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Im Göhltal
ZEITSCHRIFT DER VEREINIGUNG
FÜR
KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
IM GÖHLTAL
Nr 62
Februar 1998
Veröffentlicht mit der Unterstützung des Kulturamtes der
deutschsprachigen Gemeinschaft
Vorsitzender: Herbert Lennertz, Stadionstraße 3, 4721 Neu-Moresnet.
Sekretariat: Maxstraße 9, 4721 Neu-Moresnet, Tel. 087/65.75.04.
Lektor: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Kassierer: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Postscheckkonto Nr. 000-0191053-60.
Generale de Banque: 248-0068875-35
ASRK: 001-1149241-61
Konto NL: AMRO-BANK: 46.37.00.090 Vaals/L
Konto BRD: Aachener Bank: 821 363 012 (BLZ 390 601 80)
Die Beiträge verpflichten nur die Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten
Entwurf des Titelblattes: Alfred Jansen, Moresnet-Kapelle.
Druck.: Hubert Aldenhoff, Gemmenich.,
3
Inhaltsverzeichnis
Alfred Jansen (+) Zum Umschlagbild S
Moresnet - Kapelle
Firmin Pauquet Historischer Rundgang %
Kelmis durch Kelmis
Maria-Theresia Weinert Tirili 44
Aachen-Forst ?
H. von Schwartzenberg Grenzen, Gräben und Gebiete 45
Aachen
Jakob Langohr De Gö68öl Rn
Bildchen
Alfred Bertha Die „Fliegende Taube“ 78
Hergenrath wäre jetzt 150 Jahre alt
Albert Creutz Gedenkstein in 99
Eupen Aachen-Richterich
Alfred Bertha Die „Dorfgeschichtliche 103
Hergenrath Sammlung“ Lontzen
Maria-Theresia Weinert Gefangen 105
Aachen-Forst
Herbert Lennertz Rückblick 1997 106
Neu-Moresnet
5
Zum Umschlagbild. Das Gehöft
"Schwartze Hundertmorgen''*
von Alfred Jansen (+)
Auf den ersten Blick unterscheidet sich das im westlichen Winkel der
früheren Walhorner Enklave Belven, in fast gleicher Entfernung von
Eynatten und Kettenis gelegene Gehöft "Hundertmorgen" durch nichts
von den anderen in der Gegend verstreut liegenden Bauernhöfen. Über
einen von der Aachener Straße westwärts abzweigenden Wiesenweg er-
reicht man den etwa 300 m abseits hinter einer Hecke versteckt liegen-
den Hof, der keinen herrschaftlichen Anblick bietet, so daß man sich die
Frage stellen kann, weshalb dieser Hof in den Heimatgeschichtsbüchern
vermerkt ist.
Das nach Westen ausgerichtete Wohnhaus ist schmucklos. Drei sym-
metrisch angeordnete Achsen unter niedrigem, mit roten Ziegeln gedeck-
tem Satteldach geben dem Bau ein Aussehen, das auf einen Neu- oder
Umbau im 19. Jh. schließen läßt.
Erst bei näherer Betrachtung fällt auf, daß das einstöckige Wohnhaus
von zwei kurzgedrungenen massiven Türmen flankiert wird. Das Mauer-
werk dieser stumpfen Türme weist mindestens ins 17. Jh. zurück. Beide
tragen ein Zeltdach und sind mit roten Ziegeln gedeckt. Der Nordturm
weist in der Westfassade eine z. T. vermauerte Toreinfahrt auf, deren
Bogen ein Mittelding zwischen Rund- und Spitzbogen ist. Die sorgfälti-
ge Bearbeitung zeigt, daß es sich hier nicht um eine gewöhnliche Hof-
einfahrt handelt; Hundertmorgen muß eine mehr oder weniger
herrschaftliche Anlage gewesen sein.
An die Nordseite dieses Turmes ist eine Remise mit Pultdach ange-
fügt worden. Daneben erstreckt sich ein verhältnismäßig großer Teich,
der auch nach Westen dem Hof vorgelagert ist. Sind dies die Reste eines
ehemaligen Fischteiches, der möglicherweise mit den Wassergräben der
Hofanlage verbunden war?
Der Überlieferung nach soll Hundertmorgen ein Jagdschlößchen ge-
wesen sein, was durch die Nähe des Raerener Waldes und des daran
angrenzenden Hertogenwaldes durchaus möglich erscheint.
Wenn man die Geschichte des Hofes zurückverfolgen will, so stößt
man häufig auf einen zweiten Hof dieses Namens, was leicht zu Ver-
wechslungen führen kann. Unser Hof trägt die Zusatzbezeichnung
6
"Schwartze", abgeleitet vom Familiennamen derer von Schwartzenberg,
während der zweite Hof Hundertmorgen "Hare Hundertmorgen" genannt
wurde, hatte er doch der Familie van Haren gehört. Beide Höfe "Hundert-
morgen" sind Absplisse der alten Domäne Belven. Durch die Heirat
Wilhelm von Schwartzenbergs, des Besitzers von Haus Raeren, mit Anna-
Maria Bertolf von Belven, der Tochter des Adolf Bertolf von Belven,
kommt der Hof "Schwartze Hundertmorgen" 1664 in den Besitz derer
von Schwartzenberg. Die Tochter Anna-Katharina von Schwartzenberg,
heiratet Wilhelm Bertolf von Ruyff, Herrn von Belderbusch. Beim Ab-
leben der Eltern fällt das Gut an die Tochter Maria-Magdalena, die 1709
die Ehe mit dem Besitzer von Ravenhaus, Johann Sigismund von Lamboy,
Witwer von Margaretha von Berghe von Trips, eingeht. «
Der zweite Sohn dieser Eheleute, der 1712 geborene Karl Philipp von
Lamboy, verheiratet mit Marie Christine de Monplainchamps, übernimmt
das Haus nach dem Tode seiner Eltern, wohnt aber in der Mitte des 18.
Jahrhunderts auf "Mähheide" (Raeren) und läßt Hundertmorgen ganz
verkommen. 1779 war der Bau unbewohnbar geworden.
Die weitere Besitzerfolge ist nicht ganz geklärt. Im frühen 19. Jh. wurde
"Hundertmorgen" wieder bewohnbar gemacht.
1826 ist der Hof im Besitz des Christian Hermanns aus Eynatten -
Rovert. Auf Anstehen der Erben steht das Gut am 30.3.1837 zu verpach-
ten und am 10.7.1837 zu verkaufen. Die Größe wird mit ca. 50 Morgen
angegeben.
1838 kommt das Anwesen durch Kauf (?) an Herrn Johann Christian
Jeghers und 1857 ist Ernst Jeghers, vermutlich ein Sohn des Vorgenannten,
als Eigentümer eingetragen. 1894 kam Hundertmorgen in den Besitz des
Herrn Alfons Leo Fettweis-Warlimont aus Eupen, 1943 ging der Hof an
die Erbengemeinschaft Paul Fettweis und Miterben über. Zum Hof ge-
hörten 19 ha Grund.
"Hundertmorgen" war von 1894 bis 1979 ein Pachtgut. Als sich die
Familie Fettweis von dem alten Hof trennte, ging derselbe durch Kauf
an den damaligen Pächter, Familie E. Braun-Berger über, die ihn noch
heute bewirtschaftet.
* Aus G. Poswick, Les Delices du Duche de Limbourg, Verviers 1951, S. 295 ff.
Quellen
Poswick, G., op. cit.
Grondal, G.,Walhorn - Notices historiques, Verviers 1958, S. 65
PB
Historischer Rundgang
durch Kelmis (te 2)*
von Firmin Pauquet
Beim ersten Rundgang durch Kelmis hatten wir Bekanntschaft mit
dem westlichen Teil der Gemeinde gemacht : dem alten Dorfkern um die
Rochuskapelle, der unter Maria Theresia 1750 gebauten, gepflasterten
Landstraße mit den anliegenden Bauernhöfen, der ehemaligen Zinkerz-
grube Schmalgraf und dem von dort ins Tal führenden alten Landweg
Schnellenberg und dann östlich der Göhlbrücke dem ehemaligen Berg-
bau- und Industriegelände um das europaweit bekannte Galmeilager des
"Altenberges bei Aachen" oder "Vieille Montagne des calmines du
Limbourg" bis zum östlichen Höhensporn, worauf sich von 1840 bis
1860 der neue Dorfkern als Geschäftszentrum mitten in der Arbeiter-
siedlung entwickelte.
Ich schlage nun vor, einen Rundgang durch diesen im vorigen Jahr-
hundert entstandenen neuen Siedlungskern zu unternehmen.
Als Ausgangspunkt soll der Endpunkt des ersten Rundgangs gewählt
werden: das Hotel-Restaurant "Parkcafe", die ehemalige Villa des Di-
rektors der "Agence de Moresnet (neutre)" der AG "Vieille Montagne"',
die am 31. August 1955 mit dem dazu gehörenden Park von der Ge-
meindeverwaltung gekauft wurde, als die Gesellschaft ihre "Moresneter"
(eigentlich "Kelmiser") Betriebsstelle aufgegeben hatte und ihren Grund-
besitz in unserer Gegend veräußerte. Diese Direktorwohnung wurde um
1840 in Ziegelsteinen gebaut und später, noch vor 1862, erweitert. Sie
erscheint schon auf dem Bastin&-Gemälde von 1843, das im
Göhltalmuseum zu bewundern ist, und auf den vielen späteren Gesamt-
ansichten des hiesigen Betriebs. An der Hauptfassade wurde der alte
Perron mit Balkon entfernt. Im Innern sind die drei Räume rechts im
wesentlichen im ursprünglichen Zustand erhalten. Der hintere Eßsaal im
Anbau ist mit einer hohen eichenen Täfelung und einem großen nachge-
ahmten offenen Kamin versehen. Woher dessen Pfeiler kommen, ist mir
unbekannt. Dagegen ist leider der schöne Salon an der linken Seite gleich
hinter dem Eingang in eine belanglose Bar umgewandelt worden. Ob
keine glücklichere Lösung, die den alten Charakter beibehalten hätte,
von einem Innenarchitekt entworfen werden konnte, sei dahingestellt.
* Teil 1 in "Im Göhltal", 61/1997, 31-55
8
Der vorne nach Süden anschließende Wintergarten ist grottenartig im
Geschmack der Romantik mit Erzbrocken, Schlacken und korrodierten
Kalksteinen ausgeschmückt. Bei einer im Jahre 1981 durchgeführten
Instandsetzung (Neueindeckung des Dachs und Alu-Fenster) wurden lei-
der die feinen Verzierungen der Dachfirste schonungslos entfernt und
nicht erneuert. Dies bezeugt, wie so oft, einen furchtbaren Mangel an
Verständnis für Zeugen der Vergangenheit und an ästhetischem Empfin-
den.
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Das Park - Cafe vor der Neuverglasung des Wintergartens
Auf älteren Skizzen und Plänen ist eine frühere Direktorwohnung zu
erkennen, die aus zwei parallelen Trakten bestand, die vorne durch eine
Tormauer verbunden waren. Auf dem Tordach war ein kleiner Dach-
reiter mit einem Glöcklein zu sehen, mit welchem Anfang und Ende der
Arbeitsschicht angekündigt wurde. Dieses Doppelgebäude hieß das "Kö-
nigliche Haus", da hier vor 1800 die Leitung des von der spanischen
Krone ab 1611 in eigener Regie betriebenen Bergwerks untergebracht
war. Wegen des immer tiefer einsetzenden Abbaus im Tagebau, der Kull,
ist das Doppelhaus kurz nach 1840 in den Tagebau eingestürzt. Bastine
hat noch einen Teil der Ruine westlich der jetzigen Villa gesehen und
malen können. Ein Wappenstein mit dem Wappen des Erzherzogs
Albrecht, Statthalter bzw. Regent der spanischen Niederlande von 1596
9
bis 1621, ist aus dem Gebäude gerettet und zur Generaldirektion der
"Vieille Montagne" in Angleur verbracht worden. Da schmückt er noch
das ehemalige Vorzimmer zum Büro des Generaldirektors. Die ein-
gemeißelte Jahreszahl 1662 ist für die beiden letzten Ziffern (62), wie
ich andernorts erklärt habe, später nach einem Wiederaufbau abgeändert
worden.
Etwas östlicher befanden sich die Stallungen der Direktion mit
Kutscherwohnung auf der Etage. Beim Abbruch eines Anbaues der Stal-
lungen 1959 wurde oben im Giebel ein alter, wiederverwendeter, auf der
Seite liegender Wappenstein sichtbar. Nachdem die Gemeinde das Ge-
bäude in öffentlicher Versteigerung am 24. August 1966 veräußert hatte,
ließ der neue Eigentümer, der Geschäftsmann Aloys Dumbruch, es ab-
brechen, um das jetzige große, dreistöckige Mietshaus mit Geschäfts-
raum bauen zu lassen (Albertstraße Nr. 1) . Nach dem Abbruch rettete er
den Wappenstein, um ihn in seinen Gartenbrunnen (Kapellstraße) einzu-
mauern. Dieses älteste bekannte steinerne Denkmal vom früheren Berg-
segen ist ein 35 x 36,5 cm großer behauener Quader aus Kalkstein, lei-
der nur ein Bruchstück (ca 2/3) eines Wappensteins, der wohl 56 x 60 cm
gemessen hat. Die unvollständige Inschrift und das sprechende Wappen-
schild lassen glücklicherweise den Namen des Bauherrn erraten : CARLO
R(uelli) bzw. R(ouelli). Dieser bekannte Antwerpener Kaufmann und
Finanzmakler, aus Castelnuovo-Piemont in Norditalien stammend, ging
am 13. Juli 1595 gemeinsam mit dem Aachener Kupferschlägermeister
Christoffel Speckheuer einen dreijährigen Pachtvertrag des Altenberger
Bergwerks mit der Brüsseler Regierung ein. Der Vertrag wurde mehr-
mals bis 1611 erneuert. Das am Wappenstein ersichtliche Baujahr 160(?)
paßt genau zur Pachtzeit. Höchstwahrscheinlich wurde der Wappenstein
oberhalb eines Türsturzes oder eines Torbogens von R(o)uelli eingebaut.
Westlich der Parkvilla dehnt sich der jetzige Gemeindepark aus, in
welchem noch die Kanalisation des alten "Bergkanals" zu entdecken ist.
Dieser Bergkanal wurde 1631 gegraben, um zusätzliches Wasser zum
Pumpenwerk des Bergwerks zu leiten. Ein Brunnen wurde am Fuße des
"Hulsberghs" (heute Heidkopf) gebohrt und das Brunnenwasser entlang
der damaligen "naeberstraet" (heute Kahnweg-Patronagestraße) bis zum
"königlichen Haus" oberhalb des Tagebaues geleitet. Auf Plänen der Jahre
1807-1821 ist noch ein Ausguß des Bergkanals an der Treppe, die von
der alten Direktorwohnung zum Tagebau führte, sichtbar. Ursprünglich
reichte der Garten der Direktorwohnung nur bis zum Bergkanal. Der
Park wurde erst nach 1882 bis zur Parkstraße erweitert. Im westlichen
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8 Die früheren Stallungen, heute Albertstr. Nr. 1.
Der im Text erwähnte Wappenstein war als letzter der verzahnt angeordneten
Quadersteine der Hausecke benutzt worden.
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Teil des Parks erinnert ein schlichtes Denkmal aus Galmeibrocken an
den Tod des belgischen Widerständlers Baudouin de Biolley, der von der
deutschen SS bis hier verschleppt und am 6. September 1944 gepeinigt
und hingerichtet wurde.
Nach der Gründung der Sankt Barbara Schützengesellschaft, "Societe
de Carabiniers Sainte Barbe", durch die "Vieille Montagne" im Jahre
1852 wurde am Ende des Direktorgartens ein Grundstück ausgespart,
um hier das Schützenlokal zu bauen. Im Jahre 1857 betrieb der "Musikus"
Theodor Pinet hier eine Schenkwirtschaft. Am 16. Juni 1954 verkaufte
die "Vieille Montagne" das Schützenlokal dem Ehepaar Charles Hülster-
Müller für 361.150 F. Nach der Veräußerung des Gebäudes diente es
noch lange Jahre als Schenkwirtschaft mit Saal zum Abhalten gesell-
schaftlicher und kultureller Veranstaltungen. Nach einem weiteren Ver-
kauf im Jahre 1986 wurde es in ein reines Tanzlokal (Disco) umgewan-
delt. Als Erinnerung trägt die Straße südlich des Parks noch den Namen
"Schützenstraße - Rue des Carabiniers". Neben dem Schützenlokal stand
bis nach dem Kriege ein Kiosk, wo die 1851 gegründete Bergwerks-
kapelle ihre Sommerkonzerte veranstalten konnte.
Dem Park gegenüber erstreckte sich der große ca. 60m tiefe Tagebau,
in welchem noch bis 1950 Einsturzgefahr bestand; so erklärt sich der
Bogen, den die Straße nach Norden macht. Dieser Tagebau ist der ei-
gentliche "Altenberg", der "ouden Kalmynberg, daer die van Aken pla-
gen te graven", wie 1445 gemeldet wird. Der Abbau ist hier seit minde-
stens 1344 bezeugt und dauerte bis 1855. Von der Gesellschaft wurde
dieser Tagebau als "Nordlager" bezeichnet. Nach Einstellen des Betrie-
bes diente der Tagebau, die "Kull", lange Jahre als Mülldeponie und wurde
schließlich mit Bauschutt angefüllt. Es entstand so ein Plateau auf der
Höhe der Schützenstraße, auf welchem die Gemeinde einen zusätzli-
chen Park mit Kirmesplatz eingerichtet hat.
Wir gehen nun zur Kreuzung zurück, um die Kapellstraße hinunter zu
spazieren. Diese Kreuzung ist 1856 auf Antrag der "Vieille Montagne"
verlegt worden. Davor befand sie sich gegenüber der Einmündung der
jetzigen, damals noch nicht bestehenden Lindenallee, so daß die untere
Albertstraße, früher Vonsstraße, ein gutes Stück hinter den Häusern "i
jen hontskont" verlief. Auf der Ferrariskarte von 1770 bildet die
Kapellstraße mit der Albertstraße den einzigen Weg im jetzigen Dorf-
kern und diente als Verbindung der alten "naeberstraet" (Parkstraße-
Patronagestraße-Kahnweg-Hattich) mit der neuen Pflasterstraße, "de
pavei". Seinen jetzigen Namen erhielt der noch 1856 "Moresneter Weg"
3
Das erwähnte Haus Dr. Schifflers wurde um 1856 vom Aachener Apo-
theker Robert Prosch gebaut, nachdem die "Vieille Montagne" im Mai
1856 einen Vertrag mit ihm abgeschlossen hatte : Prosch sollte sich
unweit des Bergwerks niederlassen und den Arbeitern der Gesellschaft
25 % Ermäßigung auf die amtlichen preußischen Preise der Medika-
mente gewähren. Im Vergleich zu den anderen gleichaltrigen Häusern
zeigt das gänzlich aus Ziegelsteinen errichtete Haus mit Erker in einem
kleinen Park, daß hier ein besser situierter Mann wohnte.
Um die Auszahlung von Entschädigungen zugunsten verschiedener
Besitzer von Bauernhöfen wegen aus der Hütte entweichenden
Zinkoxiddünsten zu verringern, beschloß die "Vieille Montagne", diese
Bauernhöfe zu erwerben. So kaufte sie am 8. April 1850 vom Ehepaar
Ludwig Dederen-Francois eine 146,28 Ar große Wiese gegenüber ihrem
Grundeigentum in der Kapellstraße. Die Gesellschaft parzellierte das
erworbene Grundstück und verkaufte die Parzellen oder die von ihr selbst
darauf gebauten Wohnhäuser in den beiden folgenden Jahren zum größ-
ten Teil an ihre Vorarbeiter. So entstand der neue Dorfkern. Verschiede-
ne Ankäufer ließen selbst Wohnhäuser bauen, die alle der gleichen Bau-
art angehören : Die Mauern sind aus Bruchkalksteinen, die Türrahmen
aus gehauenem Kalkstein und die Fensterrahmen meistens aus Ziegel-
steinen. Zwei dieser 15 Häuser der Kapellstraße haben noch diesen Cha-
rakter behalten. Die meisten sind aber im Laufe der Zeit umgebaut wor-
den. Zu diesen Häusern gehörte auch das von der Gesellschaft errichtete
Pastorat; ihrem Antrag folgend, hatte der Bischof von Lüttich nämlich
am 15. Mai 1854 einen im neutralen Gebiet ansässigen Kaplan ernannt.
Der später zum Pfarrer beförderte Aloys Flemincks bewohnte dieses Haus
mit seiner Mutter mindestens seit 1857. Das alte Pastorat wurde von der
Gemeinde veräußert und 1992 vom neuen Eigentümer abgerissen, um in
einer ähnlichen Bauweise unter Wiederverwendung der Kalkbruchsteine,
aber ohne die Ziegelsteinfensterrahmen, wiederaufgebaut zu werden
(Heute Nr. 22).
In der unteren Kapellstraße Nr. 7 wurde 1923 die erste belgische
Gendarmerie eingerichtet : die neue Kelmiser Brigade des Distriktes
Eupen ist durch Kgl. Erlaß vom 19. Februar 1923 geschaffen worden
und hat ihren Dienst am 1. Oktober aufgenommen. Davor gehörte Neu-
tral-Moresnet zum Ressort der belgischen Brigade in Montzen. Nach-
dem das Haus 1925 von der Familie Claes-Königs gekauft worden war,
wurde die Gendarmerie auf die Lütticher Straße verlegt. Erster Kom-
mandant der Brigade bis zu seinem Rücktritt im Jahre 1929 war der aus
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2 > Die Kapellstraße in den dreißiger Jahren
Messancy, Südluxemburg, gebürtige Oberwachtmeister Nicolas
Schrobiltgen, u. a. als "Gummiknüppelmann" bekannt geworden, da er
nicht gerade sanft mit Streitenden in den Tanzlokalen umging.
Schrobiltgen trat nach den Wahlen von Oktober 1932 in den Gemeinde-
rat ein, wo er bis 1939 die Opposition führte. Auch nach dem Kriege hat
er wieder lange Jahre die liberale Opposition im Gemeinderat geführt.
Am unteren Ende der Kapellstraße erreichen wir "de pavei", die
Lütticher Straße. Gegenüber bemerken wir eine Häuserreihe in ähnli-
cher Bauweise wie die älteren Häuser der Kapellstraße : "de härehuser
va jene bärech", die ehemaligen Wohnhäuser der Angestellten der "Vieille
Montagne”". Sie befanden sich auf Preußisch-Moresneter Gebiet, Ge-
meinde Neu-Moresnet von 1920 bis 1977. Merkwürdig ist, daß der süd-
liche Rand der Landstraße die Grenze bildet und nicht deren Achse, wie
manchmal vermutet wird. Dies wird eindeutig dadurch bewiesen, daß
die französische und nicht die preußische Gesetzgebung bei strafbaren
Handlungen auf der Straße angewandt wurde. Das westlichste Wohn-
haus der Reihe ist bedeutend größer und aus Kalkbruchstein gebaut. Die
anderen dagegen aus Sandbruchstein der Famennestufe, der in der Nähe
in kleinen Steinbrüchen gewonnen werden konnte.
Diese Famennesandsteinschicht bildet übrigens das Liegende der
Galmeilagerstätte vom Altenberg, die sich in dem nach oben darauffol-
15
genden Kalkstein und Dolomit des Unterkarbons ausgebildet hat und
zwar da, wo eine Mulde im gefalteten Grundgebirge mit seinen von SW
nach NO streichenden Schichten durch eine von SO nach NW streichen-
de Störung durchschnitten wird.
Das gesamte Anwesen bildete zuvor den Bauernhof "Hasard", dessen
Eigentümer J. J. G. Hermens 1845-1846 gegen die "Vieille Montagne"
mit Erfolg in Aachen und Köln prozessiert hatte, um wegen der aus der
Hütte entweichenden Zinkoxiddünste, die Weiden und Vieh verdarben,
„entschädigt zu werden. Am 8. Juni 1847 hat die "Vieille Montagne" den
Bauernhof erworben und anschließend dann die ehemaligen Stallungen
zu Wohnhäuser umgebaut. So erklärt sich, daß die westliche Wohnung,
das alte Wohnhaus des Bauern, größer ist. An dieser Stelle besaß der
Gerber Jean Brandt laut französischem Kataster vom 4. Prairial des Jah-
res VII (23. Mai 1799) fünf Häuser. Im theresianischen Kataster von
1770 ist Joannes Brandt als "leur", d.h. Lohgerber, und "inwoonder van
Kelmis" bezeichnet. Er besitzt zwei Häuser und "voordere bouwinghe
met bedrijffplaetse", wahrscheinlich die Gerberei, sowie u .a. ein Stück
Land genannt "op den tulljenbergh" in der Nähe. Im Jahre 1824 wird der
Nicolas Hermens "für Hazard" mit 6 F steuerbarem Wert für die im Neu-
tralen liegenden Grundstücke des Bauernhofes eingeschätzt. Nach dem
Kelmiser Grundbuch von 1756 ist das Haus von "Johannis Brandt op
hassaer" 1757 an der neu trassierten gepflasterten Landstraße errichtet
worden. Wohl ist anzunehmen, daß das Haus Brandt entweder von
Hermens oder von der "Vieille Montagne" in der Bauweise des 19. Jh.
neu- oder umgebaut worden ist.
Wir wollen nun zuerst einen Abstecher nach Westen entlang der
Lütticher Straße machen. Rechts erkennen wir wieder einige ältere Häu-
ser in der bekannten Bauweise des 19. Jh., bis wir den Kaldenbachweg
erreichen. In diesem ehemaligen kleinen Weiler, der den Namen eines
Grundbesitzers trägt, befinden sich noch kleine teils umgebaute Arbeiter-
häuser.
Nach dem Eingang zum Kaldenbach treffen wir zwei kleine Häuser,
beide ehemalige bzw. jetzige Schenkwirtschaften. Bevor wir die zweite
erreichen, entdecken wir einen 1869 datierten Fußfall/Bildstock mit ei-
ner Mutter-Gottes-Statue. Die jetzt "Ratskeller" genannte Schenk-
wirtschaft hieß früher im Volksmund "nikenik", scheinbar, weil die hier
in der Schenkwirtschaft weilenden Fuhrleute den "nikenik", d.h. die
Bremse ihres Fuhrwerkes, anzogen oder losließen. Bewohnt war das Haus
schon Ende des 18. Jh. von der bekannten Kelmiser Familie Carabin.
16
Laut Grundbuch der Herrschaft und Gemeinde Kelmis aus dem Jahre
1756 war damals ein "Jacob Carobingh" Eigentümer eines Hauses "op
haesaer", das der Willem Gerardt Lasschet gebaut hatte.
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Der Ratskeller (Aufn. aus den 60er Jahren)
Kurz danach treffen wir einen hohen Ziegelsteinbau mit Freitreppe.
Dieses Haus wurde vom Unternehmer Adonis Lamarche aus Soumagne
um 1855 als Gastwirtschaft gebaut. Später war es von der Familie des
letzten "neutralen" Bürgermeisters Hubert Schmetz (Amtszeit 1885-1915)
bewohnt, der hier am 26. September 1909 sein 25-jähriges Amtsjubiläum
feierte. Nach der Rückkehr an Belgien diente das Gebäude ab 1925 län-
gere Zeit als Gendarmerie.
Wir überqueren die Lütticher Straße und gehen ein Stück in die
Hasardstraße hinein. Rechts an der Ecke befindet sich die ehemalige
Neu-Moresneter Schule mit Lehrerwohnung: ein typischer belgischer
Schulbau der dreißiger Jahre. Die Gemeindeverwaltung von Neu-
Moresnet war auch vorübergehend hier untergebracht. Heute dient das
Gebäude der beschützenden Werkstatt. Etwas weiter rechts biegen wir
in einen Privatweg ein, der zur evangelischen Kirche mit dem dazu ge-
hörenden Pastorat führt. Nach 1840 hatten sich in Neutral- und Preu-
Bisch-Moresnet einige evangelische Familien niedergelassen : preußi-
20
Bevor wir die "härehuser" erreichen, treffen wir nun eine Gasse, der
wir bis zu der nach dem Kriege errichteten Judas Thaddäus Kapelle fol-
gen. Sie steht ungefähr da, wo die "Vieille Montagne”" die "alte Schule"
für die Arbeiterkinder gebaut hatte. Diese Schule wurde am 25. August
1849 mit 156 Schulkindern, darunter 19 aus Preußisch Moresnet, eröff-
net. Der von der Gesellschaft engagierte Lehrer Peter Lambert Frantzen
aus Homburg bezog ein Gehalt von 1200 F jährlich und durfte zusätz-
lich von den Eltern, die nicht bei der Gesellschaft beschäftigt waren, je
nach geschätztem Einkommen, 5 bis 8 Silbergroschen, umgerechnet 0,625
Fbis 1 FE, an Schulgeld verlangen. Es wurden Grundkenntnisse in Le-
sen, Schreiben, Rechnen und Französisch erteilt. Die Schule diente schon
vorher für den Musikunterricht und die drei wöchentlichen Proben der .
Bergwerkskapelle, die Frantzen als Dirigent leitete.
Von der Judas Thaddäus Kapelle gehen wir hinunter, bis wir die
Stadionstraße erreichen. Vor uns erstreckt sich das Prinz Philipp- Stadion
der Gemeinde. Es wird dem 1923 gegründeten "Royal Football Club Union
La Calamine" zur Verfügung gestellt. Wir befinden uns im unteren sump-
figen Tal des Tüljebaches, in welchem vom 16. bis zum 18. Jh. mehrere
Kupfermühlen errichtet wurden. In diesen durch ein Mühlenrad in Bewe-
gung gesetzten Hammerwerken wurden vorwiegend Messingbleche (gel-
bes Kupfer) gehämmert bzw. Messingdraht gezogen. Rechts entdecken
wir das kleine Villenviertel am 1862 angelegten Casinoweiher, in wel-
chen der Tüljebach mündet. Uns gegenüber liegt das südliche steile Ufer
des Tüljebaches am Fuße des Plateaus des Hergenrather Feldes, wo noch
in den 20er Jahren Hafer gedieh. Der Tüljebach bildete in der Franzosen-
zeit die Grenze zwischen Hergenrath und Moresnet, im Mittelalter zwi-
schen den Urpfarreien und Königshöfen Walhorn im Süden und
"Geminiacum" im Norden. Walhorn gehörte zum Dekanat St Remacle-
au-Pont, bzw."Amercoeur" vor Lüttich, im Erzdiakonat Condroz der
Lütticher Diözese, die schon im 12. Jh. aus "Geminiacum" entstandenen
Pfarreien Moresnet, Montzen und Gemmenich dagegen zum Dekanat
Maastricht im Erzdiakonat Haspengau (Hesbaye) desselben Bistums.
Wir folgen nun der Stadionstraße nach links. Auf der linken Straßen-
seite erkennen wir den Rest eines Grabens, der früher eine große Bedeu-
tung besaß : er führte ab 1850 das am Weiher der Jansmühle aufgestaute
Wasser zum Altenberg. Um das Grubengelände zu erreichen, mußte ein
Tunnel durch den Tüljeberg gebohrt werden. Das Wasser sammelte sich
dann in einem kleinen Weiher an der Ecke Lütticher Straße - Linden-
weg, bevor es zum Antrieb des Pumpenwerks der Grube benutzt wurde.
27
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Kelmis, Panorama. Im Vordergrund die Siedlung am Schwarzen Weg,
links das Prinz-Philipp-Stadion
Am Ende der Stadionstraße erreichen wir den Schwarzen Weg, dem
wir nach rechts folgen. Die Häuserreihe rechts des Weges hat der Kelmiser
Unternehmer Gerard Lavalle um 1960 gebaut. Am Ende des Weges über-
queren wir die Maxstraße. Am 3. November 1875 beschloß der Gemeinde-
rat von Preußisch-Moresnet den bis dahin Jansmühlenweg genannten
Weg zur Erinnerung an Max Braun, Oberingenieur und Vertreter der
"Vieille Montagne" in Preußen, in Maxstraße umzubenennen. Der Ober-
ingenieur hatte lange Jahre in der Nähe gewohnt. Am 14. Mai 1814 in
Karlsruhe als Sohn eines Postdirektionsrates geboren, hatte Braun am
Polytechnikum seiner Heimatstadt studiert und seine praktische Ausbil-
dung in Münsterthal, Schwarzwald, erhalten. Im Jahre 1833 besuchte er
als "Berg- und Hüttencandidat" verschiedene Bergwerke im Erzgebirge
bei Freiberg und folgte als Privathörer Vorlesungen an der berühmten
sächsischen Bergakademie Freiberg. Anschließend vervollkommte er
seine Ausbildung durch Reisen zu südfranzösischen und spanischen
Bergwerken und nahm eine erste Stelle in Clermont-Ferrand an, die er
aber bald aufgab, um eine Algerienreise anzutreten. Nach der Rückkehr
hat er kurz eine Stelle in Oberhessen angenommen und dann in Huy die
Leitung der Zinkgesellschaft von Corphalie übernommen. Im Jahre 1848
wurde Max Braun von der "Vieille Montagne" als Obergrubeningenieur
23
Wir überqueren die Maxstraße in Richtung Jansmühle. Die Siedlung
im ehemaligen Park wurde um 1960 vom Unternehmer Gerard Lavalle
gebaut. An der schmalen Endseite des Parks erhebt sich ein stattliches
zweistöckiges Ziegelsteingebäude mit großer aus gehauenem Kalkstein
eingerahmter Tür, dem Empirestil noch zuzurechnen. Die "Vieille
Montagne" erwarb das Anwesen von Fräulein Maria Brückner aus Aachen
am 1. November 1848, um über das Wasser des Tüljebaches und der
beiden Stauweiher verfügen zu können. Die Fabrik "Gansmühle" be-
stand damals aus vier Gebäuden : einer Färberei mit Stallungen, einer
Spinnerei, einer Walkmühle und Stallungen mit einer früheren Färberei.
Fräulein Brückner hatte das Gut kurz zuvor aus der Erbschaft Schümer
erhalten. Der Herr Schümer wiederum hatte "die Mühle zu Kelmis" am
6. Messidor des Jahres X (25. Juli 1802) erworben, wahrscheinlich vom
Stolberger Kupferschlägermeister Wuppermans, der noch 1799 erwähnt
wird. Im französichen Kataster vom 4. Prairial des Jahres VII (24. Mai
1799) wird Jean Pierre Wopperman, Kupferhändler aus Stolberg, als
Besitzer zweier Mühlen, jeweils mit Weiher, in Kelmis angegeben. Im
theresianischen Kataster von 1770 erscheint er schon als Besitzer von
drei Mühlen und zwei Weihern, wofür er einen jährlichen Erbzins von 4
Müdden (Scheffel) Hafer, umgerechnet 9,82784 Hl, der herzoglich-
limburgischen Verwaltung schuldet. Im.Kelmiser Grundbuch von 1756
kommt ein "Heere Woepermans" vor, als Besitzer der Mühle "t'vosselock"
mit Weiher und eines zweiten Weihers mit der Mühle, die früher Paulus
Lerssens gehört hat. Eine Mühle wird schon 1627 in "het vossenlock"
erwähnt.
Nach 1848 wurde das große Gebäude von der "Vieille Montagne" als
Büro, Labor und Beamtenwohnung benutzt. Hier wohnten u.a. Ober-
ingenieur Max Braun und der bekannte und beliebte Knappschaftsarzt,
der 1838 in Blasbach bei Wetzlar geborene Dr. Wilhelm Heinrich Fried-
rich Molly, der von der "Vieille Montagne" am 28. August 1863 als As-
sistent des Dr. Bleissner engagiert wurde. Ab 1868 ersetzte er praktisch
seinen kranken Vorgesetzten. Er wurde am 1. August 1881 zum ersten
beigeordneten Bürgermeister von Preußisch Moresnet ernannt. Sein
sprichwörtlicher Einsatz zugunsten der Kranken wurde 1891 durch Be-
förderung zum Sanitätsrat und 1904 zum Geheimrat anerkannt. Be-
kannt ist er auch als einer der Urheber des Versuches, im Oktober 1886
eine Lokalpost mit eigenen Briefmarken in Neutral- Moresnet einzufüh-
ren. Diese Initiative wurde unter Berufung auf das Staatsmonopol über
die Post seitens der Kgl. Verwaltungskommissare nach höchstens acht
24
Tagen unterbunden. In den Jahren 1907-1910 gründete Dr. Molly eine
internationale Esperantogruppe mit der Unterstützung des französischen
Studienrates Gustave Roy. Nach seiner Teilnahme am preußisch-franzö-
sischen Krieg 1870-1871 wurde er Mitbegründer des Moresneter preu-
ßischen Kriegervereins. Während des Ersten Weltkrieges hatte der preu-
ßische Kgl. Verwaltungskommissar für Neutral Moresnet am 2. Oktober
1916 im Alleingang den in Preußisch-Moresnet wohnenden Dr. Wilhelm
Molly als Gemeinderatsmitglied in Neutral-Moresnet ernannt. Auch der
Sohn, Dr. Carl Molly, wurde am 5. November 1917 zum Mitglied des
Neutral-Moresneter Gemeinderates bestimmt. Nach Einmarsch der bel-
gischen Armee und Übernahme der alleinigen Verwaltung durch den Kgl.
belgischen Kommissar wurden beide Ernennungen am 7. Dezember 1918.
für nichtig erklärt. Dr. Molly verstarb 1919 und ist auf dem evangeli-
schen Friedhof in Neu-Moresnet begraben.
Hinter dem hohen Ziegelsteinbau befindet sich ein einstöckiges lan-
ges Gebäude aus helleren Ziegelsteinen mit den typischen Fensterrahmen
des 18. Jh. aus gehauenem Kalkstein, dem französischen Louis XIV nach-
gebildet. Der Sockel besteht aus hellen gelblichen Bruchsteinen, die aus
Quarzitlagen des Aachener Sandes gewonnen wurden, wie sie am Fuße
des Heidkopfes vorkommen. Auch dieses schöne Gebäude gehörte zum
Komplex der ehemaligen Kupfermühlen. Beide Anwesen wurden 1979/
1980 vom Eupener Immobilienmakler Küchenberg vollständig saniert
und in moderne Wohnungen unterteilt.
Etwas weiter nach Osten ist noch in einem kleinen Park ein schönes
Herrenhaus mit Bauernhof und Stauweiher, der jetzt als Fischweiher dient,
zu sehen. Er dehnt sich da aus, wo früher eine der Stauanlagen der Kupfer-
mühlen lag. Die "Vieille Montagne" hat auch 1849 in der Nähe geschürft:
vier Versuchsschächte wurden geteuft, einer bis 28m, jedoch ohne Er-
folg. An der Oberfäche hatte man hervorragenden Galmei auf alten Hal-
den gefunden. Wahrscheinlich handelt es sich um die in der Franzosen-
zeit angelegte Grube, die 1799 bei der Mühle von Wuppermans erwähnt
wird. Zwischen Jansmühlener Park und Tüljebach ist auf einer Schutt-
halde 1992-1993 die neue Kaserne der Kelmiser freiwilligen Feuerwehr
errichtet worden. Sie wurde am 30. April 1996 feierlich eingeweiht. Am
Ende des Platzes führt ein alter Pfad über Treppen, die "oosse trappe",
zum Hergenrather Feld.
Wir gehen zur Maxstraße zurück und folgen derselben bis zur Lütticher
Straße. Rechts bemerken wir das 1984 eingerichtete Göhltalmuseum,
das von der Gemeinde und der Göhltalvereinigung verwaltet wird. Die
25
Sammlungen sind vorwiegend dem hiesigen Bergbau und seinen Folgen
gewidmet, wie z.B. dem sonderbaren Statut des streitigen "neutralen"
Grenzgebietes von Moresnet. Die Bibliothek, prinzipiell
Präsenzbibliothek, besteht ebenfalls aus Werken zur regionalen Geschich-
te. Das villenartige Gebäude wurde 1909 als Wohnung für den aus Hellen-
tal stammenden evangelischen Fabrikanten Reinhard Bruch vom
Aachener Architekten Eversheim errichtet. Bruch hatte 1874 mit Erfolg
eine Filztuchfabrik an der "Schleifmühle" im Ortsteil Tülje gegründet.
Am 6. April 1962 wurde das Anwesen mit Park von der Gemeindever-
waltung Neu-Moresnet erworben, die das Gemeindehaus hierher ver-
legte. Nach den Gemeindefusionen ( 1. Januar 1977) blieb die Villa lan-
ge leer, bis sie 1984 zum Museum eingerichtet wurde. Wir erreichen
wieder die Lütticher Straße. Vor uns auf der früher neutralen Seite steht
ein schönes Haus aus den bekannten Bruchsandsteinen mit rechteckigen
Tür- und Fensterrahmen aus gehauenem Kalkstein, dem französischen
Louis XVI entsprechend. Der Keilstein des Türsturzes trägt die Inschrift
"IHS-ILN.M.C.P. - 1765". Im theresianischen Kataster ist 1770 der
Schmied Joannes Nyssen als Eigentümer dieses Hauses angegeben. Der-
selbe ist schon als Grundeigentümer im Kelmiser Grundbuch von 1756
eingetragen. Er hat das Haus von Anthoen Claessen "aen den steinwegh"
erworben, aber 1765 da "een nieuwe huyss" gebaut. Am 31. August 1761
heiratete er in Moresnet die Maria Catharina Pütz. Das neue Haus wur-
de also vier Jahre nach der Heirat gebaut. In den Jahren 1809-1818 ist
Peter Joseph Nyssen, wohl ein Sohn des Ehepaares, ebenfalls Schmied,
Besitzer und Einwohner der "smet op de Pavey" bzw. "op Hazard". Er
wird noch bis 1839 als Grundeigentümer mit 20 F steuerbarem Netto-
einkommen, "revenu net imposable", angegeben. Im folgenden Jahr
und bis 1845 erscheint seine Witwe als Landwirtin, "cultivatrice", an
seiner Stelle. Im Jahre 1847 ist der Schreiner Peter Sporck Eigentümer
des Gutes. Ab 1857 ist das Haus unterteilt worden und der Reinertrag
des Sporck wird von 20 F auf 19 F reduziert. Ab 1860 bezahlt er die
Patentsteuer als Schenkwirt. Ein Enkel des Ehepaars Nyssen-Pütz, Pe-
ter Joseph Nyssen, Hufschmied, "mar&chal", wird 1849 unter den Steuer-
baren ohne Grundbesitz angegeben bis 1860, in welchem Jahr er mit 1 F
Reinertrag an Grundbesitz geschätzt wird. Er wohnt im Haus Nr. 2, heu-
te Nr. 158, das heute noch ungefähr im ursprünglichen Zustand erhalten
ist. Wenn wir der Lütticher Straße noch ein Stück in Richtung Aachen
folgen, entdecken wir dieses in der Bauweise von ca. 1850 errichtete
Haus. Vor kurzem wurde der Türsturz vom Zementputz befreit und fol-
26
gende Inschrift kam dadurch ans Tagelicht : "P.I.N. M.K.W. - 1853". Der
zweite Peter Joseph Nyssen hat also sein Haus mit seiner Ehefrau 1853
gebaut und wurde erst 1860 dafür besteuert !
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Die alte Schmiede aus dem Jahre 1765
In einem der Nachbarhäuser befand sich bis mindestens 1922 ein
Minoritenkloster.
Etwas höher erreichen wir den unteren Eingang zum Friedhof, der
hier 1883-1884 angelegt worden ist und am 15. Juli 1884 durch den
Dechant von Aubel eingesegnet wurde. Im Jahre 1892 scheiterte eine
geplante Erweiterung wegen der erwarteten Teilung des neutralen Ge-
bietes. Der Bau eines Leichenhauses wurde 1896 vom Gemeinderat be-
schlossen und 1897 durchgeführt. Die geplante Erweiterung des Fried-
hofs wurde nochmals 1913 als absolut notwendig betrachtet, konnte aber
erst 1919 von der belgischen Verwaltung durchgeführt werden. Vorhin
befand sich der alte Friedhof in einer Delle in der Nähe der Kirche. Er
mußte aufgegeben werden, weil das Gelände zu feucht war. Es dauerte
aber bis zum 15. Februar 1921, ehe der Gemeinderat beschloß, das alte
Friedhofsgelände gesetzlich seiner Zweckbestimmung zu entziehen. Die
Überreste des hochw. ersten Pfarrers Aloys Flemincks wurden zum neu-
en Friedhof übertragen, wo das Denkmal noch zu sehen ist. Auch das
27
1863 durch Subskription aufgestellte Erinnerungsdenkmal an Bürger-
meister Arnold de (bzw. von) Lasaulx (Amtszeit 1802-1858), der in sei-
nem Geburts- und Wohnort Moresnet 1863 begraben wurde, ist hier
wiedererrichtet worden.
Wir gehen jetzt die Lütticher Straße wieder hinunter. Vor einem freien
Grundstück sehen wir rechts ein großes aus dunklen Ziegelsteinen
erbautes Haus, das 1856 dem Lehrer Peter Lambert Frantzen gehörte
und das damals von vier Familien, insgesamt 16 Personen, bewohnt war.
Mit der nächsten Häuserreihe beginnt das Kelmiser Geschäftszentrum.
Ein Teil der Häuser weist noch die übliche Bauweise der Zeit um 1850
auf. Bei einem hat der Eigentümer neuerdings ein Baujahr "1865" wie-
der angebracht. Dabei ist ihm leider ein Irrtum passiert. Ich habe näm-
lich selbst im Jubeljahr 1958 die alte Inschrift notiert : " L. S. I. K. -
1875". Der Bauherr ist ein Mitglied der Familie Schmitz (Laurenz?).
Das ältere Nebenhaus, heute Schenkwirtschaft "Alt Kelmis", gehörte 1860
der Witwe Heinrich Schmitz, die in Hergenrath wohnte. Alle Häuser der
ehemaligen Neu-Moresneter Seite sind verhältnismäßig spät entstanden.
Eine Parzellierung aus einem Grundstück des früheren Bauernhofs
"Hazard" hatte die "Vieille Montagne" hier wohl vorgenommen und schon
1852 daraus 6 Grundstücke verkauft. Nach der Karte der Gesellschaft
aus dem Jahre 1862 ist aber bis dahin noch kein Haus dort errichtet
worden.
Wir wollen jetzt die Kirchstraße hinaufgehen. An der linken Ecke steht
ein hohes zweistöckiges Ziegelsteinhaus mit Verzierungen, das der Un-
ternehmer Nicolaus Emonts 1912 baute, wie die Inschrift mit Kreuz aus
farbigen Ziegelsteinen am Giebel bezeugt. Etwas höher lag der Bauern-
hof Timmermann, der einzige im neuen Dorfkern, der vor einigen Jah-
ren abgerissen und durch ein großes Mietshaus mit Geschäftsräumen
ersetzt wurde. Seine Wetterfahne trug die Jahreszahl "1911".
Die Kirchstraße wurde von der "Vieille Montagne" in der 1850 von
Dederen-Francois gekauften Wiese parallel zur Kapellstraße angelegt.
Im Grundbuch wird sie 1852 als "Neustraße" bzw. "nouvelle rue ä
construire” erwähnt. Im Jahre 1856 dagegen, "chemin des Archers",
Bogenschützenstraße, da die gegründete "Societ& des Archers St
Sebastien" hier ihr Lokal gegenüber dem jetzigen Gemeindehaus hatte.
Entlang der neuen Straße wurde dann auch parzelliert und gebaut. Im
Jahre 1862 standen schon 12 Gebäude, darunter die neue Schule, "Ecole
Saint Louis", die seit 1952 als Gemeindehaus dient. Die "Vieille
Montagne" hatte das Gebäude 1856 aus dunklen Feldziegelsteinen bau-
29
en lassen. Die Schule wurde am 29. Oktober 1857 feierlich eingeweiht.
Das Gebäude wurde der Gemeinde Neutral- Moresnet am 25. Oktober
1872 von der "Vieille Montagne" vor Notar Johann Baum, Aachen, ge-
schenkt. Der Wert des 19 Ar 49 m2 großen Grundstücks mit Garten,
Spielplatz und Schule wurde auf 116 Thaler, d.h. 348 F, geschätzt.
Schwestern von Notre-Dame aus Namür, die auch bis Juni 1940 ihr
Kloster mit Hauskapelle im Gebäude hatten, unterrichteten die Mädchen
in zwei Klassen und übernahmen auch den Kindergarten. Die Knaben
wurden von zwei Lehrern unterrichtet. Von Anfang an besuchten mehr
als 400 Kinder die Schule, im Jahre 1895 waren es 452 und 1908 zählte
die Schule in fünf Klassen nicht weniger als 607 Kinder. Nach dem
Anschluß an Belgien blieben die Schwestern Lehrerinnen an der
Gemeindeschule für Mädchen, ein eigenartiger Fall. Sie wurden im Juni
1940 von den deutschen Behörden ausgewiesen. Die Inschrift "Ecole
Saint Louis" an der Stirnseite wurde auch ausgemeißelt. Bei der Über-
nahme des Gebäudes als Gemeindehaus wurde sie durch die jetzige
Ausschmückung mit dem Wappen Belgiens, der Jahreszahl 1952 und
dem Spruch "L'union fait la Force" (Einigkeit macht stark) ersetzt.
Gegenüber der Schule befand sich die Kaplanei im ehemaligen Lokal
der Bogenschützen (bis 1857), nachdem 1858 der Bischof Kaplan Phi-
lipp Segers ernannt hatte. Das Gebäude wurde 1960 von der Gemeinde
veräußert und vom Käufer Pierre Collette abgerissen, um dem großen
Mietshaus mit Geschäftsräumen Platz zu machen.
Auf dem angrenzenden Kirchplatz wurde 1862-1865 die neugotische
Mariä Himmelfahrtskirche gebaut. Die feierliche Grundsteinlegung fand
am 18. Mai 1863 statt und die feierliche Einweihung durch den Lütticher
Bischof Mgr. de Montpellier am 3. Oktober 1865. Neben dem linken
Seiteneingang zur Kirche steht das Denkmal für den "plattdütschen"
Kelmiser Bischof Mgr. Jean FRYNS. Als Sohn einer einfachen Arbeiter-
familie in Kelmis am 3. Juli 1910 geboren, fühlte er die priesterliche
Berufung und trat dem Orden der Priester vom Heiligen Geiste bei. Er
studierte Theologie an der Gregorianischen Universität in Rom und wurde
dort in der Basilika Sankt Paul am 12. Juli 1936 zum Priester geweiht.
Von 1937 bis 1946 lehrte er Theologie am Scholastikat seines Ordens in
Löwen und wurde anschließend Provinzial des Ordens für Belgien. Nach
einer Reise zu den Missionen in Belgisch Kongo verstärkte sich sein
Wunsch, selbst Missionar zu werden. Er mußte aber zuerst noch ab Ok-
tober 1955 das Universitätsseminar seines Ordens in Freiburg (Schweiz)
leiten, bis er dann im November 1956 zum Kongo ziehen konnte, wo er
31
Nachdem der alte 1858 eingerichtete Friedhof 1921 amtlich aufgege-
ben worden war, konnte der Kirchplatz erweitert werden. Dies geschah
aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Vertiefung diente eine Zeit-
lang als Mülldeponie und wurde anschließend mit Bauschutt aufgefüllt.
Auf einem planierten Teil konnte im November 1948 das Denkmal für
die Opfer des Zweiten Weltkrieges eingeweiht werden. Der Platz wurde
1950 erweitert und 1988 vollständig neu gestaltet. Am östlichen Ende
entstanden zwei Supermärkte und ein großer Parkplatz. Neben der Kir-
che stand bis 1979 das ehemalige Kloster der Dominikanerinnen, hier
als "weiße Schwestern" bekannt.
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Pfarrkirche und Kloster der Dominikanerinnen (Karte gestempelt 1916)
Nachdem Dominikanerinnen aus der Kölner Gegend im April 1901
ein Noviziat zur Ausbildung der Schwestern, die in Kalifornien
missionieren wollten, zuerst in der Kirchstraße eingerichtet hatten, be-
schlossen sie 1904, ein großes Kloster mit Hauskapelle in der Nähe der
Kirche zu bauen. Hier haben sie dann auch am 14. Juli 1909 eine Privat-
schule eröffnet, die wegen der Überbevölkerung der Gemeindeschule
großen Erfolg hatte. Im Jahre 1911 wurden die Dominikanerinnen dann
in das Gemeindeschulwesen miteinbezogen. Durch ihr überstrenges
Regiment waren sie von den Kindern gefürchtet. Nachdem sie noch vor-
übergehend unter der belgischen Verwaltung im Einsatz geblieben wa-
32
ren, wurde ihnen im April 1921 als deutschen Staatsangehörigen gekün-
digt. Kurz darauf verließen die Dominikanerinnen Kelmis, um sich in
Altenhohau, Bayern, niederzulassen. Das "Kloster", ein hoher Ziegel-
steinbau, erwarb die Gemeinde 1924. Es diente als Schulraum und Lehrer-
wohnung. Um 1985 wurde es abgerissen, um dem jetzigen 1988 einge-
weihten Ensemble von Gendarmerie mit Wohnungen und Postamt Platz
zu machen.
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Blick auf Gemeindeschule und Peter-Kofferschläger-Siedlung
Etwas höher sehen wir den langgestreckten Bau der Gemeindeschule,
die hier 1955 errichtet wurde, nachdem die Gemeinde dem Staat das in
den dreißiger Jahren in der Parkstraße errichtetete Gebäude für die 1948
gegründete Staatliche Mittelschule verkauft hatte. Das Gebäude wurde
noch für zwei getrennte Schulen konzipiert und so konnte es auch dem
stark ansteigenden Gelände leicht angepaßt werden : Mädchenschule mit
Kindergarten im unteren Teil, Knabenschule im oberen Teil, gemeinsa-
me Turnhalle dazwischen. Später, 1962, wurde hinter der Schule von
der Baugenossenschaft "Nos Cit&s" die Siedlung Peter Kofferschläger
gebaut : sie zählt 28 Häuser und 20 Appartements. Ihre Benennung erin-
nert an den ehemaligen Präsidenten der Baugenossenschaft, Bürgermei-
ster Kofferschläger. Dieser war am 28. Juni 1910 in Neutral- Moresnet
33
geboren und einer der Mitgründer der Kelmiser JOC-Sektion im Jahre
1925. Von 1934 bis 1935 war er Propagandist des Vervierser Bezirks-
verbandes und anschließend ständiger Sekretär der "Ligue des
Travailleurs Chretiens", des Christlichen Arbeiterverbandes des Bezirks
Verviers.
Nach den Gemeinderatswahlen von 1938 zog er im darauffolgenden
Januar für die christlich-demokratische Liste in den Gemeinderat und
wurde zum 2. Schöffen gewählt. Kurz danach, am 11. Mai, starb Bürger-
meister Victor Moyano. Mit knapp 29 Jahren wurde Peter Kofferschläger
am 3. August zum Bürgermeister ernannt, damals der jüngste Belgiens.
Nach dem deutschen Einmarsch und dem widerechtlichen Anschluß an
das Dritte Reich durch "Führererlaß" vom 18. Mai 1940 verließ Koffer-
schläger mit seiner Familie die Heimatgemeinde und ließ sich in Ensival
bei Verviers nieder. Dort wurde er 1942 von der Gestapo verhaftet und
ins Konzentrationslager Oranienburg-Sachsenhausen eingeliefert, 1944
nach Neuengamme überführt. Nach seiner Befreiung konnte er körper-
lich sehr geschwächt im April 1945 in sein Heimatdorf zurückkommen
und anschließend das Bürgermeisteramt wieder aufnehmen. Als politi-
scher Gefangener wurde er im Februar 1946, bei den ersten Parlaments-
wahlen nach dem Kriege, Spitzenkandidat der Christlichsozialen Partei
des Bezirks Verviers. Er wurde auch immer wiedergewählt und vertrat
im Repräsentantenhaus, der "Chambre des Representants", sowohl die
Christliche Arbeiterbewegung wie auch die deutschsprachigen Ost-
kantone. Im Jahre 1955 war Kofferschläger auch zum Präsidenten der
Föderation der Christlichen Krankenkassen des Bezirks Verviers gewählt
worden. Ferner war er Präsident des Schulrates der 1948 gegründeten
Staatlichen Mittelschule und trug noch einige Zeit vor seinem Tode
maßgeblich zur Gründung der Kelmiser Sektion des Roten Kreuzes bei.
Peter Kofferschläger verstarb am 13. September 1960 im Eupener Kran-
kenhaus nach längerer Krankheit an Herz- und Nierenleiden, Folgen sei-
ner KZ-Haft.
Die Siedlung Kofferschläger ist nur eine der vielen Arbeitersiedlungen,
die von der Baugenossenschaft nach dem Kriege angelegt wurden. Sie
wurden alle ab 1952 vom 1860 gebildeten Siedlungskern ausgehend in
nordöstlicher Richtung gebaut, so daß die in dem Bereiche vorhandenen
kleinen Bauernhöfe verschwanden und die Gemeindegrenze nach Neu-
Moresnet überschritten wurde. Die Baukampagne von 1952 bis 1982
erbrachte den Bau von 270 Häusern und 157 Appartements, wovon 123
verkauft wurden. Danach trat aufgrund von Sparmaßnahmen der Regie-
34
rung bei der Nationalen Wohnungsbaugesellschaft eine Ruhepause ein.
Wir verlassen den Kirchplatz durch die 1987 angelegte Poststraße und
sehen links das 1973-74 errichtete neue Pfarrhaus und etwas näher zur
Kirche die 1964-65 gebaute Vikarie/Kaplanei. Am Giebel eines alten
Hauses ist 1990 eine Gedenkstätte der Veteranen König Leopolds III.
errichtet worden. Am Eingang der jetzigen Poststraße stand früher das
sogenannte "spritsehüske". Dieses Gerätehaus der 1894 gegründeten frei-
willigen Feuerwehr wurde 1911 gebaut und diente noch nach dem Zwei-
ten Weltkrieg. Es wurde am 5. August 1982 abgerissen. An der Wege-
gabelung steht nun auf einem Rondell das ästhetisch nicht besonders
geglückte Denkmal zum Kelmiser Karneval mit seinem Wahrzeichen,
dem "Küsch". .
Wir biegen jetzt links in die "Klosterstraße" genannte Gasse ein. Rechts
steht die Häuserreihe "Schnellenwind" : typische Häuser des 18. Jhs. aus
Bruchsandstein mit stichbogigen Tür- und Fensterrahmen aus gehaue-
nem Kalkstein. In der Mitte trägt der Keilstein der Tür die Inschrift " AO
1777 - IH S ( in einer Sonne) G.K. A.B.N." . Gerard Caan/Kaan hatte
Anna Barbara Nissen am 29. November 1755 in Moresnet geheiratet
und ist höchstwahrscheinlich der Bauherr dieser Häuserreihe.
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Die Klosterstraße, früher "'Schnellenwind"'
35
Wir gehen nun die Albertstraße bis zur Kreuzung hinunter. Das
Eckhaus war 1856 die Schenkwirtschaft Dederen-Francois. Es wurde
später in eine Apotheke umgewandelt. Hier ist am 27. Dezember 1890
als Sohn des Apothekers Emil Dovifat der spätere Professor für Publizistik
an der Freien Universität Berlin, Emil Dovifat, geboren. Dovifat war
schon 1928 Professor für Zeitungskunde an der Universität Berlin, bis er
1934 von den Nazis vertrieben wurde, Er war auch stark in der Katholi-
schen Aktion engagiert und nach dem Kriege Mitbegründer der Berliner
CDU. Dovifat verstarb in Berlin am 8. Oktober 1969. Vater Dovifat war
vom 6. Februar 1896 bis zum 13. Mai 1899 Mitglied des Neutral-
Moresneter Gemeinderates. Die Familie verzog dann nach Köln. Die
Apotheke wurde von Gottfried Barth übernommen, der am 17. Mai 1899
auch in den Gemeinderat und zum beigeordneten Bürgermeister ernannt
wurde. Im Jahre 1905 verließ auch er Neutral-Moresnet. Sein Nachfol-
ger Karl Kahlau wurde am 13. Februar 1907 zum Gemeinderatsmitglied
und am 25. Juli 1910 zum beigeordneten Bürgermeister ernannt. Kahlau
verzog 1913 nach Bonn. Später wurde die Apotheke lange Jahre von den
Herren Cornely Vater, dann Sohn geführt.
Wir biegen nun rechts in die Thimstraße ein. Das Eckhaus links, die
Metzgerei Ahn, früher Drouven, trug bis zum Umbau als Baujahr die
Jahreszahl "1914". Auch diese Straße wurde von der "Vieille Montagne"
angelegt, und zwar noch vor der Kirchstraße. Den Namen erhielt sie
vom langjährigen Direktor der (Neutral) Moresneter Betriebsstelle, dem
in Venloo am 2. Juni 1824 geborenen Adolphe Van Scherpenzeel-Thim.
Thim hatte an der berühmten "Ecole des Mines" der Universität Lüttich
studiert und war Mitbegründer der "Association des Inge£nieurs de Liege".
Er wurde am 15. August 1846 von der "Vieille Montagne”" als Ingenieur
engagiert und 1847 zum Direktor der Zinkhütte von (Neutral-) Moresnet
ernannt. Ab dem 28. März 1853 oblag ihm zusätzlich die Aufsicht über
die rheinischen Hütten zu Mülheim und Borbeck, wohin er als Direktor
am 1. Juni 1859 übersiedelte. Er war der große Förderer des gesellschaft-
lichen Lebens in Neutral-Moresnet, u.a. Bau der Kapelle 1845, Initiative
zur Ernennung eines ansässigen Kaplans 1854, zur Gründung einer ei-
genen Pfarre 1858, zum Kirchenbau. Am 26. August 1854 wurde er von
den Kgl. Verwaltungskommissaren zum beigeordneten Bürgermeister er-
nannt und übernahm weitgehend die Geschäfte des schon betagten Bür-
germeisters Arnold von Lasaulx. Nach dessen Rücktritt wurde er dann
auch am 10. März 1859 zum Bürgermeister ernannt. Das Amt konnte er
nicht lange beibehalten, da er kurz danach nach Mülheim verziehen muß-
36
te. Im Jahre 1871 kam er nach Belgien zurück, um die Zinkhütte von
Valentin-Cocq bei Hollogne-aux-Pierres zu leiten. Van Scherpenzeel-
Thim verstarb am 20. Mai 1877. Während des letzten Weltkrieges haben
die deutschen Behörden unter dem NS- Bürgermeister Josef Kriescher
aus Neu-Moresnet die Thimstraße in "Straße des 18. Mai" umbenannt,
um an das Datum des "Führererlasses" zu erinnern, wodurch das ehema-
lige Neutral-Moresnet widerrechtlich mit Eupen-Malmedy dem 3. Reich
angeschlossen wurde. Mit dieser einseitigen Maßnahme trat das Reich
nicht nur den Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919 (Artikel 32) sondern
auch den Aachener Grenzvertrag vom 26. Juni 1816 (Artikel 17) mit
Füßen. Dies geschah noch vor der Kapitulation der belgischen Armee
am 28. Mai 1940. *
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Die Thimstraße in einer Vorkriegsansicht
Wir wollen jetzt die Thimstraße hinaufgehen. Hier soll auch vermerkt
werden, daß zu oft (auch von den Anwohnern!) der Name dieser Straße
falsch mit "Thym" geschrieben wird, in voller Unkenntnis seines Ur-
sprungs. Die meisten Häuser sind im Laufe der Zeit mehrmals umgebaut
worden. Im unteren Teil ist wohl rechts ein großes Doppelhaus ungefähr
im alten Zustand geblieben: der jetzige Obst- und Gemüsehandel Wetzels.
307
Das Haus wurde vom Unternehmer Joseph van Hauten gebaut, der sich
1859 im Neutralen niedergelassen hatte. Nach der Erneuerung des
Katasters und der Aufstellung der Urkatasterkarte im Jahre 1860 erscheint
er nach der Gesamtgemeinde Moresnet, der "Vieille Montagne" und
zweier Landwirte als der fünftreichste Grundeigentümer von Neutral-
Moresnet mit 159,92 F Reinertrag von 8204,8 F. insgesamt, d.h. 1,95%.
Er wurde am 28. April 1864 in den Gemeinderat ernannt, am 6. Juni
1874 aber von den Kgl. Verwaltungskommissaren als zurückgetreten
angesehen, da er seit 1872 keiner Sitzung mehr beigewohnt hatte. Sein
am 4. Juli 1859 in Neutral - Moresnet geborener Sohn Aloys van Hau-
ten, ebenfalls Bauunternehmer, wurde am 18. März 1896 in den
Gemeinderat ernannt und am 7. Januar 1923 als einer von vier der elf
alten Gemeinderatsmitglieder durch die erste Wahl bestätigt. Auf Grund-
lage des Eingliederungsgesetzes vom 15. September 1919 konnten die
bisher deutschen Mitglieder des Gemeinderates weiter tagen, insofern
sie auf ihr Optionsrecht, die deutsche Nationalität beizubehalten, ver-
zichteten. Van Hauten und sein Kollege Gerhard Schmetz reichten die-
sen Verzicht am 1. März 1920 ein und legten am 14. Mai mit allen ihren
Kollegen, 4 Belgiern und 2 "Neutralen", den Eid auf "Verfassung und
Gesetze des belgischen Volkes" ab.
Vom 10. Januar 1921 bis zur ersten Gemeinderatssitzung nach den
Wahlen, am 7. Februar 1923, war er Schöffe. Nach dem Kriege war van
Hauten Mitbegründer und erster Präsident des konservativen "Cercle
catholique". Aloys van Hauten war 1901 zum Kommandanten der ge-
meinsamen freiwilligen Feuerwehr von Neutral- und Preußisch-Moresnet
gewählt worden, der er 1895 kurz nach der Gründung beigetreten war
und bis zu seinem Tode am 4. April 1925 vorstand.
Ungefähr gegenüber dem ehemaligen Haus van Hauten treffen wir
auf die Wegegabelung zur "Stiefelgasse", wahrscheinlich aus "rue de la
Botte" rückübersetzt. Diese Benennung hatte der Kelmiser Gemeinderat
nach dem Ersten Weltkrieg festgelegt in Anlehnung an die Flur-
bezeichnung " a jene bot" ! In Wirklichkeit rührt dieser Flurname von
der plattdeutschen Bezeichnung für einen alten Baumstumpf her. Im
Volksmund heißt die Gasse "de vlue jats" (Flohgasse), was die Anwohner
natürlich nicht begeistert. Das kleine senkrecht zur Thimstraße verlau-
fende Stück war früher links vom Bergkanal begleitet, der, von der Albert-
straße kommend, dort die Thimstraße überquerte und weiter durch den
Park noch verläuft. Im Laufe der Zeit ist dieser vorhin offene Kanal nach
und nach überdeckt worden. Die obere Thimstraße war ursprünglich
38
nur halb so breit, wie noch auf der Besiedlungskarte von 1862 gut er-
kennbar ist. Sie wurde erst 1873 verbreitert, nachdem die Kgl.
Verwaltungskommissare der Gemeindeverwaltung am 27. Oktober ihr
Einverständnis zum Ankauf des hierzu notwendigen Grundes von den
Anwohnern gegeben hatten. Im Juli 1897 erst beschloß die Gemeinde,
die Rinnen der Thimstraße zu pflastern; bis dahin waren sie scheinbar
nur offene Gräben.
An der oberen Ecke, eben "a jene bot", erreicht die Thimstraße die
alte "naeberstraet", d.h. die Straße die von den Eigentümern, den "Nach-
barn" der angrenzenden Grundstücke, zu unterhalten war. Dieser Straßen-
zug gehörte zum alten Landweg von Henri-Chapelle nach Aachen, der
von der Göhlfurt unweit des Ortsteils Hof über die heutige Heide, die
Parkstraße, die Patronagestraße, den Kahnweg und Hattich führte.
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"Am Tannenbaum'', ehemals ein Bauernhof
Zwischen Dörnchen und Bott standen überhaupt noch keine Häuser
im Jahre 1862. In der gegenüber verlaufenden Moresneter Straße be-
stand nur der Bauernhof "am Tannenbaum", daher auch die alte Bezeich-
nung "Tannenbaumstraße", die 1922 auf die Gasse hinter den Häusern
"a jene bot" übertragen wurde. Dieser Bauernhof gehörte 1860 dem
"Ackerer" Johann Anton Thielen-Hermans, dem drittreichsten Grund-
39
besitzer mit 241,42 F Reinertrag, d.h. 2,94% des Gesamtreinertrages. Im
Jahre 1840 ist die in Preußisch-Moresnet wohnende Witwe Nicolas
Hermens, wahrscheinlich die Schwiegermutter des Johann Thielen, Ei-
gentümerin des Gutes Tannenbaum mit 149 F Reinertrag. Zusätzlich ist
diese Witwe auch mit 6 F Reinertrag für den auf neutralem Gebiet lie-
genden Teil des Bauernhofes Hazard angegeben, wo sie wahrscheinlich
wohnte und das von den Erben an die "Vieille Montagne" veräußert
wurde, wie wir vorhin gehört haben. Ihr Mann, der 1838 noch lebte,
erschien seit 1824 als Besitzer des Gutes. Im Jahre 1855 wurde der Aus-
bau der Straße Moresnet-Kelmis über Boschhausen vom Moresneter
Gemeinderat schon ins Auge gefaßt und als wichtiger als derjenige der
Straße Moresnet-Montzen angesehen. Im Neutralen schien man eher den
Straßenzug über Dörnchen und Bau vorzuziehen. Am 14. Juli 1866 be-
willigt der Neutral-Moresneter Gemeinderat die Instandsetzung des
Tannenbaumweges, allerdings nur bis Wolfskaul. Am 20. März 1874
reichen 27 Einwohner ein Gesuch an den Gemeinderat, um die Instand-
setzung des unbefahrbaren Tannenbaumweges zu verlangen, obschon
Plan und Kostenanschlag für die Arbeit schon am 3. April 1872.von der
"Vieille Montagne" fertiggestellt worden waren. In den folgenden Jah-
ren gibt es noch Schwierigkeiten mit den Eigentümern der anliegenden
Grundstücke, die für die Erbreiterung anzukaufen sind. Im Jahre 1879
findet eine Volksversammlung statt und es wird erneut ein Gesuch an
den Gemeinderat eingereicht. Kurz darauf billigt der Neutral- Moresneter
Gemeinderat das von der Lütticher Provinzialregierung festgelegte Pro-
jekt, doch erst am 18. April 1882 wurde der Zuschlag zur Durchführung
der Arbeiten des "Brandenhövelsweges" an Mathias Francois erteilt.
Die jetzige Trasse der Moresneter Straße wurde erst nach dem Zweiten
Weltkrieg ausgebaut.
Vom Tannenbaum können wir über die 1964-1966 angelegte Europa-
Siedlung die Kreuzung an der Patronagestraße erreichen, die wir nun
hinuntergehen.
Wir treffen bald rechts auf das hohe zweistöckige Gebäude der
"Patronage Saint Louis", das 1911 gebaut wurde, wie die Jahreszahl ober-
halb des Torbogens zum Spielhof bezeugt. Es ist die Heimstätte der Pfarr-
und Jugendwerke, ein Werk des rührigen, im Jahre 1904 ernannten, aus
Homburg gebürtigen Kaplans J. Bosch (1876-1910).
Dieser hatte eine immer größer werdende Schar, bis 75, männlicher
Jugendlichen zur religiösen und sozialen Erziehung um sich geschart,
die er schon 1908 außerhalb der Kaplanei im gemieteten Hause Wiertz,
40
später Hack, in der Kirchstraße sonntäglich versammelte. Auf seinen
Antrag hin empfahl der Bischof von Lüttich die von Bosch vorgesehe-
nen Geldsammlungen zugunsten des Baues eines Pfarr- und Jugend-
heimes im Neutralen. Am 18. März 1910 schenkten die Erben der aus
Kelmis stammenden Catherine Schoenauen vor Notar Nols in Aubel den
Vertretern der Pfarrwerke ein Grundstück von 38 Ar am Ort "Vons-
Ossenkop". Als Bedingung wurde festgehalten, daß an sichtbarer Stelle
des Baues ein Stein mit der Inschrift "Stiftung Schoenauen" angebracht
werde, der noch oberhalb der Eingangstür zur heutigen Schenkwirtschaft
zu sehen ist. Ferner, daß das Gebäude den katholischen Jugendwerken
dienen sollte. Die Pläne lieferte der junge Aachener Architekt Joseph
Krützen; mit dem Bau beauftragt wurde der Kelmiser Unternehmer Ni-,
kolaus Emonts. Der große Saal konnte am ersten Maisonntag 1911 sei-
ner Bestimmung feierlich übergeben werden. Auf der Grundlage des
Gesetzes von 1921 konstituierte sich nach dem Ersten Weltkrieg, am
10.12.1923, eine V.o.E. zur Verwaltung der Pfarrwerke.
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Blick auf die Patronage (Bildmitte) und die Europa-Siedlung
Miteingeplant bei dem Patronagebau war auch die Gründung einer
freien katholischen Schule nach belgischem Muster, um den verheeren-
den Schulverhältnissen in Neutral-Moresnet ein Ende zu machen. Dies
41
scheiterte aber an der Opposition der preußischen Behörden, die unbe-
dingt das neutrale Gebiet unter Preußen und Belgien aufteilen wollten.
Die Schulverhältnisse waren eines der Druckmittel, mit welchen sie die
öffentliche Meinung für diese Teilung zu gewinnen meinten. Nach Ein-
willigung der Kgl. Verwaltungskommissare konnte die Gemeinde doch
einen provisorischen Vertrag mit den Dominikanerinnen schließen, die
zwei Klassen der Knabenschule übernahmen. Sie zogen am 8. Mai 1911
mit ca. 100 Knaben in den unterteilten großen Saal der Patronage ein.
Nach Ausbruch des Krieges, am 4. August 1914, wurde dieser große Saal
als Lazarett mit 67 Betten benutzt und anschließend bis September in eine
Kaserne für durchziehende deutsche Truppen umgewandelt. Ab dem 4.
Oktober konnten wieder der Unterricht und die Jugendaktivitäten in der
Patronage durchgeführt werden, bis im Februar 1915 das Gebäude erneut
vom Militär besetzt wurde und als Kaserne für eine ca. 300 Mann starke
Landsturmkompanie diente, die die belgische Grenze bewachte. Auch nach
dem Kriege blieben zwei Klassen der Knabenschule in der Patronage un-
tergebracht, bis die neue Schule in der Parkstraße 1939 bezugsfertig war.
Während des Zweiten Weltkrieges konnte der juristische Berater des Bis-
tums Aachen doch dem Pfarrklerus helfen, die Übernahme des Gebäudes
durch die NS-Organisationen zu verhindern. Dabei dienten ihm die bei
der Stiftung vorgesehenen Bedingungen als Rechtsmittel. Das Gebäude
wurde 1965 dank des rührigen Einsatzes des damaligen Kaplans H.-J.
Kalpers durch den Bau einer Bibliothek mit kleinem Saal für kulturelle
Veranstaltungen erweitert. Auch der kleine Abstellraum auf dem Hofe
wurde 1966 durch neue Räumlichkeiten für die Patrojugend ersetzt. Im
Jahre 1993 wurde ein Vertrag zwischen der Gemeindeverwaltung und der
V.o.E. der Patronage geschlossen mit dem Ziel, den großen Saal vollstän-
dig umzubauen und den neuen Erfordernissen anzupassen. Die feierliche
Eröffnung des neuen Festsaales fand am 20. August 1994 statt.
Etwas weiter erreichen wir rechts einen Parkplatz vor einer zur Straßen-
bauflucht zurückstehenden Häuserreihe aus dunklen Feldziegelsteinen "a
jen vons", die der gegenüberliegenden Straße ihren früheren Namen gab.
Vielleicht wohnte hier 1856 der aus Eupen kommende "Musiklehrer"
Johann Palmatius Vontz, der mehrmals die Erlaubnis beantragte, Privat-
unterricht zu erteilen, was ihm aber vom beigeordneten Bürgermeister Thim
und von den Kgl. Verwaltungskommissaren verboten wurde. (Eine wahr-
scheinlichere Namensdeutung ist aber die Ableitung von einem Flurnamen,
da sich im Korrespondenzblatt des Kreises Eupen vom 25. Januar 1833
eine Verkaufsanzeige für ein Haus "an der Vons" findet. Boileau -
42
Toponymie dialectale du nord-est de la province de Li&ge - leitet den Na-
men von "Von(t)s" ab = kleines Gebäck, kleines Mitbringsel bzw. Ge-
schenk von der Reise oder vom Markt. "A jen Vons" wäre so gesehen der
Ort, wo man solch süßes Gebäck bzw. kleine Geschenke kaufen konnte).
Die aus Bruchsteinen bestehenden Giebel weisen auf einen älteren Bau
hin. Das Anwesen gehörte der alteingesessenen Familie Timmermann. Bei
der Anlage des Urkatasters im Jahre 1860 werden vier Mitglieder dieser
Familie als Grundeigentümer angegeben, wovon zwei schon 1824 begütert
waren.
Während des Krieges hatte die deutsche Behörde die Patronagestraße
in "Arnold von Lasaulx Straße" umbenannt. Da dies mit großer Verbitterung
seitens der katholischen Bevölkerung empfunden wurde, sind später alle,
Versuche gescheitert, einer Kelmiser Straße wiederum den Namen des
Zeit seines Lebens hochverehrten ersten Neutral-Moresneter Bürgermei-
sters de (bzw. von) Lasaulx zu geben. Es ist aber nicht, weil die Nazis sich
die Erinnerung an einen echten Edelmann angeeignet hatten, daß diese
Erinnerung im heutigen Kelmis nicht wachgehalten werden sollte. Ich hatte
es schon in meinem Referat vorgeschlagen, das ich am 20. September
1969 beim Festakt zur 50-Jahrfeier der Wiedervereinigung mit Belgien
gehalten habe. Der auf Schloß Alensberg zu Moresnet geborene Arnold
Thimothe&e Albert Francois Joseph de Lasaulx wurde daselbst am 24. Ja-
nuar 1774 getauft. Sein Vater, Pierre Olivier Albert de Lasaulx, Grundherr
zu Alensberg und Oberherr von Gemmenich, Lizentiat der Rechte der Uni-
versität Löwen, Schöffe beim Hohen Rat zu Limburg, gehörte einer
alteingessenen limburgischen Familie an, die aus Clermont stammte. Sei-
ne Mutter, Maria Amalia Emerence de Mylius, war die Tochter des Johan-
nes Henric Arnold de Mylius, Herr zu Schwartzenberg und Rat der freien
Reichsstadt Köln. Durch Präfektorialbeschluß vom 12. Thermidor des
Jahres X (31 Juli 1802) wurde von Lasaulx, 28 Jahre alt, zum Bürgermei-
ster von Moresnet (mit Kelmis) ernannt. Nach Einmarsch der Alliierten
wurde er am 1. Februar 1814 in seinem Amt bestätigt, wie auch erneut
nach der Übernahme der Verwaltung durch Preußen, am 15. Juni 1814.
Nach der Teilung von Moresnet blieb er in seinem Schloß Alensberg im
belgischen Teil wohnen, obschon er ab 1817 als Bürgermeister des preu-
ßischen Teils formell ernannt worden war. Im Neutralen blieb er durch
stillschweigendes Einvernehmen der Vertreter der beiden Mächte "provi-
sorisch" in Amt. Dieses Provisorium sollte bis zu seinem Rücktritt am 21.
Februar 1859 fortdauern. Er war ca. 57 Jahre Bürgermeister und starb am
18. Juli 1863 in Moresnet-Boschhausen, wo er seit 1823 wohnte.
43
Bis 1850 war er Bürgermeister von Preußisch-Moresnet geblieben und
von 1823 bis 1847 auch von Hergenrath. Nach seinem Amtsjubiläum 1852
wurden seine Dienste von beiden Mächten anerkannt : Er war sowohl
Träger des preußischen Roten-Adler-Ordens wie auch Ritter des belgi-
schen Leopoldordens. Anläßlich der Einsetzung des Gemeinderates am
7. September 1854 sagte der Kgl. belgische Kommissar, Richter Mathieu
Cremer aus Verviers, von ihm: " Ces fonctions si penibles (de bourgmestre)
ont te remplies par lui avec tant d'intelligence et d'une mani&re si 6quitable
que son administfation n'a jamais donne lieu ä la plus petite r&crimination.”
Wir biegen jetzt in die obere Albertstraße ein. An der linken Ecke steht
das Gebäude des ehemaligen Kinos "Pax", heute Sporttrainingszentrum
der Deutschsprachigen Gemeinschaft.
In der sehr breiten Geschäftstraße sind auch fast alle 29 um 1860 ge-
baute Häuser im Laufe der Zeit umgebaut worden. Die Häuserreihe der
Wolfsgasse - Impasse du Loup - erinnert noch an die damalige Bauweise.
Davor verläuft in Richtung Thimstraße der überdeckte Bergkanal, der hier
die Straße überquert hat. Er fließt hinter dem früheren Kino, von der
Patronagestraße und dem Kahnweg kommend, wo er noch vor dem Krie-
ge offen lag. Wir gehen die Albertstraße weiter hinunter bis zur wichtig-
sten Kreuzung des 1855-1860 neu gebildeten Siedlungskerns und biegen
links in die Kirchstraße ein. Auch in dieser wichtigen Geschäftsstraße sind
fast alle Häuser teilweise in den allerletzten Jahren neuaufgebaut und auf-
gestockt worden. Bei einem der Neubauten rechts ist glücklicherweise
der Türsturz mit der Jahreszahl "1852" in einer liegenden Raute wieder-
verwendet worden. Das Haus wurde mit den anliegenden vom Unterneh-
mer Guillaume Prevöt gebaut, der 1860 in Dison wohnte. Hier haben lan-
ge Jahre die Bäckermeister Jongh ihr Geschäft geführt. Johann Joseph
Jongh erscheint erstmals in der Liste der patentzahlenden Bäcker im Jahre
1859 und wohnte damals im Hause Nr. 55 mit fünf anderen Familien,
darunter ein Metzger und ein Schenkwirt. Erst 1862 wird er als Grund-
eigentümer gemeldet.
Wir erreichen wieder den Kirchplatz, das heutige Herz des Markt-
fleckens, und beenden hier diesen Rundgang.
Nachtrag: In unserem ersten Beitrag (Im Göhltal, Nr. 61, S.31 ff.)
sind folgende Korrekturen anzubringen:
- S. 35, 5. Zeile unter dem Bild, lies: Louis XIV;
-S. 40, 2. Zeile, nach ”Lontzen” einfügen: L 3 —M 15;
- S. 48: die Bilduntertitel sind vertauscht.
44
Tirili
von Maria-Theresia Weinert
Der kleine Vogel Tirili
ach, wie schön er sang!
Er saß in unserm Pflaumenbaum
drei Frühlingswochen lang ...
Und wenn des Mondes Silberlicht .
hing überm Pflaumenbaum,
schwieg Tirili noch lange nicht,
er sang mich in den Traum.
Im Traum sah ich: Der Ast war leer
und leer das Vogelnest,
und eines Morgens hing am Baum
ein kleiner Federrest!
Was sangst Du, Vogel, in der Nacht,
verführt vom Mondeslicht?
Die Katze, die Dich umgebracht,
versteht so etwas nicht.
O Mensch, bedenk bei solchen Sachen:
Tu nichts, was andere auch nicht machen;
das Ungewohnte kommt nicht an,
und eines Tages bist Du dran!
45
GRENZEN, GRABEN UND GEBIETE
Die historische Entwicklung der Aachen/Limburger
Grenzen im Grenzwald
von Heinrich von Schwartzenberg
Vorwort EN
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Im Laufe der Zeit sind in der Zeit- nz A )
schrift "Im Göhltal” einige Einzelartikel 14% 4 ya
über die Aachen/Limburger Grenzen er- | . FE 5 Rn A Ca \
schienen, so daß es angebracht erscheint, % Ex En WA £ "A
einmal eine Gesamtdarstellung zu brin- |% a A fi
gen. Da in dem nachfolgenden Aufsatz WEN 3 Em
Z.T. auf die vorigen Artikel zurück- 8 AD
gegriffen wurde, kann es hier und da zu % En ‚Hr ME 3
Wiederholungen kommen, die aber aus FR SS m
Gründen einer gewissen Vollständigkeit Ge Ta { !
unerläßlich sind. Nach einer Übersicht Ka "oe LM
über das Aachener Reich und seine Nach- ag u |
barn wird im einzelnen auf die entstan- "EA AA
denen Grenzgräben, auf die einzelnen Gebiete sowie auf die Grenztürme
und die verschiedenen Grenzsteine eingegangen. Eine Übersichtskarte
verdeutlicht die Standorte der vorgenannten Objekte.
Das Aachener Reich und die Landgräben
Im Jahre 1166 wurde Aachen durch Kaiser Friedrich I. (Barbarossa)
mit dem Marktrecht mit Abgabefreiheit ausgestattet, was soviel bedeutete,
daß Aachen nunmehr Stadtrechte besaß und sich zu einer freien Reichs-
stadt entwickelte (1).
Am 10. Mai 1336 bestätigte Kaiser Ludwig IV. die Zugehörigkeit der
um Aachen gelegenen Dörfer zur Stadt Aachen. Das Aachener Reich
war damit manifestiert (2).
Etwa 80 Jahre später begann man, das Aachener Reich, das aus dem
Glockenklang (eingepfarrtes Gebiet) und den Quartieren Berg
(Laurensberg), Soers, Vaals, Orsbach, Haaren, Weiden und Würselen be-
stand, mit einer schützenden Landwehr (Landgraben) zu umgeben (Her-
stellung von 1419 bis 1453).
47
am Beeck, an der Preus (Adamshäuschen), an Linzenshäuschen, in
Verlautenheide, am Wamich (Gut Wambach), in Würselen-Morsbach,
am Hirsch (Laurensberg) und in Vaalserquartier. Viele vermuten auch in
der Orsbacher Burg einen Wachtturm des Aachener Reiches (5).
An Straßen und Wegen befanden sich Durchlässe, die mit Schlagbäu-
men und Sperrketten, Grindel genannt, abgesichert waren.
Im Aachener Wald, an der Süd-West-Seite, hat sich die Grenze des
Aachener Reichs mehrfach verändert, was mit den Expansions-
bemühungen der Aachener zusammenhing.
Bereits im Jahre 1357 bestätigte Karl IV. mit seiner "goldenen Bulle"
den Aachenern u.a. das freie Verfügungsrecht über ihr Waldeigentum,
was zu dieser Zeit im Süd-Westen gewiß noch nicht sehr umfangreich
war (s. unter A) (6).
Nachbarn der Aachener im Westen und Süd-Westen waren Vaals, das
zum Land Herzogenrath und später zu den Niederlanden gehörte, sowie
die limburgischen Banken Montzen (bis 1447 Sinnich-Völkerich) und
Walhorn. Letztere war aus einem Königshof entstanden, der 1072 in den
Besitz des Aachener Marienstifts gekommen war (7). Es ist zu vermu-
ten, daß auch zu dieser Zeit der nahe bei Aachen gelegene Wald aus der
königlichen Oberhoheit in das freie Eigentum der Stadt überging (8).
Die Verwaltung und Nutzung des zwischen Aachen und den Gemeinden
der Bank Walhorn gelegenen sog. Reichswaldes geschah gemeinsam.
Jeder holte sich praktisch das Holz, das er brauchte. Da die Bevölkerung
Aachens damals ständig zunahm und entsprechend auch der Holzbedarf
stieg, ist es nicht verwunderlich, daß es zu ständigen Streitigkeiten mit
den Nachbarn kam und Aachen auf Expansion seiner Waldgebiete drängte
(10).
1431 wird eine Grenzlinie genannt, die von der alten Vaalser Kirche
über den Dreiländerpunkt bis zum Durrenbaum (Nähe Grüne Eiche) führte.
Diese Grenze, die über den Höhenkamm verlief, wurde wahrscheinlich
etwa 1545 mit einem nur wenige Spatenstiche tiefen Graben und mit
Adlersteinen versehen (Hoheitsgrenze) (s. unter D) (11). Vorher (1423)
hatte König Sigismund in einer Urkunde, die eine andere von 1391 bestä-
tigte, den Aachenern ein Nutzungsrecht zugesprochen, das bis zur Göhl
reichte. Als Philipp der Gute von Burgund im Jahre 1439 in Aachen zur
Heiligtumsfahrt weilte, nahm er anschließend das betreffende Gebiet mit
Gewalt an sich, so daß es für Aachen verloren war (s. unter B) (12).
Endlich, im Jahre 1611, waren die Expansionsbemühungen Aachens
von Erfolg gekrönt. Am 20. April 1611 kam es zu einem Vertrag zwi-
48
schen Albert, Erzherzog von Österreich und Herzog von Limburg, und
der Stadt Aachen, nach dem Aachen ein zusätzliches Stück des Reichs-
waldes und der Preus erhalten sollte (13). Der Vertrag bedeutete u.a. die
Vorverlegung der Aachener Grenze um gut einen Kilometer in das Ge-
biet der limburgischen Banken Walhorn und Montzen. Die Bank Montzen
wehrte sich erfolgreich dagegen und erreichte 1615, daß Aachen von
ihrem Gebiet nichts erhielt (14). So kam es, daß die neue Grenze nur von
Grüne Eiche bis zur Lütticher Straße vorverlegt worden ist und daß sie
dort mit einem scharfen Knick entlang der Lütticher Straße bis zur alten
Grenze lief (Äußerer Landgraben, s. unter E).
Das umstrittene Montzener Gebiet kam als Pufferzone zwischen
Aachen und Montzen an die herzogliche Domäne und wurde seitdem,
Königswald genannt (s. unter F) (15).
Bleibt noch zu erwähnen, daß die Nachbarn von Aachen, die
BankenWalhorn und Montzen bis 1794 zwar immer zum Herzogtum Lim-
burg gehört haben, daß aber dieses Herzogtum seit 1288 nie selbständig
war. Es gehörte durch seine wechselvolle Geschichte nacheinander zu
Brabant, Burgund, Habsburg (Österreich), ab 1555 zu Spanien und ab
1714 wieder zu Österreich.
In eine Waldkarte von 1885 wurden vom Verfasser die historischen
Grenzen, Gräben und Gebiete sowie Türme und Grenzsteine an der
Aachen-Limburger Seite eingezeichnet. In den Erläuterungen zur Karte
wird nach den entsprechenden Symbolen näher auf die Einzelheiten ein-
gegangen. (S. Karte S. 54-55).
Erläuterungen zur Karte: GRENZEN UND GRÄBEN
A. Der Melatengraben (fossa metatoria), erwähnt 1346 (16)
In der Nähe von Heldruh (beim Dreiländerpunkt) gibt es ein recht-
eckiges Wiesenstück mit der Flurbezeichnung Melatengraben. Prof. Liese,
ein Kenner des Aachener Waldes, hat 1930 in seiner Schrift "Vom
Aachener Stadtwald" dargelegt, daß diese Bezeichnung, die auch noch
anderen Grabenresten im Aachener Wald anhaftet, eigentlich wohl
Metatengraben = Grenzgraben heißen müsse. Er stellte die Vermutung
auf, daß es sich bei dem Melatengraben, der sehr unregelmäßig etwa
von Heldruh in Richtung Hirtzplei verlief, um einen frühen Aachener
Grenzgraben gehandelt habe. Gestützt wird diese Annahme durch Ein-
tragungen in den Aachener Stadtrechnungen aus dem 14. Jh., in denen
49
von einem Graben die Rede ist, der durch einen großen Pflug gezogen
bzw. erneuert wurde.
Auffallend bei dieser Hypothese ist , daß Aachen dabei nur einen rela-
tiv kleinen Teil des Waldes in Eigentum hatte, was zu den späteren
Expansionsbemühungen geführt haben kann. Wegen des unregelmäßi-
gen Verlaufs und wegen fehlender Belege wurde auf die Einzeichnung
des Melatengrabens in die Karte verzichtet. Lediglich Beginn und Ende
wurden angedeutet.
(An der Südseite des Wiesenstückes "Melatengraben" bei Heldruh -
Ausbuchtung der heutigen Grenze - steht noch ein Grenzstein der ehe-
maligen Gemeinde Laurensberg. Hier verlief also die Aachen/
Laurensberger Grenze).
B. Grenze bis zur Göhl (1391/1423) (17)
Wie bereits erwähnt, gehörte nach einer Urkunde des Königs
Sigismund von 1423, die eine andere von 1391 bestätigte, zum Aachener
Reich ein Gebiet, dessen Grenzen wie folgt beschrieben werden:
"Von Reinardskehl durch Gemmenich zur Göhl, diese aufwärts über
Moresnet und Kelmis, - einschließlich des dortigen Galmeibergwerks
Altenberg-, dann unter die damalige Brücke von Hergenrath durch und
weiter die Göhl aufwärts bis zum Wesselbend, von da über Kalkofen
(Steinkaul), Bickelstein und Neudorf südwärts etwa über Vennkreuz zur
Weser, diese und den einfließenden Klapperbach aufwärts und weiter
bis in die Nähe von Reinartshof, den Eschbach abwärts zur Weser, diese
aufwärts nach Petergensfeld, von da über Münsterbildchen zur Inde und
weiter nach Lichtenbusch und schließlich über den Burtscheider Busch
wieder zur Reinardskehl." (Nach Gielen: Zwischen Aachener Wald und
Münsterwald, Eupen 1975, S. 32/33)
M.E. dürfte es sich nur um die Beschreibung einer Nutzungsgrenze
gehandelt haben, die nicht lange Bestand hatte. Als nämlich Philipp der
Gute von Burgund 1439 zur Heiligtumsfahrt in Aachen weilte, nahm er
das Gebiet mit dem begehrten Galmeibergwerk mit Gewalt an sich. Aachen
hat versucht, sich dagegen zu wehren, indem es eine Art militärische
Demonstration unternahm. Die Aachener Chronik berichtet darüber für
das Jahr 1439: "Damals ritten die Herren von Aachen mit den Mannen im
Reich voll gewappnet zu Pferd und zu Fuß auch dahin und lagerten ihr
Volk an allen Enden, die sie dazu im Wald für nötig erachteten ..."
50
Diese Aktion hat die burgundische Seite wohl mehr erheitert als er-
schreckt, und so kam es, daß die Nutzungsgrenze wieder zum Höhen-
kamm im Aachener Wald zurückverlegt wurde.
Der Grenzverlauf der "Göhlgrenze" wurde wegen des großen Um-
fangs nicht in die Karte eingezeichnet. Er ist jedoch bei Flach, "Untersu-
chungen zur Verfassung und Verwaltung des Aachener Reiches ...",
Göttingen 1976, in Karte 2 erfaßt (17a).
Wegen des Galmeibergwerks kam es im Jahre 1815 zwischen Preu-
ßen und den Niederlanden erneut zu Grenzdifferenzen (s. unter XII).
C . Der Innere Landgraben (etwa 1424) (18)
Die nachfolgend beschriebene Landwehr wurde erst nach der Er-
richtung des Landgrabens von 1611 "Innerer oder Inwendiger Land-
graben" genannt.
Der Innere Landgraben hatte folgenden Verlauf:
Vom Vaalser Berg in Richtung Wachtturm Beeck, Friedrichwald,
Wachtturm Adamshäuschen, Hochgrundhaus, Ronheide, Gut Grindel,
Wachtturm Linzenshäuschen über Hirtzplei zur Burtscheider Grenze am
Elleterweg.
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Bizarre Buchen am Friedrichwald
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Harfenbuche am Grindelweg
Der Beginn der Herstellung ist für 1424 anzusetzen, da er wahrschein-
lich zusammen mit dem Teilstück Senserbach-Vaals errichtet worden ist.
Von diesem Teilstück heißt es nämlich im Jahre 1424, daß der Grund
und Boden des Gutes Paffenbroich durch den Landgraben geteilt wurde,
so daß man die Genehmigung erhielt, ihn mit einem verschließbaren
Grindel zu überbrücken.
Der Landgraben von 1424, der die Wiesen und Felder vom Aachener
Wald trennte, bildete wahrscheinlich zu dieser Zeit die Hoheitsgrenze,
während die Nutzungsgrenze über den Höhenkamm verlief (s. unter D).
Vom Inneren Landgraben sind heute noch viele Teilstrecken zu erken-
nen (s. gezackte Linie in der Karte).
D. Grenze von 1431/1545 (19)
Im Jahre 1431 wird eine Grenzlinie genannt, die folgenden Verlauf
hatte:
52
Alte Kirche in Vaals, St. Hoebrechtsboek (Buche auf dem Hubertus-
oder Vaalser Berg), Preus, St. Agatha-Eiche, Entenpfuhl, Steinknipp (Pel-
zerturm), Hirtzplei, Königsberg, Durrenbaum (Nähe Grüne Eiche).
Man nimmt an, daß diese Grenze, die ziemlich geradlinig über den
Höhenkamm verlief, etwa 1545 mit einem nur wenige Spatenstiche tie-
fen Graben und mit Grenzsteinen versehen worden ist und somit von der
Nutzungs- zur Hoheitsgrenze wurde.
Einige Adler-Grenzsteine sind noch vorhanden (s. Abschn. Adler-
Grenzsteine).
Das Gebiet vor dieser Grenze gehörte zur Preuse bzw. zum Reichs-
wald, der zeitweise von Aachen und Walhorn gemeinsam genutzt wor-
den ist. Vom Dreiländerpunkt bis Bildchen hatte diese Grenze folgende .
Funktionen:
1555-1714: Grenze zwischen dem habsburgisch-deutschen und dem nie-
| derländisch-spanischen Reich.
(Kaiser Karl V. hatte 1555 das Gesamtreich geteilt zwischen
seinem Bruder Ferdinand I. und seinem Sohn Philipp II.).
Von Bildchen bis Durrenbaum entsprechend: 1555-1611
Grenze zwischen dem habsburgisch-deutschen und dem nie-
derländisch-spanischen Reich. (1611 Vorverlegung dieses
Abschnittes (s.Abschn. E. Äußerer Landgraben)
1714-1794: Grenze zwischen dem habsburgisch-deutschen und dem nie-
derländisch-österreichischen Reich.
1798-1814: Grenze zwischen den französischen Departements Ourthe
und Roer (mit den Gemeinden Aachen und Laurensberg)
1815-1920: Grenze zwischen dem preußischen Kreis Eupen und den
preußischen Gemeinden Aachen und Laurensberg (desgl.
von 1940 - 1944).
Ab 1920: Reichsgrenze zwischen Deutschland und Belgien (Ausnah-
me: ab 1922 bei Bildchen, S. unter XII.
E._Äußerer Landgraben von 1611 (20)
Im Jahre 1546 hatte Aachen scheinbar Glück, als es bei der Auftei-
lung der Nutzungsrechte 3/4 des Preuswaldes zugesprochen bekam. Aber
diese Regelung wurde 1577 wieder aufgehoben, so daß es beim Grenz-
verlauf (D) über den Höhenkamm blieb.
Wie bereits erwähnt, waren die Expansionsbemühungen Aachens erst
im Jahre 1611 von einem Teilerfolg gekrönt worden. Nach dem Vertrag
53
zwischen Limburg und Aachen sollte die neue Grenze vom Dreiländer-
punkt über Bildchen nach Grüne Eiche verlaufen. Durch den Protest der
Bank Montzen wurde der dortige Gebietszuwachs im Jahre 1615 rück-
gängig gemacht. So kam es, daß die Grenzvorverlegung nur im Gebiet
der Bank Walhorn (von Bildchen bis Grüne Eiche) vollzogen worden ist
und daß an der Lütticher Straße der scharfe Grenzknick entstand. Die
Lütticher Straße trennte dort vorher die limburgischen Banken Montzen
und Walhorn.
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Harfenbuche am Äußeren Landgraben (Nähe Zyklopensteine)
Der Vertrag von 1611, der erst 1616 ratifiziert worden ist, beinhaltete
zunächst nur die Nutzungsrechte für Aachen, während Limburg die Ge-
richtsbarkeit über dieses Gebiet behielt (20a). Erst ab 1748 übte Aachen
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1611-1714: Nutzungsgrenze zwischen dem Aachener Reich, das zum
habsburgisch-deutschen Reich gehörte, und dem niederlän-
disch-spanischen Reich (Herzogtum Limburg).
1714-1748: Nutzungsgrenze zwischen dem Aachener Reich und dem
niederländisch-österreichischen Reich.
1748-1798: Hoheitsgrenze zwischen dem habsburgisch-deutschen und
dem niederländisch-österreichischen Reich.
1798-1814: Grenze zwischen den französischen Departements Ourthe
und Roer.
1815-1920: Grenze zwischen dem preußischen Kreis Eupen und der
Stadt Aachen (desgl. von 1940-1944).
Ab1920 _Reichsgrenze zwischen Deutschland und Belgien (Ausnah-
me: ab 1922 bei Bildchen, S. unter XIII ).
F. Die Königswald-Grenze (21)
Wie bereits erwähnt, hat die limburgische Bank Montzen sich 1615
erfolgreich gegen die Vorverlegung der Aachener Grenze gewehrt. Aber
auch für Montzen war es nicht der große Gewinn, denn das umstrittene
Gebiet kam als Pufferzone zwischen Aachen und Montzen unter die
herzogliche Obhut. Seitdem wird dieses trapezförmige Waldstück Königs-
wald genannt.
Aachen ist m.E. gleich nach 1611 hingegangen und hat -wie im
Walhorner Abschnitt- auch an der vermeintlich neuen Grenze des
Montzener Abschnitts Adler-Grenzsteine gesetzt. Bei der
Rückgängigmachung im Jahre 1615 wurden diese wahrscheinlich zer-
stört und durch die sog. Burgunder-Grenzsteine ersetzt (s. Abschn. Bur-
gunder-Grenzsteine). Prof. Liese hat 1930 noch mehrere zerstörte Adler-
steine gesehen. Heute sind nur noch einige Stumpen zu erkennen.
G. Der Landgraben der "Neunzig Morgen" (22)
Nach dem Vertrag von 1611 bekam Aachen auch außerhalb der Linie
Bildchen-Köpfchen noch Waldzugewinn, u.a. die sog. Neunzig Morgen
die durch einen kleinen Landgraben abgeteilt wurden, der heute noch zu
erkennen ist. Die "Neunzig Morgen" wurden mit der Auflage verkauft,
daß sie mit einem "absonderlichen Graben" von den anderen Büschen
abzusondern seien.
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58
GEBIETE (In der Karte S. 54-55 mit römischen Zahlen bezeichnet)
I. Zwischen Vaalser Kirche und Landgraben (23)
Nach der Grenzbeschreibung von 1431 war die alte Vaalser Kirche
mit ihrem aus dem 11. Jh. stammenden Turm (23a) ein Grenzpunkt des
Aachener Reiches, so daß ein Teil des heutigen Vaals damals zu Aachen
gehörte.
Etwa 1424 ging Aachen hin und legte auch im Vaalser Bereich als
Schutz einen Landgraben an. Wohl aus topografischen Gründen erfolgte
die Anlegung des Landgrabens nicht genau auf der Grenze, so daß ein
Teil des Aachener Gebietes außen vor blieb, was sich 1663 bei der
Festlegung der Grenze für Aachen als nachteilig erweisen sollte. Auch
die Ländereien des Gutes Paffenbroich wurden durch den Landgraben
getrennt, so daß der Rat der Stadt Aachen dem Münsterstift als Eigentü-
mer des Gutes gestattete, Grund und Boden durch eine verschließbare
Brücke (Grindel) zu verbinden.
Politisch gehörte der nicht zu Aachen gehörende Teil von Vaals zum
Land Herzogenrath, das 1137 durch Heirat dem Herzogtum Limburg
einverleibt wurde. Durch den Partagevertrag von 1661 war u.a. auch das
Land Herzogenrath zwischen Spanien und die Niederlande aufgeteilt
worden, wobei die Dreibank Vaals/Holset/Vijlen als Exklave an die Nie-
derlande kam und seitdem von den Haag aus regiert wurde.
Bei der Festlegung der Grenze im Jahre 1663 konnte Aachen sich
nicht durchsetzen und verlor das Gebiet zwischen der alten Kirche und
dem Landgraben. Bei Aachen blieb also nur das heutige Vaalserquartier.
An der Akenerstraat 2 steht noch ein Adler-Grenzstein (s. Titelbild).
II. Der Nachbarholz-Bezirk Vaalserquartier (24)
Das in der Karte mit II bezeichnete Gebiet war ein Nachbarholz-Be-
zirk, in dem die in der Nähe wohnenden Berechtigten das nötige Holz -
vor allem Brennholz - unentgeltlich abholen durften. Allerdings, ganz
so unentgeltlich war die Holzabgabe doch nicht, denn die "Nachbarn"
waren oft verpflichtet, Fronfuhren zu leisten, die Förster zu unterstüt-
zen, Wege zu räumen und auszubessern usw. Dieser Bezirk war einer
von zwei, die nach der Waldordnung von 1760 noch übrigblieben.
Zwei Nachbarholz-Steine sind noch an Ort und Stelle vorhanden (s.
Abschn. Nachbarholz-Steine).
55
II. Die Preuse (25)
Das Gebiet III ist ein Teil des Preuswaldes, der in der Nähe des Drei-
länderpunktes auf deutscher, belgischer und niederländischer Seite liegt.
Mit den Preußen hat das Wort nichts zu tun. Es kommt vom
mittelhochdeutschen "prisen-brise" = schnüren, einschnüren und bedeu-
tet soviel wie Einfassung oder Grenze.
Der Preuswald ist also ein Grenzwald.
Der darin befindliche Friedrichwald hat seinen Namen nicht von dem
Vornamen Friedrich, sondern von der Einfriedung (Umzäunung), die
dieser Wald um 1520 erfuhr. Die Aachener sicherten damit ihre Rechte
gegenüber der Bank Montzen, mit der sie bekanntlich wegen der
Nutznießung des Preuswaldes öfter in Streit lagen.
IV. Der Nachbarholz-Bezirk Lütticher Straße-Revierweg (26)
Dieses fast rechteckige Gebiet, das zwischen dem Inneren Landgraben
und der Grenze von 1545 lag, war auch einer jener Bezirke, die nach der
Waldordnung von 1760 noch übrigblieben. Hier hatten die Bewohner
der Aachener Heide Nutzungsrechte.
Die West- und die Ostgrenze waren fast mit der Lütticher Straße bzw.
dem heutigen Revierweg identisch.
Im Kreuzertal, früher Dreikreuzertal genannt, stehen heute noch im
Abstand von 60 m auf einer Linie fünf Steine mit der Aufschrift
"Nachbarhultz". Sie tragen die Nummern N 6, N 7, N 8, N 9 und N 10.
Durch die Existenz dieser Steine kann man m.E. heute noch im Kreuzer-
tal die alte Aachen/Walhorner Grenze genau bestimmen (s. Abschn. Nach-
barholz-Steine).
V. Ein ehemaliger Nachbarholz-Bezirk (27)
Das mit V bezeichnete Gebiet war nach der Waldkarte von 1760 ein
ehemaliger Nachbarholz-Bezirk.
VI. Der Bäckerkauf (28)
Nach der Waldkarte von 1760 war das mit VI bezeichnete Gebiet z.T.
ein ehemaliger Nachbarholz-Bezirk. Der größte Teil gehörte jedoch zum
sog. Bäckerkauf.
60
Zum "Bäckerkauf” berichtet Meyer im zweiten Ausgabe seiner "Aachener
Geschichte" (1781):
"Infolge der Waldordnung von 1760 ist das Kreuzertal in 20 Holz-
schläge durch ebensoviele Merksteine eingeteilt, deren einen der Rat
jährlich zum Behuf der Stadtbäcker und wer sonst aus der Bürgerschaft
hierzu Lust hat, in viele Nummern zerstücken und dem Meistbietenden
gegen Stellung eines Bürgen stückweise verkaufen läßt."
Es durften also nicht nur Bäcker von diesem Waldstück profitieren.
Wer aufmerksam den Grenzweg vom Köpfchen zum Bildchen durch-
” wandert, kann - außer den Adlersteinen und den herrlichen Restbuchen
des Landgrabens - numerierte Merksteine entdecken, die etwa fünf Meter
von der heutigen Grenze stehen. Sie gehören wahrscheinlich zu jenen 20
Merksteinen, von denen Meyer 1781 berichtet. (s. auch Abschn. Bäcker-
kauf-Steine).
VII. Der Königswald (29)
Dieses trapezförmige Gebiet, das 1611 Aachen zugeteilt werden soll-
te (s. unter F), gehörte bis 1794 zum Herzogtum Limburg, das bis dahin
eine wechselvolle Geschichte hinter sich hatte. Dieses Herzogtum ge-
hörte nacheinander zu Brabant, Burgund, Habsburg (Österreich), ab 1555
zu Spanien und ab .1714 wieder zu Österreich.
1798 wurde der Königswald dem französischen Departement Ourthe
angegliedert.
Durch den Wiener Kongreß (1815) erfolgte die erste Teilung. Die Spitze
des Dreiecks von Neutral-Moresnet (s. unter XII) reichte bis zum Drei-
länderpunkt. Eine kleine Ecke kam dadurch zu den Niederlanden bzw.
1830 zu Belgien. Der östliche Teil wurde Preußen (Kreis Eupen) zuge-
schlagen. Im Jahre 1920 kam der Königswald zunächst ganz zu Belgien,
bis 1922 wieder ein Teil an Aachen und damit an Deutschland fiel (s.
unter XIII). Der belgische Teil des Königswaldes war von 1940 bis 1944
vorübergehend wieder deutsch.
Es wurde bereits erwähnt, daß das Gebiet des Königswaldes (im We-
sten und Süd-Westen) mit den sog. Burgunder-Grenzsteinen markiert
wurde (S. unter Burgunder-Grenzsteine).
VII. Die "Neunzig Morgen" (30)
Dieses Gebiet und noch andere Gebiete, die außerhalb der Linie Bild-
chen-Köpfchen lagen, erhielt Aachen auch nach dem Vertrag von 1611.
61
Weil diese Distrikte von Aachen aus schwer zu übersehen und zu kon-
trollieren waren und zur Erreichung einer ziemlich geraden Grenze, ent-
schloß man sich am 7. August 1634, an Arnold Schuyl 1489 Morgen
Wald für 28 800 brabantische Gulden zu verkaufen. Anschließend ver-
kaufte Arnold Schuyl einige Parzellen an die Gemeinden Hauset,
Hergenrath und Astenet.
Auch bei Raeren erhielt Aachen im Jahre 1611 Waldgebiete, die aber
auch etwa 1753 veräußert worden sind.
IX. Burtscheid (31)
Im Jahre 997 wurde die Abtei Burtscheid durch Otto III. gegründet.
Sein Nachfolger Heinrich II. schenkte der Abtei ein größeres Gebiet. In
der Schenkungsurkunde von 1018 wurden die Grenzen genau festge-
legt, die im wesentlichen ihre Gültigkeit bis zur Aufhebung der Abtei
(1802), ja selbst bis zur Eingemeindung Burtscheids nach Aachen im
Jahre 1897 behielten.
An der Waldseite bildete der Elleterweg die Grenze zu Aachen, wäh-
rend die Ostgrenze vom Beverbach gebildet wurde.
Nach einem Protokoll von 1451 wurden von Eckenberg (Nähe Eupener
Straße) bis zum Elleterweg 22 Aachener Grenzsteine ohne Adler gesetzt.
Am Inneren Landgraben hörte man auf, weil zu dieser Zeit das Hoheits-
gebiet des Aachener Reiches hier zu Ende war (31a) (s. auch Abschn.
Burtscheider Grenzsteine).
X. Forst (32)
Forst war bis 1794 eine Unterherrschaft des Herzogtums Jülich. Die
Südgrenze reichte vom Durrenbaum bis zum Hebscheider Hof.
Nachdem Forst von 1794 bis 1814 eine französische Mairie gebildet
hatte, war es von 1815 bis zu seiner Eingemeindung nach Aachen im
Jahre 1906 eine preußische Bürgermeisterei.
XI. Kornelimünster (33)
Kornelimünster, eine Stiftung Ludwigs des Frommen aus dem Jahre
814, wurde später eine Freie Reichsabtei, die bis zum Jahre 1802 Be-
stand hatte.
Die Grenzen des Aachener Reiches und des Münsterländchens be-
rührten sich im südlichen Aachener Wald nicht.
62
Nach der Auflösung der Abtei wurde das Münsterländchen in franzö-
sische bzw. preußische Gemeinden aufgeteilt.
Ein Teil des Münsterländchens mit dem Ort Kornelimünster kam bei
der Gebietsreform im Jahre 1972 nach Aachen.
XII. Neutral-Moresnet (34)
Nach der Niederlage Napoleons wurde beim Wiener Kongreß im Jah-
re 1815 das hiesige Gebiet neu aufgeteilt. Die Nord-Süd-Grenze bei
Aachen wurde zwischen Preußen und den Niederlanden fast willkürlich
gezogen, südlich vom Dreiländerpunkt sogar in doppelter Linienführung.
Die doppelte Grenze bei Moresnet kam dadurch zustande, daß die Ar-.
tikel der Wiener Abmachungen von Preußen und den Niederlanden unter-
schiedlich ausgelegt wurden. Preußen las aus den Bestimmungen, daß
die Süd-Nord-Grenze des Kantons Eupen verlängert werden sollte, bis
sie auf den Dreiländerpunkt träfe. Die Niederlande meinten dagegen,
daß vom Dreiländerpunkt aus in exakter Nord-Süd-Richtung eine Linie
zu ziehen sei, bis sie auf die Grenze des Kantons Eupen stoße.
Man konnte sich nicht einigen und erklärte den Streifen zwischen den
beiden Grenzlinien "vorläufig" zum neutralen Gebiet. Dieses Provisorium
dauerte allerdings bis zum Jahre 1920. Eigentlich wären die verschiede-
nen Auffassungen für dieses kleine Gebiet gleichgültig gewesen, aber je
nach Auslegung wäre ein Land in den Besitz des Galmeibergwerks ge-
kommen. Galmei wurde zur Messingherstellung von beiden dringend
benötigt. Es ist nur merkwürdig, daß in den ganzen Verhandlungen das
Bergwerk, um das es eigentlich ging, nicht erwähnt worden ist.
Die Grenzsteine von Neutral-Moresnet sind noch fast vollständig er-
halten. (Durch die Teilung der Niederlande -1830/39 - wurde ab 1830
Belgien der westliche Anrainer von Neutral-Moresnet, das 1920 neben
den Kreisen Eupen und Malmedy auch zu Belgien kam).
XII. Bildchen (35)
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde im Jahre 1920 u.a. der Kreis Eupen
und damit auch der Königswald (VII) zu Belgien geschlagen. Im Jahre
1922 erhielt Deutschland bei Bildchen einen sonderbaren Grenzsack
zugesprochen, weil dort ein Grenzübergangsbahnhof für den Güterver-
kehr gebaut werden sollte. Das Projekt kam nicht zur Durchführung, da
man später feststellte, daß die Bahnhöfe Aachen-West und Montzen aus-
64
Auf der Grenzlinie von 1424 (C) befinden sich noch vier Türme:
1. Der Kirchturm der alten Vaalser Kirche,
2. der Wachtturm am Beeck,
3. der Wachtturm von Adamshäuschen (mit Adler und der Jahreszahl
1605),
4. der Wachtturm von Linzenshäuschen (mit Adler von 1700, der aller-
dings von der alten Klause Linzenshäuschen stammt).
Ferner befand sich früher ein Wachtturm in Vaalserquartier am Hof
Garten (Turm 5), der wohl zur Absicherung der alten Vaalser Straße be-
stimmt war. Dieses "Thürmchen" ist auf der Karte von 1885 noch einge-
tragen.
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Wachtturm am Inneren Landgraben am Beeck in Vaalserquartier
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Wachtturm Linzenshäuschen an der Eupener Straße
ADLER-GRENZSTEINE (37)
Auf der Grenzlinie Vaals-Durrenbaum (Nähe Grüne Eiche) (s. unter
D) standen Anfang dieses Jh. noch 11 Adler-Grenzsteine, die wahrschein-
lich um 1545 gesetzt worden sind und deren Standorte nachfolgend be-
schrieben werden. (Fünf dieser Steine existieren nicht mehr):
1. Vaals, Akenerstraat 2,
2. Vaals, Schorenkopf (Nähe Wilhelminenturm),
3. Dreiländerpunkt. Dieser Stein wurde während des Ersten Weltkrieges
angebohrt und mit Pulver gesprengt,
4. Moresneter Bittweg,
5. Bildchen, Gaststätte Braun,
6. Siebenwege. Dieser Stein wurde Anfang dieses Jh. ins
Suermondtmuseum gebracht, wo er in den Wirren des Zweiten Welt-
krieges verloren ging.
7. Steinknipp.Der Stein steht etwa 300 m südöstlich vom früheren
Pelzerturm.
67
NACHBARHOLZ-STEINE (38)
Im ehemaligen Nachbarholz-Bezirk Vaalserquartier (s. unter II) be-
finden sich noch zwei Nachbarholz-Steine:
1. Am Dreiländerpunkt (Nähe belgischer Aussichtsturm),
2. am alten Gemmenicher Weg.
Zwei weitere Steine wurden transloziert zu den Höfen Neukeller bzw.
Eliashofen und sind dort eingemauert.
Im ehemaligen Nachbarholz-Bezirk Lütticher Straße - Revierweg (s.
unter IV) stehen im Kreuzer- FF PL PA}
tal noch fünf Steine, die die ME
Aufschrift "Nachbarhultz" und A N A
die Nummern N6,N7,N8,N Sa N 0)
9undN 10 tragen. In der Nähe > N CS A] Et
des Eberburgweges steht am 3 SE aa
Inneren Landgraben noch ein EM
Stein mit der Nummer N 9. Er MM N An
ist das Gegenstück zum Stein Ba 5 $
N 9 aus dem Kreuzertal, sodaß
zu vermuten ist, daß das Ge- 3
biet zwischen Kreuzertal und PS
Innerer Landgraben durch die ä
Nachbarholz-Steine geradlinig Nachbarholz-Stein im Kreuzertal an der
unterteilt war. alten Grenze von 1545
BÄCKERKAUF-STEINE (39)
Im ehemaligen Bäckerkauf-Gebiet (s. unter VI) stehen noch etliche
Steine (etwa 5 m von der heutigen Grenze), die m. E. das Gebiet unter-
teilten und von denen Meyer im Jahre 1781 berichtete.
Zwischen Köpfchen und Bildchen wurden bisher gefunden:
N 1. Beim Landesgrenzstein D-B 962. Dieser Stein stand wohl ursprüng-
lich nicht dort. Er ist wahrscheinlich später für die Scheidung des
Stadtwaldes und des Privatgrundstücks umgesetzt worden. Er trägt
auch die Buchstaben A und T (A vermutlich für Aachen und T =
Anfangsbuchstabe des Privateigentümers).
N 5. Beim Landesgrenzstein D-B 962 (+ ca. 35 m),
N6:= N zZ D-B 964 (- ca. 55 m),
NSS % D-B 968 (- ca. 7 m),
71
Es erhebt sich die Frage, wann diese Steine, die eindeutig das Wald-
eigentum der vorgenannten Gemeinden markierten, gesetzt worden sind.
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Gemeindewald-Grenzstein in der Burgunderlinie mit „G“ für Gemmenich
und „MT“ für Montzen
Zur Geschichtssituation kann man sagen, daß der Wald, in dem die
betreffenden Steine stehen, bis zum Jahre 1611 ganz zur limburgischen
Bank Montzen gehörte. Durch das Expansionsstreben der Aachener in
dieses Gebiet hinein - die Aachener Grenze sollte um ca. 1 km vor-
verlegt werden - kam es, wie schon gesagt, zu einem Streit zwischen
Montzen und Aachen, in dem es letztlich keinen Sieger gab. Das um-
strittene Gebiet kam im Jahre 1615 an die Domäne des Herzogs von
Limburg und wurde fortan Königswald genannt (vergl. unter VII). Das
restliche Montzener Waldgebiet wurde gemäß Vertrag vom 17. Septem-
ber 1615 - bestätigt am 16. Februar 1618 - auf die Pfarreien Montzen,
Moresnet und Gemmenich aufgeteilt (42).
Diese Regelung hat noch über das Jahr 1815 hinaus Bestand gehabt,
wobei das Montzener Waldstück eine Exklave zum eigentlichen
Gemeindegebiet bildete. Als nach dem Wiener Kongreß (1815) Preußen
und die Niederlande sich nicht über das Gebiet der Kelmiser
Galmeigruben einigen konnten, wurde Neutral-Moresnet geschaffen
(vergl. unter XII).
72
Das Gelände zwischen der Ostgrenze von Neutral-Moresnet und der
Aachener Grenze von 1545 wurde dabei dem preußischen Kreis Eupen
zugeschlagen und kam kommunalpolitisch zu Preußisch-Moresnet.
Der Königswald blieb als früherer herzoglicher Domänenwald Staats-
wald, nur jetzt unter preußischer Hoheit.
Das zwischen den Grenzen des Königswaldes und der Ostgrenze von
Neutral-Moresnet liegende Waldgebiet wurde zwar preußisch, blieb aber
weiterhin den neuen niederländischen bzw. ab 1830 belgischen Gemein-
den für die Nutzung erhalten, genauso wie der Wald von Neutral-Moresnet
(43). Gemeinden sind juristische Personen im Sinne des Rechts und kön-
nen bei einem Staatsübergang nicht ohne weiteres enteignet werden.
Als Preußen an der Ostgrenze von Neutral-Moresnet eine Schneise ,
für die Begehung der Grenzmarkierungen schlagen ließ, mußte es sogar
die belgischen Gemeinden Montzen, Moresnet und Gemmenich
entschädigen. Dabei wurde vermerkt, daß der Wald den drei Gemeinden
gemeinsam und ungeteilt gehörte (44). Jede Gemeinde war also zu ei-
nem Drittel beteiligt. Nach dem Ersten Weltkrieg kamen u.a. die Ge-
meinden Neutral-Moresnet (= Kelmis) und Preußisch-Moresnet zu Bel-
gien, wobei Preußisch-Moresnet nunmehr Neu-Moresnet genannt wur-
de. Von 1920 bis 1976 bildete die alte Ostgrenze von Neutral-Moresnet
die Grenze zwischen Kelmis und Neu-Moresnet.
Der Königswald wurde belgischer Domänenwald; jedoch mußte Bel-
gien 1922 einen Teil desselben mit dem Weiler Bildchen an Deutschland
zur Schaffung eines Güterbahnhofes abgeben.
Zur heutigen Situation ist zu sagen, daß der Königswald belgischer
Domänenwald geblieben ist und daß die Nutzung des Forstes vom
Königswald westwärts größtenteils der im Jahre 1977 geschaffenen Groß-
gemeinde Plombi&res zusteht, und das, obwohl die alte Westgrenze von
Neutral-Moresnet heute die kommunalpolitische Grenze zwischen
Plombi&res und Kelmis bildet. Die Großgemeinde Plombi@res, zu der
u.a. auch Moresnet und Gemmenich gehören, hat ihren Verwaltungssitz
in Montzen (45). Das Nutzungsgebiet dieser Gemeinde wird südlich etwa
durch die alte Bahntrasse begrenzt. Südlich der alten Bahntrasse gelege-
ne kleinere Waldstücke gehören der Gemeinde Kelmis.
Es hat sich also bezüglich der Waldnutzung nicht viel geändert!
Zum Zeitpunkt der Einsetzung der Gemeindewald-Grenzsteine gibt
es zwei Versionen.
W. Queck schrieb 1966, daß er festgestellt habe, daß in der Zeit um
1750 Kaiserin Maria Theresia in ihrer Eigenschaft als Landesherrin des
73
Herzogtums Limburg einen Teil ihres Staatswaldes unter die Gemein-
den Kelmis und Moresnet aufgeteilt habe und daß dabei die Grenze mit
den MT/K-Steinen (bei den jetzigen Landesgrenzsteinen B/D 1009 und
1006) markiert worden sei. Auf diese Grenze habe man auch 1922 bei
der Schaffung des "Bildchener Grenzsackes" für den geplanten Güter-
bahnhof zurückgegriffen (46).
Diese Feststellung basiert m. E. auf mehreren Irrtümern, denn der
Nachbarstein beim Landesgrenzstein B/D 1009 ist kein MT/K-Stein,
sondern m. E. ein Walddistriktstein mit römischen Zahlen , wie es viele
in diesem Bereich - vor allem in der Königswaldgrenzlinie - gibt (47).
Außerdem bedeutet MT nicht Moresnet, sondern Montzen.
Es ist auch nicht bekannt, daß die Kaiserin Maria Theresia Land-
geschenke an die Gemeinden gemacht hätte.
Es mag sein, daß bei der Grenzziehung im Jahre 1922 ab Landes-
grenzstein B/D 1006 - also ab Königswald - zum Teil auf die alte Wald-
grenze Kelmis/Montzen zurückgegriffen wurde.
Eine zweite Version ist da schon authentischer.
F. Pauquet schrieb 1977, daß im Jahre 1870 die Gemeindewälder von
Montzen, Moresnet, Gemmenich und Kelmis abgegrenzt worden sind.
Der zugehörige Teilungsvertrag wurde am 26. Juli 1873 vor dem Notar
L. Verdbois, Montzen, unterzeichnet (48). Danach sind sicherlich die
beschriebenen Gemeindewald-Grenzsteine gesetzt worden.
Die bis dahin herrschende gemeinsame und ungeteilte Forstnutzung
der Gemeinden Montzen, Moresnet und Gemmenich wurde dadurch
aufgehoben, so daß Gütertrennungen und Eigenständigkeiten der betref-
fenden Kommunen entstanden (49).
Es wurde schon erwähnt, daß in dem kuriosen "Bildchener Grenz-
sack" der 1922 geplante Güterbahnhof nie gebaut worden ist und daß
aber trotzdem Deutschland das Gebiet behielt. Die Gemeinden Kelmis
und Moresnet besaßen dort noch Waldstücke, die erst 1973 an die Stadt
Aachen verkauft worden sind (50).
Die Karte auf S. 70 soll die interessante historische Situation im
Preuswald verdeutlichen.
BURTSCHEIDER GRENZSTEINE
In der Nähe von Forsthaus Schönthal (Kornelimünsterweg) befinden
sich noch zwei Grenzsteine, die die Grenze zwischen dem Burtscheider
Gemeindewald und dem Abteiwald markierten. Der Abteiwald wurde
nach 1802 Staats- bzw. Privatwald.
75
Anmerkungen
1. Poll: Geschichte Aachens in Daten, Aachen 1965, S. 38
2. Kaemmerer: Geschichtliches Aachen. Aachen 1967, S. 41
3. Schmidt in "Heimatblätter des Landkreises Aachen” 1941
Everling in Aachener Volkszeitung vom 07.11.1968 ff.
4. Hollatz in "Im Göhltal” 24/1978, S. 47 ff.
5. Landeskonservator: Denkmälerverzeichnis 1.1. Aachen-Innenstadt. 1.4.1., S. 20
6-15 vergl. "Im Göhltal", 56/1995, S. 84 ff.
6. Poll, a.a.0., S. 56
Forstamt der Stadt Aachen: 100 Jahre Aachener Erholungswald. Aachen 1982, 5.8
7. Gielen: Zwischen Aachener Wald und Münsterwald. Eupen 1975, S. 27
8. Forstamt, a.a.0., S. 8
9. Gielen, a.a.0., S. 27
10. Gielen, a.a.0., S. 28 ff.
11. Liese, Vom Aachener Stadtwald. Aachen 1930, S. 8, 12 und 17
12. Gielen, a.a.0., S. 32/33
13. Liese, a.a.0., S. 12
14. Gielen, a.a.0., S. 40 ff.
15. Pauquet in "Im Göhltal" 22/1977, S. 5 ff.
16. Liese, a.a.0., S.10
17. Gielen, a.a.0., S. 32 ff.
Willems: "Zum Wälderstreit zwischen Aachen und Limburg" in Ostbelgische Chro-
nik. Bd. 2/1949, S. 102-111
Spandau: Zur Geschichte von Neutral-Moresnet. Aachen 1904, S. 13 ff.
ZAGV 98/99 von 1992/93, S. 172
17a. Die Karte bedarf einer Korrektur: Vetschau gehörte zum Aachener Reich
18. S. Anmerkungen 3 und 4
19. Liese, a.a.0., 5. 7 ff.
vergl. "Im Göhltal” 58/1996, S. 8 ff.
20. Liese, a.a.S., S. 12 und Gielen, a.a.O., S. 34 ff.
vergl. "Im Göhltal" 56/1995, S. 84 ff.
20a. Aus einem Protokoll des Jahres 1710 geht hervor, daß noch zu dieser Zeit der
Drossard und die Schöffen der Bank Walhorn dieses Aachener Waldstück vom
Hirtzpley bis zum Durrenbaum und von der Preus bis zum Hirtzpley anläßlich der
regelmäßig (mindestens alle 5 Jahre) stattfindenden Grenzritte konntrollierten.
(Gielen: Walhorn. 1987, S. 248)
21. Pauquet, a.a.0., S. 8 ff.
22. “Liese; aa0. SET
23. vergl. "Im Göhltal" 60/1997, S. 21 ff.
23a. Ca. 1475 wird der Vaalser Kirchturm auch als östlichster Grenzpunkt der an der
Maas beginnenden Nordgrenze der "hoicheyt ende heerlicheyt" des Herzogs von
Limburg genannt. (Freundl. Mitteilung von Herrn Peter Bertram, Vaals. S. auch
"De Gemeentetoren van Vaals", tezamenstelling juni 1996 door Heemkundekring
St. Tolbert Vaals von Peter Bertram)
24. Liese, a.a.0., S. 22 ff.
Schulteis in "Forstamt: Jahrhundertweg". Aachen 1982, S. 33-49,
vergl. "Im Göhltal” 56/1995, S. 88 ff.
76
25. Gielen, a.a.0., S. 172 und S.182 ff.
Zum Namen Preuse vergl. "Im Göhltal" 60/1997, S. 19/20. Die Hypothese von H.
Hermans ist durchaus erwägenswert.
26. S. Anmerkung 24
27. S. Anmerkung 24
28. Liese, a.a.0., S. 22
vergl. "Im Göhltal” 56/1995, S. 89 ff.
„29. Pauquet, a.a.0., S. 8 ff.
vergl. "Im Göhltal” 56/1995, S.102 ff.
30. Liese, a.a.0., S. 16 ff.
31. Wurzel: Die Reichsabtei Burtscheid, Aachen 1984
31a. Groß in "Aus Aachens Vorzeit" 1/1893, S. 22
32. Mainz: Das alte Forst. Aachen 1985
33. Kühn: Die Reichsabtei Kornelimünster im Mittelalter. Aachen 1982
34. Spandau, a.a.0. }
35. Oueck: Wandervorschlag 54/1966 in Aachener Volkszeitung
36. S. Anmerkungen 3,4, und 5
37. S. Anmerkung 4
"Im Göhltal" 56/1995, S. 86 und 58/1996, S. 8 ff.
38. "Im Göhltal" 56/1995, S. 88 ff. und 58/1996, S. 16
39. "Im Göhltal" 56/1995, S. 89 ff.
40. Pauquet, a.a.0., S. 8 ff.
41. Pauquet, a.a.0., S.14
42. ebenda, S. 6
43. Ausnahme: Die kleine Dreieckspitze im Königswald (Preußen und Belgien teilten
sich hiervon die Erträge)
44. Schulteis in "Im Göhltal" 28/1980, S. 31 und 29/1981, S. 24/25
45. "Im Göhltal" 49/50 von 1991, S. 98
46. Queck, a.a.0.
47. Pauquet, a.a.0., S. 14/15
48. ebenda, S. 13/14
49. Malvoz: Das neutrale Gebiet von Moresnet (1816-1919). 1983, S. 12
50. Gielen, a.a.0., S. 157
51. Aachener Volkszeitung vom 03.02.1995
- Alle Fotos vom Verfasser -
77
De Gö8öl
Va Litebösch, janz schmal än kleng, Mot hüj noch bis Seppenake,
do es se klor än och noch reng. noch vö6l Kilometer make.
Neet vlot, neet langsam, neet te vööl, Och Jölpe noch te packe krijje,
sökt höre Wäg sech do de Gööl. mär janz jau, et es at spie.
Sprengt da jet hur, mings se wür wöst,
Ömmer vlotter da dörch Bösch än Wej, weil se neet passere köss.
als wenn se äet verjäte höj.
At vlotter, 1östeg a te sihe,
als möß se hüj de Drien noch krijje. Ne Steen, dä brengt se uteree,
derhenger könnt se werrem bijee.
Do siss se än da es se vut, Se blöst jet Schuum, e paar kleng Blose,
än da könnt se werrem erut. än me mingt, se wür an-et rose,
Se jletzert wenn et Lech se trefft, drifft hej än do jet Blättchere met,
än se sech op Rees bejeft. als säät se: "Kommt, öch nem ech met."
Hör Dröppkere bletze sow me minge, Ömmer söckt se, mär bewäge,
kluckere, welle der Wäg vlott venge. als wöll hör jet der Wäg verläge,
Luster: Stell, do hüsch se senge, e Steckske klemmt se, no es et ut,
övver Steng än Blaar an-et sprenge. mär se klukert drövver vut.
Vlott, et döt neet andesch sieh, Ejje Meer, wu alles könnt bijee,
denn se mot de Maas noch krijje, do vengt da och de Gööl hör heem.
söss döng jo de Tid neet stemme, Hej kann se no janz ohne Schöjje,
die se nojje Meer mot brenge. sech met die ander Dröppkere vröjje.
Towt sech, löpt, hat jar jeng Tid,
bis ajje Meer es et noch wiit. Da makt de Sonn at werrem Woke,
än die Wocke trecke vut,
Stockt addens an de klengste Drien, wenn se da jenog jevloge,
än da löpt se werrem wijer, schödde se sech örjens ut.
als möß se no die Tid ähole, E witschke hej, än do jet vööl,
die se an die Drien verlore. än dova wet da werrem de Gööl.
Se döjjt no ove blinke Blöskere,
wie Champagner ene Jläske.
Jakob Langohr
1997
78
Die "Fliegende Taube" wäre jetzt 150
; Jahre alt
von Alfred Bertha
Als der aus Eupen stammende Johann Heinrich (Jean Henri) Willems
(1) am 4. Januar 1848 in Aubel die erste Nummer einer neuen Wochen-
zeitung herausgab, legte er das Fundament für eine überaus fruchtbare
und bis in unsere Tage andauernde verlegerische Tätigkeit des Hauses
Willems.
Das von ihm gegründete Blatt, "Die Fliegende Taube", wurde für mehr
als hundert Jahre die meistgelesene Zeitung im altbelgischen deutsch- >
sprechenden Gebiet zwischen Sippenaeken und Baelen, Aubel und
Gemmenich,
“DIT CAFE, - AD
ER Die iegende Iaunbe,
EEE? Katholijches Doltsblatt. EEE
rate nun Siäiehe Zeitung und grälted AaplgeOrgan der Deutiden Belglend, riheint Nenkagd, Donnerhags und Sawkagh.
7. Jahrgang, An Sn LET a Wi Syggerflag, den 18. Juni 1914 ar. 67.
Kopfleiste der „Fliegenden Taube‘ 1914
Daß die "Taube" auf Erfolgskurs gehen konnte, lag nicht nur an den
damaligen günstigen sprachgeographischen Gegebenheiten, sondern auch
an der ideologischen und politischen Ausrichtung des Wochenblattes,
das sich an eine bodenständige, bäuerlich und katholisch geprägte Be-
völkerung richtete und die Werte dieses Zielpublikums - Religion, Fa-
milie, Monarchie und Vaterland - gegen alle wirklichen und vermeintli-
chen Gefahren verteidigte.
Die "Fliegende Taube" verstand sich anfangs als "Aubeler geschicht-
liches, Unterhaltungs- und Anzeige-Blatt", erschien, wie gesagt, einmal
„wöchentlich und kostete vierteljährlich 1 Franken. Der Anzeigenpreis
lag bei 10 centimes pro Zeile, wobei der Herausgeber bei Mehrfach-
Inseraten ab der 3. Wiederholung 50% Ermäßigung gewährte.
Gleichzeitig mit der "Fliegenden Taube" erschien bei Willems auch
ein französisches Blatt, welches dem Inhalte nach von dem
deutschsprachigen verschieden war.
79
Das äußere Gewand der "Fliegenden Taube" hat sich im Laufe der
Jahrzehnte gewandelt. Von 1847 bis 1851 incl. war die auf einer Holz-
presse hergestellte "Taube" ein ganz kleines Blatt im Zweispalten-For-
mat. In der ersten Nummer des Jahres 1852 lesen wir dann: "Die große
Beteiligung seitens des Publikums hat uns veranlaßt, das Blatt mit dem
neuen Jahre verschönert und vergrößert erscheinen zu lassen." Auch das
Titelklischee mit dem Kirchturm erschien erst in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts.
Bis 1896 blieb die "Fliegende Taube" ein Wochenblatt. Nach einem
Brand in der Druckerei, am 26. Mai 1896, bei dem die Einrichtung zum
großen Teil zerstört wurde, konnte mit neu angeschafften Maschinen der
schon lange gehegte Plan, die Zeitung zweimal wöchentlich erscheinen
zu lassen, durchgeführt werden. Zudem erschien die "Taube" nun all-
wöchentlich mit einer achtseitigen illustrierten Beilage. Zehn Jahre spä-
ter, im Jahre 1906, konnte das Blatt sogar dreimal wöchentlich erschei-
nen.
Leider ging bei dem Brand von 1896 auch die Sammlung der bis da-
hin erschienenen 50 Jahrgänge der Zeitung zum größten Teil verloren.
Als am 4. August 1914 die deutschen Truppen in Belgien einmar-
schierten, stellte die "Fliegende Taube" sofort ihr Erscheinen ein und
erst am Waffenstillstandstage trat das Blatt wieder hervor.
Bei zwei Nummern wöchentlich lag der Erscheinungsrhythmus in der
Zwischenkriegszeit. Die Kriegsjahre brachten eine erneute Unterbre-
chung; doch gleich nach der Befreiung war die "Taube" wieder da. Die
"Raub- und Rafflust" der deutschen Besatzungstruppen entführte die neu-
angelegte Sammlung der "Fliegenden Taube" als Kriegsgut in das Stutt-
garter Auslandsinstitut.
Das sprachliche Umfeld
Das Königreich Belgien zählte bei seiner Gründung im Jahre 1830
etwa 250.000 Einwohner deutscher Sprache. Diese bildeten jedoch kein
zusammenhängendes Siedlungsgebiet, sondern verteilten sich auf das Ge-
biet des heutigen Großherzogtums Luxemburg und den nördlich daran
anschließenden südlichen Teil der heutigen belgischen Provinz gleichen
Namens (die Kantone Arlon/Arel, Feauvillers/Feiteler, Metzig und - im
Kanton Vielsalm - B£ho/Bocholz), den Nordosten der Provinz Lüttich
mit den Kantonen Aubel und Limburg sowie auf eine gewisse Anzahl
von Städten und Gemeinden im heutigen Niederländisch-Limburg. Es
sei daran erinnert, daß die gesamte Provinz Limburg (mit Ausnah-
80
me von Maastricht) sich 1830 der belgischen Revolution angeschlossen
hat und bei Belgien verblieben ist, bis 1839, infolge der Annahme des
Londoner "Vertrags der 24 Artikel" (15. Nov. 1831) durch König Wil-
helm I. der Niederlande eine Teilung besagter Provinz stattfand, und zwar
in der Weise, daß im Süden das Gebiet rechts der Maas, weiter nordwärts
jedoch der gesamte Landstrich von der Grenze der Provinz Nord-Brabant
bis zur Landesgrenze gegen Deutschland an die Niederlande fiel.
Auch das Großherzogtum Luxemburg wurde damals von Belgien ab-
gespaltet und dem König der Niederlande zugesprochen.
Nach diesen Gebietsamputationen verblieben dem jungen Königreich,
das etwa 4,5 Millionen Einwohner zählte, noch 35 deutschsprechende
Gemeinden, davon 24 in der Provinz Luxemburg und 11 im Nordosten.
der Provinz Lüttich.
Im Zusammenhang mit der "Fliegenden Taube" interessieren uns nur
die letzteren. Es waren in alphabetischer Reihenfolge:
Aubel (für den Ortsteil Klause/La Clouse)
Baelen (2000 Ew.)
Gemmenich (1075 Ew.)
Henri-Chapelle /Kapell (1350 Ew; zu 1/4 französischsprachig)
Homburg (1650 Ew.)
Membach
Montzen (1000 Ew.)
Moresnet (500 Ew.)
Sippenaeken
Welkenraedt (420 Ew.)
Die in Klammern angegebenen Einwohnerzahlen sind dem
"Dictionnaire G&ographique de la Province de Liege", Seconde Edition,
Premiö@re Partie, Rive droite de la Meuse, Liege 1841 entnommen. Der
Verfasser bemerkt zu den vorstehenden Gemeinden: "On y parle
l'allemand"/Man spricht dort Deutsch.
Die vorstehenden Gemeinden können als rein deutschsprachig ange-
sehen werden, auch wenn in der Franzosenzeit das Französische als
Verwaltungssprache eingeführt worden war.
Der junge Staat war bestrebt, auch durch die Wahl der Amtssprache
sich von den nördlichen Nachbarn zu unterscheiden. So verkündete die
provisorische Regierung am 16. Oktober 1830 den Beschluß:
"Das Amtsblatt wird in französischer Sprache veröffentlicht."
Da der Grundsatz der Freiheit, dem sich die Regierung verpflichtet
fühlte, für jeden Bürger das Recht einschloß, sich der Sprache zu bedie-
81
nen, "die seinen Interessen und Gewohnheiten am besten entspricht",
man andererseits aber der Meinung war, es sei unmöglich, einen amtli-
chen Wortlaut der Gesetze und Beschlüsse in flämischer und deutscher
Sprache herzustellen, "da die in gewissen Orten gebrauchte flämische
und deutsche Sprache von Provinz zu Provinz und öfters von Kreis zu
Kreis verschieden ist", kam der Gesetzgeber zu dem Schluß, daß die
Gouverneure in den Provinzen, "wo die flämische und deutsche Sprache
bei den Einwohnern im Gebrauch ist, eine flämische und deutsche Über-
setzung der Gesetze und Beschlüsse der Regierung, die auf ganz Belgi-
en anwendbar sind, und der besonderen Beschlüsse, die nur ihre Provinz
angehen", veröffentlichen sollten.
Auch öffentliche Bekanntmachungen (Plakate) sollten, je nach den
Gemeinden, von einer flämischen oder deutschen Übersetzung begleitet
sein.
Im Verkehr mit der Verwaltung hatte der Bürger die freie Wahl zwi-
schen den drei Landessprachen.
Gleiches galt im Verkehr mit den Gerichten, jedoch mit der Einschrän-
kung, daß die gewählte Sprache "in Zivilsachen von den Richtern und
den verhandelnden Rechtsanwälten, und in Strafsachen von den Rich-
tern, der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger verstanden wird".
Übereinstimmend mit diesem Erlaß heißt es im ersten Beschluß des
Nationalkongresses vom 17. November 1830, Art. 2: "Die Beschlüsse
des Nationalkongresses sollen in vierundzwanzig Stunden der vollzie-
henden Gewalt übergeben werden, die sie sofort mit einer flämischen
oder deutschen Übersetzung für die Gemeinden, wo diese Sprachen ge-
sprochen werden, veröffentlichen wird."
Eine dritte amtliche Anerkennung fand die deutsche Sprache in einem
Gesetz der belgischen Regierung vom 19. September 1831, dessen Arti-
kel 2 im deutschen Wortlaut im Amtsblatt 1831, S. 1099-1101, lautet:
"Die Gesetze sollen gleich nach ihrer Verkündigung ins Amtsblatt ein-
gerückt werden, mit einer flämischen oder deutschen Übersetzung für
die Gemeinden, wo diese Sprachen gesprochen werden; der französi-
sche Text bleibt dennoch allein offiziell.”
Nach 1840 verschwindet die deutsche Sprache ohne Begründung aus
dem Amtsblatt. Man war vermutlich davon ausgegangen, daß sich der
Aufwand einer Übersetzung für die geringe Zahl übriggebliebener
deutschsprachiger Bürger nicht mehr rechtfertige. Der bekannte belgi-
sche Geschichtsforscher Godefroid Kurth (2), Professor für Geschichte
an der Universität Lüttich, selber aus der Provinz Luxemburg stammend
82
und deutschsprachig, bemerkte dazu: "Ein verhängnisvoller Irrtum, der
aus den Deutschen Fremde in ihrem eigenen Vaterlande gemacht hat,
der Belgien der wertvollen Hilfsquellen beraubt hat, die es in einem
Öfteren und intimeren Verkehr mit unseren östlichen Nachbarn, dank der
Verbreitung ihrer Sprache in unserem Lande, hätte finden können” (3).
Alle späteren Versuche, der deutschen Sprache in Belgien wieder die
bei der Staatsgründung zugestandenen Rechte einzuräumen, schlugen
fehl, ob es sich nun um parlamentarische Initiativen oder um
Massenpetitionen aus der Provinz Luxemburg und dem Aubeler Land
handelte. Der Justizminister Lejeune verstieg sich sogar am 28. Dezem-
ber 1898 in der Kammer zu der Behauptung, das in Belgien gesprochene
Deutsch sei keine Sprache, nur eine Mundart. In Verwaltung und Justiz-
wesen, bei Post und Eisenbahn gab es die deutsche Sprache nicht.
Trotz fehlender Anerkennung und mangelhaftem Deutschunterricht
in den Schulen konnte sich die deutsche Sprache im Montzener Land in
Kirche und gesellschaftlichem Leben bis zum Ersten Weltkrieg behaup-
ten, wenn sie auch einen Abwehrkampf gegen das immer mächtiger vor-
dringende Französisch führen mußte.
Es war sogar im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts "eine kleine
Besserung im Zustande des deutsch-belgischen Volkes" zu verzeichnen
(4), da nun seltener Beamte ins Land geschickt wurden, die keinerlei
Grundkenntnisse des Deutschen besaßen.
Welchen Stellenwert dabei dem 1905 in Montzen gegründeten "Deut-
schen Verein für die Provinz Lüttich” zukommt und welche Rolle der
Klerus gespielt hat, bleibt noch zu untersuchen. Das kulturelle Leben
(Theater, Sportveranstaltungen etc.) bleibt bis 1914 deutsch geprägt.
Die "Fliegende Taube'' und die Sprachenfrage
Daß die deutschsprachige Presse in diesem Zusammenhang erwähnt
werden muß, leuchtet jedem ein. Die "Fliegende Taube" hatte inzwi-
schen Konkurrenz bekommen. "Das Freie Wort" (5) vor allem machte
dem Aubeler Blatt im Montzener Land Leser abspenstig. Wenn es um
den Erhalt oder das Verschwinden der deutschen Sprache im Montzener
Land ging, stand die Existenz der deutschsprachigen Presse auf dem Spiel.
So wundert es uns nicht, daß die "Taube", die sich selbst "ältestes deut-
sches Organ" und das "meistgelesene Blatt unserer Grenzbevölkerung"
(6) nannte, sich "wie dazu berufen fühlte, der Schauplatz für den
Sprachenkampf in unserem Gebiet zu sein."
83
Die Zeitung wollte jedoch nicht nur den beteiligten Parteien eine Bühne
zur Austragung ihrer Fehden liefern, selber aber dabei unbeteiligter Zu-
schauer bleiben.
Dabei hatte die "Taube" ursprünglich, wie der Herausgeber in einer
"Einleitung" zur ersten Nummer des Jahres 1849 schreibt, "kein parteii-
sches, politisches oder kritisches Blatt" sein wollen, sondern, "wie der
Name erkennen läßt, ein Blatt für die Gesellschaft, denn die Taube ist
gesellig, sanft und friedsam, ein treuer Bote, durch den man sich sicher
und schnell einander mitteilen kann. Wir haben also ein Blatt für Mittei-
lungen, Veröffentlichungen etc., kein gelehrtes und kritisches, sondern
ein ländliches, ein vaterländisches Blatt unter obigem Namen, den zu
wählen uns Noah's Taube Veranlassung gab, die erfreuliche Nachricht
zur Arche brachte; so sei unsere Taube bestimmt, uns Erfreuliches und
Gemeinnütziges zu bringen, dessen viel zu hoffen ist bei dem Friedens-
glücke unseres Vaterlandes, in welchem wir bisher wie in einer Arche
auf der Flut der Umwälzungen und des Unheils leben!"
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Senne 8 7 Mongen. bürgerlichen Haushaltung fudt für
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KABEL- & GUMMIWERK, EUPEN gejudt bei Pierre Schmetz : Bü:
Gefellghafe mit dejränfter Hufinng. -L dermetfter zu Spa, Bleydrrg. —. — —7
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Mehrere tücglige 3 gefucht bet Frau Jos, Moraye,
Schreiner Baraque, Ciermont: Thimiiter. „1
gefuct bei L Lejenne-Frere, Unter: Rem EEin guter Banfchreiner
nehmer, Mongen:Chauffer, CN ein larfer augehender
EB MEETS A TUN AO TAT ATS Gefele gefucht bei Lambert Tossaint-
Knecht DE Oe En I al N Boheur, An in Med
Sof. Bolfee-Dejefche, Bleyderg. ür Hau>arbeit gefucht bei
BO BONES I atmen Magd Seren PHILIPART, Aret:
Sunge ABLE ei Sn N teft in Herve, —2
p melfex fann, wird gefucht EEE A TE SR WARE
7 6 unge agb, 15—17 Jahren, wird
be: Peter _Mobers, BEE Mubel. I N AeuSE Sig mader Lu8 de 1
Knecht der melfen en für ut von station. 62 in Herve. —1
A 7 Rügen, mit outen Zeugni: MA A TA ADTEN FORTOROEE
ffen, fann fd melden bet Hräul, Heu- Mäüdden A ee ee
schen, ChapelleSt.Joseph, Clermont gelucht. Zu melden von morgen? 9 Uhr
7a Ye u bi8 3 Uhr nachmittag3 außer Sonntag,
ZTüctiges Dienjtimäddhen Madame Joseph Lennartz, Beroter8
gegen guten Lohmw für ale Hausarbeit rue des Miniere, 80. =;
aelndt bei VB, I. Noderburg,
Der Anzeigenteil: Ein Spiegelbild der Gesellschaft
84
Diese neutrale Haltung konnte die "Fliegende Taube" nur so lange
wahren, wie die von ihr vertretenen Werte nicht in Gefahr waren. Sie sah
sich jedoch herausgefordert, wenn an ihren katholisch-konservativen
Grundsätzen gerüttelt wurde. Dann sah sie es als ihre Pflicht an, selber
klar Stellung zu beziehen "und dann auch von dieser grundsätzlichen
Stellung her den Kampf nach einer ganz bestimmten Richtung hin zu
leiten".
Diese Einstellung hat die Redaktion der "Fliegende Taube" über Jahr-
zehnte in ihren Stellungnahmen geleitet. Neutralität oder nur objektiver
Tatsachenjournalismus war nicht die Sache des Aubeler Blattes. Welt-
anschaulich sah die "Taube" sich als papst- und kirchentreu, was zu ei-
ner schroffen antiliberalen und antisozialistischen Haltung führte. So
wurde die Zeitung zum Sprachrohr der Katholischen Partei, für deren
Programm sie sich stets einsetzte. Wenn die antiklerikalen Kräfte, so
wie 1879-1884, im "Schulkampf" mit Frere-Orban, ganz gezielt
Bastionen des Katholizismus zu stürmen versuchten, konnten die Kon-
servativen im Aubeler Land keinen besseren Anwalt zur Verteidigung
ihrer Ideen finden, als die "Fliegende Taube".
Zu dieser ideologischen Einstellung paßt natürlich, daß die Zeitung
staats- und monarchiebejahend war und dem Geschehen am königlichen
Hof viel sympathische Aufmerksamkeit widmete.
Das gleiche Engagement zeigt sich auch in der Sprachenfrage. Vor
dem 1. Weltkrieg, "als Professor Kurth in unserem Gebiete die Fahne
des Sprachenkampfes erhob", leistete das Blatt "dem wackeren Vor-
kämpfer für die Erhaltung der deutschen Muttersprache" nicht nur
"treueste Gefolgschaft", sondern betrieb auch "eifrigste Werbearbeit" (7).
Die ausführlichen Berichte über die Tätigkeiten des "Deutschen Vereins"
belegen die Sympathien für die Forderungen und Zielsetzungen dessel-
ben.
Der Versuch der deutschen Besatzung, die Aubeler Zeitung für ihre
Ziele einzuspannen, schlug fehl. Gleich zu Beginn des 1. Weltkrieges
stellte die "Fliegende Taube", wie schon gesagt, ihr Erscheinen ein und
erst nach Friedensschluß konnte das plattdeutsche Land von Aubel bis
Montzen die vertraute Zeitung wieder beziehen.
Daß der Ausgang des Ersten Weltkriegs nicht nur das Verhältnis zu
Deutschland, sondern auch die Einstellung zur deutschen Sprache und
Kultur negativ beeinflussen mußte, bedarf keiner längeren Begründung.
Vor allem im Welkenraedter Raum schlugen die antideutschen
Ressentiments hohe Wellen und von gewisser Seite wurde versucht, die
85
deutschfeindliche Stimmung auch in Kirche, Schule und das übrige
Kulturleben hineinzutragen.
"Gleich nach Kriegsende", schreibt Bischoff (8), "schon im Novem-
ber 1918, wurde in Welkenraedt ein 'La Libre Fronti@re' betiteltes Blatt
gegründet, das sich die Ausrottung der deutschen Sprache zum Ziele
setzte. Es erging sich in wüsten Schimpfereien gegen die Reichsdeutschen,
die Altdeutschbelgier und namentlich gegen die belgischen Deutsch-
freunde vor dem Kriege, die Führer der deutschen Bewegung. Die Reichs-
deutschen waren 'ein Hunde-, Räuber- und Mördervolk, nur Lumpen-
gesindel und Galgenpack, wilde Bestien, Auswürfe der Menschheit, tie-
fer stehend als Affe und Hyäne, ausgepichte Schurken und widrige Schein-
heilige'.
Die Altdeutschbelgier 'spät aus den dichten Nebeln Germaniens her-
ausgekrochene Mißgeburten', die Führer der deutschen Bewegung vor
dem Kriege "Verräter, deutsche Spione, Herolde für Kaiser und Reich,
Verkünder der Hunnen-Wiedergeburt, Pflegeväter der Bocherie, die ih-
ren Zylinder auf dem Kopf umgekehrt hielten, um die Reichstaler
Wilhelms II. darin fallen zu lassen, Auswürflinge, die innerlich und äu-
ßerlich den Endsieg einer Armee von Schlächtern und Mördern herbeige-
sehnt hatten'. Aufsatz auf Aufsatz warnte vor der Vergiftung durch die
Sprache der Hunnen, Gedicht auf Gedicht in französischer, wallonischer
und sogar plattdeutscher Sprache spie Gift und Galle gegen das
"schurkische' Deutschland."
Bischoff beschreibt die Abwehr der "Fliegenden Taube" und der
"Nouvelles" aus Dolhain als eine "geißelnde". Diese Zeitungen hätten
den Giftspuckern vorgehalten, daß manche von ihnen, der Herausgeber
des Blattes an erster Stelle, während des Krieges Geschäfte mit dem
Feinde gemacht hatten und sich nun'so antideutsch gebärdeten, um einer
Bestrafung zu entgehen. Dem Verfasser der meisten Aufsätze, der mit
"Populi" unterschrieb, konnte die "Taube" nachweisen, daß er seinen
Sohn bei einem deutschen Spediteur in Herbesthal in Stellung gebracht
hatte. Die Zeitung wurde aber auch nicht müde, auf die Vorteile der Kennt-
nisse der deutschen Sprache hinzuweisen. Es boten sich Laufbahnen in
Handel und Industrie, die ausgewiesenen deutschen Beamten mußten
ersetzt werden, es lockten Staatsstellungen bei der Armee, im Gerichts-
und Verwaltungswesen sowie Posten der verschiedensten Art im besetz-
ten Rheinlande und in Eupen-Malmedy. Hier dachte die Zeitung vor al-
lem an das Unterrichtswesen.
86
Die Verbannung des Deutschen aus der Schule stieß auf heftige Gegen-
wehr seitens der "Taube". Welcher Schulmann würde sich der englischen,
spanischen oder portugiesischen Sprache bedienen, um kleinen Belgi-
ern die ersten Grundlagen der Rechenkunst, der Landeskunde oder der
Religion beizubringen? Die erste Bedingung, um verstanden zu werden,
ist die, eine bekannte Sprache zu sprechen. Wie können Kinder, die zu
Hause oder auf der Straße nur Plattdeutsch gehört haben, einen Lehrer
verstehen, der vom ersten Schuljahr an nur Französisch zu ihnen spricht?
Dies sei albern, unsinnig und obendrein eine offenbare Verletzung des
belgischen Gesetzes, das die Muttersprache als Leitsprache des Unter-
richts vorschreibt. Wo ist hier der Patriotismus? Eine sonderbare
Vaterlandsliebe, die aus Haß gegen den Feind die Verdummung der jun- .
gen Generation will!
Das Grenzland verwelschen! Wirklich eine sonderbare Idee. Will man
Baelen, Welkenraedt, Montzen, Gemmenich verwelschen, so müßte man
x 74
be
Ein eifriger Mitarbeiter der „Fliegenden Taube“ war in den dreißiger Jahren der
1888 geborene zweite Sohn von Joseph Willems und Enkel des Zeitungsgründers,
der Lazaristenpater Edmund Willems. Die Zeitung nannte ihn aus Anlaß seines
silbernen Priesterjubiläums i. J. 1939 einen „mutigen und unermüdlichen Apostel
des Wortes und der Feder“.
87
logischerweise dasselbe für Kelmis, Eupen, Eynatten, St. Vith, Burg-
Reuland tun. Das einzig richtige ist, überall die Muttersprache zu ach-
ten. Weg mit einem dummen Feldzug gegen die Sprache der neu-
belgischen Väter und Mütter, der nur von unwissenden Hitzköpfen ge-
führt werde.
Die Zeitung wehrte sich genau so vehement gegen die Verbannung
des Deutschen aus dem kirchlichen Raum. "Das Volk würde französi-
sche Predigten nicht verstehen, denn es spricht Plattdeutsch, denkt auf
Plattdeutsch und betet auf Gutdeutsch." Folglich müsse der Priester zum
Volk auf "Gutdeutsch" vom lieben Gott und den ewigen Gütern reden.
Es genüge auch nicht, daß eine Predigt verstanden werde. Solle sie wir-
ken, so müsse sie den Zuhörern oft und wie von selbst im Geiste wieder-
kehren. Dies sei aber nur möglich, wenn sie in einer vollkommen ver-
standenen Sprache gehalten werde.
Theologische Ausdrücke seien im Deutschen der Volkssprache ent-
nommen. Der Mann aus dem Volke verstehe Begriffe wie "Erbsünde,
Wandlung, Menschwerdung, Lob-, Bitt-, Sühne- und Dankopfer", wisse
aber mit "peche original, incarnation, transsubstantiation" u. s. w. nichts
anzufangen, auch wenn er beim Worte "gräce" (Gnade) nicht gerade an
Gras oder Heu denken werde.
Von dem Tage an, wo der religiöse Unterricht in der Muttersprache
aufhöre, könnten auch die Leute aufhören zu beten. Wer hierzulande an
der Abschaffung der deutschen Sprache arbeite, der fördere zugleich die
Entchristlichung unserer tiefgläubigen Bevölkerung.
Die Zeitung warnte auch vor dem wallonischen Aktivismus, der noch
gefährlicher sei als der flämische, da er keine bloße Verwaltungstrennung
anstrebe, sondern den Anschluß an Frankreich. Diese Leute hätten dem
Versailler Friedensvertag vorgeworfen, daß Belgien nicht zu Frankreich
gekommen sei. In einer in der Armee verbreiteten Flugschrift sei die
flämische Sprache als ein "patois germanique" bezeichnet und die Fla-
men als Mißgeburten beschimpft worden. Es sei unerhört, daß es in un-
seren Grenzorten Leute gebe, die ihren Beleidigern die Hand drückten
und statt des belgischen Löwen den gallischen Hahn im Schilde führten.
Denjenigen, die die Losung ausgaben. "Soyons belges et parlons
francais" antwortete in der "Taube" der Vervierser Religionslehrer J.
Clesse: "Man kann Belgier sein, einerlei, welche Landessprache man
redet. Die Zeiten sind um, lieber Wallone, in denen du, in deinen
Mandarinenstolz gehüllt, glauben durftest, die ganze Welt müßte sich
nach dir richten und du könntest mit Verachtung auf den 'mosse flamind'
88
herabsehen, der sich deiner Bequemlichkeit wegen bemühte, Franzö-
sisch zu lernen. Sei kein Querkopf! Lerne Flämisch oder Deutsch, wie
deine Mitbürger Französisch lernen” (9).
Als abschreckendes Beispiel wurden auch die Machenschaften der
"Amities francaises" im Großherzogtum Luxemburg hingestellt, deren
Bestreben dahin gehe, das Land an Frankreich auszuliefern. Die Bevöl-
kerung solle sich vor diesen "Amiti€s francaises" hüten, mit denen Libe-
rale und Sozialisten aus Verviers sie beglücken wollten. Sie solle sich
zuerst die Pfote zeigen lassen und werde dann sehen, daß es die des
Wolfes ist, der das Ziegenböcklein verschlingen möchte.
Die "Fliegende Taube" hat in der Ausgabe vom 3. Januar 1934 als
Klar- und Richtigstellung aus Anlaß einer Irreführung in der "Libre.
Belgique' ihre Haltung in der Sprachenfrage seit dem Ende des Ersten
Weltkrieges nochmals in einem längeren Aufsatz dargelegt. Darin schreibt
der Verfasser:
"Als kurz nach dem Waffenstillstand in unseren Gemeinden sich Män-
ner fanden, die in überhitzter und überspitzter patriotischer Aufwallung
blindwütig die bestehenden Sprachzustände gleichzeitig mit den aus dem
Lande verjagten feindlichen Heeren beseitigen zu müssen glaubten, da
hat die Fliegende Taube den Mut gefunden - und damals gehörte eine
gute Portion Mut dazu, weil von den Patentpatrioten zu leicht mit man-
gelndem Patriotismus bange gemacht wurde -, auf das Unsinnige und
Unberechtigte dieser Bekämpfung der deutschen Sprache hinzuweisen.
Als lächerlich kleinlich und armselig hat die Fliegende Taube damals
den gegen die deutsche Sprache unternommenen Angriffssturm gebrand-
markt. Sie hat immer wieder zur Besinnung gemahnt. Aber der falsch
verstandene Patriotismus so vieler ließ für die patriotische Tat der Ret-
tung und Erhaltung der Muttersprache kein Verständnis oder keinen Wage-
mut aufbringen.
Als die lauten Schreier in diesem Kampf mundtot gemacht waren,
mochte man erwarten, daß mit der Zeit auch der Rat, die Besinnung,
kommen würden. Aber trotz der mit den fortschreitenden Jahren immer
verheerenderen Auswirkungen des falschen Sprachensystems setzte sich
die Einsicht nicht durch. Die Fliegende Taube wies gelegentlich auf die
Giftfrüchte der verkehrten Sprachenpolitik hin. Aber ihre Stimme ver-
hallte noch immer in der Wüste ...
Da trat plötzlich der Kampf um die Sprache in ein neues Stadium. Als
nämlich neben der Verwelschungsgefahr auch die Verflamungspolitik
sich bei uns breit machte. Versuchte man doch in einer Art moralischem
89
Zwange sogar die Fliegende Taube in das Joch flämischer Sprachzucht
einzuspannen. Die Eroberungspläne für die Verflamung unserer Gegend
kamen dadurch offen zu Tage. Und das ließ die Reaktion erstehen, die
die doppelte Aufgabe der Defensive und der Offensive aufnahm. Für
diesen Reaktionskampf hat die Fliegende Taube sich nun restlos zur Ver-
fügung gestellt. Die Redaktion hat ungeachtet mancher Kritik, auch auf
die Gefahr hin, nicht immer richtig verstanden zu werden, ihre Spalten
dem bisweilen heftig hin- und herwogenden Kampfe aufgeschlossen
gehalten. Sie hat selber hier und da im Streite der Meinungen den ei-
gentlichen Rechtsstandpunkt betonen müssen, den Standpunkt, den sie
von Anfang an als den einzig vernünftigen und gebotenen vertreten hat,
den echt nationalen und regionalen, den ganz loyalen und vitalen.
Gerade im jetzigen Augenblicke, wo der Sprachenkampf bei uns im-
mer weitere Kreise schlägt und immer größeres Interesse gewinnt, möchte
nun die Fliegende Taube erneut ihren Standpunkt unterstreichen. Dieser
Standpunkt könnte nämlich hinter den mannigfachen, leider bisweilen
etwas arg persönlich zugespitzten Kampfesartikeln nicht deutlich genug
mehr durchschaut werden."
In der "Libre Belgique" hatte am Vorabend von Weihnachten 1933 ein
Welkenraedter Einsender behauptet, der verständige Sinn unserer Leute
habe die "Fliegende Taube" von der Schwelle ihrer Häuser weit weg
gewiesen, seitdem das Blatt sich kopfüber in einen bestimmten Sprachen-
kampf hineingestürzt habe, der es dazu gebracht habe, für unsere Ge-
gend einen einsprachigen deutschen Unterricht zu predigen.
"Nein", antwortet die Zeitung aus Aubel, "die Fliegende Taube ist nicht
so einseitig, nur einsprachig deutschen Unterricht zu fordern. Wohl ver-
langt sie für den ersten Unterricht allein die deutsche Muttersprache.
Später, wenn die deutsche Muttersprache hinreichend gepflegt wurde,
dann kann, dann soll der zweitsprachige Unterricht einsetzen. Nur unter
dieser Bedingung hat er Sinn und bietet Aussicht auf Erfolg. Ebenso in
der Verwaltung. Es fällt der Fliegenden Taube und ihren Mitarbeitern in
der Sprachenfrage gar nicht ein, in die extremen Forderungen der
Flaminganten und der Wallinganten zu fallen. Sie will die deutsche, die
heimische Sprache als erste, aber keineswegs als einzige Sprache."
Nach der Gründung des zunächst von Prof. Heinrich Bischoff geführ-
ten Bundes der Deutsch-Belgier (1931) unterstützte die "Fliegende Tau-
be" voll und ganz die Forderungen des "Bundes". Heftig angegriffen
und verleumdet wurde Prof. Bischoff daraufhin in den "Annonces du
Luxembourg" durch einen Ex-Kapitän des 10. Linien-Regiments in Arlon,
90
Omer Habaru. Bei der vor einem Brüsseler Gericht verhandelten
Verleumdungsklage gegen Habaru warf der Rechtsanwalt des Beschul-
digten dem "Bund" vor, er wolle das Sprachenstatut der deutschbelgischen
Grenzgebiete grundlegend ändern und eine deutsche Gegend schaffen,
um dem Reich eines Tages unter dem Vorwand des Schutzes einer Min-
derheit die Möglichkeit zum Eingreifen zu geben. Der Rechtsanwalt
bezeichnete in dem Zusammenhang die "Fliegende Taube" als das "Or-
gan des Bundes", das fortgesetzt "grobe und beleidigende Angriffe" ent-
halte wie folgenden: "Der gallische Hahn hat sich als Misthaufen, von
dem er sein Gekrächze erhebt, das Areler Rathaus auserwählt.”
Auch von flämischer Seite mußte die "Taube" manchen Hieb einstek-
ken. Die Flamen verübelten es dem Blatt, daß es nicht die These von Dr.
J. Langohr verteidigte, derzufolge das Montzener Land urflämischer
Boden sei. Der "Standaard" bezeichnete die "Taube" als das "willenlose
Werkzeug in den Händen des durch Religions- und Flamenhaß
verblendeten früheren Leiters des Bundes" (d. h. Prof. Bischoff). Es kam
sogar so weit, daß die "Gazette de Charleroi" vom 8.9.1934 den Pfarrer
Schaul aus Tintingen/Tintange (Prov. Lux.), einen Mitbegründer des
"Bundes", als Herausgeber der "Fliegenden Taube" bezeichnete. Diese
Taube erinnere an die schrecklichen Taten der ersten deutschen Flugzeu-
ge zu Beginn des Krieges (10). Auch die "Nation Belge" griff den Abbe
Schaul als den Herausgeber der "Fliegenden Taube" an und sprach von
"Ausgeburten dieser aktivistischen Zeitung".
Die "Taube" blieb nicht immer rein theoretisch. In ihrer Beilage vom
Samstag, dem 17. Februar 1934, nahm sie den Fall eines betrügerischen
Notars zum Anlaß, die "Plattdeutschen" dazu aufzufordern, jedes fran-
zösische Papier zu verweigern, ganz gleich, ob es ein Gendarm, ein Ge-
richtsvollzieher oder ein Richter vorlege. "Weise das französische Pa-
pier kurzweg von der Hand, unterschreibe es nicht und verlange eine
deutsche Aufstellung und nicht nur eine mündliche Übersetzung ... Du
hast das Recht zu wissen, was Du unterschreibst."
"Deutschsprechender, verlange eine höfliche Behandlung, insbeson-
dere von Seiten der Staats- und Gemeindebeamten. Um nicht betrogen
zu werden, verweigere jedes französische Papier. Die Beamten sind für
dich da, und nicht du für sie. Sei ein echter Belgier, verlange dein Recht,
verlange die Beachtung der belgischen Gesetze durch die Wallinganten,
die sich allein das Monopol der Vaterlandsliebe zusprechen. Verlange
die Ehrung deiner deutschen Muttersprache von allen örtlichen Behör-
den."
91
Noch deutlicher konnte die Haltung der "Taube" zum Sprachen-
problem nicht umrissen werden.
Die "Fliegende Taube" und der Nationalsozialismus
Der Vorwurf, der "Bund" bereite das Terrain für ein Eingreifen Deutsch-
lands vor, mußte alle diejenigen hart treffen, die ohne politische Hinter-
gedanken für den Erhalt der Muttersprache kämpften. Die "Fliegende
Taube" fühlte sich angesprochen und angegriffen und versuchte in ei-
nem längeren Beitrag in der Ausgabe vom 17. Januar 1934, die tief-
sitzende Angst vor Hitlers Politik als unberechtigt darzustellen. Unter
dem Obertitel "Zur Sprachenfrage" stellt die "Taube" die Frage: "Will
Hitler alles deutschsprachige Land dem Reiche einverleiben?"
Noch lag die Machtergreifung Hitlers erst ein Jahr zurück. Noch hatte
Hitler nicht damit begonnen, Versailles und die Folgen des "Diktats"
rückgängig zu machen. Noch verließen sich viele auf die in "Mein Kampf”
dargelegten außenpolitischen Ziele des Führers und Reichskanzlers.
In seiner Reichtagsrede vom 7. Mai 1933 hatte Hitler gesagt, er wolle
im Dritten Reich keine Fremdkörper haben. "Fremdkörper" waren im
kaiserlichen Deutschland Polen, Dänen, Franzosen (in Lothringen) und
Wallonen (in Malmedy) gewesen. Von der Wiedereroberung dieser wollte
er also absehen.
Der Artikelschreiber der "Taube" untersucht Hitlers Außenpolitik und
kommt dabei zu folgendem Schluß:
"Im 14. Kapitel seines Buches "Mein Kampf", überschrieben "Ost-
orientierung oder Ostpolitik", schreibt er, daß die Forderung nach
Wiederherstellung der Grenzen des Jahres 1914 ein politischer Unsinn
sei, der Ausmaße und Folgen habe, die ihn als Verbrechen erscheinen
ließen. Die Grenzen des deutschen Reiches im Jahre 1914 seien alles
andere als logisch gewesen. "Sie waren weder vollständig in bezug auf
die Zusammenfassung der Menschen deutscher Nationalität, noch ver-
nünftig in Hinsicht auf ihre militär-geographische Zweckmäßigkeit. Sie
waren nicht das Ergebnis eines überlegten politischen Handelns, son-
dern Augenblicksgrenzen eines in keiner Weise abgeschlossenen politi-
schen Ringens, ja zum Teil Folgen eines Zufallsspieles."
Weiter erklärt Hitler, daß der Gedanke der Wiederherstellung der frü-
heren Grenzen keine Zukunft besitze, vielmehr nur in der Vergangenheit
lebe, und als politisches Ziel den großen Nachteil habe, den zerfallenden
Bund der Gegner Deutschlands immer stets aufs neue zu verbinden. Durch
die Parole der Wiederherstellung der Grenzen vom Jahre 1914 fühlte
92
sich jeder Staat, der Nutznießer am deutschen Zusammenbruch war, be-
droht. (Und wieviele sind es: Belgien, Frankreich, Polen, Dänemark, die
Tschechoslowakei). Wenn einer dieser Partner aus dem Bunde der Fein-
de Deutschlands springen wolle, so scheuche ihn die Angst zurück, iso-
liert angegriffen zu werden und des Schutzes der Mitverbündeten verlustig
zu gehen.
In zweifacher Hinsicht sei die genannte Forderung unsinnig:
1. "Weil die Machtmittel fehlen, um sie aus dem Dunst der Vereinsab-
ende in die Wirklichkeit umzusetzen und 2. weil, wenn sie sich wirklich
verwirklichen ließe, das Ergebnis doch wieder so erbärmlich wäre, daß
es sich, weiß Gott, nicht lohnen würde, dafür erneut das Blut unseres
Volkes einzusetzen." °
Nur kindlich naive Geister könnten sich in dem Gedanken wiegen,
daß die Wiederherstellung der Grenzen vom Jahre 1914, die Korrektur
von Versailles, anders als durch Blut, auf Schleich- und Bettelwegen,
herbeigeführt werden könnte.
Ganz realpolitisch führt Hitler nun aus, daß die Grenzen des Jahres
1914 für die Zukunft des deutschen Volkes gar nichts bedeuten. Das deut-
sche Volk würde dadurch keine innere Geschlossenheit, keine Sicher-
stellung seiner Ernährung, keine militärische Stärkung erreichen. Selbst
bei einem günstigen Erfolge würde die Ausblutung des Volkskörpers so
groß sein, daß das weitere Gedeihen der Nation gefährdet würde.
Das außenpolitische Ziel der Nationalsozialisten sei ein ganz anderes,
"nämlich, dem deutschen Volke den ihm gebührenden Grund und Boden
auf dieser Erde zu sichern". Hiermit zieht Hitler einen Strich unter die
außenpolitische Richtung Deutschlands vor dem Kriege. Er stoppt den
Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weist den Blick
nach dem Land im Osten.
Er schließt ab mit der Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit
und geht über zur Bodenpolitik der Zukunft. Und wenn er in Europa von
neuem Grund und Boden für das überzählige und in seinen jetzigen Gren-
zen beengte deutsche Volk spricht, so denkt er in erster Linie nur an
Rußland und die ihm untertanen Randstaaten.
Rußland ist dem Bolschewismus und dem Judentum ausgeliefert wor-
den. Das Riesenreich ist jetzt kein Element mehr der Organisation, son-
dern der Dekomposition. Es ist reif zum Zusammenbruch. In Rußland
muß die dem deutschen Volke notwendige Scholle erobert werden, das
eigene Stück Grund und Boden, das jedem Sproß des Volkes in Zukunft
gehören soll.
93
Es ist nicht unsere Sache, ein Gutachten über diese Zukunftspläne
abzugeben. Uns genügt die Feststellung, daß nach Hitlers Auffassung
nicht die Kanone, sondern der Pflug der Retter seines Volkes werden
soll. Und wenn die Kanone notwendig wäre, um dem Pfluge den Weg zu
bereiten, so soll diese nicht nach Westen, auf uns, sondern nach Osten,
auf die Russen, gerichtet werden.
Wir können ruhig auf beiden Ohren schlafen. Das Schreckge-
spenst des Hitlerismus ist eine Erfindung unserer Feinde. Es ist nur
ein Mittel, um den Kampf für unsere Muttersprache böswillig zu
verdächtigen, um die Vorkämpfer für die Erhaltung und Hebung
unseres Volkstums als Vaterlandsfeinde und Verräter brandmarken
zu können."
Die von der "Taube" vertretene Sicht der Dinge hat sich als falsch
erwiesen. Falsch ist aber auch die Behauptung, die Aubeler Zeitung sei
nazistisch eingestellt gewesen. Immer wieder weist die "Taube" auf Ver-
letzungen des Konkordats durch die braunen Machthaber hin. Woche
um Woche bringt sie Berichte über Verhaftungen von Geistlichen beider
christlichen Konfessionen, über Beeinträchtigungen oder gar Verbot der
Arbeit von christlichen Jugendverbänden, über Verhaftungen wegen
"staatsfeindlicher Betätigungen", über Knebelung der Presse etc. Und
wer die manchmal diese Meldungen begleitenden Kommentare und Fra-
gen liest, kann nie und nimmer zu dem Schluß kommen, die "Fliegende
Taube" sei dem Naziregime gegenüber freundlich eingestellt gewesen.
Nachdem der Länderbeauftragte des Reichsjugendführers, Ober-
gebietsführer Lauterbach, bei Führertagungen der Hitlerjugend in Düs-
seldorf und in Koblenz das Verschwinden der konfessionellen Jugend-
verbände als unbedingte Forderung aufgestellt und erklärt hatte, die !
Hitlerjugend werde kompromißlos ihren Weg weitermarschieren und der
Totalitätsgedanke der Hitlerjugend erfordere die Auflösung der konfes-
sionellen Verbände; genau wie der Führer keine anderen Parteien mehr
dulde, werde auch nicht mehr geduldet, daß noch andere Verbände und
Bünde glaubten, das Recht zu haben, Jugend erziehen und schulen zu
dürfen. Lediglich der Staat, lediglich die Jugendbewegung dieses Staa-
tes habe das Recht, die Jugend körperlich zu ertüchtigen, staatspolitisch
und weltanschaulich zu erziehen ... , schloß die "Taube" ihren Bericht
mit den Bemerkungen: " Und zu solchen herausfordernden, anmaßen-
den Erklärungen müssen die deutschen Katholiken schweigen. Ihre Presse
schweigt. Und der Klerus muß schweigen. Und die deutschen Katholi-
94
ken müssen sich vom neuen jungen Deutschland sagen lassen, daß der
Kirche kein Erziehungsrecht der Jugend mehr zustehe!"
Die Meldung über das vorübergehende Verbot des katholischen
Kirchenblattes für das Dekanat Siegen wegen der Veröffentlichung ei-
nes staatsfeindlichen Artikels versah die "Taube" mit einem Ausrufe-
und einem Fragezeichen (!?) hinter der Begründung des Verbots.
Zu einem Rundumschlag der "Fliegenden Taube" gegen den Natio-
nalsozialismus bot eine Rede des Gauleiters Staatsrat Grohe am 15. De-
zember 1933 im großen Hörsal der Kölner Universität über die Wesens-
züge des Nationalsozialismus Anlaß. Dieser habe dem Volk innere Kräf-
te gegeben, die die Konfessionen zu geben nicht imstande gewesen sei-
en. Damit habe er auch bewiesen, daß er auf einer gesünderen Weltan- -
schauung basiere. Es werde sich zu zeigen haben, welche Weltanschau-
ung mehr zu geben vermöge. Die Kundgebungen führender katholischer
Persönlichkeiten hätten sich als ein großer Irrtum erwiesen. Und wenn
solche Vertreter so grundfalsch über den Nationalsozialismus urteilten,
so sei dies nicht dazu angetan, die Autorität bei ihren Gläubigen zu stei-
gern. Der Nationalsozialismus sei für das deutsche Volk das Heiligste
geworden und werde es auch für alle Zukunft bleiben.
Derselbe Führer hat auf dem Gaukongreß der Nationalsozialistischen
Partei am 15. Januar ds. J. in Köln u. a. folgende Sätze sich geleistet:
"Das Volk ist das Primäre. Ihm zu dienen, um es seinem Heiligsten, sei-
nem Blute, zu erhalten, das ist die Aufgabe, die jeder Generation als ihre
erhabenste gestellt werden muß. Der Nationalsozialismus anerkennt Blut
und Boden als Urquellen allen Lebens ..." Den Katholiken warf er vor,
daß "sie glaubten, daß der Neger-Katholik dem deutschen katholischen
Menschen näher stehe als der anständige Blutsgenosse evangelischen
Glaubens." Er schloß mit des Dichters Worten: "Der Gott in uns, der
zeigt uns, was wir sollen.”
Auf diesem gleichen Kongreß hat der höchste Leiter der deutschen
Arbeitsfront, Dr. Ley, folgende ebenso lächerlich als lästerlich klingen-
de Phrasen verbrochen: "Wir wollen, daß Deutschland ein ewiges Volk
sein soll. Unser Kampf steht unter dem ewigen "Du mußt". Darin liegt
das Göttliche unserer Bewegung. Es ist der Ausdruck der schönsten Re-
ligion, die den SA-Mann zwang, den Mordstahl in der Brust, zu rufen:
"Heil Hitler!” Für uns ist der alleinseligmachende Glaube der Glaube an
das Volk, an sein Blut, an den Schöpfer, an die Einheit, an die Gottheit.
Unser Fanatismus ist geboren aus Lebensfreude und Lebenskraft und
wird genährt aus dem lebensbejahenden Nationalsozialismus."
9%
Der Leitartikler der "Fliegenden Taube" kommentiert: "Zwar hatte
Hitler in seinen Regierungserklärungen die feierliche Beteuerung ge-
macht, die christliche Weltanschauung solle die Grundlage des Neuauf-
baues Deutschlands sein. Auf Grund dieser Beteuerung hatten die deut-
schen Bischöfe das Verbot der Zugehörigkeit zur nationalsozialistischen
Partei aufgehoben. Aber, wie obige Ausführungen beweisen, bleibt tat-
sächlich die deutsche Rassen- und Blutmoral die maßgebende und im-
mer neu verkündete Weltanschauung des Nationalsozialismus."
Anschließend analysiert er den am Vorweihnachtstag 1933 in allen
Kirchen Österreichs verlesenen Hirtenbrief der österreichischen Bischöfe,
"die noch nicht in ihrer Rede- und Schreibfreiheit gehemmt sind". Klar
und mutig hätten sie die Grundirrtümer des Nationalsozialismus beleuch-
tet und gebrandmarkt: den Rassenwahn, den radikalen
Rassenantisemitismus, das extreme Nationalitätenprinzip, die Ideen und
Bestrebungen, die folgerichtig zu einer Nationalkirche und letzten En-
des zum offenen Bruch mit der katholischen Kirche führen müßten.
Die "Taube" gibt auch den Wortlaut der zu diesem Hirtenbrief im
Vatikanblatt, dem Osservatore Romano, veröffentlichten Stellungnah-
me wieder, in der es u. a. hieß, die österreichischen Bischöfe hätten im
Namen religiöser und moralischer Grundsätze des öffentlichen Lebens
das Wort ergriffen.
Den Versuch des (katholischen) Reichs-Vizekanzlers von Papen, in ei-
ner großen programmatischen Rede am 14. Januar 1934 in Schlesien, die
Stellungnahme der österreichischen Bischöfe unter Hinweis auf das im
Nationalsozialismus herrschende Führerprinzip zurückzuweisen, (die
Doktrin des Nationalsozialismus und ihre Anwendung werde ausschließ-
lich vom Führer bestimmt und ihm sei nichts bekannt, das es rechtfertigen
würde, einen der genannten Irrtümer dem Nationalsozialismus zur Last
zu legen), bezeichnete die "Fliegende Taube" als "Ausflucht". Sonst wolle
doch der "Führer" alle Verantwortung für die anderen Führer tragen, aber
hier werde sie ihm einfach abgenommen. Eine bequeme Methode, unbe-
queme Vorwürfe abzutun! Imübrigen sei es eine nicht geringe Anmaßung
und eine äußerst unkirchliche Haltung, wenn Herr von Papen sich das
Recht ausnehme, den gemeinsamen Hirtenbrief der österreichischen Bi-
schöfe zu verwerfen und als Irreführung hinzustellen. Anscheinend sei
der Sinn für die Autorität des Staates, wie der Nationalsozialismus sie
sehe, bei ihm bereits stärker als der Sinn für die jedem wahren Katholiken
selbstverständliche bescheidene und willige Unterwürfigkeit unter die
Autorität der Bischöfe unserer katholischen Kirche.
96
Die Betrauung Alfred Rosenbergs mit der Überwachung der gesam-
ten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der
nationalsozialistischen Bewegung kommentierte die "Taube" mit folgen-
den Worten: "Rosenberg ist der Verfasser des Buches 'Mythos des 20.
Jahrhunderts’. In diesem Buche tritt H. Rosenberg das Christentum gera-
dezu mit Füßen. Darum wurde vor kurzem von den Kanzeln der Aachener
Diözese das Buch den Katholiken ausdrücklich zu lesen verboten. Und
ausgerechnet dieser Feind des Christentums wird zum Wächter der Er-
ziehung des neuen Deutschland erhoben! - Eine sehr bezeichnende Er-
nennung."
Der Beispiele, daß die "Fliegende Taube" die ideologischen Grundla-
gen des Nationalsozialismus zu keinem Zeitpunkt gutgeheißen hat, lie--
ßen sich noch viele anführen. Doch würden wir damit im Grunde nur
schon Gesagtes mit anderen Worten wiederholen.
Lassen wir aber abschließend den Herausgeber selber sich dazu äu-
Bern (11):
"Der Vorwurf, der angesichts der in diesem Kriege vollzogenen
Annexion unseres von der "Fliegenden Taube" ein ganzes Jahrhundert
beeinflußten Gebiets schon ab und zu nach der Befreiung laut wurde,
kann die Redaktion nicht im geringsten berühren. Sie hat es auch für
vollkommen überflüssig erachtet, auch nur ein Wort darüber zu verlie-
ren. Man würde ja auch vergebens nach den geringsten Äußerungen in
ihren Spalten fahnden, wo die mit stetiger Konsequenz verfolgte natio-
nale wie regionale Loyalität versagt hätte. Der deutschsprachige Cha-
rakter unserer Gegend ist nicht das Werk oder das erst geschaffene Re-
sultat der in deutscher Sprache abgefaßten Zeitung, so wenig wie diese
von irgend einer Seite des In- und des Auslandes diesbezügliche Anwei-
sungen je empfangen hat. Die Herausgeber der "Fliegenden Taube" ste-
hen in patriotischer Hinsicht mit ganz reinem Schilde da. Und wenn im
übrigen Belgien nur ein paar Blätter den Kampf gegen den
imperialistischen Nationalsozialismus so früh angefangen, so andauernd
und mit viel klarschauender Voraussicht geführt hätten wie die "Fliegen-
de Taube", dann wären wir anders vorbereitet gewesen gegen die teufli-
schen Intrigen, die selbst von unseren verantwortlichen Staatsmännern
nicht durchschaut wurden.
Wenn die "Fliegende Taube" gerade von letzterer Seite aus sich noch
einige Zeit vor dem Einfall verwarnen lassen mußte, weil sie die gebote-
ne Neutralität gegen Deutschland nicht hinreichend beachte, dann heißt
das ja genug. Niemals hat das Blatt, sei es von einer Regierung oder
Sa
einer Partei, sich gewinnen oder bezahlen lassen; es hat immer seine
vollkommene Selbständigkeit und Unabhängigkeit sich bewahrt. Es hat
wohl aus sich immer die Fahne der katholischen Interessen hochgehal-
ten, in der Politik, in der Wirtschaft und auf sozialem Gebiete. Und es ist
für die Redaktion beim Anlaß der Jubelfeiern ihres hundertjährigen
Bestehens die größte Genugtuung, sich sagen zu können, daß sie ihren
Teil dazu beigetragen hat, daß unsere Gegend mit jeder anderen im bel-
gischen Vaterlande den Vergleich aufnehmen kann in patriotischer wie
in katholischer Hinsicht.
Mit dieser unserer Gegend, in der sie ihre Leser und Gönner zählt,
fühlt sie sich auf das engste verbunden und sie ruft es hinaus: Bleiben
wir auch in der Zukunft, was wir bisher gewesen sind. Wir brauchen vor
niemandem zu erröten; wir haben in unserer eigenartigen Stellung als
Grenzbevölkerung dem Ideale des katholischen Belgien alle Ehre ge-
macht!"
ko ko ok ok Rokoko
150 Jahre wäre sie nun, die "Fliegende Taube", wenn nicht die Nach-
kriegsumstände nach 1945 noch widriger gewesen wären als die der Jahre
nach 1918. Die nun noch heftiger zu Tage tretende antideutsche Stim-
mung, die sich auch gegen die deutsche Sprache richtete, und die schnell
voranschreitende Französierung entzogen der "Taube" die Existenz-
grundlage. Am 29. Dezember 1951 stellte sie ihr Erscheinen ein. Die
wenigen Exemplare, die noch erhalten sind, bleiben wertvolle
Erinnerungsstücke an eine Zeit, in der das Land von Montzen und
Welkenraedt eine andere sprachliche Prägung besaß als heute. "Das
Friedensglück unseres Vaterlandes", das den Herausgeber im Januar 1849
zum Vergleich mit der Arche Noah inspirierte, wurde , wie schon gesagt,
in diesen 150 Jahren zweimal unterbrochen. Und beide Male mußte die
"Taube" für vier Jahre ihr Erscheinen einstellen. Nur "ein Blatt für die
Gesellschaft" hatte sie sein wollen, war aber immer wieder in die politi-
schen und sprachlichen Auseinandersetzungen hineingezogen worden.
"Gott sei Dank", müßten wir sagen. Denn ohne die "Taube" wären diese
Auseinandersetzungen gewiß weniger spannend und aufregend verlau-
fen und das kulturelle Leben des Montzener Landes wäre etwas ärmer
gewesen. Der 150. Geburtstag dieser Zeitung sollte an eine noch gar
nicht so ferne und uns doch schon so weit zurückliegend scheinende
Zeit erinnern.
98
Anmerkungen
1) Geb. in Eupen, am 27.3.1820, verheiratet mit Jeanne Catherine Krings (* Eupen,
10.4.1842), gest. in Arlon, am 27.2.1895.
Dieser Jean-Henri Willems hatte eine zahlreiche Familie, sechs Töchter und fünf
Söhne. Zwei der Töchter traten in den Orden der Franziskanerinnen von Luxemburg
ein; Schwester Anselma lebte und starb im Kloster von Beloeil, Schwester Angelina
in der Anstalt von Forges-Baelen. Francoise Willems heiratete Pierre Mostert aus
Moresnet-Kapelle.
Alle fünf Söhne wurden Drucker, vier von ihnen Zeitungsdrucker.
Der älteste war Alphonse, der 1872 das "Journal d’Aubel” und 1883 das "Journal de
Dalhem-Vise" gründete. Bevor er seine verlegerische Tätigkeit begann, hatte
Alphonse Willems als päpstlicher Zuave in Italien für Pius IX. gekämpft.
In Dolhain hat der zweite Sohn, Louis, mehrere Jahrzehnte das "Freie Wort" , später
"Die Freie Presse” sowie "Les Nouvelles" herausgegeben.
In Esch-sur-Alzette ließ sich der dritte Sohn, Gerard, als Zeitungsherausgeber nie-
der.
Der vierte Sohn, Henri, arbeitete als Drucker in der königlichen Druckerei in Brüs-
sel, während der fünfte, Joseph, 1882 die "Fliegende Taube” von seinem Vater über-
nahm und 1886 einen Druckerei-Neubau errichtete. Er leitete das Unternehmen bis
zum Jahre 1920, um es dann seinem Sohn Joseph jun. zu übergeben, von dessen
Geschwistern drei den Priester- bzw. Ordensberuf ergriffen und dessen ältester Sohn
(Joseph) als Frater Eug@ne in die Zisterzienser-Abtei von Gottestal/Val Dieu eintrat.
2) Godefroid Kurth, geb. Arlon 1847, gest. Assche 1916, war erst Gymnasiallehrer in
Lüttich, doktorierte daselbst 1872 und wurde 1873 Professor für Geschichte an der
Lütticher Universität. Gilt als der Begründer der belgischen historischen Schule.
Kurth war ein engagierter Verteidiger der deutschen Sprache und warf dem belgi-
schen Staate vor, eine "Rabenmutter" für die Deutschbelgier zu sein.
Kurth leitete nach seiner Emeritierung (1907) das belgische historische Institut in
Rom.
3) Zitiert in: Bischoff, Heinr., Geschichte der Volksdeutschen in Belgien, Aachen 1941,
S.38
4) Ebd. SS. 66-67
5) In Dolhain von Louis Willems, einem Sohn von Jean Henri Willems, 1886 gegrün-
detes deutschsprachiges Blatt, das zweimal wöchentlich erschien und vor allem den
Raum Welkenraedt - Montzen - Gemmenich abdeckte
6) Die Fliegende Taube, 3. Jan. 1934
7) Ebd.
8) Bischoff, a. a. O., S. 131
9) Die Fliegende Taube, 8. Aug. 1919
10) Eine Anspielung auf die sog. Rumpler-Taube, ein 1910 von dem österreichischen
Techniker Edmund Rumpler entwickelter und gebauter Tiefdecker, der als das lei-
stungsfähigste Flugzeug seiner Zeit galt.
11) In der Jubiläumsnummer vom 4. Jan. 1947, die den 100. Jahrgang einleitete.
99
Zu einem Gedenkstein in Aachen-Richterich,
Roermonder Straße 508
Von Albert Creutz
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LAMBERT BRAGARD VON MEMBACH
GEB DEN 17 NOV 1786 VEREHLIGT MIT
BARBARA BECKER ZU RICHTERICH
UNTER SEINEM KARREN VERUNGLUCKT
DEN 18 AUG 1818
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Das hier abgebildete solide Steinkreuz ( Höhe 85 cm, Balkenlänge
77 cm, Tiefe 20 cm ), befindet sich in Richterich am Rande der
Roermonder Straße, von Aachen kommend rechts, gleich hinter der
Autobahnbrücke der A 4 ( E 314 ) und etwas weiter als die ARAL-
Tankstelle.
Der Gedenkstein stand früher an einem Wassergraben am Wegesrand
vor dem 1931 erbauten Mehrfamilienhaus Nr. 508. Als die Landstraße
um 1965 ausgebaut wurde, kam der Stein in den angrenzenden Garten
vor eine junge Esche zu stehen, dort, wo seit Mitte des 19. Jahrhunderts
bis kurz nach dem 2. Weltkrieg eine große Ringofenziegelei des Hollän-
ders Optemkamp gestanden hatte. Die Primarschule in Richterich wurde
schon 1846 mit Ziegelsteinen aus dieser Fabrik erbaut. .
Heute ist dieser kleine Grasgarten zwischen Nr. 508 und 510 noch ein
Überbleibsel der anliegenden Villenparzellierung Lonweg und gehört
der Familie Leo Hämmerling.
Das hier stehende Euregio-Sterbekreuz erinnert also, wie die Inschrift
besagt, an den am Dienstag, dem 18.08.1818 um 20 Uhr unter seinem
Karren tödlich verunglückten Fuhrmann Lambert BRAGARD, (die Ster-
beurkunde schreibt "Brackard") geboren am 17.11.1786, aus dem Dorf
Membach in der Provinz Lüttich stammend und auch dort wohnhaft,
"Auf'm Deich" ( in der Nähe der Quirinus-Kapelle und des (Alten)
Mühlenweges, der heutigen Rue du Moulin ).
Er war das zweitgeborene von mindestens 7 Kindern ( Lücke im Re-
gister der Franzosenzeit ) der Eheleute Johann Peter BRAGARD und
Anna Christina Scheen aus Raeren, verheiratet in Membach am
22.05.1784.
Lambert BRAGARD trug denselben Vornamen wie sein Großvater,
der in Baelen am 24.11.1754 Anne Maria Kleyn geheiratet hatte.
Der verunglückte Lambert BRAGARD hatte am 24.11.1810 die 21jäh-
rige, aus Eynatten gebürtige Spinnerin Anna Barbara Becker, Tochter
des Hufschmiedes Wilhelm Becker und der Maria Sybilla Straat
geehelicht, die ihm 3 Kinder schenkte, die auf die Namen der Großeltern
getauft wurden, und zwar:
- Christine geb.am 02.03.1811 (wie ihre Großmutter)
- Mathieu Guillaume geb.am 9.10.1813 (wie sein Großvater)
- Jean Pierre geb.am 14.10.1816 (wie sein Großvater).
101
Vermutlich befand sich der verunglückte Lambert BRAGARD zur
Unfallzeit, am 18.08.1818, um 20 Uhr, in Begleitung seines Vaters ( +
24.11.1819 ), da dieser schon anderntags um 14 Uhr den Tod vor dem
Bürgermeister Baron Carl von Broich in Richterich zur Akte gab.
Wie aus einer Eintragung im Sterberegister der Pfarre Membach er-
sichtlich, wurde der Verunglückte am folgenden Tag, dem 19.8.1818, in
Richterich beerdigt, doch wurden die Exequien "in l1o0co originis et suae
habitationis" (an seinem Geburts- und Wohnort) gehalten.
Barbara Becker blieb Witwe und verstarb am 16.04.1865 in Eupen,
wo ihr Sohn Johann Peter - seines Standes Weber - ansässig war.
Man darf annehmen, daß BRAGARD bei seiner Unglücksfahrt Wolle
oder Stoffe aus dem Membacher oder Eupener Raum nach Aachen ge-
bracht hat.
Laut Geschichtsforscher Joseph Aretz aus Kohlscheid wurden dann
als Rückfracht meistens Werkzeuge und Hausbrandkohle (Anthrazit),
eine harte, glänzende Steinkohle mit höhem Heizwert, transportiert.
Kohlentransporte in den Eupener Raum sind ab 1780 bekannt und im
Raum Raeren bezeugt.
1818 förderten im heutigen Kohlscheid folgende Gruben Kohle zu
Tage:
- Herrenkuhl, Vieslapp und Spaenbroich (Pannesheide und Bank),
- Hankepank (Vorscheid),
- Abgunst und Kämpchen (zwischen Kohlscheid und Berensberg)
sowie
- Langenberg (am Weg nach Bardenberg).
In dem Amts-Blatt der Regierung zu Aachen vom 24.09.1818 werden
6 Unglücksfälle des Monats August angeführt, worunter ein Mann aus
Crombach (?), ohne Namensangabe, der unter seinem Wagen durch
erlittene Quetschungen verstarb. Im Sterberegister der Gemeinde
Crombach fand sich nichts Zutreffendes. In der Sterbeurkunde von
Richterich wurde irrtümlich "Mimbach" geschrieben. Es könnte sich
folglich um unseren Fall handeln.
Leider sind weder im Lokalarchiv Richterich, noch in der Gemeinde
Herzogenrath, noch im Staatsarchiv Düsseldorf Unterlagen eines Polizei-
berichtes des Feldhüters Johann Nusbaum aus Forsterheid über den
Unfallhergang zu finden. Wohl befinden sich in den Gerichtsakten aus
dem Kreise Montjoie (Monschau) Berichte über 2 dieser 6 Unglücksfäl-
102
le, wo Fremdverschulden in Erwägung kam, nicht aber dieser
Karrenunfall. Somit halten sich unsere Ermittlungen an die Angaben aus
dem belgischen Archivgut und der Richtericher Sterbeurkunde.
N.B.: Vielleicht kann dieser Euregio-Beitrag auch dazu dienen, die
einstige Römersiedlung Richterich mit dem schönen belgischen Dorf
Membach etwas bekannt zu machen.
(Eupen, 1997).
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Sterbeurkunde des Lambert Bragard („Brackard“‘)
103
Die "'Dorfgeschichtliche Sammlung''
Lontzen
von Alfred Bertha
Ohne Gedächtnis ist der Mensch ohne Biographie, ohne Identität. Er
weiß nicht, woher er kommt oder wer er ist.
Ähnliches kann man auch von einer Dorfgemeinschaft sagen. Sie
braucht ein kollektives Gedächtnis, einen Ort, wo Erinnerungen wach-
gehalten werden.
Mancherorts stellen sich beim Sammeln von Erinnerungsstücken
Raumprobleme. Auch in Lontzen gab es solche und erst Ende1992, nach-
dem die Post das Haus in der Schloßstraße Nr.- 30 geräumt hatte, bot
sich die Gelegenheit, das bis dahin gesammelte Material zur Dorf-
geschichte in einem ansprechenden Rahmen auszustellen.
Dem Aufruf an die Bevölkerung, durch passende Exponate das in der
Entstehung begriffene Heimatmuseum zu bereichern, folgten recht viele
Lontzener. Alte Fahnen, Fotos, Ansichtskarten, Erzsammlungen,
Zeitungsberichte, Diplome und andere Dokumente, kurz: "alles, was sonst
verstaubt wäre" (Hr. Martinius), geben nun Einblick in das dörfliche
Leben von einst.
Aus dem 1983 abgerissenen Herbesthaler Bahnhof hatte die
Deutschsprachige Gemeinschaft neben den bekannten Sandsteinköpfen
der Hauptfassade auch einige interessante Wand- und Deckenpartien si-
chergestellt. Letztere fanden, fachmännisch durch Herrn Dieter Mar&chal
aufgearbeitet, im Dorfmuseum einen neuen Rahmen und wecken
nostalgische Erinnerungen. Die Köpfe ruhen noch, bis auf einen, im
Depot.
Ein Heimatkalender mit alten Dorfansichten aus der Gesamtgemeinde
(Lontzen, Herbestahl, Walhorn) - nun schon zum fünften Male erschie-
nen - sowie eine Buchveröffentlichung ("Im Zuge der Zeit - Beiträge zur
Geschichte der Ortschaft Herbesthal", 1995, 104 S., 600 F) zeugen von
der Vitalität der Verkehrsvereine, die auch damit einen wertvollen Bei-
trag zum Erhalt des kollektiven Gedächtnisses leisten.
Das Lontzener Dorfmuseum, im Sommer an jedem 1. und 3. Sonntag
im Monat und im Winter an jedem ersten Sonntag von 14-16,30 Uhr
geöffnet, ist getragen vom Verkehrs- und Verschönerungsverein und hat
mit den Herren Günter Martinius, Dieter Mar£chal sowie Albert und Carly
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Günter Martinius und Dieter Marechal
Cormann engagierte Mitarbeiter und Stützen, die es als Verpflichtung
ansehen, mit der "Dorfgeschichtlichen Sammlung" eine Brücke zur Ver-
gangenheit zu schlagen und letzterer eine Zukunft zu geben. Zu hoffen
ist, daß auch in Zukunft Vertreter der jüngeren Generation sich durch die
Mitarbeit im Heimatmuseum angesprochen fühlen und dessen weitere
gedeihliche Entwicklung sichern.
105
Gefangen
von Maria-Theresia Weinert
Tief im Verborgenen
ruht das Leben anders, als das,
was außen sich begibt.
Der Tag verlangt sein Recht,
und auch die Nacht noch
stecket Lichter auf,
die man nicht löschen kann,
und die Gewohnheit drückt den Stempel drauf.
Doch unter Asche langer Jahre
glimmt der Funke unsichtbar,
der Sehnsucht heißt,
nenn's Heimweh, oder Freiheit,
nenn's Hoffnung und Erinnerung zugleich,
gebunden an Geborgenheit und Ursprung,
der Funke, unlöschbar,
tief in den Kammern des Herzens
gefangen.
106
Jahresrückblick 1997
Herbert Lennertz
Auch im Jahre 1997 lagen die Schwerpunkte unserer Veranstaltungen auf
Vorträgen und Exkursionen.
Bei der Generalversammlung im vollbesetzten Select-Saal in Kelmis, am
19. Januar 97, konnte der Vorstand eine in jeder Hinsicht mehr als zufrieden-
stellende Bilanz vorlegen. Das Jahr 1996 hatte im Zeichen der Feiern zum 30jäh-
rigen Bestehen der Göhltalvereinigung gestanden und so war im 2. Teil des
Programms eine Retrospektive auf die großen Fahrten der letzten 30 Jahre an-
gesagt. Unser Vorstandsmitglied Alfred Jansen hatte das Beste aus dem reich-
haltigen Dia-Fundus hervorgeholt und konnte so manche Erinnerung wieder
wachrufen.
Wegen unvorhergesehener Umstände mußte der für den 27. Februar ange-
sagte Vortrag über „Leben und Wohnen mit nachwachsenden Rohstoffen‘ kurz-
fristig abgesagt werden.
Am 27. April boten wir eine gesteinskundliche Führung durch das „stein-
reiche Aachen“ an. Herr Dr. Nikolaus Schmitz, Mineraloge, zeigte den interes-
sierten „Göhltalern“ beim Gang vom Ponttor zum Markt, daß beim Häuser- und
Straßenbau neben den aus der näheren Umgebung Aachens kommenden Natur-
steinen eine große Vielfalt anderer Gesteinstypen - manche von weither an-
geliefert - Verwendung gefunden haben.
Zwei flämische Kunststädte: Diest und Lier waren das Ziel einer Tages-
fahrt, die unter der Leitung von A. Bertha am 25. Mai stattfand und viel Zu-
spruch erntete. Das Rathaus (mit Stadtmuseum), die St. Sulpicius-Kirche und
der guterhaltene Beginenhof waren die Schwerpunkte der Besichtigung in Diest,
während Lier, die Stadt des Felix Timmermans, an jenem Tage ganz im Zeichen
des Fußballes stand, kam doch der „Lierse‘“ mit dem Pokal des Landesmeisters
nach Hause ... Die Siegesfreude (3-0 gegen Standard Lüttich) gab dem Aufent-
halt in der Stadt eine besondere Note... St. Gummarus, der Zimmerturm mit der
astronomischen Uhr, der Beginenhof und der hübsche Marktplatz hinterließen
bleibende Eindrücke.
Viel Zuspruch fand auch unsere Moselfahrt am 22. Juni. Sie führte von
Cochem bis Senheim und begann mit einer Besichtigung der alten Reichsburg
Cochem. In Senheim erhielten wir im Weinmuseum der Familie Schlagkamp-
Desoye einen Einblick in die Landesgeschichte, den Weinanbau und die Geolo-
gie der Vulkaneifel. Zum Ausklang besuchten wir das malerische Örtchen Beil-
stein.
Unsere alljährliche Mehrtagesfahrt unter der Leitung des Vorsitzenden führte
1997 in die Provence, wo wir in Arles Quartier bezogen, um von dort aus einige
der besonderen Sehenswürdigkeiten dieses Landstrichs zu besichtigen. Auf den
Spuren. der Römer (Arles, Nimes, Pont du Gard ...) der mittalterlichen Päpste
108
bürgerstädtchen, zählt etwa 5000 Einwohner und hat es verstanden, die schwe-
ren Wunden des 2. Weltkrieges vergessen zu machen.
Die spätgotische Backsteinkirche St. Martin mit romanischem Westturm be-
herbergt drei Schnitzaltäre flandrischer Provenienz, von denen besonders der
Hochaltar (um 1520) mit 12 Bildern aus dem Leben Jesu zu den besten Arbeiten
der Antwerpener Schule zu zählen ist.
Ein Rundgang durch Linnich unter der Führung von Herrn Hans Kramp vom
dortigen Geschichtsverein endete im städtischen Museum, das die verschiede-
nen alten Handwerksberufe (Korbflechter, Schuhmacher, Steinmetz...) sowie
die Stadt- und Vereinsgeschichte ausführlich dokumentiert.
Linnich ist heute weltweit bekannt als Sitz des Großunternehmens PKL-
Verpackungssysteme, das allein hier 1.800 Mitarbeiter beschäftigt, die mit dem
„Combibloc‘“-System Verpackungen für Milch, Säfte, Suppen, Soßen ... ferti-,
gen. Bei einem Werksrundgang konnte diese Fertigung von der Papierrolle über
die Polyethylen- und Alu-Beschichtung bis zum Zuschneiden, Verkleben und
Verpacken verfolgt werden. Ein besonderes Erlebnis!
Am 23.9. führte H. Willi Palm eine Gruppe nach Aachen. Ziel waren die
jüdische Gemeinde in Aachen und ihre neue Synagoge.
Das nahe Stolberg nennt sich in einer Werbeschrift „die älteste Messing-
stadt“. Das mag für Deutschland stimmen. Zu unserem heimischen Erzbergbau
hat Stolberg dadurch eine besondere Verbindung, daß der Kelmiser Galmei bei
den Stolberger Kupferschlägern hoch im Ansehen stand.
Im Rahmen einer Stadtführung mit Frau Helma Proess] besichtigten wir am
27.9. einige der Zeugen der alten Messingindustrie, sog. Kupferhöfe, wo neben
geologischen auch montantechnische Einblicke vermittelt wurden.
Eine abschließende Führung durch das Museum „Zinkhütter Hof“ zeigte nicht
nur die vielen Verwendungsmöglichkeiten des Zinks, sondern auch die einzel-
nen Produktionsabläufe in der Nadelherstellung. Zudem ist das Museum ein
Beispiel gut gelungener Umgestaltung und Nutzung einer wertvollen Industrie-
architektur.
Unter den Nebenbächen der Göhl nimmt die Gülpe eine besondere Stellung
ein. 17 km legt sie zurück von der Quelle bei Henri-Chapelle bis zur Mündung
in die Göhl im niederländischen Gulpen. Den Lauf der Gülpe über Homburg,
Remersdael, Teuven, Slenaeken ... illustrierte am11. Dezember ein gut besuch-
ter Dia- Vortrag von A. Bertha.
Die Vereinsarbeit wurde 1997 arbeitsteilig wie schon 1996 fortgeführt. Lei-
der hatten wir am 14. Mai 1997 den Tod unseres langjährigen Vorstandsmitglie-
des Alfred Jansen zu beklagen, was in der Betreuung unserer Mitglieder des
Gemmenich-Moresneter Raumes eine schmerzhafte Lücke hinterläßt.
Wie vorgesehen erschienen wieder zwei Hefte unserer Zeitschrift „Im
Göhltal‘““, die Nummern 60 und 61.