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Im Göhltal
ZEITSCHRIFT der
VEREINIGUNG
für
Kultur, Heimatkunde und Geschichte
im Göhltal
No 7
JUNI 1970
Vorsitzender : Peter Zimmer, Kelmis, Siedlung P. Kofferschläger, 10.
Sekretärin : Frl. Georgette Xhonneux, Neu-Moresnet, Lütticher Straße, 168
Tel. 59.467
Lektor : Alfred Bertha, Hergenrath, Bahnhofstraße 20 b
Schriftleiter : Jules Aldenhoff, Gemmenich, Craborn 9 A.
Kassierer : Fritz Steinbeck, Kelmis, Kirchstraße, 20
Bankkonto 251.251 der Socie&t& Generale de Banque, Verviers (P.S.K. 695)
Die Beiträge verpflichten nur ihre Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten.
Entwurf des Titelblattes : Frau Pauquet - Dorr, Kelmis.
Diese Skizze zeigt den Moresneter Göhlviadukt sowie die Hergenrather
Hammerbrücke in ihrer ursprünglichen Form.
Druck. : Jacques Aldenhoff, Gemmenich.
3
Aus der jüngsten Geschichte des
Altenberger Grubenfeldes
von Franz Uebags
Über die ältere Geschichte des vermutlich in die Anfänge
unserer Zeitrechnung zurückreichenden Galmeibergbaus in unse-
rer Heimat ist bereits viel geforscht und auch manches Wertvolle
geschrieben worden. Spricht man über jüngere Zustände, so kann
man sich nur schwer der Versuchung erwehren, jene Ergebnisse
der Forschung zusammenfassend als Einleitung vorauszuschicken.
Ich möchte aber vielmehr den Leser einfach auf die besten Bü-
cher und Aufsätze zur Geschichte unseres Galmeigrubenfeldes
hinweisen und ihn so zu eigener, gründlicherer Lektüre anregen :
— PELTZER (Rudolf), Geschichte der Messingindustrie zwi-
schen Maas und Rhein, in : Zeitschrift des Aachener Ge-
schichtsvereins 30, Aachen 1908.
— YANS (Maurice), Histoire &€conomique du Duche de Lim-
bourg sous la maison de Bourgogne. Bruxelles, Academie
1938.
— PAUOUET (Firmin), Der Galmeibergbau und die Zinkme-
tallurgie im Bereich des Herzogtums Limburg mit besonde-
rer Berücksichtigung des Altenberger Grubenfeldes, in : Ge-
schichtliches Eupen I (1967).
— PAUOUET (Firmin), L’exploitation de la Vieille-Montagne
au XVIIe siecle. Erscheint demnächst, hrsg. von Societe
d’Histoire du Plateau de Herve.
Jetzt, wo die Tore der ”Vieille-Montagne” geschlossen sind,
hört man nicht selten den Klageruf : ”Bestünde noch einmal ein
Werk wie die Gesellschaft in Kelmis !”. Es war in der Tat ein
blühendes Werk, die Wiege der modernen europäischen Zinkin-
dustrie. Von 1837 bis 1901 soll der Altenberg nicht weniger als
2,2 Millionen Tonnen Galmei gefördert haben. Im Jahre 1858
hatte er eine rund 1400köpfige Belegschaft. Nach der Stillegung
der Grube Kelmis im Jahre 1884 sank die Arbeiterzahl erheb-
lich. Und doch zählte die Belegschaft 1930 noch 500 Köpfe.
4
Denn außer der Hauptgrube Kelmis, die meist im Tagebau aus-
gebeutet wurde, umfaßte das Bergwerk noch andere Gruben wie
Schmalgraf, Fossey, Lontzen, Eschbroich, Mützhagen und Roer.
Auf die jüngste Geschichte jeder dieser Einzelgruben möchte
ich nun näher eingehen. Wir nehmen sie nacheinander durch
und fragen nach ihrer Lage, nach ihrer Bedeutung und Tiefe,
nach den Namen der Betriebsführer, auch danach, wie das Erz
jeder Grube zur Wäsche gelangte, usw.
Die Grube Fossey,
Fossey ist die erste Grube gewesen, die nach der Grube ”
Kelmis ihre Tore schloß. Sie wurde im Jahre 1878 in Betrieb ge-
nommen. Nach 45-jähriger Ausbeutung faßte die Direktion im
Jahre 1923, wenn auch ungern, den Entschluß, dort die Arbeit
einzustellen. Zwei kostspielige Erscheinungen, Wasser und Lauf-
sand, förderten die verfrühte Schließung. Einer Aussage zufolge,
die mir ein älterer, dort beschäftigter Arbeiter machte, habe dieses
unterirdische Werk noch eine jahrelange Ausbeutung verspro-
chen, die nun leider umständehalber nicht ausgenutzt werden
konnte.
Lage
Fossey war gelegen im Gebiet der Gemeinde Walhorn, ca.
1 km nordöstlich vom Bahnübergang Astenet, zwischen dem da-
hin führenden Weg und der Hammerbrücke, in der Wiese des
Bauerngutes Homburg. Das Bergwerk besaß drei Schächte. Einer
derselben, wahrscheinlich der Hauptschacht, ist mit einem Be-
tondeckel abgedeckt, somit leicht ausfindig zu machen. Unweit
der Textilfabrik Hammermühle (Bailly Welkenraedt), auf dem
gegenüberliegenden Gelände, ist unten links in der Böschung,
verborgen in wildem Gesträuch, die Mündung des 633 Meter
langen Stollens, in Richtung Göhlbach, noch zu sehen.
Die Grube
Auf dem eigentlichen Grubengelände führten zwei Schächte
in die Tiefe, der alte und der neue Förderschacht. In unmittel-
barer Nähe, auf Prestert, war der dritte Schacht, der hauptsäch-
&
lich als Luftschacht diente. Eine Dampf- und zwei elektrische
Pumpen hielten das ständige Wasser einigermaßen unter Kon-
trolle. Im Jahre 1915 hatte die Grube Fossey eine Teufe (berg-
männischer Ausdruck für Tiefe) von 146 Metern. Das Sinken des
Hauptschachtes hatte man einstellen müssen, weil die vorhande-
nen Pumpen einen größeren Wasserzufluß nicht bewältigen konn-
ten. Der Ankauf einer saugkräftigeren Pumpe dänischer Herkunft
im Jahre 1917 ermöglichte es der Grubenleitung, das Schachtsin-
ken erneut in Angriff zu nehmen. Bei der Stillegung 1923 hatte
Fossey eine Teufe von 200 Metern erreicht. In sechs Jahren
war die Grube um 54 Meter tiefer geworden, dank der fortge-
schrittenen Technik. Bereits 35 Meter unter Tage kam die erste
Sohle. Von hier stieß der sogenannte Vilain XIV in das Gebirge.
Graf Vilain XIV war Administrator der Vieille Montagne, und
nach seinem Namen benannte man diesen Stollen. Der Luisen-
Stollen verlief ebenfalls von der Sohle und kann als der wichtigste
unterirdische Gang des Werkes bezeichnet werden. Seine Länge
soll aktengemäß 633 Meter betragen haben. Ältere, noch lebende
Bergleute dieses Werkes behaupten jedoch, er sei länger gewesen.
Wie dem auch sei, benannt war er nach der Prinzessin Luise von
Preußen (1888-1923), Großherzogin von Baden. Die Schwierig-
keiten beim Transport des gewonnenen Erzes hatten die Direk-
tion zu dem Unternehmen gezwungen. Der Transport erfolgte bis
zur Fertigstellung per Fuhrwerk., Seit dieser Zeit kam die Blende
(Zinkblende, Zinksulfid) nicht mehr durch den Förderschacht
zu Tage, sondern nur bis zur 35-Meter Galerie. Fahrjungen, so
nannte man die Kippwagenschlepper, zogen dieselben aus dem
Förderkorb und fuhren damit den Luisen-Stollen hinunter, zum
Platze, zwischen Stollenausgang und Göhl. Alle vollen Wagen
kippten die Fahrjungen, sodaß Haufen von Blende entstanden.
Mit geleertem Wagen ging es dann wieder zurück, eine neue Fuh-
re zu holen. Eine mühsame Arbeit, die sie meistenteils zu zweit
verrichteten. Verlief bei den Hauern auf den Posten alles ohne
Komplikationen, mußte ihre Zahl manchmal verdoppelt werden.
Den ganzen Stollen entlang lief das Wasser über die Schienen, da
der darunterliegende Wassergraben die flüssige Menge nicht
faßte. Ohne wasserdichte Stiefel wäre diese Arbeit unerträglich
geworden.
6
Weniger bedeutend scheint der Vilain XIV-Stollen gewesen
zu sein. Er hatte keinen Ausgang zu Tage. An einer gewissen
Stelle verliefen die beiden Gänge ineinander. In der letzten Zeit
soll er gewissermaßen als Abstellgleis gedient haben.
Nach der ersten Sohle kamen noch vier weitere hinzu. Die
74-, die 110-, die 146- und die 200-Meter-Sohle. Alle sollen noch
reiche Bodenschätze aufgewiesen haben. Auf jeder Etage sah
man Strecken, Hauerposten, Querschläge und Rollen (kleine
Schächte, die eine Sohle mit der anderen verbinden. Durch diese
kippte man den Stoff zu der darunterliegenden Sohle.)
Vor 1912 hat der Bergmann noch mit dem Handbohrer ar- .
beiten müssen, bis schließlich in diesem Jahre die Gesellschaft
den Preßluft-Bohrhammer einführte. Gesprengt wurde auch schon
mit Dynamit.
Die Grube Fossey hat auf ihrem Gelände noch eine Spur
hinterlassen. In der Wiese des Landwirts Herr Olberts kann ein
jeder einen soliden Betondeckel wahrnehmen, womit einer der
drei Schächte abgedeckt ist. Hier hört man deutlich das Platschen
des fallenden Wassers.
Die Betriebsführer
Bei der Inbetriebnahme des Bergwerkes im Jahre 1878 wur-
de einem gewissen Herrn Pontz durch die Direktion die Leitung
desselben anvertraut. Sein Nachfolger wurde im Jahre 1891 Herr
Hubert Heuschen, der seiner Aufgabe voll und ganz Herr gewe-
sen sein soll. Während des Krieges 1914-18 wurde er dann leider
von den Deutschen inhaftiert und durch den jungen Herrn West-
hoven ersetzt.
Wie kam das Erz zur Wäsche ?
Hinter der Wäsche (Tankstelle Reinartz im Bruch) lag vor
Jahren eine Bahn, deren Geleise göhlaufwärts liefen bis zur
Brücke zwischen Bach und Kasinoweiher, die bis heute noch un-
benutzbar blieb. Hinter dieser Brücke, rechts neben dem Eisen-
%
gitter, lag das Bähnchen, man sieht es jetzt noch oberhalb des
Weges, der zur Emmaburg führt. Oben, vor der zweiten Brücke,
bog es an der linken Waldecke in den Weg nach Hergenrath ein.
Recht bald setzte sich die Bahn vom Wege ab, um dann schließ-
lich an der Kalkgrube Luchte, so nannte man zu der Zeit diese
Stelle, in die kleine Waldung zu verschwinden. Dann zog sie in
grader Linie weiter hinter dem Fabrikgebäude ”Hergenrather
Mühle” bis zum Asteneter Weg, überquerte diesen, schlug den
gegenüberliegenden längs der Göhl ein und erreichte so in halb-
runder Biegung den Luisen-Stollen.
Herr Nikolaus Wintgens, ein Mann mit Vollbart, war seiner
Zeit Fuhrmann bei der Vieille-Montagne. Er und sein Schwarzer,
so nannte sich sein Pferd, legten diese Strecke pro Schicht 5-6
mal zurück,
Am Stollen sorgte Herr Anton Hackens, Neu-Moresnet, da-
für, daß bei der Ankunft des Gespannes 7-8 Kippwagen von je
einer Tonne mit Blende beladen zum Abtransport in die Wäsche
zurechtstanden. Dieser Pendelverkehr wiederholte sich, wenn alles
gut verlief, bis zu sechsmal am Tage, gleich bei welchem Wetter.
Ersatzmänner des Herrn Wintgens sind die Herren Brandt, Son-
glet Pierre und Collette Mathieu gewesen. Nun mag sich jeder
selbst vorstellen, wieviel Kilometer Fuhrmann und Pferd in ihren
Dienstjahren hinter sich gebracht haben. Was für eine Gesamt-
last mag das Tier zur Wäsche gebracht haben ?
Fortsetzung folgt.
8
. Vor 100 Jahren ...
In meinem Archiv befinden sich zwei Notizbücher, eins von
meinem Urgroßvater ”Wilhelm Joseph Reul”, geboren in Lont-
zen im Jahre 1803, in dem er unter anderem die Brotpreise der
Jahre 1847 - 1858 festgehalten hat, woraus zu erkennen ‚ist, was
das tägliche Brot bei den unterschiedlichen Jahrespreisen den
damaligen kinderreichen Familien ‚bedeutete, in einer Zeit, wo
es kein Kindergeld und auch keinen Lohnindex gab.
Es kostete das ”acht Pfund” Rogzgenbrot :
Im Jahre 1847 4 Silbergroschen und 10 Pfennige
1850 5 4. 4 fe n
1851 6 S 4 sr
1852 11 ai
1854 9 7 2 5
1855 10 — 6 tn
1857 12 Mi
1858 x > 8 he
Was ein Jungarbeiter damals verdiente notierte mein Groß-
vater ”Leonard Reul” geboren 1840 in Lontzen :
1853 wohnte er beim Ackersmann Peter Reul als Knecht und
verdiente täglich 15 Pfennige.
1854 - täglicher Verdienst bei Herrn Gulger : 5 Silbergroschen.
1855 arbeitete er. bei Nols in der Röhrenfabrik in Astenet für
täglich 7 Silbergroschen.
1857 verdiente er auf der Eisensteingrube Lontzen-Busch oder
Fossey täglich 8 Silbergroschen.
1858 als Arbeiter im Marmorwerk bei Landvogt in Lontzen ver-
diente er täglich 8 1/2 Silbergroschen.
1859 wieder Eisensteingrube ; täglicher Verdienst : 13 Silber-
groschen ; dann wurde die Jagd nach höherem Lohn un-
terbrochen. Seinen höchsten Lohn erreichte er Jahre spä-
ter, nämlich 1870, mit 22 Silbergroschen.
N.B. Das starke Anziehen der Brotpreise in den Jahren 1852-
1857 könnte auf den Krimkrieg 1853-1856 zurückzufüh-
ren sein.
L.H.
Fossey/Hauset
9
Referat
gehalten am 20. September 1969 beim Festakt zur 50-Jahrfeier
der Wiedervereinigung des streitigen Gebietes von Moresnet
mit Belgien
von Firmin PAUQUET
”L/’Allemagne reconnait la pleine souverainete de la
”Belgique sur l’ensemble du territoire conteste de Moresnet
”(dit Moresnet Neutre).” Mit diesem knappen Satz des Ar-
tikels 32 des Versailler Vertrages vom 28. Juni 1919, der am
10. Januar 1920 in Kraft trat, wurde das Schicksal unserer Ort-
schaft entsprechend dem Wunsch der großen Mehrheit der Be-
völkerung besiegelt. Am 3. März 1897 hatten ja schon 691
männliche Erwachsene aller Nationalitäten, die ca. 80% der Ge-
samtbevölkerung repräsentierten, eine Bittschrift beim belgischen
König eingereicht, um die Angliederung an Belgien zu beantra-
gen, falls der neutrale Status aufgehoben werden sollte.
Die Einzelheiten der Einverleibung des sogenannten Neu-
tralen Gebiets in das Königreich Belgien regelte das Gesetz vom
15. September 1919. Streng genommen bildet Art. I dieses Ge-
setzes sogar die Geburtsurkunde unserer Gemeinde. ”Le terri-
toire contest& de Moresnet, dit Moresnet Neutre, sur lequel la
souverainete est reconnue ä la Belgique par l’article 32 du Traite
de Versailles du 28 juin 1919 forme la commune de La Calami-
ne - Het betwiste grondgebied van Moresnet gezegd onzijdig
Moresnet - op het welk de souvereiniteit door art. 32 van het
verdrag van Versailles van 28. juni 1919 aan Belgi& toegekend
is - maakt de gemeente Kalmis uit.” Diese Benennung der neuen
belgischen Gemeinde begründete Außenminister Paul Hymans
wie folgt :
”Comme les termes de Moresnet-Neutre sont de par
”Vart. 32 du trait& de paix sans signification reelle, il y a
”lieu de designer ce territoire en l’&rigeant en commune
”sous le nom de La Calamine ; ce nom se trouve aujour-
”d’hui encore dans la toponymie locale. Le terme Kelmis
”derive de kelme, mot du patois limbourgeois signifiant
”calamine ä cause des gisements de calamine d&couverts
10
”dans ces contrees. C’est pourquoi dans le projet qui vous
”est soumis le gouvernement propose de rendre au terri-
”toire conteste sa denomination originaire.”
Den Vorschlag zur Benennung unserer Gemeinde hat sich
der Außenminister vor 50 Jahren beim langjährigen Vorsitzen-
den der Kgl. Kommission für Geschichte, Burggraf Terlinden,
eingeholt. So sei es mir heute gestattet, in dem Buch der sehr
lebhaften, wenn auch kaum bekannten Vergangenheit unserer
Ortschaft zu blättern.
Der Ortsname Kelms taucht zuerst am 22. März 1280 in
einer Urkunde auf, in der die Erbschaft des Aachener Bürgers .
Willelmus de Roza geregelt wird. Dieser Patrizier besaß unter
anderen eine Erbrente aus einem hiesigen Landgut. Der Orts-
name bezeugt, daß damals der Bodenreichtum unserer Ortschaft
bekannt war, höchstwahrscheinlich auch ausgebeutet wurde.
Ich vermute, daß der Kelmisberg der karolingischen Hütte
unter Alkuin in Aachen nicht unbekannt geblieben ist. So ist
auch der Abbau durch die Keltorömer nicht auszuschließen. Kel-
mis liegt ja im Bereich des fundus (d.h. des Landguts) des rö-
mischen Veteranen Geminius. Dieses keltorömische Landgut ist
der spätere karolingische Königshof Geminiacum, woraus sich
die herzoglich limburgische Gerichtsbank Völkerich - nachher
Montzen - entwickelte. Auffällig ist ferner, daß die ältesten Spu-
ren einer Besiedlung unserer Gegend - die Hügelgräber auf den
Anhöhen des Aachener Waldes - aus der Wende von der Jung-
steinzeit zur Bronzezeit stammen, also ca. 4000 Jahre alt sind.
Urkundlich bezeugt setzt der Bergbau am Kelmisberg aber
erst 1344 ein und wird von der Stadt Aachen betrieben. Wie
kommt die Stadt aber in den Besitz des Bergwerkes ? Man kann
nur vermuten, daß dasselbe mit anderen Besitzungen und Ge-
rechtsamen stillschweigend von der Aachener Kaiserpfalz auf
die Stadt übergegangen ist. Die Stadt bringt ja stets ihren Besitz
am Kailmynberg mit ihren Gerechtsamen an Feld, Busch, Heide,
Wasser und Weide in ihrer Gemeinde in enge Beziehung. Diese
Gemeinde von Aich, auch Reichswald genannt, gehört zur ehe-
maligen. Foresta, die von der Pfalz aus verwaltet wurde. Die
11
Westgrenze des Forstes folgt dem Göhlbach und dem Gemmeni-
cher Bach, wie es die Walhorner Schöffen um 1391 weisen.
Im Westen ist aber eine Macht emporgestiegen, die der
Reichsstadt bei der Ausbildung der Landeshoheit um ein Jahr-
hundert zuvorkommt : die Grafschaft Limburg - Herzogtum ab
1155. Wann die Limburger den Königshof Geminiacum erwar-
ben, ist unbekannt ; um 1225 besitzen sie ihn mit Sicherheit in
fester Hand. Durch den Sieg des Brabanter Herzogs Johann I.
über die Geldrisch-Kölnisch-Luxemburgische Koalition in Wor-
ringen am 5. Juni 1288 wird Limburg mit Brabant vereinigt.
Landesherrlich gehört Kelmis also sehr früh zum Fürstentümer-
verband, aus dem im 15. Jh. Belgien entstehen sollte. Die lim-
burgische Landesgrenze gegen Aachen hin wird am 31. Juli 1431
durch Weistum der Völkericher und Walhorner Schöffen bekannt
gemacht. Sie folgt dem Waldkamm innerhalb des Pruys- und
Reichswaldes : van den kercke te Vaels über Scappenberch opten
wech van Mormesneyt bis zum Stein onder die Prouse aen den
wech van Hargenrot. Diese Landesgrenze bleibt dann auch Jahr-
hunderte lang bis zur Franzosenzeit (1794) bestehen, obwohl die
Aachener mehrmals versuchen, die Forstgrenze der Göhl entlang
als Westgrenze ihres Reiches zu behaupten. Wenn die Brabanter
Herzöge als Obervögte der Reichsstadt und Schutzherren der
Städte im allgemeinen lange Jahre hindurch die Forstgerecht-
same einschließlich des Bergrechtes am Kailmynberge auf lim-
burgischem Hoheitsgebiet anerkennen und beschützen, so kommt
im Jahre 1439 die große Wende.
In seinem Kampfe wider jeden städtischen Partikularismus,
um den Aufbau des modernen Staates zu sichern, mußte Herzog
Philipp der Gute von Burgund auch die Aachener beschneiden
”und behielt der hertzog von Brabant den. kalmynberg mit gewalt
inne.” Von diesem Jahre 1439 an bildet ”der alde kelmynberg
daer die van Aken inne plegen te graeven” das geschätzte Klein-
od der limburgischen Domänenverwaltung. Altenberger Galmei
war überall in Europa wegen seines hohen Zinkgehalts für die
Messingfabrikation begehrt. Mit unserem keleme haben die maas-
ländischen Dinandiers ihre wunderbaren Kunstwerke gegossen
und getrieben und die Kupferschläger das viele Messinggeschirr
12
hergestellt. Altenberger Galmei benötigte Renier de Huy 1115
für den Guß des berühmten Lütticher Taufbrunnens, der heute
in der Bartholomäuskirche zu bewundern ist, um nur das bekann-
teste Prunkwerk zu nennen.
Als der spanische König Philipp IV. sich genötigt sieht,
seine herrschaftlichen Rechte - Jagd, Fischfang, Ernennung der
Schöffen - in den limburgischen Dörfern zu verkaufen, behält er
sich dieselben vorsichtshalber vor ”in het gehucht van
Kelmis ende tgene daeraen cleeft ter oir-
sacke vande importancie van onsen Calmyn-
berghe aldaer”. Am 28. September 1650 ernennt der Ho-
he Drost zu Limburg den Drost und die Mitglieder des Schöffen- .
gerichts für die königliche Herrschaft Kelmis, die sich auf den
Hauptteil der jetzigen Gemeinden Neu-Moresnet und Kelmis bis
zum Roebach ausdehnte. Mittelpunkt der Herrschaft war die
Rochuskapelle ingen dörp auf Montzener Pfarrgebiet. Ihr zierli-
ches Glöcklein trägt die Jahreszahl 1651. Unter der dortigen
alten Linde versammelte sich wohl die Naeberschaft für die drei
jährlichen Vogtgedinge. Die Einwohner der neugegründeten
Herrschaft bildeten bald eine eigene durch zwei keurmeesters,
später Bürgermeister genannt, verwaltete Gemeinde. Im Jahre
1445 zählte der Weiler Kelmis, am Zusammenfluß des Hornba-
ches mit der Göhl, 30 Steuerpflichtige, die sich auf das Montze-
ner, das Moresneter und das Walhorner Pfarrgebiet verteilten.
Im Jahre 1651 werden 37 Häuser bezeugt, und Mitte des 18.
Jahrhunderts 74. Lange blieben nur die feuchten Täler besiedelt ;
die Kelmiser Heide, d.h. das gesamte Gebiet östlich der Göhl,
wurde erst allmählich seit Ende des 17. Jhs. in Anspruch genom-
men.
Das Vordringen der französischen Revolutionstruppen im
September 1794 sollte dem Sonderstatus der königlichen Herr-
schaft Kelmis ein Ende setzen. Am 14. Frimaire des Jahres III
(4. 12. 1794) wird das ehemalige Herzogtum Limburg einer ein-
gehenden administrativen Neuorganisierung unterzogen. Die
Herrschaften und Gemeinden Moresnet und Kelmis werden zu
einer einzigen municipalite verschmolzen, die jedoch zwei
Sektionen umfaßt. Im Jahre 1805 zählt die Sektion Kelmis 558
und die Sektion Moresnet 448 Einwohner.
13
In der Franzosenzeit ist die Rechtslage der ”Vieille-Monta-
gne des calamines du duche de Limbourg” eine ganz andere. Zu-
nächst wird unser Bergwerk ein Staatsunternehmen ; sodann
wird es einem ausgedehnten, 8500 ha großen Grundgebiet einver-
leibt, das am 16. Dezember 1805 dem Lütticher Chemiker Jean-
Jacques - Daniel DONY, der 1808 das Lütticher Verfahren zur
Herstellung von Walzzink erfinden sollte, auf 50 Jahre konzes-
sionsweise abgetreten.
Als Wilhelm von Oranien mit englischer Unterstützung auf
dem Wiener Kongreß mit Preußen über die Aufteilung der ehe-
maligen österreichischen Niederlande verhandelt, konnte die Be-
deutung unseres Galmeibergwerks den beiden Mächten nicht ent-
gehen. Wenn einerseits fast die ganzen belgischen Provinzen dem
neuen Königreich der Niederlande zufallen, so spricht die Schluß-
akte des Wiener Kongresses vom 9. Juni 1815 doch andrerseits
in ihren Artikeln 25 und 66 einige Kantone des Ourthe-Departe-
ments, u.a. den bis südlich von Aachen vorstoßenden Keil des
Kantons Aubel, dem Königreich Preußen zu. In dem am 26.
Juni 1816 unterzeichneten Grenzvertrag gelangen die Abordnun-
gen der beiden Mächte in der Frage der genauen Grenzziehung
zu keinem Einvernehmen. Die provisorische Grenze soll die Ge-
meinde Moresnet einschließlich der Sektion Kelmis bilden, und
zwar so, daß der zwischen zwei genau festgelegten Geraden lie-
gende Teil dieser Gemeinde von beiden Staaten gemeinsam ver-
waltet und von keiner der beiden Militärmächte besetzt wird
(”sera soumise ä une administration commune et ne pourra &tre
occupfe militairement par aucune des deux puissances””). Diese
Klausel in Artikel 37 des Grenzvertrages sollte 103 Jahre hin-
durch die Verfassung unserer jetzigen Gemeinde sein. Diese be-
sondere Lage hebt 1865 vor dem belgischen Kassationshof der
erste Staatsanwalt Faider hervor :
”Moresnet-neutre est re&gi comme pays conquis ; une
”sorte d’occupation de guerre s’y perpetue, un gouverne-
”ment mixte et en quelque sorte absolu s’y est Etabli; des
”arretes royaux rendus de commun accord par les deux
”souverains de Prusse et des Pays-Bas (de Belgique depuis
”1839) sont la formule supreme et absolue de V’autorite”.
14
Dieses zweigeteilte Regiment führen königliche Kommis-
sare der beiden regierenden Fürsten aus, doch unter Aufrechter-
haltung der französischen Gesetzgebung, insofern die regierenden
Fürsten sie nicht abändern. Die allgemeine Tendenz ist übrigens
die, daß so wenig neue Gesetze wie möglich erlassen werden und
daß das französische Recht so oft wie möglich angewandt und
interpretiert wird.
Die Gemeindegewalt ihrerseits liegt lange Zeit ausschließ-
lich in den Händen von Arnold de Lasaulx, der seit dem 31.
Juli 1802 Bürgermeister von Moresnet ist und dem vorläufig die
Geschäfte der Gemeindeverwaltung im 1817 umstrittenen Gebiet
obliegen. Dieser gewissenhafte Beamte sollte die Geschicke Neu- N
tral-Moresnets bis zum 21. Februar 1859 lenken.
Bei der Einsetzung des von den königlichen Kommissaren
1854 ernannten Gemeinderats sagte der belgische königliche
Kommissar Mathieu Cremer (1840-1889) vom Bürgermeister
de Lasaulx :
”il a rempli des fonctions si penibles avec tant d’intelligence
”et d’une mani@re si Equitable que son administration n’a
”jamais donne lieu ä la plus petite r&crimination”.
Möge es mir hier gestattet sein, dem Wunsche Ausdruck zu
geben, daß unsere Gemeinde eines Tages im und zum Gedenken
an diesen wahren Wohltäter eine Straße nach ihm benennt.
Mittlerweile hatte sich die Galmeiausbeutung am Altenberg
beträchtlich entwickelt. 1837 wird eine Aktiengesellschaft ins
Leben gerufen, die den Namen des alden kalmynberg
aller Welt kundtut. 1835 wird in Neutral-Moresnet eine Zinkgie-
Bßerei errichtet. Noch ehe das Vorkommen des Altenberges er-
schöpft ist und 1885 die Gießerei stillgelegt wird, werden andere
Lagerstätten innerhalb des Konzessionsgebietes erschlossen und
im Jahre 1900 die Einrichtungen von Grund auf modernisiert.
1s
Erst 1951 muß das 1928 zur Verwertung der Abfallstoffe ein-
gerichtete Zinkoxydwerk seine Türen schließen. Von da ab ge-
hören Erzbergbau und Metallurgie der Vergangenheit an.
Parallel zur industriellen Entwicklung verläuft der Bevöl-
kerungszuwachs : 256 Einwohner im Jahre 1816, 2572 im Jahre
1858, 4668 im Jahre 1914. Gewissen tendenziösen Behauptungen
zum Trotz, denen übrigens sowohl Bürgermeister de Lasaulx als
auch die königlichen Kommissare energisch entgegengetreten
sind, war die Lage in Neutral-Moresnet nie schlimmer als in an-
deren Grenzstrichen oder Industriezentren. Eine gewisse Derbheit
als Folge schweren Arbeitens wird durch ein starkes Zusammen-
gehörigkeitsgefühl und durch einen für Außenwelt und Fortschritt
offenen Sinn aufgewogen. Die bunte Mischung unserer Bevölke-
rung, die z. T. aus Zugewanderten aus den benachbarten Kan-
tonen Aubel und Eupen, aber auch aus Niederländisch Limburg,
aus dem Aachener Grubengebiet und sogar aus der Lütticher
Gegend bestand, hat dazu beigetragen, daß in unserer Ortschaft
jeder Auswärtige willkommen aufgenommen wird.
Auch heute betonen die Kelmiser gerne den internationalen
Charakter mancher ihrer Veranstaltungen und im Vereinsleben
- ob Schützenfeste, Musik und Gesang, Bergmannstreffen oder
Karneval - herrscht neben der Anhänglichkeit an Belgien stets
der europäische Gedanke.
Als belgische Gemeinde hat Kelmis sich besonders nach dem
zweiten Weltkrieg zu dem bedeutenden Marktflecken und Ver-
kehrsknoten entwickelt, den wir kennen : 5500 Einwohner, eine
sehr junge Bevölkerung, eine große Baufreudigkeit charakterisie-
ren das heutige Kelmis. Die dynamische Politik der Gemeinde-
verwaltung, die durch unseren unvergeßlichen Bürgermeister
Peter Kofferschläger eingeleitet wurde, hat viel dazu beigetragen.
In seinem Sinne will ich auch schließen mit den Worten : Es
lebe Kelmis ! Es lebe Belgien ! Es lebe Europa !
16
Kelmis im Festgewand
Am 15. September jährte sich zum 50. Mal der Tag, an dem
Kelmis nach über 100-jähriger Neutralität wieder mit Be1l-
gien vereinigt wurde (1). Dies war der Anlaß zu den großen
Jubiläumsfeiern, die wir eine Woche lang in unserem Göhltal-
städtchen Kelmis miterleben durften.
An den Kirmestagen nahmen die Festlichkeiten ihren An-
fang. Im Gemeindehaus war ein Postbüro eingerichtet worden.
Die Gemeindeverwaltung bot Briefumschläge, zum Preise von 5
Franken, zum Verkauf an. Diese Umschläge tragen in Farbe die
alten Wappen von Neutral-Moresnet (Adler und Löwe .
unter Schlegel und Eisen) sowie die Inschrift : Neutral-Mo-
resnet 50 Jahre zu Belgien - SO ans Sou-
verainete belge sur Moresnet-Neutre
15':'9'- 1919
Die Postverwaltung verkaufte Briefmarken und versah dann
die frankierten Umschläge mit einem Sonderstempel. An beiden
Tagen glich der Gemeindesaal einem Bienenhaus, in dem die
Briefmarkensammler aus nah und fern ein- und ausschwärmten.
Am Montag, um 19 Uhr strahlte das Fernsehen (R.T.B.)
10 Minuten lang eine Sendung über Kelmis aus. Wir sahen
Herrn Kulturinspektor F. Pauquet an der auf dem Bildschirm
noch romantischer aussehenden Rochuskapelle.
Dort, wo sich vor Jahrhunderten die erste Dorfmitte befand,
schilderte er uns unser Kelmis im Wandel der Zeiten.
Der Herr Bürgermeister W. Schyns gab einen sachlichen,
aber sehr interessanten Überblick über Kelmis in der jetzi-
gen Zeit.
Außerdem zeigte man uns Aufnahmen von der Europa-
Siedlung, vom Bäckereibetrieb Pauli, vom Markt, sowie meh-
(1) Bei dem Anschluß des Gebietes von Neutral-Moresnet an Belgien
ist es berechtigt, von Wiedervereinigung zu sprechen. Vor 1816 gehörte
das Gebiet ja bekanntlich zum Herzogtum Limburg, das seit 1288 mit
Brabant vereinigt war. Brabant-Limburg wird als die Urzelle des heuti-
gen Belgiens angesehen. Die südlichen Niederlande, wovon Brabant-Lim-
burg seit dem 15. Jh. einen Bestandteil bildete, entsprechen dem 1830
gegründeten Königreich Belgien.
LE
rere Kinderklassen beim Verlassen der Schule.
Das einzige, was an dieser Sendung auszusetzen wäre : sie
war zu kurz. Seit Kirmessonntag waren die Häuser mit Fahnen
geschmückt ; schwarz-gelb-rot und schwarz-weiß-blau gaben un-
serem Städtchen ein festliches Gepräge.
Mit großem Eifer war die Geschäftswelt dem Aufruf gefolgt,
die Schaufenster mit Erinnerungsstücken aus der Kelmiser Ge-
schichte zu schmücken. Viele Dokumente, Bilder und Reproduk-
tionen wurden von unserem Vereinsarchiv zur Verfügung gestellt.
Bewunderungswürdig, was da alles zum Vorschein gekommen
war.
Vielfach sah man Bilder aus längst vergangener Zeit, von
der Vieille-Montagne, von Bruch und Co., Vereinsbilder, Fami-
lienbilder, Schulklassen-, Straßenbilder, alte Münzen, Briefmar-
ken, Ehrenmedaillen, Schulzeugnisse, Zeitungsausschnitte, Mine-
ralien, u.s.w.. Selbst Privatwohnungen waren mit Bildern aus der
alten Zeit geschmückt.
Väter und Großväter, Mütter und Großmütter, Schwestern
und Brüder wurden auf alten Bildern erkannt und bewundert.
Viele konnten sogar sich selbst bestaunen, als sie noch 30, 40
oder 50 Jahre jünger waren.
Ein Schaufensterbummel war ein wahres Vergnügen für alle,
aber ganz besonders für die ältere Generation.
Am Samstag, dem 20. September, kam dann der Auftakt
zu den großen Festlichkeiten. Es begann um 14,30 Uhr mit einem
Festzug der Schützen. Unter sonnigem Himmel, den auch nicht
ein Wölkchen trübte, marschierten die sieben schmucken Schüt-
zenvereine hinter dem Cercle-Musical und dem Gemeinderat vom
Kirchplatz aus durch mehrere Straßen zum Schützenlokal, zwecks
Ermittlung eines Jubelschützenkönigs.
Dort angekommen, sprach der Herr Bürgermeister herzliche
Begrüßungsworte an alle Schützen. Als die Nationalhymne ver-
klungen war, ließen sich die Königsanwärter in eine Liste ein-
tragen. Nachdem Bürgermeister W. Schyns den ersten Schuß auf
den Raubvogel abgegeben hatte, begann das Wettschießen der
56 Kandidaten, die die Königswürde zu erlangen wünschten.
Für Schützenbegriffe allzufrüh, fiel der Vogel schon beim
18
28. Schuß. Herr N. Gouders, Mitglied der Königlichen
Schützenvereinigung, hatte, im wahrsten Sinne des Wortes, den
Vogel abgeschossen !
Um genau 16 Uhr traf eine 30 Mann starke Truppe Solda-
ten ein. Es waren in Aachen stationierte belgische Soldaten des
8. TTR Regiments, begleitet von einigen in Aachen stationierten
Bundeswehrsoldaten. Diese Truppe, unter Befehl von Kapitän
Van De Walle, befand sich auf einem 75 Kilometer langen
Dreiländermarsch. Um 3 Uhr 15 in Lüttich abmarschiert, über
Vise, Maastricht, Lanaken, Remersdael, Montzen, Moresnet, hat-
ten sie, in Kelmis angelangt, 60 Km ihres Marsches absolviert.
Gefolgt vom Gemeinderat marschierten die Soldaten zum .
Ehrenmal und legten dort einen Kranz nieder bei den Klängen
des ”Aux Champs”, vortrefflich vom Cercle-Mitglied C. Schrö-
der geblasen.
Es folgte ein kurzer Empfang der Soldaten im Gemeinde-
‘haus. Dort überreichte Bürgermeister Schyns drei Wimpel, für
die drei Einheiten, die beim Marsch vertreten waren. Als Gegen-
geschenk erhielt der Bürgermeister eine Plakette, auf der der
Dreiländermarsch eingezeichnet ist.
Noch zu erwähnen ist, daß sich an dem Marsch ein junger
Soldat aus unserer Gegend beteiligte, nämlich R. Mennicken
aus Raeren. Bald zogen die Soldaten weiter, um über Hergen-
rath und Köpfchen die letzten 15 Km. zu ihrem Standort zurück-
zulegen.
Um 16 Uhr 15 marschierte der Cercle-Musical gefolgt vom
Gemeinderat, vom Schiedsrichter und den Fußballmannschaften
von ‚Villers und Kelmis zum Spielfeld. Dort überreichte Bür-
germeister W. Schyns beiden Kapitänen einen Wimpel als Er-
innerung an die Jubiläumsfeiern.
Den Anstoß vollführte der Bürgermeister mit dem von der
Gemeinde gestifteten Ball.
Leider ging das Spiel trotzdem verloren !
Um 17 Uhr 15 stellten sich Gemeinderat und Cercle-Musi-
cal im Kulturzentrum der Patronage vor, um das goldene Hoch-
zeitspaar Nelissen-Lennaertz im großen Familienkreise
19
zu beglückwünschen. Der Cercle-Musical brachte dem Jubelpaar
ein Ständchen, die Gemeindeverwaltung einen Präsentkorb dar.
Bei dem noch sehr rüstigen und verhältnismäßig jungen Ju-
belpaar handelt es sich um das erste, das unter belgischer Herr-
schaft in Kelmis die Ehe schloß.
Um 17 Uhr 45 begab sich der Gemeinderat zum Hotel
”Select” und empfing dort Innenminister Harmegnies, Kultur-
minister Parisis, Provinzgouverneur Clerdent, Bezirkskommissar
Hoen, den Prokurator des Königs Coumoth, die Permanentdepu-
tierten Lejeune und Moreau sowie Kulturinspektor Pauquet.
Nach den üblichen Vorstellungen wurde dort, bei gemütli-
chem Zusammensein, ein schlichtes Mahl eingenommen.
Um 19 Uhr 30 fand ein Empfang der Minister, der Behör-
den sowie aller Vereinspräsidenten statt. Der Gemeindesaal war
festlich geschmückt. Am Eingang des Saales verteilten die Herren
P, Zimmer und L. Wintgens von der Vereinigung für Kultur-,
Heimatkunde und Geschichte Photokopien der Kelmiser Brief-
marken.
Bürgermeister W. Schyns begrüßte alle Anwesenden und
hieß die hohen Gäste herzlich willkommen. Dann gab er einen
Überblick über die Größe der Gemeinde, das Anwachsen der
Bevölkerung, den Wohnungsbau u.s.w.. Er betonte, daß jeder
Kelmiser zweisprachig sei und es auch bleiben wolle. Das Ver-
einsleben betrachtend, hob er die internationalen Veranstaltun-
gen der letzten Jahre hervor, unter anderen das Treffen der Gru-
benarbeiter und das große Ringerfest.
Nach verklungenem Beifall überreichte Herr Schyns den
Ministern sowie den anderen offiziellen Persönlichkeiten eine
Holztäfelei mit eingeschnitztem Kelmiser Wappen.
Minister Harmegnies dankte alsdann für den herzlichen
Empfang, betonte die Notwendigkeit der Selbständigkeit der
Gemeinden, denn, so sagte er, sie wären die lebenden Zellen
der Nation.
Er überreichte Herrn W. Schyns dann die Ehrenplakette
des Innenministeriums und erklärte feierlich : ”Sie sind der erste
Bürgermeister des Landes, dem diese Auszeichnung verliehen
wird.”
20
Im Namen des Bergmannsvereins St. Leonard und der Lour-
deskrankenträger überreichte Herr Peter Zimmer dem Minister
eine Grubenlampe, wie sie früher in den hiesigen Bergwerken be-
nutzt wurde.
Sichtlich gerührt von dieser Geste, dankte der Minister, der
auch Bürgermeister von Marcinelle ist, Herrn P. Zimmer, indem
er ihn umarmte,
Nachher mischten sich die Minister unter die geladenen Gäste,
ließen sich jeden einzelnen vorstellen und plauderten mit jedem
einige Worte. So verging die Zeit allzu schnell, und deshalb be-
gann das Galakonzert im herrlich geschmückten und überfüllten
Saal der Patronage mit etwas Verspätung. Ü
Das Programm bestritten das Königliche Männerquartett Eu-
pen, das Bläserquintett ”Pro Musica” Welkenraedt, die Balett-
gruppe ”Lydia Chagoll” Brüssel und der Cercle Musical Kelmis.
Die auserlesenen künstlerischen Darbietungen fanden gro-
ßen Anklang und ernteten überaus reichen Beifall.
Zwischen den Darbietungen begrüßte der Bürgermeister
nochmals alle seine Gäste. Herr F. Pauquet durchleuchtete
die Vergangenheit unserer Gemeinde, angefangen vom 13. Jahr-
hundert bis in die jetzige Zeit. Es war ein historischer Bericht,
wie ihn nur ein großer Kenner dieser Materie zusammenstellen
kann. #
Herr Minister Harmegnies hielt seine Ansprache zum Teil
in deutscher, zum Teil in französischer Sprache. Zunächst dankte
er, bei diesem Fest zugegen sein zu dürfen. Dann lobte er die
Fähigkeiten von Bürgermeister Schyns, den er mit den früheren
Bürgermeistern De Lassaulx und Kofferschläger
verglich. Er betonte, daß Herr Schyns ein überaus würdiger
Nachfolger dieser Herren sei und deren Tugenden in sich ver-
einige. Dann ging er zu dem Thema Innenpolitik über, er sprach .
über Summen (160 Millionen) für wirtschaftliche Entwicklung |
(42 - 37 Millionen) für Straßenbau im Jahre 1968. Dies beweise,
daß die Regierung die Bestrebungen in unserem Bezirk unter-
stütze. Er beendete seinen sehr interessanten Vortrag mit den
Worten : ”Es lebe KELMIS, es lebe BELGIEN, es lebe EURO-
PA !”
21
Kulturminister Parisis überreichte Jubelschützenkönig
N. Gouders die von der Gemeindeverwaltung gestiftete Aus-
zeichnung. In recht familiärer Art umarmte er den Jubelschützen-
könig sowie die Königin Frau Gouders.
Auch Bundesschützenkönig J. La valle konnte einen Po-
kal in Empfang nehmen.
Es war Mitternacht vorüber, als dieser schöne Abend zu
Ende ging. Anschließend wurde noch einige Stunden das Tanz-
bein geschwungen. Auch in den anderen Gaststätten des Ortes
wurde fröhlich. gefeiert.
Am Sonntag, dem 21. September, nahmen die Festlichkeiten
ihren Fortgang. Es begann mit einem Dankhochamt in der Pfarr-
kirche. Gemeinderat und Behördenvertreter nahmen daran teil.
Gesungen wurde die Messe vom Kirchenchor St. Gregorius und
den ”Kleinen Kelmiser Sängern” unter der bewährten Leitung
von Herrn C. Cravatte.
Nach der hl. Messe erscholl aus vollen Kehlen das so präch-
tig zu den Feiern passende Lied ”Vers l’Avenir”, gefolgt von der
Nationalhymne, an der Orgel Herr A. Hilligsmann.
Um 14 Uhr 30, trotz diesigem Wetter, erwartete eine große
Menschenmenge, wie man sie nur am Rosenmontag sieht, den
Vorbeimarsch des Festzuges. Sie sollten nicht enttäuscht werden,
sie sahen einen großartigen, langen, bunten Festzug.
* Voran trugen die Ringer zwei riesige Fahnen, die eine in den
Nationalfarben, die andere in den Kelmiser Farben, dann kamen,
mit gezogenem Degen, drei Gendarmen zu Pferd, es folgte die
Harmonie Ste-Cecile von Gemmenich, dann an die 500
Schulkinder mit Lehrpersonal, dann die Patrojugend, J.O.C. und
J.O.C.F.; die Harmonie von Moresnet, die Sportvereine,
ihnen voran die Turnerinnen in ihrer blitzsauberen grün-weißen
Kleidung. Es folgten die Schützengesellschaften mit ihrem Jubel-
schützenkönig an der Spitze ; es kamen die Sängerknaben, der
Kirchenchor, die Karnevalsgesellschaft ”Ulk” mit der 90 Jahre
alten Fahne, die Karnevalsgesellschaft ”Lustige Brüder” in den
seit 1950 nicht mehr getragenen roten Mänteln ; bei ihnen befan-
den sich zwei Damen, gekleidet wie um 1900. Weiter folgte S.T.
Prinz Hans III. mit Pagen, eine Militärmusikkapelle aus B a s to-
22
gne- City, ihr folgten die im Militärdienst stehenden Kelmiser
Jungen, die patriotischen Vereinigungen, die Feuerwehr, das Rote
Kreuz, die Behörden, die Pfarrgeistlichkeit, dann die Grubenar-
beiter, welche uniformierte Gendarmen, Zöllner und Briefträger
aus Belgien, Holland und Deutschland aus der Zeit vor dem er-
sten Weltkrieg sehr schön darstellten. Außerdem stellten sie noch
zwei Paare (Bauern und Bürger) in Kleidung der damaligen Zeit
dar.
Zuletzt kam eine von zwei Pferden gezogene Kutsche, de-
ren beide Insassen die Herren Doktor Mo11ly und Apotheker
Dovifat darstellten. Die Vereinigung für Kultur, Heimatkun-
de und Geschichte im Göhltal hatte diese beiden Vorfahren wie- .
der ins Leben gerufen, zum Gedenken an ihre Mitwirkung bei der
Herausgabe der Kelmiser Briefmarken. Vergrößerte Photokopien
dieser Freimarken wurden in die Zuschauermenge geworfen und
vielfach aufgegriffen. Den Schluß des Zuges bildete wieder eine
Gendarmerieeskorte zu Pferd. Erwähnt sei noch, daß die Karne-
valspolizei für die nötige Ordnung sorgte.
Im großen Gemeindepark löste sich der Zug dann It, wo
anschließend ein Volksfest stattfand.
Bürgermeister W. Schyns eröffnete dieses Volksfest mit einer
kurzen Ansprache, in welcher er allen mitwirkenden Vereinen
und Vereinigungen, allen auswärtigen Musikkapellen, den berit-
tenen Lütticher Gendarmen sowie der ganzen Kelmiser Bevölke-
rung seinen Dank aussprach für die großartige Mitwirkung bei =
den Feiern.
An die Kelmiser Geschäftsleute richtete er einen Aufruf,
so viel wie möglich von den gesammelten, alten Sehenswürdig-
keiten der Göhlvereinigung zur Verfügung zu stelleq, zwecks Er-
richtung eines Heimatmuseums.
Alle Kelmiser rief er auf, sich weiterhin, und noch mehr
als bisher, für das Vereinsleben einzusetzen.
Er verlas ein Glückwunschtelegramm vom Bürgermeister
der Stadt Eupen und gab dann den Wortlaut eines Telegramms
bekannt, das er im Namen der Bevölkerung an Seine Majestät,
den König, abgesandt hatte. Zum letzten Mal erscholl die Bra-
banconne, während einige hundert Tauben sich in die Lüfte
erhoben.
23
Es folgten Musikvorträge von den verschiedenen Musik-
vereinen sowie Turnvorführungen von Mädchen und Jungen. Die
Jüngsten beteiligten sich währenddessen an einem Ballonwett-
streit, um sich anschließend auf den Karussells (es war Nachkir-
mes) mit den von der Gemeindeverwaltung gestifteten Freifahrt-
karten zu vergnügen.
Um 21 Uhr füllten dann nochmals mehrere tausend Men-
schen den Kirchplatz, wo Herr Kaplan Kalpers ein schönes, bun-
tes Feuerwerk entzündete, das bei den Schaulustigen viel Be-
wunderung entfachte.
Damit fanden die Festlichkeiten, die einer Kleinstadt wie
Kelmis würdig waren, ihren Abschluß.
Josef Bindels
Zu der von Pfarrer Darcis (+) in Heft Nr. 6
veröffentlichten
Chronik von Moresnet - Kapelle
bringen wir umseitig
einige Illustrationen.
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Ansichtskarte aus dem Jahre 1900
26
Eine Wanderung durch den Kreuzweg
Der Calvaire, der Kreuzweg oder auch der Stationenpark
von Moresnet ”Eichschen”, verbunden mit der schlichten Marien-
kapelle, ist alljährlich das Ziel einiger 100.000 Besucher.
Am Südwestrand eines bewaldeten Höhenzuges gelegen,
der zum Göhltal abfällt, findet er heute, auch wegen seines rei-
chen Pflanzenbestandes, viele Bewunderer. Er entstand in den
Jahren 1897 bis 1903. Zur Bepflanzung des Geländes waren
damals 68.000 Zierpflanzen aus der Gegend von Orleans bezogen
worden. Heute sind viele zu wahren Riesen herangewachsen,
während empfindlichere Pflanzen in dem schon etwas rauheren
Klima sich nicht halten konnten. ;
Der eigentliche Urheber und Initiator des Kreuzweges war
Pater Johannes Ruiter, tatkräftig unterstützt von Architekt Br.
Quintilian Borren. Sehr verdient machte sich ferner Br. Valens
Zimmermann, der Schöpfer des vielen kunstvollen Gitterwerkes. &
Aber ohne die begeisterte Mitarbeit der Bevölkerung von Mores-
net und Umgebung hätte das Werk nie gelingen können. Die not-
wendigen riesigen Erdbewegungen und die Heranschaffung des
benötigten Materials sind neben Spenden aller Art ihr Werk.
Die Grotten für die Stationen wurden unter Leitung von Br.
Quintilian von einem Spezialteam aus Mitteldeutschland, unter
Verwendung von holländischen Ringofensteinen errichtet. Die
Stationsbilder selbst stammen von dem Kölner Künstler Professor -
Albermann. Sie sind in Kalksandstein gearbeitet und haben
anerkannten Kunstwert. Eine Reihe der Stationen sind Stiftungen
‘hiesiger Familien.
Eingang und Ausgang zum Calvaire liegen der Klosterpforte
gegenüber, kaum 50 Schritte auseinander, an einer Lindenallee.
Der Kreuzweg mit seinem Stationenweg von 1.000 Schritten
hat eine Größe von etwa 2,5 Ha. Versuchen wir nun etwas näher
auf den reichen Pflanzenbestand einzugehen.
Gleich links vom Eingang haben wir eine herrliche Trauer-
buche, Fagus sylvatica pendula. Sie scheint auf einem Felsen zu
wachsen und ist von Lorbeerkirschen umstanden, Prunus lauro-
cerasus, mit glänzenden immergrünen Blättern, die aber in kal-
ten Wintern oft leiden. Ein wenig weiter zurück der wieder grü-
22
nende Stumpf einer vom Sturm abgerissenen Trauerweide, Salix
alba tristis. Die Böschung zu ihren Füßen ist ganz bekleidet mit
großblättrigem Efeu, Hedera colchica, der aus dem Kaukasus
stammt.
Der einheimische Efeu, Hedera helix, bedeckt den Boden
und umrankt die Stämme der nun bis zur ersten Station und wei-
ter sich anschließenden Tannengruppen. Es sind meist Picea abies,
unsere gewöhnliche Rottanne. Hier und da auch einige Edeltan-
nen, Abies concolor, und Pseudotsuga douglasii, die Douglas-
tanne.
x
Vorn am Wege zunächst eine Gruppe von Mahonien, Ma-
honia aquifolium, die Fiederberberitze mit ihrem schmuckvollen
Laub, den gelben Blüten und später blaubereiften Früchten. Sie
ist auf dem Calvaire häufig anzutreffen.
Nun folgen am Wege Rhododendren, die uns über den gan-
zen Calvaire begleiten. In ihren verschiedenen Sorten zaubern
sie zur Blütezeit Bilder von oft märchenhafter Schönheit. Mitte
Mai bereits beginnen einige Sorten den Blütenreigen zu eröffnen.
Gleich rechts vom Eingang haben wir eine mächtige Lärche,
Larix decidua, die europäische Lärche. Im Winter verliert sie ihre
Nadeln, die im Frühjahr in einem erfrischenden lichten Grün
wieder erscheinen. Den Boden unter ihr deckt außer Mahonien,
im Sommer eine Gruppe des mächtigen Königsfarns, Osmunda
regalis. Farnkräutern begegnen wir auf dem Calvaire sehr viel,
darunter dem Frauenfarn, Athyrium, und dem Straußenfarn, Mat-
teuccia. Sie sind gute Bodendecker, die aber auch wuchern kön-
nen, und entbehren nicht einer eigenen Schönheit.
Einige Schritte weiter erhebt sich aus einer Gruppe von
Eiben, Taxus baccata, eine Edeltanne, Abies Nordmanniana, und
in der folgenden Gruppe von Rottannen eine Japanzeder, Cryp-
tomeria japonica. Gleich zur Seite eine nunmehr etwas freier
gestellte Atlaszeder, Cedrus atlantica. Man erkennt sie am locke-
ren Kronenaufbau und an den blaugrünen Nadeln. Sie ist auf dem
Calvaire viermal vertreten.
Im Tannenrund haben wir nun linkerhand die erste Station,
der am Wege Buxus und wieder Mahonien folgen. Die Grotte
selbst ist zur Sommerzeit, wie auch eine Reihe weiterer, von
Gundermann überwuchert, Glechoma hederacum, der anderen
29
Spirea arguta, dazu noch Weigelien oder Weigela und seitlich
eine große blaue Hortensie, Hydrangea hortensis.
Sie alle sind auf dem Calvaire noch häufiger anzutreffen.
Ausführliche Beschreibungen zu geben ist in diesem Rahmen
nicht möglich. Hier können nur Hinweise gegeben werden.
Der zweiten Station gegenüber steht eine große Traueresche,
Fraxinus excelsior pendula und unter ihr ein vielverzweigter
Strauch mit grünen Trieben, der Ranunkelstrauch, Kerria japo-
nica pleniflora, auch Goldröschen genannt.
Weiter am Wege wieder Rhododendron-Hybriden, während
links eine Reihe kleiner Sträucher mit myrtenartigen Blättern
auffallen, Lonicera nitida, die aus China stammt.
Links schließt sich ein altes Pumpenhäuschen an mit Mu-
schel und Krug als schmückendem Beiwerk. Vor der dritten Sta-
tion eine niedere Pflanzung von Stauden und anderen Blüten-
pflanzen, darunter vor allem der Ziegenbart, Aruncus sylvester,
daneben einige Funkien, Hydrangea paniculata und wieder das
wuchernde Goldröschen.
Vor der vierten Station, in der Mitte zwischen zwei großen
Buchen, eine Sawara Zypresse, Chamaecyparis pisifera filifera,
etwas locker wachsend und zierlich überhängend. Im Hintergrund
unter andern eine Zirbelkiefer, Pinus cembra. Vorn am Wege
eine Gruppe von Schneebeeren, Symphoricarpus albus, im Herbst
mit weißen Beeren.
Vor der fünften Station neben einigen Buxus sempervirens
Taxus baccata fastigiata, eine Säulenform der Eibe. Gleich da-
hinter, vor mächtigen Tannen und einer Rotbuche drei ältere
Exemplare der Feder- oder Mooszypresse, Chamaecyparis pisi-
fera plumosa. Es folgt eine Gruppe des niedrigen Maiblumen-
strauches, Deutzia gracilis, überschattet von einem dreistämmi-
gen Spitzahorn, Acer platanoides.
Die 6. Station wird umrankt von einer Traubenwinde, auch
Glyzine genannt, botanisch Wisteria sinensis, mit schönen blauen
Blütentrauben. Anschließend wieder eine reichhaltige Gehölz-
gruppe, darunter Rhododendron praecox, und Hydrangea pani-
culata mit vorgepflanztem Geißbart.
31
Bis zur 8. Station begleiten uns am Wege wieder vorwiegend
Rhododendron und Rottannen im Hintergrund. Vor der Station
Lawsons-Zypressen, Eiben, Lärchen und verschiedene bereits er-
wähnte Blütensträucher. In der Mitte etwas zurücktretend ein
großer Tulpenbaum, Liriodendron tulipifera, seine tulpenähnli-
chen Blüten sind grünlichgelb und werden wegen der großen
Höhe des Baumes kaum je beachtet. a
Weiter folgen eine Akazie und ein Eschenahorn, denen sich
mächtige Rottannen anschließen. Vor ihnen eine Sammlung ver-
schiedener Eiben, die heimische Eibe, Taxus baccata, die Säulen-
eibe, Taxus bacc. fastigiata, diese auch in ihrer gelbbunten Form,
ferner die Tafeleibe, Taxus bacc. repandens und Taxus bacc.
media ”Hicksi”. Etwa in der Mitte dieser Taxusrunde ist eine
kleine Gruppe der Elfenblume, Epimedium, angesiedelt.
Der Boden zwischen den Bäumen und Sträuchern des Cal-
vaires ist neben vielen Farnkräutern weithin mit Sinngrün, Vinca
minor, mit versteckten blauen Blüten, mit gelbblühenden Maho-
nien und dem heimischen Efeu bedeckt, der freudig an Stämmen
und Mauern hochklettert.
Im Hintergrund der 9. Station unter anderen eine mächtige
Kiefer, Pinus cembra, und heranwachsend, eine Reihe japanischer
Zedern oder auch Sicheltannen, Cryptomeria japonica. Die sich
anschließende kleine Rasenfläche, eingefaßt von Rhododendron,
nimmt zur Sommerzeit die eine oder die andere Palme, Phönix
canariensis, auf. Das Beet im Vordergrund ist mit Zwergrosen
und jeweils anderen Blütenpflanzen bestanden.
Der Hügel gegenüber der 9. Station, von einer Trauerbirke,
Betula verrucosa tristis, überragt, ist mit einer großen Fülle von
Pflanzen aller Art bestanden, die zum Teil in jahrzeitlichem
Wechsel erneuert werden. Da ist zunächst wiederum Rhododen-
dron praecox ; Pinus mugo, die Bergkiefer ; einige Sommerflie-
der, Buddleia ; ein graziöser Lespedeza und von Stauden wieder
der Geißbart, ferner einige rot und weiß blühende Astilben
(Prachtspiere), dann Pfingstrosen, Paeonia ; Fackellilien, Knipfo-
fia, Montbretien und Iris. Daneben eine Reihe von Posterstauden,
Iberis, Saxifraga, Arabis, Festuca glauca, Aubrietia, das Blau-
32
kissen und der Moosphlox, Phlox subulata.
Der Weg, der sich nun der 10. Station zuwendet, führt uns
zur Rechten vorbei an einer Zwergkonifere, Chamaecyparis op-
tusa ”nana gracilis””, kurz daneben der Riesensteinbrech, Bergenia
cordifolia, der aus Sibirien stammt. Während an verschiedenen
Stellen auf dem Calvaire Flieder zu finden sind, meist Syringa
vulgaris, folgt hier ein großer weißblühender Flieder. Vor einem
sich erneuernden Buxbaum, Buxus sempervirens, zur Sommer-
zeit ‘einige Datura suav6olens mit großen weißen, starkduftenden
Blütenkelchen. Sie stammt aus dem nördlichen Südamerika und
ist eine Verwandte unseres heimischen Stechapfels, Datura stra-
monium. 7
Gleich im Anschluß eine schöne geschlossene Form des Le-
bensbaumes, Thuja occ. pyramidalis. Es folgen wieder Buxbaum
und Lawsons-Zypressen mit einer Federzypresse im Hintergrund,
Chamaecyparis plumosa squarrosa.‘ Vorn am Wege entfalten
im Sommer einige Hypericum calycinum ihre schönen gelben
Blüten, sie gehören zur Familie des Hartheu oder Johanniskrau-
tes. Aus einer Gruppe des Maiblumenstrauches wächst hier nun
ein Götterbaum, Ailanthus altissima, mit seinen starkgefiederten
Blättern. ;
Bei der Wende des Weges hatten wir zur Linken eine Taxus
bacc. dovastoniana mit leicht hellgelber Benadelung, und von ihr
beschützt, eine Himalaja Zeder, Cedrus deodora. Am Boden
kriechend eine Berg- oder Krüppelkiefer und eine japanische Sa-
wara Zypresse, Chamaecyparis pis. fil. ”Aurea”, im Vordergrund.
Anschließend einige der zu den Rosengewächsen gehörenden
Zwergmispel, Cotoneaster horizontalis, in verschiedenen Formen,
Cotoneaster salicifolia wächst in einigen Exemplaren gegenüber
der 6. Station.
Kurz vor der 10. Station schließt sich die kugelförmige
Thuja occ. Rheingold und die Trauerform der Nutka-Scheinzy-
presse, Chamaecyparis nootkatensis pendula an. Sie sind neu
gepflanzt. Gleich zur Seite der Station, erkennbar am schönen
gelbbunten Blatt, eine kleine Ölweide, Elaeagnus pungena ”ma-
culata”.
Auf dem Wege zur 11. Station in der Mitte rechts ein kleines
Blumenparterre, jahreszeitlich verschieden bepflanzt, im Sommer
34
Aufmerksam. zu machen ist hier noch auf einige größere Stech-
palmen, Ilex aquifolium, am schönsten im Schmück ihrer roten
Beeren:
Zu beiden Seiten der 13. Station je eine Traueresche, Fra-
xinus excelsior ”Pendula”. Überragt wird sie von einer Nord-
mannstanne, der sich Rottannen und Kiefern anschließen. Aus
der nun folgenden Gruppe schon erwähnter Blütensträucher er-
hebt sich ein mehrstämmiger Ahorn und ein mächtiger Tulpen-
baum. Ganz vorn am Wege überrascht eine Trauerulme, Ulmus
glabra pendula mit ihrem auffälligen Schirmdach. Es folgt eine
noch jüngere Gruppe der blaugrünen Scheinzypresse, Chamae-
cyparis Laws. columnea. 5
Die 14. Station, von verschiedenen Koniferen, Rottannen
und Lärchen umgeben, wird von einer riesigen Rotbuche fast
erdrückt. Ihr gegenüber eine amerikanische Eiche, Quercus rubra,
dazu noch einige Linden und Buchen. Bevor der Blick über die
große Rasenfläche sich Effnet, haben wir links wieder eine ja-
panische Zierkirsche mit den herrlichen Blüten im Frühjahr und
eine nicht weniger schöne Magnolie. Magnolia denudata, mit rei-
chem lilienartigen Blütenschmuck. Im Vordergrund, sich an das
Blumenparterre herandrängend, ein japanischer Hibalebensbaum,
breit ausladend, Thujopsis dolabrata.
Die weite Rasenfläche gibt nun einen großartigen Blick auf
die 12. Station frei. Seitlich drängen sich noch zwei einheimische
Eiben ins Blickfeld. Auffallend auch zwei ungewöhnlich schöne
und hohe Zypressensäulen, Chamaecyparis Laws. Alumii. Gleich
neben ihnen zwei Trompetenbäume, Catalpa bignonioides mit
großen hellgrünen Blättern, lockeren aufrechten Blütenständen
und langen bohnenartigen Früchten. Des weiteren noch einige
Rotdorn, Crataegus oxyacantha.
Rechts beim Ausgang eine Picea abies ”Remonti”, eine
Zwergform der Rottanne, die aber mit der Zeit ihre geschlossene
Kugelform verloren hat. Weiter zurück zwischen Kirschlorbeer
und Rhododendron wieder eine Traueresche.
„Auf unserem Rundgang über den Calvaire wurden wir auf
S 35
eine vielleicht verwirfende Fülle von Pflanzen und Namen auf-
merksam, wobei wir uns aber eingestehen müssen, einen schr
großen Teil immer noch nicht berücksichtigt zu haben. Eine ge-
naue Beschreibung der Pflanzenwelt des Calvaires würde, wenn
sie überhaupt möglich wäre, sehr umfangreich werden.
In einem Garten ging die Welt verloren, .
In einem Garten ward sie erlöst.
Was im Ölgarten begann,
vollendete sich im Garten des Josef von Arimathaa.
A Pascal.
Eine alte Legende erzählt, wie Maria nach ihrer Flucht mit
Johannes aus Jerusalem in Ephesus eine gleichgroße Nachbildung
des Jerusalemer Geschehens in einem Garten an einem abseits
gelegenen Hügel errichtete. Neuere Ausgrabungen haben hier das
Vorhandensein einer solchen Anlage bestätigt.
In seinen Gärten ist der Mensch immer noch und stets von
neuem auf der Suche nach seinem verlorenen Paradies. In seinen
Gärten liegt für den ”geschundenen Homo Sapiens” ein Hauch,
ein Abglanz jenes anderen unvergessenen Gartens am Beginn der
Zeiten. Der Garten war des Menschen früheste Schule. Dem pa-
nisch wuchernden Chaos der bloßen Natur entrang er in harter
Arbeit durch schöpferische Formung und regulierende Gestal-
tung das Kunstwerk ”Garten”, um sich so sein eigenes Paradies
zu gestalten,
Gartengeschichte ist Menschheitsgeschichte, aber in einem
Bereich des Friedens und der Freude.
Bruder Aurelius, (J. Willmeroth.)
36
Garten der Kindheit
von M. Th. Weinert
Kommt zu mir der Duft der Rosen,
starker, holder Ruch Jasmin,
höre ich die Amsellieder,
und ich seh den Garten wieder,
wo ich Kind gewesen bin.
Weckt der Wind Erinnerungen ?
Efeu um die alte Laube,
Buchsbaumkranz, in dessen Mitte
Ü wuchs die honiggelbe Quitte,
an der Mauer hing die Traube.
Weht im Winde das Erinnern, Ü
. schmeck ich roter Beeren Süße
und die grüne Haut der Nüsse,
seh die hellen Falter gaukeln,
- mit den gelben Lilien schaukeln ...
Spür des Birnbaums rauhe Rinde,
birgt er schützend mich im Grün,
geh den Weg, der sanft geschwungen,
5 führt in-grüne Dämmerungen,
” unter Büsche von, Jasmin.
Ö An der Wasserburg
von M. Th. Weinert
Leise verdämmert der Tag.
Letzter, rötlicher Schein
streift noch die Fensterscheibe,
blinkt darin auf wie ein Licht.
? € Wartete dort ein Gesicht ?
Schatten huscht über den Stein ...
Wind fegt die welkenden Blätter
über das schwankende Ried,
tastet auf steinerner Treppe
drüben ein schlürfender Schritt ?
. Klingt auf dem Pflaster der Brücke
plötzlicher Pferdehuf ?
Unten am Wassergraben
läutet der Unken Ruf.
Nein, hier ist keine Bleibe,
und nur ein Krähentag
endete ohne Trauer,
rauschenden Flügelschlag
um die zerbröckelnde Mauer,
37
Die Hungerleider
von F. Wechseler
Sie tragen ihre breiten Bäuche vor sich hin
und ein Senatorlächeln überm Doppelkinn.
Zigarren schleppen sie mit sich herum.
Sprichst du sie an, so bleiben sie stumm,
und fahren vorüber mit denen im Strom
auf ihren Pferden aus Nickel und Chrom.
Gejagt von Terminen, geplagt von Kunden,
reiten sie herum mit ihren fetten Hunden,
reiten sie alles um, was sie zurückhält.
Sie schmatzen unterwegs alles, was ihnen gefällt.
Macht Platz, hier huschen die Hungerleider !
Wie scheinen sie nackt ; sie suchen ihre weichen Seidenkleider,
und finden sie nicht bei ihren Weibern.
Der Blick des kleinen Inders entblößte ihre Leiber,
Hört, wie sie leere Lügen lallen !
Warum wollten sie ihre Riemen auch nicht enger schnallen ?
Göhltalphantasie
von Franz STRAET
Es wehen die Winde das Göhltal hinunter
Mit weichen, melodischen Klängen.
Da mischt sich der Frohsinn der Menschen darunter.
Er steigt aus dem Tal, von den Hängen.
Und weit in die Ferne da zieh’n mit den Winden
Die biederen Geister des Tales,
Die Grenzen verwehen und Völker verbinden,
Wie Hauch eines sonnigen Strahles.
Sie blähen die Segel zu weltweiten Fahrten
Und möchten die Eintracht verkünden,
In allen den Menschen verschiedenster Arten
Den Funken der Liebe entzünden.
Wenn nächtlich die Sterne das Göhltal bestrahlen,
Die Bäche in Silberglanz kleiden,
Dann ist mir, als wollten ein Kleinod sie malen,
Das zieret des Kosmos Geschmeiden.
38
TE Schmugglergeschichten
von Gottfried Gronsfeld, Nidrum
Wo es Grenzen gibt, gibt’s auch Schmuggler ; das Schmug-
geln ist so alt wie die Menschheit. Es reizt eben jeden, etwas
unverzollt über die Grenze zu bringen, und die Zöllner, ganz
gleich auf welcher Seite, können die ”grüne” Grenze nicht so
dicht machen, daß die Schmuggler, ob im Kleinen oder im Gro-
ßen, keine Lücken finden, wo sie durchschlüpfen.
Auch unsere Drei-Länder-Ecke, das Land ohne Grenzen, ist
von jeher ein Schmugglerparadies gewesen. Doch die Romantik
dieser goldenen Zeiten für die Schmuggler wird wohl bald ein
Ende haben, denn in einigen Jahren sind die Grenzpfähle inner- 5
halb der E.W.G. nur noch symbolische Zeichen und der Tag
wird kommen, wo man unbehelligt alle Waren von einem Land
ins andere mitführen darf. Dann kauft man eben in dem Land,
wo die Sachen am besten und billigsten sind.
Doch es ist noch nicht so weit, und bis auf den heutigen
Tag stehen an unseren Grenzübergängen, sei es nun an ”Tülje”,
am ”Köpfchen” oder auf der Autobahnübergangsstelle ”Lichten-
busch”, ganze Parkplätze voller Lastzüge aus aller Herren Län-
dern, die auf die zollamtliche Abfertigung warten.
Früher, in meiner Jugend, während der goldenen zwanziger
Jahre, war der Verkehr auf den Straßen bei weitem nicht so
stark, denn der Großteil der Güter wurde per Bahn ein- und
ausgeführt. Dafür waren die Herren Zöllner aber viel strenger
und hatten auch einen anstrengenderen Dienst, mußten sie doch
ihre Runden längs der grünen Grenze bei Tag und bei Nacht
machen ; ob es sich nun um deutsche oder belgische Zöllner
handelte, sie alle waren gefürchtet. Die Schmuggler kamen daher
oft auf die ausgefallensten Ideen, um die Grünröcke an der
Nase herumzuführen. Ich entsinne mich da einiger pikanter
Schmuggelaffairen.
Nach dem ersten Weltkrieg war es verboten, Eier aus
Deutschland ohne Lizenz auszuführen, denn damals herrschte
dort noch immer eine gewisse Lebensmittelknappheit ; die Eier
waren aber infolge der herrschenden Inflation in Deutschland be-
deutend billiger als z. B. hier in Belgien. Ein Transportunterneh-
mer - ich weiß nicht mehr genau, ob aus Verviers, aus Lüttich
oder gar aus Eupen - kam auf die Idee, leere Eierkisten in
39
Deutschland aufzukaufen und dieselben nach Belgien auszufüh-
ren. Dem stand weder von deutscher noch von belgischer Seite
irgendein Verbot entgegen. Unser Mann fuhr also mit ruhigem
Gewissen beim deutschen Zollamt am ”Backersweg” vor und de-
klarierte ordnungsgemäß seine Ladung. Die deutschen Beamten
kontrollierten die Begleitpapiere und die Ladung und fanden
nichts zu beanstanden. Schon bald rollte der Lastzug über ”Bild-
chen” und ”Tülje” auf belgischen Boden, und die belgischen
Zöllner fanden auch in ihren Bestimmungen kein Verbot einer
Einfuhr leerer Eierkisten. Zwei Tage später erschien unser Trans-
portunternehmer wieder mit einer solchen Ladung und nach zwei
weiteren Tagen nochmals. Die Deutschen kannten nun bald ihren
Kunden und naturgemäß ließ die Aufmerksamkeit bald nach,
wenn sie sich auch kein Bild darüber machen konnten, was der
Unternehmer mit all den leeren Eierkisten wollte. In der folgen-
den Woche kam unser Mann mit einer Ladung voller Eierkisten
und fuhr seelenruhig beim deutschen Zollamt vor ; die Papiere,
auf Leergut ausgestellt, waren in Ordnung, und die Herren Zöll-
ner machten sich nicht mehr die Mühe, die Ladung zu prüfen,
und so fuhr unser Unternehmer mit 400 Kisten Eier unbehelligt
über die Grenze und hat dabei einen ansehnlichen Gewinn ein-
gesteckt. Ob er dieses Bravourstück oft gemacht hat, entzieht
sich meiner Kenntnis.
Der Eierschmuggel war überhaupt damals zu einer Art Epi-
demie ausgeartet ; Groß- und Kleinschmuggler befaßten sich da-
mit, eben weil dabei ein ansehnlicher Gewinn heraussprang. Wie
gesagt, auch Kleinstmengen nahmen Tag für Tag den Weg über
die Grenze. Da wo heute die Linienbusse der ASEAG oder die
roten belgischen Busse die Reisenden von und nach Aachen brin-
gen, fuhr damals die gute alte Elektrische von Aachen nach
Kelmis und von Aachen nach Eupen. Da gab es eine Frau aus
einem der Grenzdörfer, die es sich nicht verkneifen konnte, jeden
Tag wenigstens ein- bis zweimal mit der Kleinbahn nach Aachen
zu fahren, um Eier einzukaufen und dieselben dann hier in Bel-
gien zum normalen Tagespreis zu verkaufen. Sie hatte eine ganz
besondere Methode, die kostbaren Eier ungesehen über die Gren-
ze zu bringen. Sie fuhr mit der Elektrischen über ”Bildchen”, und
wenn sie zurückkam, hatte sie etwa 10 - 12 Eier in ihrem Hut.
Da vermuteten die deutschen Zöllner ganz bestimmt diese zer-
brechlichen Dinger nicht.
40
Aber es wurden nicht nur Eier geschmuggelt. Eines Tages
sitzen in einem Abteil 2. Klasse des Schnellzuges Köln-Ostende
ein Ehepaar aus Lüttich und ein feiner protziger Herr. Man
kommt ins Gespräch, und leutselig, wie das Ehepaar ist, erzählt
es von einem wunderschönen Photoapparat, den es in Deutsch-
land billig erstanden habe. Der Zug rast über die Grenze, und in
Herbesthal mußten damals alle D-Zug-Reisenden ihre Abteile
mit Gepäck ‚verlassen und durch die lange Zollhalle gehen. Der
Zug war gut besetzt und so bildete sich eine lange Schlange von
Reisenden, die nur träge an der langen Bank vorüberzog, hinter
der die belgischen Zöllner mit Argusaugen den Inhalt der Hand-
koffer musterten. Manchmal machten, sie auch nur Stichproben. z
Kurz und gut, unser gesprächiges Ehepaar ging mit ein wenig
Herzklopfen in der langen Menschenschlange, und gleich hinter
ihnen kam der protzige Herr mit seinem Diplomatenkoffer. Als
nun das Ehepaar vor dem ersten Beamten anlangte, sagte plötz-
lich der Herr hinter ihnen zu dem Zöllner, er solle doch mal den
Handkoffer dieser Leute gut nachsehen, denn sie hätten einen
neuen Photoapparat dabei. Die beiden wurden leichenblaß, aber
es nützte nichts, schon hatte der Grenzer das ”corpus delicti”
unter Wäsche versteckt gefunden. Inzwischen ist der protzige
Herr nach seiner verneinenden Antwort, ob er zollpflichtige Wa-
ren habe, weitergegangen und hat bald das Abteil im Zuge wieder
erreicht. Die armen erwischten Photoapparat-Schmuggler aber
mußten für damalige Verhältnisse recht tief in ihre Tasche grei-
fen, um den schönen Apparat dennoch mitnehmen zu können.
Rot und blaß vor Wut gelangten sie bald wieder in ihr Abteil
und überschütteten den protzigen Herrn mit allen erdenklichen
Schimpfnamen, worauf derselbe aber nicht reagierte. Er beteuer-
te nur immer wieder, daß es ihm leid tue und dann setzte sich
der Zug in Bewegung. Kaum hatte derselbe den Bahnhof Wel-
kenraedt hinter sich gebracht, da fragte der feine Herr in ganz
freundlichem Ton, wieviel denn der Zoll für das geschmuggelte
Photogerät gekostet habe. Als dann der erboste Ehemann dem
Herrn die Zollquittung über 250 b. Fr. vorhält, zieht der Herr
seine Brieftasche und überreicht dem verdutzten Mann einen
Fünfhundertfrankenschein, wobei er sagt : ”Ich mußte die Auf-
merksamkeit der Zöllner von meinem Diplomatenkoffer ablen-
ken, denn ich habe in einem doppelten Boden für einige Zehn-
tausend Franken Diamanten bei mir.”
41
Noch eine pikante Sache : Der ”Pierre” aus Dolhain hatte
Wind bekommen, daß man in Deutschland sehr preisgünstig ein-
kaufen konnte ; Tag für Tag fuhr damals der sogenannte ”Cas-
seroles-Zug” von Verviers nach Aachen und die Leute von dies-
seits der Grenze kauften für ihre guten Franken alles Mögliche,
was sich die Bewohner Aachens mit ihrer wertlosen Papiermark
nicht mehr leisten konnten. Eines Tages saß auch Pierre im ”Cas-
-seroles-Zug” nach Aachen. Bei Appelrath-Küpper am Dom er-
stand er für billiges Geld einen guten Anzug. Da auch Kleidungs-
stücke zollpflichtig waren, hatte Pierre aus Vorsicht seine äl-
testen Klamotten angezogen, denn er wollte ja nur den neuen
Anzug mit nach Hause bringen.
Auf der Fahrt von Aachen über Ronheide zur Grenze begab
er sich deshalb an ein ”stilles” Örtchen, zog seine Hadern aus
und übergab sie durch das Fenster dem Fahrwind. Nun öffnete
er sein Paket und wollte den neuen Anzug daraus entnehmen.
Aber, 0 Schreck ! da war ja nur eine Jacke, aber keine Hose
drin. Nun stand er da in seiner makellosen Unterhose und einer
schönen neuen Jacke. Und der Zug rollte dem Bahnhof Her-
besthal zu, wo die Zollkontrolle stattfand. Zum Glück hatte eine
barmherzige Dame ein Paar lange schwarze Damenstrümpfe, die
der leichtfertige Schmuggler nun über seine Unterhosen ziehen
konnte. Da bewahrheitet sich wieder das Sprichwort : «Du sollst
deine alten Schuhe nicht fortwerfen, bevor du deine neuen hast !»
Auch nach dem zweiten Weltkrieg blühte der Schmuggel
wieder sehr an der grünen Grenze, zumal der Kaffee- und Ziga-
rettenschmuggel waren rege. Da gab es ganze Schmugglerbanden,
die straff organisiert waren, und die deutschen Grenzer mußten
schon alle erdenklichen Mittel anwenden, um den ausgekochten
Schmugglern das Handwerk, wenn auch nicht ganz zu legen, so
doch wenigstens recht zu erschweren. Zur damaligen Zeit ist der
Rohkaffee nicht mit Pfund oder Kilo nach Deutschland schwarz
eingeführt worden, sondern fuhrenweise. Manche Schmuggler
wendeten die raffiniertesten Verfahren dabei an. Es gab gepan-
zerte Personenwagen mit doppeltem Boden, der Reservereifen
wurde mit Kaffee gefüllt und was weiß ich noch. Es gab aber
vor allem Ausgabeen. Sie schickten einen Trupp von 4-5 Mann auf
die Fährte, wo sie wußten, daß die Zöllner ihnen wahrscheinlich
einen Hinterhalt stellen würden. Diese 4-5 Männer trugen Säcke,
darin befand sich aber nur Heu. Während nun diese Gruppe von
42
den mit Suchhunden eifrig fahnenden Zöllnern gestellt wurden,
überschritten die anderen Mitglieder der Ausgabee mit dem Roh-
kaffee an einer unübersichtbaren Stelle die Grenze und ver-
schwanden im vorbereiteten sicheren Versteck. Es ist nicht immer
so glimpflich abgelaufen, denn manche Schmugglerbanden waren
sogar bewaffnet und haben sich mit den deutschen Zöllnern re-
gelrechte Schlachten geliefert, wobei es mehr als einmal Ver-
wundete gab.
Der Banause und der Künstler .
von Gerard TATAS
Ein dicker, grauer Sperling saß Als eines Morgens wieder trist
Tagtäglich auf dem Mist und fraß, Und grau er hockte auf dem Mist,
Was die Natur ihm dort beschieden, Stets nach dem Käfig äugelnd - na,
Und lebte glücklich und zufrieden. Was glaubt ihr wohl, was da geschah ?
Doch eines Tages, hört nur zu, Da sprang, wohl richtig nicht verschlossen,
Verlor er seine heit’re Ruh, Das Türchen auf und unverdrossen
Die Spatzenseele, klein und schlicht, Flog unser Fink hinaus - husch, husch,
Kam gänzlich aus dem Gleichgewicht. Schon saß er draußen in dem Busch.
Und daß der Sperling Grillen fing, Drob freute sich der dumme Spatz :
Geschah nun so : Auf einmal hing Jetzt nehm’ ich ein des Sängers Platz!
Ihm gegenüber an der Mauer Und angelockt vom bunten Schein
Ein goldlackierter Vogelbauer, Schlüpft in den Käfig er hinein.
Ein Bastlerkunstwerk sicherlich, Nun glaubt er sicher sich am Ziel,
Das einem kleinen Schlößchen glich. Und schon beginnt das eitle Spiel.
Mit seinen Türmchen war es schön Er will jetzt singen, tirelieren,
Und wirklich niedlich anzusehn. Im schönen Käfig jubilieren.
Und drinnen hüpfte auf und nieder Drum übt er fleißig stundenlang,
Ein Fink und sang die schönsten Lieder. Doch kommt es nicht zu Ton und Klang.
Da schlich sich in das Spatzenherz Wie angestrengt er auch probiert
Des Neides und der Mißgunst Schmerz. Und seine Kehle strapaziert,
Dem Sperling ging es durch den Sinn : Nur ”Piep !” und ”Piep!” kommt aus dem
Säß ich in diesem Käfig drin, Schnabel.
Hätt ich ein so feudales Haus, Nun geht zu Ende mm Fabel.
Dann würd auch ich tagein, tagaus Nur eins noch zu erzählen ist :
Ertönen lassen feine Lieder Vom Busch aus flog der Fink zum Mist
Wie dieser Fink mit Prachtgefieder. Und sang an diesem Ort auch wieder
Das dacht” er bei des Finks Gesängen Wie vorhin kunstvoll seine Lieder,
Und ließ die grauen Flügel hängen. -
43
Der Jupp und der Fuchs
von Hermann Heutz
Bei einem kleinen Waldbrand in Hauset hatten die verfügbaren
Männlichkeiten eifrig beim Löschen geholfen. Auch unser Jupp
war in der blauen Schürze direkt von seinem Schusterschemel
zum nahen Großebusch gelaufen. Dort war den Männern ein
Wurf Jungfüchse in die Hände geraten. Jupp hatte einen der
Jungfüchse erwischt und nahm ihn mit heim. Er legte dem
scheuen Tier ein Halsband und eine schwere Kette an und sperrte
es in eine Hundehütte. Meistens hockte der Jungfuchs nun im
dunkelsten Winkel der Hütte und kam nur ungesehen zum Vor-
schein, um die Hühnerleichen, die der Jupp von seinen Kunden-
fahrten heimbrachte, in die Hütte zu zerren und dort zu ver-
zehren. Stolz führte der Jupp seine Kunden an die Hütte, zerrte
den stinkenden Fuchs hervor und pries dessen Schönheit und
dessen angebliche Fertigkeiten. Wohl oder übel ließ sich der
Fuchs dann mit gespreizten Beinen aus seiner Behausung zerren
und fletschte die Zähne. An Kegelabenden erzählte Jupp Wun-
derdinge von seinem Fuchs. Auch wurde Jupp an solchen Aben-
den gewöhnlich mit der Frage empfangen : ”Wat maat der
Fuchs ?” (Was macht der Fuchs ?) Dann erzählte der Jupp, daß
das Tier ihm jetzt schon ”de Schlubbe” (die Pantoffel) aus der
Küche hole und ihm beim Schustern mit der Schnauze ”de Penn”
(Holzstifte) reiche. Nun war eines Tages beim Dorfwirt und Ke-
gelbahnbesitzer Kockartz H. ein Aachener Freund zu Gast.
H. Kockartz, der einst den ”Großvater” auf seiner Schinkentour
nach Kloster Gensterblum begleitet hatte, war immer gerne zu
einem Schabernack bereit. Sein Aachener Freund, vom gleichen
Holz wie der Wirt, hatte mit diesem bei den Jägern in Schlett-
stadt im Elsaß gedient. Es war an einem stillen Nachmittag im
Sommer. Nach einem kleinen Plausch, zu dem die Alten immer
Zeit hatten, sagte der Aachener : ”Sag, Hari, kennst du keinen,
dem wir heute mal einen Streich spielen könnten ?” Der Wirt
dachte nach und streifte in Gedanken unsern Jupp und seinen
Fuchs. Der Wirt schilderte seinem Freund die Sachlage und sah
ihn erwartungsvoll an. Wußte er doch, daß dieser sehr erfinde-
risch in solchen Sachen war. Wirt Hari brauchte auch nicht
lange zu warten. Der Aachener sprach also : ”Laß den besagten
Schuster holen und sage ihm, daß ich mich als Pelztierzüchter
44
für seinen Fuchs interessiere. Ich biete ihm dann einen hohen
Preis an und hoffe, daß er etwas spendiert. Nachher verdufte
ich dann durch die Hintertür vom Backes.” Wirt Hari war gleich
begeistert. Keine zehn Minuten waren verstrichen, da saß unser
Jupp in der blauen Schusterschürze wohl instruiert vor dem
Aachener in einer stillen Ecke der Gaststube. Der Aachener,
ein fremdes Hochdeutsch sprechend, behauptete, Besitzer einer
Silberfuchsfarm zu sein. Er sagte, daß man in seiner Farm zur
Zeit Kreuzungsversuche mit Wildfüchsen mache, daß er solche
Wildfüchse ankaufe und gehört habe, daß der Herr einen Wild-
fuchs besitze. Jupp horchte auf, witterte ein Riesengeschäft und
zwinkerte dem Wirt zu, der hinter der Theke gespannt den Ver-
handlungen folgte. Jupp begann nun eine Lobrede auf seinen .
Fuchs. Er verschwieg, daß das arme Tier kaum mehr Haare an
seinem Hinterteil hatte und stöhnte über die hohen Kosten der
bisherigen Aufzucht. ”Was glauben Sie”, so sagte Jupp, ”wie-
viel lebendige Hühner und Hähnchen ich schon habe verfüttern
müssen, denn das verdammte Aas, übrigens ein sehr liebes Tier,
frißt kein totes Huhn.” Der Fremde beschwichtigte den Jupp und
sagte seinerseits : ”Nun, ja, Sie sollen ja auch einen ordentlichen
Preis kriegen.” Um das sich anbahnende Geschäft etwas zu ani-
mieren, bestellte Jupp beim Wirt eine Flasche Wein mit den
Worten : ”Hari, breng oß en jow Fleisch Wien, äl jenge sure
Deuvel, wi de hem de Bure öm Kirmes adrienst.” (Hari, bring
uns eine gute Flasche Wein, aber keinen sauren Teufel, wie du
ihn den Bauern um Kirmes andrehst.) Das war nun eine glatte
Verleumdung. Die Gaststätte Kockartz hat seit eh und je einen
guten Wein geführt. Der Wirt brachte eine Flasche ”Wehlener
Sonnenuhr” und wünschte den beiden ”Händlern” ein wohlge-
meintes Prosit. Dem Jupp verschlug es fast den Atem, als der
Fremde ihm 300 Mark bot. Für diese Summe mußte Jupp gut
und gerne 10 Wochen schustern. Aber Jupp sagte keineswegs
sofort freudig zu. Im Gegenteil, er wehrte entsetzt ab und einigte
sich schließlich mit dem angeblichen Züchter auf dreihundert-
und neunzig Mark. Jupp hatte 400 Mark verlangt. Inzwischen
war die Flasche geleert, und Jupp, im Hochgefühl seiner Ge-
schäftstüchtigkeit, bestellte eine zweite Flasche. Diese brachte
der Wirt mit gemischten Gefühlen, denn er ahnte Schlimmes.
Als auch diese Flasche fast geleert war, fragte der Fremde nach
dem Hof, entschuldigte sich ”für einen Augenblick” beim Jupp
45
und verschwand durch die Hintertür in Richtung Flög. Jupp
indessen grinste zum Wirt hinüber : ”Hari, wär laache oß kapott
op der nächste Kejelovvend. Ech jäff ooch en Ronde.” (Hari,
wir lachen uns kaputt auf dem nächsten Kegelabend. Ich gebe
auch eine Runde.) Doch bald wurde es dem Jupp doch zu lang,
er erhob sich, ging in die Küche und fragte : ”Wue blift dä Här,
dä Tuppes ?” (Wo bleibt der Herr, der Blödmann ?) Die Wirtin,
nichts ahnend, erwiderte : ”Mengste dä Vrönd van der Hari?
Dä hat oß Adjüß jesaat en eß dörchen Flöch no heem jejange.”
(Meinst du den Freund vom Hari? Der hat uns Adieu gesagt
und ist durch die Flög nach Hause gegangen.) Nun, der Jupp
brauchte nicht lange, um zu begreifen. Mit dem bekannten Götz-
zitat hat er die Wirtschaft verlassen. Den Wein hat er natürlich
nie bezahlt, und ich bin sicher, daß dem Wirt dieser Spaß auch
zwei Flaschen Wein wert war. Vielleicht hat auch der Aachener
diese Zeche bezahlt, wer weiß ? Jupp war tief gekränkt. Er er-
schien einige Wochen nicht zum Kegeln, tauchte aber dann wie-
der auf und tat, als sei nichts geschehen. Die Kegelbrüder ihrer-
seits hatten genügend Takt, die Sache im Beisein Jupps nicht
mehr zu erwähnen.
HH.
Jupps Rache oder die Sache mit dem
Lederwasser
Seit der Fuchsgeschichte sann Jupp auf Rache, und er sollte sie
auch bekommen und auskosten. Wie gesagt war die Sache mit
dem Fuchs nach einigen Wochen wenigstens äußerlich beigelegt.
Jupp erschien wieder regelmäßig zu den Kegelabenden, sang
neuerlernte Lieder und erzählte mit todernstem Gesicht die un-
wahrscheinlichsten und erfundenen Dorfgeschichten. Die Kegel-
brüder lachten und glaubten dem langen Eulenspiegel kein Wort.
Das war aber nicht überall so. Montags trug Jupp die geflickten
Schuhe aus und kam dann auch regelmäßig zu meiner Mutter.
Die servierte dem Jupp einige Schnäpse und ließ sich dafür re-
gelmäßig unwahre Neuigkeiten aus dem Dorf andrehen. Jupp
erfand, wo sich ein Liebesverhältnis angebahnt hatte, daß dieses
oder jenes Mädchen die Hochzeit nun doch um einige Monate
46
vorverlegen müsse. Dabei hat der Jupp sich manchmal ein biß-
chen die Zunge verbrannt, aber das schien ihm die Sache doch
wert zu sein. Nun zurück zu Jupps Rache. An einem ersten
April schickte der Wirt H. K. seinen Lehrling zum Jupp, um
einen Eimer ”Lederwasser” zu holen. Der Lehrling, noch voll
Eifer, kannte seinen Meister noch nicht von dieser Seite und
eilte mit einem Eimer hinunter zum Schusterhause. Der Wirt
hatte erwartet, daß der Jupp nun den Lehrling, wie es in solchen
Fällen üblich war, weiterschicken würde, vielleicht sogar ins
nächste Dorf zu einem anderen Schuster. Aber Jupp hielt den
Jungen fest und sann nach. Bald hatte er seinen Plan. Er sagte
zu dem Jungen : ”Do has Jlöck, ech hann jraad noch ene Emmer
Lärwasser. Ech hol em dech !” (Du hast Glück. Ich habe gerade %
noch einen Eimer Lederwasser. Ich hole ihn dir.) Der Jupp ver-
schwand hinter dem Haus, deckte die Jauchegrube auf und
schöpfte vorsichtig den Eimer voll übelriechender Jauche, wusch
das Äußere des Eimers mit Gras ab und brachte ihn dem war-
tenden Jungen mit den Worten : ”Hej haste Lärwasser. Ech
weeß ooch, wuvör der Meester dat bruut. Wenn de eje Backes
kömst, da schöttste der janze Emmer sofort över der Voßboom,
en da schrubbste sofort feste met der Bässem dörch het janze
Backes. Da wätste siehe, wie dat blinkt !” (Hier hast du Leder-
wasser. Ich weiß auch, wofür der Meister das braucht. Wenn du
in die Backstube kommst, dann schütte den ganzen Eimer sofort
über den Fußboden, und dann schrubbst du sofort feste mit dem
Besen durch die ganze Backstube. Dann wirst du sehen, wie das
blinkt.) Ob der Plan zur Ausführung gekommen ist, kann kein
Hauseter mit Sicherheit behaupten. Der Jupp behauptete es aber
und hat noch monatelang die Nase gerümpft, wenn er das Haus
des Wirts betrat.
Der Jupp und das Butterbrotpaket
Der Jupp hatte viele Freunde. Sein Freund Hari H. war aber
aus besonderem Holz geschnitzt. Hari H. war von Beruf Zwirner
und hat lange Jahre in Herbesthal bei der Firma Bailly gearbei-
tet. Hari hatte einen ungeheuer großen Bekanntenkreis. Er kannte
sozusagen fast das ganze werktätige Volk und die Schützen zwi-
schen Rhein und Maas. Hari H. war ein gutmütiger Mensch,
47
der viel lachte, dauernd sprach und auch einen Spaß vertragen
konnte. Eines Tages nun fährt Hari auf seinem Renner, einem
alten Fahrrad mit Rennerlenkstange nach Hergenrath zur Bahn.
Jupp steckt seinen mageren Kopf durch das kleine Fenster und
ruft : ”Hari, haste Spieeschicht ?” (Hari, hast du Spätschicht ?)
Weiterfahrend wendet sich der Hari um und antwortet : ”Jo, mä
ech han jeng Ziet, ech benn now at ze spiee !” (Ja, aber ich
habe keine Zeit, ich bin jetzt schon zu spät !) Ungern läßt Jupp
seinen Freund ziehen. Wenige Minuten später radelt in Eile ein
kleiner Neffe des Hari heran. Jupps Kopf fährt aus dem Fenster
wie die Spinne aus der Netzecke. ”Männche, haste et illich ?”
(Kleiner, hast du es eilig ?) ruft Jupp dem Jungen zu. Dieser
bremst, daß das Rad kreischt und die Steine fliegen und sagt
atemlos : ”Der Nonk Hari hat de Botteramme verjaiße, Di moß
ech heem hole.” (Onkel Hari hat die Butterbrote vergessen. Die
muß ich daheim holen.) Jupp schaltet blitzschnell. Er ruft hin-
unter : ”Waat, di hat der Nonk Hari hej verjaiße. Ech breng se
dech eraaf” (Warte, die hat der Onkel Hari hier vergessen. Ich
bring sie dir hinunter.) Am Morgen hat Jupp eine Ratte gefangen.
Er wickelt das tote Tier fein säuberlich in Butterbrotpapier und
bringt dem wartenden Jungen das Päckchen. Der wetzt los und
erreicht den Onkel Hari noch gerade an der Sperre in Hergen-
rath. Sei es nun, daß das Paket sehr dem Original gleicht, oder
gibt der Hari schon wieder eine pausenlose Rede von sich, je-
denfalls steckt er das Paket achtlos in die Tasche. Als man sich
in den Abendstunden in Herbesthal in der Fabrik während der
Werkpause zum Essen niedersetzt, erscheint der Hari natürlich
wieder als Letzter am Kaffeetisch, denn er hat im Waschraum
einem Arbeitskollegen noch eine lange Geschichte erzählt. Alles
kaut bereits, als Hari sich, immer weiter erzählend, niederläßt,
sich die Tasse füllt und sein Paket aufrollt. Es wird erzählt, daß
die Mahlzeit an diesem Tage rasch beendet war. Nur einige Un-
entwegte haben weitergekaut und je nach Temperament ge-
schimpft oder gelacht. Am nächsten Tag soll der Jupp während
der Mittagszeit Fenster und Tür verschlossen haben, bis der Hari
vorbeigeradelt war.
HH.
48
Die Ballade vom Fraubasenbaum
von Peter Emontspohl
Uralte Esche, der Äste drei,
steht einsam am Kreuzweg auf Rote-Wei. -
Aus Eisen ein Kreuz am Stamme sich schmiegt ;
auf schwankendem Zweig eine Krähe sich wiegt.
Die Äste, sie greifen wie klagend im Raum ;
unheimlich droht der Fraubasenbaum.
Einst kamen drei Basen vom Kirchgang nach Haus,
die hatten am Baum ihr Gespräch noch nicht aus,
und statt, wie es schicklich, nach Hause zu gehn,
sie blieben noch redend am Kreuzweg hier stehn. *
Drei Äste, die drohten gespenstisch im Raum ;
unheimlich rauscht der Fraubasenbaum.
Sie redeten häßlich, sie redeten lang
und hörten nicht einmal der Glocke Klang,
den Engel des Herrn, der zum Mittagstisch rief,
denn ihr Gespräch, das war viel zu tief.
Die Zungen, die waren zu gut heut geschmiert ;
es hat sich auch keine beim Reden geziert.
Schon hatten sie lieblos mit Mißgunst bedacht
der Mitmenschen viel, da wurde es Nacht.
Es bannte die drei ein böser Traum,
und Dämmer umwob den Fraubasenbaum.
Sie sahen im Tale die Nebel sich drehn ;
sie wollten enteilen und blieben doch stehn,
und plötzlich erschien eine Knochenhand ;
sie standen erstarrt und waren gebannt.
Was wispelt und knispelt im Haselstrauch ?
Was röchelt und stöhnt wie Gespensterhauch ?
Was rasselt und prasselt wie Kettengeklirr ?
Gequollene Augen, die starren wie irr.
Das ist die unselige Hexe Marei -
erst Folter, dann Flamme, dann Todesschrei.
So starb sie vor mehr als vierhundert Jahr,
die schön wie sonst keine im Dorfe war.
Am Pfade entlang zuckt ein feuriger Saum.
Schwarz hockt schon die Nacht im Fraubasenbaum.
49
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Nun reckt sich und streckt sich die knöcherne Hand,
und näher und drohender züngelt der Brand,
vom strafenden Feuer ein Widerschein.
Wann geht ihre Seele zur Ruhe ein?
Nun greift es nach ihnen, will fassen sie gleich,
hinunter sie ziehn in das höllische Reich.
”Daß Gott sich erbarm !” schreit auf ihre Not.
Sind sie noch am Leben, oder sind sie schon tot ?
”’s ist eins,” so kündet die Glocke mit Macht,
und jählings entschwinden die Geister der Nacht.
Zerstoben sind Not und gespenstischer Traum.
Unheimlich war’s am Fraubasenbaum.
1) Am ”Vrowaseboom” auf ”Rote Weide” in Raeren soll es
nach einer alten Überlieferung früher gespukt haben.
Am dritten Juli 1536 wurde ”Maroy van den Raeren” als Hexe
gefangengenommen. Nach dreimaliger Folterung starb die Be-
klagenswerte am 25. Oktober im Gefängnis zu Limburg (H.
Wirtz, Eupener Land, S. 23).
So
Träumerei
von Gerard TATAS
Ich saß den halben Tag schon wieder
Mit einer stillen Traurigkeit
Am Fenstertisch in deiner Schenke,
Wie, ach, so oft in jener Zeit.
Und wie an all den andern Tagen
Ging’s mit banalen Späßen zu.
Die Gäste tranken Bier und lachten -
Im Mittelpunkte standest du.
Ich saß bei diesen Tändeleien
Still abgewandt und ernst zurück.
Doch manchmal sucht’ich deine Augen
Und wartete auf deinen Blick.
Ich mußte mir’s wohl eingestehen :
Das alles hatte keinen Zweck.
Ich fühlte Mitleid mit mir selber
Und - blieb - und konnte doch nicht weg.
Allmählich wurde es nun stiller,
Noch hier und da ein lautes Wort,
Du trugst die Gläser von den Tischen,
Die letzten Gäste gingen fort ...
Ich war allein mit dir geblieben.
Die Sonne schickte noch einmal
Um Abschied von uns zwei zu nehmen
Ins Zimmer einen schwachen Strahl.
Du gingest schweigend zu dem Flügel,
Und wie auf Schwingen leicht und frei
Sich von der schweren Erde lösend
Ertönte Schumanns Träumerei.
Das Abendlicht wob um die Haare
Dir einen gold’nen Heil’genschein.
O Gott! - so sprach’s in meiner Seele -
Das muß dein schönster Engel sein !
Die Töne tropften warm und leise
Wie Sehnsuchtstränen in den Raum ...
Ich stand und konnte mich nicht rühren,
Trank glücklich zitternd diesen Traum.
Ein tief aufseufzendes Crescendo! ...
Erwachend kehrte nun dein Blick
Aus fernen Träumen, wo er weilte
Und sich verlor, auf mich zurück.
51
Da konnt’ ich mich nicht länger halten,
Und aufgelöst in sel’gem Schmerz
Stürzt’ ich mich selbst und all’s vergessend
Vor Sehnsucht weinend an dein Herz.
Du strichest sanft die wirren Haare
Mir aus dem glühenden Gesicht
Und sprachst ganz leise : ”Armer Junge,
Es kann nicht werden, quäl’ uns nicht!” -
In diesem kurzen Augenblicke
Der ersten, einz’gen Zärtlichkeit
Durchdrangen plötzlich laute Stimmen
Die träumerische Dunkelheit.
Und späte Gäste stürmten lärmend
Und halb betrunken noch herein,
Sie luden dich an ihren Tischen
Zu Bier und plumpen Späßen ein.
Du hattest schnell mich abgewiesen,
Um zu den andern hinzugehn,
Und eßest mich auch diesmal wieder
Wie, ach, so oft schon abseits stehn.
Die Lampen wurden angezündet ;
Ein helles Licht floß durch das Haus
Und löschte jäh die Träumereien
Der stillen Dämmerstunde aus.
Ich stand noch eine ganze Weile
Mit einer stillen Wehmut da,
Indes ich alle meine Liebe
Umsonst an dich verschwendet sah.
Dann endlich nahm ich Hut und Mantel,
Der Traum war aus, ich mußte gehn,
Und wußte in dem Augenblicke :
Ich würd’ dich niemals wiedersehn !
Es folgten Tage, folgten Wochen,
Wo bitt’re Tränen ich geweint,
Und wo an dieser Werther-Liebe
Ich oft zu sterben hab’ gemeint.
Das war vor vielen, vielen Jahren,
Und als ich jüngst beim Abendschein
Die Stelle las im Tagebuche,
Da schlief ich leise drüber ein ...
52
Volkslieder - Bänkelgesang - Balladen
von J. Franck
Wer kennt in unserer Heimat noch die alten Weisen mit
oft unverständlichem Text, wie unsere Vorfahren ihn sangen ?
”Nur wenige”, stellte man bereits vor einem halben Jahrhundert
in der Presse fest. Früher sang der Bauer hinter dem Pfluge, die
Magd oder der Landarbeiter bei der Haus- und Hofarbeit. Die
heimkehrenden Schnitter und selbst Fabrikarbeiterinnen ließen
nach getaner Arbeit ein frohes Lied erklingen. Man hörte gerne
zu und war zum Mitsingen bereit. Wir Kinder lauschten auf,
spitzten die Ohren und lernten so allmählich die überlieferten .
Texte und Melodien.
Die Zeit, wo am Abend vor der Haustüre gemeinsam ge-
plaudert und gelegentlich ein Rundgesang angestimmt wurde,
scheint selbst auf dem platten Lande vorbei zu sein. Im Zeitalter
der Technik, Automatisierung und Rationalisierung hat man
keine Muße mehr für eine romantische Abendstunde mit golde-
ner Abendsonne oder Heimatglockenklang bei Sternenaufgang.
Rundfunk und Bildschirm sind bis in die kleinste Hütte des’ Eife-
ler Bergbauern vorgedrungen und beherrschen den Feierabend.
”Farbfernsehen in der Bretterbude ist der Weg zum höheren Le-
bensanstieg”, so kommentierte kürzlich ein Reporter im Fern-
sehen die Situation.
Und doch gibt es noch rühmliche Ausnahmen, die der Tra-
dition treu geblieben sind und altes Brauchtum pflegen und gerade
deswegen lebensnah bleiben, um der Jugend beim Reformieren zu
helfen. Die Texte der meisten früheren Volkslieder, an die hier ge-
dacht ist, waren tiefinnerst im Wesen der Heimat vergraben und
wurden daher auch von keinem besser verstanden als den soge-
nannten Einheimischen. Jahrelang wurde oft ein Lied nicht mehr
gehört und schien vergessen. Plötzlich tauchte die Melodie wieder
auf und wurde mit Begeisterung, manchesmal mit abgewandeltem
Text gesungen : ein Beweis dafür, wie tief die Melodie doch im
Volke verwurzelt war.
Ein humoristisches Beispiel : erinnern wir uns nur an den
lärmenden, fast jedem bekannten Rundgesang des kürzlich ver-
storbenen blinden volkstümlichen Dichters und Komponisten
Tony Hämmerle ”Humba täterä”, der seit einigen Jahren um die
83
ganze Welt geht. Das Lied gefiel so gut, daß zahlreiche Nationen
es zu ihrem Lied machten ohne Rücksicht auf seine Herkunft.
In Wirklichkeit war es nichts anderes als ein in Mainz wiederge-
fundenes schon vier Jahrzehnte altes Lagerlied früherer Pfadfin-
dergruppen (NRZ).
Was ist nun aber ein richtiges Volkslied in dem von uns
verstandenen Sinne ? ”Volkslied ist jedes Lied, das im Volke
lebt”, sagt Schmidt Görg in seinem Buche ”Das Rheinische
Volkslied” (Düsseldorf, 1934). Meist sind die Verfasser und
Komponisten unbekannt. Viele finden wir in den Reihen der
Fahrenden. (John Meier, ”Das Volkslied”, Bd. I, S. 19, Leipzig
1935)
Ausgenommen sollen hier sein Kunstlieder der weiteren
Heimat, d.h. Lieder, die ein Dichter in besonderer künstlerischer
Absicht geschaffen hat. Man muß nicht unbedingt berufsmäßiger
Dichter sein, um ein Volkslied in unserem Sinne zu schaffen.
Fähig dazu ist jedoch nur der, der im Innersten mit der Heimat
verbunden ist Und Talent hat, Verse zu schmieden. Das bewies
z. B. der Rentei-Sekretär Heinr. Dippel aus Limburg,
dessen Ballade ”Es liegt eine Krone im tiefen Rhein” sich bis
auf den heutigen Tag erhalten hat und in weinseligen Stunden
mit Begeisterung gesungen wird, besonders in der darin erwähn-
ten ”Krönungsstadt”” Aachen.
Auf Anhieb und spontan in einem Zuge wurde die studen-
tische Aachen-Hymne ”Aachen freier Musensöhne” von Prof.
W. Hermanns anno 1907 niedergeschrieben (A.Z. 20.4.57).
Sie fehlt heute in keinem Aachener Studentenliederbuch.
Volksdichter der von uns gedachten Art sind bescheiden und
spielen sich selten in den Vordergrund. Sie treten kaum in Er-
scheinung und werden über der Hauptsache, nämlich dem Lied,
oft vergessen. Fragt man z. B. einen Aachener, wer die ”Oecher
Hymne”, ”Für sönd allemole Oecher Jonge”, gedichtet oder kom-
poniert hat, so wird man erstaunt sein, wie wenige die richtige
Antwort darauf finden. Es ist eben ein typisches Heimatlied ge-
worden, und dem Volk ist es gleichgültig, wer es verfaßt hat;
es gefällt ihm eben besonders. Da das Volk mit dem Volkslied
oft willkürlich verfährt, sind Varianten im Text und in der Me-
lodie nicht selten.
54
Der erste bedeutende wegweisende Dichter im ”Oecher
Dütsch” war Ferdinand Jansen. (Siehe Prof. Eduard Arens, auf
Grund des ungedruckten Nachlasses, in ”Blätter für Heimatge-
schichte-Volkssprache, Sept.-Okt. 1923 und ”Eine Jahrhundert-
erinnerung” von Heinr. Schiffers in der Monatszeitschrift für
Aachener Mundart und Volkskunde, März 1921, Heft 6, S. 62,
nebst Foto, sowie Gedichtsammlung Ferd. Jansen 1815).
Der Bänkelsang, der lange Zeit verschwunden und
auf Jahrmärkten hier nur noch selten anzutreffen ist, scheint
wieder aufzuleben. Da er stets aktuell ist, bedient sich heute
sogar der kabarettistische Unterhalter seiner, um bedeutsame
Zeitereignisse als Straßensänger zu glossieren oder übermütig zu .
kritisieren. Oft wird irgendwelchen bekannten Drehorgelmotiven
ein launiger Text unterlegt und die Abendveranstaltung ist geret-
tet.
Parodien auf bekannte klassische Balladen, die als besondere
Fundgrube volkstümlicher Aachener Ereignisse mit heimatkund-
lich besonderem Wert angesehen werden können, sind enthalten
in neueren und älteren Bänden Aachener Mundartdichtung, wie
z.B. ”Gedichte in Aachener Mundart” v. Dr. Jos. Müller (bei
Z. A. Mayer, 1840) und ”Heäße Quelle” (Vlg. A. Jacobi, 1909),
die im Handel wahrscheinlich kaum noch aufzutreiben sind. Er-
wähnt seien besonders :
Der Ring der Fastrada, v. W. Hermanns, Blätter für Aache-
ner Geschichte, I. Jg. N° 4, S. 17
Der verzauberte Ring der Fastrada, v. J. Müller, Blätter für
Aachener Geschichte, 1. Jg., N°5, S. 21
Et Mignon va Volls, v. L. Frohn, frei nach Goethe, Eigen-
archiv
Alaf de Sankel, v. Simeon, frei nach Hoffmann v. Fallers-
leben, Eigenarchiv
Der Ring des Fulle Jrades, v. Kuhwald, frei nach Schillers
”Ring des Polykrates”, Eigenarchiv
Laache Ness, v. Ch. Beaucamp, frei nach Horaz’ ”Integer
Vite”, Eigenarchiv
Der Taucher, v. E. Neujean, frei nach Schiller, Öcher
Laachduvve, 1925, S. 85
55
Et Bahkauf, v. F. Müller, frei nach Goethes ”Erlkönig”,
Öcher Laachduvve 1925, S. 23
Der Hänsch, v. F. Driessen, frei nach Schillers ”Handschuh”
Öcher Laachduvve 1925, S. 150
De Börgschaff, v. E. Neujean, frei nach Schillers ”Bürg-
schaft”, Öcher Laachduvve 1925, S. 87
Der Klockgoß van Oche, v. W. Hermanns, Heäße Quelle,
1932,85. 117
Roland, v. L. Frohn, 1914, Eigenarchiv
Am 22. 10. 58 feierte man Winand Esser als einen
Sänger, der das Oecher Platt aus dem engen Kreis seiner Freunde
nach draußen in die Gesellschaft gebracht und sogar durch seinen
Gesang jenseits der Grenzen bekannt und beliebt gemacht habe.
In diesem Zusammenhange dürfe man auch den Namen des
Komponisten dieser echten und wahren Volkslieder im besten
Sinne des Wortes nicht vergessen, des vor einigen Jahren ver-
storbenen Rektors Zimmermann, der diesen Kindern der Aache-
ner Mundart wie kein zweiter den echten, rechten, schlichten
oder auch bunten Naturklang gab. (A.N. 23.10.58)
Neuerscheinung über Cesar Franck
von J. Franck
Im Verlag Hans Schneider in Tutzing ist im März vergan-
genen Jahres eine 2., ergänzte, 345 Seiten umfassende Auflage
erschienen über den international bekannten Komponisten Cesar
Franck und zwar von dem deutschen Musikforscher und Präsi-
denten der Hans Pfitzner-Gesellschaft e. V., Dr. Wilhelm Mohr
aus Falkenstein im Taunus. Er ist als führender Spezialist und
Mitarbeiter an der Allgemeinen Enzyklopädie der Tonkunst und
ihrer Grenzgebiete (Bärenreiter Verlag, Kassel, 1955) bekannt.
Dr. Mohr bemüht sich, den inzwischen gewonnenen neuen Er-
kenntnissen in der Musikgeschichte, u.a. dem neuen Grand La-
rousse encyclopedique 1962, den Werken Leon Vallas : La veri-
table histoire de Cesar Franck (Flammarion, Paris, 1955) und
56
Jean Gallois : Franck (Edition du Seuil, Paris, 1966) Rechnung
zu tragen. Den Verehrern der Kunst C6sar Francks wird eine
ausführliche Lebens- und Werksbeschreibung geboten, die u.a.
um ein aufschlußreiches Thematisches Werkverzeichnis von 120
Seiten bereichert ist. Erfreulich sachlich und eindringlich sind
alle Betrachtungen, die aus einem wirklichen Erleben der Wer-
ke erwachsen ; auch dem musiktheoretisch nicht vorgebildeten
Leser vermitteln sie einen lebendigen Eindruck von der Schön-
heit und Größe der Musik Cesar Francks, soweit Worte dies über-
haupt vermögen. Neue vervollständigte Zeittafeln über Lebens-
daten und Vorfahren, Verzeichnisse über deutschsprachiges und
fremdsprachiges Schrifttum sowie ein Schallplattenverzeichnis
runden das bedeutende Werk ab. Die für viele Bewohner des N
Dreiländerecks besonders im napoleonischen Zeitalter und später
zum Problem gewordenen Grenzänderungen und die damit ver-
bundenen zwangsläufigen Wechsel in der Staatsangehörigkeit ha-
ben naturgemäß die Forschungen bes. der Abstammung nicht
vereinfacht.
Wir können dem Verfasser nur herzlich dankbar sein, daß
er in jahrelanger Arbeit das wertvolle neue Material, das lang-
wieriger Nachforschungen unter erschwerten Nachkriegsverhält-
nissen bedurfte, mühevoll zusammengetragen und in aufopfern-
der Weise der Allgemeinheit zugänglich gemacht hat. C. Franck,
der viele Nachfolger gefunden hat, steht ganz besonders reprä-
sentativ für die Eigenart des Menschen in unserem Raum. In
seinem geistig seelischen Gesamtbilde, so sagte der verstorbene
Domkapellmeister Prof. Theodor Rehmann 1950 im Aachener
Illustrierten Wissenschaftsspiegel über Aachen als Musikstadt,
vereint er das niederfränkische Element in künstlerischer Syn-
these mit dem prickelnden Witz wallonischer Art und mit fran-
zösischer Eleganz.
57
In Memoriam
Am 8. Oktober 1969 verstarb in Berlin an den Folgen eines
schweren Kriegsleidens ein großer Sohn unserer Heimat und
Mitglied unserer Vereinigung,
Herr Professor Dr. Emil Dovifat
im Alter von beinahe 79 Jahren.
Professor Dr. Emil Dovifat war der Sohn von Apotheker
Dovifat, der 1895 mit Sanitätsrat Dr. Molly und mehreren ande-
ren Herren eine selbständige Postanstalt mit eigenen Briefmar-
ken im ehemaligen neutralen Kelmis errichtete.
Obgleich Professor Dr. Emil Dovifat schon als Kind aus
Kelmis fortzog, hielt er bis ins hohe Alter manche Begebenheit
aus frühen Kinderjahren in seinem Geburtshaus - der heutigen
Apotheke Cornely - in guter Erinnerung. Besonders eng war er
jedoch mit Malmedy verbunden, wo er auf dem großelterlichen
Bauernhof, im Ortsteil Preaix, unvergeßliche Ferien bei seinen
Verwandten wallonischen Ursprungs verlebte.
Nach dem ersten Weltkriege richtete Emil Dovifat an der
Humboldt-Universität in Berlin einen Lehrstuhl für Publizistik
ein. 1948 gehörte er zu den Gründern der Freien Universität
Berlin.
Prof. Dr. Emil Dovifat war vielbeachteter Zeitungswissen-
schaftler ; seine Lehre von den publizistischen Mitteln und ihrer
Wirkung hat zwei Generationen von Journalisten geformt. Er
war jedoch nicht nur ein Wissenschaftler von hohen Graden,
sondern auch ein aufrechter Katholik und gütiger Mensch. Wer
das Glück hatte, diesem großen alten Mann der Presse zu begeg-
nen, der wird seine gewinnende Herzlichkeit, seine menschliche
Wärme und seinen unerschütterlichen Idealismus nie vergessen.
58
«Sein Leben war die Musik.»
In Memoriam Willy Huppermann
von Heinz Errenst
”Sein Leben war die Musik.” Dieser Satz stand auf dem
Totenzettel von Willy Huppermann, dem bekannten Kelmiser
Komponisten, der am 18. Januar vergangenen Jahres im Katha-
rinenstift in Astenet von dieser Welt schied.
Willy Huppermann war als ältestes Kind einer kinderreichen
Familie von neun Kindern am 24. August 1890 in Neutral-Mo-
resnet geboren. Sein Vater hatte zeitlebens den Beruf eines
Bergmanns auf der Grube Schmalgraf ausgeübt. Von seinem A
Vater erbte Willy Huppermann die Liebe zur Musik, denn sein
Vater war ebenfalls Musiker und spielte gerne zu Kirmes oder
sonstigen Festlichkeiten in seiner Gastwirtschaft, die er nebenbei
betrieb, zum Tanz auf. Was lag da näher, als daß Willy Hupper-
mann als kaum neunjähriger Schüler bei einem damals sehr be-
kannten Musiklehrer, Herrn Johann Pauly aus Kelmis, seine Mu-
sikstudien begann? Zunächst lernte er Geige und später Trompete.
Mit 15 Jahren trat er als Trompeter der damaligen Bergwerks-
kapelle bei.
Noch nicht ganz der Schule entwachsen, musizierte er zu-
sammen mit seinem Vater auf Veranstaltungen und trug so zum
Unterhalt der großen Familie bei. Dem in Kelmis lebenden Alt-
meister des Humors, Nades - L. Kohl, war er in dieser Zeit oft
ein Begleiter für seine Couplets auf Hochzeiten und anderen
Festlichkeiten.
Im Jahre 1908 begann Willy Huppermann seinen Militär-
dienst im 12. Linienregiment und wurde nach bestandener Prü-
fung in die Regimentskapelle als Trompeter aufgenommen. Als
junger Militärmusiker hörte Willy Huppermann am Konserva-
torium zu Lüttich einige Jahre Abendkurse und machte seine
Lizenz in Harmonie. Kurz vor Beginn des ersten Weltkrieges
begann er zu komponieren. Viele seiner Kompositionen sind in
der Zeit des Krieges entstanden, so auch 1916 sein bekanntester
Marsch ”Merkem”. Diese Komposition war auch sein Lieblings-
werk, weil Willy Huppermann in Verbindung mit diesem Marsch
etwas Besonderes erlebte. Dem Verfasser dieser Zeilen hat er
dieses Erlebnis mehrere Male erzählt.
so
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In La Panne lag die Regimentskapelle des 12. Linienregi-
ments. Der Marsch ”Merkem” war auf der Probe durchgenom-
men worden. Nach der Probe saß Willy Huppermann auf der
Bude und putzte sein Schuhzeug. Eine Ordonnanz erschien und
forderte den jungen Musiker auf, sich zur königlichen Villa zu
begeben. Willy Huppermann machte sich schnell zurecht, folgte
der Ordonnanz und wurde von Königin Elisabeth empfangen.
Die Königin, als große Musikliebhaberin bekannt, hatte die Probe
und somit auch den Marsch ”Merkem”” gehört und wollte den
Komponisten dieses Marsches kennen lernen. Bei einer Tasse
Tee unterhielt sich die Königin in ihrer mütterlichen Art mit
dem jungen Komponisten, der bei dieser Gelegenheit darüber
klagte, daß er und andere Soldaten, die damals der französischen
Sprache nicht ganz mächtig waren, des öfteren als ”boche” be-
schimpft wurden. Nach einem Versprechen Ihrer Majestät, für
Abhilfe zu sorgen, wurde es tatsächlich für die aus unserer Ge-
gend stammenden Soldaten besser. Daß dieses Erlebnis bei dem
schlichten Bergmannssohn einen tiefen Eindruck hinterließ, sei
nur am Rande vermerkt.
Willy Huppermann kam mit hohen Auszeichnungen aus dem
unseligen Völkerringen zurück.
60
Im Jahre 1920 schloß er mit Fräulein Yvonne Denil aus
Lüttich den Bund fürs Leben. Aus dieser Ehe entsproß eine
Tochter, Marie-Louise, die genau wie ihr Vater die Musik zum
Beruf wählte. Als Inhaberin des ”Prix-Marie” der Stadt Lüttich
war sie als Musiklehrerin am Lütticher Konservatorium und an
den staatlichen Mittelschulen von Kelmis und Bleyberg tätig. Den
frühen Tod seiner einzigen Tochter im Jahre 1952 hat er nie
ganz verwunden.
Zwischen den beiden Kriegen und nach dem letzten Krieg
setzte er seine Tätigkeit als Komponist fort. Er komponierte Mär-
sche, Konzertstücke, Ouvertüren und Tanzmusik. Viele Werke
großer Komponisten arrangierte er für Blasmusik. Viele Stücke Ö
komponierte er mit seinem Freund Jourquin zusammen, den er
aus seiner Militärdienstzeit kannte. Auch zu den Texten mancher
unserer Heimatdichter schuf er die passenden Melodien. Es mö-
gen einige hundert Werke sein, die Willy Huppermann geschaf-
fen hat.
Im Jahre 1945 wurde er zum Dirigenten der Kgl. Harmonie
Gemmenich berufen, deren Leitung er erst einige Jahre vor sei-
nem Tode niederlegte. Unter seinem Taktstock führte er diese
Harmonie bis zur Division Excellence. Von März 1946 bis Mai
1950 dirigierte er ebenfalls den Cercle Musical von Kelmis, an
dessen Aufbau er maßgebend beteiligt war.
Einige Jahre, nachdem er den Taktstock hingelegt hatte, um
in den wohlverdienten Ruhestand zu treten, und ein Jahr nach
dem Tode seiner Gattin schloß Willy Huppermann in Astenet,
wo er die letzten Monate seines Lebens verbrachte, für immer
die Augen.
Das kulturelle Leben unserer Heimat hat er durch seine
unermüdliche Arbeit bereichert. Und wenn heute im In- und Aus-
land die Märsche ”Merkem”, ”Jubilaire”, ”Entente”, ”Apollon”
usw. erklingen, weiß man zwar, daß Willy Huppermann nicht
mehr unter uns weilt, daß aber seine Musik weiterlebt.
61
Tätigkeitsbericht 1969
von Gerard Tatas
Im vorjährigen Tätigkeitsbericht ist bereits der auf der Ge-
neralversammlung vom 29. November 1968 gefaßte Beschluß
zur Einführung von Quartalversammlungen des Verwaltungs-
rates erwähnt worden. Die erste dieser Versammlungen, die einen
ständigeren Kontakt und eine kollektivere Arbeitsweise erzielen
und alle drei Monate, jeweils am ersten Dienstag des Monats
abgehalten werden sollen, fand am 7. Januar abends im Hotel
Waldburg in Hergenrath statt. Unter dem Vorsitz des neuen
Präsidenten Peter Zimmer wurde der provisorische Veranstal-
tungskalender für 1969 aufgestellt. Die Anwesenden, Pfarrer
Olbertz, Frl. Xhonneux und die Herren Zimmer, Wintgens, Dr.
Aldenhoff, Bertha, Steinbeck, Tatas, Demonthy, Pavonet und
Bgm. Heutz vernahmen sodann einen kurzen Bericht über die
Unterredung der Delegierten der Vereinigung mit der Regierungs-
kommission in Eupen. Hauptergebnis : Subsidien für die Zeit-
schrift ”Im Göhltal” sollen künftig nicht nur, wie bisher, bei
Defizit erhältlich sein.
Die erste öffentliche Veranstaltung zeigte ”das Göhltal im
Bild”. Unser Mitglied Alfred Janssen hielt am 29. März im Kul-
turzentrum der Patronage zu Kelmis einen interessanten Licht-
bildervortrag mit eigenen Aufnahmen, der viel Sehens- und Wis-
senswertes aus dem Göhltal mittels Licht, Farbe und gesproche-
nem Wort den rund 55 Besuchern vermittelte.
Am 1. April fanden sich Pfarrer Olbertz, Frl. Xhonneux,
sowie die Herren Zimmer, Wintgens, Dr. Aldenhoff, Bertha,
Steinbeck, Tatas, Demonthy, Heutz und Kulturinspektor Pauquet
in der Parkvilla zu Kelmis zur zweiten Quartalversammlung ein.
Hier wurden fällig gewordene Abänderungen der Veranstaltungs-
termine vorgenommen, über die Herausgabe eines Buches über
die Schymper-Burg von Dr. J. Belonje und über den Vorschlag
des Präsidenten des Eupener Geschichtsvereins diskutiert, der
die Auswahl von drei Themen für gemeinsame Publikationen der
drei Geschichtsvereine zum Gegenstand hatte. Auch wurde der
Rücktritt des Diözesaninspektors Brüll und des Herrn Brandt
und ferner die Subsidiengewährung von 2.000 Fr. durch das
Kulturministerium zur Kenntnis genommen.
Dem interessanten Lichtbildervortrag über Kreta durch Do-
62
zent Toni Hackens wohnten am 17, April im Pfarrsaal von Her-
genrath viele Interessenten bei; unter den Ehrengästen befand
sich Professor Hardy, den der Redner als seinen Lehrmeıster
bezeichnete.
Unsere Vereinigung beteiligte sich auch an der Organisation
der großen internationalen Ausstellung des Bergmannsvereins
St. Leonard, welche unter dem Titel ”Bergbau im Land ohne
Grenzen” vom 9, bis 19. Mai im Schützenlokal zu Kelmis durch
seine Fülle an hochinteressantem Material einen großen Erfolg
verbuchen konnte.
Auf der dritten Quartalversammlung am 1. Juli in der Park-
villa besprachen Frl. Xhonneux und die Herren Zimmer, Wint- ‘
gens, Bertha, Dr. Aldenhoff, Tatas, Demonthy, Esser,Heutz, Kul-
turinspektor Pauquet verlagstechnische Fragen ; sie erhielten Be-
richt über positive Antwort des Erstministers auf die (am 8. März)
schriftlich eingereichte Bitte um Berücksichtigung unserer sprach-
lichen Lage und Ausdehnung der Kompetenzen des zukünftigen
deutschsprachigen Kulturrates auf das gesamte Göhlgebiet und
verfaßten auf Initiative des Herrn Pauquet ein Schreiben an das
Ministerium für Öffentliche Arbeiten (Dienststelle für allgemeine
Landesplanungspolitik), mit dem Gesuch, das Gebiet an der
Neu-Moresneter-Hergenrather Grenze (wegen der Bodenbeschaf-
fenheit, die das Wachstum von Galmeipflanzen ermöglicht) bei
der Festlegung des Sektorenplanes als Naturreservat in die zu
schützende Zone einzubeziehen. Gleicherweise wurde darum ge-
beten, daß der jetzige Zustand der geschichtlichen Gebäude in
Moresnet und des Gemeindeplatzes mit umliegenden Gebäuden
in Montzen erhalten bleibt.
Für die im Juli herausgegebene Nummer 5 der Zeitschrift
”Im Göhltal” zeichnet zum erstenmal der neue Schriftleiter Dr.
Aldenhoff verantwortlich. Das Heft ist durch die neue Eintei-
lung - Wissenschaftliches, Kulturelles, Dichtung und Wahrheit,
Personalia und Verschiedenes - übersichtlich geordnet und ent-
hält ein kurzes aber das Wesentliche unseres Kulturstandes tref-
fendes Vorwort des Schriftleiters.
Unter der Führung von Kulturinspektor Pauquet unternahm
eine interessierte Gruppe am 10. August eine Besichtigung der
Burgen Beusdael, Streversdorp, Broich und Bempt. Während man
in Streversdorp ein altes Kulturzeugnis unserer Gegend, den be-
63
kannten bunten Söller, besuchen konnte, wurde der kleinen Grup-
pe in den Schlössern Broich und Bempt ein freundlicher Emp-
fang durch die Besitzer zuteil. Die Innneneinrichtungen konnten
besichtigt werden und der junge Baron von Broich führte die
Besucher in die Geschichte der Burg und seiner Ahnen ein.
Zum kleinen Mekka der Musensöhne aus dem Göhltal wur-
de Hauset wieder bei dem schon zur Tradition gewordenen Un-
terhaltungsabend am 22. August im Saale Gatz. Erfolgreiche Mit-
wirkende waren die Kgl. Harmonie von Gemmenich unter der
Leitung von Alfred Brauwers (die einen wahren Triumph feierte),
die bekannten Heimatdichter Bindels, Heutz, Tatas, die Sänge-
rin Frau Werrmeester-Strauff, der Tenor Franz Straet, der Tanz-
musikkomponist Peter Pauly und der Komiker Nades, Die Ver-
anstaltung stand unter der Schirmherrschaft der Gemeindeverwal-
tung von Hauset,
Zwecks dringender Stellungnahme zu der Gesetzvorlage von
sechs Volksunie-Senatoren (nach der ein Teil des Göhltalgebie-
tes mit Ostbelgien eine neue Provinz bilden soll, während fünf
andere Göhltalgemeinden (u.a. Moresnet, Gemmenich, Sippe-
naeken) der Provinz Limburg einverleibt werden sollen) wurde
die vierte Quartalversammlung um einige Wochen vorverlegt, so-
daß sie bereits am 12. September in der Parkvilla stattfand.
Nach der vom Verwaltungsrat gefaßten Resolution ging ein Pro-
testschreiben an die Präsidenten der Abgeordnetenkammer und
des Senats und auch an den Vorsitzenden der Volksunie ab. Der
Text dieses Briefes - sowie der anderen erwähnten Schreiben -
kann von allen Mitgliedern und Interessierten beim Vorstand
eingesehen und auf Wunsch veröffentlicht werden. Auf dieser
Versammlung erstattete der Vorsitzende Peter Zimmer auch Be-
richt über die am gleichen Tage abgehaltene Besprechung der
drei Geschichtsvereine mit verschiedenen Leitern des belgischen
Hör- und Fernsehfunks. Fazit dieser Besprechung : Unserer Ver-
einigung soll einmal im Monat am dritten Montag das Mikro-
phon für eine Fünfminutensendung im deutschsprachigen Rund-
funk überlassen werden.
Bei der Fünfzigjahrfeier von Kelmis am 21. September wirkte
unsere Vereinigung mit durch Ausschmückung der Schaufenster,
Druck eines Flugblattes mit Kelmiser Freimarken und Teilnahme
am Festzug (Kutsche Dr. Molly).
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Am 12. Oktober wiederholte Herr Janssen seinen Lichtbil-
dervortrag ”Das Göhltal im Bild” im Saale Volders in Moresnet-
Kapelle. 70 Zuschauer waren auch hier von den guten Aufnah-
men und dem gut fundierten Kommentar begeistert.
In der ersten Monatsrundfunksendung am 27. Oktober las
Joseph Bindels eigene Gedichte, nachdem der Vorsitzende in
einleitenden Worten über das Gesamtwirken der Vereinigung ge-
sprochen hatte.
Hatte unsere Vereinigung am vorigen Jahresende den Maler
Jongen mit einer Ausstellung der Öffentlichkeit vorgestellt, so
präsentierte sie vom 15. bis 23. November in der Parkvilla zu
Kelmis eine 39 Ölgemälde und 6 Zeichnungen umfassende Ga- fi
lerie des als Zeichenlehrer im College Notre-Dame von Gemme-
nich tätigen Bruders Boniver. Verschiedene Motive aus dem
Göhltal, mit zeichnerischer Akribie - wie übrigens alle Bilder -
gemalt, gaben der Schau ein heimatkulturelles Gepräge und
stempeln den aus Antwerpen gebürtigen Maler auch zum Göhl-
talkünstler.
Kaum war das Tor zu dieser Galerie geöffnet, als sich die
Vereinigung mit Kostproben heimatlicher Kunst am 16. Novem-
ber zum erstenmal in Herbesthal vorstellte. Das im Kasino aufge-
führte bunte Programm reichte vom Krätzchen (Nades) bis zur
Gedankenlyrik (G. Tatas). Frau Werrmeester und Franz Straet
sangen Operettenmelodien ; zu unseren Heimatdichtern ge-
sellte sich der Sprecher von Öcher - Platt - Dichtung, Hans
Alt, und die Studenten G. Lavalle und J. Hilligsmann
trugen Gedichte von Wintgens und Hamacher + vor. Zu Gast
weilten der Herbesthaler und der Lontzener Kirchenchor,
die sich mit dem Mandolinenensemble vom Dreiländerblick die
Aufgabe teilten, den Heimatabend zu umrahmen,. Peter Pauly
bereicherte mit einigen Liedern zur Gitarre das Programm, durch
das Siegfried Janssen als Ansager führte.
In der Radiosendung vom 24. November trugen Joseph Hil-
ligsmann und Ger. Lavalle Gedichte von Robert Hamacher +
vor. Leo Wintgens hatte die Sendung mit einer kurzen Biographie
des Dichters eingeleitet.
Ein geschichtlicher Vortrag vom Sippenaekener Philologen
Hubert Ernst über Schloß Beusdael und das Dorf Sippenaeken
wurde am 22. Dezember ausgestrahlt.
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Für die am Ende des Jahres erschienene Nummer sechs
unserer Zeitschrift waren so viele Beiträge eingegangen, daß sie
nicht alle aufgenommen werden konnten und verschiedene schon
einen Vorrat für Heft sieben bilden. Ein gutes Zeichen für die
Aktivität unserer Autoren.
Eine Gruppe jugendlicher Mitglieder unserer Vereinigung,
namentlich Hubert Bindels, Joseph Cremer, Henri Drouven,
Jose und Jean-Marie Francois, Joseph Hilligsmann und Joseph
Soiron, machte es sich zur Aufgabe, das Krippenspiel als altes
Kulturgut in unsere Heimat einzuführen. Das von G. Tatas in
seiner Eigenschaft als Provinzialberater für Laienbühnen einstu-
dierte ”Kleine Krippenspiel für die Gemeinde” von Hermann
Claudius wurde an beiden Weihnachtstagen in den Pfarrkirchen
von Sippenaeken und Hergenrath, sowie in der Kapelle von Mo-
resnet-Eichschen mit Erfolg aufgeführt. Die Kirchenchöre von
Gemmenich, Hergenrath, Moresnet und Sippenaeken beteiligten
sich an der Gestaltung dieser Krippenfeiern, die rund fünfhun-
dert Menschen im Göhltal eine schöne Weihnachtsfreude berei-
tet haben.
Kennst Du Deine Heimat ?
Zu dieser Frage brachten wir in Heft Nr. 5 drei Fotos zum
Erkennen und Erraten. Es galt, drei Wasserlaufstellen der Göhl
zu erkennen. Es sind einige Lösungsversuche eingegangen. Was
wir als Lösung erwarteten, war die genaue Bezeichnung der ab-
gebildeten Stellen des Göhllaufs. Das war aus keiner der einge-
sandten Antworten zu erkennen. Trotzdem freut es uns, daß sich
Interesse für die Fotoquizfragen zeigt. Hier die richtigen Antwor-
ten :
Bild A : Blick auf den Lauf der Göhl an der Straßenbrücke in
Kelmis in Richtung Moresnet
Bild B : Blick auf den Göhllauf ab Straßenbrücke in Moresnet
Richtung Burg Schimper
Bild C : Blick auf den Göhllauf ab Straßenbrücke an der Straße
von Bleyberg nach Sippenaeken in Richtung Sippe-
naeken.
Und nun zu neuen Quizaufgaben !
Inha!tsverzeichnis
Geschichtliches :
Franz Uebags, Kelmis Aus der jüngsten Geschichte des
Altenberger Grubenfeldes 3
L. H., Fossey - Hauset Vor 100 Jahren 8
Firmin Pauquet, Kelmis Referat zur 50-Jahrfeier der Wieder-
vereinigung des streitigen Gebietes
von Moresnet mit Belgien 9
Josef Bindels, Kelmis Kelmis im Festgewand 16
Fr. Darcis (+) Bildernachtrag zur Chronik von
Moresnet-Kapelle 23
Wissex=schaftliches : Ü
J. Willmeroth (Bruder Aure- Eine Wanderung durch den Kreuz-
Tius), Eichschen weg 26
Gedichte und Erzählungen :
M. Th. Weinert, Garten der Kindheit 36
Aachen (Eupen) An der Wasserburg 36
F. Wechseler, Kelmis Die Hungerleider 37
Fr. Straet, Gemmenich Göhltalphantasie 37
Gottfried Gronsfeld, Nidrum Schmugglergeschichten 38
Gerard Tatas, Gemmenich Der Banause und der Künstler 42
Hermann Heutz, Hauset Dorfgeschichten 43
Peter Emonts-pohl, Die Ballade vom Fraubasenbaum 48
U Iserlohn (Raeren)
Gerard Tatas, Gemmenich Träumerei 50
Schrifttum :
J. Franck, Aachen Volkslieder, Bänkelgesang, Balladen 52
J. Franck, Aachen Neuerscheinung über Cesar Franck 55
In Memoriam :
Der Vorstand In Memoriam Prof. Dr. Emil Dovi-
fat 57
H. Errenst, Kelmis ”Sein Leben war die Musik.”
In Memoriam Willy Huppermann 58
Verschiedenes ;
Gerard Tatas, Gemmenich Tätigkeitsbericht 1969 61
J. Demonthy, Neu-Moresnet Kennst Du Deine Heimat? 65