Im Söhltal
Landschaft im Grenzraum Nordostbelgiens
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ZEITSCHRIFT DER VEREINIGUNG FÜR
KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
IM GÖHLTAL
Nr 63 — August 1998
Im Göhltal
ZEITSCHRIFT DER VEREINIGUNG
FÜR
KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
IM GÖHLTAL
Nr 63
August 1998
Veröffentlicht mit der Unterstützung des Kulturamtes der
deutschsprachigen Gemeinschaft
Vorsitzender: Herbert Lennertz, Stadionstraße 3, 4721 Neu-Moresnet.
Sekretariat: Maxstraße 9, 4721 Neu-Moresnet, Tel. 087/65.75.04.
Lektor: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Kassierer: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Postscheckkonto Nr. 000-0191053-60.
Generale de Banque: 248-0068875-35
ASRK: 001-1149241-61
Konto NL: AMRO-BANK: 46.37.00.090 Vaals/L
Konto BRD: Aachener Bank: 821 363 012 (BLZ 390 601 80)
Die Beiträge verpflichten nur die Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten
Entwurf des Titelblattes: Alfred Jansen, Moresnet-Kapelle.
Druck.: Hubert Aldenhoff, Gemmenich.
3
Inhaltsverzeichnis
Alfred Jansen (7), Zum Umschlagbild 5
Moresnet-Kapelle
Dr. Nikolaus Schmitz, Galmei und Schalenblende aus 10
Aachen dem Altenberger Grubenfeld (T. 4)
Maria-Theresia Weinert Auf der Höhe von Henri-Chapelle 28
Aachen-Forst
Alfred Bertha, Vor 40 Jahren: 29
Hergenrath Das Ende „Bolleniens‘“
Jakob Langohr, Modder! 63
Bildchen
Albert Creutz, Gedenkstein in 65
Eupen Raeren
H. von Schwartzenberg, Die Mühlen in Raeren 69
Aachen
Hans Bahrs, An einer Quelle 90
Hamburg
Alfred Bertha, Neutral-Moresnet im 91
Hergenrath preußischen Abgeordnetenhaus
Peter Noel, De öchte Ball 107
Bildchen
5
Zum Umschlagbild
Die Burg Schimper in Moresnet*
von Alfred Jansen (+)
Wenn wir, vom Dorfzentrum kommend, vor der Göhlbrücke in
Moresnet rechts abbiegen und dem Wasserlauf auf seinem rechten Ufer
folgen, so sehen wir nach einigen hundert Metern das sanft hügelige Tal
enger werden. Die Talhänge werden steiler und die Natur nimmt zu un-
serem Erstaunen sehr wilde und romantische Züge an: Zur Rechten er-
hebt sich, etwa 30 m hoch, eine fast steile, von Bäumen und Sträuchern
bestandene Felswand. Auf der Höhe thronte einst die Burg Schimper,
deren Fundamente mit dem felsigen Untergrund verschmolzen.
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Die Burgruine Schimper (um 1904)
* Aus G. Poswick, Les Delices du Duche de Limbourg, Verviers 1951, S. 247-252
6
Wie die in der Fluglinie nur rund 3,3 km entfernte Eyneburg nahm
auch Schimper eine dominierende Höhenstellung ein, eine ideale Lage
zur Selbstverteidigung und zur Beherrschung des Tals. Höhenburgen sind
im Herzogtum Limburg selten; hier sind die meisten festen Häuser in
den Niederungen als Wasserburgen angelegt worden.
In der Westfassade sah man Anfang der fünfziger Jahre noch drei
Kreuzsprossenfenster. Das um 1900 noch z. T. erhaltene Walmdach war
inzwischen vollständig abgetragen worden. Ersteigen wir das Felsplateau
und nähern wir uns Schimper von oben. Wir befinden uns sodann im
Innenhof des Schloßgutes, dessen Gebäude der früheren Wehrmauer fol-
gen und stumpfe Winkel bilden. Tiefe Gräben trennten einst die land-
wirtschaftlichen Gebäude von dem Rittersitz. Sie sind zugeschüttet wor-
den, von der Zugbrücke bleiben keine Spuren. In der nach Osten gerich-
teten Fassade blieb noch ein hübscher gotischer Türrahmen aus hellem
Kalkstein mit dreieckförmigem Türsturz. Die einfachen Schmuckmotive
verliehen ihm eine seltene Eleganz.
Der Pallas (Wohntrakt) hatte die Form eines Rechtecks und war durch
einen Mittelgiebel in zwei geteilt. Die Ostseite war in sehr schlechtem
Zustand und große leere Höhlen hatten die Fenster ersetzt. Der älteste
Teil der Burg war die südliche Hälfte; sie stammte möglicherweise aus
dem 14. Jh. Im Innern sah man noch auf der Höhe des ersten Stockwerks
die an der Wand klebenden Wangen eines offenen Kamins sowie vorste-
hende Steinsockel, auf denen früher die Balken ruhten.
Die Nordhälfte gehörte dem 17. Jh. an. Im Südosten sah man den halb
zerfallenen Stumpf eines Rundturms, der gewiß einmal mit dem ältesten
Gebäudeteil verbunden war. Nach der Legende - oder der Überlieferung
- gehörte dieser Turm in die Zeit Karls des Großen. Doch sollte man der
Einbildungskraft der Menschen mißtrauen ... Es ist höchstens erlaubt zu
behaupten, daß Schimper schon um die Mitte des 14. Jhs. bestand. Nicht
schlecht, oder?
1355 und 1369 begegnet uns ein gewisser Guy von Chinpier, Sohn
des Henri, 1365 werden der Ritter Arnold von Sinper und der Knappe
Giso von Simper, vielleicht dessen Sohn, genannt. 1403 wird Arnold
von Chinpier, (ein Sohn des Vorgenannten?), mit Schimper, 1412 wird
derselbe mit Gütern zu Eynatten belehnt.
Wenig später, spätestens aber gegen Mitte des 15. Jhs., scheint das
Geschlecht derer von Schimper ausgestorben zu sein, denn als Herr von
Schimper begegnet uns nun Johann von Palant. Dessen Schwester,
verehelicht mit Johann III. von Withem, hatte einen Sohn, Werner, der
8
1466 Herr von Schimper wird. Nach dessen Tod geht die Herrschaft
Schimper auf die Schwester Maria von Withem, Ehefrau von Arnold
von Ghoor, und anschließend - 1515 - auf deren Sohn, Daniel von Ghoor,
über. Es folgen die Söhne Wilhelm (oder Reiner?) und Johann von Ghoor.
Letzterer wird Herr von Schimper im Jahre 1555.
Beide Söhne scheinen ohne Erben gestorben zu sein, so daß Schimper
an ihre Schwester Elisabeth von Ghoor fiel, die Franz Spies von Bülles-
heim heiratete. Durch diese Ehe kam Schimper für mehr als zwei Jahr-
hunderte an diese bekannte Familie, die über neun Generationen hier
saß und durch verwandtschaftliche Ausgabee weit verzweigt war: von
Amstenraedt, von Hoensbroek, von Etzbeek, von Palant, von Beissel v.
Gymnich sind einige der bekannteren Namen, die im Stammbaum der >
Spies vorkommen.
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Das Wappen der Spies von Büllesheim zeigt auf schwarzem Schild einen
gekrönten, zweischweifigen gelben Löwen begleitet von fünf Muscheln, darüber
einen gekrönten Helm mit schw.-gelber Decke überragt von einem Löwen.
Die Spies von Büllesheim gehören dem katholischen Jülicher Uradel
an und begegnen uns urkundlich zum ersten Male im Jahre 1256 mit
"Godfried de Bulgensheim”" als erzbischöflicher Marschall zu Bonn. Im
15. Jh. gehörten die Herren von Spies schon zur kurkölnischen Ritter-
schaft und im 17. Jh. treffen wir auf mehrere Linien zu Frechen,
Bobbenheim und Schweinheim, die zur jülich-bergischen Ritterschaft
gehörten.
9
Johann Hugo von Spies wird 1747 mit Schimper belehnt. Ihm folgt
der Sohn Franz Hugo von Spies; nach dessen Tod verkaufen die Witwe
und die Kinder die Burg und die dazugehörenden Ländereien an Marie-
J. Hubertine de Lezaack, Witwe von Arnold-Antoine Thiriart de
Mützhagen.
Damals schon war Schimper unbewohnbar geworden.
Durch Erbteilung kommt Schimper an den Sohn, Baron A. Hyacinthe
D. J. de Thiriart, verheiratet mit Marie-Fr. Eleonore von Reul. Deren
Tochter Sidonie de Thiriart heiratete 1853 den Ritter Guillaume de Harlez.
Dieser starb 1907. Schimper kam zum Erbteil der mit dem Ritter L&on
de Sauvage Vercour verheirateten Tochter El£onore de Harlez. Da diese
Ehe kinderlos blieb, fiel das Erbe an die Kinder des Bruders der El&onore
de Harlez, Ritter Charles-Ph. C. G. De Harlez de Deulin.
10
Galmei und Schalenblende
aus dem "'Altenberger'' Grubenfeld
Montangeologie und Bergbautechnik im Überblick
(Teil 4)”
von Dr. Nikolaus Schmitz
Das im Untertagebetrieb am "Altenberg" praktizierte Abbauverfahren
war ein sogenannter "Querfirsten-Bau", der auch als "Altenberger Quer-
bau" bekannt und ebenfalls auf anderen Erzgruben der Region Aachen- -
Stolberg gebräuchlich war (SCHULZ 1886, ANONYM 1902,
KLOCKMANN und HERBST 1910). In etwas abgewandelter Form ist
ein solches Abbauverfahren als "abwärtsgeführter Stoßbau mit Versatz"
auf modernen Goldgruben in Nevada//USA üblich (HELMS 1998). Die-
ses Verfahren wurde auf den VM-Gruben dort eingesetzt, wo stockartige,
d.h. unregelmäßig geformte Erzkörper im standfesten Nebengestein (Kal-
ke, Dolomite) auftraten. Mit diesem Verfahren war es möglich, das Erz
auch aus kleineren Erznestern oder aus schlauch- oder taschenartigen
Fortsetzungen des zentralen Erzstocks in das Nebengestein vollständig
hereinzugewinnen, wenn auch mit hohem Personalaufwand - aber der
spielte ja damals keine Rolle. Bei der Anwendung dieses Verfahrens
wurden bereits "vor Ort" taube Nebengesteinsanteile ("Berge") aus dem
abzufördernden Erz-Haufwerk herausgeklaubt, um mit diesen
"Versatzbergen" sofort an Ort und Stelle die entstandenen Abbauhohl-
räume zu verfüllen. Damit wurde ein "Zubruchgehen" (Einstürzen) die-
ser Hohlräume verhindert und gleichzeitig eine ansonsten notwendige
Abförderung der Berge nach übertage auf die Halde vermieden. Reich-
ten die Berge im Erzhaufwerk nicht aus, wurde Gesteinsmaterial aus
tiefer gelegenen Sohlen, die gerade erst "ausgerichtet""bzw. zum späte-
ren Erzabbau "vorgerichtet" wurden, heraufgefördert (74). So erklärt sich
im übrigen die Tatsache, daß, abgesehen von den aufgehaldeten Rück-
ständen der Erzaufbereitung, praktisch keine sonstigen Bergehalden im
gesamten Konzessionsgebiet der VM vorhanden sind.
Beim Querbau, beispielsweise innerhalb eines kleinen Erzkörpers, wur-
de folgendermaßen vorgegangen (Abb. 27):
* Teil 1 in Nr. 55, S. 51 ff., Teil 2 in Nr. 56, S. 12 ff. und Teil 3 in Nr. 59, S. 8 ff. dieser
Zeitschrift
11
Von einer durch den Erzkörper vorgetriebenen Strecke A aus wurden
in Abständen von 10-15 m senkrecht und ca. 6 m weit nach oben gerich-
tete "Rollen" B (kleine Blindschächte) hochgebrochen. Von diesen Rol-
len (auch "Aufhauen" genannt) ausgehend wurde etwa 4 m über der Aus-
gangssohle A ein System sich kreuzender Abbaustrecken C mit jeweils
2 x 2 m Querschnitt bis an die jeweilige Grenze zum Nebengestein auf-
gefahren. Dadurch wurde der Erzkörper innerhalb einer 2 m dicken Ab-
bauscheibe D in einzelne Blöcke E aufgeteilt.
Von den Endpunkten der Abbaustrecken C ausgehend wurde dann das
Erz in aufeinanderfolgenden 2m breiten, nach rechts und links gerichte-
ten Querstrecken Fl, F2, ... hereingewonnen. Dabei wurde jede ausgeerzte
Querstrecke mit den Bergen der nachfolgenden versetzt, so daß der Ab-
bau von der Grenze zum Nebengestein aus allmählich ins Zentrum des
Erzkörpers fortschritt. Das hereingewonnene Erz aus der 2 m mächtigen
Abbauscheibe D wurde über die Rollen B auf die 4 m tiefer liegende
Hauptfördersohle abgestürzt, von wo die Abförderung zum Hauptschacht
und nach übertage erfolgte. War die erste Erzscheibe auf diese Weise
abgebaut und mit Bergen versetzt, wurden die Rollen weiter nach oben
verlängert und 2 m höher die nächste Scheibe in Abbau genommen.
Zum Schutz der Streckenbauten auf der Hauptfördersohle unmittel-
bar unterhalb des Abbaus blieb hier eine ca. 4m mächtige Scheibe des
Erzkörpers ("Schwebe") G zunächst stehen. Da die Abbaurichtung beim
Querbau in der Vertikalen von unten nach oben gerichtet war, wurde
diese Schwebe erst beim späteren Abbau von der nächst tieferen
Fördersohle aus als letztes hereingewonnen. Die Rollen dienten außer
zum Abstürzen des Erzes aus dem Abbau nach unten auch als Zugang
von der Fördersohle hinauf auf den Abbau. Sie wurden, falls zu wenig
Berge vor Ort zum Versatz anfielen, schon frühzeitig zur nächst höheren
Sohle hochgebrochen, damit von dort Fremdberge zum Versatz in den
jeweiligen Abbau abgestürzt werden konnten. Die Rollen wurden zeit-
weise in Bruchstein ausgemauert, versuchsweise auch mit Stahlblechen
("Kesselblech") ausgekleidet. Am besten bewährte sich jedoch ein höl-
zerner Komplett-Ausbau, der mit Ausgabeeisen ausgekleidet war.
Gut erkennbar ist im übrigen der scheibenförmige Abbau des Erzes
unterhalb der 90 m-Sohle auf den jüngsten Grubenrissen des "Alten-
bergs" aus dem Jahre 1880 (siehe Abb. 26).
Die Erzgewinnung vor Ort erfolgte durch Bohr- und Sprengarbeit.
Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts mußten jegliche Sprenglöcher
noch auf traditionelle Weise mit Fäustel und Handbohrer hergestellt
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Abb. 27: (0. und nebenstehend) Altenberger Querbau (Prinzip) mit
Horizontalriss einer Abbauscheibe und zwei Profilen (a-b, c-d)
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> einer Erz-Scheibe Erz-Körper von unten nach oben
seitliche Grenze des Erz-Körpers
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werden. 1856 wurde die erste mit Druckluft betriebene Gesteins-
bohrmaschine in Freiberg/Sachsen, einem der traditionellen europäischen
Bergbaureviere, erfolgreich erprobt (SUHLING 1983) und kurze Zeit
später (1857/58) erstmals im belgischen Bergbau, und zwar am "Alten-
berg", eingesetzt !
Auch der 1867 durch Alfred NOBEL entwickelte und im Ruhrgebiet
erprobte neue Sprengstoff "Dynamit" (75) wurde in Belgien erstmals am
"Altenberg" verwendet. Er löste damit das ebenfalls hier erstmals und
seit 1862 eingeführte außerordentlich gefährlich zu handhabende
Nitroglyzerin ab. Erst 1886 wurden übrigens Sicherheits-Sprengstoffe
im Bergbau eingeführt, welche die im Steinkohlebergbau permanent
vorhandene Gefahr von Grubengas- und Kohlenstaubexplosionen bei der +
Sprengarbeit deutlich minderten.
Das Zünden der Bohrlochladungen erfolgte vor der Einführung von
Zündschnüren (BLICKFORD'sche Pulverzündschnur ab 1830 in Eng-
land) in sehr gefährlicher Weise mit Schwefelfäden direkt am Spreng-
loch. Mit dem Einsatz der neuen langen Zündschnüre konnte das "Ab-
tun" der Sprengschüsse nunmehr aus sicherer Entfernung erfolgen; das
war ganz besonders wichtig, als Nitroglyzerin und später Dynamit das
Schwarzpulver ablösten. Aus dieser Zeit stammt auch der Warnruf "Es
brennt" im europäischen Bergbau, der sich trotz der später eingeführten
elektrischen Fernzündung bis heute erhalten hat.
Die Erzförderung im Untertagebetrieb (Abb. 28) erfolgte auf den
einzelnen Abbauen schienengebunden durch "englische Wagen" von 1/
8 cbm Fassungsvermögen oder durch Schubkarren ("Laufkarren") und
durch Abstürzen in die beschriebenen Stürzrollen zur tiefer gelegenen
Förderstrecke. Eine Nutzung von "Hunten" (77) ist im hiesigen
Galmeibergbau nicht belegt. Geladen wurde mit Handschaufeln (bzw.
mit "Kratze" und "Trog"), nachdem vorher die Versatzberge aussortiert
worden waren. Die anschließende Weiterförderung zum Schacht erfolg-
te ebenfalls gleisgebunden in "englischen" Wagen von 1/2 cbm Fassungs-
vermögen durch "Schlepper" (78). Ein Untertage-Einsatz von Gruben-
pferden oder gar Zugmaschinen zur Streckenförderung ist am "Alten-
berg" nicht erfolgt.
Bezüglich der Schachtförderung ist festzustellen, daß die Kapazität
der Altenberger Schachtanlagen vergleichsweise gering war. Die Schacht-
querschnitte ließen den Transport nur verhältnismäßig kleiner
Förderwagen zu und das auch nur einzeln, da die Fördergestelle
("Förderkorb") nur einetagig ausgelegt waren. Diese dienten gleichzei-
15
tig auch zur "Seilfahrt" (Personentransport) für jeweils 5 Mann. Selbst
der modernste Förderschacht am "Altenberg", Schacht Perier, hatte eine
Schachtweite von nur 3,4 x 1m; davon entfielen nach Abzug der not-
wendigen Einbauten (z.B. Spurstangen) auf die beiden Förder-Trümer
jeweils weniger als 1,4 x 1m und auf das verbleibende Fahr-Trumm (zum
Hinab- und Hinaufsteigen auf Leitern - "Fahrten") nur mehr weniger als
0,6 x 1m. Immerhin waren alle großen Förderschächte am "Altenberg"
(Mosselmann, Nord und Pörier) für die 2-trümige Förderung ausgelegt,
sodaß beispielsweise gleichzeitig beladene Wagen hinauf und leere bzw.
Material hinabgefördert werden konnten.
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Abb. 28: Streckenförderung mit Schubkarren ('""Laufkarren''), "Hunt'' auf Holz-
bohlen und englischen Wagen auf Eisenschienen (aus WAGENBRETH et al. 1990)
1861 wurden die Altenberger Förderschächte mit einer Fangvor-
richtung versehen, die ein Abstürzen der Förderkörbe in den Schacht
beim Bruch von Förderseilen verhindern sollten (BILHARZ 1869). Of-
fensichtlich waren solche Unfälle nicht ungewöhnlich. Die Idee zu einer
solchen Sicherung stammte vom damaligen Obersteiger KRAUBß, wäh-
rend die Konstruktion durch Carl KLEY realisiert wurde. Auf KLEY
gehen im übrigen einige wichtige technische Neuerungen am Altenberg
zurück, über die später berichtet wird. Prinzip dieser Fangvorrichtung
waren exzentrisch auf Achsen am Förderkorb außen befestigte gezahnte
Metallplatten. Sobald beim Seilbruch der Zug auf das Förderseil abrupt
abbrach, wurden die gezahnten Exzenterstücke in die eichenen Spur-
latten des Fördertrums verkeilt und brachten selbst einen voll belasteten
Förderkorb von ca. 2,5 t Gewicht (850 kg Korbgewicht, 560 kg Wagen-
16
gewicht, 1000 kg Wagenladung) unmittelbar zum Stillstand. Dabei wur-
den die Spurlatten nur "unbedeutend beschädigt" und eine Stunde spä-
ter, nachdem ein neues Förderseil aufgelegt war, konnte die Förderung
im Schacht wieder aufgenommen werden. Die damals am Altenberg ein-
gesetzten Drahtseile waren 3 cm dick und wurden von der Firma Felten
und Guilleaume aus Aachen bezogen.
Der Einsatz von Dampfmaschinen am "Altenberg" in der Schacht-
förderung (wie auch beim kurzzeitigen Betrieb der schon erwähnten
Förderrampe 1847-1851) und in der Wasserhaltung (erstmals 1849 im
Louise-Schacht) wurde ganz wesentlich gefördert durch die Tatsache,
daß große Steinkohlen-Lagerstätten in der Nähe vorhanden waren
(Lütticher, Wurm- und Inde-Revier). Die damaligen Dampfmaschinen
hatten nämlich einen hohen Kohle-Verbrauch, sodaß im europäischen
Bergbau (auch aus Gründen der Betriebssicherheit) in zahlreichen Fäl- S
len der Betrieb von Wasserrädern (zum Pumpenantrieb und zur Schacht-
förderung) weitaus preisgünstiger war. So verfügte damals 1845 das
Schwerindustriezentrum Belgiens, das Gebiet um Lüttich, über nur 37
Dampfmaschinen, jedoch über mehr als 105 Wasserräder (LÄRMER,
ROOK 1990).
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Abb. 29 (o. und S. 17): Doppelschachtanlage '"'P&rier/Le Hon'' zur Förderung
und Wasserhaltung (aus KLEY 1865)
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Über die Art der auf den neuzeitlichen Förderschächten eingesetzten
Dampfmaschinen kann der Verfasser derzeit keine präzisen Angaben
machen. Für die Doppel-Schachtanlage Perier-Le Hon existiert ein Satz
technischer Zeichnungen von C. KLEY (1865). Dort ist vor allem eine
der bekannten WOOLF'schen Wasserhaltungsmaschinen im Detail dar-
gestellt; zugleich existiert in den Plänen auch eine zeichnerische Wie-
dergabe der Fördermaschine von Schacht Pörier (Abb. 29).
Darin ist erkennbar, daß diese, als Flur-Fördermaschine aufgestellt,
aus zwei separaten, parallel angeordneten Dampfmaschinen bestand, die
gemeinsam zwei auf einer einzigen Achse sitzende Seiltrommeln antrie-
ben. Jede Seiltrommel bewegte über die zugehörige Seilscheibe über
dem Schacht einen der beiden Förderkörbe. Die beiden Förderseile wa- .
ren gegensinnig aufgelegt, so daß im Förderbetrieb ein Seil aufwärts,
das andere gleichzeitig abwärts lief. Solche "unterschlächtige" bzw.
"oberschlächtige" Aufwicklung der Förderseile findet sich bereits bei
mittelalterlichen Haspelanlagen. Bei den beiden, in der seit etwa 1850
klassischen Weise liegend angeordneten Dampfmaschinen dürfte es sich
um doppelwirkende Maschinen gehandelt haben, welche die gradlinige
Hin- und Herbewegung des Kolbens über eine Kurbel direkt in die Dreh-
bewegung der Seiltrommeln umsetzten (Abb. 30).
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Abb. 30: Prinzip der liegend aufgestellten Flur-Fördermaschine
(aus WAGENBRETH und WÄCHTLER 1986)
Der erforderliche Dampf wurde in einer zentralen Kesselanlage er-
zeugt, aus der ebenfalls die Wasserhaltungsmaschine für Schacht Le Hon
versorgt wurde. Über die Herkunft der Fördermaschine lassen sich zur
Zeit nur Vermutungen anstellen. Vielleicht gibt der Name des Schachtes
Anlaß anzunehmen, daß die Firma Pöerier (79) in Paris die Anlage gelie-
fert hat, zumal sie auf dem Dampfmaschinen-Sektor im außerenglischen
Europa bereits zu Ende des 18. Jahrhunderts führend war.
Die Kesselanlage war aus Sicherheitsgründen (Kesselexplosion!) au-
ßerhalb der Schachtgebäude in einem eigenen Kesselhaus installiert (siehe
19
Abb. 29). Vier Kessel standen in Betrieb; es handelte sich um
Zweiflammrohr-Kessel, wie sie etwa ab 1850 gebaut wurden. Ursprüng-
lich war der Einbau von zwei weiteren Kesseln vorgesehen. Der dafür
vorgesehene Raum im Kesselhaus wurde stattdessen jedoch als Kohle-
magazin genutzt. Der architektonisch interessante Rauchgaskamin mit
quadratischem Sockel stand isoliert außerhalb des Kesselhauses vor des-
sen Rückfront.
Das Aufkommen leistungsfähiger Dampfmaschinen im Bergbau wirkte
sich auch in der Wasserhaltung am Altenberg aus. 1851 wurde der tra-
ditionelle mehrhundertjährige Betrieb von Wasserkünsten eingestellt,
nachdem im Dezember 1849 auf Schacht Louise eine 30 PS-Dampf-
maschine von Cockerill, Seraing/Lüttich, installiert worden war (80).
Der Schacht war seinerzeit außerhalb des Erzkörpers abgeteuft worden
und hatte keinerlei Anbindung an das untertägige Streckennetz. Er wur-
de also als Wasserhaltungsschacht sozusagen wie ein "Tiefbrunnen" be-
trieben und diente dazu, den Grundwasserspiegel im Vorfeld der Lager-
stätte abzusenken, was sich natürlich ebenfalls auf den Grundwasserstand
im Erzkörper selber auswirkte. Erst mit Aufschluß der 65m-Sohle zu
Beginn der 60er Jahre wurde der Schacht Louise weiter abgeteuft und
auf der neuen Sohle mit dem Grubengebäude verbunden.
Die Dampfmaschine auf Schacht Louise war, wie die etwas später auf
dem Mosselman-Schacht installierte, eine einfach- und direktwirkende
Hochdruck-Dampfmaschine "ohne Contrebalanciers, ohne Expansion
und ohne Condensation, wie man sie meistens auf den Gruben in Belgi-
en findet" (KLEY 1965) (81). Ihr Zylinderdurchmesser betrug 0.68 m,
ihr mittlerer Hub lag bei 1.8 m, sie machte pro Minute 6-8 Hübe und
verbrauchte in 24 Stunden 6382 kg Kohle. Die von ihr angetriebene Pum-
pe (0.4 m Kolbendurchmesser) hatte einen Druck- und einen Saugsatz.
Die Maschine auf dem Mosselman-Schacht war von der Firma Marcellis
in Lüttich geliefert worden. Sie war mit einer Nennleistung von 100 PS,
einem Zylinderdurchmesser von 1.2 m und und einem mittleren Hub
von 2.8 m deutlich größer dimensioniert. Sie hatte bei gleicher Arbeits-
leistung wie die andere Maschine einen Kohleverbrauch von 7170 kg in
24 Stunden und trieb eine Pumpe (1 Druck- und Saugsatz) mit 0.5 m
Kolbendurchmesser an.
Bei beiden Pumpen zeigte sich die technische Weiterentwicklung von
der einfachen hölzernen Saug-Hub-Pumpe früherer Prägung mit ihrer
eingeschränkten vertikalen Pumpleistung hin zu eisernen Kolben-Druck-
pumpen (Abb. 31).
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Abb. 31: Tauchkolben-Druckpumpe des 19. Jahrhunderts mit erheblich verbesser-
ter Leistung gegenüber früheren Saug-Hub-Pumpen (aus WAGENBRETH et al. 1990)
a) Kolben saugend
b) Kolben drückend, dabei Eintritt des Wassers in die Steigleitung bei entsprechen-
der Stellung der Ventile
c) Ersatz von acht je 10 m hohen Saugsätzen alter Konstruktion durch einen einzi-
gen 80 m hebenden Drucksatz
21
Diese Weiterentwicklung war ähnlich wie bei den Dampfmaschinen
nur möglich aufgrund verbesserter Produktionstechniken in der Metall-
verarbeitung (z.B. paßgenau gegossene Pumpenkomponenten, gewalzte
statt geschmiedete Bleche etc.), traten doch in den Steigrohren von Druck-
pumpen erheblich höhere Wasserdrucke auf als bisher technisch zu be-
wältigen waren.
Beide Maschinen hoben das zulaufende Wasser über eine Distanz von
etwa 57 m aus dieser bis dato erreichten Teufenlage am Altenberg; sie
"gehörten allerdings nicht zu den besten ökonomisch arbeitenden Ma-
schinen, waren aber keineswegs zu den schlechtesten der Umgebung zu
zählen." (KLEY 1965).
Etwa gleichzeitig mit der Dampfmaschine als Pumpenantrieb war in
europäischen Bergbaurevieren vielfach auch ein anderer Maschinentyp
zum gleichen Zweck im Einsatz, die Wassersäulen-Maschine (WSM).
Es handelte sich hier ebenfalls um eine Kolbenmaschine, die aller-
dings durch den Druck einer entsprechend hohen Wassersäule (Rohr-
leitung in einem Schacht) auf den Kolben angetrieben wurde. Dabei wurde
die Bewegung des Kolbens über ein Gestänge (Balanzier o.ä.) auf die
Arbeitsmaschine (Pumpe) übertragen. Die Wassersäulen-Maschine (82)
war wesentlich bequemer und vor allem sehr effektiv untertage einzu-
setzen; sie benötigte allerdings einen ausreichend tief gelegenen Auf-
stellungsort, um die Nutzbarkeit einer genügend hohen Wassersäule si-
cherzustellen (Abb. 32).
Am 7. September 1853 beantragte Max BRAUN, damals Ober-
ingenieur am Altenberg, bei der Gemeinde Moresnet die Genehmigung
zum Betrieb einer solchen Maschine, die am 13. Februar 1855 auch er-
teilt wurde. Daraufhin wurde diese Anlage bis zum 10. September des
gleichen Jahres im Dechen-Schacht installiert und im Juli 1856 in Be-
trieb genommen. Vorher war jedoch die Versorgung der Maschine mit
der erforderlichen Menge an Antriebswasser sicherzustellen. Zu diesem
Zweck wurden die beiden vom Tüljebach gespeisten Mühlenteiche der
"Jans-Mühle" (83) zu einem einzigen mit 16 000 cbm Fassungsvermö-
gen vereinigt, wobei die Höhendifferenz zwischen Überlauf und Ablaß
(etwa der Dammhöhe entsprechend) 2,57 m betrug und die frühere
+ Wasserstandshöhe beibehalten werden mußte.
Über einen 893 m langen Kanal, davon 215 m als Rösche unter dem
Tüljeberg hindurch, wurde das Wasser in einen gemauerten (1864 ver-
größerten) Auffangteich geleitet. Dieser Teich befand sich unmittelbar
gegenüber dem Haus Penning auf dem Gelände des heutigen Möbel-
22
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5) d)
Abb. 32: Wirkprinzip einer Wassersäulenmaschine (aus WAGENBRETH et al. 1990)
b) Schacht mit Maschinenkammer, Zuflußgraben K und Ablußrösche S
c) Aufwärtsgang der Wassersäulenmaschine:
Der Wasserdruck im Einfallrohr E steht über den Steuerzylinder SZ mit dem
Kolben K in Verbindung und treibt diesen im Zylinder Z nach oben. Diese Bewe-
gung überträgt sich über das Querhaupt (''Traverse'"') Q auf das Schachtgestänge
G. Der Steuerkolben K' sperrt derweil das Abflußrohr A.
d) Abwärtsgang der Wassersäulenmaschine:
Nach dem Umsteuern sperrt der Steuerkolben nun das Einfallrohr E und gibt
dem Wasser im Zylinder Z den Weg ins Abflußrohr A frei. Das Gewicht des ab-
sinkenden Schachtgestänges G drückt über den Kolben K das Wasser aus dem
Zylinder Z in das Abflußrohr A.
23
hauses Adler. Von dort wurde das Wasser über eine 170 m lange guß-
eiserne Rohrleitung dem Dechen-Schacht und der dort aufgestellten WSM
zugeführt.
In 15-16 m Tiefe und etwas unterhalb der alten Wasserrösche von
1562 hatte man hier im Schacht eine Maschinenkammer angelegt (Abb.
33). Die Wassersäule lieferte somit bei einer Höhe von etwa 15 m einen
Druck von 1,5 at zum Antrieb der Maschine, die das zulaufende Gruben-
wasser über die verbleibende Höhendifferenz von ca. 40 m aus dem
Pumpensumpf unterhalb.der 50m-Sohle des Grubengebäudes bis auf das
Niveau der alten Rösche hob. Über diese flossen die gehobenen
Grubenwässer mitsamt dem Antriebswasser der Maschine ab.
Konstruiert wurde diese WSM durch Carl KLEY (84) , der sich dabei
auf Erfahrungen stützte, die der Oberbergrat C.L. ALTHANS mit seinen
eigenen Konstruktionen auf den Gruben "Pfingstwiese" bei Bad Ems/
Lahn (1836) und "Centrum" in Eschweiler (1855) gemacht hatte (ALT-
HANS 1861). Die Altenberger Maschine ("direktwirkende Wassersäulen-
maschine mit Gewichtsbalancier und Gegensäule, Kolbensteuerung mit
Wassertriebwerk und Kolbenvorsteuerung") war der in Eschweiler sehr
ähnlich, wenngleich weniger groß dimensioniert und durch KLEY
modifiziert. Örtliches Problem war das geringe Antriebsgefälle zwischen
Schachtöffnung und untertägiger Abflußrösche, so daß die Maschine 3
m unterhalb des Niveaus dieser Rösche im Schacht eingebaut werden
mußte, um eine Wassersäulen-Höhe von ca. 15 m zum Antrieb der Ma-
schine mitsamt des an ihr angehängten Pumpengestänges zu erreichen.
Die Höhendifferenz von 3 m nutzte man technisch in einem eigenen
Rohrsystem zum Aufbau einer weiteren kleinen Wassersäule, die beim
Betrieb der Anlage das Gewicht des immer wieder zu hebenden
Pumpengestänges (5 t) zu 75% ausbalanzierte. Das Gewicht dieser
"Gegensäule" reichte also nicht ganz aus, so daß der Rest durch einen
traditionellen "Ausgleichsbalancier” (Schwingbalken mit einseitigem
Gegengewicht) besorgt wurde.
Eine technische Besonderheit der Altenberger WSM war die zur
Wasserhebung eingesetzte Pumpe samt Gestänge. Dieses
Pumpengestänge im Schacht diente nämlich vermittels einer sinnreichen
technischen Konstruktion zugleich als Steigleitung für das hochgedrückte
Grubenwasser, wobei die einzige Pumpe als "Rohrkolbenpumpe”" gleich-
zeitig die Funktionen der früheren Saug-Hub-Pumpen und der zeitge-
mäßen Druckpumpen vereinigte. Das kombinierte Pumpen-Steigrohr-
Gestänge bestand aus zusammengeflanschten Gußeisen-Rohren und war
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Abb. 33, S. 24: Vertikaler Grubenriß des Altenbergs von 1860 (Stand 1863) mit den
Tagesschächten
A Pumpenschacht Le Hon
B Förderschacht Pierier
C Pumpen-/Förderschacht Mosselman
D Pumpenschacht Louise
E Pumpen-, später Wetterschacht Dechen
(mit Kammer zur Aufnahme der Wassersäulenmaschine)
F Förderschacht Nord
H Vermessungsschacht
G Wetterschächte (teilweise als Blindschächte)
somit erheblich schwerer als eine von ALTHANS favorisierte leichtere
Blechrohrkonstruktion, die wassergefüllt eine vergleichbar gute statische
Festigkeit gehabt und damit den "lästigen Balancier" entbehrlich gemacht
hätte.
Mit dieser WSM reichten 3 "Pumpenspiele" pro Minute zunächst aus,
um die zufließenden Wässer aus dem Bereich der 5S0m-Sohle zu heben,
wobei das Mengenverhältnis von Antriebswasser zu Pumpwasser bei 4:1
und damit im üblichen Rahmen von WSM lag. Problematisch beim Be-
trieb der Altenberger WSM waren die geringe Gefällhöhe des Antriebs-
wassers von nur 15,3 m, die große Länge der Zufuhrleitung zum Schacht
von 171 m sowie der recht geringe Querschnitt des Fallrohrs von 1/4 bis
1/6 der Triebkolben-Fläche. Hinzu kam, daß für einen kontinuierlichen
Betrieb bei steigenden Mengen an zu hebendem Grubenwasser die ver-
fügbaren Antriebswässer offenbar nicht ausreichten, so daß der Betrieb
der Altenberger Maschine schon 1859 wieder eingestellt wurde, kurz
bevor 1861 und 1862 die beiden neuen Woolf’schen Wasserhaltungs-
maschinen auf Schacht Le Hon in Betrieb genommen wurden.
Anmerkungen
(74) Als "Ausrichtung" bezeichnet man im Untertagebetrieb die Anlage von Richtstrecken
und Querschlägen, durch die eine Lagerstätte für den späteren Abbau erschlossen
wird (siehe Abb. 24). Bei der anschließenden "Vorrichtung" werden die Gruben-
baue hergestellt, die zur eigentlichen Durchführung des Abbau-Betriebs vor Ort
notwendig sind. Aus- und Vorrichtungsbaue werden im Erzbergbau je nach gewähl-
tem Abbauverfahren vorzugsweise im Nebengestein aufgefahren.
(75) Ein Vorläufer zum Nobel'schen Dynamit wurde 1866 im Harz durch den Clausthaler
Friedrich SCHELL erfunden, der auf die geniale Idee kam, sandige Rückstände der
Erzaufbereitung in Papphülsen zu füllen und diese mit Nitroglyzerin zu tränken.
NOBEL lernte dieses Verfahren anläßlich einer Harzreise kennen und ersetzte in
seiner "Erfindung" den Sand durch Kieselgur (erdige Substanz aus Resten abgestor-
bener Kieselalgen) und nannte diesen Sprengstoff "Dynamit" (LIESMANN 1992).
26
(76) Der englische Bergbau war im 18. Jh. Vorreiter in der Entwicklung moderner gleis-
gebundener Streckenförderung.
(77) Statt "Hunt" wird vielfach auch die falsche Schreibweise "Hund" benutzt. Abgelei-
tet vom slowakischen Begriff "hyntow" = Wagen (BISCHOFF et al. 1988)
(78) Als "Schlepper" wurden Bergleute bezeichnet, welche die beladenen Grubenwagen
zum Schacht schieben mußten. Dazu wurden traditionell im früheren Bergbau Kin-
der und Jugendliche eingesetzt, im Mansfelder Kupferschiefer-Bergbau noch bis in
die 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts!
(79) C. PERIER (1742-1818) gründete 1780 in Paris die älteste der bekannten französi-
schen Dampfmaschinen-Fabriken. Hier wurde 1785 die erste kontinentale Watt-
Niederdruck-Dampfmaschine mit Drehbewegung produziert. Die Werksgießerei
stellte später Dampfmaschinen-Zylinder bis zu 75 cm Durchmesser her, selbst für
die damalige Zeit sehr großdimensionierte Maschinenteile. Bei P&rier wurden im
übrigen die ersten einheimischen Dampfmaschinen für den Einsatz im Bergbau ge-
baut (WAGENBRETH, WÄCHTLER et al. 1986). S
(80) John COCKERILL (1790-1840) gründete 1817 in Seraing bei Lüttich die erste bel-
gische, später so berühmte Dampfmaschinen-Fabrik, baute dort 1818 die erste Ma-
schine nach Watts Prinzip und errichtete in der Folgezeit bis 1823 43 ortsfeste Dampf-
maschinen. Er fertigte 1824 die erste Schiffsmaschine, 1825 schon eine solche mit
240 PS Leistung. Bis 1830 stellte Cockerill über 200 Dampfmaschinen her; davon
u.a. auch 4 Maschinen für den Elbstollen im sächsischen Steinkohlebergbau bei
Freital südlich Dresden (WAGENBRETH, WÄCHTLER et al. 1986). Keimzelle
für das Cockerill'sche Industrie-Imperium war eine Werkstatt, die der Vater, William
COCKERILL (1757-1832), 1802 (1807?) in Lüttich gegründet und mit seinen 3
Söhnen sowie 3 Arbeitern in Betrieb genommen hatte.
(81) Diese Maschinen waren Weiterentwicklungen der Watt'schen Niederdruckmaschinen.
Der Arbeitsdampf wurde nach Verlassen des Zylinders nicht mehr kondensiert, son-
dern als Abdampf verpufft.
(82) 1737 erstmals beschrieben und abgebildet ("Ars hydraulica” von BELIDOR); 1748
erfolgte ein Praxistest im Harzbergbau durch den braunschweigischen Ingenieur-
Offizier Georg WINTERSCHMIDT (1722-1770). Schon 1750 ging eine solche Ma-
schine, erbaut durch den Oberkunstmeister Josef Karl HOLL im Leopoldi-Schacht
im Schemnitz (Banska Stiavnica/Slowakisches Erzgebirge) in Betrieb. Mit einem
Verhältnis von 4:1 zwischen Antriebswasser und Pumpwasser war sie den bisheri-
gen wasserradgetriebenen Pumpen mit ihrem Verhältnis von 18:1 deutlich überle-
gen. 1767 baute der Kunstmeister MENDE die erste sächsische Wassersäulen-
maschine im Freiberger Revier. Die ersten gut funktionierenden Maschinen wurden
dort jedoch erst zwischen 1820 und 1846 durch den Maschinenmeister BRENDEL
gebaut, die erste im südlich angrenzenden Erzgebirge dann 1852. Wesentliche Ver-
besserungen stammten in der Zwischenzeit vom bayerischen Salinenrat REICHEN-
BACH (1772-1826) und vom Harzer Maschinendirektor JORDAN (1789-1861).
Selbst in England, dem "Mutterland der Dampfmaschine”, befaßte man sich einge-
hend mit dieser Technik, die man durchaus als Vorbild für die Entwicklung der
direktwirkenden Hochdruck-Dampfmaschinen späterer Zeit ansehen kann
(SUHLING 1983, WAGENBRETH et al. 1990, LIEBMANN 1992, WAGENBRETH
1993)
Insofern war die Entscheidung von 1855 für die Errichtung einer Wassersäulen-
maschine am Altenberg durchaus zeitgemäß.
20
(83) Am 1. November 1849 hatte die VM von der Besitzerin, Clara Bruckner, die Mühle
erworben, auf der bis dahin 2 Wasserräder (5,65 m groß) betrieben worden waren.
(84) Carl KLEY war ebenfalls Konstrukteur der Woolf'schen Wasserhaltungsmaschinen
auf Schacht Le Hon und "Civilingenieur in Bonn, Consulent der Gesellschaft Vieille
Montagne, früherer Assistent des Hrn. Prof Redtenbacher am grossherzoglich
badischen Polytechnikum zu Karlsruhe". Er war mit Max BRAUN befreundet, der
selber von 1827 bis 1832 an der gleichen Hochschule studiert hatte.
(Forts. folgt)
28
Auf der Höhe von Henri-Chapelle
Von der Höhe aus
ein weiter Blick
ins friedliche Tal
der Wiesen, Hecken, Obstbäume.
Hier und da ein Gehöft.
Beglückende Sicht
in ein ruhiges Land,
das etwas bewahren konnte, .
ein Gleiches blieb
unter dem Hammer der Zeit,
geduldige Erde...
Auf der anderen Seite:
der Soldatenfriedhof,
mächtige Säulenhalle
mit tausenden Namen
in goldenen Lettern,
Namen von Fremden.
Unzahl weißer Kreuze,
aufgestellt wie ein Heer
der vergangenen Leben.
Wem half ihr Tod?
Seltsamer Widerspruch:
daß wir töten müssen
für den Frieden!
Immer wieder, immer noch?
Haben wir je etwas dazugelernt,
wir unruhvollen Kinder
der geduldigen Erde?
Maria Theresia Weinert
29
Vor 40 Jahren: Das Ende '"'Bolleniens''
von Alfred Bertha
Am 28. August 1958, um 0,00 Uhr, wurden an der deutsch - belgi-
schen Grenze zwischen Bildchen im Norden und Hemmeres im Süden
einige seit 1949 unter belgischer Verwaltung stehende Gebiete an die
Bundesrepublik zurückgegeben. Damit wurden die rund zwei Jahre vor-
her im belgisch- deutschen Staatsvertrag vom 24. September 1956 fest-
gelegten Grenzkorrekturen ausgeführt und ein kleines Kapitel Nach-
kriegsgeschichte fand einen endgültigen und versöhnlichen Abschluß (1).
Den vierzigsten Jahrestag dieser kleinen Grenzkorrekturen wollen wir
zum Anlaß nehmen, einen Blick zurückzuwerfen auf das erste Nach-
kriegsjahrzehnt und die damals bestehenden Grenzprobleme.
Betrachten wir die heutige Karte Europas, so stellen wir fest, daß die
Grenzen der einzelnen Staaten in den seltensten Fällen durch die Natur
vorgegeben waren. Fast durchweg sind sie durch mehr oder weniger weit
zurückliegende kriegerische Auseinandersetzungen entstanden.
Auch die belgische Ostgrenze hat erst in unserem Jahrhundert ihren
heutigen Verlauf gefunden. In der Zeit des Ersten Weltkrieges träumten
belgische Exilpolitiker noch von einem Großbelgien bis zum Rhein und
sogar von der Annexion der südlichen Niederlande und der flämisch-
sprechenden Gebiete Nordfrankreichs ... (2).
Bei den Friedensverhandlungen i. J. 1919 gab sich die belgische Re-
gierung allerdings bescheidener: Sie verlangte von den Niederlanden nur
noch die Scheldemündung und das 1839 gegen seinen Willen niederlän-
disch gewordene Südlimburg, von Deutschland die Kreise Eupen und
Malmedy sowie das Gebiet um Herzogenrath, Schleiden und Kronen-
burg. Zudem forderte Belgien den Anschluß des Großherzogtums Lu-
xemburg, eine Forderung, die am Einspruch Frankreichs und der
Luxemburger selber scheiterte.
Schließlich mußte Belgien auch an den Ansprüchen gegenüber
Deutschland erhebliche Abstriche vornehmen, so daß zu guter Letzt noch
die Forderung auf Eupen-Malmedy und Neutral-Moresnet bestehen blieb
und auch von der Konferenz akzeptiert wurde. (Ein besonderes Problem
ergab sich bei der Feststellung der Grenze im Verlauf der sog. Vennbahn,
die ganz unter belgische Kontrolle kam; das westliche Drittel des Krei-
ses Monschau - ausschließlich der bewohnten Gebiete - fiel somit an
Belgien).
30
Im Zuge kleinerer Grenzkorrekturen kam Losheim (Kr. Malmedy)
Ende 1921 an Deutschland zurück; desgleichen verzichtete Belgien auf
den Weiler Bildchen (50 ha) und zusätzliche 110 ha Wald der Gemeinde
Neu-Moresnet. Hergenrath verlor bei dieser Grenzziehung die diesseits
des Tüljebaches liegenden Gehöfte Kaper, Ries, Knipp, Bonneskull,
Langheide und Strief, so daß die Grenze in diesem Bereich einen sehr
eigenwilligen Verlauf mit einer sackartigen Ausstülpung bekam (3).
Auch ein Teil von Lichtenbusch (Eynatten) sowie Sief (Raeren) ka-
men am 1. November 1921 an Deutschland zurück; seitdem gibt es ein
belgisches und ein deutsches Lichtenbusch.
Die angeführten Gründe waren für Bildchen das von deutscher Seite
geäußerte Vorhaben eines Bahnhofsneubaus als Ersatz für den belgisch
gewordenen Grenzbahnhof Herbesthal. Lichtenbusch und Sief gehörten
zum Einzugsgebiet der Aachener Wasserversorgung. Nach Aussagen des
damaligen Aachener Oberbürgermeisters Farwick lieferten die Pump-
werke Brandenburg und Schmithof etwa 65 % des zur Versorgung der
Stadt Aachen notwendigen Wassers. Fahrwicks Argument, das gesamte
Einzugsgebiet der Pumpstationen, "also das ganze Niederschlagsgebiet
für die die Kalksteinzüge speisenden Oberflächenwässer" dürfe "im In-
teresse der öffentlichen Hygiene der überwachenden deutschen Behörde
nicht entzogen werden", bewog die Grenzkommission dazu, die genann-
ten Gebietsteile von Eynatten, bzw. Raeren abzutrennen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen erneut von belgischer Seite Grenz-
änderungswünsche auf. In einer Anfrage des CSP - Senators Paul Struye
an das Außenministerium machte sich der Senator zum Sprecher der
"zahlreichen Belgier", die "eine Grenzberichtigung für berechtigt halten
und die Waldgegenden von Monschau, Schleiden und der Schnee-Eifel
sowie die Urft - Talsperren zu Belgien schlagen würden". Der Frage-
steller wollte wissen, ob "Maßnahmen getroffen worden sind, damit die-
se Gegenden bereits jetzt von den belgischen Behörden kontrolliert wer-
den und ob deren Bewohner ein Vorzugsregime genießen, welches das
Interesse, das ihnen Belgien entgegenbringt, beweist?"
Im "Bulletin der Fragen und Antworten" vom 1. November 1946 ant-
wortete Außenminister Spaak recht vage. Es hieß dort: "Die Regierung
hat noch nicht endgültig über die Frage der territorialen Entschädigun-
gen für die Belgien durch Deutschland zugefügten Schäden Stellung ge-
nommen. Die Frage wird andererseits auf internationaler Ebene geprüft.
Das wirtschaftliche Interesse, welches die fraglichen Gebiete darstel-
len, zieht die Aufmerksamkeit des Ministeriums auf sich, sich eine gün-
31
stige diplomatische Ausgangsposition zu sichern, um die belgischen In-
teressen zu wahren.
Diese Gebiete sind gegenwärtig in die von belgischen Streitkräften
besetzte Zone eingeschlossen."
In einer Sitzung des Senatsausschusses für auswärtige Angelegenhei-
ten vom 6. November 1946 kam der Wunsch zum Ausdruck, die Regie-
rung möge endlich in klarer Form die belgischen Forderungen bekannt-
geben, und anläßlich der Diskussion des Haushalts der Landes-
verteidigung erklärte Minister Vos am selben Tage, die Regierung werde
nicht verfehlen, dies im gegebenen Augenblick zu tun. Wörtlich sagte
der Minister: "Es kann heute gesagt werden, daß ein Plan sorgfältig aus-
gearbeitet wurde, der die Berichtigung der wichtigsten Nachteile unse-
rer gegenwärtigen Grenze mit Deutschland umfaßt. Dieses Projekt
schließt keinesfalls aus, daß die Regierung noch andere Forderungen,
seien sie territorialer oder rein wirtschaftlicher Art, den Großmächten
vorlegt."
Von belgischer Seite ist keine offizielle Verlautbarung darüber zu fin-
den, daß die belgische Regierung schon am 3. November 1946 den im
Waldorf-Astoria Hotel in New York tagenden Außenministern der vier
Großmächte (USA, UdSSR, GB, Frankreich) eine Denkschrift mit Grenz-
änderungswünschen zugestellt hätte, wie bei Thilenius ( Thilenius, R.,
Die Teilung Deutschlands, rde 55, Hamburg 1957, S. 99 ff. ) zu lesen ist.
Es ging Belgien darum, für die Staatssicherheit und die Zollkontrollen
neuralgische Grenzabschnitte übersichtlicher zu gestalten. Die Korrektur-
wünsche bezogen sich auf deutsche Gebietsteile südwestlich Aachens
sowie auf Teile der Kreise Monschau, Schleiden und Prüm.
Groß - Belgien oder "Klein - Bollenien''?
Die Ansichten über die vorzunehmenden Annexionen gingen dabei
sehr weit auseinander: Dem "Comite du Rhin" (Rheinkomitee) um die
Senatoren Nothomb und Struye schwebte ein Großbelgien vor, das etwa
80.000 deutsche Staatsbürger einverleibt hätte. Andere sahen etwas we-
niger groß und wollten sich mit einem Gebiet begnügen, das von etwa
14.000 Personen bewohnt war. Die Wälder und Talsperren der Eifel soll-
ten auf jeden Fall belgisch werden (4).
33
ten. Die hauptsächlichsten belgischen Forderungen seien wirtschaftli-
cher Art und bezögen sich auf langfristige Pachten von Industrien und
Kohlengruben sowie auf die Umleitung des Anteils am rheinischen Han-
del, den Antwerpen vor dem Kriege besaß, über diesen Hafen. Falls
Deutschland aber zerstückelt werde, könnte Belgien unter Umständen
bedeutendere Gebietsansprüche stellen."
Eine knapp drei Wochen später, am 5. Dezember 1946, in der Presse
veröffentlichte Verlautbarung des belgischen Außenministeriums stellt
die erste amtliche Stellungnahme Belgiens zur Deutschlandfrage dar. Es
heißt dort, Außenminister Spaak habe am 14. November dem in New
York tagenden Rat der Außenminister ein Memorandum mit den (er-
sten) Forderungen Belgiens gegenüber Deutschland überreicht. Dieses
Memorandum enthalte einerseits Änderungswünsche der durch den
Versailler Vertrag entstandenen "Mängel" und behandle andererseits wirt-
schaftliche Fragen. Die Grenzänderungswünsche bezögen sich auf die
Vennbahn, durch deren Verlauf durch den Kreis Monschau "verwickelte
Enklaven und Passierrechte" entstanden seien, die sich als eine dauern-
de Ursache für Schmuggel, Verkehrsschwierigkeiten, Schikanen und Zwi-
schenfälle zwischen Behörden und Einwohnern und Betriebs-
schwierigkeiten bei der Bahn herausgestellt hätten. Der Vorschlag der
belgischen Regierung ziele darauf ab, diese Schwierigkeiten zu beseiti-
gen und "die belgische Souveränität von ungerechtfertigten Dienstlei-
stungen zu befreien". (Es sei daran erinnert, daß die Vennbahn mit fünf
belgischen Bahnhöfen auf deutschem Gebiet, mit reichsdeutschen Be-
amten in belgischen Uniformen, mit deutschen Zollkontrollen der belgi-
schen Reisenden usw. in den Zwischenkriegsjahren viel Anlaß zu Kritik
geliefert hatte).
Belgien behielt sich in dem Memorandum weitere territoriale Forde-
rungen vor.
Die in der Denkschrift angeschnittenen wirtschaftlichen Fragen bezo-
gen sich auf die eventuell Belgien zustehenden Ausgleichsleistungen für
die Vorteile, "die andere alliierte Staaten aus einer zeitweiligen oder de-
finitiven Nutzung wichtiger Teile der deutschen Wirtschaft ziehen könn-
ten".
Schließlich wies das Memorandum auch noch auf die Bedeutung der
Transitbeziehungen mit Deutschland hin und verlangte wirksame Ga-
rantien "in allen Angelegenheiten, die geeignet wären, den Verkehr von
seinen natürlichen Wegen zu den belgischen Häfen abzubringen".
34
In zwei weiteren Memoranden, die der belgische Botschafter in Lon-
don am 20. Januar 1947 der dort tagenden Konferenz der beigeordneten
Außenminister überreichte, äußerte Belgien seine Ansichten gegenüber
der Deutschlandpolitik der Alliierten und konkretisierte seine Forde-
rungen an Deutschland. Diese waren rein wirtschaftlicher Natur (Liefe-
rung von Kohle, Strom, Industriesalz, Kalisalze, Holz usw.). Hinsicht-
lich der Holzlieferungen wurde die Abtretung gewisser bewaldeter Grenz-
gebiete an Belgien zur Bedingung gemacht. Das Verkehrs- und Transport-
wesen (Rheinschiffahrt), die Auslieferung gewisser Kunstwerke und
Patente sowie die Wasserversorgung bildeten weitere Schwerpunkte des
belgischen Forderungskatalogs. Schließlich behielt sich die belgische
Regierung das Recht vor, zu einem späteren Zeitpunkt weitere allgemei-
ne oder spezielle Forderungen gegenüber Deutschland anzumelden.
Die regen diplomatischen Aktivitäten der ersten Nachkriegsjahre führ-
ten vom 20. April bis 7. Juni 1948 die Vertreter der USA, Frankreichs,
Großbritanniens und der Benelux-Staaten erneut in London zusammen,
wo die Grundzüge des künftigen deutschen Weststaates festgelegt wur-
den. In den "Empfehlungen" der Konferenz konnte man unter Punkt 4
lesen: "Die Delegationen kamen überein, ihren Regierungen Vorschläge
zu unterbreiten hinsichtlich gewisser provisorischer Berichtigungen klei-
neren Umfanges an der deutschen Westgrenze" (5).
Am 11. Januar 1949 vernahm man aus London, daß das "Komitee der
sechs" (USA, G-B, F, Benelux) einen Teil seiner Aufgabe beendet und
sich mit einer Reihe der durch Belgien, Holland und Luxemburg ge-
wünschten "kleinen Grenzberichtigungen" befaßt habe (6). Bei den von
Belgien gewünschten Grenzberichtigungen, so war zu lesen, gehe es "le-
diglich um die Vorverlegung einiger belgischer Zollposten und um eine
Ausrichtung der Grenze längs der Eisenbahnstrecke Raeren - Kalterher-
berg".
Einer Grenzkommission für die Westgrenzen Deutschlands wurde der
Auftrag erteilt, die weitere Vorgehensweise in diesem Punkte festzule-
gen. Die Kommission tagte in Paris vom 22. Februar bis zum 22. März
1949 und veröffentlichte zum Abschluß ihrer Arbeiten am 26.3.1949 in
allen westeuropäischen Hauptstädten gleichzeitig Kommuniques über
die kleinen Grenzberichtigungen. Darin hieß es, zu bildende Grenz-
kommissionen würden die genauen Ausmaße der Berichtigungen ermit-
teln und es würden alle Maßnahmen getroffen, die Interessen der Ein-
wohner dieser bisher deutschen Gebiete zu schützen. Niemand werde
verpflichtet, die Staatsangehörigkeit des Landes, dem das Gebiet
35
einverleibt werde, anzunehmen. Jeder könne dort wohnen bleiben oder
aber nach Deutschland auswandern. Im Falle der Auswanderung dürften
alle beweglichen Güter mitgenommen werden. Die Überweisung der aus
dem (freiwilligen) Verkauf von Immobilarbesitz erzielten Geldbeträge
werde durch ein besonderes Abkommen geregelt (7).
Belgien verzichtete am 15. April 1949 einstweilig auf die Übertragung
der Dörfer Rötgen und Mützenich sowie der westlich der Eisenbahnlinie
Kalterherberg-Raeren gelegenen Enklaven. Der Verzicht geschah vor
allem auf Betreiben von Außenminister Paul-Henri Spaak, der spätere
Friedensverhandlungen mit Deutschland nicht vorbelasten wollte. Spaak
hatte schon am 11.2.1947 in der Kammer anläßlich der Debatte über das
Budget des Außenministeriums u. a. erklärt: "... ich denke nunmehr zum
Schlusse, daß wir keine Annexionen verlangen sollten. Die Grenze über
die Wasserscheiden hat im übrigen nur eine militärische Bedeutung. Ich
bin kein Freund von Annexionen, weder für uns, noch für andere, um so
mehr, als man vermeiden sollte, neue Minderheitenprobleme zu schaf-
fen. Die Lage ist nicht mehr die gleiche wie 1919. Es gibt zwei Möglich-
keiten: Entweder sehr viel verlangen und sich dann mit wenigem begnü-
gen, oder mäßig fordern und dabei fest bleiben. Wir haben das letztere
getan" (8). Nur wenige Tage später, am 15.2.1947, besuchte Spaak Eupen
und die Grenzregion von Lichtenbusch bis Monschau und er wurde, wie
er dem Grenz-Echo Chefredakteur Henri Michel gegenüber sagte, durch
das Gesehene in seinen Bestrebungen hinsichtlich der in mäßigen und
vernünftigen Grenzen gehaltenen belgischen Forderungen an Deutsch-
land bestärkt: Keine großen Annexionen deutscher Bevölkerungsgruppen,
wohl aber Berichtigung der unhaltbaren Verhältnisse entlang der Raeren
- Monschauer Bahn (Vennbahn) und Erhalt wirtschaftlicher Entschädi-
gungen für die durch Belgien in vier schweren Kriegsjahren erlittenen
Schäden (9). Bei der neuen Grenzziehung berührten die Gebiets-
übertragungen im Kanton Eupen letzten Endes nur noch folgende Berei-
che:
a) die Straße von Aachen nach Raeren zwischen den Grenzsteinen
943 und 920. Hier lief genannte Straße dicht an der Grenze, woraus sich
für die Bekämpfung des damals noch florierenden Schmuggels große
Schwierigkeiten ergaben. Ein Teil des zu Eynatten gehörenden Freienter
Waldes, der jenseits dieser Straße lag, sollte durch die neue Grenzziehung
dem belgischen Staatsgebiet angegliedert werden.
b) drei Teilstrecken der Straße von Fringshaus
c) den Ortsteil Bildchen (wie er 1922 an Deutschland zurückgefallen
36
war) und weitere 30 ha ehemals reichsstädtisches Gebiet zwischen der
Lütticher Straße und der Bahnlinie nach Herbesthal.
Während die unter a) und b) genannten Gebietsteile unbewohnt wa-
ren, berührten die Grenzkorrekturen in Bildchen insgesamt etwa 480
Bewohner, d. h. 380 in Bildchen - Hergenrath und 100 zwischen Bahnli-
nie und Lütticher Straße (10).
Bildchen. Geschichtliche Daten
Zur Geschichte des Weilers Bildchen schreibt G. Grondal (11), in frü-
heren Zeiten habe ein unweit von dort stehender und als Grenzpfahl die-
nender Baum ein Bild(chen) der hl. Agatha getragen. Der Name "Am '
Bildchen" sei so auf den nahen Weiler übergegangen.
Hans Königs nennt ebenfalls einen der hl. Agatha geweihten Bild-
stock, den man auf der ältesten, i. J. 1569 durch Kornelis Janson Fries
gefertigten Landkarte des Aachener Reichs unter der Bezeichnung "Sannt
Agathen Eich" vermerkt findet; deren Standort befand sich nach Wald-
und Flurkarten des 18. Jh. "etwa 1500 m nordöstlich der Wegegabel am
Bildchen".
Es scheint also ausgeschlossen, daß es sich bei dem Bildstock der hl.
Agatha um das Bildnis handelt, dem der Weiler Bildchen seinen Namen
verdankt.
Hans Königs fand jedoch in alten Stadtrechnungen aus dem Jahre 1447
einen Hinweis auf Wynkyn Kremeir aus der Burtscheider Straße, die
von der Stadt Aachen "dat nuwe huys ayn Maryenbeylde" (das neue Haus
am Marienbild) für jährlich 5 Mark und 6 Schillinge gepachtet hatte.
1456 erwähnen die Stadtrechnungen dieselbe Wynkyn Kremeir als
Pächterin des Wegegeldes, wofür sie 170 Mark entrichtet, und der "nuwe
huser an dat beilt" (der neuen Häuser an dem Bild). Macco habe, so
schreibt Königs, schon vor mehr als 70 Jahren (1901) "dat beilt" auf
Bildchen bezogen (12).
Wo dieses (Marien-) Bild und die schon um die Mitte des 15. Jh. in
dessen Nähe stehenden Häuser zu suchen sind, können wir nicht mit aller-
letzter Sicherheit bestimmen. Es liegt jedoch nahe, das "Bild" an der heu-
tigen Wegegabelung Lütticher Straße - Hergenrather Weg zu vermuten.
Die Ferraris-Karte, um 1775 angefertigt, zeigt am "Bildchen" 5 Häu-
ser, gibt jedoch nur die Bezeichnung "Bois d'Aix" (Aachener Wald). Erst
1808 findet sich auf einer topographischen Karte der Gemeinde
Hergenrath die Eintragung "Le Bilgen".
37
Am Bildchen zweigte der alte Limburger Weg von der Aachen -
Lütticher Chaussee ab und führte über Hergenrath, Lontzen und
Welkenraedt nach Limburg und weiter nach Spa. Es war dies die schnellste
Verbindung zwischen Aachen und dem Ardennenbad. Seit 1774 bestand
ein regelmäßiger Postwagendienst zwischen den beiden Bäderstädten
und auf Bildchen befand sich eine Wegegeldzahlstelle.
Die Bewohner der an der Wegegabelung entstandenen Häuser sahen
nicht nur einen regen Fuhrverkehr vorbeiziehen; manchmal waren es
auch hohe Persönlichkeiten, die mit zahlreichem Gefolge durchzogen.
Bildchen sah Zar Peter den Großen, der am 25.7.1717, von Limburg
kommend, "sich nach alhiesiger kayserlich freyer Reichsstadt Aachen
verfügt, auf wessen Gräntzen die regierende Hn. Burgermeistere und
Sindici in ihren Carössen (= Wagen), wie nicht weniger eine Companie
von denen furnembsten Burgeren zu Pferdt, alle in roth und blaw Montür,
Sr Maj. alda gebuhrend empfangen und bis in der Stadt und dessen
Logement begleitet" (13). Kaiser Josef II. und Gefolge zogen am 18.
Juli 1781 über Bildchen nach Limburg und Kaiser Franz II. kam am 8.
April 1794 auf der Durchreise nach Brüssel am Bildchen vorbei, wo er
von einer Delegation der limburgischen Stände empfangen wurde.
Eine besondere Ehrung war es, wenn die Behörden der Stadt Aachen
einen Mitbürger hier, an der Grenze des Aachener Reiches, bei der Rück-
kehr aus dem Ausland begrüßten, so wie dies am 25. August 1776 ge-
schah, als Matthäus Joseph Wildt nach glanzvoll bestandenem Examen
an der Rechtsfakultät der Universität Löwen nach Aachen zurückkehrte
und "der reichsstädtische Rat, die Schulen, Kaufleute und viele Bürger
ihm zu Wagen, zu Pferde und zu Fuß" entgegenzogen. Am Bildchen
wurde der Geehrte in "schwungvollem Latein" begrüßt und trat dann "in
schwarzseidenem Mantel und lorbeergeschmückt" hoch zu Roß und
eskortiert von sechs kaiserlichen Postillonen die Weiterreise nach Aachen
an. In sechsspännigem Wagen folgten die Eltern des Gefeierten, in
vierspännigen Kutschen begleiteten ihn Professoren der Universität und
des Aachener Mariengymnasiums, gefolgt von weiteren zweiundzwanzig
Wagen Aachener Behörden und vornehmer Bürger (14). Zweimal als
Sieger (1792, 1794) und zweimal als Besiegte (1793, 1814) kamen die
Franzosen und am 4. August 1914 erlebten die Bewohner Bildchens aus
nächster Nähe den Vorbeimarsch der deutschen Truppen.
Die statistischen Nachrichten für den Regierungs-Bezirk Aachen aus
dem Jahre 1827 nennen unter "Hergenraed" den Ortsteil Bildchen mit
der Einschränkung "zum Teil" als "Gehöfte", d. h. weniger als sechs
39
Häusern, mit drei Bewohnern. Unter Moresnet fallen am Bildchen
"Gehöfte" mit 22 Seelen. So zählte man also 1827 am Bildchen 25 Ein-
wohner. 1870 hatte sich deren Zahl mit 51 etwas mehr als verdoppelt.
Nach 1920 führte die Verlegung des deutschen Zollamtes vom Wei-
ßen Haus nach Bildchen zu einer ständig wachsenden Bevölkerung des
kleinen Weilers. "Zur Unterbringung der Grenz- und Zollbeamten, der
Zollagenturen und verwandter Unternehmungen entstanden längs der
Landstraße etliche Neubauten. Mancher der Stadtluft überdrüssige Bür-
ger schuf sich am Rande des Preuswaldes ein Eigenheim" (15).
Schon in den Jahren 1907-1909 waren am Unteren Backertsweg zwei
Genesungsheime für Männer und Frauen entstanden. Eine Tages-
erholungsstätte für Kinder entwickelte sich zum Städtischen Kinderheim.
1930 wurde die Kapelle "Maria im Tann" errichtet. Das Männer-
erholungsheim wurde später zur Volksschule, dann zur Sonderschule.
Ein Volksschulneubau wurde am 10. September 1926 in einem Anbau
ans alte Forsthaus, neben Hotel Pitz-Braun, eröffnet.
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Teilansicht von Bildchen i. J. 1978 (Von der Eisenbahnbrücke in Richtung Kelmis)
Der Schulbau bestand aus nur einem einzigen Klassenraum und einer
Lehrerwohnung. (Anm.: Das frühere Männergenesungsheim ist heute
die "Jugendberufshilfe der Stadt Aachen". Die Schwestern vom Armen
40
Kinde Jesu, die das Kinderheim betreut hatten, haben die Leitung des-
selben inzwischen an den Katholischen Erziehungsverein übergeben. In
Wohngruppen werden heute Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis
21 Jahre betreut).
Einen erheblichen Bevölkerungszuwachs brachte auch um 1936 der
Bau von 21 Einfamilienhäusern durch den Reichsbund der Kinderrei-
chen zwischen Landstraße und Preuswald. Jenseits der inzwischen auf-
gehobenen Eisenbahnstrecke nach Montzen errichtete die Reichsbahn 7
Eigenheime für ihre Angestellten.
Mutmaßungen und Gerüchte
Am Mittwoch, dem 2. März 1949, zitierte das "Grenz-Echo" die
"Derni&re Heure", derzufolge man "sogar für Ende dieser Woche" mit
den Grenzberichtigungen rechne. Alle in polizeilicher und zolltechnischer
Hinsicht gestellten Forderungen sollten erfüllt werden. "Die neue Gren-
ze werde östlich der Eisenbahnlinie Raeren - Kalterherberg und Weismes
- St. Vith liegen, so daß die Gemeinden Rötgen und Mützenich und der
Weiler Hemmeres an Belgien fallen werden. Belgien wird die vollstän-
dige Kontrolle über die Straße von Lichtenbusch und die Enklave von
Hergenrath erhalten, die 1922 an Deutschland zurückgegeben worden
war.
Die Grenzverbesserungen werden den durch den Versailler Vertrag
geschaffenen Schwierigkeiten an unserer Ostgrenze ein Ende machen.
Etwa 4.200 Deutsche werden dadurch Belgien einverleibt werden.
Da diese Entscheidungen der augenblicklichen Pariser Konferenz
durch den Friedensvertrag mit Deutschland eventuell abgeändert wer-
den könnten, werden diese Deutschen nicht gleich endgültig in die bel-
gische Gemeinschaft aufgenommen. Die Erfahrung wird zeigen, was
endgültig werden wird oder nicht.
In den betreffenden Gebieten werden vorläufig Übergangsmaßnahmen
getroffen werden. Sie erhalten eine Militärverwaltung, deren Chef der
augenblickliche Kommandant der Forestiers in der Eifel, General Bolle,
dessen Hauptquartier in Montjoie ist, werden wird. Der Bahnhof von
Montjoie wird an Belgien kommen, jedoch nicht die Stadt.
Die "Neubelgier" erhalten einen besonderen Personalausweis, der ih-
nen vorläufig nicht gestatten soll, sich außerhalb des Arrondissements
Verviers zu begeben.
41
Es wurden ebenfalls Maßnahmen für die Geldumwechslung getrof-
fen. Um alle Mißbräuche zu vermeiden, soll der zum offiziellen Kurs
von 13,20 F umgewechselte Markbetrag begrenzt werden.
Alles ist bereit, und von heute auf morgen können die Grenzsteine
versetzt werden."
Ganz so schnell sollte es dann doch nicht gehen. Schließlich verlang-
te jede Änderung der Landesgrenzen laut Artikel 3 der Verfassung eine
gesetzliche Grundlage. Da das Parlament die beiden Memoranden der
belgischen Regierung vom 14. November 1946 und 17. Januar 1947
gebilligt hatte, zweifelte zwar niemand daran, daß die Volksvertreter ihr
Einverständnis zu den vorgesehenen Grenzberichtigungen geben wür-
den, aber diese verfassungsmäßig vorgeschriebene Prozedur war einzu-
halten.
Letzten Endes umging man dennoch diese Hürde, indem man das
Gebiet einer Militärverwaltung unterstellte.
Auf deutscher Seite gab es keinen Ansprechpartner, da die Länder-
regierungen keine außenpolitischen Kompetenzen besitzen und die
Hoheitsrechte der ehemaligen Reichsregierung auf die Militärregierungen
übergegangen waren. So mußte also der britische Militärgouverneur mit
der belgischen Regierung ein Abkommen schließen.
Am 28.3.1949 erfuhr der Zeitungsleser, das zwei Tage zuvor veröf-
fentlichte Kommunique enthalte keine Einzelheiten. Insgesamt würden
31 kleinere Grenzkorrekturen zu Gunsten der Niederlande, Luxemburgs,
Frankreichs und Belgiens mit einer Gesamtoberfläche von 135 qkm und
13.500 Bewohnern zu einem noch festzulegenden Datum vorgenommen.
Die Zeitung hebt hervor, daß die endgültige Regelung der Grenzfest-
setzung sowie die Frage der größeren Gebietsabtretungen auf die Zeit
der Friedensverhandlungen mit Deutschland verschoben seien.
Am 16. April 1949 gab auch endlich das belgische Außenministerium
eine offizielle Mitteilung zu den geplanten Grenzberichtigungen heraus.
Kurt Grünebaum, Brüsseler Korrespondent des "Grenz-Echo", gab sei-
ner Zeitung den nebenstehenden telephonischen Bericht durch.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Arnold, der von Erstminister
Spaak darüber unterrichtet wurde, daß Belgien auf einen Teil der ihm
zugestandenen Gebietserweiterungen u. a. Rötgen und Mützenich, ver-
zichte, zeigte sich über diese Entscheidung der belgischen Regierung
"sehr erfreut", denn das bedeute, daß nicht 4.700 Deutsche, sondern nur
500 unter die belgische Souveränität kämen. Den belgischen Verzicht
würdigte Arnold als "einen Beitrag zum Geiste des neuen Europas" und
43
Ministerpräsident Karl Arnold, wie auch die anderen westdeutschen
Länderchefs, hatten direkte Verhandlungen gewünscht. Arnold hatte ar-
gumentiert, die Grenzen zu den Benelux-Staaten seien in den Jahren 1648
(Friede von Münster und Osnabrück) und 1815 (Wiener Kongreß) fest-
gelegt worden. Die Westalliierten erklärten dem gegenüber, in Ost-
deutschland habe die Annexion deutschen Gebietes durch Polen das
600fache dieser Grenzkorrektur ausgemacht.
Die am 23. April 1949 vorgenommenen Grenzkorrekturen verliefen
ohne besondere Vorkommnisse. Einem Eigenbericht des Grenz-Echos
zufolge waren am Vorabend der Grenzverlegung auf belgischer Seite
(Tülje) nicht die geringsten Anzeichen der bevorstehenden Änderungen
zu erkennen, während auf deutscher Seite (Bildchen) die Grenzschranken
schon entfernt und weiter nach Osten gebracht worden waren. Auch ei-
nen Barackenbau hatte man schon abgebaut und durch einige Blumen-
beete ersetzt. Einen Teil der Möbel hatten die deutschen Behörden be-
reits abtransportiert. Kurzum, "es roch nach Umzug". Die deutschen
Kontroll- und Abfertigungseinrichtungen wurden am Unteren
Backertsweg wiederaufgebaut dort, wo sich heute der Parkplatz von Maria
im Tann befindet. Mit umgezogen waren der ADAC und eine Wechsel-
stube.
Das große Hinweisschild der englischen Besatzungsbehörde war an
dem neuen deutschen Zollhaus aufgestellt worden. Dem Journalisten fiel
auch auf, daß man die Kleinbahnschienen auf dem nun Belgien unter-
stellten Gebiet aufgehoben hatte.
Die deutsche Zollabfertigung und der belgische Zollposten (11 Mann)
lagen am Fuße des Aachener Berges, einer starken Steigung der Lütticher
Straße. Es ist in der Folgezeit häufiger zu gefährlichen Situationen ge-
kommen. Bei Bremsversagen und bei Glatteis wurden die Zollschranken
durchbrochen.
Andererseits war das Anfahren nach der Zollabfertigung in Richtung
Aachen sehr erschwert, bei Regen, Schnee und Eis sogar zeitweise un-
möglich.
Auch die Raumverhältnisse waren in diesen Zollabfertigungsbauten
alles andere als zufriedenstellend.
Am frühen Morgen des 23. April war Chefredakteur Henri Michel
schon vor sechs Uhr an der Zollstelle Tülje. Hier herrschte absolute Ruhe,
hatten die Behörden doch jeglichen Verkehr zwischen Tülje und Bild-
chen für die Zeit von sechs bis 13 Uhr untersagt. Drei Personen warteten
schon vor dem Zollhaus: Der zukünftige Militärgouverneur General Paul
44
Bolle, der Zollinspektor Lannoy sowie der für die öffentliche Sicherheit
zuständige Inspektor Simon, zu denen sich später noch der belgische
Verbindungsoffizier in Aachen, Major Delmotte, und der Chef der briti-
schen Grenzkontrollbehörde, Hauptmann Lunn, gesellten.
Als diese Persönlichkeiten in Begleitung von 12 belgischen Zollbe-
amten sich nach Bildchen begaben, um dort die ersten Übergangs-
maßnahmen zu ergreifen, mußten die wartenden Journalisten zurück-
bleiben. Erst um 12 Uhr wurden die Grenzen geöffnet und die Belgier
durften sich nach Bildchen begeben. Die Einwohner Bildchens mußten
noch mit neuen Ausweisen versehen werden, ehe sie über die Grenze
nach Belgien durften. Die genaue Grenzlinie sollte erst in der über-
nächsten Woche durch eine besondere, in Spa tagende Kommission, fest- >
gesetzt werden. Der bisherige Zollposten auf Tülje blieb bestehen; an
der Abzweigung der Hergenrather Straße kam noch ein weiterer
Grenzkontrollposten für den aus Hergenrath kommenden Verkehr hin-
zu. Am Posten Tülje erhielten die dort kontrollierten Personen und Kraft-
wagen einen Kontrollschein, den sie an der Station Hergenrather Weg
vorzeigen mußten, um einer zweiten Kontrolle zu entgehen.
Ein Eigenbericht des "Grenz-Echos" vom Montag, dem 25. April 1949,
schildert weitere Einzelheiten der Grenzverschiebung. Chefredakteur
Henri Michel wußte von "einer langen Reihe Autos" zu berichten, die
sich ab dem Mittag des 23. April in Richtung neue Grenze bewegten. Als
erstes fiel ihm dann auf, daß dort die belgischen und die deutschen Zoll-
posten nur wenige Meter auseinander lagen. An hohem Mast flatterte
die große belgische Fahne, die sich vordem am belgischen Zoll auf Tülje
befunden hatte, und signalisierte den aus Aachen kommenden Reisen-
den, daß sie nun "belgisches" Gebiet betraten. Das belgische Zollbüro
war "in einer Art Bungalow" untergebracht.
Die Bevölkerung Bildchens war "ziemlich zahlreich" erschienen, und
schaute dem allem mit Interesse zu. Manche von ihnen erlebten den drit-
ten Staatenwechsel: 1920 waren sie belgisch geworden, 1921 wieder
deutsch und nun wieder belgisch. Aus den Gesprächen mit den Einwoh-
nern konnte der Journalist zuerst die Sorge um Arbeit und Brot heraus-
hören. Alle brannten aber darauf, sich jenseits der bisherigen Grenze mit
Waren aller Art eindecken zu können.
Im Gasthaus am alten deutschen Zoll am Bildchen wurden unterdes-
sen die ersten Antragsformulare für die Ausstellung der neuen Pässe aus-
gehändigt und dem belgischen Bier zugesprochen. ...
45
Der Grenz-Echo Chefredakteur kam am Tag nach dem "Anschluß"
wieder nach Bildchen. Es war Sonntag und den ganzen Tag kamen die
Menschen in Strömen, um die neue Grenze aus nächster Nähe zu sehen.
Als "eine wirkliche Völkerwanderung" beschrieben Anwohner das Ge-
schehen.
Aachen verlor an jenem Tage 247,9 ha und 591 Einwohner (16). Im
einzelnen waren es
* Bildchen mit rd. 179,8 ha,
* ein Stück der Raerener Straße bei Lichtenbusch mit rd. 6,2 ha und
* der Freienter Wald bei Lichtenbusch mit rd. 61,9 ha.
Die Stadt hatte befürchtet, Belgien könne über die im 1947 veröffent-
lichten Memorandum genannten Forderungen hinausgehen und bei Bild-
chen nicht eine Grenzlinie vom Grenzstein 1008 bis 980, sondern vom
Grenzstein 1017 westlich bis zum Südausgang des Buschtunnels und
von dort südlich zum Grenzstein 980 verlangen, womit 186,43 Hektar
mit einer Bevölkerung von 789 Personen zu Belgien gekommen wären.
Zu diesen Personen gehörten die Kinder des städtischen Kinderheimes
sowie etwa 200 Berufstätige, insbesondere 37 Bahn- und Postbedien-
stete, die täglich mit der Straßenbahn nach Aachen zur Arbeit fuhren
sowie 41 Zoll- und Polizeibeamte.
Ferner lagen in dem Gebiet vier Handwerksbetriebe (1 Installateur, 1
Dachdecker, 1 Elektromechaniker, 1 Bäcker), drei Lebensmittelgeschäfte,
zwei Gastwirtschaften und 13 landwirtschaftliche Betriebe.
Die "Aachener Volkszeitung", deren Argumente gegen diese Grenz-
ziehung vom " Grenz-Echo" wiedergegeben werden (17), sah dadurch
eine unhaltbare Lage für das Kinderheim entstehen, da drei Gebäude des
Heimes auf deutsches und drei auf belgisches Gebiet zu liegen kämen.
Auch das für die Wasserversorgung der Reichsbahn zuständige Wasser-
werk sowie die Signalanlagen für Aachen-Süd lägen dann auf belgischem
Gebiet.
Die Befürchtungen der "AVZ" waren jedoch unbegründet, zumindest
im Hinblick auf das Aachener Kinderheim, das jenseits der neuen Grenz-
linie blieb. Tatsache aber war, daß der Grenzstein 1017 als Ausgangs-
punkt der neuen Grenze genommen wurde.
Von belgischer Seite waren alle Vorkehrungen für einen möglichst
reibungslosen Übergang unter belgische Verwaltung getroffen worden.
Wie schon 1920 in den Kreisen Eupen und Malmedy, so legte die Regie-
rung die delikate Aufgabe der Verwaltung der neuen Gebiete auch jetzt
in die Hände eines altgedienten Militärs, des Generalmajors Paul Bolle,
46
der zuvor die Holzfällerkolonnen in der deutschen Eifel befehligt hatte.
Der am 30.3.1890 in Hasselt geborene Paul Francois Pierre Louis Bolle
entstammte einer Offiziersfamilie. 1903 trat er in die Kadettenschule ein
und wurde 1912 zum Unterleutnant der Artillerie befördert. Mit der 5.
Artilleriedivision nahm Bolle im 1. Weltkrieg an acht Schlachten teil,
wurde zwischenzeitlich zum Leutnant und zum "Kapitän" ernannt, stand
von Dezember 1918 bis Oktober 1919 mit der belgischen Besatzungs-
truppe in Deutschland, wo er von 1920 bis 1927 der interalliierten
Kontrollkommission angehörte. Anschließend war Bolle dem Luftab-
wehr-Regiment zugeteilt. 1929 wurde er Major, 1938 "lieutenant-
colonel". Als der Krieg ausbrach, befehligte Bolle das erste Flak-
Regiment. Im Anschluß an den 18-Tage-Feldzug wurde er als Kriegsge- +
fangener nach Deutschland gebracht, von wo er erst im Juni 1945 zu-
rückkam. Seine Kriegsgefangenenmarke weist ihn als Insassen des
Gefangenenlagers Soest mit der Nr. 2477 aus. In die Zeit der Kriegsge-
fangenschaft fiel seine Beförderung zum Colonel (26. Sept. 1941).
In den ersten Nachkriegsjahren versuchte Belgien, die erlittenen
Kriegsschäden z. T. durch massive Holzeinschläge in den grenznahen
Wäldern der deutschen Eifel auszugleichen. Am 4. April 1946 wurde
das Kommando über diese als Holzfäller ("forestiers") eingesetzten Trup-
pen dem Major Bolle übertragen.
Mit 58 Jahren kam Paul Bolle zur Reserve, blieb aber im Dienst. Am
1. Januar 1948 wurde er zum Generalmajor befördert und am 16. April
1949 mit der Verwaltung der unter belgische Hoheit gestellten Gebiete
von Bildchen bis Hemmeres betraut.
Diese Aufgabe war in mancherlei Hinsicht schwieriger als die 1920
von General Baltia in Eupen-Malmedy übernommene. Baltia hatte ein
zusammenhängendes Territorium mit festen Verwaltungsstrukturen und
einem intakten Schulnetz vorgefunden. Generalmajor Bolle stand vor
dem Nichts. Das von ihm zu verwaltende Gebiet bestand nur aus kleinen
Teilen verschiedener Gemeinden, ohne inneren Zusammenhalt. Dennoch
verfügte Bolle über große Machtbefugnisse, die ihm von den anderen
Ministerien überlassen wurden. So war er, nach den Worten des Grenz-
Echo Korrespondenten Kurt Grünebaum, "nicht nur das Oberhaupt ei-
ner Gebietseinheit, sondern gleichzeitig Innenminister, Justizminister,
Landwirtschaftsminister, Finanzminister usw." (18). Der General sagte
dem Grenz-Echo Journalisten: "Rein rechtlich kann ich Diktator spielen
wie Stalin oder Franco. Für alle Verwaltungsangelegenheiten habe ich
Vollmacht."
47
In einer in Bildchen, Lichtenbusch, Losheim und Hemmeres zum
Anschlag gebrachten 10 - Punkte - Proklamation beschrieb Gouverneur
Bolle den zukünftigen Grenzverlauf und regelte eine Reihe von Einzel-
fragen bzgl. Staatsangehörigkeit, Reisefreiheit, Steuerhoheit und Geld-
umtausch.
In einem Gespräch mit den Journalisten versprach Bolle, die Bewoh-
ner von Bildchen würden einmal monatlich eine für zwei Tage gültige
Grenzkarte zum Besuch von nahen Verwandten im deutschen Grenz-
gebiet erhalten. Auch werde es diesen deutschen Verwandten erlaubt,
ihrerseits einmal im Monat für zwei Tage nach Bildchen zu kommen.
Die entsprechende Grenzkarte werde von den britischen Besatzungs-
behörden ausgestellt. Für die in Aachen beschäftigten Arbeiter bzw. dort
zur Schule gehenden Kinder werde eine besondere Grenzkarte für den
täglichen Grenzübertritt vorgesehen. Doch schon damals trug sich die
belgische Regierung mit dem Vorhaben, in Bildchen eine eigene Schule
zu eröffnen.
In der schon zitierten Veröffentlichung "Le Canton d'’Eupen", hat G.
Grondal die sich damals stellenden Probleme zusammengefaßt:
Die ersten Maßnahmen der neuen Verwaltung betrafen den Umtausch
des deutschen Geldes sowie das Zollwesen und den Warenverkehr. Für
letzteren galt das Gebiet als Inland für alle Transaktionen mit Belgien;
Importe aus Deutschland waren den in Belgien geltenden Zoll-
bestimmungen unterworfen. fl
Eine weitere Sofortmaßnahme war die Einrichtung eines Personen-
standsregisters (für Bildchen wurden besondere Register geführt), die
Umsetzung von Urteilen belgischer oder deutscher Gerichte usw.
Da die Gebiete keine zusammenhängende Gemeindeeinheit bildeten,
verfiel man auf den Ausweg, sie per Ordonnanz (Verordnung) zu einer
einzigen Gemeinde zu erklären, an deren Spitze ein Verwaltungsfachmann
stand, der alle die Funktionen ausübte, die in Belgien dem Gemeinde-
oberhaupt zufallen.
Diesen Verwaltungsfachmann fand man in der Person des in Neutral-
Moresnet am 16. Mai 1904 geborenen Joseph Gouder de Beauregard,
der schon in der Verwaltung Eupen-Malmedys unter General Baltia tätig
gewesen war, ehe er als Übersetzer zur Provinzialregierung in Lüttich
überwechselte.
48
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DESCRIPTION OF HOLDER —= SIGNALEMENT DU
TITULAIRE - BESCHREIBUNG DES BESITZERS
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| Christian Names Elfriede Franziska Katharina
fin PrENONS.0 00000 Keen KE
i Vornamen |
| N $ H
+. Nationality a demande H
(National 4t daniel 0er EEE TR]
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| Däte/Place of Bfrähm, —) Hergenrath le . &
! Lieu et date de natsSafle. .... BED DA
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; N° de SE PN NN i
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| Gründe der-Reise‘ A: AB Heures paynUiE
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; This permit is valid kom Ockgbre bee Sgembanie
; Ce permis est valable RE POS EN. OO |
; ‚Diese Genehmigung St gültig vom ‚bis (a H
. For ONE ERDE ARTE ne Ai H
; Pöur un voyage aller et” retour/Mensuel i
| Für EINE MORE Ze 48 Stunden!
| Be9n....‚Pirüchen, 3°... Kornelimünster
; Von nach * |
}i. Via Crossing Point/Border stone Bj {
} Tig, liew de .passage/borne..... ‚Bildchen. IT wow |
‘Ueber Grenzübergangsstelle/Grenzstein }
| Fee, Dix francs x“
{ A |
} . Gebühren
| Signature . H
} N/A {
; Unterschrift % Y |
Passierschein zum Verwandtenbesuch (gelb mit diagonalem roten Balken )
50
|
ROYAUME DE BELGIQUE |
% ah N BELGIEN |
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4 Re RE !
Man f |
| CARTE D'IDENTITE |
el d’inscriplion |
aux regisires de Ia population |
.| PERSONALAUSWEIS |
und Bescheinigung der Eintragung |
im Bevölkerungsregister f
/
Gr '
X Imp. H. Braun, Eupen 3 ;
Fremdenpaß (gelb mit rotem Querbalken)
Am 23. April 1949 wurde Jos. Gouder de Beauregard zum "Kopf" der
Zivilverwaltung ernannt, ein Amt, zu dem ihn seine Sprachkenntnisse,
seine Vertrautheit mit den örtlichen Gegebenheiten und seine bisherige
Verwaltungstätigkeit geradezu prädestinierten.
Die polizeilichen Funktionen nahm in Bildchen der aus Welkenraedt
stammende Feldhüter Curtz wahr.
Der Staatenwechsel war für die Bewohner des betroffenen Gebietes
ohne Einfluß auf die Staatsbürgerschaft. Sie blieben Deutsche mit einem
auf unbestimmte Zeit gültigen Fremdenpaß, der es ihnen erlaubte, sich
frei in Belgien zu bewegen. Der Grenzübertritt nach Deutschland wurde
durch besondere Passierscheine erleichtert, und an bestimmten Tagen
51
(Allerheiligen, Karneval...) galten besonders großzügige Bestimmungen.
Auch der Besuch der nahen Kapelle "Maria im Tann" war uneingeschränkt
möglich.
Weitere Bestimmungen betrafen das Steuerrecht, die Grundbuch-
eintragungen, die Erbschaftssteuer, das Jagd- und Fischereiwesen, die
Land- und Forstwirtschaft sowie das Sozialwesen (Begrenzung der
Mietpreise, Sozialsicherheit der Lohnempfänger) usw. Es waren Beam-
te aus den Nachbarkantonen, die die Befugnis erhielten, die mit ihrem
Amt verbundenen Funktionen auch in den "neuen" Territorien auszu-
üben.
In den unter belgische Verwaltung gekommenen Ortsteilen wurde die
belgische Schulgesetzgebung eingeführt, ebenso die medizinische Schul-
untersuchung und die damit verbundenen Impfungen (Pocken ...). Im
September 1949 wurde in Bildchen im früheren deutschen Zollhaus (er-
baut 1926) eine Schule eröffnet; im Abendunterricht bot man zudem al-
len interessierten Erwachsenen Französischkurse an.
In dem rosarot gestrichenen Bau wirkten als Lehrkräfte Frau Verplanke,
die Gattin eines Zollbeamten, und der aus der Provinz Luxemburg stam-
mende Lehrer Schreiber.
Ein besonderes Problem stellte das Gerichtswesen dar. Es wurde durch
die Schaffung eines Sondergerichts gelöst, das in der Schule am Bild-
chen tagte. Dieses Gericht bestand aus einem Richter, einem als Staats-
anwalt fungierenden Rechtsanwalt und einem Gerichtsschreiber. Der
Richter war mit höchsten Vollmachten ausgestattet. Gegen sein Urteil
gab es keine Berufungsmöglichkeit. Er sprach in erster und letzter In-
stanz Recht. Auf dem Wege von Ordonnanzen wurde die Prozedur fest-
gelegt und die belgische Gesetzgebung wenn nötig eingeführt.
53
Gruppenbild mit Generalmajor Bolle.
Sitzend von links nach rechts: Luise Wernerus (Sekretariat), Frau Mosbeux (*),
Frau Lannoy (*), Frau Strubbe (*), Generalmajor P. Bolle, Frau Detilleux (*),
Frl. Fey (Sekretariat), Frl. Baltus (*)
Stehend v. 1. n. r.: Herr Rondeux (Sekretär des Zollinspektors Lannoy), Paul Jansen,
(Chauffeur des Kommandanten Mosbeux, Monschau), Paul Lehnen (Buchhalter),
Kommandant Jules Mosbeux (Berater von General Bolle), Jean Lennertz (Hausdiener,
Welkenraedt), Karl Heinz Loewe (Buchhalter, aus Dessau), Senator Dr. Baltus (*),
L6on Herpelinck (Chauffeur des Generals), Josef Gouder de Beauregard (Bürger-
meister, Standesbeamter, Übersetzer und Gerichtsschreiber), Max Mockel (Res-
sort Soziales; kam nur nach Feierabend), Herr Detilleux (Hauptschulinspektor),
Herr Strubbe (Finanzministerium; Angleichung der Steuersysteme), Felicien Lannoy
(Zollinspektor, Vielsalm), Jules Malempre (Adjutant, Sekretariat), Herr Helman
(Zollsekretär).
Die Aufnahme entstand zwischen Ende April und Ende Juni 1949. Die mit (*) versehe-
nen Personen gehören nicht zur Verwaltung des Generals (Ehefrauen, Senator Baltus ...).
MILITARY GOVERNMENT AACHEN
Det. F. I... 2
This is to vertify that Johann Laeven is employid on the farm
NEE SE 63 and allows him to circulate within the
beunäries of his farm inwhich extends 5 _hectars over the Belgium
frontier.
This is not a travel pass into Belgium, merely the permission to
move about on his farm which extends approximably 50.000 square
meters on the Belgium soil. DZ 2 7 Senn
HE Miele Gr
v— m MILITARY &OVE! OFFICER_
OFFICIAL 4 —
| Akied dr De Force.
$ A, Ye ent
] Ih ÜNZUG
| id Zi Qi 8
eilig ovehapen? Dütger 17
Sondergenehmigung zum Grenzübertritt für den Landwirten Joh. Laeven, dessen
Gut (Ries) sich nach der neuen Grenzziehung z. T. auf belgischem Gebiet befand
In dem schon zitierten Grenz-Echo Beitrag von Kurt Grünebaum fin-
den sich einige weitere interessante Details zur Rechtspflege in dem be-
treffenden Gebiet. So fungierte der Eupener Rechtsanwalt Rene Wintgens
als vorsitzender Einzelrichter des genannten Sondergerichts und Dr. Leo-
54
pold Nyssen war dort als Amtsanwalt tätig. Letzterer wird von K. Grüne-
baum mit folgenden Worten zitiert:
"Anfänglich gab es einige kleine Schwierigkeiten rein rechtlicher Art.
Ein Richter und ein Amtsanwalt müssen vereidigt werden. Aber welche
Eidesformel war hier anzuwenden? Darüber wurde einen ganzen Tag
lang in Brüssel mit dem Justizministerium verhandelt. Schließlich muß-
ten wir einen Treueid auf General Bolle ablegen, da das belgische Recht
nur beschränkt in diesem Gebiet angewendet werden konnte. Eine Ver-
pflichtung, "die Gesetze des belgischen Volkes zu beachten", wie sie in
Eidesformeln für Innerbelgien vorhanden ist, kam hier nicht in Frage."
Auf die Frage des Journalisten, welches Recht von dem Sondergericht
angewendet worden sei, sagte Dr. Nyssen: "Bei den wenigen Verhand- '
lungen, die einmal in Losheim und einmal in Bildchen stattfanden, wand-
ten wir belgisches, aber auch deutsches und rheinisches Recht an. Wir
hatten entsprechende Anweisungen vom Justizministerium in Brüssel
erhalten. Bei Verkehrsdelikten berücksichtigten wir die belgische Ver-
kehrsordnung. Selbstverständlich mußten wir bei Miet- und Pacht-
streitigkeiten deutsche Rechtsnormen beachten."
Das Sondergericht hat nicht viel zu tun gehabt. Es gab kein einziges
Kapitalverbrechen und auch nur einmal mußte ein Einwohner aus
"Bollenien" ins Vervierser Gefängnis eingeliefert werden. Er hatte sich
mit seinem Nachbarn geprügelt und dessen Tauben den Hals umgedreht!
In der Vervierser Haftanstalt waren, nebenbei gesagt, drei Zellen für
Sträflinge aus "Bollenien" reserviert.
(Anm.: Für kleinere Straftaten hatte man auf dem Dachboden des
Schul- und Verwaltungsgebäudes am Bildchen -dem späteren deutschen
Zollamt- eine Arrestzelle eingerichtet).
Dr. Nyssen wußte auch von der guten Zusammenarbeit mit den deut-
schen Polizeikräften zu berichten, die vor allem bei Verkehrsunfällen
wertvolle Hilfe leisteten.
Im "Herrschaftsgebiet" des Generals Bolle wurden die Provinzvor-
schriften über die Entraupung, die Bekämpfung von Disteln, das Schnei-
den der Hecken usw. eingeführt, während andere Bestimmungen, z.B.
bzgl. der Müllabfuhr, des Fegens der Schornsteine, der Feuerbekämpfung
usw. durch die "kommunale" Behörde erlassen wurden.
Das Schulhaus an der Straßengabelung Lütticher Straße - Hergenrather
Weg diente auch als Gemeindeamt, wo Herr Loewe als Sekretär fungierte.
Die Post wurde in Bildchen zwar von Kelmis aus zugestellt, doch
besaß der Weiler vom 7.11.1949 bis zum 20.4.1957 ein eigenes Postamt
55
/ Kantor mit besonderem Stempel "Bildchen". Diese Poststelle war im
Hause Lütticher Straße Nr. 561, wo Frau Kessel die Postkunden bedien-
te. Hier wurden Rentenauszahlungen vorgenommen, Briefmarken und
Postkarten verkauft usw. Als Briefträger fungierte lange Jahre Jean
Radermecker (Kelmis, 31.7.1914 - 25.2.1978).
Ein Zustand auf Zeit
Daß die 1949 unter belgische Verwaltung gekommenen Gebiete dem
Königreich nicht definitiv einverleibt würden, war fast allen von vorn-
herein klar. Aachens Oberstadtdirektor Servais berichtete am 4. Dezem-
ber 1950 dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Arnold, er
sei der Überzeugung, der Großteil der belgischen Bevölkerung wolle
die Annexion wieder rückgängig machen. Bildchen biete keine Arbeits-
möglichkeiten, da keine Gruben und keine Industrie vorhanden seien.
Die Landwirtschaft in Bildchen werde auf sehr schlechtem Boden
betrieben und könne mit den fruchtbaren Gebieten Belgiens nicht in
Wettbewerb treten. Bildchen mit seiner Verwaltung, dem Straßenbau,
den Versorgungsleitungen, Schulen und Zollgebäude bedeute für den
belgischen Staat nur eine finanzielle Belastung. (Anmerkung: Im Bud-
get des Jahres 1950 waren 12.112.000 F als staatliche Zuschüsse an das
Budget des Militärgouverneurs für die "territoires transf&r&s" (die unter
Auftragsverwaltung gestellten Gebiete) vorgesehen; 1951 waren es noch
4.665.000 F).
Für die Annexion von Bildchen plädierte jedoch im belgischen Ab-
geordnetenhaus der Kelmiser Abgeordnete Peter Kofferschläger. Ein
wichtiges Argument war für ihn die Waldarmut der Gemeinden Kelmis
und Hergenrath. Er sah in der Annexion bessere Nutzungsmöglichkeiten
des Altenberger (Kelmiser) Gemeindewaldes.
Außerdem, so Servais, erstrebe Belgien den Besitz der Weiche zwi-
schen den Strecken Aachen-Lüttich und Aachen-Montzen, um von jeder
dieser Strecken in die andere übersetzen zu können, ohne deutsches Ge-
biet befahren zu müssen (19).
Bezirkskommissar Henri Hoen stattete am 11.12.1951 dem Aachener
Regierungspräsidenten einen längeren Besuch ab. Im Verlauf der Unter-
redung berührte der Bezirkskommissar auch die Frage der unter belgi-
scher Verwaltung stehenden Gebiete und meinte, diese werde wohl An-
fang des kommenden Jahres akut. Er persönlich sei für die Rückgabe
dieser Gebiete an Deutschland, "damit an der deutsch-belgischen Gren-
56
ze keine neuen Probleme entstehen" (20). Ministerpräsident Arnold, der
sich 1949 über die belgische Mäßigung so sehr erfreut gezeigt hatte,
verlangte auf einer Tagung der Jungen Union am 7. März 1954 die Frei-
gabe der Gebiete seines Landes, die 1949 unter belgische bzw. nieder-
ländische Verwaltung gestellt worden waren. "Diese Gebiete gehören
rechtens weiter zu Nordrhein-Westfalen", so Arnold. Ihre Bewohner sind
unbestritten weiter deutsche Staatsangehörige. Eines Tages wird das
Besatzungsrecht fallen und die fremde Verwaltung wird ein Ende finden
müssen."
Der Vervierser PSC-Abgeordnete Albert Parisis, der im November
1951 die Grenze von Losheim bis Bildchen abfuhr, beschrieb seine Ein-
drücke und die an der Grenze bestehenden Probleme in einem Beitrag
für das Grenz-Echo (17.!!.1951). Zu Bildchen faßte Parisis sich sehr kurz.
"Endlich", so schrieb er, "wenn man sich Aachen nähert, kommt man in
das Gebiet von Bildchen, dessen wenig zahlreiche Bevölkerung im Be-
griff ist, sich ohne Widerstreben anzugleichen, dank der weisen Verwal-
tung des Generals Bolle."
Der Staatsvertrag
Dieses Ende kam schneller als erwartet. Eine geschickte Außenpoli-
tik, die ganz auf Westintegration setzte, machte die Bundesrepublik
Deutschland wieder schnell zu einem gleichberechtigten Partner der
westeuropäischen Nationen (Mitglied der Organisation für europäische
wirtschaftliche Zusammenarbeit / OEEC 1949, Mitglied des Europarates
1950, Gründung der Montanunion 1951, "Pariser Verträge" 1954, NATO-
Beitritt am 9. Mai 1955). Da ein Friedensvertrag mit Deutschland in
immer weitere Ferne zu rücken schien, sorgten bilaterale Verträge für
die Lösung bestehender Probleme.
Auch Belgien war an einer Neuregelung des Verhältnisses zur Bun-
desrepublik interessiert. Hieß es nicht, Außenminister Spaak wolle für
den Posten des NATO-Generalsekretärs kandidieren und erhoffe dabei
die Unterstützung der Deutschen? Belgisches Entgegenkommen in der
Grenzfrage könnte sich dabei sehr positiv auswirken ... Wie dem auch
sei, beim ersten Staatsbesuch Adenauers in Brüssel, am 24. September
1956, wurde ein deutsch-belgischer Staatsvertrag unterzeichnet, der die
belgische Ostgrenze definitiv festlegte.
Sechs Monate lang hatte eine belgische Delegation unter der Leitung
von Vicomte Davignon mit deutschen Regierungsstellen in Bonn unter-
57
handelt, um den Vertrag unterschriftsreif zu machen. Daß der Vicomte
sich nur knapp eine Stunde lang mit General Bolle über die an der Gren-
ze zu treffenden Regelungen unterhalten hatte und die Meinung des
Militärgouverneurs kaum berücksichtigt worden war, mag in den Augen
des Letzteren kritikwürdig gewesen sein.
Diesem Vertrag kommt ein ganz besonderer Stellenwert in der deut-
schen Außenpolitik zu, war es doch der erste Nachkriegsvertrag der Bun-
desrepublik, in dem Teile der deutschen Grenze endgültig festgelegt
wurden. Auch im Falle eines allgemeinen Friedensvertrages mit Deutsch-
land sollte die jetzt vorgenommene Grenzziehung keine Änderungen mehr
erfahren.
Von der Unterzeichnung des Vertrages bis zur Ratifizierung und Aus-
führung desselben sollten noch knapp zwei Jahre vergehen. Am 28. Au-
gust 1958, um 0,00 Uhr, fand die Rückgliederung von Bildchen, Los-
heim und Hemmeres statt.
Das deutsche Fernsehen war zu dieser mitternächtlichen Stunde zur
Stelle und filmte die mit einem Wagen zur neuen Grenze westwärts "vor-
rückenden" deutschen Zöllner. Als die Uhr Mitternacht geschlagen hat-
te, schwangen sich die belgischen Zöllner auf ihre Fahrräder und zogen
sich in Richtung Tülje zurück.
Am nächsten Morgen um 7 Uhr nahmen die deutschen Zöllner ihren
Dienst im Zollhaus gegenüber der Hergenrather Straße wieder auf.
Die Einwohner von Bildchen hatten die letzten Tage genutzt, sich mit
belgischen Waren wie Kaffee, Schokolade, Tabakwaren etc. einzudek-
ken.
Der Aachener Stadtdirektor Dr. Anton Kurze hatte sich wenige Tage
vor der Rückgliederung (er nannte es "Wiederaufnahme in die Stadt
Aachen") an die Grenzbevölkerung gewandt und angekündigt, er werde
in Bildchen, im Hause Nr. 514, eine Verwaltungs-Außenstelle der Stadt
einrichten. In Aachen hatte man seit der Unterzeichnung des Staats-
vertrages die Rückkehr Bildchens aktiv vorbereitet und Oberbürgermei-
ster Hermann Heusch hatte den Stadtinspektor Alois Freh, dem die neue
Außenstelle unterstellt wurde, zum "Bürgermeister von Bildchen" erho-
ben.
Ende 1955 waren in Bildchen 337 Personen gemeldet. Davon wohn-
ten 153 auf der rechten Seite der Lütticher Straße (Nr. 510-588), 92 auf
der linken Seite (Nr. 523-599) und ebenfalls 92 am Hergenrather Weg.
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"Meine Mission ist am heutigen Tage zu Ende gegangen"
Die offizielle Zeremonie der Gebietsrückgabe an Deutschland fand
am Mittag des folgenden Tages statt und dauerte genau ... 10 Minuten!
Die beiden Regierungspräsidenten von Aachen und Trier, Schmitt-
Degenhardt und Steinlein, vertraten die deutschen Behörden. General
Bolle ergriff als erster das Wort zu einer kurzen Ansprache. Hier deren
Wortlaut:
"Sehr verehrter Herr Regierungspräsident!
Bevor ich, gemäß den Bestimmungen des belgisch-deutschen Vertra-
ges vom 24, September 1956, der Bundesrepublik Deutschland, hier
vertreten durch die höchste Verwaltungsbehörde des Regierungsbezirks
Aachen, die verschiedenen Gebiete, die 1949 meiner Militärregierung
unterstellt worden sind, übergebe, lege ich Wert darauf, den Einwohnern
der Ortschaften zu danken für das korrekte Verhalten, das sie mir wäh-
rend der Ausübung meiner Amtstätigkeit stets entgegengebracht haben.
Wir haben uns dieser Bevölkerung genähert, nicht, wie man anneh-
men könnte, mit irgendwelchen Zwangsabsichten, sondern beseelt von
rein menschlichen Gefühlen und in voller Sachkenntnis der Befürchtun-
gen derjenigen, die unter dem ihnen aufgezwungenen Regimewechsel
urplötzlich einer ganz neuen Gesetzgebung unterstellt wurden und die
zu diesem Zeitpunkt außerdem sowohl moralisch wie auch sachlich noch
unter den Auswirkungen des Krieges litten.
Wenn, wie ich wohl annehmen darf, die Anwendung der Verordnun-
gen eines Militärkommandanten, dem alle Machtbefugnisse verliehen
waren, praktisch zu keinerlei Reibereien oder zu irgendwelchen beträcht-
lichen Schwierigkeiten Anlaß gegeben hat, wenn unsere Verwaltung ohne
jedwede Zusammenstöße im Rahmen unserer Institutionen ausgeübt
werden konnte, so verdanken wir dies sowohl dem umfassenden Ver-
ständnis der Bevölkerung, als auch dem Taktgefühl und der Geschick-
lichkeit der Beamten der Militärregierung beim täglichen Umgang mit
der Einwohnerschaft.
Abschließend möchte ich ebenfalls den deutschen Beamten in allen
Rangstellungen sowie den verschiedenen deutschen Institutionen mei-
nen aufrichtigen Dank aussprechen für die mir bei der reibungslosen
Lösung der verschiedenen Probleme gemeinnützigen Charakters zuteil
gewordene Unterstützung.
Meine Mission ist am heutigen Tage zu Ende gegangen.
59
Infolgedessen habe ich die Ehre, sehr verehrter Herr Regierungs-
präsident, Ihnen im Rahmen dieser schlichten und kurzen Kundgebung
die Gebiete zu übergeben, deren Verwaltung mir vor mehr als neun Jah-
ren anvertraut wurde,
Bevor ich die Gebiete verlasse, richte ich herzlichste Glück- und
Segenswünsche an die Grenzbevölkerung, die ich kennen gelernt habe
und der ich ein lebendiges Andenken stets bewahren werde."
Der Aachener Regierungspräsident dankte dem scheidenden General
mit einem Händedruck und nahm dann seinerseits das Wort zu einer kur-
zen Ansprache, in der er darauf hinwies, daß es in einem unter Auftrags-
verwaltung stehenden Gebiet wegen des dort herrschenden Schwebezu-
standes leicht zu Unzuträglichkeiten und Mißverständnissen kommen
könne. Der klugen und rücksichtsvollen belgischen Verwaltung sei es
im wesentlichen zuzuschreiben, daß dies hier vermieden worden sei. Und
der Regierungspräsident fuhr fort: "Der Dank der deutschen Bevölke-
rung und der deutschen Verwaltung dafür gebührt in erster Linie Ihnen,
Herr General. Sie haben in dieser Zeit die Verwaltung der Ihnen unter-
stellten Gebiete stets mit großem Verständnis für unsere Belange in dem
Geiste geführt, aus dem auch dieser Vertrag geboren ist, aus dem Willen
zu einer echten europäischen Gemeinschaft. Dieser Dank gilt auch de-
nen, die mit Ihnen und unter Ihnen an der Auftragsverwaltung beteiligt
waren ... Der Akt, den wir heute vollziehen, ist Ausdruck und Beispiel
für eine gute freundnachbarliche Zusammenarbeit. Möge das Einver-
nehmen zwischen unseren beiden Nationen sich immer mehr vertiefen
zur Wahrung des Friedens und zum Wohle der Bevölkerung beiderseits
der Grenzen!"
Auch der Regierungspräsident von Trier wies in einigen Sätzen auf
die Bedeutung der Stunde hin, die "im Zeichen gegenseitiger Verständi-
gung und im Hinblick auf die großen Aufgaben der Zukunft einen we-
sentlichen Fortschritt" darstelle. Er richtete seinen Dank an alle, die an
dem Vertragswerk mitgearbeitet hatten, und gab seiner Hoffnung auf
eine weitere friedliche Zusammenarbeit Ausdruck.
Damit war die kurze Feier beendet. Gemeinsam gingen die drei Her-
ren bis zur belgischen Grenze am Wasserwerk, wo sie von Bürgermei-
ster Peter Kofferschläger (Kelmis) begrüßt wurden, um sich dann wie-
der zurück nach Bildchen zu begeben, wo schon kurz darauf nichts mehr
erkennen ließ, daß nur wenige Minuten vorher ein für die Grenz-
bevölkerung entscheidender Akt stattgefunden hatte.
60
Die Grenzverschiebung schuf nicht nur Zufriedene. In Raeren wur-
den auf den zur deutschen Grenze führenden Straßen Schlagbäume er-
richtet. Waren weder Zöllner noch Gendarmen dort im Dienst, so blieb
dem jenseits der Schranken wohnenden Raerener nur die Lösung, sein
Fahrzeug abzustellen und zu Fuß nach Hause zu gehen oder aber den
Umweg über Lichtenbusch zu nehmen.
Im Hergenrather Ortsteil Grüntal, der sich keilförmig in deutsches
Gebiet vorschiebt, stellte sich ein Problem für diejenigen Bewohner, die
die Aachen-Lütticher Straße erreichen wollten und die nun über deut-
sches Gebiet mußten.
Gab es keine Sonderregelung, so blieb den "Grüntalern" nur der Um-
weg von fast einer Stunde über Hergenrath! A
Der belgische Zollkontrollposten an der Gabelung Lütticher Straße -
Hergenrather Weg wurde aufgehoben; statt dessen wurde eine Zollsta-
tion auf der Aachener Straße, an der Abzweigung Atherstraße, einge-
richtet. An dieser Stelle hatten auch vorher schon häufig belgische Zöllner
die Passanten durch kleinliche Kontrollen schikaniert. Geöffnet war der
neue Übergang vom 1. April bis 30. September von 8 bis 22 Uhr und
vom 1. Oktober bis 31. März von 8 bis 18 Uhr. Die gleichen Öffnungs-
zeiten galten für Lichtenbusch, Petergensfeld und Moeris (Raeren). Wa-
ren durften über diese Zollstellen nicht eingeführt werden. Außerhalb
der vorgesehenen Öffnungszeiten mußte mit mobilen Zollstreifen ge-
rechnet werden.
Deutscherseits hatte man den Hergenrather Weg für den öffentlichen
Kraftfahrzeugverkehr gesperrt und durch ein Hinweisschild "Nur für An-
; lieger" die Benutzung der Straße nur noch einem bestimmten Personen-
kreis gestattet.
Nothombs späte Einsicht
Pierre Nothomb, Senator und Vizepräsident des Auswärtigen Ausschus-
ses des belgischen Senats, der lange Jahre Gebietsannexionen Belgiens
als unabdingbare Forderung angesehen hatte, schrieb am 28.8.1958 ei-
nen bemerkenswerten Kommentar für die Aachener Volkszeitung.
"Lange Zeit war ich in meinem Lande der Motor, der Vorkämpfer
einer Reihe territorialer Forderungen gegenüber Deutschland", so der
Senator. Und er fährt fort:" Ich bin nunmehr aber auch im Parlament der
Berichterstatter für das Bewilligungsgesetz zu dem Vertrag gewesen, der
61
das Ende all dieser Forderungen markiert, und ich habe im Senat seine
einstimmige Annahme empfohlen."
Seine geänderte Haltung begründete Nothomb damit, daß die gemein-
same Zugehörigkeit zu Europa eine Reihe von Problemen ausschalte,
die früher Reibungen verursachten; auch sei ein Solidaritätsgefühl ge-
wachsen, das sich weiter entwickele und zwischen den Einwohnern der
Lande zwischen Maas und Rhein wieder ein neues Verstehen schaffe,
das ihnen nicht nur das Bewußtsein einer gemeinsamen Berufung, son-
dern auch schon eines gemeinsamen Lebens vermittle, "dessen Wirk-
lichkeit wir alle im nationalistischen Mißtrauen der letzten anderthalb
Jahrhunderte vergaßen."
"Welche Freude für diejenigen, die in unserem Gebirgslande der
Ardennen und der Eifel geboren sind, wenn sie sich wiedererkennen,
indem sie freundschaftlichen Kontakt mit den Menschen wieder aufneh-
men, von denen sie eine feindselige Grenze bis zum Nichtmehrkennen
so lange getrennt hat!
... Menschen, welche die Geographie in zwei Jahrtausenden derart
miteinander vermischt hat, daß sie dieselben Züge zeigen, dieselben
Gedanken denken und oft denselben Familien angehören, sind geradezu
vorbestimmt, dieses ihr Gebiet, das sich über verschiedene Länder er-
streckt und dem die angestammte Einheit durch ehrliches Zusammen-
wirken bei aller politischen Vielfalt wiedergegeben wurde, den Kern des
Europas der Sechs zu machen, das seinerseits wieder der Kern des grö-
ßeren Europas von morgen werden soll.
Der Aachener Volkszeitung danke ich dafür, daß sie mir in dem Au-
genblick, wo zwischen uns die letzten Barrieren des Mißtrauens fallen,
und am Vorabend der Tagung des "Groupement europeen des Ardennes
et de Il'Eifel" in Bouillon die Möglichkeit gibt, meine Stimme mit den
deutschen Stimmen zu vereinigen, die das gleiche Empfinden einer täti-
gen Brüderlichkeit ausdrücken. Ich liebe diesen Gleichklang guter Wor-
te und eines guten Willens angesichts einer Grenze, die 'durchlässig wer-
den konnte, weil sie endgültig ist', und die nun nicht mehr die Herzen
und die Geister trennt.”
Erinnerungen
Vierzig Jahre nach dem Ende der belgischen Verwaltung erinnern sich
die älteren Einwohner des betroffenen Gebietes noch recht gern dieser
Zeit. Bei der kleinen Rückgabezeremonie in Bildchen hatte sich eine
62
ortsansässige Dame (Frau Klawonn) durch die Menge gedrückt und dem
General einen Blumenstrauß mit den Worten überreicht: "Wir danken
Ihnen, Herr General, daß Sie immer so gut mit uns gewesen sind!" Paul
Bolle ist als ein guter Mensch in die Erinnerung der Nachwelt eingegan-
gen. Er hatte, wie er selbst sagte, seine Mission erfüllt. Den Lebens-
abend verbrachte er in Ganshoren und Tervueren. Er starb am 27.10.1971
in Brüssel, wo er auch in aller Stille beigesetzt wurde.
Quellen und Anmerkungen
(1) Fagnoul, Kurt, "Die annullierte Annexion", Ein Beitrag zur Grenzgeschichte von
Eupen-Malmedy-St. Vith, Aktuell Verlag, St. Vith., 1985, gibt eine reichhaltige Bild-
dokumentation und viel Quellenmaterial zum gesamten Fragenkomplex der
Annexion von Bildchen-Lichtenbusch-Losheim-Hemmeres.
(2) Dr. Kl. Pabst, "Das Problem der deutsch-belgischen Grenze in der Politik der letz-
ten 150 Jahre" in Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins, Bd. 77, 1965, S. 183-
210, bes. 205 ff. Daselbst weitere Quellenangaben.
(3) Pierre Nothomb hat seine Sicht der deutsch-belgischen Grenzkorrekturen einge-
hend dargelegt in "La Belgique et le probleme allemand" in "Revue Generale Belge”,
Nr. 17, März 1947, S. 656-666.
| (4) Aachener Grenzprotokoll vom 22. November 1922
(5) G-E, 8. Juni 1948
(6) G-E, 22. Jan. 1949)
(7) G-E, "Letzte Nachrichten", 26.3.1949
(8) G-E, 12.2.1947
(9) G-E, 18.2.1947
(10) Königs, Hans, Vom Jakobstor zum Bildchen, Hrsg. Stadtsparkasse Aachen, 1973,
S.28
(11) G. Grondal, Le Canton d'Eupen, Bull. de la Societ& Vervietoise d'Arch6ologie et
d'Histoire, Nr. 42. 1955, S. 62
(12) Königs, a.a.O. S. 22
(13) Chronik des Aachener Notars Johann Adam Weinandts in ZAGV Bd, 16, S.165-
166
(14) Karl Franz Meyer, Aachensche Geschichten, 1. Buch, 1781, S. 770
(15) Königs, a.a.O. S. 27
(16) Poll, B., Geschichte Aachens in Daten, S. 390
(17) G-E, 22.4.1949
(18) Kurt Grünebaum im Grenz-Echo vom 25. Okt. 1971
(19) Staatsarchiv Düsseldorf, BR 1058/117
(20) Ebd.
63
MODDER!
Modder, dow hass vöehl jedue,
wie ech kleng, koss noch neht jue,
änn de öschte Teng ant döjje,
koss neht nuckele, koss neht köjje.
Wenn ech krank saahts dow: »Och hörrem.«
Änn dow krägs mech ejjen Ärrem.
Wenn ech stinkenatt de Boks,
ömmer dow e Wötsche hotts.
Wie ech jruuter änn koss kalle,
decks fies oppen Nas jevalle,
dow wosch do änn holps mech opp,
änn dow kördens mech der Kopp.
Wor ech addens fies änn schro,
ömmer woesch dow vöer mech do.
Wenn ett ejjen Schuul neht rechteg jong,
jenge Minsch dech helpe dong,
dow woss ömmer jowwe Roht,
wenn ech dech mie Leed vertoht.
De öschte Lefde wor verjange,
änn ech loht de Schowwere hange,
dow saahts: »Denk enns rechteg no,
denn ett sönt noch ander do.«
Ejal watt wor och e mie Läeve,
hass mech ömmer Roht jejäeve.
Dow woets oht, ding Lamp jong uut,
duw woesch dow lefste Modder vutt.
Höj ech mäe dekesch ett jesaaht,
watt ech ömmer hauw jedaaht,
wie jäer ech levste Mamm dech hauw,
wenn ett te spie, da ess me schlau.
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Dow bes jejange watt soll ech duwe,
kann mäe nojjen Heyjraave jue.
Roop dech addens jett eraaf,
oppene Kerkhof an de Jraaf,
vertell dech jett sag och Adie,
mäe dow jess jeng Antwoht mie.
Well dech hauwwe waal e Iihre,
vöer watt de johfs änn mech dongs liere.
Jakob Langohr
65
Zu einem Gedenkstein in RAEREN
an der
Gabelung Bovendriesch - Merolser Straße
T von Albert Creutz
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DEN 9 SEPT 1791 IST IM
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FÜR IHN
66
Der hiervor abgelichtete Gedenkstein (Höhe 63 cm, Balkenbreite 36
cm) stand bis 1935 in Walhorn am Wegesrand der Kreuzung Bovendriesch
- Merolser Straße. (Diese Walhorner Enklave gehört seit der Gemein-
defusion 1977 zu Raeren).
Als dann das Trafohäuschen Nr. 31 dort durch die Eynattener Baufir-
ma Hubert Mauel und Söhne Mathias ( + 1990), Nicolas (+ 1980) und
den heute 84jährigen Schreiner Jakob errichtet wurde, erhielten sie zur
Auflage, das Steinkreuz an derselben Stelle, nur 60 cm vom Boden, in
die linke Vorderseite des Trafohäuschens einzumauern. Nur diesem
Umstand (und dieser Umsicht) verdanken wir den Erhalt dieses kleinen
wertvollen Denkmals. X
Der Stein war zwar mit der Zeit - von Sträuchern und Efeuranken
überwuchert - in Vergessenheit geraten, doch nach Freilegung und Säu-
berung konnte dieses Bild festgehalten werden.
Das Kreuz erinnert an den am Samstag, dem 3. September 1791, auf
der anderen Straßenseite, im nahe angrenzenden Raerener Wald tot auf-
gefundenen Förster Heinrich Mennicken-Lentz aus Raeren-Rott.
Er wurde geboren in Raeren am 20.10.1735 als erster Sohn von acht
Kindern der Eheleute Mathias Mennicken-Lentz und Catharina Crott.
Am 11.11.1770 ehelichte er die 24jährige Anna Maria Cüpper aus Raeren-
Rott, Tochter von Mathias Cüpper und Catharina Roderburg, die ihm
sieben Kinder schenkte, und zwar:
Henricus, * 25.09.1771 Mathias, * 13.02.1774
Johannes, * 18.11.1776 Johannes Joseph, * 31.03.1780
Maria Catharina, * 25.10.1782 Anna Barbara, * 02.03.1785 und
Martinus Henricus, * 11.11.1785
Wie bei einem ungeklärten Todesfall und bei einem Leichenfund üb-
lich, und weil Raeren damals Teil der Bank Walhorn war, kamen die
Schöffen des Walhorner Gerichtshofes zum Fundort, um an Ort und Stelle
vielleicht die Todesumstände klären zu können.
Leider ist ein Bericht über den Ortstermin weder im Eupener, noch im
Düsseldorfer Staatsarchiv zu finden. Auch in den Forstunterlagen fand
sich nichts zum Fall des Raerener Försters. In den Wirren der bald dar-
auf folgenden Franzosenzeit ist so manches verschwunden ...
Handelte es sich um einen Mord oder zumindest um einen verdächti-
gen Todesfall? Gegen einen Mord spricht die Formulierung der Kreuzes-
67
inschrift "im Herrn entschlafen". Bei nicht natürlichem Tod (Mord oder
Unglücksfall) weisen die Inschriften der Gedenksteine im 17. und 18.
Jh. im allgemeinen auf diese Besonderheit hin.
Auch die sehr ausführlich gehaltene Eintragung im Sterberegister der
Pfarre Raeren gibt keinen Grund zur Annahme eines Verbrechens. Pa-
stor J. A. Vincken (1) schreibt:
1791 die 3. 7bris mane mortuus est in silva regia non longe ä
Baumhauers häusgen parochianus meus Henricus Mennicken Lentz
maritus Annae Mariae Cüpper rott, custos silvarum regiarum, qui 4ta
hujus, habitä in loco inspectione ac visitatione cadaveris a D(ominis)
scabinis curiae Walhornensis etc. translatus fuit in Rott ad aedes olim
suas, häc Sta sepultus est in nostro cemeterio. R.I.P.
Ins Deutsche übersetzt hat diese Sterbeurkunde folgenden Wortlaut:
"1791, am 3. September, morgens, starb im Königlichen Forst, nicht
weit von Baumhauers Häuschen, mein Pfarrkind Heinrich Mennicken
Lentz, Ehegatte von Anna Maria Cüpper aus Rott, Förster der königli-
chen Wälder, der am 4. dieses Monats, nach gehabter Ortsbesichtigung
und Untersuchung der Leiche durch die Herren Schöffen des Gerichts
von Walhorn etc. nach Rott in seine ehemalige Wohnung gebracht wur-
de. Am 5. dieses Monats wurde er auf unserem Friedhof beigesetzt. Er
ruhe in Frieden."
Wären Zeichen von Gewaltanwendung zu erkennen gewesen, so hätte
der Pfarrer dies gewiß vermerkt.
Die Gattin des Försters Heinrich Mennicken-Lentz, Anna Maria Cüpper,
blieb Witwe und verstarb am 30.12.1819 in Raeren-Rott im Alter von 73
Jahren.
1) Johann Anton Vincken, geb. in Afden (Westfalen) am 9.11.1739, war Vikar in Raeren
von 1765 bis 1778, alsdann Pastor bis zu seinem Tode am 1.11.1795, als er an der damals
herrschenden Ruhr (Dysenterie) verstarb.
Nicht zu verwechseln ist er mit seinem späteren gleichnamigen Nachfolger Johann Anton
WVincken, auch in Afden geboren am 24.02.1776, der zwischen 1815 und 1828 als Pastor
in Raeren wirkte und anschließend Pastor und Landdechant in Eupen war. Er starb dort
an einer Lungenentzündung am 24.01.1847.
Paul Josef Vincken, geb. in Afden am 10.06.1768, war nach dessen Tod Desservitor
(Pfarrverweser) in Raeren, bevor der dortige Vikar J.G. Reuter im Monat April 1796
zum Pastor ernannt wurde.
Aus der Familie Vincken war zuvor noch ein weiterer Priester hervorgegangen, und
zwar Paul Josef Vincken, geb. in Afden am 01.01.1731, ein Bruder des erstgenannten
Joh. Anton Vincken, der im Kreise Geilenkirchen tätig war.
68
Zum Todesfall des Lambert Bragard
(s. Im Göhltal Nr. 62, Febr.1998, S. 99 - 102). Berichtigung
Durch eine Verwechslung ist es leider zum Abdruck der falschen Ster-
beurkunde gekommen. Hiernach lassen wir die den verunglückten
Bragard betreffende Urkunde folgen.
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69
DIE MUHLEN IN RAEREN
von Heinrich von Schwartzenberg
Einleitung
Schon von jeher haben die Menschen versucht, sich durch technische
Einrichtungen das Leben zu erleichtern.
Als eine der ersten Maschinen der Menschheit gilt die Wassermühle.
Es wird angenommen, daß sie um Christi Geburt von den Römern erfun-
den wurde, entweder als eigenständige Erfindung oder aber als die Weiter-
entwicklung einer einfachen griechischen Mühle (1).
Bereits im 6. Jahrhundert wird in der Lex Salica (Aufzeichnungen des
Rechts für die salischen Franken) definiert, was eine Mühle ist. Eine
Mühle ist danach "eine Maschine, welche durch Menschenhände oder
mit Hilfe des Viehs oder des Wassers oder des Windes in Bewegung
gesetzt wird, um Früchte oder andere Sachen zu irgendeinem Gebrauch
vorzubereiten, sie zu zermahlen, zerschneiden, zerstampfen, schleißen,
bohren, in die Länge ziehen, walken, haspeln, schlagen usw., und zwar
von demjenigen, welcher das Recht dazu hat, sowohl zu seinem eige-
nen, als auch zum allgemeinen Nutzen" (2).
Auch in Raeren werden schon früh Wassermühlen für die verschie-
densten Zwecke eingerichtet.
Bereits 1470 wird eine Mühle am Bach zu Raeren (Nähe Haus Raeren)
erwähnt (3).
In einer Urkunde aus dem Jahre 1473 ist von einem "Bend" genannt
"die alte Mühle", die Rede (4).
Nach einer Aufzeichnung des Jahres 1670 gab es zu dieser Zeit in
Raeren: die Raerener Mühle, die Blarmühle, die Neudorfer Fruchtmühle,
die Botzer Mühle, die Neumühle, die Brandenburger Mühle und die
Itermühle. Diese Mühlen waren nach Wirtz als sogenannte Bannmühlen
zum Teil damals schon sehr alt. Sie unterstanden dem Mühlenregal des
Herzogs von Limburg und waren somit abgabepflichtig. Auch bestand
die Pflicht der Einwohner, in diesen Mühlen ihr Getreide mahlen zu las-
sen (5).
Das Mühlenregal des Herzogs erlosch mit der Franzosenzeit (1794).
Anscheinend wurden Verkäufe schon früh (etwa seit dem 17. Jh.) vor
dem Notar getätigt, bzw. vor der Propsteilichen Mannkammer des
Aachener Marienstiftes realisiert (6).
70
Im Jahre 1810 waren in Raeren acht Mühlen steuerpflichtig, und zwar
vier Getreidemühlen, drei Lohmühlen (7) und eine Ölmühle (8). Quix
nennt im Jahre 1837 für Raeren folgende Mühlen: Raerener Mühle,
Blarmühle, Itermühle, Botzer Mühle, Neumühle, Brandenburger Mühle
und eine Walkmühle, die zugleich Spinnmaschine war (9).
Außerdem gab es in früheren Zeiten noch die sogenannte "Alte Mühle".
Nach den vorstehenden Angaben kann man sagen, daß es in Raeren
folgende Mühlen gab: 1810 steuerpflichtig
1. Raerener Mühle (Fruchtmühle) Comouth, Radermacher
2. Blar- oder Lohmühle (Lohmühle) Schauff, Schwartzenberg
3. Neudorfer Mühle (Fruchtmühle) Gilles
(Diese Mühle wurde wahrscheinlich .
bei Quix Itermühle genannt)
4. Botzer Mühle (Fruchtmühle) Crott
5. Neumühle (Frucht-, Öl- u. Lohmühle) Kaufmann?
6. Brandenburger Mühle (Frucht-, Öl-
u. Lohmühle) Ahn
„7. Itermühle (Fabrik Mariental)
(Die 1670 (bei Wirtz) genannte Itermühle, aber auch die 1837 (bei
Quix) erwähnte Walkmühle mit Spinnerei (s. u. 8.) könnten die Vor-
gängerin der Fabrik Mariental gewesen sein.)
8. Walkmühle und Spinnerei
9. Alte Mühle (Karsillis-Mühle)
Wie man aus der Aufstellung sehen kann, wurde nicht in allen Müh-
len nur Frucht gemahlen. 1626 ist sogar von einer Kupfermühle in der
Neumühle (?) die Rede (9a). Der Betrieb einer Mühle setzt eine Wasser-
kraft voraus, die über ein Wasserrad (Mühlrad) motorische Kräfte für
die Mechanik erzeugt.
In Raeren waren der Iterbach und der Periolbach die treibenden Kräfte.
Am terbach lagen die vorgenannten Mühlen 3, 9, 5, 7, 6; am Periolbach
die unter 4,8,2,1 genannten Mühlen.
Zu den Bächen ist zu sagen, daß der Periolbach in Raeren auch häufig
"Iter" genannt wird. Das kommt daher, daß dieser Bach durch ein Flur-
stück fließt, das sich "Iter" nennt. So befinden sich z.B. die Botzer Müh-
le und die frühere Spinnerei an dem Ort, der "Iter" heißt. Auch in alten
Urkunden erscheint z.B. die Blar- oder Lohmühle als am Iterbach gele-
gen, obwohl sie eindeutig vom Periolbach getrieben wurde (9b).
RR
Da die Bäche nicht konstant wasserreich waren, wurden meist Stau-
wehre oder Mühlenweiher zur Verstärkung des Wasserdrucks angelegt.
Von Coels schreibt dazu:
"Das Wasser zum Betrieb der Mühlen wurde von den Bächen ab-
gezweigt und oberhalb der Mühlen in einem Weiher gesammelt, dessen
Zufluß oder Abfluß zur Mühle durch Stauvorrichtungen geregelt wurde.
Nach dem Gebrauch floß das Wasser in den Mühlenbach zurück, der
sich unterhalb der Mühle wieder mit dem alten Bach vereinigte, falls er
nicht vorher noch andere, nahe gelegene Mühlen speiste. Die Mühlen
hatten außer dem Mühlenbach einen Flutgraben zur Aufnahme des über-
schüssigen Wassers, dessen Zufluß gleichfalls durch eine Schleuse gere-
gelt wurde. Auch er vereinigte sich unterhalb der Mühle wieder mit dem
Mühlenbach" (10).
Je nachdem ob das Wasser von unten gegen das Rad schlägt oder von
oben auf das Rad fällt, spricht man von einer unter- oder oberschlägigen
Mühle.
Da mehrere Mühlen an einem Bach lagen, gab es oft Streitigkeiten,
wenn die oberhalb gelegene Mühle das Wasser staute und dadurch die
unterhalb liegende Mühle nicht genug Wasser bekam.
In der Raerener Gemeinde - Chronik von 1835 heißt es sogar: "Alle
Mühlen leiden unter Wassermangel "(1 {X
Es ist daher auch verständlich, daß vor dem Bau einer Mühle die Ge-
nehmigung zur Benutzung des Bachlaufes bei der Gemeinde oder gar beim
zuständigen Landesherrn eingeholt werden mußte. Wie bereits erwähnt,
wurden die Einwohner eines bestimmten Einzugsgebietes verpflichtet, ihre
Frucht in einer bestimmtem Mühle mahlen zu lassen (Zwangs- oder Bann-
mühle). Auch konnte der Landesherr durch das ihm zustehende Recht sei-
ne Mühlen als Lehen vergeben (12), wie es nachweisbar bei der Raerener
Mühle der Fall war. (s. Abschn. Raerener Mühle).
Die Lehnsnehmer bewirtschafteten die Mühlen meist nicht selbst, son-
dern sie überließen sie Müllern zu Erbpacht. Die Lehnsnahme oder das
Eigentum einer Mühle kann also als zusätzliche Einnahmequelle aus ei-
nem der frühesten Industriezweige betrachtet werden.
Es bleibt noch zu erwähnen, daß nach der Erfindung der Dampf-
maschine viele Mühlen auf Dampfkraft umstellten (auch in Raeren), um
so vom Wasser unabhängig zu werden. Viele der späteren Fabriken sind
aus den Mühlen hervorgegangen. Sie behielten oft noch bis in unsere
Zeit das Wasserrad, benutzten aber für wasserarme Zeiten auch oft Diesel-
oder Elektromotoren.
73
In den nachfolgenden Abschnitten werden -soweit bekannt- Einzel-
heiten über die Raerener Mühlen aufgeführt, wobei diese Angaben kei-
nen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
1. Raerener Mühle (12)
Die Raerener Mühle lag an einem künstlich hergestellten Seitenarm
des Periolbaches in unmittelbarer Nähe von Haus Raeren, das auch we-
gen seiner langjährigen Bewohner Haus Schwartzenberg genannt wird.
Die Mühle wurde kraft des ihm zustehenden Mühlenregals vom Herzog
von Limburg als Lehen vergeben. Im Gegensatz dazu war Haus Raeren
ein Lehen des Aachener Marienstiftes, das in der Bank Walhorn die Lehns-
herrschaft über lehnsrührige Güter besaß.
In einer Urkunde vom 27. März 1572 steht vermerkt, daß der Joncker
Peter Swartzenberch und der Prior des Klosters Brandenburg, dieser im
Auftrag des Konvents handelnd, einen Erbwechsel vorgenommen ha-
ben. Peter Swartzenberch erhielt dabei u.a. drei Morgen und sechs Ru-
ten Land, die der Konvent zwischen Haus Raeren und "Schwartzenbergs
Erb" liegen hatte. Dagegen übertrug der Joncker Peter Swartzenberch
dem Konvent über vier Morgen Wiesen hinter dem Bongart "tzegen dye
moelen, dye joncker Swartzenberch van drossent end scheffen ouys der
gemeynde gegolden haet"(13).
Es geht aus dem vorgenannten Text nicht eindeutig hervor, ob der
Jonker Peter Swartzenberch die vier Morgen Wiesen oder die Mühle
von der Gemeinde gekauft hat. Jedenfalls war die Mühle um diese Zeit
in seinem Besitz (13a). Nachfolgend weitere bekannte Daten von der
Raerener Mühle:
1607 Jan. 11.(14)
Nach dem Ableben des vorgenannten Peter von Schwartzenberg er-
hält sein noch minderjähriger Sohn Wilhelm die Mühle als Lehen des
Herzogs von Limburg.
Es ist nicht urkundlich belegt, hat aber den Anschein, daß die Mühle
später an einen Neffen des Peter von Schwartzenberg ging (Wilhelm
von Schwartzenberg 00 Elisabeth Bock), der im Jahre 1608 auch Haus
Raeren erhielt. Überhaupt scheint es in der Folgezeit so gewesen zu
sein, daß der Besitzer von Haus Raeren auch die herzogliche Lehns-
mühle bekam.
1649 Juli 11. (15)
Vom Sohn des vorgenannten Wilhem, der auch Wilhelm hieß und der
vermutlich kinderlos war, kam die Mühle 1649 urkundlich an den Nef-
74
fen des Letztgenannten. Es war Johann Wilhelm von Schwartzenberg
(oo Anna Maria von Belven), der am 5. Februar 1649 auch Haus Raeren
relevierte (16).
1672 April 28. (17)
Der Sohn Johann Heinrich des vorgenannten Johann Wilhelm von
Schwartzenberg erhält gemäß Urkunde die Raerener Mühle und zwei
Jahre später auch Haus Raeren.
1679 (18)
Da der vorgenannte Johann Heinrich kinderlos war, kamen seine Gü-
ter über seine Schwester Anna Katharina, die mit Bertolf von Belven
vermählt war, in andere Hände.
Über Maria Magdalena Bertolf von Belven, die mit Sigismund de
Lamboy verheiratet war, kamen Anteile an die Kinder Engelbert Wil-
helm und Johann Wilhelm Joseph de Lamboy.
1751 (?) Juni 10. (49)
Der erstgenannte Sohn, Engelbert Wilhelm de Lamboy, verkaufte die
Raerener Mühle dem Aachener Kanoniker Niclas Jaques Smets.
1758 Sept. 9. (20)
Der Aachener Kanoniker Smets verkauft die Mühle an Niclas Coemoet
für 2067 Maastrichter Gulden.
1772 Dez. 26. (20)
Niclas Coemoet stellt seine Mühle als Sicherheit für die Weiterführung
eines Prozesses gegen Matthis Crott.
Bei der Urkunde von 1772 handelt es sich wahrscheinlich um einen
Prozeß, den die Eigentümer der Raerener Mühle und der Blarmühle
gegen den Müller der oberhalb gelegenen Botzer Mühle wegen der
Wasserverhältnisse führten.
1810 (21)
Als steuerpflichtig für die Raerener Mühle werden die Wwe. Niclas
Comouth und Johann Radermacher genannt.
1858 Okt. 8. (22)
Die Müller Peter Nikolaus Radermacher und Wilhelm Creutz, beide
Gerber zu Raeren-Mühle, erhalten die Konzession für eine Dampf-
maschine von 6 Pferdekraft.
Aus der Fruchtmühle war also eine Gerberei geworden, die allerdings
heute nicht mehr besteht.
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2. Blar- oder Lohmühle
Die Raerener Blarmühle, auch Lohmühle genannt, lag auch an einem
künstlich angelegten Seitenarm des Periolbaches.
Mitte des 17. Jahrhunderts wird als Eigentümer der Lohmühle der
Rittmeister Johann Heinrich von Schwartzenberg genannt (23), der mit
Maria Katharina Eys von Beusdael vermählt war. Johann Heinrich, der
1638 als Rittmeister a.. D. erwähnt wird (24), verstarb im Jahre 1662.
Seinen Wohnsitz hatte er auf dem Weijerhof bei Vaalsbroek (Gemeinde
Vaals).
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An der früheren "adligen'' Raerener Mühle gegenüber Haus Raeren
Vermutlich hat er die Lohmühle, die mit einem Hof "op de Botze"
gekoppelt war, aus der Schwartzenbergschen Erbmasse erhalten.
Nachdem in der Familienchronik vorübergehend nichts mehr von den
vorgenannten Gütern vermeldet wird, erscheinen sie erst im Jahre 1740
wieder, und zwar im Teilungsvertrag beim Tode eines Enkels des Ritt-
meisters.
Der Enkel, der auch Johann Heinrich hieß und mit Anna Elisabeth
Emonts verheiratet war, wurde 1656 geboren und verstarb 1740. Er be-
wohnte das besagte Gut "op de Botze" und wird die zugehörige Lohmühle
wohl verpachtet haben.
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Zu Los 2, das an den Schwiegersohn Peter Havenith fiel, gehörten das
Haus, die Bauten mit dem Betrieb und die Gerechtigkeiten unter Raeren
auf dem Botze sowie der Kohlhof und der Garten neben dem Haus bis
an den Mühlendeich (6 Morgen).
Zu Los 3, das an den Sohn Winand fiel, zählten u.a. die Lohmühle,
unter dem vorgenannten Teilhof gelegen, mit dem Trockenhaus, dem
Schuppen, dem Betrieb rundum, dem Wäldchen, dem Mühlenweiher,
den Mühlendeichen, dem Bendchen hinter der Lohmühle und allen Rech-
ten und Gerechtigkeiten der Lohmühle.
Es wurde ferner vereinbart, daß das 2. Los immer das Recht vom
Überweg von und zur Lohmühle haben soll (26).
Die Lohmühle erhielt später der Schwiegersohn des Winand von
Schwartzenberg, Johann Joseph Schauff. Dessen Nachkomme Wilh. Jo-
seph Schauff, der ledig war, stellte sie im Jahre 1865 der Allgemeinheit
zur Verfügung.
Daraus entstand dann das heute noch bestehende Marienhospital zu
Raeren (27).
Das Marienhospital wurde bereits 1870 als Kriegslazarett in Benut-
zung genommen (28).
Vielleicht sind in den Kernen der Altbauten des Marienhospitals noch
Reste der Nebenbauten der Lohmühle oder des Hofes "op de Botze"
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Marienhospital zu Raeren (nach einer alten Postkarte, ca. 1943)
78
enthalten. Die eigentliche Lohmühle soll s.Zt. abgerissen worden sein.
Es sei noch erwähnt, daß der Müller Wilhelm Joseph Schauff am 3.
Mai 1860 die Konzession erhielt zum Betrieb der an der Lohmühle an-
gelegten Frucht- und Lohdampfmaschine von 6 Pferdestärken (29).
In den Archiven "Limbourg" zu Lüttich befinden sich zwei Urkunden
in französischer Sprache bezüglich der Lohmühle.
Interessant ist, daß in beiden Urkunden erwähnt wird, daß die
Lohmühle am Iterbach liegt, obwohl sie vom Periolbach gespeist wurde
(s. Einleitung).
Sinngemäß haben die beiden Urkunden folgenden Inhalt:
1) Archives du Limbourg, Liege. Registre 241, pag. 241. Winand von
Schwartzenberg, wohnhaft zu Neudorf, Bank Walhorn, erlangt durch Akte
von S.E. vom 9. März 7765 die Erlaubnis zur Errichtung einer neuen
Lohmühle auf seinem eigenen Grund unterhalb der bestehenden
Lohmühle am Iterbach.
Danach folgen Regelungen über die veränderten jährlich zu zahlenden
Anerkennungsgebühren.
2) Archives du Limbourg, Liege. Registre 758, pag. 18. Eintragung
vom 3. Februar 1770, W. von Schwartzenberg:
An die Herren Schatzmeister und Geschäftsführer der Staatsgüter und
Finanzen S.M. der Kaiserin u. apostolischen Königin.
Winand von Schwartzenberg, Herzogtum Limburg, Bewohner zu
Neudorf in der Bank Walhorn, zeigt mit gründlichem Respekt die
Lohmühle an, was der frühere Kapitän Charlier, zurückgekehrter Rechts-
nachfolger für Hämmer- und Eisenbetriebe, bestätigen ließ durch Herrn
de Flamige von Raeren.
Die Einwohner sehen sich veranlaßt, die aus den Wäldern S.M. stam-
mende Rinde (zur Herstellung von Lohe) in sehr großen Mengen im
Land von Kornelimünster mahlen zu lassen, weil an der vom Anzeiger
installierten Mühle am Iterbach die Wasserkraft für das einfache Rad zu
schwach ist.
Um der Nachteile willen (Transport, Verspätungen, Preise) besteht
ein berechtigtes Interesse der Einwohner, Abhilfe zu schaffen.
Der Anzeiger, der bereits eine zweite Lohmühle unterhalb seiner er-
sten errichtet hat, nimmt nun demütig Zuflucht zu den erlauchten Herren
79
und teilt diesen mit, daß zur besseren Wirkung ein Damm für die Wasser-
rinne erforderlich war.
Er will den Anlieger Mathis Grocht angemessen nach den Gesetzen
von Walhorn entschädigen und auch der Behörde S.M. die jährliche An-
erkennung von einem Kapaun (verschnittener und gemästeter Hahn) zu-
kommen lassen.
3. Neudorfer Mühle
Die Neudorfer Mühle lag an einem künstlich hergestellten Seitenarm
des Iterbaches. Die Reste der Mühle sind heute noch in dem Haus Raeren,
Pfaustraße 5, enthalten. Auch Reste des Mühlenweihers, der Dämme und
Deiche sind noch im Gelände hinter der ehemaligen Mühle zu erkennen.
Nach den Notarialakten gehörte die Mühle vor 1740 dem Johann Hein-
rich von Schwartzenberg (00 Anna Elisabeth Emonts). Wie sie in seinen
Besitz kam, ist nicht bekannt. Vielleicht hat er sie käuflich erworben oder
von Seiten seiner Frau geerbt. Jedenfalls gehörte sie nach seinem Tode
am 6. August 1740 zum
1. Los der Erbmasse, das sein Sohn Johann Wilhelm von Schwart-
zenberg erhielt. Johann Wilhelm, der mit Maria Fischer vermählt war,
wurde im Jahre 1700 zu Raeren geboren und verstarb am 18. August
1782.
Nach den Notarialakten von 1740 gehörten zum Los 1:
Das Haus der Mahlmühle und das Gebäude mit dem Hof dahinter, der
Mühlenweiher, die Dämme und Deiche und alle zugehörigen Rechte und
Gerechtigkeiten, außerdem der Kohlhof vor der Mahlmühle . . .(30).
Die Neudorfer Mühle kam vermutlich über den Sohn des Johann Wil-
helm, der auch Johann Heinrich hieß, an seinen Enkel Johann Hubert
(*1756 +1809), der mit Anna Maria Zimmermann seit 1778 verheiratet
war. Als Beruf wird bei Johann Hubert Fuhrmann und Mühlenbesitzer
angegeben. Da die Mühle in der Pfaustraße bereits 1784 in anderen Hän-
den war, ist anzunehmen, daß er sie kurz nach seiner Heirat (für 4000
Gulden) veräußert hat.
Ein Notarialakt vom 22. Mai 1784 besagt, daß Peter Gilles und sein
Schwiegervater Niclas Pelser von Leonard Römer die Leihsumme von
4000 Gulden für den Kauf der Neudorfer Mühle erhalten (31).
Um 1824 ist die Mühle im Besitz der Familie Radermacher, die 1836
(Schlußstein über der Tür) nach einem Brand einen Wiederaufbau vor-
nahm.
80
Der Schlußstein besagt: ER Leonard Radermacher
AJ DH | = Anna Jonas / De Harenne
1836 1836
Gegen 1896 übernahm der Bäcker und Müller Nikolaus Mennicken
die Mühle, ein Vorfahre der Eigentümer, die das Haus noch bis in unsere
Zeit bewohnten.
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Im Hintergrund die frühere Neudorfer Mühle am Iterbach
81
Die Mühle, die ein oberschlägiges Holzrad und später einen Zusätz-
lichen Elektromotor besaß, wurde nach dem Ersten Weltkrieg stillgelegt.
Ein Mühlstein und eine Stelle am Haus, wo das Mühlrad angebracht
war, erinnerten noch 1967 an die Neudorfer Mühle (31).
Vor einigen Jahren wußte die Eigentümerin des Hauses Pfaustraße 5
zu erzählen, daß sie das Mühlrad noch gesehen und daß ihr Vater den
Mühlengraben zugeschüttet habe.
Die Eigentümer des Nachfolge- oder Erweiterungsbaues der Neudorfer
Mühle (Pfaustraße 5) besitzen noch Notarialurkunden aus den Jahren
1784, 1824, 1840, 1853, 1860 und 1880, aus denen immer wieder her-
vorgeht, daß die Mühle von "von Schwartzenberg" herstammt, bzw. auf
"Schwartzenberg" liegt.
4. Botzer Mühle
Die Botzer Mühle lag an einem Flurstück, das sich "Iter" nennt, wes-
halb sie auch oft Itermühle genannt wurde, obwohl sie eindeutig vom
Periolbach gespeist wurde.
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Ein schöner Neubau am Ufer des Weihers bei der Botzer Mühle
Die Mühle, die eine Fruchtmühle war, wird bereits in den Aufzeich-
nungen von 1670 erwähnt (32).
82
In den Listen der steuerpflichtigen Gewerbe von 1810 erscheint sie
bereits als im Besitz der Familie Crott. Auch Quix erwähnt sie im Jahre
1837 als Fruchtmühle.
In einer alten Karte von ca. 1925 wird die Mühle noch als Itermühle
bezeichnet (33).
Aus der Mühle, die anscheinend immer im Besitz der Familie Crott
blieb, entwickelte sich später ein Transportunternehmen. Heute erinnert
noch der Mühlenweiher, an dessen Ufer sich ein schöner Neubau befin-
det, an den früheren Mühlenbetrieb.
5. Neumühle (nach Peter Bertram) (34)
Die Neumühle liegt in Raeren an der Mühlenstraße. Sie wird bereits
1670 und 1837 in den Unterlagen erwähnt.
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Die Neumühle an der Mühlenstraße
Der Vater des Eigentümers, Hermann Schumacher, kaufte die Mühle
etwa 1902 von seinem Schwiegervater Peter Simon Radermacher. In der
Mühle, die noch mit drei Mehlstühlen betriebsbereit ist, wurde 1947 das
vorherige Holzrad durch ein Eisenrad von 4 Metern Durchmesser er-
setzt, das sich im Innern der Mühle befindet und eine Kraft von 12 bis 15
PS entwickeln kann.
83
Bei wasserarmen Zeiten konnte die Mühle auch durch einen zusätz-
lichen Dieselmotor angetrieben werden.
Früher war die Neumühle auch eine Öl- und Lohmühle. Die Mühle,
die in letzter Zeit hauptsächlich Fruchtmühle war, stellte ihren Betrieb
wegen zu geringer Nachfrage ein.
Am Wohnhaus befinden sich folgende Maueranker: ISABR.
6. Brandenburger Mühle (nach Peter Bertram) (35)
Die frühere Brandenburger Mühle liegt in Aachen-Sief (früher Raeren-
Sief) in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Klosters Brandenburg
(Aachen, Raerener Straße 735-739).
Die Mühle, die vom Iterbach mit Wasser versorgt wurde, wird bereits
in den Aufzeichnungen des Jahres 1670 erwähnt, und sie erscheint 1810
als Öl- und 1837 als Frucht-, Öl- und Lohmühle.
Die Mühle gehörte bis zu dessen Aufhebung im Jahre 1784 dem Klo-
ster Brandenburg und wurde 1789 an die Familie Ahn verkauft. Über der
Eingangstür zur eigentlichen Mühle an der Hofseite befindet sich noch
ein Stein mit folgender Inschrift:
REVERENDUS DOMINUS
FRATER NICOLA .. VS DE HESSEL
HUIUS DOMUS PRIOR MERCURA
VITAE DIE ICARI AO 1704
Danach waren schlechte Zeiten in Raeren, so daß der Chronist berich-
tet:"... es ist soweit in Raeren allhier gekommen, daß, da dem Laurenz
Ahn zu Brandenburg ein Pferd Mai 1817 krepiert ist, de arme Leute das
ganze Pferd weggeholt und gegessen haben ..." (36). Wie die späteren
Eigentümer (Familie Kerres) von ihren Vorfahren gehört hatten, war die
‘84
Mühle noch bis ca. 1870 in Betrieb. Frau Kerres erinnerte sich noch, daß
im Jahre 1926 die Mühlsteine und demzufolge wohl auch die Mahlgänge
ausgebaut worden sind, während das Rad zu dieser Zeit schon nicht mehr
vorhanden war. Die Mühle erhielt ihr Wasser von einem nordwärts des
ehemaligen Klosters gelegenen Teich, von dem aus ein Mühlengraben
in Richtung Mühle verlief. Das letzte Stück des Mühlengrabens war ka-
nalisiert, ehe es sich auf das Mühlrad (wahrscheinlich oberschlägig) ergoß.
Die Eigentümer wußten zu berichten, daß während des Zweiten Welt-
krieges beim Einmarsch der Amerikaner in dem Kanal, der mit ca. zwei
Metern Erde überdeckt war, 34 Personen Schutz gesucht haben.
Nach dem Einwohnerverzeichnis aus dem Jahre 1693 des Raerener
Pfarrers Großmeyer wohnten damals in der Lohmühle neben dem Klo-
ster Brandenburg:
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Die Mühlradseite der früheren Brandenburger Mühle
85
Jan Komoth, Lohmüller und Landwirt, 48 Jahre -; seine Frau Christine
Zimmermann, 36 Jahre -; Jan, ihr Sohn -; Cäcilia Münch aus dem
Münsterland, Magd, und Leonard Zimmermann, Schafhirt (36a).
7. Itermühle (Fabrik Mariental)
Es ist nicht sicher, ob die bei Wirtz genannte Itermühle die Vorgän-
gerin der Fabrik Mariental war, aber bei der Zuordnung der Namen bleibt
nur die Fabrik Mariental übrig, die auch bereits im Tranchotplan (1803-
1820) als Mühle aufgeführt ist.
Die frühere Filzfabrik (von Bossbach und Klein) liegt in Aachen-Sief
(früher Raeren-Sief) hart an der deutsch-belgischen Grenze zwischen
dem Mühlenteich und dem Iterbach am Marientalweg. Nachfolgend die
Notizen über ein Gespräch, das Herr Peter Bertram am 16.08.1965 mit
Herrn Bossbach führte: (37)
"Die Wassergerechtsame soll aus der Zeit Maria-Theresias stammen.
Zuerst war hier eine Eisenhütte, wovon auch der Flurnamen "An der
Hütt" zeugt, den das Gelände der Fabrik führt. Außerdem nennt die Fa-
brik sich auch Mariental (38).
1913 richteten die Brüder (Wilhelm und Oskar) Bossbach hier eine Filz-
fabrik ein. Bis dahin arbeitete hier die Lohnweberei Müllenmeister und
Legewi, die auch Eigentümerin des Gebäudes war. Die Bossbachs über-
nahmen das ca. acht Meter im Durchmesser große Eisenrad mit Eisen-
schaufeln, das von Prof. Intze von der TH Aachen projektiert war (ca. 5
m Gefälle). Es wurde dann durch zwei Turbinen ersetzt, die heute (1965)
noch in Betrieb sind. (Das Rad war bis ca. 1918 in Betrieb).
Die Fabrik besitzt zwei Stauweiher. Der oberste liegt etwa 500 m ober-
halb der Fabrik auf belgischem Gebiet und hat eine Fläche von ca. drei
Morgen. Dieser Weiher, der vor dem Zweiten Weltkrieg Eigentum der
Firma Bossbach war, wurde nach dem Kriege von Belgien beschlagnahmt
und für 10 000 DM wieder an die Firma verkauft.
Der zweite Weiher liegt westlich der Fabriksgebäude. In dem Weiher
sind am nördlichen Ende zwei hölzerne Waschmaschinenwalzen von ca.
zwei Metern Länge- und 50 cm Durchmesser.
Der Mühlenteich beginnt ca. 700 m oberhalb der Fabrik auf belgischem
Gebiet und mündet ca. 30 m nordöstlich der Fabrik in die Iter. Während
des Zweiten Weltkrieges hatte die Fabrik ca. 250 amerikanische Solda-
ten mit ihren Offizieren als Einquartierung.
Nach dem Kriege trennten sich die Brüder Bossbach. Der jüngere (Os-
kar) zog nach Aachen in die Filzfabrik, die ehemals zu den
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Rotbendenmühlen in Aachen-Burtscheid gehörte, wo er noch 1965 die
Filzfabrik betreibt.
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An der früheren Fabrik Mariental
Die Fabriks- und Wohngebäude der Filzfabrik Mariental sind aus dem
heimischen Kohlekalkstein, hier Blaustein genannt, erbaut. An dem
Fabriksgebäude ist an der Südwestecke in ca. 1,50 m Höhe ein großer
Blaustein eingemauert, in dem die Jahreszahl 1760 eingeschlagen ist.
Wahrscheinlich ist also um diese Zeit das Gebäude errichtet worden.
Das nordwestlich an das Wohnhaus anschließende Gebäude war früher
eine Tuchtrockenhalle."
Zur Fabrik Mariental schreibt Jeuckens:
"1913 stellte die Tuchfabrik, die früher bis zu 100 Webstühle laufen
hatte, ihren Betrieb ganz ein und verpachtete ihr Gebäude an eine Filz-
tuchfabrik" (39).
Die Filzfabrik wurde inzwischen aufgegeben und die Gebäude befin-
den sich in Privathand.
Zum Ursprung des Namens Mariental sagte am 20.10.1974 der da-
mals 87-jährige Besitzer der dortigen Filzfabrik Wilhelm Bossbach (+
31.10.74) folgendes:
"Die Frau meines Vorgängers (Müllenmeister) trug den Vornamen Ma-
ria. Ihr zu Ehren soll er diese Ecke Mariental genannt haben" (39 a).
87
8. Walkmühle und Spinnerei
Die Lage der bei Quix im Jahre 1837 genannten Walkmühle, die zu-
gleich eine Spinnmaschine war, ist nicht ganz sicher. Es könnte sich um
die gegenüber der Botzer Mühle gelegenen Anlage gehandelt haben, aus
der dann später die Spinnerei Kriescher entstanden ist, obwohl in der
Tranchotkarte von 1803-1820 an dieser Stelle noch keine Gebäude ein-
getragen sind.
Es ist auch möglich, daß sich die bei Quix genannte Walkmühle mit
Spinnerei in der Fabrik Mariental (in der Tranchotkarte als Moulin ein-
getragen) befunden hat, weil diese Mühlenanlage bei Quix nicht nament-
lich erwähnt wird.
Wie dem auch sei, die Spinnerei gegenüber der alten Botzer Mühle
hat längst ihren Betrieb eingestellt, und es ist nicht mehr viel davon
ubriggeblieben.
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PR N AA)
An der früheren Spinnerei auf '"Iter'' gegenüber der Botzer Mühle
88
9. Alte Mühle (40)
Im Lehnsregister der Propsteilichen Mannkammer des Aachener
Marienstiftes wird am 13. Oktober 1473 ein Bend, genannt "die Alte
Mühle" erwähnt. An anderer Stelle wird sie Karsillis-Mühle genannt.
Die Mühle, die m.E. zu dieser Zeit schon vergänglich war, hat wohl
zwischen Neudorf und Titfeld am Iterbach gelegen.
Im Jahre 1464 wird ein Karsillis von Hauset, gen. von dem Raeren,
als Miterbe des Hofes zu Titfeld erwähnt.
Die Alte Mühle lag vielleicht in der Nähe des Hofes Titfeld, war die-
sem anklebig und erlitt wie der Hof das gleiche Schicksal eines frühen
Zerfalls (41).
Anmerkungen S
1. Jans: Eine kleine Mühlenkunde. Gifhorn 1985. S. 3
2. Jans, a.a.O., S. 15
3. Wirtz: Eupener Land. Berlin 1936, S. 33
4 von Coels: Die Lehnsregister der Propsteilichen Mannkammer des Aachener
Marienstiftes. Bonn 1952. S. 607
SS: -Waittz, 82.0.5833
6. Das Aachener Marienstift hatte in der Bank Walhorn, wozu Raeren gehörte, die
Lehnsherrschaft über fast alle größeren Güter.
7. Lohe wurde aus Eichenrinde gewonnen und für das Gerben von Leder verwandt.
8. Wirtz, a.a.O., S. 67
9. Quix: Kreis Eupen. Aachen 1837. S. 127
9a. v. Coels, a.a.0. 5. 633
9b. Zu Iter bzw. Periolbach: Iter/Itter- = "itera" u.ä. soll aus dem Keltischen kommen
und "schnellströmendes Wasser" bedeuten (s. Kohnemann, Die Flurnamen des
Walhorner Landes, S. 270 f). Daher kommt dieser Gewässername auch häufig in
Deutschland und im übrigen Europa vor. Ob nun früher die Iter oder der Periolbach
oder evtl. auch beide als Iter bezeichnet wurden, ist nicht mehr feststellbar. Die Flur
Iter hat ihren Namen offenbar von dem dort vorbeifließenden Bach erhalten; ergo
müßte dieser Bach (= der Periolbach) früher "Iter" genannt worden sein. (Freundl.
Mitteilung von Herrn Peter Bertram, Vaals)
10. von Coels: Die Bäche und Mühlen im Aachener Reich. ZAGV 79/1958. S. 12
11. Gielen: Raeren. Eupen 1967. S. 113
12. vergl. "Im Göhltal" 54/1994. S. 58 ff. ]
13. Staatsarchiv Eupen. Gudungsbücher Walhorn Nr. 4, pag. 24
13a. Nach Peter Bertram ist unter "gemeinde" nicht der heutige Begriff "Gemeinde" zu
verstehen, sondern Allmende, d.h. die der Allgemeinheit gehörenden Liegenschaften.
Auch sei es unwahrscheinlich, daß eine Mühle der Gemeinde gehört hätte.
14. Cour feodale 4. Arch. Limb. Liege, pag. 43
15. ebenda 6, pag. 11
16. v: Coels, Lehnsregister. S. 614
89
17. Cour f&odale 6. Arch. Limb. Liege, pag. 105
18. v. Coels, a.a.O., S. 615
19. "Im Göhltal" 46/1990. S. 46
20. v. Coels, a.a.O., S. 597
21. Wirtz, a.a.O., S. 67
22. Gielen, a.a.O., S. 114
23. v. Coels, a.a.O., S. 204 u. 454
24. Quix. a.a.0., S. 156
25. Familienarchiv Bernard v. Schwartzenberg
26. Notarialakten des Notars L.W. Mennicken vom 14.12.1740 (Übersetzung Bernard
v. Schwartzenberg)
27. Gielen, a.a.O., S. 145
28. Jeuckens: Eupener Land und Volk im Wandel der Zeiten. Aachen 1935. S. 208
29. Gielen, a.a.O., S. 114
30. wie Anmerk. 26
31. Freundl. Mitteilung von Herrn Peter Bertram, Vaals
32. Wirtz, a.a.O., S. 33
33. Pharus-Wanderkarte der Umgebung von Aachen (etwa 1925)
34. Die Ausführungen basieren auf Gespräche, die Herr Peter Bertram, Vaals, am
10.02.1967 und am 09.04.1991 mit Herrn Schumacher führte.
35. Die Ausführungen basieren hauptsächlich auf ein Gespräch, das Herr Peter Bertram,
Vaals, am 16.08.1965 mit Familie Kerres führte.
36. Wirtz, a.a.0., S. 71/72
36a. Gielen: Zwischen Aachener Wald und Münsterwald. Eupen 1975. S. 104
37. Danken möchte ich Herrn Peter Bertram, Vaals, der mir diese sowie die anderen
Notizen über die Raerener Mühlen freundlicherweise überließ.
38. Michel Kohnemann schreibt in seiner Arbeit: "Die Flurnamen des Walhorner Lan-
des", Ausgabe 1 und 2, Löwen 1961, daß die Wiese und Fabrik zu Raeren-Mariental
1777 "Fourneau", von 1826-1937 "an der Hütt" und auch "Hütte" genannt wurde.
Er vermutet wohl Eisenhüttenwerke (S. 266 unter 1025).
Der Mühlendeich zu Raeren-Mariental wurde schon 1625 erwähnt (S. 388 unter
1639) (Angaben P. Bertram).
39. Jeuckens, a.a.O., S. 208
39a. Gielen, a.a.0., S. 96
40. v. Coels, a.a.O., S. 607 u. 639
41. Quix, a.a.O., S. 133
- Fotos vom Verfasser -
90
An einer Quelle
von Hans Bahrs
Ein Bergpfad.-
Tausend and’re gibt es.
Sie führen nicht hierher.
Ich beuge mich beglückt
hinab zur Quelle, 3
die hier entspringt.
Der Spalt im Fels gibt -
unbemerkt den flücht’ gen Augen -
hörst du es nicht? -
mit einem Jauchzer fast
der Quelle ihren freien Lauf.
Ein dünner Strahl nur
schießt hinab.
Das Rinnsal hier
gesellt sich rasch zu and’ren,
wird ein Bach dort unten,
später wohl ein Fluß,
der rauscht dahin,
bis er das Weltmeer findet.
91
Neutral-Moresnet
im preußischen Abgeordnetenhaus
von Alfred Bertha
Bei der Grenzziehung zwischen den Niederlanden und Preußen im
Jahre 1816 hatten sich die beiden Staaten bekanntlich über den definiti-
ven Verlauf der Grenze im Gebiet von Kelmis nicht einigen können und
die Regelung dieses Problems auf später verschoben. Das dadurch ge-
schaffene Provisorium "Neutral-Moresnet" entwickelte sich dank der
Zinkgewinnung und -verhüttung im Laufe des vorigen Jahrhunderts zu
einem beachtlichen Gemeinwesen, dessen Einwohnerzahlen von ur-
sprünglich etwa 250 auf 4.668 im Jahre 1914 anstiegen.
Nach 1872 häuften sich die belgisch-preußischen Kontakte im Hin-
blick auf eine Lösung des schon lange schwebenden Problems, doch zu
einer Einigung konnten die beiden Staaten nicht finden.
Einer der Lösungsvorschläge der Neutral-Moresneter Frage ging vom
Eupener Bürgermeister Theodor Mooren aus, der seinen Wahlkreis auch
als Abgeordneter im Berliner Reichstag vertrat(1) .
Eine erste Redemeldung Moorens vor dem Berliner Abgeordneten-
hause soll es 1895 gegeben haben, doch wird sie in der hiesigen Presse
nicht erwähnt. Dafür berichten sowohl das ‚Freie Wort', wie das
‚Korrespondenzblatt' um so ausführlicher über die Interventionen des
Eupener Abgeordneten in den Jahren 1897 und 1898.
Gelegenheit zu einer solchen Intervention bot alljährlich die Haushalts-
debatte, und besonders die Vorlage des Budgets des Ministeriums der
auswärtigen Angelegenheiten.
Am 12. Februar 1897 brachte Mooren in dem Zusammenhang das
Thema Neutral-Moresnet zur Sprache und führte unter anderem aus:
"Wenn uns der Herr Vorredner nach dem Osten geführt und dort, ich
wiederhole, eine ernste Sonde angelegt hat, so darf ich Sie jetzt mal der
Abwechslung wegen nach dem Westen führen. Wir haben dort nahe der
Kaiserstadt Aachen und der Kreisstadt Eupen ein Gebilde, welches ganz
eigentümlich in seiner Art erscheint. Man hat es scherzhaft mit San Marino
und Andorra verglichen; indessen, es ist keine Republik, sondern eine
der Aegide zweier Kommissare - des Landrats von Eupen und des
Arrondissementskommissars von Verviers - zugleich unterstellte
92
monarchische Landgemeinde, die dem belgischen Löwen und dem preu-
Bischen Adler gemeinsam gehört ...
Ursprünglich gehörte diese Herrlichkeit, man kann sie am besten als
Doppelsouveränität bezeichnen, - Neutral-Moresnet ist ihr Name - zur
österreichisch-burgundischen Herrschaft und hat nach dem Sturze des
ersten französischen Kaiserreiches durch eine leider unzureichende Be-
stimmung in den Wiener Kongreßakten, - wir wissen ja, daß die Panik
der 100 Tage dort manche Unsicherheit begünstigte und eine große Rol-
le spielte -, keine definitive Zuteilung gefunden. Alles blieb in suspenso!
Damals glaubte jede beteiligte Regierung - die holländische wie die preu-
Bische - daß sie eigentlich die Souveränität in dieser merkwürdigen Schöp-
fung zu handhaben habe ... Oft sind zwischen beiden Regierungen Ver-
handlungen angeknüpft worden, um das Verhältnis in der einen oder
anderen Weise klarzustellen. Indessen, die Schwierigkeiten waren sehr
groß und man konnte sich nicht einigen, weil es sich zugleich und haupt-
sächlich um ein wichtiges Galmeibergwerk handelte: die bekannte Vieille
Montagne, welche, - meist französischen und belgischen Aktionären
gehörig - dort mächtige Felder und ausgedehnte Bergwerkskonzessionen
besitzt ...
Im Jahre 1815 zählte die kleine Exklave circa 250 Seelen. Infolge des
wachsenden bergmännischen Betriebes ist die Einwohnerzahl mittler-
wejle auf circa 4.000 gestiegen.
Nun fragt man, welcher Macht gehört dieses merkwürdige Gebilde
im staatsrechtlichen Sinne an? Meine Herren, es handelt sich um ein
Territorium, das einen gemeinsamen Bestandteil der beiden Kronen von
Belgien und Preußen bildet. Und doch sind Einwanderungen aus Preu-
ßen und Belgien, die sonst sehr nahe lägen, schon um dem Militärzwang
zu entgehen, seit einigen Dezennien nicht mehr gestattet. Es herrscht, -
und darauf erlaube ich mir, die Ministerbank besonders aufmerksam zu
machen - dort eine Rechts-Verwirrung sondergleichen. Die
Kommunalbehörden werden von den beiden Landeskommissaren in
Verviers und Eupen ernannt. Die Disziplin dagegen ressortiert lediglich
von der Königlichen Regierung zu Aachen. Nun erst in bezug auf die
Justizverwaltung! Dort liegen Verhältnisse vor, die wirklich jeder Be-
schreibung spotten! ... Zwei Hypothekenämter waren, wenigstens frü-
her, - ich glaube, es ist noch so der Fall - zuständig.
Waren dürfen zollfrei eingeführt, aber nicht zollfrei ausgeführt wer-
den. Ist.das kein Unikum im staatsrechtlichen Sinne? Und wie erst be-
züglich des kommunalen Gebietes von Kirche, Schule und Armenpflege!
CS)
Ich glaube, keine Unbescheidenheit zu begehen, wenn ich hier öffent-
lich ausführe, daß nach einer Mitteilung eines beteiligten Kommissars
hier die allergrößten Schwierigkeiten bei der Handhabung des Schul-
zwanges, bei der Anstellung und noch mehr bei der Pensionierung von
Lehrpersonen eintreten. Meine Herren, auch insofern eine Oase, als in
derselben gar keine Pensionsberechtigung für Lehrpersonen und Beam-
te besteht. Sie begreifen also, daß die Lust für Bewerber, sich dorthin
versetzen zu lassen, nur sehr schwach sein kann.
Nun wird man sagen: "Ja, wenn die Verhältnisse so abnorm liegen,
weshalb haben sich dann in irgend einer Weise Preußen und Belgien, die
allein in Betracht kommen, noch immer nicht geeinigt?" Ja, meine Her-
ren, vor einigen Jahren waren die Verhandlungen anscheinend ungefähr
zu glücklichem Abschlusse gediehen; die betreffenden Instanzen hatten
sich von der Notwendigkeit, diese Zwitterstellung zu beseitigen, über-
zeugt, in einer gegenseitigen Konvention endlich verständigt - indessen,
wie es hieß, ohne die zunächst beteiligte, aber zu teilende Gemeinde
selbst zu hören. Man hatte, damit keiner Macht ein zu großer Länderzu-
wachs werde (Heiterkeit), - es handelt sich nur, glaube ich, um circa 300
ha Fläche mit ein paar hundert Morgen Gemeindewald -, als Grenzlinie
die den Ort durchschneidende Aachen-Lütticher Provinzialstraße gewählt
und gesagt: der östliche Teil gehöre Belgien, der westliche aber Preu-
ßen. Aber die betreffende Gemeinde war vorher nicht gehört worden
und erklärte nun wie aus einem Munde: ‚ Wir bilden keine Herde Schafe,
die man willkürlich trennen kann, auch haben wir keine Lust, uns diesen
tiefeinschneidenden Bestimmungen zu fügen! Wir haben seit der
fränkischen Gauverfassung eine mehr als tausendjährige
Zusammengehörigkeit aufzuweisen und müssen wünschen, es dabei be-
lassen zu sehen.'
Meine Herren, worauf es in diesem Falle ankommt, ist die Notwen-
digkeit, daß diese einer Doppelsouveränität unterworfene Oase endlich
von der Bildfläche verschwinden möge, auch schon aus Schönheitsrück-
sichten, damit unsere Landkarten nicht länger genötigt sind, in
getreulichem Bilde unweit der Kaiserstadt Aachen und der Kreisstadt
Eupen eine etwas unsichere Grenzkolorierung zu zeigen ...
Ich habe allen Grund anzunehmen, daß die Gemüter jetzt eher geneigt
sind, dort eine Verständigung auch innerhalb des Gemeindelebens her-
beizuführen, und zwar aus einem sehr naheliegenden Grunde: die früher
reichen Galmeibergwerke sind, wenn nicht erschöpft, doch wenigstens
95
Meine Herren, ich darf Sie nicht länger mit diesem einzig dastehenden
Gebilde behelligen. Aber der Überzeugung möchte ich doch bei dieser
Veranlassung Ausdruck verleihen, daß es - abgesehen von Gründen, die
in der Anomalie liegen - auch wegen der bedenklichen Stagnation im
öffentlichen Rechtsverfahren wirklich angezeigt ist, in geschickter Wei-
se auch diese brennende Frage zu lösen, und zwar in einem Geiste zu
lösen, daß die Gemeinde Neutral-Moresnet, die doch einen überlieferten
wirtschaftlichen und ethischen Familienverband bildet und auf eine
tausendjährige Geschichte mit berechtigter Befriedigung zurückweisen
kann, nicht, wie früher projektiert war, willkürlich auseinander gerissen,
sondern der einen oder anderen Landeshoheit, also entweder Belgien
oder Preußen, als ein unteilbares lebensfähiges Ganzes bald definitiv
zugewiesen werde." (Bravo im Zentrum).
Für die Regierung antwortete Oberregierungsrat von Knebel-
Doeberitz, dem Ministerium seien die Verhältnisse in Neutral-Moresnet
- "unerquicklich" nannte er sie - durchaus nicht unbekannt. Seit Jahren
schwebten Verhandlungen über eine Teilung des Gebiets, ein genauer
Teilungsvertrag sei hin- und hergegangen, es sei auch mehrfach hin und
her verhandelt worden und zuletzt sei der Vertrag, nachdem über die
wesentlichen Punkte ein Einverständnis erzielt worden sei, an den Mini-
ster der auswärtigen Angelegenheiten zurückgegangen. Er könne im ge-
genwärtigen Augenblick keine bestimmten Mitteilungen darüber machen,
in welchem Stadium sich die Sache augenblicklich befinde, glaube aber,
da schon eine gewisse Zeit vergangen sei, die Hoffnung aussprechen zu
dürfen, daß es nicht mehr allzu lange dauern werde, bis die Sache erle-
digt sei und diese ‚Oase' von der Landkarte verschwinde.
Die Reaktionen in Neutral-Moresnet
Die von Seiten des Regierungsvertreters abgegebene Erklärung, daß
die ‚Oase' Neutral-Moresnet in nicht allzu ferner Zeit von der Landkarte
verschwinden werde, schlug in Neutral-Moresnet wie eine Bombe ein.
Schnell bildete sich ein provisorisches Bürgerkomitee, das zu einer Volks-
versammlung auf Sonntag, den 21. Februar 1897 in den Saal Meessen
(Patronagestraße, neben dem "Eden") einlud.
Das ‚Freie Wort' vom 24. Februar 1897 berichtete über die Versamm-
lung, der Saal des Hern Meessen sei zu klein gewesen, um all die Er-
schienenen zu fassen. Der Vorsitzende des provisorischen Komitees,
Gemeinderatsmitglied Alois van Hauten, begrüßte die Anwesenden und
96
Aufruf 1!!!
Diejenigen Einwohner von MNeutral-Morednet,
melde gegen bas in der Sipung des preubifichen
Lundtages vom 12, Februar ausgefprodhene Barhaben
bezüglich be8 neutralen Gebietes Stellung zu nehmen
beahfht'gen, werben Hierdurch zu einer
Vers SEA
au
Sonntag, 21. Februar,
nachmittags 4 Ubhr,
Im Saale bes Hın, Fritz MEESSEN Dierfelbft, cine &
geladen,
Kenfkrak:Moresnek, den 19. Febr. 1897,
Das prov. Komitee.
""Aufruf'' im Freien Wort vom 20.2.1897
erläuterte ihnen den Zweck der Versammlung: es solle eine Bittschrift
an Seine Majestät den König der Belgier gerichtet werden. Darin solle
der Wunsch ausgedrückt werden, das neutrale Gebiet als solches beste-
hen zu lassen oder aber, wenn die Beseitigung desselben unvermeidlich
sei, es dann dem Königreich Belgien einzuverleiben. Für diese Worte
bekam der Redner reichen Beifall.
Anschließend wurde das provisorische Komitee von den Anwesen-
den zum definitiven Komitee bestimmt, worauf Herr Harrus (ein Ange-
stellter der Gesellschaft der Vieille Montagne) in einer längeren Rede
die teilweise falschen Angaben des Abgeordneten Mooren widerlegte.
Er zeigte die materiellen und politischen Vor- und Nachteile eines even-
tuellen Anschlusses an Preußen auf und forderte die Anwesenden auf,
sich zahlreich in die aufliegenden Petitionslisten einzutragen.
Stürmischen Beifall erntete der Vorsitzende mit dem Vorschlag, durch
ein Telegramm an den preußischen Innenminister Protest gegen die Be-
seitigung des neutralen Gebiets zu erheben. Das Telegramm wurde so-
fort entworfen und abgesandt.
Da keine weiteren Wortmeldungen folgten, konnte der Vorsitzende
diese erste auf neutralem Gebiet abgehaltene Volksversammlung mit dem
Wunsch schließen, sich am darauffolgenden Sonntag, nachmittags um 4
Uhr, im Lokal des Herrn Stammen erneut zu versammeln, um den Wort-
laut der Petition an König Leopold II. zu begutachten und das Resultat
der Unterschriftenaktion zu erfahren.
9%
Ein Kelmiser, der es bedauerte, ‚in diesem wichtigen Momente in
fremdem Lande zu sein und somit nicht persönlich mit Rat und Tat für
das liebe Kelmis auftreten zu können‘, rief seine Landsleute in einem
Leserbrief auf, Versammlungen abzuhalten, Bittschriften zirkulieren zu
lassen, so viele Unterschriften wie möglich zu sammeln. In jedem
‚gutgesinnten' Wirtshaus sollten sie solche Listen auslegen. ‚Nur ein
Ruf soll von heute an in Kelmis erschallen: es lebe das neutrale
Kelmis oder es lebe Belgien!'
Die ‚Neutralen' bleiben wachsam
Die für den 28. Februar 1897 einberufene zweite Volksversammlung
stieß bei den ‚Neutralen' auf ein noch lebhafteres Interesse als die vom
Sonntag zuvor. Die an König Leopold II. gerichtete Bittschrift wurde
den Erschienenen in französischer Sprache vorgelesen, dann übersetzt
und ohne Widerspruch gutgeheißen. Sodann gab der Vorsitzende das
Resultat der Unterschriftensammlung bekannt: 728 Personen hatten unter-
schrieben. Nach Abzug von 32 Frauen und Töchtern (!) blieben noch
696 Familienoberhäupter und erwachsene Söhne.
{ a Y
| Neutrales Gebiet von Moresnet
' Sonntag 28, cr., nadmittags 4 Ahr, |
‚Versammlung
; im Lokale Stammen zur Begutachtung der an Seine
5 Majeflät den König der Belgier abzufenbenden Petition fowie
} Mitteilung des Erfolges der im Umlanfe fig befindenden
{ Qiflen, |
Einladung zur Volksversammlung vom 28.2.1897
(das Lokal Stammen lag in der Vonsstraße, heute Bäckerei Simons)
Daraufhin nahm ein in Surdents (Stembert) ansässiger "Sohn des neu-
tralen Landes", Rektor V. Sch. ( = Victor Schoonbroodt), das Wort und
ersuchte die Versammlung um energisches Vorgehen in der angeregten
Sache.
Nachdem die Petition verfaßt, angenommen und abgeschickt war, sah
das Komitee seine Aufgabe vorläufig als erledigt an. Nur wenn die
Teilungsfrage in der belgischen Abgeordnetenkammer zur Diskussion
98
käme, wollte man einen erneuten Aufruf erlassen und sich an das Hohe
Haus mit einer ähnlichen Petition wenden, die man dann von einigen
Abgeordneten unterstützen lassen wollte. Die Versammlung wurde auf-
gehoben mit dem Ruf:
”Hoch Neutrales Gebiet!” und ”Hoch Belgien!”
Die Initiative des Abgeordneten Mooren hatte also in Kelmis zu einer
fast einhelligen Stellungnahme für die Beibehaltung des neutralen Sta-
tus oder, falls unumgänglich, für den Anschluß an Belgien geführt.
Ein Leserbrief in der lokalen Presse mag abschließend noch einmal
die allgemeine Stimmung in Neutral-Moresnet in diesem Frühjahr 1897
zusammenfassen: &
"... Als die Worte des Herren Abgeordneten Mooren im preußischen
Abgeordnetenhause und die Erwiderung des Herrn Regierungsvertreters
zu ihren Ohren kamen, wirkten dieselben wie ein Donnerschlag auf sie.
Die Verwaltung unseres kleinen neutralen Gebiets liegt noch lange nicht
in den letzten Zügen; unsere ‚Untertanen' beneiden nicht das Los der
Bewohner der Nachbarländer und belästigen sie auch nicht im gering-
sten. Woher also auf einmal diese glühende Fürsorge, die man für uns
empfindet?
Ah! Vielleicht, weil man um sich herum ein fast paradiesisches Ge-
biet sieht, das keine Schulden, keine zentralisierende Selbstherrschaft,
keine mit allerlei Scherereien quälende Beamtenherrschaft, keine hohen
Steuern, keine Armee, beinahe keine Polizei, keine politischen, religiö-
sen oder sozialen Kämpfe hat, ein Gebiet, in welchem man sich nach
vollbrachter Arbeit frisch, fromm, froh, frei einer herzlichen Munterkeit
hingibt, mit einem Worte: ein Völkchen, das geschichtlich so wenig als
möglich bekannt ist. Und warum will man diese beneidenswerte Anomalie
beseitigen? Wir kennen eine Menge von Gemeinden, die gerne eine sol-
che ‚Anomalie' bei sich eingeführt sähen.
Es scheint, daß man sich in Kelmis zu sehr vergnügt. Nehmen wir an,
es sei so. Wenn nun aber unsere Vergnügungen nicht zur Armut und ins
Elend führen, wie man dies leider bei Nachbarstaaten bemerken kann,
die doch auf die denkbar strengste Weise regiert werden, wenn wir uns
auf anständige Weise vergnügen, was haben dann unsere Nachbarn aus-
zusetzen?
Unsere Gemeindeverwaltung sieht streng auf den guten Ruf ihres
Gebietes und läßt ihr Kelmis nicht auf einen Sammelplatz von verrufe-
nen Häusern und Kneipen herabsinken.
99
Die Wirte zahlen eine hohe Steuer. Bei jedem Konzerte, bei jedem
Balle, bei irgend welcher Festlichkeit muß ein Tribut, und zwar ein be-
deutender, an die Gemeindekasse abgeliefert werden, die sogenannte
Vergnügungssteuer. Die durch das Gemeindereglement festgesetzte Po-
lizeistunde wird mit Strenge beobachtet; diejenigen, die sich am meisten
hierüber beschweren, sind gerade nicht aus Kelmis. Die meisten und die
besuchtesten Feste sind Wohltätigkeits-, musikalische, dramatische und
Schützenfeste. Letztere genießen einen solchen Ruf, daß aus weit ent-
fernten Ortschaften unserer Nachbarländer Liebhaber dazu erscheinen.
Kurz und gut: unser neutrales Gebiet veranlaßt nicht den geringsten
Kummer oder die geringste Unordnung in Deutschland, Belgien oder
Holland ... Die Kelmiser sind mit ihrer Lage zufrieden, sie fühlen sich
darin glücklich und leben mit allen ihren Nachbarn in gutem Einverneh-
men.
Sie haben sich gegen jede Einverleibung in Deutschland erhoben. Das
geschah nicht aus Haß gegen diese Nation. Wir sprechen Deutsch, haben
meist deutsche Sitten und Gebräuche, befinden uns mit den Preußen in
täglichem Umgang und stehen in herzlichen Beziehungen zu ihnen.
Vor allem halten wir an unserer Freiheit; wir haben uns derselben
würdig gezeigt und sind fähig, sie zu bewahren; wir wollen nicht, daß
man an unsere gegenwärtige Konstitution rühre.
Und wenn die diplomatischen Orakel - was Gott verhüte - es anders
beschlossen haben, so verlangen wir als letzte Gunst, als letztes Opfer
auf dem Altare der Freiheit, daß wir selbst unsere zukünftigen Herren
wählen können.
Denn eines ist es, was die meisten von uns über alles schätzen: die
Gewissensfreiheit.
Und wir wollen zu denen kommen, die uns in dieser Hinsicht die meiste
Garantie bieten. Am liebsten aber wäre es uns, wenn man uns in unse-
rem kleinen Gebiete, wo man keine Unterdrückung kennt, ruhig nach
unserer bisherigen Weise weiterleben ließe. Dies walte Gott!"
Erneute Anfrage des Abgeordneten Mooren
In der 58. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses, am 29. März
1898, brachte Theodor Mooren die Regelung der Neutral-Moresneter
Frage erneut zur Sprache. Er erinnerte zunächst an seine Intervention im
Jahre 1897 und fuhr dann fort: "Die Verhältnisse haben sich dort mittler-
weile in einer Weise entwickelt, daß Abhilfe je eher, je besser eintreten
100
muß ... Hier liegt eine störende Anomalie vor; dies ergibt sich aus dem
Umstande, daß die Zweiherrlichkeit gleichzeitig dem belgischen Löwen
wie dem preußischen Adler zu gehorchen hat. Hieraus erwachsen aller-
lei Streitigkeiten in den Fragen des kommunalen und öffentlichen Le-
bens."
Der Abgeordnete erinnerte sodann den Regierungsvertreter an dessen
im Vorjahre gemachte Aussage, "daß die schwebenden, bekanntlich im-
mer schwierigen diplomatischen Verhandlungen voraussichtlich in bei-
derseitigem Interesse eine baldige befriedigende Lösung finden würden”.
Er, Mooren, habe vor einiger Zeit mit einem befreundeten belgischen
Minister sich zu unterhalten Gelegenheit gehabt und dabei erfahren, daß
nach dessen Meinung die Verhandlungen inzwischen ins Stocken gera+*
ten seien. "Infolge dieser Unsicherheit", so der Abgeordnete, "hat sich in
der Gemeinde Neutral-Moresnet eine gewisse Aufregung kundgegeben;
diese Erscheinung erklärt sich aus dem halb wallonischen Charakter und
lebhaften Temperament der dortigen Bevölkerung. Man hat nämlich die
Mär verbreitet, die Gemeinde solle über die Zukunft nicht befragt, son-
dern ohne weiteres wie eine Herde Schafe auseinander gerissen werden.
Die Aufregung würde sich bald legen, wenn in der Vereinbarung zwi-
schen beiden Kabinetten Belgien und Preußen stipuliert würde, daß die
Gemeinde im Hinblick auf ihre mehr als tausendjährige Geschichte und
Zusammengehörigkeit nach wie vor als ungeteiltes Ganzes erhalten blei-
ben soll. Wenn dieser berechtigte Gesichtspunkt in den Vordergrund ge-
stellt würde, so würden die Verhandlungen einen leichten Fortgang neh-
men."
Die Regierungsantwort war auch dieses Mal höchst unbefriedigend,
ausweichend und nichtssagend. Regierungskommissar von Knebel-
Doeberitz wiederholte zwar, die Verhandlungen würden ‚mit allem Fleiß'
gefördert, soweit die preußische Regierung dazu in der Lage sei. Auch
habe man zwischen Belgien und Preußen ein Einverständnis über die
wesentlichen Bedingungen der Teilung erzielen können, doch seien eine
Reihe von Einzelpunkten streitig geblieben, auf die er nicht im einzel-
nen eingehen könne. Die sieben beteiligten Ressortminister hätten in ei-
nem eingehenden Votum an den Außenminister diese Streitpunkte näher
präzisiert und der Außenminister sei ersucht worden, die belgische Re-
gierung zur Annahme der deutschen Vorschläge zu bewegen. Die Sache
sei also anscheinend durch Widersprüche bei der belgischen Regierung
ins Stocken geraten. Eine Antwort des Außenministers auf das Votum
der Ressortminister stehe noch aus. Abschließend sagte von Knebel-
101
Doeberitz: "Es soll aber demnächts versucht werden, durch erneute
Anregung bei der belgischen Regierung die Sache in beschleunigteren
Fluß zu setzen."
Der Regierungssprecher ist mit keinem Wort auf das Hauptanliegen
des Eupener Bürgermeisters und Zentrumsabgeordneten eingegangen.
Dieser hatte ja darauf gedrängt, daß die Neutral-Moresneter Frage in
einem alle Parteien befriedigenden Sinn gelöst werde, vor allem aber
sollte die Gemeinde ungeteilt bleiben. Das hatte er beide Male vor dem
Abgeordnetenhause klar zu verstehen gegeben. Von Knebel-Doeberitz
hingegen ging von einer Teilung des Gebiets unter Preußen und Belgien
aus.
Der Eupener Abgeordnete Mooren wußte natürlich genau, daß Neu-
tral-Moresnet nur dann Belgien oder Deutschland ungeteilt zufallen konn-
te, wenn die andere Nation eine entsprechende Entschädigung erhielt.
Kannte Theodor Mooren die Vorgeschichte des neutralen Gebietes?
Wußte er, daß 1830 eine Einigung zwischen den Niederlanden und Preu-
ßen erzielt worden war und daß demzufolge Preußen einen Teil des
Hertogenwaldes als Entschädigung für den Verzicht auf seine Ansprü-
che auf Neutral-Moresnet erhalten sollte? Man ist geneigt, dies anzu-
nehmen.
Neutral-Moresnet gegen ein Stück Hertogenwald
Nachdem Mooren in Berlin auf wenig Verständnis für das ihn interes-
sierende Problem des neutralen Gebiets von Moresnet gestoßen war,
versuchte er es auf anderem Wege, nämlich über Brüssel! Am 17. No-
vember 1898 legte er dem belgischen Landwirtschaftsminister De Bruyn
und der deutschen Gesandtschaft in Brüssel einen Plan vor, der eine
Regelung der Frage Neutral-Moresnets nicht durch Teilung, sondern
durch Tausch vorsah. Dabei hob der Abgeordnete ganz besonders her-
vor, daß die Gemeinde, dem Wunsch der Bevölkerungsmehrheit entspre-
chend, ganz und ungeteilt Belgien allein zufallen solle. Allerdings müs-
se man Preußen für seinen Verzicht auf die Mithoheitsrechte und die
damit verbundenen materiellen Opfer (der Abgeordnete dachte an die
Steuereinnahmen und die Militärleistungen) eine angemessene Entschä-
digung zugestehen.
Dieses ‚materielle Äquivalent' sah Mooren in einem Teil des belgi-
schen Hertogenwaldes, und zwar solle Belgien von diesem Walde ‚in
schicklicher Abrundung nahe der Stadt Eupen’ 1.000 ha abgeben, wo-
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von 500 ha an den preußischen Staat, 350 ha an die Stadt Eupen und 150
ha an die belgischen Gemeinden Membach, Go€ und Baelen fallen wür-
den.
Moorens Vorschlag war gewiß nicht ganz uneigennützig: die Zu-
weisung von 350 ha Wald an die Stadt Eupen sollte auch einen schwe-
benden Rechtsstreit bezüglich der Waldgerechtsame zwischen Eupen und
dem belgischen Staat beenden. Auch wäre Eupen, das durch die unglück-
liche Grenzziehung von 1815 sehr eingeschnürt worden war, durch den
Zugewinn von 350 ha Wald der große Gewinner dieser Tauschaktion
gewesen.
Der Abgeordnete hatte wohl die Schwierigkeiten wegen der Verbin-
dung mit der Hertogenwaldfrage vorhergesehen und sogleich einen
Alternativvorschlag unterbreitet: "Die belgische Grenzgemeinde
Membach, - circa 700 Einwohner - dicht bei Eupen, wird gegen das
preußische Condominat Neutral-Moresnet ausgetauscht."
Die nähere Begründung zu letzterem Vorschlag war Mooren bereit
nachzuliefern.
Pressestimmen
Auf den Vorschlag des Eupener Abgeordneten reagierte die halb-
amtliche ‚Kölnische Zeitung' recht unwillig. Es sei ‚schimpflich‘, so fand
ihr Redakteur, eine fast rein deutsche Bevölkerung ‚gegen 1000 ha Gehölz’
tauschen zu wollen. Dasselbe Blatt forderte auch durch einen weiteren
Artikel über Neutral-Moresnet die ‚Fliegende Taube’ aus Aubel zu einer
Gegendarstellung heraus. Die ‚7aube' erinnerte daran, daß die beiden
Volksversammlungen in Neutral-Moresnet von unparteiischen, selbstän-
digen Männern geleitet worden seien, daß man dort ruhig über die Ange-
legenheiten debattiert habe. Einflußreiche Hintermänner (wie von der
Kölner Zeitung behauptet) seien nicht am Werk gewesen.
Der Artikelschreiber der ‚Kölnischen Zeitung' hatte behauptet, man
hätte auch eine Petition im entgegengesetzten Sinne, das heißt für den
Anschluß an Preußen, unterzeichnen lassen können, was das Aubeler
Blatt bestreitet. Die Petition an den König der Belgier sei bereitwilligst
und ohne Vormalen von blauem Dunst von 90% der Bevölkerung
unterzeichnet worden.
"Jedes Kind in Neutral-Moresnet weiß”, so das Aubeler Blatt, "auf
welcher Seite Fleisch, Brot und Salz am billigsten sind. Würden wir nun
selbst von einer erheblichen Differenz in den Steuern gerade zu Gunsten
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des Mittelstandes absehen, so muß doch zugegeben werden, daß das freie
industriereiche Belgien schon einen sehr großen Vorteil darin bietet, daß
die Söhne im Alter, wo sie sich der Familie dienstbar machen können,
dieser nicht entrissen werden, um sie in die Drilljacke zu stecken und
sie, wenn einmal der Zunder in das leicht explodierende Pulverfaß ge-
fahren, zur Schlachtstätte wandern zu sehen. Muß aber der Sohn zur
Fahne gehen, was kurz über lang auch in Belgien eintreffen kann, so
wird ihm dort außer seinem Soldatensold ein monatlicher Verdienst von
30 F geboten, womit er seine Familie noch unterstützen kann, während
auf der anderen Seite der Grenze das Umgekehrte der Fall ist.
In diesem Punkt werden doch , Welsche', ‚Französlinge'und wohl auch
‚Deutsche' einig sein, daß dort, wo man sich wohl fühlt, das eigentliche
Vaterland ist.
Wenn man aus der Tatsache, daß ein kleiner Teil der Einwohner sei-
nen Lebensunterhalt in Preußen verdient, einen Schluß zu Gunsten der
Preußifizierung ziehen will, soll wohl eher das Umgekehrte der Fall sein.
Die Leute arbeiten in Preußen und wenn sie auf dem neutralen Gebiet, in
Belgien oder Holland wohnen, so ist das nur ein Beweis, daß sie dort
eben billiger wohnen und leben können ..."
Das ‚Politische Tageblatt' Nr. 297/98 druckte einen Leserbrief an die
‚Kölnische Zeitung' ab, in dem es unter anderem heißt: "An Ort und Stel-
le ist nichts davon bekannt, daß Neutral-Moresnet an Belgien fallen und
Preußen dafür einen Teil des Hertogenwaldes bei Eupen erhalten sollte.
Es wäre vom deutschen Standpunkt aus auch sehr zu bedauern, wenn
Preußen seinen Rechten auf Neutral-Moresnet entsagte, und es gibt in
dem strittigen Gebiet Leute genug, die diese Ansicht teilen und die zu-
gleich in eigenem Interesse eine Preisgabe an Belgien sehr beklagen
würden.
Es heißt in den irrigen Zeitungsmeldungen, daß eine solche Regelung
den Wünschen der Neutralen entsprechen würde, und es wird an eine
Volksversammlung mit darauf folgender Petition an den König der Bel-
gier erinnert, die sich für den Anschluß an Belgien aussprach. Wie sol-
che Volksversammlungen und Petitionen oft in Szene gesetzt werden,
weiß man, zumal wenn einflußreiche Persönlichkeiten dahinterstehen,
die aus persönlichen oder anderen Gründen für ihr Leben gern lieber auf
belgischem als auf deutschem Gebiet wohnen möchten. Zugleich ließ
sich auch den Leuten etwas blauer Dunst mit geringeren Steuern und
sonstigen größeren Freiheiten vormachen. Auf diese Art kam die be-
rühmte Petition zustande, die, wie eine deutsch-belgische Zeitung in ih-
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rem berühmten Deutsch damals berichtete, von ‚60-70% verwachsenen
Personen' unterzeichnet war. Trotz dieser Petition gibt es in Neutral-
Moresnet Leute genug, die gar nicht für Belgien schwärmen, und der
größte Teil der etwa 3.400 Seelen betragenden Bevölkerung würde ebenso
willig eine entgegengesetzte Petition unterschrieben haben, wenn man
ihnen ihre wahren Interessen plausibel gemacht hätte. Schritte in dieser
Richtung sind leider damals nicht getan worden, wohl schon deshalb,
weil man kaum denken mochte, daß Preußen ganz auf das neutrale Ge-
biet verzichten würde.
Neutral-Moresnet, das heißt die etwa 3.000 Einwohner zählende Ort-
schaft, - der übrige Streifen ist fast unbewohnt und besteht aus Wald und
Heideland - liegt dicht an der preußischen Grenze, nur durch die Aachen-
Lütticher Landstraße von Deutschland getrennt, und ist in seinen Lebens-
interessen ganz auf das zwei Stunden entfernte Aachen angewiesen,
während die Beziehungen zu Belgien sehr untergeordneter Art sind. Zahl-
reiche Arbeiter aus dem neutralen Gebiet finden in Aachener Fabriken
Arbeit und Brot, fast alle Wirtschaften und Geschäftsleute sind auf
Fremdenbesuch von Aachen angewiesen, und die ganze Gegend wünscht
seit langem nichts sehnlicher, als daß durch eine elektrische Bahn die
Verbindung mit dieser Stadt verbessert werde. Man hofft nicht mit Un-
recht, daß diese Bahn in mancher Beziehung zur Hebung des Ortes bei-
tragen werde. Ohne Frage würde sie die Arbeitsgelegenheit vermehren
und die Löhne verbessern, den Fremdenverkehr heben, vielleicht auch
manche Aachener veranlassen, längeren Aufenthalt in der reizenden
Gegend zu nehmen. Alles das, zumal die so dringend notwendige Bahn-
verbindung, würde durch den Anschluß an Belgien in Frage gestellt. Und
warum das alles? Weil einige Welsche die ängstlichen Gemüter mit den
‚unerschwinglichen' preußischen Steuern und einer allgemeinen Verteue-
rung der Lebensmittel erschreckt haben. Das war's, was ihnen in die Glie-
der fuhr! Denn man denke sich die Neutralen beileibe nicht als
Preußenfresser, wie so viele Luxemburger! Ein sehr großer Prozentsatz
sind ja eingewanderte Deutsche, und Deutsch sprechen sie alle.
Soll denn wiederum ein Stück vom deutschen Bruderstamm
abgesplittert und ein Wald von Bäumen dagegen eingetauscht werden
aus Gefälligkeit gegen etliche Französlinge? Hoffentlich besinnt man
sich noch rechtzeitig, daß es nicht nur in Brasilien, sondern auch da hin-
ten bei Aachen Deutschlands Pflicht ist, einzutreten für deutsche Spra-
che und deutsches Wesen und ein Gebiet festzuhalten, das jetzt noch
durch mancherlei Beziehungen mit Deutschland verbunden ist, das aber
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durch Preisgabe an Belgien der Französierung zum Opfer fiele, ein Los,
das auch den übrigen deutschredenden Gemeinden Belgiens auf die Dauer
kaum erspart bleiben wird."
Alles nur Presse-Enten?
Unter dem 17. Dezember 1898 wußte das ‚Freie Wort' zu berichten,
daß Presseberichte des In- und Auslandes bezüglich einer bevorstehen-
den Regelung der Neutral-Moresneter Frage ‚eine aus der Luft gegriffe-
ne Neuigkeit' seien, denn unter Berufung auf eine ihm aus dem Ministe-
rium zugegangene Drahtmeldung könne es sagen, daß dieserhalb gar
keine Verhandlungen zwischen Berlin und Brüssel gepflogen worden
seien. Die Sache werde sich wohl ‚im Sinne der allgemeinen Sehnsucht
der Neutralen erledigen'; es bleibe nur abzuwarten, wann ...
Die unterschiedlichsten Teilungspläne beherrschten noch lange Jahre
die Diskussionen um Neutral-Moresnet. Erst der Erste Weltkrieg setzte
allen Spekulationen ein Ende.
(1) Theodor Mooren, geb. zu Oedt (b. Viersen) am 20.4.1833, wurde 1860 Bürgermei-
ster seines Heimatortes sowie der Kreisstadt Kempen und der Landgemeinde
Schmalbroich. 1867-1870 vertrat er als Zentrumsmitglied den Kreis Kempen-Geldern
im Landtag. Als Bürgermeister wurde er 1876 aufgrund seiner kritischen Haltung zur
preußischen Regierung (Kulturkampf) suspendiert und 1878 entlassen. Seit 1879 war er
Landtagsabgeordneter für den Landkreis Köln und die Kreise Bergheim und Euskirchen.
1881 wurde Mooren Bürgermeister von Eupen und am Ende der ersten Amtsperiode
(1893) einstimmig wiedergewählt. Am 14.6.1905 trat er in den Ruhestand. Er starb am
29.8.1906 und wurde in seinem Heimatort beigesetzt.
Bürgermeister Mooren hat Aachen im Berliner Reichstag von 1887 bis 1898 vertreten.
(Quelle: Eupener Zeitung v. 29.8.1936)
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De öchte Ball
"Fränz", hau der Pap van et Tinne jesaat
en hau sie Jesech i Vauwe jelaat
"do has mi Vertrowe en et es kaviet
dat met dat Mätsche och nex passiet"!
Dä Fränz, dä stroddelt, et Hat ijene Boom
häje jöng och bestemmt neet över der Schroom.
Wat hau sech dat Tinneke fein jemackt
Babelotte jedret en der Mond rue jelackt
Et packt op en Stroot höm sujar ijene Ärm
Vör alle Lüj. En Fränz woat et wärm.
Sue Mätsche wi Tinne a Schip te haan
dat mackt ut ene Nälles ene rechteje Maan.
Ijene Astoria hauw der Reitklub de Ball
ajen Kass jript och Tinne ens heusch no sing Mall,
mä Franz towde sech flott, vör stoot en verwäje
hondert Frang vör höner Twei op en Döjsch te lääje.
Tjene Saal do spelde Vanaschens Luike,
no hosch et noch jau no twei Plaatsche te kicke.
Atena op en Bühn do hant se geseate
Limo jedronke, de Welt verjeate
jonge mär langsame Walzer danze
woate en Koppel, twei Stöck van ee Janze
Op der Heemwech blinkde at Mond en Stäär
Ajen Husdör saat Tinne: "Ech han dech jäär."
Wi Fränz es heem kome, häje kann et neet sare,
jejange, jevloore, jelope, jevaare?
Ije Bett soch häje noch twei Owe lüete
schlop endlech ä töche lache en süete
drömt van dä Mond, dä höm jlöcklech mackt
va Levde wispelt en no Lippenstift schmackt.
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Doröver sönt no de Joore jejange
der Hussäje hat jrad en och scheef jehange
de Kentschere koamte, et joof vööl te due
bis dat di wer avonge nojen Ball te jue
Di Twei hant no at ens hej Utsch en do Wije
ijene Astoria wore se at lang neet mije,
no jönt se jans stell en sonder Krawall
jemütlech nojen Flockeball!
Peter Noel
Es E Dal
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