durch Herrn Ober-Ingenieur
Braun am Ochsenbrunnen eingerichtet. Auch die große Maschinen-
Anlage für den Altenberger Tiefbau ist seit 1862 in Betrieb.»
1864
«Am 25. Juni beehrte Seine Excellenz der Handelsminister Herr Graf
Itzenplitz mit seinem Besuche den Altenberg von Aachen kommend. In
seiner Begleitung befand sich der Herr Regierungs-Präsident Kühlwetter
aus Aachen. Seine Excellenz wurde am Bürgermeisterei-Lokale vom
Herrn Landrathe von Harenne und dem Bürgermeister Kohl begrüßt und
sodann zum hiesigen Bergwerk behufs Besichtigung der Etablissements
begleitet. Gegen 3 Uhr Nachmittags verließ uns Seine Excellenz wieder.»
«Der in Schleswig geführte Krieg gegen Dänemark hat hier viele
Sympathie gefunden. Öffentlich und privatim wurden Sammlungen zum
Besten der Verwundeten veranstaltet, welche reichlichen Ertrag
lieferten.»
[Öffentliche Bekanntmachung, dass das Fräulein Luise Braun, die
Tochter des Ober-Ingenieurs, beim Schlittschuhlaufen auf dem Weiher
den ins Eis eingebrochenen Sohn des Steigers Pelzer gerettet hat, genauer
Wortlaut der in den Blättern bekannt gemachten Rettungsaktion ist in
der Chronik nochmals wortgetreu wiedergegeben. Für ihre Tat erhielt
sie von Seiner Majestät dem König die Rettungsmedaille.]
1865
«Am 8.October wurde die neue Kirche zu Neutral-Moresnet
eingeweiht und zwar durch den Bischof de Montpellier zu Lüttich unter
Assistenz des Bischofs Laurent zu Aachen. Es wohnten neben einer sehr
großen Anzahl von Geistlichen dieser Feier bei: Die Regierungs-
Commissarien Herr Landrath von Harenne und Herr Landgerichtsrath
Cremer, Herr de Sincay Generaldirektor des Altenbergs, die Ortsbehörden
und die Beamten des Bergwerks hier. Der Zudrang des Publikums war
ungeheuer. Es wurde durch die Gesellschaft zu Ehren der geistlichen
und weltlichen Behörden ein großes Diner im Schullokale zu Moresnet
Neutral gegeben. Das neutrale Gebiet und Preußisch Moresnet waren
festlich geschmückt und abends illuminiert.»
66
1866
«Nachdem bereits in 1865 im benachbarten Belgien und Holland die
Rinderpest ausgebrochen und die Grenzsperre angeordnet worden war,
wurde am 19. Januar ein Militär-Detachement hierher beordert um die
Grenzsperre zu handhaben. Die Einwohner waren über die ihnen dadurch
zur Last fallenden Einquartierungen äußerst unzufrieden.» [Klagen über
die unzureichende Vergütung pro Mann bei den gestiegenen
Lebensmittelpreisen. Nennung der eingesetzten Regimenter, auch
Kavallerie aus dem 7. Husarenregiment wurde eingesetzt.] „Die
Rinderpest ist hier glücklicherweise nicht zum Ausbruch gekommen. In
Betreff des neutralen Gebietes hatten sich die beiderseitigen Regierungen
dahin geeinigt, daß für den Fall des Ausbruchs der Krankheit den
Besitzern unter Beobachtung des Regiments gegen Einführung von Vieh
der Schaden aus Staatsmitteln ersetzt werde.»
«Es kamen im September 1866 im Neutralen verschiedene
Cholerafälle vor. Preußisch Moresnet blieb verschont.»
«Der deutsche Krieg hatte die Einberufung vieler Arbeitskräfte zur
Folge und brachte Mangel und Sorge für manche Familie. Es bildeten
sich hier Unterstützungskomites, die neben den offiziellen
Unterstützungen den Familien der Einberufenen bedeutende Subsidien
zu Teil werden ließen. Geblieben sind von hier Egidius Soiron von der
Main-Armee, verwundet wurde, und zwar bei Königgrätz, Mathias Jo-
seph Kriescher von der Elb-Armee.»
1867
[Unzufriedenheit über andauernde Grenzsperre, dadurch Behinderung
des Viehhandels, Freude über Ende der Grenzsperre und Abzug der
Regimenter am 4. Juli, Bergwerk hatte bedeutenden Anteil zur erhöhten
Vergütung beigesteuert.]
«Am 7. Juli wurde seitens der Gemeinde Preußisch Moresnet ein Fest
arrangiert zur Erinnerungsfeier des Sieges von Königgrätz. Die Gemeinde
hatte zu demselben nicht nur ihre eigenen Landwehrleute und
Combattanten, sondern auch die von Moresnet Neutral eingeladen, im
Ganzen 28 Mann. Die Mannschaften wurden am Gemeindehause mit
Musik abgeholt und zum Schützenlokal geführt wo ein Concert gegeben
wurde. Nach dem Concert fand auf Kosten der Gemeinde ein Souper
mit nachfolgendem Ball statt. Jedem Landwehrmann wurden daneben
auf Gemeindekosten zwei Flaschen Wein verabfolgt. Die sämmtlichen
67
Kosten betrugen 30 Taler. Der Herr Landrath von der Heydt hatte das
Fest mit seiner Gegenwart beehrt.»
[Regierungs-Präsident von Bardeleben in Begleitung des Schulrats
Stöveken besichtigten den Altenberg, die Kirchen und Schulen der
katholischen sowie evangelischen Konfession, die katholische Schule
liegt im Neutralen, von der Heydt war mit dabei, gemeinsame Rückkehr
nach Aachen.]
[Wegebau nach Hergenrath begonnen, kurz darauf beendet, da
Hergenrath noch nicht begonnen hatte.]
1869
«Während der Monate Mai und Juni wurden die Vermessungen einer
Zweigbahn vom Altenberg zur Rheinischen Bahn vorgenommen, diese
Bahn gelangt jedoch leider nicht zur Ausführung, weil die Rheinische
Eisenbahn die geringen Kosten derselben nicht übernehmen wollte.
Dagegen wurde eine Zweigbahn von hier nach Altenberg (belg.
Moresnet) zu der in diesem Jahre begonnenen Bahn von Aachen nach
Welkenrath gelegt. Belgische Unternehmer führten diese Bahn unter
Mitwirkung der Gesellschaft des Altenbergs aus.»
«Im Laufe des Jahres wurde die Prämienstraße von Moresnet über
Hergenrath und Hauset zur Aachen-Eupener-Aktienstraße, welche 1868
begonnen worden war, vollendet. Versuchsweise wurde der sogenannte
Heidkopf, soweit er der hiesigen Gemeinde gehört, mit Tannen
bepflanzt.»
1870
«Der Gang des Bergwerks war im Ganzen gut. Es wurde eine
anscheinende Fortsetzung des alten Galmeilagers entdeckt, wodurch die
befürchtete Erschöpfung des Bergwerkes auf einige Jahre in die Ferne
gerückt ist. Der Reinertrag des Bergwerks für dieses Jahr war 826.011
Francs.»
«Ganz unerwartet brach im Juli zwischen Frankreich und Deutschland
Krieg aus. Im Juli erklärte nämlich Frankreich dem preußischen Volk in
der frevelhaftesten Weise diesen Krieg. Ganz Deutschland erhob sich
wie ein Mann um den Erbfeind zurückzuweisen. Von Preußisch- und
Neutral-Moresnet wurden über 60 Mann zu den Fahnen einberufen.
Große Opfer wurden während des Feldzuges sowohl durch die
Gesellschaft des Altenbergs als durch die Gemeinde zur Unterstützung
der Angehörigen der Einberufenen gemacht. Die Beamten des Altenbergs
68
vereinigten sich mit dem Bürgermeister und den Pfarrern beider
Konfessionen zu einem Komitee, welches jeden Monat mehr als 500
Francs an Unterstützungen verteilte. Auch die Krieger wurden bedacht
und zwar ohne Unterschied, ob sie in Preußen oder Belgien oder Holland
einberufen waren! Die Gaben wurden durch freiwillige Beiträge
aufgebracht, an welchen Reiche und Armen, Vorgesetzte und Arbeiter
teilnahmen.
Am 8. September wurde auch der Bürgermeister zum Dienste seines
Vaterlandes einberufen und zwar, um die Verwaltung in Elsass-
Lothringen mit zu organisieren.
Die Gemeinde hatte zum Parkdienst 5 zweispännige Fuhren stellen
müssen, welche mit Ausnahme von 3 Pferden wieder zurückgekehrt sind.
Auch ein Parkfuhrmann sah seine Heimat nicht wieder nämlich Matthes
Schönauen, welcher am 24./25. Oktober zu Dugny bei Verdun am Ty-
phus starb.
Nach der Schlacht von Sedan war das Resultat der weiteren
Kriegsführung entschieden. Elsass-Lothringen sollte von Frankreich
wieder abgetrennt und von Neuem mit Deutschland vereinigt werden.
Es wurde daher von da ab die Verwaltung in deutsche Hände genommen
und dieselbe neu organisiert. Auch der hiesige Kreis stellte zu den
Verwaltungsbeamten sein Kontingent in der Person des Landrats Herrn
Gülcher und des unterzeichneten Bürgermeisters von Preußisch
Moresnet, Joseph Kohl. Leider war es dem ersteren nicht mehr vergönnt,
seine Heimat wiederzusehen. Zunächst erlitt er einen kleinen Unfall durch
Sturz aus einem Wägelchen, dann erkrankte er in Hagenau am Typhus
und starb daran am 24. Oktober zu Karlsruhe. Obgleich erst seit 3 Jahren
als Landrat tätig, hatte er sich durch seine Leutseligkeit und
Rechtschaffenheit bereits allgemein beliebt gemacht. Auch hatte er sich
in der kurzen Zeit seiner amtlichen Tätigkeit eine große Gewandtheit in
seinen Funktionen angeeignet, was wohl auch die Veranlassung gewesen
sein mag, daß die vorgesetzte Behörde gleich nach Ausbruch der
Feindseligkeiten mit Frankreich ihn zu resp. nach Niederwerfung der
französischen Armeen ihn zur Reorganisation der zurückerworbenen
Provinzen Elsass-Lothringen mit einberief. Seine Untergebenen verloren
an ihm einen liebenden und daher sorgenden Vorgesetzten. Bei der am
27. Oktober erfolgten Beerdigung hat der ganze Kreis seinen Tod sehr
bedauert. Eine große Menschenmenge gab ihm das letzte Geleite.
Der erste Kreis-Deputierte; Herr Thelosen, hat den Landrat bis zur
Ernennung des neuen Landrates vertreten.»
69
1871
«Nach siebenmonatlichen heißen Kämpfen war der Erbfeind
Deutschlands vollständig zu Boden geworfen und kam am 2. März der
langersehnte Friede zustande. Mit dem Frieden kehrte auch der
Bürgermeister wieder zurück, welcher als erster deutscher Steuer-
Empfänger Elsass-Lothringens zuerst den Empfang in Hagenau-
Uhlweiler geregelt und dann auf ausdrücklichen Wunsch der
Oberbehörden noch die Regelung der schwierigen Percepturen” Ober-
und Nieder-Ehnheim übernommen hatte. In der Stadt Ober-Ehnheim
wurde derselbe am 7. Dezember 1870 bei einem Aufstande fünffach,
jedoch nicht gefährlich verwundet. Eine definitive Anstellung lehnte
derselbe ab, weil er dem Steuerfach keinen Geschmack abzugewinnen
vermochte. Auf seiner Rückkehr, die am 25. Februar 1871 stattfand, bot
man ihm die Bürgermeisterstelle einer größeren Stadt an, die er aber aus
verschiedenen, von den Behörden gebilligten Gründen ablehnte.
Während seiner 6monatlichen Abwesenheit wurde er als Bürgermeister
für Preußisch Moresnet durch den ersten Beigeordneten Herrn Braun,
als Bürgermeister für das neutrale Gebiet durch seinen Bruder Hubert
Joseph Kohl vertreten. Zum Andenken an den glorreichen Krieg und
ruhmvollen Frieden wurde am 22. März, als dem Königl. Geburtstage
in der Höhe der evangelischen Kirche eine Kaiserlinde mit
entsprechendem Zeremonium gepflanzt und später mit einer hübschen
Anlage umgeben.
Durch die allmähliche Rückkehr der einberufen gewesenen
Landwehrleute und Reserven waren auch wieder allmählich normale
Verhältnisse eingetreten. Man feierte die Rückkehr der hiesigen Krieger
am 17. September durch ein großartiges Fest. Um 3 Uhr Nachmittags
versammelten sich sämtliche Krieger, 63 an der Zahl, vor dem
Gemeindehause zu Preuß. Moresnet. Dort wurden sie von den
Altenberger Schützen und der Musik, sowie von den notabelsten Bürgern
abgeholt und zur Friedenslinde geführt. Am Casino erwartete ein schöner
Kranz weißgekleideter Jungfrauen die Krieger; sie sangen die Wacht
am Rhein und schmückten sodann die Heimgekehrten mit Kränzen von
Eichenlaub. An der Friedenslinde hielt der Bürgermeister eine
patriotische Ansprache mit einem Willkommen an die Krieger, der erste
Beigeordnete Herr Braun las eine Rede mit einem Hoch auf den
deutschen Kaiser. Der Zug begab sich nunmehr in das reich beflaggte
neutrale Gebiet, durchzog dort die Hauptstraßen und gelangte alsdann
70
zum Schützenlokale, wo diniert wurde. Es nahmen im Ganzen 103
Personen an diesem Diner teil. Die Kosten der Bewirtung der Krieger,
von welchen jeder außer dem Mittagessen 2 Flaschen Wein erhielt,
wurden teils durch Subskriptionen, teils durch einen Zuschuss aus dem
Altenberger Kirmesfonds, teils aus Gemeindemitteln bestritten.
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«Zur Erinnerung an den glorreichen Krieg und ruhmvollen Frieden wurde am
22. März (1871)... in der Nähe der evangelischen Kirche eine Friedenslinde
(Kaiserlinde) mit entsprechenden Ceremonien gepflanzt.»
Heute befindet sich dort das Kriegerdenkmal für die Opfer der beiden Weltkriege.
1872
«Der in 1869 begonnene Bau der Eisenbahn von Welkenraedt nach
Aachen, sowie die Zweigbahn nach Neutral-Moresnet wurden vollendet
und dem Verkehr übergeben, letztere jedoch vorläufig bloß dem
Güterverkehr.»
«Im Laufe der Monate April und Mai fanden weitläufige
Versammlungen über die Teilung des neutralen Gebietes statt.
Preußischerseits war als Teilungskommissar ernannt der Herr
mM
Regierungspräsident von Bardeleben zu Aachen, Belgischerseits Herr
de Luesemanns, Gouverneur der Provinz Lüttich. Unterm 29. April fand
eine Zusammenkunft der beiden Herren hier statt, zu welcher auch der
unterzeichnete Bürgermeister Kohl, Herr Oberingenieur Braun und Herr
Direktor Bilharz zugezogen wurden. Zufolge der angenommenen
Teilungslinie fällt das ganze Bergwerk, sowie Kirche, Schule und fast
alle Wohnhäuser an Preußen, wogegen die Waldungen und der
verbleibende übrige Teil des Gebietes zu Belgien geschlagen werden
soll. Inwieweit die Verhandlungen bis jetzt gediehen sind, ist nicht
bekannt; wahrscheinlich erleiden sie das Schicksal aller früheren
Verhandlungen und werden ad acta gelegt.»
1873
«Um dem antideutschen Treiben des deutsch-belgischen Blattes «Die
Fliegende Taube» zu Aubel entgegenzutreten, wurde in 1872 von
verschiedenen Einwohnern, mit dem Bürgermeister an der Spitze ein
im Neutralen herausgegebenes Blatt unter dem Titel «Grenz-Zeitung»
gegründet. Dasselbe musste leider mit Ende 1873 eingehen, weil die
Redaktion seit August 1873 in schlimme Hände gekommen war.»
[Am linken Rand: Modalitäten zur Trennung der Armenkommission
von Preuß. Moresnet und Hergenrath]
1874
«Hauptereignis des Jahres 1874 war der Erlass der Königl. preußischen
Ministerien des Inneren und des Krieges, wonach die im Neutralen
geborenen und ansässigen Kinder preußischer Eltern zum preußischen
Militärdienst herangezogen werden sollen. Diese Verfügung bot dem
deutsch-feindlichen Blatte «Die Fliegende Taube» zu Aubel in Belgien
Stoff zu einer langen Serie von Verleumdungen und Hetzereien gegen
den Bürgermeister, in deren Folge der Verleger dieses Blattes J. H.
Willems zu Aubel vom Königlichen Landgericht zu Aachen zu einer
dreimonatlichen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Ein Agent, namens
M. Schmitz (sogenannter schwarzer Schmitz) an der Station Montzen
Moresnet erließ Aufrufe und beraumte Versammlungen in seinem
Wirtshause an, um die beteiligten Familienväter gegen die Anordnung
genannter preußischer Ministerien aufzulehnen. Diese Agitation, wel-
che für ihn selbst nur Geschäftsspekulation war, hatte für die Ortsbehörde
recht unangenehme Folgen. Nur zu leicht schenkt das ungebildete
Publikum solchen Hetzern Glauben und lässt sich irre führen, respektive
zu Exzessen verleiten. Als der Bürgermeister Kohl am 3. Mai Abends
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Auszug aus dem Berichtsjahr 1874: «Der Betrieb des Bergwerks ist auch in
diesem Jahre wieder bedeutend gefallen...» x
gegen 1/2 10 Uhr die Vorbereitungen zu einem für den folgenden Tag
bestimmten Feste in Augenschein nehmen wollte, wurde er auf offener
Straße von einem Attentäter, dem Schuster Wilh. Niederau zu Neutral
Moresnet meuchlings angefallen und mittels einer scharfkantigen
Eisenstange von 40 Zentimeter Länge und 1-2 Zentimeter Dicke durch
Schläge auf das entblößte Haupt mehrfach verwundet. Der Bürgermeister
warf zwar den Attentäter zu Boden und hielt ihn trotz ungeheuren
Blutverlustes, bis Hilfe kam, fest, dann aber entwischte der Attentäter
nach seiner Rekognoszierung und floh nach Belgien, wo er später nach
belgischem Gesetz verurteilt wurde. Der Vater des Attentäters hatte
ebenfalls Schritte gegen die Heranziehung seiner Söhne zum preuß.
Militärdienst getan. Es lässt sich daher mit gutem Grund annehmen, daß
das feige Attentat eine Folge der Hetzereien war. Ob der inzwischen
gegen das Ministerial-Rescript vom 11. März 1874 eingeleitete Prozess
Erfolg haben wird, muss die Zukunft lehren.»
1875
[Tod des katholischen Pfarrers von Hergenrath, Lambertz. „Er hatte
sich während seines langjährigen Amtierens zu Hergenrath ein
bedeutendes Vermögen gesammelt»]
«Am 22. März wurde hier zum ersten Male durch ein Festsouper im
Casino der Geburtstag Seiner Majestät des Kaisers gefeiert. Es nahmen
unter Vorsitz des Unterzeichneten 16 Herren daran teil.»
1876
«Wegen der im benachbarten Belgien und in Holland herrschenden
Lungenseuche wurde sowohl für das neutrale Gebiet als für Preußen die
73
Rindvieh-Einfuhr verboten. Die Metzger durften jedoch Vieh in Belgien
abschlachten und das frische Fleisch herüberbringen.»
Verdinggabe von Wegebauarbeiten von Kelmis nach Brandenhövel
und belgisch Moresnet: «Hoffentlich wird die Gemeinde belg. Moresnet
uns entgegenbauen. Sie hat im Ganzen nur eine Strecke von 200 Metern
auszuführen, die aber leider zum Teil durch das Eigentum des dortigen
Bürgermeisters Schmetz zu bauen sind.»
«Am 26. Januar wurde ein bedeutender Schritt getan, zur endlichen
Regelung des Activums und Passivums einerseits zwischen den
belgischen Gemeinden Gemmenich, Montzen und Moresnet und
andrerseits Neutral- und Preußisch-Moresnet. Es wurden nach Prüfung
einer vom unterzeichneten Bürgermeister Kohl entworfenen
Auseinandersetzung die Streitpunkte aktenmäßig in Eupen aufgenommen
und sodann von den Teilungs-Kommissaren Herrn Landrat Sternickel
und Arrondissements-Kommissar Jamme endgültig entschieden. Es
erübrigt nur noch die Herauszahlung der bedeutenden Geldsumme von
5.000 Francs, welche der Gemeinde Kelmis, d. h. preußisch und neutral
Moresnet noch zustehen, sowie die Aufnahme eines Aktes, um alles
perfekt zu machen. Auch ist im verflossenen Jahre zwischen der
preußischen und der belgischen Regierung die Teilung des neutralen
Gebietes wieder zur Erörterung gekommen. Ob dieselbe von Erfolg
gekrönt sein wird, muss die Zukunft lehren.»
«Die für die hiesige Ortsverwaltung so unangenehme Militärfrage,
ob das Preußische Rescript vom 11. März 1874 zu Recht bestehe oder
nicht, ist durch richterlichen Ausspruch sowohl in Aachen am Landgericht
als zu Berlin vor dem Kassationshofe dahin entschieden worden, daß
die betreffenden jungen Leuten allerdings militärpflichtig sind. Den
gehässigen Agitationen ist damit ein Ende gemacht.»
«Wie in 1875 so fand auch in 1876 zur Feier des Geburtstages Seiner
Majestät des Kaisers ein Festessen im Casino statt. Dasselbe hatte dieses
Mal 30 Teilnehmer. Auch wurde in den hiesigen Knabenschulen der
hundertjährige Geburtstag der Königin Luise gefeiert.»
1877
[Kirchenvisitation des Coadjutors von Lüttich, Bischof Doutreloux,
am 23. September im neutralen Gebiet]
«Die uns aus der Teilung mit den belgischen Gemeinden Montzen,
Gemmenich und Moresnet noch zustehende Geldsumme ist uns nunmehr
ausbezahlt worden.»
74
«Am Orte Fossei in den Gemeinden Hauset und Walhorn ist ein neues
Galmeilager entdeckt worden, welches guten Erfolg verspricht.»
1879
«Mit Mai wurde das von Bürgermeister Kohl entworfene, von Herrn
Schuster in Montabaur ausgeführte Bürgermeisterei-Schild angebracht.
Dasselbe stellt die kombinierten Wappen von Preußen und Belgien, von
einem Lorbeerkranz umgeben, dar.»
«Am 11. Juni feierte unser deutsches Kaiserpaar das seltene Fest der
goldenen Hochzeit. Auch hier und besonders im Neutralen fanden zur
Feier desselben großartige Kundgebungen statt. In den Schulen wurden
Vorträge und Deklamationen gehalten, in der Kirche im Neutralen fand
ein Te Deum statt und am Abend wurde ein großartiger allgemeiner
Fackelzug veranstaltet. Auf dem Sandberg brannten großartige
Freudenfeuer.>»
[Einführung der Straßenbeleuchtung im Neutralen und an einigen
Stellen in Preußisch Moresnet]
1880
Einstellung des Grubenbetriebs im Bleiberg. «Nur die Zinköfen
blieben in Gang und verarbeiteten hauptsächlich spanische und
griechische Erze. In Folge der Einstellung des Grubenbetriebs sind auch
eine Menge Arbeiter aus dem neutralen Gebiete entlassen worden.
Dieselben haben sich meist ein Unterkommen auf belgischen
Kohlengruben gesucht.»
«Im Monat September passierte 2 Mal die in Aachen weilende Königin
der Belgier den hiesigen Ort, um zu der in belgisch Moresnet belegenen
Muttergottes am Eickschen zu wallfahrten.»
1881
[Konflikt um Neubesetzung eines Beigeordnetenpostens, beide
Kandidaten werden abgelehnt]
Im Rahmen des 0.g. Konflikts bittet Bürgermeister um Pensionierung,
Landrat Sternickel setzt Gemeinderatsversammlung zur Beratung darüber
an, zu der alle Mitglieder erscheinen. „Die Versammlung beschloss
einstimmig, den Bürgermeister nicht zu pensionieren, weil er noch
dienstfähig sei. Der Herr Landrat veranlasste jedoch eine neue Sitzung,
in welcher nunmehr die drei evangelischen Mitglieder in Gemeinschaft
mit Witter, ihrem vorigen Beschluss entgegen, die Pensionierung des
75
Bürgermeisters beschlossen.» Herr Kohl war 23 Jahre Bürgermeister
und trat im Alter von 47 in den Ruhestand.
«Im Laufe des Jahres 1881 ist durch Herrn Carl Dick zu Hergenrath
die Einrichtung einer Eisenbahnstation daselbst in Antrag gebracht
worden. Die Gemeinde Preuß. Moresnet hat zu den Einrichtungskosten
dieser Station 300 Mark beizutragen beschlossen.»
1882
«Vorerst findet der Unterzeichnete sich veranlasst, den vorstehenden
Expektorationen seines Amtsvorgängers insofern entgegenzutreten, als
die von demselben in die Chronik pro 1881 hervorgehobenen Nergeleien
und Intrigen gerade nur von dem Herrn Kohl in Szene gesetzt wurden
und von denselben sogar seine Vorgesetzten nicht verschont geblieben
sind. Es mag diese kurze Bemerkung genügen, denn auf die Einzelheiten
sich einzulassen, würde zu zeitraubend und weitläufig sein. Mit Ende
März 1882 wurde der Bürgermeister Kohl von der Stelle als
Bürgermeister von Preußisch Moresnet mit Bewilligung der gesetzlich
ihm zustehenden Pension entbunden und die Verwaltung dieser
Gemeinde dem Bürgermeister von Hergenrath Cornel Hubert Mostert
kommissarisch übertragen. Die Einführung des Letzteren erfolgte durch
den Königlichen Landrat Herrn Sternickel am 31. März 1882.»
1884
«Mit Ende März c. wurde der Bürgermeister C. H. Mostert in Folge
seines Gesuches von der Stelle des Bürgermeisters von Preuß. Moresnet
entbunden und die Verwaltung dieser Gemeinde dem Bürgermeister von
Neutral-Moresnet Oscar Bilharz, Ingenieur der Gesellschaft Vieille
Montagne kommissarisch übertragen. Nachdem Letzterer Ende
September in Folge Verzuges ausgeschieden, wurde mittels Verfügung
der Königlichen Regierung vom 18. September c. I. 17030 der
Beigeordnete Hubert Schmetz zum Bürgermeister von Preuß. Moresnet
vorläufig kommissarisch ernannt und am 2. Oktober c. durch den Herrn
Landrat Gülcher eingeführt.
Nachdem Carl Witter freiwillig zurückgetreten, wurde mittels
Verfügung vom 14. Oktober c. I. 19600 der Kassierer der Gesellschaft
Vieille Montagne Heinrich Meeßen zum Zweiten Beigeordneten ernannt
und am 24. Oktober eingeführt.»
1886
«Am 13. Dezember 1886 Nachmittags wurde von berittenen
belgischen Gendarmen eine Zigeunerbande über die Grenze gesetzt, und
76
schlug dieselbe, 45 Köpfe stark, auf der Aachen-Lütticher Chaussee,
Schmalgraf gegenüber, 8 Zelte auf. Gegen 4 Uhr Nachmittags an
demselben Tage wurden auf Anordnung des Bürgermeisters die Zelte
auf 2 requirierte Fuhren geladen und die ganze Ausgabee unter Begleitung
der Polizeibeamten über Weißehaus nach Belgien zurückdirigiert.»
1887
[Neuer stellvertretender Gemeindevorsteher von Preuß. Moresnet:
Christoph Hold]
1888 s
«Schwere Schicksale und traurige Ereignisse sind in diesem Jahre
über die Deutsche Nation gekommen. Der ruhmgekrönte Gründer des
wiedererstandenen Reiches, Seine Majestät der Kaiser und König
Wilhelm I., segnete am 9. März das Zeitige und Sein erlauchter
Nachfolger der edle Dulder, Seine Majestät der Kaiser und König Frie-
drich, vollendete schon am 15. Juni Seine irdische Laufbahn in Seinem
57. Lebensjahre.»
In beiden Fällen fand 14 Tage lang Trauergeläute statt; die öffentlichen
Lustbarkeiten wurden eingestellt und die Dienstbriefe während rund 6
Wochen schwarz gesiegelt.
Zweimal stand also die Deutsche Nation in diesem Jahre in tiefem
Schwarze an einer Kaisergruft und findet nur Trost im Rückblicke zu
Seiner Majestät dem Kaiser und Könige Wilhelm II. dem kräftigen
Hohenzollernspross, der in der Blüte voller Männlichkeit das Erbe Seiner
Väter übernommen und das Zepter ergriffen hat, welches, so hoffen wir,
lange Jahrzehnte hindurch in Seiner Hand ruhen wird.
Mögen Schicksalsschläge, wie sie in diesem Jahre Sein Haus und das
Deutsche Volk erschütterten, fern bleiben von Ihm und Seinen
Angehörigen.
Am 16. März und am 18. Juni, den Tagen an welchen die Beisetzung
der irdischen Hüllen unserer allgeliebten Landesväter stattfand, waren
hier und zu Neutral-Moresnet im Innern des Ortes fast alle Häuser mit
Trauerfahnen versehen.»
1890
«Das am 4. April c 1889 zu Neutral-Moresnet geborene und dort
wohnende Kind Gertrud Nellissen wurde seit dem 11. September c.
Nachmittags vermisst. Alles Suchen nach demselben war erfolglos, bis
TOT
der Tagelöhner Heinrich Langohr aus Neutral-Moresnet, welcher mit
einem lobenswerten Eifer des Suchens nach dem Kinde nicht müde
wurde, dasselbe am 13. September c. Nachmittags im Walde auf
belgischem Gebiete auf dem Gesichte liegend, halb erstarrt fand. Das
Kind war noch am Leben und befindet sich jetzt wieder wohl und
munter.»
1892
«Am 6. April Nachmittags beehrten Seine Exzellenz Herr
Oberpräsident Nasse in Begleitung des Herren Oberregierungsrats von
Bremer, Herrn Landrat Gülcher und des Königl. Preußischen Kommissars
für das neutrale Gebiet Herrn Landrat a. D. Sternickel die hiesige
Gemeinde und das neutrale Gebiet mit Ihrem Besuche.»
1894
[Gründung einer Freiwilligen Feuerwehr für Preußisch und Neutral
Moresnet, 80 Mitglieder]
1895
«Am 6. Oktober feierte die hiesige Gemeinde die Erinnerungsfeier
an die vor 25 Jahren gegen Frankreich errungenen glorreichen Siege.
Es beteiligten sich an der Feier die Vereine von Preußisch und Neutral
Moresnet (nur 2 hatten sich zurückgezogen), ein imposanter Zug bewegte
sich zum Krieger-Denkmale, wo den sämtlichen Veteranen von Preußisch
+ Neutral Moresnet eine von der Gemeinde gestiftete Denkmünze, sowie
eine Ehrengabe überreicht wurden. Hierauf Zug durch den Ort und
Abends im Hotel Jünger Theater, Gesang und Musikvorträge.
Ausführlicher Bericht befindet sich in Nr. 82 des Korrespondenzblattes
de 1895.»
1905
[Trennung von Preuß. Moresnet aus dem Schulverband mit
Hergenrath, Planungen]
1906
[Genehmigung der Trennung von Preuß. Moresnet vom Schulverband
mit Hergenrath]
1908
[Kleinbahnlinie Osterweg-Altenberg]
[Projekt zum Bau eines Gas- und Wasserwerkes]
79
fortwährend hatte die Gemeinde Einquartierung und zudem eine
Wachtstube im Gemeindehause (der Sitzungssaal) ein Kompagniebüro
im Hanrath’schen Hause und ein Passbüro an der Geulbrücke im
Rompen schen Hause, einzurichten und zu unterhalten.
Zudem bewilligte der Gemeinderat jedem Landsturmmanne der
hiesigen Wache täglich 20 Pfg. Zulage, welche in Fortfall kamen nachdem
die Gemeinde dazu überging in der sogenannten Patronage eine Kaserne
einzurichten, worin ca. 300 Mann Platz finden.»
Schluss
Die vielfältigen Verflechtungen der Bürgermeisterei Preußisch-
Moresnet mit Neutral-Moresnet und Hergenrath werden im untersuchten
Zeitraum auf administrativem, wirtschaftlichem und alltagskulturellem
Gebiet deutlich.
Dass beispielsweise das Bürgermeisteramt von Preußisch- und
Neutral-Moresnet in Personalunion ausgeübt wurde, war eher Regel als
Ausnahme. Auch wurde 1894 eine gemeinsame Feuerwehr für den
preußischen und neutralen Teil gegründet.
Die konjunkturellen Schwankungen, denen die „Vieille Montagne»
unterlag, wirkten sich auf die Beschäftigung der Arbeiter aus —
unabhängig davon, ob sie Einwohner von Hergenrath, Preußisch- oder
Neutral-Moresnet waren.
Darüber hinaus fallen bei nationalen Gedenkfeierlichkeiten die
Verflechtungen des preußischen und des neutralen Teils ins Auge.
Gemeinsam gedachte man zum Beispiel 1867 des Sieges von Königgrätz,
1888 der beiden verstorbenen deutschen Kaiser und 1895 des deutsch-
französischen Krieges.
Als exemplarisch für die engen Verbindungen kann das Jahr 1876
gelten: Gemeinsame Herausforderungen auf dem Gebiet der
Seuchenbekämpfung, Verkehrsplanung, Finanzen und des Militärdienstes
führten die drei Bürgermeistereien zu einer notwendigen und schon
eingeübten Zusammenarbeit im Alltag.
80
Die Aktie der Preußisch-Belgischen
Verbindungsbahn
Societe Anonyme du Chemin de Fer Jonction Belge Prussienne
de Welkenraedt ä la Frontiere Prussienne par le Bleyberg
et la Vieille-Montagne
von Henri Beckers
81
Die Rheinische Eisenbahn hatte auch im Aachener Raum ihre
Vormachtstellung ausgebaut, auch sehr zum Leidwesen der Stadt Aachen.
Deshalb wurde die Verschmelzung der Aachen - Düsseldorfer Eisenbahn
mit der Bergisch - Märkischen Eisenbahn 1866 begrüßt.
Gleichzeitig mit der Planung und dem Bau einer eigenen Rheinbrücke
bei Düsseldorf - Hamm ging die Bergisch -Märkische Eisenbahn daran,
sich einen eigenen Zugang nach Belgien und ins Lütticher Industriebecken
zu sichern. Ähnliche Pläne existierten seit 1862 auch von belgischer Seite.
Schon bald wurde die Konzession für den preußischen Abschnitt der
Preußisch - Belgischen Verbindungsbahn erteilt und zwar von Aachen/
Templerbend über Bleyberg (Plombi&res) nach Welkenraedt. Hierzu wurde
unter dem Vierländerpunkt der 869 m lange Gemmenicher Tunnel errichtet,
von Belgien «Tunnel de Botselaer» bezeichnet. Die 60 m Höhendifferenz
von Aachen wurden mit einer langen Steilrampe (25 %) überwunden...
Auf belgischer Seite richteten sich die Interessen hauptsächlich auf den
Anschluß des Erzbergbaus bei Bleyberg, der seit 1841 industriell betrieben
wurde. Die ursprüngliche belgische Konzession wurde denn auch an den
Direktor der Bleyberger Gruben, Paquot, erteilt, der sie in die Chemin de
Fer de Jonction Belge Prussienne einbrachte. Wegen der übergeordneten
Bedeutung als internationale Strecke wurde das belgische Teilstück dann
doch vom Staat gebaut und betrieben. Dem Staat fielen denn auch 50 % der
Bruttoeinnnahmen zu. Am 7.12.1870 wurde die Strecke Welkenraedt -
Bleyberg, am 29.7.1872 die Strecke Bleyberg - Gemmenich — Aachen/
Templerbend fertig, zunächst nur im grenzüberschreitenden
Personenverkehr; ab Juli 1873 wurde dann der Güterverkehr aufgenommen.
Auch der alte Bergbauort Kelmis (Altenberg) mit seinen Zinkerzen der Vieille
Montagne erhielt mit dem Bau der neuen Strecke seinen Gleisanschluss,
der am 12.3.1871 in Betrieb genommen wurde.
Im Ersten Weltkrieg wurde die Kriegsbahn gebaut, um Soldaten und
Material schneller nach Westen transportieren zu können. Hierzu diente
auch der Bau des Viaduktes von Moresnet über die Göhl. Bis hinter den
Gemmenicher Tunnel wurde von Aachen aus die Trasse der Verbin-
dungsbahn genutzt, dann zweigte die neue Linie nach Süden ab. Damit
war das Ende dieser Bahnlinie eingeleitet, zumal auch die
Montanindustrie auf der belgischen Seite an Bedeutung verlor. Zwischen
1952 und 1956 wurde die Strecke stillgelegt und abgebaut.
Kapital 1869: 2.000 000 F in 4000 Aktien zu 500 F.
Quelle: Jürgen Baral, Oberforstbach
82
Wat ech esue schrääf
Wat esue passiet es en mi Lääve,
dova han ech e witscke opjeschräve.
Et metste es jo vör te laache,
me hej en do och änschte Saake.
Schrääf van de Jööl, wue se löppt en höppt,
va wue se könnt än wue se dröppt.
Wenn se och neet langk es wie de Maas,
ver hant an de Jööl och osse Spass. $
Ver bruke jee Water breet än jruet,
de Jö8l, se deet et os och esue.
Bruke jeng Haie, jenge jruete Vesch,
e Jööl-Forellche deet et mech.
Schrääf van de Hemmet, van os Lääve,
wue se de Moddersprook os jejääve.
Da schrääf ech jär va auer Tüt,
va Mamm, dat litt now at esue wiit.
Schrääf va ming Vrönde, van die Jonge,
wie ver övver Steng än Baach jespronge.
Ech schwärmde e Jedanke vrue,
soch alles werrem, wat ech jedue. *
Vöö8r mech wor et de jrötste Loss,
wenn hej en do enge laache koss.
Kruup ech mörjens noje Bett erut,
ouwie, e-ne Gendarm loop ech neet mihe vut.
Da schrääf ech dekesch, sooch mech jue
än ens bis op e-ne Hejkop jue,
do wue stong os Zirkuspäed,
Schmetze Jeet, än schrejde «mäh»,
wue ver soote janz vlott drop,
enge Tour, da lore ver op de Vot!
| 83
Mä de Vär, der Enk steet alltiit prett,
wenn minge Motor noch jät sätt.
Bään decks no oove: Lott mech noch jät hoddele
Än onde stellewäks noch jät knoddele!
Ech stüer jo jenge, dong jenge Leed,
dong jenge Minsch hej onde Spiet.
Koom ut mi Hüske bo neet mihe erut,
nääm och jenge andere de Platsch hej vut.
Ech saar och janz bestemmt Besched,
wenn et ens jareneet mihe jeet.
Da loot ech alles levver sihe
Saar janz langsam stell „Adie»,
bis Pitres sätt: „Et woet och Tüt,
ech han e Hückske vöör dech reserviet.
Hau et e-ne andere bo jejääve,
Met ding Knösselej, wue bes de blääve?
Jakob Langohr
84
«Neu-Amerika» — ein Nachtrag !
von Alfred Bertha
Im Grenz-Echo vom 20.6. sowie 25.6.1959 stießen wir auf einen
Bericht von der «grünen Grenze» in Hergenrath, in dessen Zentrum das
Schicksal der Familie Romans steht, die nur wenige Schritte von der
Grenze entfernt ein Ausflugslokal führte. Josef Romans (behindert) und
seine Schwester waren von der Lage, wie sie sich nach der
Rückgliederung von Bildchen an Deutschland darstellte, hautnah
betroffen. Bildchen hatte nämlich von 1949 bis 1958 (28. August) unter
belgischer Verwaltung (General Bolle) gestanden. z
Neu-America fristet Inseldasein *
Aachener Wald - hermetisch abgesperrt - Und es wäre doch so leicht.
Ein kleines Einzelschicksal am Rande der grossen Politik. So
könnte man die Probleme umreissen, mit denen sich die Bewohner
von »Neu-America« herumschlagen, jenem windigen Geländezipfel,
der zur Gemeinde Hergenrath gehört und unweit von Bildchen mit
einem schmalen Streifen in das deutsche Land hineinstösst.
Neu-America ist das belgisch-deutsche Grenzabkommen schlecht
bekommen. Seitdem unten an Bildchen General Bolle im vorigen
September dem Aachener Regierungspräsidenten offiziell wieder das
Gebiet übergab, das einige Jahre lang unter belgischer Militärverwaltung
gestanden hatte, sind die «Neu-Amerikaner» praktisch von der übrigen
Welt abgeschnitten. Vor sich haben sie die doppelgleisige Eisenbahn-
strecke Herbesthal-Aachen als Grenze, und wenige Meter hinter den Häu-
sern beginnt am Rand des Aachener Waldes deutsches Gebiet. Und diese
Grenzen werden von eifrigen deutschen Zollbeamten bewacht, damit
nur ja niemand sich das Recht nehme, über die grüne «Grenze» zu
kommen.
Gerade das aber taten seit jeher (d. h. bis 1918 ohne Grenzübertritt)
mit einem zwar offiziell «verbotenen», aber doch stillschweigend
geduldeten Spaziergang durch den Wald die Aachener Ausflügler.
Für sie gehörte der Spazierweg durch den Aachener Wald zu den
belgisch gewordenen Waldcaf&s bis nach Hauset hinauf zur schönen Tra-
' Siehe «Im Göhltal » Nr. 77, S. 70-74.
? Wir respektieren die Original-Schreibweise des Grenz-Echo-Redakteurs.
86
dition, und die Tatsache, dass man sich ins Ausland begab, erhöhte noch
den Reiz dieses Spaziergangs.
Den Zwang, offizielle Grenzübergänge zu benutzen, hat es schon
immer gegeben. Aber stets haben die Zöllner (ausser in den Jahren des
Westwallbaus, als der Wald eifersüchtig gehütete militärische
Geheimnisse verbarg) ein Auge oder sogar beide Augen zugedrückt.
Sie wussten eben genau, dass diejenigen, die da sonntags oder in den
sommerlichen Urlaubswochen auch werktags «ins Ausland» gingen,
keine Schmuggler waren. Selbst wenn sie bei der Rückkehr mal
«irrtümlich» eins oder ein paar Päckchen belgische Zigaretten in der
Tasche trugen oder eine Tafel Schokolade. ;
(fs 4.6. | WEEZE CA NE CL CC SIR AN KK
LE | | SU N. Yd X X / / KCZEZ fl
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ih. A) ) A f ( YHN I a I
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Das Grünthal 1962
Die Berufsschmuggler haben sich sowieso noch nie an die offiziellen
UVebergänge gehalten. Und sie schreckt auch die umgelegte Tanne nicht
ab, die vor einigen Tagen von deutschen Zöllnern als »Sperre« über den
Weg gelegt wurde, der nach «Neu-America» führt. Wo gibt es überhaupt
noch Schmuggler? An der belgisch-deutschen Grenze doch kaum noch.
Oder ist das gerade einer der Gründe, weshalb die deutschen Zöllner
ihre brachliegende Arbeitskraft jetzt darauf verwenden, harmlose
Waldspaziergänger zurückzuschicken und ihnen mit schweren Strafen
zu drohen?
87
Weshalb denn überhaupt? Was ist schon der Unterschied, ob sie nun
unten in Bildchen offiziell am deutschen Zollhaus vorbeigehen (und in
den meisten Fällen nicht einmal ihren Ausweis zu zeigen brauchen!)
oder hier oben durch den Wald?
Der belgische Zöllner, mit dem wir kurz darauf über den Schlagbaum
oben vor Hergenrath hinweg einige Worte tauschten, fand den richtigen
Ausdruck: «Es gibt eben Leute, die wollen nicht einsehen, dass die Zeiten
sich geändert haben, und dass sich heute im Zeichen des sich einigenden
Europa ein Grenzbeamter, der sich als Paragraphenreiter zeigt und danach
seinen Beruf ausübt, lächerlich macht.»
Was ist es aber anders als Paragraphenreiterei, wenn man Menschen,
die seit, undenklichen Zeiten gewohnt waren, ihre Waldwege zu
Spaziergängen zu benutzen, nun plötzlich diese Spaziergänge verbietet,
nur weil zufällig eine Grenze durch den Wald läuft, die heute doch kaum
noch etwas anderes als ein Strich auf der Landkarte ist?
»Oben« werden schöne Worte von der Annäherung der Völker
geschwungen. Was nutzen sie, wenn ganz unten ein kleiner Beamter, der
zufällig etwas «zu sagen» hat, seinen Untergebenen einschärft: «Bewacht
mir nur ja gut den Waldpfad vom Osterweg nach Neu-America. damit
keiner da rüber kommt. Das wäre gegen die Vorschrift!»
Und wegen dieser Vorschrift liegt oben über Bildchen, auf belgischem
Grund, aber ringsum von deutschem Gebiet umgeben, ein Ausflugslokal
mit der herrlichsten Aussicht, die man sich denken kann, und wartet
vergebens auf seine Aachener Stammkundschaft.
Die möchte zwar gern kommen. Aber da ist ja die Vorschrift, und nun
sitzt vermutlich im Aachener Hauptzollamt ein Beamter mit einigen
Streifen am Aermel oder einem Stern auf dem Rockspiegel, der sich
ausgerechnet diese Vorschrift zum bevorzugten Steckenpferd erkoren
hat. Einer, dem in vielen Dienstjahren die Gesichtsmuskeln so steif
geworden sind, dass ihm das «Auge-Zudrücken» nicht mehr gelingt, und
dem damit eine Fähigkeit verloren ging, die wie keine andere geeignet
ist, das Zusammenleben - auch über die Grenze hinweg - zu erleichtern.
Zum Glück gibt es, auch jenseits unserer Grenzpfähle, nicht mehr viele
von der Sorte. Doch leider haben die «Neu-Amerikaner» scheinbar das
Pech, dass ihnen ein solcher gegenübersitzt. Doppelt traurig ist die Lage
hier dadurch, dass der Besitzer des genannten Ausfluglokals krank und
arbeitsunfähig ist und die Einkünfte aus dem Lokal ihm zum Lebens-
unterhalt dienen müssen.
88
«Dabei habe ich mich gefreut, als ich hörte, dass Bildchen wieder
deutsch würde, weil ich glaubte, dann würde die wirtschaftliche Lage
für uns hier oben besser, weil die Aachener Gäste dann wieder unbehindert
kommen könnten», gesteht die Tante, die ihm den Haushalt führt und
den Betrieb aufrechterhält.
«In den ersten Wochen ging es auch ganz gut. Aber dann wurden die
Beamten langsam strenger, und jetzt lässt man niemand mehr durch.
Selbst wir können nicht mehr durch den Wald zur nahen Kirche Maria
im Tann gehen», erzählt sie noch.
Nach einem letzten begeisterten Rundblick über das schöne Wald-
und Wiesental, der sich von hier oben bietet, haben wir über den einzigen
steilen und geröllreichen Zugang «Neu-America» verlassen, sind von
der belgischen Enklave über den deutschen Schienenstrang ins deutsche
Gebiet hineingefahren, um wenige hundert Meter weiter «offiziell» den
belgischen Schlagbaum unweit Hergenrath zu passieren.
Hoffen wir mit den Bewohnern Neu-Americas, dass sich bald eine
vernünftige Lösung für ihre Nöte findet. Sie kann nur - und das haben
die offiziellen belgischen Stellen auf die verschiedenen Eingaben
geantwortet - von deutscher Seite kommen. Denn von belgischer Seite
her legt man diesem «kleinen Grenzverkehr» nichts in den Weg.
Vielleicht liest diese Zeilen der «zuständige» Beamte, der genug
gesunde Lebenserfahrung besitzt, die nötig ist, um hinter den Paragraphen
das Leben mit seinen Schwierigkeiten zu sehen. Der streng ist, wo es
nicht anders geht, und ein Auge zudrücken kann, wo die Strenge
überflüssig ist!
ook
Der vorstehende Bericht des Grenz-Echo-Redakteurs Heinrich Tous-
saint vom 20.6.1959 fand ein Echo bei der «Aachener Volkszeitung»,
die den Grenz-Echo-Artikel abdruckte und ihn dem Hauptzollamt
vorlegte, das aber, wie der Grenz-Echo-Redakteur in einem zweiten
Beitrag vom 25.6.1959 urteilte, «in seiner Antwort leider am Kern des
Anliegens vorbeigeht».
Besagte Antwort hatte folgenden Wortlaut: «Das Hauptzollamt stimmt
mit dem Artikel darin überein, dass Schwierigkeiten auf Grund einer
gesunden Lebenserfahrung beseitigt werden müssen. Dies liegt auch im
Sinne des Deutsch-Belgischen Ausgleichsvertrages, nach dem im
beiderseitigen Einvernehmen Schwierigkeiten an der Grenze zu beheben
sind.
89
Zur Vermeidung der in dem Artikel beklagten Hindernisse sind für
die Anwohner auf beiden Seiten der Grenze besondere Ausweise
eingeführt worden, die diese Personen berechtigen, ohne das Zollamt
Bildchen zu passieren, die Grenze in beiden Richtungen zu überschreiten.
Die Ausstellung dieser Ausweise erfolgt deutscherseits durch das
Passkontrollamt in Aachen, auf belgischer Seite durch die belgischen
Grenzbehörden.
Der Beschwerdeführer ist vielleicht über diese Art Ausweise nicht oder
unrichtig unterrichtet. Es empfiehlt sich deswegen für alle, die ein
berechtigtes Interesse an der Ausstellung solcher Ausweise vorbringen
können, sich bei den vorgenannten Dienststellen um deren Ausstellung
zu bemühen. Alsdann dürften Beschwerden der vorliegenden Art behoben
sein.»
ok
«War also unser Artikel ein Schlag ins Wasser?» fragt die Zeitung. Er
glaube nicht, so der Journalist. Zunächst habe er die öffentliche Meinung
auf den Plan gerufen. Es habe zahlreiche Kommentare zu diesem Thema
gegeben. Der Artikel habe ferner ein Echo auf der anderen Seite der
Grenze gefunden, wo man genau so denke wie hier. Und schließlich seien
die «zuständigen Stellen» durch den Zeitungsbericht zu einer
Stellungnahme gezwungen worden, in der zumindest die Lösung von
Schwierigkeiten auf Grund einer gesunden Lebenserfahrung bejaht werde.
Das sei schon viel.
Man habe nicht erwarten können, so der Journalist, dass nun gleich
ein Räumkommando anrücken und das «Tannverhau» gegenüber «Neu-
Amerika» forträumen würde. «Aber wir hoffen doch», so schlussfolgert
der Eupener Bericht, «dass die zuständigen Aachener Stellen über die
Ausgabe von Sonderausweisen hinaus (die ja nur für die Bewohner des
engsten Grenzgebiets gegeben werden und in keinem Zusammenhang
mit unserer Anregung zur Freigabe der Grenzpfade stehen) dafür Sorge
tragen mögen, dass man jenen Spaziergängern, die kein «berechtigtes
Interesse an Sonderausweisen» nachweisen können, keinen Stein (bzw.
keine Tannenbäumchen!) mehr in den Weg legt. Das wäre ein Sieg des
europäischen Gedankens. Zwar nur auf allertiefster Ebene. Aber müssen
nicht gerade die Kleinen anfangen, damit die Grossen gezwungen werden
zu folgen!»
90
Wat wür et Jöhltal?
von + Peter Zimmer
Wat wür et Jöhltal, sing schön jrön Flure
ret erut jesaat, sonder de Bure,
die weder Werk noch Möhte schöje
dat alles jrönt en jot deet blöje?
Wat wür et Jöhltal sonder Burehoff,
dä vör Nahrong sörcht en och Döngerstoff
vür Minsche, Jront, jeder Struch en Plant, .
produziet, jestreut, va Burehand!
Wat wür et Jöhltal sonder Honder, Köj
de Haare, Obstbööm met hön bonte Blöj,
wu de Vöjel senge en Nester bowe
sech benne vermiehre, jeschötzt och rowe! '
Watt wür et Jöhltal sonder Deer en Küke,
ohne Jras wie Teppech, Blome, die rüke,
sonder Piepele, Hummle, Wespe, Beje,
die danze, fleeje op fruchtbar Weje!
Wat wür et Jöhltal, Hövvele, Böjsche, Schlont,
wenn de Weje kaal, verweldert der Jront,
et Viej verhöngert jrut en kleng,
je Minsch miej Burewerk hüj döng!
Dröm denkt, döt nie ut ür Secht verleere,
datt Bure werke, wenn vär spazeere.
Äxtemiet? en schätzt der Burestand,
denn däm bruk vär en oss Hemetland!
' Sich darin vermehren, geschützt auch ruhen
? äxtemiet aus dem Französischen « estimer » = schätzen, achten.
91
Jahresrückblick 2006
von Herbert Lennertz
Den Jahresauftakt bildete wie üblich die Generalversammlung, zu
der sich am 22. Januar recht viele Mitglieder im Kulturheim in Hergenrath
eingefunden hatten.
Der Präsident konnte - wie auch in früheren Jahren - eine sehr posi-
tive Bilanz vorlegen und erfreut feststellen, dass die meisten angebotenen
Veranstaltungen auf reges Interesse gestoßen waren.
Herr Jean Frins (Bocholtz) rundete die Generalversammlung ab mit
einem Expose über den Satzbau in der Kelmiser Regionalsprache, wobei
unter „Regionalsprache» nicht der heimische Dialekt, sondern das unter
diesem „Plattdeutschen» verfärbte Hochdeutsch zu verstehen ist. (Wir
verweisen auf die Nr. 78 unserer Zeitschrift, S. 80 — 99).
Die umfangreichen Sanierungsarbeiten des Moresneter
Eisenbahnviadukts wurden von zahlreichen Filmamateuren für die
Zukunft festgehalten. Unter ihnen auch Herr Steins, der am 22.11.2005
den ersten Teil seiner Aufnahmen vorstellen konnte.
Die Fülle des Materials konnte damals nicht im Rahmen eines einzigen
Vortragsabends gezeigt werden, und verlangte nach einer Fortsetzung,
die Herr Steins am 22.3.2006 im Kulturheim Hergenrath zeigte.
Zu einem großen Erfolg wurde die am 8.4.2006 unter der Leitung von
Gaby Regulla durchgeführte Fahrt nach Luxemburg mit fachkundiger
Führung vor Ort. Die luxemburgische Hauptstadt an der Alzette hat eine
überschaubare Dimension behalten und viel zur Aufwertung ihres reichen
touristischen Potentials getan. Die Befestigungsanlagen mit den
Kasematten wurden 1999 von der UNESCO auf die Liste des
Weltkulturerbes gesetzt. ;
Luxemburg teilte über Jahrhunderte die Geschichte seiner «belgischen»
Nachbarn. Man war burgundisch, österreichisch, spanisch, französisch,
holländisch... Alle Herrscherhäuser und Epochen hinterließen
beeindruckende Baudenkmäler, die das Bild der Stadt prägen.
Eine Fahrt über den Kirchberg erlaubte es den Teilnehmern, eine
Vorstellung von diesem „europäischen» Viertel zu bekommen.
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Der Stolz des Luxemburgers:
Seine Identität: «Mir wölle bleiwe wat mir sin» (Erkerinschrift)
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Montzen. Blickfang am großem Gemeindeplatz ist die 1780-81 von Moretti
erbaute St. Stephanus-Pfarrkirche.
93
Am 21. Mai 2006 führte uns Herr Hubert Ernst (Montzen) durch diesen
Ort und zeigte uns die bei einer schnellen Ortsdurchfahrt verborgen
bleibenden Schönheiten: Das Innere der Moretti-Pfarrkirche, den
beeindruckenden Dorfplatz, die schönen Bürger- und Bauernhäuser usw.
Kurz: Montzen einmal anders! Es war für alle Teilnehmer ein besonderes
Erlebnis.
Ins böhmische Bäderdreieck führte die diesjährige Kulturfahrt vom
25. Mai bis 1. Juni 2006. Unter der Leitung von Helene Bings steuerten
die Göhltaler zunächst Karlsbad a.d.Tepla an, von wo aus das böhmische
Bäderdreieck mit den Bäderstädten und Kurorten Marienbad und
Franzensbad sowie den historischen Städten Eger (Marktplatz), Pilsen
(Brauerei) und Loket (Burg) angefahren wurde.
Ein zweiter Besichtigungsschwerpunkt lag in Südböhmen, wo vor
allem Krumau, das «Juwel an der Moldau», genannt werden muss.
Besichtigungen in Vissy Brod (Zisterzienserkloster), Kratochville
(Schloss und Museum), Königswarth (Metternich-Schloss) und
Holasovice (Bauernbarock-Siedlung) schlossen sich an.
Die Rückfahrt wurde durch eine Übernachtung in Bamberg
unterbrochen, wo man nach einer abendlichen Stadtführung den Tag beim
heimischen Rauchbier ausklingen ließ. Unter dem Einfluss von Päpsten,
Kaisern und Bischöfen entwickelte sich die Stadt an der Regnitz zu einem
«Kleinod deutschen Städtebaus», das bis heute sein althergebrachtes
Gepräge bewahren konnte. Bamberg erhielt 1993 auf Beschluss der
UNESCO den Titel «Erbe der Weltkultur».
Eine Rast in Coburg erlaubte es der Gruppe am nächsten Tage noch,
bei einer Stadtführung die Wiege des belgischen Königshauses etwas
näher in Augenschein zu nehmen. Die Coburger Heiratspolitik brachte
König Leopold I. den Spitznamen «Onkel Europas» ein. Seine Neffen
Ferdinand und Albert heirateten die Regentinnen von Portugal und
Großbritannien. Die Nichte, Königin Victoria von England, holte stets
den Rat Leopolds ein. Seine Tochter Charlotte wurde Kaiserin von
Mexiko... Coburg war im 19. Jahrhundert ein Treffpunkt des
internationalen Hochadels.
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Die Bäderarchitektur des 19. Jahrhunderts (hier in Karlsbad) wird sorgfältig
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Eger. Der Marktplatz von Eger (Cheb) ist reich an historischen Bauten.
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Fritz Steinbeck (links) war Kassierer Peter Claes (Brüssel/Kelmis, links)
der Göhltalvereinigung von 1966 bis und Firmin Pauquet sind unseren
1996. Lesern durch ihre vielen Beiträge in
unserer Zeitschrift bekannt.
Regionalgeschichte und ihre Leistungen
In ihrer Festansprache ging die Ministerin auf die Rolle der
Geschichtsschreibung im Allgemeinen und der Regional-
geschichtschreibung im Besonderen ein.
Wir zitieren:
40 Jahre Göhltalvereinigung. Es begann als Idee! Oder als Einsicht!
Die Einsicht, dass das Göhltal nicht nur landschaftlich etwas Besonderes
ist, dass die Göhl sich nicht an Sprachengrenzen aufhält, die Einsicht,
dass Kelmis ein besonderes Pflaster ist. Es ist nicht auszuschließen, dass
auch andere Menschen irgendwann zu dieser Einsicht gelangt wären,
doch Ehre, wem Ehre gebührt. Wenn ich an dieser Stelle Dr. Leo Wintgens
und Alfred Bertha namentlich zitiere, wird wohl keiner der Anwesenden
einen Einwand haben.
Dass diese Idee von Anfang an alle Pastöre und alle betroffenen
Bürgermeister begeisterte, war wohl kein Zufall. In einer Atmosphäre
des politischen Aufbruchs kam langsam auch eine neue Generation von
Historikern an die Oberfläche.
Und in deren Windschatten erhielt auch die Regionalgeschichte, die
Heimatgeschichte, neuen Auftrieb. Der Wunsch, seine eigenen Wurzeln
und die Entwicklung seiner eigenen Region kennen zu lernen, breitete
sich aus.
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V.1.n. r.: Willy Havenith Alfred Janssen, Moresnet-Kapelle,
(Kulturschöffe), Herbert Lennertz bereicherte unser «Göhltal» durch
(Präsident seit 1982) und Firmin viele lesenswerte Beiträge (Aufn.
Pauquet 20.6.1995)
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Kulturministerin Isabelle Weykmans bei ihrer Festansprache
Regionalgeschichte ist ein dehnbarer Begriff, aber ich bin der
Überzeugung, wir wissen alle, was gemeint ist, wenn wir im
Zusammenhang mit der Göhltalvereinigung von Regionalgeschichte
reden.
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Man sagt von der Regionalgeschichte, sie sei in besonderem Maße
dazu geeignet, jene Leistungen zu erbringen, die man von der
Geschichtswissenschaft im Allgemeinen erwarten kann.
Allerdings ist sie emotional leicht zu instrumentalisieren. In Folge dessen
ist sie in besonderem Maße der Gefahr und zuweilen auch der bewussten
Erwartung ausgesetzt, einen Beitrag zur politischen Identitätsbildung
erbringen zu sollen. Wissenschaftliche Kriterien werden dabei manchmal
gänzlich in den Hintergrund gedrängt.
Gegenstand der Regionalgeschichtsforschung sind meist kleine,
überschaubare Räume.
Kennzeichnend für diese Räume ist, dass sich die Menschen in ihnen
durch politische, ökonomische und auch kulturelle Gemeinsamkeiten
zusammenfinden und sich zugleich gegen andere abzugrenzen versuchen.
Das Bewusstsein, etwas spezifisch Gemeinsames zu besitzen, ist stark
ausgeprägt.
Bei der Regionalgeschichte geht es um Bekanntes, Vertrautes, vielleicht
sogar Geliebtes. Allein das kann zu einem besonderen Interesse an der
Vergangenheit führen, eben weil sie auch die eigene ist.
Bekanntes erhält unter der Lupe der historischen Betrachtung oftmals
eine neue Dimension.
Nirgendwo ist also die Chance so groß wie in der Region, dass
Geschichte zur aktiven Aneignung einlädt. Denn hier können auch solche
Menschen von der Geschichte erreicht werden, die sonst niemals - und
schon gar nicht von einer über Wissenschaft vermittelten Geschichte -
erreicht würden. Allein deswegen schon muss sich eine Wissenschaft,
die Menschen ansprechen will, dieses Potenzials der Geschichte in der
Region in besonderem Maße annehmen. Welche Fallen lauern?
Zuerst einmal besteht die Gefahr, dass von den — häufig abschätzig
«Barfußhistoriker» genannten — regionalen Forschern wissenschaftliche
Kriterien verletzt werden könnten. Region ist da, wo man sich wohl fühlt,
wo man zu Hause, wo man beheimatet ist. Das war die Definition. Nichts
aber ist — um es provokativ zu sagen — so gefährlich für historische
Erkenntnis, wie eine Mischung aus diesen positiven emotionalen Zutaten,
vermischt mit emotionalen Höhenflügen. Eine hochemotionale Beziehung
zur Heimat verengt den Blick und kann dann zu falschen Folgerungen
führen, wenn man nicht weiß und nicht gelernt hat, wie man dem entgegen
steuern kann und muss, will man wissenschaftlich seriös bleiben.
Jenseits der jeweiligen lokalen Sicht muss Regionales im Allgemeinen
verglichen und jeweils zum größeren Ganzen in Beziehung gesetzt
102
werden. Ohne diese Vergleichsperspektive gibt es keine sinnvolle
historische und damit auch keine regionalhistorische Erkenntnis.
Was ergibt sich nun aus alle dem? Was sind die Chancen? Wo liegen die
Risiken?
Zum einen lauert die Gefahr der Emotionalisierung der
Forschungsergebnisse und damit der Aufgabe wissenschaftlicher
Mindeststandards.
Zum anderen aber — und dies wollte ich mit meinen kritischen
Bemerkungen keineswegs klein reden, sondern betone es ausdrücklich
noch einmal — kann Regionalgeschichte einen großen Kreis von
interessierten Laien besser und nachhaltiger ansprechen als viele andere
historische Teildisziplinen. Vorausgesetzt, sie erfüllt die Grund-
anforderungen historischen Arbeitens und vorausgesetzt sie will der
Gesellschaft dienen. In diesem Falle kann sie auch oder gerade für die
etablierte: Geschichtswissenschaft ein großes und durchaus auch
innovatives Potenzial bereithalten.
Und genau an diesem Punkt möchte ich ansetzen, um Ihnen, liebe
Mitglieder der Göhltalvereinigung, und vor allem Ihnen, liebe Initiatoren,
liebe Gründer, ein herzliches Dankeschön und ein dickes Lob
auszusprechen.
Sie haben es geschafft und schaffen es immer wieder, volkstümlichen
und wissenschaftlichen Charakter zu verbinden. Ich kann Ihnen nur
wünschen, dass Sie dank dieser Koalition auch in Zukunft immer wieder
junge Menschen erreichen und die Göhltalvereinigung am Leben erhalten.
Lassen Sie mich schließen mit einem Zitat des deutschen Theologen
Hans von Keler: Geschichte ist nicht nur Geschehenes, sondern
Geschichtetes - also der Boden, auf dem wir stehen und bauen.
Diese Worte fanden bei den Zuhörern Zustimmung und lebhaften
Beifall.
Nicht nur für ältere Damen und Herren...
Bürgermeister Mathieu Grosch, der anschließend das Wort ergriff, sah
die Beschäftigung mit der Heimatgeschichte als ein Arbeitsfeld, das jung
halte und nicht nur für ältere Damen und Herren attraktiv sei. Er habe
mehrfach feststellen können, dass auch junge Menschen sich für
Heimatgeschichte interessieren (Beispiel «Neutralia»). Er habe auch
gelernt, dass Heimat etwas sei, das es zu erhalten gelte. Die
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Bürgermeister Mathieu Grosch überbrachte die Glückwünsche der Gemeinde.
Göhltalvereinigung sei jetzt mit 40 „in den reifen Jahren», habe aber
nichts von ihrem jugendlichen Schwung verloren und ohne Zweifel noch
eine vielversprechende Zukunft vor sich.
Das wiedergefundene Gedächtnis
Für den Festvortrag hatte unsere Vereinigung Herrn Werner Miessen
(Eupen) gewinnen können, der seit Jahren die Bibliographie mit
Schwerpunkt «Ostbelgien» aufmerksam und akribisch beobachtet.
Dem Geschehen angepasst untersuchte er in seinem Vortrag die Phasen
und Aspekte der Geschichtsschreibung im Gebiet der Deutschsprachigen
Gemeinschaft seit 1945.
«Ich werde versuchen», so der Redner, «Ihnen eine Übersicht dessen
zu geben, was in den vergangenen 60 Jahren in unserer Gegend zur
Geschichte dieser Gegend veröffentlicht wurde, Ihnen zu sagen, wer die
wichtigsten Akteure dieser Geschichtsarbeit waren, Ihnen darzustellen,
welche Themen — und warum — zu welcher Zeit unsere Historiker
beschäftigt haben.»
Die Zahlen zeigen, dass sich in den vergangenen 60 Jahren etwa 6.200
Beiträge und 300 Einzelpublikationen ostbelgischer Autoren mit der
Vergangenheit unserer Gegend beschäftigt haben; die diesbezüglichen
Artikel in der Tagespresse bleiben dabei unberücksichtigt.
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3 Festredner Werner Miessen:
«Mit der Sprache fand der Ostbelgier auch sein Gedächtnis wieder.»
Der Redner unterschied in der untersuchten Zeitspanne drei deutlich
von einander abgehobene Phasen.
Für die Jahre von 1945 bis 1965 erkannte er nur 5 nennenswerte
Veröffentlichungen aus ostbelgischer Feder:
-die Ostbelgische Chronik von Dr. Bernard Willems
-die Zeitschrift des ersten Eupener Geschichtsvereins
-die Mutterpfarre und Hochbank Walhorn und die Geschichtlichen
Plaudereien über das Eupener Land von Pfarrer Viktor Gielen sowie
-die 1960 erschienene Abhandlung über Neutral-Moresnet von Firmin
Pauquet.
Den Grund dafür, dass die Liste historischer Titel so dürftig ausfällt,
sieht der Redner in der besonderen Lage des Gebiets in den
Nachkriegsjahren. «Denn», so seine Worte, «dem Leben im Kriege und
unter der nationalsozialistischen Diktatur , die freiem Denken, Forschen
und Schreiben nicht gerade förderlich war, folgten Repression und
Bevormundung durch den Siegerstaat sowie — gewiss ein Umstand, der
geistigem Schaffen sehr abträglich war - die Zurückstellung der
Muttersprache infolge der staatlich betriebenen Sprachenpolitik. Es
herrschten damals. . allgemein politische Verängstigung und kulturelle
Lethargie.
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Kein Wunder also, dass in einer Bevölkerung, in der man bis auf
weiteres vor jeglichem Engagement zurückschreckte, sich kaum jemand
fand, sich öffentlich zu äußern. Und sei es nur zu solch unverfänglichen
Themen wie der Dorgfgeschichte oder dem Ursprung seines
Familiennamens.
Die Wunden aus der Nachkriegszeit heilten nur langsam und es
bedurfte beinahe einer Generation, bis der Ostbelgier sich langsam
emanzipiert und wieder den «aufrechten Gang» gelernt hatte. Hinzu kam,
dass 1963 durch die Sprachengesetzgebung ein Prozess eingeleitet wurde,
der die kulturelle Eigenart des Gebiets anerkannte und — mit der
Einsetzung des Rates der deutschen Kulturgemeinschaft 1973 — den
Menschen hierzulande mehr Selbstvertrauen bescherte.
Mit der Sprache, so könnte man sagen, fand der Ostbelgier auch sein
Gedächtnis wieder.»
Damit sind wir bei der zweiten Phase der ostbelgischen
Geschichtsschreibung, die die Jahre von etwa 1965 bis 1990 umfasst.
Als wichtige Protagonisten in dieser Entwicklung sieht Werner Miessen
«die drei Geschichtsvereine, die allesamt um 1965 gegründet wurden
und deren Zeitschriften, Jahrbücher und Schriftenreihen seitdem bei der
historischen Darstellung unserer Gegend einen beachtlichen Part
bilden»....
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Blick auf die Festgesellschaft im Hergenrather Kulturheim
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Bei genauerer Betrachtung der umfangreichen geschichtlichen
Produktion dieser Jahre kommt der Redner allerdings zu einer
aufschlussreichen Erkenntnis: Es wurde fast nie über das Ende des Ersten
Weltkrieges hinausgegangen. Thema war «die gute alte Zeit», und wenn
schon von den 20er und 30er Jahren die Rede war, «so kam höchstens
Militärisches oder Anekdotisches zur Sprache».
Warum das so war bzw. zum Teil noch so ist, darauf versuchen in den
letzten Jahren, in der dritten Phase der ostbelgischen Geschichts-
schreibung, einige unserer jüngeren Historiker eine Antwort zu geben.
Nun erscheinen zum ersten Male in der Deutschsprachigen
Gemeinschaft Artikel und Monografien, die sich der bis dahin gemiedenen
Themen konsequent annehmen.» s
Als bahnbrechend sieht der Redner dabei die Veröffentlichungen der
Volkshochschule der Ostkantone im Anschluss an ein stark besuchtes
Kolloquium (in Büllingen 1990) zum 10. Mai 1940 an. Auch die damals
zeitgleich erschienene Dokumentationsmappe zu der umstrittenen
Ausstellung «Die verdrängten Jahre» (St. Vith und Eupen) hatte
bahnbrechenden Charakter, wurden doch hier Themen wie die
Volksbefragung 1920, die Baltia-Zeit, die politische Frontenbildung in
den Dreißigerjahren, das Verhalten der Bevölkerung in der Nazizeit sowie
Kollaboration und Widerstand enttabuisiert.
Titel wie «Spuren in die Zukunft», «Die 30er Jahre in Eupen-
Malmedy», «Die Säuberung», «Hinter ostbelgischen Kulissen» und «Mut
zur eigenen Geschichte» stehen für die sich nun manifestierende neue
Sicht auf die Geschichte Ostbelgiens.
Dabei wollte der Redner jedoch die Verdienste von Historikern wie
Klaus Pabst, Heinz Doepgen und Martin Schärer nicht verschweigen,
die zu den bis dahin in der Deutschsprachigen Gemeinschaft nicht
angepackten heißen Themen der Zeit von 1920 bis 1945 grundlegende
Vorarbeit geleistet haben und deren Publikationen bis heute als
Standardwerke gelten.
Auch der BRF fand lobende Erwähnung. Schon 1970, aus Anlass der
50jährigen Zugehörigkeit zu Belgien, brachte unser Rundfunk unter der
Federführung von Hubert Jenniges und Peter Thomas eine fünfteilige
Sendereihe zum politischen Geschehen in den Ostkantonen seit 1920.
Eine Sendung, die, wie Werner Miessen sich zu erinnern weiß, «nicht
überall auf freudige Zustimmung» stieß!
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V. 1. n. r.: Heinz Godesar (Präsident des Eupener Geschichts- und
Museumsvereins), Hubert Jenniges (Ehrenpräsident des Geschichtsvereins
Zwischen Venn und Schneifel), Frau Miessen, Klaus-Dieter Klauser (Präsident
v. ZVS) und Festredner Werner Miessen
Auf die Arbeiten der Historiker Freddy Cremer, Andreas Fickers und
Carlo Lejeune eingehend, sah der Redner das Neue weniger in den (schon
bekannten) Fakten, als in der Tatsache, dass nun «diese Fakten und vor
allem die Art und Weise, wie mit diesen Fakten im Nachhinein von der
Öffentlichkeit und der Geschichtsschreibung umgegangen wurde, kritisch
hinterfragt und — manchmal leicht provokativ — zur Diskussion gestellt
werden».
Diese «äußerst interessante und spannende Sache» illustrierte er in
einer Reihe von Fragestellungen, z. B.:
Warum tut sich der Ostbelgier so schwer bei der Aufarbeitung seiner
jüngeren Vergangenheit?
Welche Mechanismen sind im Spiele, wenn Ereignisse gewollt
vergessen oder ungewollt verdrängt werden?
Wie ist es zu erklären, dass die Menschen hier sich nicht als
eigenverantwortliche Akteure, sondern als bemitleidenswerte Opfer der
Geschichte darstellen?
Oder, oder, oder...
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Der Redner hob noch einen anderen Aspekt der ostbelgischen
Geschichtsschreibung hervor. Er sieht die Beschäftigung mit der
Vergangenheit der Deutschsprachigen Gemeinschaft in den letzten Jahren
«nicht nur vielseitiger und kritischer, sondern auch lebhafter und
attraktiver» geworden.
«Fand diese Arbeit früher ihren Ausdruck in Publikationen in Büchern
und Zeitschriften, so kommen heute neue Formen hinzu: Biblio-Kassetten,
Internet-Rundbrief oder GrenzGeschichteDG (Volkshochschule),
Geschichtstafeln (St. Vith), Kulturroute (Büllingen), Beschilderung
historischer Bauten (Eupen), «Neutralia-Fest» (Kelmis) oder das jüngst
erschienene BRF-Geschichtsbuch mit Bild- und Tondokumenten auf
DVD...» Hinzu komme das begrüßenswerte Bemühen, weitere Kreise in
die Geschichtsarbeit einzubeziehen und für die Vergangenheit zu
begeistern.
Aus «der nüchternen Sicht des Bibliografen» brachte der Redner
abschließend ein paar Zahlen, die den Anteil des Jubelvereins am
Gesamtwerk darstellen sollen.
Ca. 1040 Beiträge zur Geschichte des Göhltales sind seit 1967 in der
Zeitschrift unserer Vereinigung erschienen, 64 davon behandeln Neutral-
Moresnet, das insgesamt (auch unter «Kelmis») mit mehr als 250 Titeln
seit 1945 vertreten ist. Diese «Bibliographia Calaminiensis» - verbunden
mit den besten Wünschen für die Zukunft - überreichte der Redner
abschließend zu seinem mit viel Beifall bedachten Vortrag dem
Präsidenten der «Göhltalvereinigung» .
Mit seinem Referat hat Werner Miessen selber einen wertvollen Beitrag
zur Geschichtsschreibung im deutschsprachigen Landesteil geliefert,
wofür ihm unser herzlicher Dank gebührt.
Neben den angebotenen Veranstaltungen konnten wir auch 2006 zwei
Zeitschriften «Im Göhltal» publizieren, die mit jeweils 108 Seiten
abwechslungsreichen Lesestoff boten.