Im Göhltal
ZEITSCHRIFT DER VEREINIGUNG
FÜR
KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
IM GÖHLTAL
Nr 61
August 1997
Veröffentlicht mit der Unterstützung des Kulturamtes der
deutschsprachigen Gemeinschaft
Vorsitzender: Herbert Lennertz, Stadionstraße 3, 4721 Neu-Moresnet.
Sekretariat: Maxstraße 9, 4721 Neu-Moresnet, Tel. 087/65.75.04.
Lektor: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Kassierer: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
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Die Beiträge verpflichten nur die Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten
Entwurf des Titelblattes: Alfred Jansen, Moresnet-Kapelle.
Druck.: Hubert Aldenhoff, Gemmenich.
3
Inhaltsverzeichnis
Alfred Jansen (+) Zum Umschlagbild S
Moresnet - Kapelle
H. von Schwartzenberg Burgunderabzeichen auf 11
Aachen alten Grenzsteinen
Maria-Theresia Weinert Am Schilfmoor 19
Aachen-Forst
Dr. Nik. Schmitz "Excursion nach dem Altenberge" 20
Aachen
Alfred Bertha "Zeit - Vertreib bey den 27
Hergenrath Wasseren zu Achen"
Firmin Pauquet Kelmis - La Calamine 31
Kelmis Ein Geschäftszentrum |
Alfred Bertha Vor 110 Jahren: 56
Hergenrath Eisenbahn Raeren - Eupen
Dr. Carlo Lejeune Kulturnation und Staatsnation 65
Büllingen
Jakob Langohr De Moddersproek 81
Bildchen
H. Debey u. F. Pauquet Erinnerungen an Laurent Fryns 83
_ Verviers/Kelmis
Alfred Bertha Ein Vieh- und Krammarkt für 88
Hergenrath Lontzen?
Jos. Langohr Un tableau du patrimoine culturel 94
Gemmenich de Gemmenich retrouve
Remy Hardy Du Val d’Enfer au Val de Vie 100
Moresnet - Kapelle
Der Vorstand In Memoriam Alfred Jansen 102
König - Baudouin - Der Fonds für Kulturerbe und 103
Stiftung Denkmalschutz
8
Zum Umschlagbild
Schloß Waldenburgshaus in Merols *
von Alfred Jansen
Unweit der Brigida-Kapelle von Merols, an der über den Höhen-
zug zwischen Kettenis und Walhorn führenden alten Römerstraße
Membach-Kornelimünster, der heutigen Hochstraße, liegen zwei
größere Häuser, und zwar das Philippenhaus und das Waldenburgs-
haus, beide entstanden aus dem Stocklehen und Schloß Merols,
dem ursprünglichen „Hooghuys‘“ von Merols, das ein Lehen des
Aachener Marienstiftes war. Seit 1589 unterscheidet man zwischen
Hof Merols (später Hagenhaus, heute Philippenhaus) und Schloß
Merols (Waldenburgshaus).
Letzteres verdankt seinen Namen der Familie von Waldenburg,
die 1661 als Eigentümerin des Hauses erscheint.
Die Geschichte der Burg Merols läßt sich in den Lehensregistern
des Aachener Marienstiftes bis ins Ende des 14. Jh. zurück-
verfolgen. Der erste uns bekannte Besitzer war Johann P(a)rys
von Rabotrath. Er starb 1397. 1476 erwirbt die Burg Johann Bertolf
von Belven. Die folgenden Besitzer sind der gleichnamige Enkel,
sodann der Urenkel Simon Bertolf von Belven. Dessen Tochter
Odilia heiratet den Junker Wilhelm Crümmel von Rave, der die
Burg 1528 releviert und sie seinem Sohn Balduin bei dessen Hei-
rat (1560) schenkt.
Balduin Crümmels Tochter Christine heiratet Johann von
Horpusch, der die Burg 1589 dem Dietrich Bertolf von Belven
und dessen Gattin Christine von Hanxler überläßt. Deren Sohn
und Erbe Simon Bertolf von Belven war Kanoniker des
Marienstiftes von Aachen. Die Erben verkaufen das Haus im Jah-
re 1626 an den Junker Heinrich von dem Hof (van den Hove)
genannt Carsfeldt und dessen Gattin Barbara Schuyl aus Walhorn.
Nach dem Tode ihres Mannes geht letztere eine neue Ehe ein mit
Laurenz de Meuth, Leutnant in spanischen Diensten, der das
„Hooghuys“ 1637 releviert.
Aus dieser Ehe stammt eine Tochter, die mit Isaac Paneman
verheiratet war und im Jahre 1661 ihr Erbe dem Kavallerieoberst
* Aus G. Poswick, Les Delices du Duche de Limbourg, Verviers 1951, S. 345.
6
Andre von Waldenburg und dessen Gattin Katharina Zinnerbade
verkauft. Nach dessen Tod kommt die Burg an den Sohn Johann
Franz von Waldenburg, seines Zeichens kaiserlicher Generaloberst.
Er schenkt oder überläßt das Haus im Jahre 1696 seinem Bruder
Maximilian Wilhelm Hubert von Waldenburg, Meier von Eupen
1721-1727, der im ersten Viertel des 18. Jh. dem Besitz auch sei-
nen heutigen Namen gibt.
Obschon zweimal verheiratet, scheint der neue Besitzer doch
ohne direkte Erben gestorben zu sein, denn Haus Waldenburg fiel
an den ältesten Neffen, Hyacinth Joseph Andre von Waldenburg,
Kapitän im österreichischen Regiment des Feldmarschalls
Königseck, verheiratet mit Marie Francoise de Royer von Liberme. .
Dieser überläßt Waldenburg im Jahre 1773 seinem Schwager
Jakob Alexander de Royer, Besitzer des in der Nähe liegenden
„Hofs Merols“ , des heutigen Philippenhauses, der das Anwesen
im Jahre 1776 den Gebrüdern Nikolaus Johann und Peter Franz
von Hodiamont verkauft. Der Erstgenannte heiratet 1788 die Ba-
ronin von Fromenteau von Ruyff.
Waldenburg kommt auf dem Erbwege an den schon genannten
Nikolaus Johann von Hodiamont sowie an die beiden Töchter des
Peter Franz von Hodiamont, Charlotte Angeline und Sophie
Lambertine von Hodiamont.
Während die Erstgenannte ledig blieb, heiratete die zweite Wil-
helm Anton Johann Joseph de REsimont von Schloß Bempt in
Moresnet. Diese Eheleute hatten sechs Kinder, in deren Besitz
Waldenburg lange Jahre verblieb.
Laut notarieller Urkunde vom 30.8.1905 beschlossen diese Er-
ben, d. h. Alfons, Viktor, Z&non und Marie de RE&simont sowie
Emma, verheiratet mit Baron Voorst tot Voorst, und die drei Kin-
der des schon verstorbenen Bruders Constantin eine einstweilige
Teilung des von den Eltern und der Tante mütterlicherseits
hinterlassenen Vermögens. Waldenburg kommt 1907 an die bei-
den Töchter des verstorbenen Constantin von REsimont, Henriet-
te und Victorine de REsimont.
Die beiden Damen mußten sich aber 1918 wegen zu hoher
Schuldenlast des Besitzes wieder entledigen und verkauften Wal-
denburgshaus an Herrn Julius Keller, der es 1920 an Andreas von
Cortenbach weiterverkaufte. Bei dessen Tod im Jahre 1946 erbten
4
es die Witwe und die vier Kinder Therese, Mathilde, Ernst und
Andre Franssen von Cortenbach. 1966 erwarb es von den Erben
des Herrn Ernst Franssen von Cortenbach der Stolberger Indu-
strielle, Konsul Kurt Emil Adolf.
Von der ersten Anlage von Burg Merols, die ihren ursprüngli-
chen Namen „Hooghuys“ entweder von der Lage oder vom äuße-
ren Erscheinungsbild - einem mittelalterlichen Wohnturm - be-
zog, ist nichts geblieben.
Die größten Um- und Anbauten erfuhr Waldenburgshaus durch
Andreas von Waldenburg, der das Haus von 1661 bis zu seinem
Tode am 2. Juli 1694 besaß. Er ließ nicht nur, wie aus Zahlen- und
Wappensteinen hervorgeht, neue Wirtschaftsgebäude errichten;
auch das Schloß bekam damals sein heutiges Aussehen.
Die Gebrüder Nicolaus Johann und Peter Nic. Franz von
Hodiamont „erneuerten und verschönerten nicht nur das Schloß,
sondern auch den Hof, der nunmehr aus zwei Höfen besteht, leg-
ten einen schönen Garten an, welchen sie mit Bäumen von wohl-
schmeckendem Obste, Weinstöcken etc. versahen, und der über-
aus anmuthig und zierlich eingerichtet ist. Spaziergänge, von ho-
hen Baumreihen eingefaßt, verzieren die angenehme Umgebung.
Teiche(n), gut geleitet, umgeben Garten und Schloß. Gewiß ist
dieses Eins der schönsten Schlösser des Kreises und bietet einen
genußreichen ländlichen Aufenthalt dar. Die freundliche Frau Wit-
we von Hodiamont und eine ihrer lieben Töchter bewohnen das-
selbe.“
Worin die in vorstehenden Zeilen von Ch. Quix genannte „Er-
neuerung und Verschönerung“ des Schlosses bzw. die vorgenom-
menen baulichen Änderungen bestanden haben, läßt sich leider
nicht genau feststellen.
Am Samstag, dem 13. Dezember 1975, gegen 21 Uhr wurde
Waldenburgshaus durch einen im Dachstuhl ausgebrochenen Brand
schwer beschädigt. Der damalige Eigentümer, Konsul Adolf aus
Stolberg, war bei Brandausbruch im Jagdzimmer im Parterre; das
Hausmeisterehepaar Ernst, das das obere Stockwerk bewohnte,
war abwesend.
Draußen herrschte eine Temperatur von minus 7 Grad, was die
Löscharbeiten der Feuerwehr erheblich erschwerte. Hinzu kam,
daß der große Leiterwagen der Feuerwehr die zu niedrigen Tore
8
der Wirtschaftsgebäude nicht passieren konnte, so daß die Wehr-
männer den Brand nicht von oben bekämpfen konnten und ihnen
nichts anderes übrigblieb, als mit behelfsmäßigen Pumpen von
innen gegen das Feuer anzugehen.
Der Brand zerstörte kostbare Möbel und andere wertvolle Kunst-
gegenstände, wobei das gefrierende Wasser den entstandenen Scha-
den noch vergrößerte.
1977 erwarb Herr Alfons Knauf aus Aachen die Schloßruine,
die er stilgerecht wieder aufbauen ließ. Gleichzeitig wurden auch
die verlandeten Wassergräben wieder entschlammt. Diese werden
von Norden durch Oberflächenwasser gespeist und besitzen ei-
nen Überlauf nach Süden, zum ehemaligen Steinbruch hin. #
Leider war in der Zwischenzeit ein besonderes Kleinod von
Waldenburgshaus verloren gegangen. Es handelt sich um den be-
rühmten Stucksaal des Italieners Gagini aus dem Jahre 1805. Die
kostbaren Stuckarbeiten hatten den Brand und die Wasserschäden
zwar überlebt, waren dann aber über mehr als ein Jahr den
Witterungseinflüssen schutzlos ausgesetzt gewesen. Die Stuck-
reliefs wurden herausgetrennt und verschwanden ...
Von außen läßt das heute wieder aufgebaute Haus, das seit 1983
im Besitz von Familie Magis ist, die Katastrophe vergessen. Mit
einer Freitreppe an der Südseite und den im Stile Louis XIV ge-
haltenen Fenstern an der zur Hochstraße hin gerichteten Nord-
seite macht der Herrensitz aus Feldbrand über Blausteinsockel
unter mächtigem Walmdach trotz einfacher Linienführung einen
beachtenswerten Eindruck, der noch durch die langgestreckten
Wirtschaftsgebäude aus Kalkstein harmonisch abgerundet wird.
Die Familie von Waldenburg hatte, wie viele andere Familien
des Walhorner Landadels, eine Grabstätte in der Walhorner Pfarr-
kirche besessen, die sie mit dem Schloß, dem Krümmel-Lehen,
erworben hatte. Sie lag im Mittelgang, rechts neben dem der Fa-
milie gehörenden Stuhl.
Die Hodiamonts nennen ganz bewußt ihr Haus „Schloß Merols“‘.
An die früheren Besitzer von Waldenburgshaus, die Familie von
Hodiamont, erinnert ein neugotisches Grabmal auf dem Walhorner
Friedhof.
Die Inschriften lauten:
10
Seine Hochwohlgeb. Ehegattin
M. Lambertine V.A.
Freifrau de Fromentau de Ruyff
geb. zu Hodimont den 11. April 1760.
gest. auf Schloß Merols den 8. Aug. 1846.
Die Seitenfelder tragen die Inschriften:
1. „Der Hochwohlgeb. J. Edmund
Freiherr von Hodiamont von Eupen
geb. den 18. Mai 1825 zu St Louis Missouri
gest. den 15. Aug. 1855
auf Schloß Bempt zu Moresnet‘““ .
2. „Hier ruhen im Frieden
Constantin de Resimont
geb. 13. Okt. 1826
gest. 11. Febr. 1905
und Gemahlin
Adöle de Fabribeckers
geb. 10. Juli 1833
gest. 14. Dez. 1907"
Quellen
Denkmälerverzeichnis Eupen (b), Hrsg. von der Verwaltung der Deutschspra-
chigen Gemeinschaft, Eupen 1989, S. 216-219
Gielen, V., Die Mutterpfarre und Hochbank Walhorn, 3. Aufl. 1987, S. 200-204
Grenz-Echo, 15. Dez. 1975
Grondal, G., Kettenis, Notices historiques, Dison 1966, S. 46-52
Heeren, Bernhard, „Kettenis‘“, Markus-Verlag, Eupen, S. 20-22
Poswick, G., Les Delices du Duche de Limbourg, Verviers 1951, S. 343-348
Quix, Chr., Beiträge zu einer historisch-topographischen Beschreibung des Krei-
ses Eupen, Aachen, 1837, S. 117-125.
11
Burgunderabzeichen auf alten
Grenzsteinen
von Heinrich von Schwartzenberg
Es ist schon viel geschrieben worden über den Königswald, über
seine Historie, seine geographische Lage, über die Standorte sei-
ner Grenzsteine und zuletzt über seinen Namen (1).
Der Königswald ist bekanntlich jenes trapezförmige Waldstück,
das im Jahre 1615 in der Regierungszeit von Albert und Isabella
als Pufferzone zwischen dem Aachener Reich und der
limburgischen Bank Montzen geschaffen worden ist.
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Abb. 1: Erzherzog Albert, Statthalter der span. Niederlande (1598-1621),
und Isabella als Auflage auf einem Raerener Krug (2)
Heute immer noch „Königswald“ genannt, liegt das Waldstück
zwischen dem Dreiländerpunkt und der Lütticher Straße, teils auf
belgischem und teils auf deutschem Gebiet. Während die Grenze
des Aachener Reiches bereits zu jener Zeit mit den Aachener Adler-
steinen markiert war, wurde die westliche und südwestliche Seite
des Königswaldes von 1615 bis 1724 mit den sogenannten
12
Burgundersteinen versehen, die heute noch zum größten Teil vor-
handen sind.
Das französische Herzogtum Burgund wurde im Jahre 1363 dem
jüngsten Sohn des französischen Königs Johann II., Philipp dem
Kühnen (1363-1404), verliehen. Philipp und seine Nachfolger,
Johann der Unerschrockene und Philipp der Gute, erwarben von 1384
bis 1428 Flandern, Artois und die Franche-Comt€, Charolais, Bou-
logne und Namur hinzu. Im Jahre 1430 wurden unter Philipp dem
Guten auch Brabant und Limburg Burgund einverleibt. Durch die
Heirat der Erbtochter Karls des Kühnen (Maria) mit Maximilian I.
von Österreich im Jahre 1477 kamen die burgundischen Besitzun-
gen (außer dem Herzogtum Burgund selbst, Boulogne und die
Pikardie, die an Frankreich zurückfielen) an die Habsburger (3).
Obwohl die Pufferzone „Königswald“ erst im Jahre 1615 in
der Regierungszeit des Erzherzogs Albert und der Infantin Isabel-
la geschaffen wurde, versah man die Grenzsteine 1615 bzw. in der
Folgezeit mit den alten Burgunderabzeichen „Goldenes Vlies“,
„Briquet‘“ und „Ast- oder Andreaskreuz‘‘, die die Habsburger von
den Burgundern übernommen hatten.
(S. Abb. 2, 3, 4).
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Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Grenzstein
Grenzstein mit dem Grenzstein mit dem Ast- oder
Goldenen Viies mit dem Briquet Andreaskreuz
Nachfolgend wird auf die Entstehung und Entwicklung der
Burgunderabzeichen eingegangen.
B
Das Goldene Vlies (französisch: Toison d’or) (4)
Der Orden vom Goldenen Vlies ist am 30. Januar 1429 vom
Herzog von Burgund, Philipp dem Guten, als Ritterorden gestiftet
und wohl im Jahre 1430 offiziell eingeführt worden. Als Schöpfer
der Kette des Ordens gilt der Goldschmied Jean Peutin aus Brügge.
Dem Ritterorden durften satzungsgemäß nur 31 Mitglieder aus
dem Fürsten- und Feudaladel angehören. Die Großmeisterwürde
ging durch die Heirat Maximilians mit der Erbtocher Karls des
Kühnen im Jahre 1477 an das Haus Habsburg. Großmeister des
Ordens vom Goldenen Vlies wurde 1577 Philipp II. von Spanien
(1556-1598), der auch über die spanischen Niederlande und so-
mit über Limburg regierte. Er hatte die Befugnis, Mitglieder selbst
zu ernennen und die bislang eingeschränkte Mitgliederzahl auf-
zuheben.
Nachdem der spanische Zweig der Habsburger erloschen war
(Spanischer Erbfolgekrieg), nahmen sowohl Karl VI. von Öster-
reich (1711-1740), als auch Philipp V. von Spanien (1700-1746)
das Recht der Ordensverleihung für sich in Anspruch, was noch
lange zwischen den Nachfolgern strittig war. So kam es, daß so-
wohl Österreich als auch Spanien den Orden weiter vergaben.
Auf vielen Bildern jener Zeit wurden die Herrscher mit dem
Orden vom Goldenen Vlies dargestellt, wie der Holzschnitt von
Albrecht Dürer mit dem Bildnis von Kaiser Maximilian zeigt (s.
Abb. 5). Auch das berühmte Gemälde von Tizian zeigt Kaiser Karl
V. mit dem Orden vom Goldenen Vlies.
Der Orden vom Goldenen Vlies besteht im wesentlichen aus
drei Elementen:
1. Dem Goldenen Vlies selbst, das in Anlehnung an die griechi-
sche Sage (6) aus einem goldenen Widderfell besteht. Bei den
Burgundern soll das Widderfell ein Hinweis auf Flanderns Tuch-
fabrikation gewesen sein.
2. Dem Feuerstahl (7), von dem nach beiden Seiten mehrere
Strahlen und Funken ausgehen.
3. Dem Briquet, eine an einen Flint- oder Feuerstein erinnernde
Darstellung (s. nächster Abschnitt).
Auf einem Grenzstein der Burgunderlinie sind die drei Elemente
übereinander dargestellt (s. Abb. 2).
Der Orden vom Goldenen Vlies wurde früher häufig an einer
16
Die Insignien des Ordens vom Goldenen Vlies erscheinen auch
immer wieder auf Münzen, z. B. auf den Kronen männlicher Herr-
scher, also nicht auf den Talern der Maria Theresia.
Das Briquet (9)
Das Briquet ist ein Bestandteil des Ordens vom Goldenen Vlies.
Nach Liese setzt es sich aus eigenartig geformten Flint- oder Feu-
ersteinen zusammen, deren Oberteil in eine Art „B“ bzw. umge-
kehrtes „B“ ausläuft. Da man dieses „B“ auch für eine Krone hält,
spricht man von einem Briquet couronne. Immer zwei dieser mit
„B“ geschmückten Briquets sind einander zugekehrt und bilden in
der Ordenskette eine Einheit. Auf dem Grenzstein der Burgunder- .
linie ist nur ein einteiliges Briquet dargestellt (s. Abb. 3).
Das Ast- oder Andreaskreuz (10)
Der Apostel Andreas war ein Bruder des Apostels Petrus. Er
wurde nach der Legende an einem schrägen Kreuz gekreuzigt.
Deshalb nennt man ein Schrägkreuz in Gestalt des Buchstabens X
auch Andreaskreuz. Das Andreaskreuz, aus zwei Knorrenästen ge-
bildet, daher auch „Astkreuz‘“ genannt, war ein Emblem der Her-
zöge von Burgund. Weil der hl. Andreas (Namenstag 30.11.)
Schutzpatron von Burgund war, wird dieses Kreuz auch als
Burgunderkreuz bezeichnet. Dieses Zeichen ist auch als Folge der
Heirat der Erbin des Herzogtums Burgund, Maria, mit Maximili-
an im Jahre 1477 in die habsburgische und kaiserliche Emblematik
eingegangen. Es erscheint auch öfter verschränkt mit dem Feuer-
stahl des Ordens vom Goldenen Vlies.
Auch auf Münzen jener Zeit ist der hl. Andreas des öfteren zu
sehen.
Die folgende Abbildung zeigt einen Andreastaler des Bischofs
von Minden. Man kann jedoch sagen, daß die Burgunder diese
Emblematik zuerst angewandt haben. Der Heilige verschwindet
nach und nach, nur die beiden Stäbe in Form des Schrägkreuzes
bleiben. Zuletzt erscheint es, kaum noch als solches zu erkennen,
auf einer Münze der Maria Theresia (1740-1780).
17
N I Die Embleme des
KAT (95) N Burgunderkreuzes und
N ) AA Pf Se des Goldenen Vlieses sind
/) N NÖ 8 CD besonders häufig in der
Ss BE ARENA SI a Regierungszeit von Albert
VEN SA ESN und Isabella (1598-1621)
((<l DAB # AM ET I angewendet worden, wie
x er BES ;
7 Ns AU 3 auch Zollzettel aus jener
N 4 Öl NZ Zeit beweisen.
AS
Abb. 8: Andreastaler von 1624 (11)
Zeitpunkt der Entstehung der Grenzsteine
Zum Zeitpunkt der Entstehung der Grenzsteine ist zu sagen,
daß der eine noch existierende Stein mit dem Orden vom Golde-
nen Vlies die Jahreszahl 1615 trägt. Auch der einzige noch vor-
handene Stein mit dem Briquet scheint aus dem Jahre 1615 zu
stammen.
Alle übrigen noch vorhandenen Grenzsteine sind mit dem Ast-
oder Andreaskreuz versehen und tragen meist die Jahreszahl 1723
oder 1724. Während also die beiden erstgenannten Grenzsteine
ihren Ursprung in der spanischen Zeit haben, stammen die übri-
gen erst aus der österreichischen Zeit.
Anmerkungen
1. Vergl. Zeitschrift „Im Göhltal‘“ 22/1977 und 59/1996
2. Kohnemann: Auflagen auf Raerener Steinzeug. Raeren 1982,
S. 152
3. Lingen-Lexikon. Freiburg 1975. Bd. 3, S. 42
4. Rittmann (Hrsg.): Deutsches Münzsammler-Lexikon, S 131/132
Lexikon der Numismatik. Berlin 1976, S. 265
Liese: Vom Aachener Stadtwald. Aachen 1930, S. 14/15
5. Stange: Albrecht Dürer, Vollmer-Kunstbücher. Wiesbaden-Berlin. 0. J., S.
28
6. Das Goldene Vlies ist in der griechischen Sage das Fell des goldenen Wid-
ders, der Phrixos und Helle über den Hellespont trug. Die Zurückholung des
Goldenen Vlieses aus Kolchis war die Aufgabe der Argonauten (Lingen-
Lexikon. Bd. 7, S.316).
18
7. Feuerstahl ist in der Heraldik eine dem Werkzeug Feuerstahl (womit früher
durch Schlagen von Eisen und Stein Feuer erzeugt wurde) ähnliche Figur,
die häufig an Ordensketten Verwendung fand.
8. Der kurkölnische Premierminister Freiherr Adolf von Plettenberg kaufte 1722
die Reichsherrschaften Slenaken, Eys und Wittem und das Schloß Neubourg.
Als Herr dieser Reichsherrschaften erlangte er 1724 die Standeserhöhung zum
Reichsgrafen. Seinem Mäzenatentum verdanken Eys und Wittem die Kirchen-
bauten des berühmten westfälischen Baumeisters Johann Conrad Schlaun
(Kottmann in AVZ v. 31.7.95). Die Reichsherrschaft Wittem reichte bis an die
Grenze des Aachener Reiches, dort, wo heute noch die Gemeinde Wittem an
Aachen grenzt. Ein Grenzstein mit einem „W*“ steht heute noch an der deutsch-
niederländischen Grenze hinter Orsbach bei Grenzstein 201 A.
8a. Wieland: Herrschaft und Schloß Schwarzenberg, Scheinfeld 1983, S. 8
9. Liese, a. a. O., S. 14
10. Rittmann, a. a. O., S. 19 I
Liese, a. a.0., S. 15
11. Rittmann, a. a. 0., S. 19
Fotos 2, 3, 4, 6 vom Verfasser
& 19
Am Schilfmoor
von Maria-Theresia Weinert
Wie hohe Speere schließt das Schilf
den Bannkreis um die Kolben,
die - wie aus zartem, braunem Samt -
mit Gold bestäubt, im Tümpel stehn.
Wer will durch diesen Wall der Lanzen
in jenen grünen Zauber gehen?
Die Mückenschwärme tanzen
im Dunst vom Moore, wie betäubt,
die Büschelgräser täuschen,
um die der frühe Nebel zieht ...
der Boden schwankt,
es gurgelt dumpf,
der rote Sonnenball erglüht
und zittert auf dem Sumpf.
20
„Excursion nach dem Altenberge“
Bericht über eine Grubenbefahrung aus dem Jahre 1847
von Dr. Nikolaus Schmitz
Bei der Suche nach alten Literaturstellen zur Montangeologie
und -technik des „Altenberg“ stieß ich auf einen interessanten Text
aus dem Jahre 1847. Im September jenes Jahres fand nämlich in
Aachen die 25. Versammlung der „Gesellschaft Deutscher Natur-
forscher und Ärzte“ statt. Im Rahmen des Tagungsprogramms der,
„Section für Geologie, Mineralogie und Geographie“ wurde u. a.
am Donnerstag, dem 23. September 1847, eine Exkursion zum
Altenberg veranstaltet. Der darüber angefertigte Bericht (1) wur-
de durch Rudolph von Carnall (Oberbergrat in Bonn) und Dr. H.
Bleibtreu aus Bonn verfaßt. Er ist vor allem deswegen lesenswert,
weil er einerseits eine zeitgenössische Darstellung damaliger Ver-
hältnisse liefert und andererseits - für den heutigen Leser wohl
recht gefühlvoll - die traditionelle bergmännische Gast-
freundlichkeit vor nunmehr 150 Jahren beschreibt.
Ich habe mich dabei an eigene Erlebnisse aus meiner Studenten-
zeit und meinen frühen Berufsjahren erinnert, sei es auf
Befahrungen kleiner Gruben im deutschen oder sonstigen mittel-
europäischen Metallerzbergbau der 60er und 70er Jahre, sei es auf
Besuchen und Einladungen bei großen Bergbaugesellschaften des
südlichen Afrika oder des Mittleren Ostens. Häufig genug wurde
der Aufenthalt einer Besuchergruppe - vor allem auf abgelegenen
Bergwerksanlagen im Busch oder in der Wüste - zu einem ausge-
lassenen Familienfest für das gesamte Gruben-Management.
Ganz so weit ging man 1847 am Altenberg nicht, doch lesen
wir selbst in der damals üblichen Schreib- und Ausdrucksweise ...
„Die Sitzung (2) wurde schon um 11 Uhr geschlossen, worauf
die Mitglieder der Section mit den übrigen Theilnehmern an der
Excursion nach dem Altenberge
zu gemeinsamer Fahrt zusammen traten.
28
Das große Galmeilager vom Altenberg (vieille montagne ) liegt
zwei Stunden von Aachen, auf dem kleinen, zwischen Preußen
und Belgien ungetheilten Landesgebiete, welches gewöhnlich das
neutrale Gebiet genannt wird. Die naturforschenden Freunde fuh-
ren in einer bedeutenden Anzahl Wagen dahin. Bei der Ankunft
an dem Werke erschollen Böllerschüsse so zahlreich hinter einan-
der, als wollten sie nicht endigen. Der Director des Werkes, Herr
Saint Paul de Sincay (3), empfing und führte die Gäste zunächst
zu dem großartigen Tagebaue, einer ungeheuren offenen
Aushöhlung unter der ehemaligen Oberfläche, entstanden durch
die Gewinnung des Galmeis, welche hier seit einer Reihe von Jahr-
hunderten geführt und noch immer sehr lebhaft fortgesetzt wird.
Im Inneren dieser Aushöhlung oder großen Pinge hielt der lange
Zug der Naturforscher in der Begehung still. Herr Oberbergrath
von Carnall (4) nahm das Wort und hielt einen höchst belehren-
den Vortrag über die räumlichen Verhältnisse, die Art der Ein-
lagerung und die technischen Beziehungen der Lagerstätte, aus
welchem sich ergab, daß dieselbe noch sehr große und mächtige
Reichthümer von Galmei in sich schließt. Herr Geheime Bergrath
Nöggerath reihte daran einige Bemerkungen über die Entstehung
dieser Lagerstätte; er behauptete ihren neptunischen Ursprung (5)
und bezog sich dabei auf einen anderen umständlichen Vortrag
(6), den er zu Aachen in der Sectionssitzung über denselben Ge-
genstand gehalten hatte. Hierauf wurde nun die nähere Besichti-
gung der mauerartig sich erhebenden Wände von reinem Galmei
und die Bearbeitung derselben vorgenommen. Wie die Gesellschaft
endlich aus der Tiefe der Pinge herausgetreten war, erfolgte auf
ein gegebenes Signal die Abbrennung einer großen Anzahl zum
Sprengen im Galmei gebohrter Löcher. Der Effekt dieser nicht
auf einmal, sondern in kurzen Intervallen nach einander erfolgen-
den Sprengschüsse (7), verbunden mit dem Auffliegen der dadurch
gelösten Galmeimassen in der Pulverdampfwolke war imposant;
die dumpfen Töne erschallten fremdartig aus dem Grunde der tie-
fen Pinge. Noch wurde die Besichtigung der Massen, welche die
Galmeilagerstätte begränzen (8), vorgenommen, die Vorräthe des
bereits gewonnenen reichen Zinkerzes untersucht, die Hüttenan-
lagen (9) nach der ganzen Reihenfolge der Vorrichtungen und
Manipulationen zur Darstellung des Zinkmetalls in Augenschein
genommen. Darauf lud der Director des riesigen Werkes, Herr Saint
22
Paul de Sincay, die Gäste zum Mahle ein. In einem geschmack-
voll und reich decorirten Zelte, welches zu diesem Zweck errich-
tet war standen drei Reihen Tische; die mittlere derselben war mit
herrlichen Stufen (10) alles Vorkommens am Altenberg bedeckt
und zu Geschenken an die Gesellschaft bestimmt; die beiden seit-
lichen Tafelreihen waren auf das Geschmackvollste geziert und
reichlich mit kostbaren Speisen besetzt, die besten Weinsorten flos-
sen in Fülle (sic!). Ein aufgestelltes Musikchor erhöhte noch die
Freude des Mahles ... Herr Geheime Bergrath Nöggerath brachte
der Gesellschaft des Altenberges und deren Directoren in der ge-
wohnten launigen und geistreichen Weise einen Toast, worin die
Anwesenden freudig einstimmten. Herr Director de Sincay brach- +
te dann den deutschen Naturforschern in den wärmsten und be-
geistertsten Ausdrücken ein „Hoch“ aus und Herr Professor Wiebel
ließ die rheinischen freundlichen Berggeister, den Geheimen
Bergrath Nöggerath und Oberbergrath von Carnall hoch leben.
Diesen Toasten reihten sich noch viele andere an und die freudigste
Stimmung herrschte überall. Erst gegen Abend nahm die Gesell-
schaft Abschied von den freundlichen Bewirthern und Alle stimm-
ten darin überein, daß dieser Tag einer der lehrreichsten und schön-
sten gewesen sei, welche sie je bei einer Versammlung der Natur-
forscher verlebt hätten. Bei der Abfahrt nach Aachen ertönte aber-
mals ein Lebehoch der Gesellschaft de la grande calamine, und
es hallten die Schläge einer Batterie weit in die Berge.“ —
Ebenfalls aus dem Jahr 1847, nämlich vom 26. Mai, datiert ein
Grubenriß des „Altenberg‘“ im Maßstab 1:1000 („Plan Superficiel
de l’exploitation de Moresnet‘“). Dieser Plan befindet sich im
Privatarchiv von Herrn Firmin Pauquet, Kelmis, der mir freundli-
cherweise Einblick und Benutzung gestattete. Es bietet sich also
an, zugleich mit dem obigen zeitgenössischen Exkursionsbericht
den bergbaulichen Zustand am „Altenberg“ zu erläutern und den
genannten Plan hier vorzustellen. Er stammt aus der Hand von
Adolphe van SCHERPENZEEL-THIM, der 1846 als 22jähriger
Absolvent der Universität Lüttich zum Direktor des Moresneter
Betriebs bestellt wurde. Er war der erste vollausgebildete Berg-
23
ingenieur am „Altenberg“ und sorgte für eine rasche
Modernisierung der örtlichen Montanbetriebe. Der von ihm er-
stellte Plan - am „Altenberg“ zeichneten anfänglich die Gruben-
direktoren ihre Pläne noch eigenhändig - gehört mit zu den ganz
frühen zeichnerischen Darstellungen, in denen auf lokale
geologische Gegebenheiten Bezug genommen wird. Aus dem glei-
chen Jahr stammen übrigens zeichnerische Darstellungen der
geologischen Verhältnisse am „Altenberg“ von Rudolph von
CARNALL, die aber leider bisher nicht aufzufinden waren
(SCHMITZ 1995).
„Direktor Thim“, wie er später immer genannt wurde, über-
nahm den „Altenberg“ zu einem schwierigen Zeitpunkt. Es stand
nämlich mit der weitgehenden Erschöpfung des Nordlagers u. a.
die Frage an, wie man die restlichen Vorräte dieses Lagerstätten-
teils hereingewinnen sollte, im Tagebau oder im Untertagebetrieb.
Van Scherpenzeel-Thim schlug 1846 vor, wegen der inzwischen
erreichten Tieflage der untersten Abbausohle von dort eine 4,5 m
breite Rampe.hinauf bis zum nordöstlichen Tagebaurand anzule-
gen und dort eine dampfmaschinenbetriebene gleisgebundene
Förderanlage einzurichten. Eine andere Variante schlug von Carnall
vor; er favorisierte eine Schachtanlage, damit also einen Unter-
tagebetrieb zur Gewinnung der Restvorräte, wobei er allerdings
die Rampenlösung Thims nicht in Frage stellte. Im November 1846
begann man mit dem Bau der Rampe (35 m lang und 60° Nei-
gung), die erst 1848 fertiggestellt werden konnte (PAUQUET,
SCHMITZ 1997). Diese Förderrampe ist auf der Maugendre-Li-
thographie „Moresnet (territoire neutre), Gite Nord & plan inclin&“
abgebildet. Der genannte Plan Thims aus dem Jahre 1847 zeigt
keine Hinweise auf die im Bau befindliche Förderrampe auf der
SE-Flanke des Tagebaus; er gibt also offensichtlich die Verhält-
nisse vor Baubeginn wieder.
Diese stellen sich folgendermaßen dar:
Der Tagebau verläuft NE-SW, also im geologischen Streichen;
seine größte Tiefe beträgt ca. 30 m, seine streichende Länge etwa
450 m und die größte Breite rund 130 m. Der größte Teil seiner
Erstreckung entfällt auf das weitgehend abgebaute Nordlager, an
dessen SW-Ende im „Dolomit-Keil‘“ der historische und noch
immer in Betrieb befindliche Pumpenschacht steht. Außer diesem
sind 9 weitere Schächte eingetragen; diese sind von NE nach SW
24
- ein unbenannter Schacht vermutlich noch aus österreichischer
Zeit. Es handelt sich höchstwahrscheinlich um den im äußersten
NE gelegenen Schacht auf dem MENNICKEN-Plan von 1773.
Dessen Sohle lag seinerzeit etwa 60 m unterhalb des Tagebau-
randes auf dem Niveau der im Liegenden des Nordlagers aufge-
fahrenen Strecke, die zur Entwässerung des Tagebau-Untergrundes
mit leichtem Gefälle zum Pumpenschacht hin angelegt war. In
diesem NE-Bereich des Tagebaus ist das Nordlager schon seit lan-
gem abgebaut.
- ein an der tiefsten Stelle des Tagebaus gelegener Schacht („al-
ter Grundschacht‘“ nach PAUQUET, unveröffentlichtes Manuskript
1997) :
- ein Wetterschacht („Bure d’ Airage‘“‘)
- der genannte Pumpenschacht („Bure des pompes“‘) im „Dolomit-
Keil“
- ein Schacht „St. Paul‘, nach dem damaligen Generaldirektor
benannt; übrigens der erste Schacht, der nicht mehr mit Zahlen
oder Buchstaben gekennzeichnet wurde
- 4 Schächte im Südlager (A, D, E, unbenannt)
- ein neuer Schacht („Nouveau Bure*‘) außerhalb des Südlagers,
halbwegs zwischen diesem und der Zinkhütte an der heutigen
Lütticher Straße; es dürfte sich um den künftigen „Mosselman-
Schacht“ handeln
Weitere erwähnenswerte Montananlagen auf dem Plan sind das
historische Wasserrad zum Pumpenantrieb, eine unmittelbar da-
neben gelegene Schmiede und schließlich der Zinkhütten-Komp-
lex. Auch der Dienstsitz des Grubendirektors, Teil des heutigen
„Park-Caf&s“, ist eingetragen. Dieses Gebäude wurde ja als Er-
satz für das abgerissene „Königliche Haus“ aus habsburgischer
Zeit einige Jahre zuvor errichtet.
Das Interessanteste am Thim-Plan sind jedoch die geologischen
Eintragungen. Man hatte zwischen dem Wetterschacht und dem
Grundschacht in einer gleichbleibenden Teufe von etwa 8 m unter
der Tagesöffnung des Grundschachtes ein System von
Untersuchungsstrecken aufgefahren mit dem Ziel, die seitliche
Grenze des Nordlagers unterhalb der tiefsten Tagebau-Sohle, d. h.
die Grenze zwischen Galmei und Nebengestein zu erkunden. Die
handschriftlich auf dem Plan skizzierten Profile geben für den
Grundschacht eine Teufe von ca. 8 m an und für die beiden erheb-
25
lich höher gelegenen Schächte dementsprechend ca. 42 m
(Pumpenschacht) und ca. 32 m (Wetterschacht) Teufe an, so daß
alle 3 Schächte das gleiche Untertage-Niveau erschlossen. Eben-
falls dem Zweck einer geologischen Erkundung und Vorrats-
ermittlung dienten 5 auf den verschiedenen Abbaustufen
(„Strossen‘‘) der Tagebauflanken angesetzte Stollen.
Insgesamt war auf diese Weise die seitliche Grenze zum
Dolomit-Nebengestein ab einer Teufe von ca. 8 m unterhalb der
tiefsten Tagebausohle bis hinauf in die Flanken des Tagebaus zu
lokalisieren. Durch diese Untersuchungsarbeiten im Nordlager
wurden offenbar noch so große Galmeivorräte dort nachgewie-
sen, daß die Entscheidung zur Anlage der Förderrampe zu vertre-
ten war, deren Bau dann auch im November 1846 begonnen wur-
de. Interessant ist, daß die im Bau befindliche und für damalige
Verhältnisse außergewöhnliche Anlage im Bericht der „Natur-
forscher und Ärzte“ 1847 nicht erwähnt wird.
Anmerkungen
1) „Excursion nach dem Altenberge‘, Amtlicher Bericht über die 25. Versamm-
lung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Aachen im Sep-
tember 1847, 258-259, Aachen, 1849
2) Gemeint ist die Sitzung der „Section für Geologie, Mineralogie und Geogra-
phie‘“ vom 23. September 1847 während des o. g. Kongresses in Aachen.
3) Louis Alexandre Calley ST. PAUL DE SINCAY (1815-1890) war zur dama-
ligen Zeit Direktor des belgischen Teils der „Vieille Montagne*‘; Betriebs-
direktor in Kelmis war 1847 Adolphe VAN SCHERPENZEEL-THIM. Daß
St. Paul de Sincay die Führung der Besucher persönlich übernahm, spricht
für die besondere Wertschätzung, die man offenbar dieser Besuchergruppe
seitens der VM entgegenbrachte.
4) Rudolph Arwid Wilhelm von CARNALL (1804-1884), zuletzt Berghaupt-
mann in Breslau, hielt auf dem 0. g. Kongress einen ausführlichen Vortrag
über die „Lagerstätte und das spezielle Vorkommen des Galmeis am Alten-
berge‘. Leider existiert darüber nur eine Protokoll-Mitteilung (S. 226-227
des o. g. amtlichen Berichtes). Von Carnall war eine treibende Kraft in der
Entwicklung des Bergbaus im damaligen Preußen bzw. Deutschen Reich.
Von 1844 bis 1847 war er am Oberbergamt Bonn tätig, von 1848, dem Jahr
seiner Versetzung als Geheimer Bergrat ins Berliner Finanzministerium, bis
1852 war er Mitglied des Verwaltungsrats der „Vieille Montagne‘. Nach
ihm wurde 1856 durch Heinrich Rose (1795-1864), Professor der Chemie in
Berlin, das Salzmineral KMgC13.6H20 Carnallit benannt.
26
5) Das bezieht sich auf die damalige Lehrmeinung der „Neptunisten‘“ (nach
dem römischen Wassergott Neptun), wonach sämtliche Gesteine der Erdkruste
durch Ablagerung im Meerwasser entstanden seien. Daneben stand die Mei-
nung der „Plutonisten“ (nach dem römischen Gott der Unterwelt), daß die
wesentlichen geologischen Gestaltungskräfte aus dem „Zentralfeuer‘“ des
Erdinnern ableitbar seien.
6) Der NÖGGERATH- Vortrag über die Entstehung der Galmei-Lagerstätte des
Altenbergs ist leider ebenfalls nicht im Wortlaut oder einem ausführlichen
Protokoll, sondern nur in Form einer kurzen Notiz (S. 245 des o. g. amtli-
chen Berichtes) überliefert.
7) Die hier beobachtete Technik des genau geplanten Nacheinanderzündens der
einzelnen Bohrlochladungen („Intervallschießen‘“) ermöglicht einen sehr ef-
fektiven Abschlag des Haufwerks (Gestein oder Erz). Geschossen wurde noch”
mit Schwarzpulver. Erst später wurde im Altenberger Revier Nitroglycerin
eingeführt, welches in der Folgezeit durch das etwas sicherere Dynamit ab-
gelöst wurde.
8) Gemeint ist damit das Nebengestein (unterkarbonischer „Kohlenkalk‘“ und
tonig-schiefrige Gesteine des Famenne-Oberdevon) des Galmeistocks.
9) 1847 stand der Altenberg kurz vor dem Kulminationspunkt seiner Bergwerks-
produktion; die 1837 in Betrieb genommene Zinkhütte arbeitete nach
„Lütticher Manier“, d. h. nach dem von DONY seinerzeit entwickelten
industrietauglichen Zinkverhüttungsverfahren, dem sogenannten „belgischen
Reduktionsverfahren‘‘. Mit der weitgehenden Umstellung der Bergwerks-
förderung in der Altenberger Konzession auf das primäre Sulfiderz, die
Schalenblende, in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts war die be-
stehende Hütte nicht mehr zu betreiben, da die entsprechenden Anlagen zur
vorherigen Sulfiderz-Abrüstung fehlten. Die Hütte wurde 1885 stillgelegt
und später abgerissen.
10) Schalenblende dürfte noch nicht dabei gewesen sein, da der Altenberg aus-
schließlich Galmei geliefert hat und die späteren sulfiderzfördernden Gru-
ben in der Konzession noch lange nicht in Produktion waren. Trotzdem hat
es sich sicherlich um eine sehenswerte und mineralogisch wertvolle Kollek-
tion gehandelt, da der Altenberg bekannt war für gutentwickelte Kristalle
von z. B. Hemimorphit (Kieselzinkerz) Zn4[Si207/(OH)2].H20 und auch
für Willemit (Zn2SiO4). Letzteres Mineral wurde übrigens durch einen an
der Lütticher Universität lehrenden Mineralogen, Prof. LEVY, entdeckt und
1829 nach Willem I., König der Niederlande (1815-1840), benannt. Das Ori-
ginal-Material stammte aus dem „Altenberg“ selber.
27
"Zeit-Vertreib bey den Wassern zu
Achen"
oder
Wie der Freiherr von Pöllnitz vor 260 Jahren
den Altenberg sah
von Alfred Bertha
Der Name des Memoirenschriftstellers Karl Ludwig Freiherr
von Pöllnitz findet sich heute nur noch in wenigen Nachschlage-
werken. Dennoch hat dieser 1692 in Issomin im Erzstift Köln als
zweiter Sohn des kurbrandenburgischen Staatsministers und
Generalmajors Gerhard Bernhard von Pöllnitz geborene Weltmann
zu seiner Zeit Ruhm und Ansehen genossen. Er durchreiste den
größten Teil Europas und fand wegen seiner liebenswürdigen Ei-
genschaften zu fast allen Höfen Zutritt. Nach Kriegsdiensten in
Österreich, im Kirchenstaat und in Spanien fand er schließlich
eine feste Anstellung als Vorleser König Friedrichs d. Großen, der
ihn später auch zum Theaterdirektor ernannte.
Die zahlreichen Memoiren des Freiherrn von Pöllnitz zeichnen
sich durch feine Beobachtungsgabe und Witz aus. Am berühmte-
sten wurde er als angeblicher Verfasser des Werks "La Saxe ga-
lante" (1737), das die Liebschaften Augusts II. von Sachsen ent-
hält, ihm jedoch nicht von allen zugeschrieben wird.
Der Freiherr von Pöllnitz schrieb alle seine Memoiren und Hof-
geschichten in französischer Sprache, so auch die "Amusements
des Eaux d'Aix la Chapelle", denen schon die "Amusements des
Eaux de Spa" vorausgegangen waren. In deutscher Übersetzung
erschien das Werk 1737 bei Johann Andreas Rüdiger in Berlin.
Einen Aufenthalt in Aachen nutzten der Freiherr und seine Be-
gleitung zu einem Abstecher nach Kelmis bzw. Altenberg. "Es
wurden mancherley Ursachen vor (= für) und wider diese Reise
angeführet", schreibt von Pöllnitz: die Beschwerlichkeit des We-
ges, der Geruch und die Dünste aus den Bergwerken, die Teil-
chen, welche davon aufsteigen, und "viel andere Zweiffel von glei-
cher Wichtigkeit, davon der geringste zum wenigsten mit ein Dut-
zend Kranckheiten drohete".
AM USEMEN S
d’ATIX la CHAPELLE,
Oder
’ Ä 7 LA
Seit Serfreib
ben den Waffen
Mus dem Srangsfifchen SE |
AMUSEMENS DES
EAUX DE.SPA
ins Da üıberfeßet
Mit (hönen Rupffern gesieret,
EB BERLIN,
Zufinden bey Johann Andreas Nüdics:, 1737,
29
Der Bürgermeister hatte sich bereit erklärt, als Führer zu die-
nen, den Damen aber empfohlen, ihre eigenen Wagen zurückzu-
lassen und sich der Kutschen und Pferde des Landes zu bedienen,
weil der Weg rauh und übel sei. Die Wagen, die man in diesen
Gegenden gebrauche, seien zwar unbequem, fielen aber nicht leicht
um, schreibt von Pöllnitz, und die an solche Wege gewöhnten Pfer-
de vermieden die üblen Tritte von sich selbst. Wörtlich fährt er
fort:
"Die Damen folgten seinem Rathe, und waren kaum aus der
Stadt, so spührte(n) sie den Nutzen davon. Man muß über Berge
und unangenehme Wege ziehen, deren Beschwerlichkeit einen
Theil unserer Ergötzlichkeiten ausmachte. Man führte uns Anfangs
zu der Grube, daraus der Gallmey - Stein genommen wird. Diese
Grube ist nicht gar zu weit von Achen, und der Ort, wo man sol-
che antrifft, gleichet einer Wüsteney gar sehr: es ist eine dürre
Gegend, von trockenem Erdreiche, und das Graß ist so wohl durch
die Schärffe derer Mineralien, als durch die Berg-artigen Dünste,
welche ausdampffen, fast geborsten Um die Gegend besagter
Grube sind nur etliche schlechte Hütten, die denen unglückseeligen,
so diesen Metallischen Stein aus dem innersten der Erde langen,
des Nachts zum Auffenthalte dienen.
Die Haupt - Grube ist wie ein tieffer Schacht, und gleicht de-
nen, daraus man in denen Feldern in Franckreich, sonderlich in
denen Landschafften Brie, Champagne und Picardie die Dünge -
Erde ziehet. Die Berg - Knappen steigen vermittelst eines Seils
hinunter, und theilen sich in unterschiedliche von ihnen nach Art
derer Stein - Brüche gegrabene Wege aus, davon sie den Gallmey
- Stein loßreissen, welchen sie in Körbe, die man hernach in die
Höhe ziehet, werffen.
Die Arbeiter in der Grube legten uns die Hebe - Kunst,
Zubereitung und den Gebrauch dieses Steins aus. Wir suchten et-
liche Stücke darunter vor (= für) uns aus, die wir aus Neugierigkeit
mit nahmen. Es ist eine Sorte gegrabene, oder Pech - artige Erde,
die nicht gar zu harte, und etwas von der Eigenschafft des Marsitt
enthält. Es sind viel Kupfer - Theilgen darinnen, welche man
bißweilen an der Sonne gläntzen siehet, wenn jene nicht lange
zuvor zerbrochen worden. Es ist gewiß, daß viel von dergleichem
Metalle darinnen befindlich, oder daß ihm selbige wenigstens sehr
gleich kommt; denn es wird dadurch mercklich vermehret, wenn
30
man es bey dem Schmeltzen damit vermischet(!)- Gedachter Stein
ist denen Kupfer - Hütten sehr nützlich, und kann nicht eher als
nach etlichen Zubereitungen gebraucht werden: man muß ihn wa-
schen, damit ihn das Wasser reinige, und die Erden - Theilgen,
welche noch daran hängen, davon absondere; und nachdem sol-
cher recht rein und wohl getrocknet worden, läßt man ihn fast wie
den Kalckstein zu Asche brennen, alsdenn kan(n) er in denen Gieß
- Hütten dienlich seyn.
Der Bürgermeister sagte uns, daß ermeldeter Stein dergestalt
mit Schwefel angefüllet wäre, daß wenn man ihn brennte, ein
starcker schwefelichter Vitriolischer Dampff heraus gienge, der
denen, die solchen an sich zögen, nicht zur Gesundheit diente,
weil unterschiedliche Chymisten in denen Gedancken stünden, daß
der Gallmey Quecksilber enthalte; ja einige unter ihnen betrach-
ten selbigen als ein halb Mercurialisch Metall, weil es sich damit
vereiniget; er hat auch ätzende Eigenschafften und wird in der
Artzney - Kunst gebraucht. Alle Gegenden um Achen sind davon
voll, und man findet dessen bey Ellendorff; die ansehnlichste Grube
aber ist an der Seite des Dorffs Walhorn, welche einen großen
Überfluß hervorbringet, von da man ihn nach Stalberg (=Stolberg)
schafft, so nicht gar zu weit davon liegt. Dem sey wie ihm wolle,
die Mühe, Gefahr und Beschwehrlichkeit, welche diejenigen, so
man in diesen Gruben gebraucht, ausstehen müssen, errregte bey
uns so viel Mitleiden, daß wir uns nicht enthalten konnten, unsere
Betrachtungen über ihren harten Zustand, welchen des Lebens
Nottdurfft bey denen Unglückseeligen, so von Armuth dazu
verurtheilet worden, allein zu lindern vermögend ist, anzustellen.
Wir gaben ihnen etliche kleine Geschencke, und der Bürgermei-
ster veranlaßte uns den Weg nach Stalberg zu nehmen, welches
eine kleine Stadt zwey Meilen von Achen und wegen ihrer Kupfer
- Hütten berühmt ist.”
(1) Durch Zusatz von Zinkerz (Galmei) zum Kupfer gewann man bekanntlich
Messing, das zu Pöllnitz' Zeiten noch als eine Abart von Kupfer betrachtet
wurde ("Gelbkupfer", Gelbguß, cuivre jaune, yellow brass, im Gegensatz
zum "Rotkupfer", das ohne Fremdzusätze gewonnen wurde.
31
KELMIS - LA CALAMINE
Ein Geschäftszentrum im Göhltal
von Firmin Pauquet
Der Ortsname bezeugt schon, daß die Entstehung des Ortes eng
mit dem Abbau seiner reichhaltigen Galmeierzlagerstätte in
Beziehung steht. Unter der Form ‚kelms' wird der Ort erstmals in
einer Urkunde vom 19. März 1280 erwähnt. Erstaunlich, daß diese
Form genau unserer heutigen plattdeutschen altlimburgischen
Aussprache "Kel.m.s" mit zwei stummen "e" entspricht. "Keleme"
ist die plattdeutsche Bezeichnung für Galmei, ein aus Zinkkarbonat
und Zinksilikat bestehendes Erz. Wird der Ort nach dem Erz be-
nannt, so ist die Lagerstätte bestimmt bekannt und wahrschein-
lich auch im Abbau. Nach Prof. Dr. W. HAUBRICHS, Universität
Saarland, Germanistik, den ich befragte, scheint folgende
Rekonstruktion für die Entwicklung des Ortsnamens annehmbar.
Ausgangsform wäre das romanische Toponym "*Cal(a)minis", d.
h. "bei den Galmeisteinen". Dieser wird von den Germanen in der
Form "*Kelminis" mit dem althochdeutschen Umlaut des "a" vor
einer Silbe mit "i" übernommen. Da diese Umlautung im 8. Jahr-
hundert anzusetzen ist, muß der germanische Ortsnamen aus
seinem romanischen Vorgänger spätestens im 8. Jh. übernommen
worden sein. Das ist die Zeit, wo Karl der Große in Aachen
residierte und die Pfalzkapelle, den Zentralteil des heutigen Domes,
erbauen ließ. Die in der Aachener Pfalzhütte gegossenen
Bronzetüre und -gitter des Oktogons enthalten aber kein bzw. kaum
Zink (0,5% bei Gitter VIII; BRAUNFELS 1985).
Der "Kelmisberg" oder "Altenberg", die "vieille montagne des
calmines du duche de Limbourg", ist die Wiege der weltbekannten
A. G. "Vieille Montagne" und der belgischen Zinkindustrie. Im
Jahre 1992 wurde diese Gesellschaft vollständig der "Union Mi-
ni&re" durch Beschluß der Hauptaktionärin beider Gesellschaf-
ten, der "Societe Generale de Belgique", einverleibt.
Die älteste Erwähnung des Abbaus am Altenberg stammt aus
dem Jahre 1344, in welchem die Stadt Aachen den Betrieb inne-
hatte, mit Brabant-Limburg aber deswegen im Streit lag. Nach
der Beschlagnahme der Grube i. J. 1439 durch Herzog Philipp
den Guten von Valois-Burgund als Erben des Herzogtums Bra-
32
bant-Limburg, bildete das Bergwerk das "Kleinod" der
limburgischen Domänenverwaltung bis zum Anschluß der
habsburgischen Niederlande durch die französische Republik im
Jahre 1794. Das Bergwerk lieferte den reinsten gebrannten Galmei
zur Herstellung des sehr begehrten Messings, auch gelber Kupfer
genannt.
Bei der Festlegung der Grenze zwischen Preußen und den Nie-
derlanden (mit Belgien) im Jahre 1816 können die Kommissare
der beiden Mächte sich nicht über die Zugehörigkeit des Gebietes
um die Grube einigen. Die ehemalige Bürgermeisterei Moresnet
mit dem Weiler Kelmis wird dreigeteilt: der westliche Teil bleibt
belgisch (Moresnet in der heutigen Gemeinde Plombi&res), der
östliche Teil und das Gebiet südlich der Lüttich-Aachener Land-
straße werden preußisch und der mittlere, 344 ha große Teil mit
dem Altenberg wird provisorisch unter die gemeinsame Verwal-
tung der beiden vertragschließenden Mächte gestellt. Dieser Teil
bildet dann "das streitige Gebiet von Moresnet, genannt Neutral-
Moresnet". Durch Artikel 32 des Versailler Friedensvertrages vom
28. Juni 1919 wird das Gebiet belgisch und bildet die Gemeinde
La Calamine (ndl. Kalmis) im Kanton Aubel. Die Gemeinde Preu-
ßisch-Moresnet wird Belgien in Anwendung der Artikel 33 (Teil
nördlich der Landstraße) und 34 (Teil südlich der Landstraße, mit
dem gesamten Kanton Eupen) des Versailler Vertrages zugespro-
chen. Sie bildete von 1919 bis 1977 die Gemeinde Neu-Moresnet,
die durch die Gemeindefusionen ab 1.1.1977 (wieder) mit Kelmis
vereinigt wird. Vor der französischen Revolution hatte das Gebiet
von Neu-Moresnet schon seit 1650 zur Herrschaft und Gemeinde
Kelmis gehört und sogar den Kern dieser Herrschaft um die
Rochuskapelle "en het dörp" gebildet.
Kurz nach dem Einmarsch der Franzosen im September 1794
war die Herrschaft und Gemeinde Kelmis mit Moresnet zu einer
einzigen Bürgermeisterei vereinigt worden.
33
Beschreibung einer Rundfahrt bzw. eines Rundganges
(Zuerst eventuell mit dem Wagen).
Folgt man, von Westen kommend, der Nationalstraße Nr. 3 ab
Herve, so entdeckt män kurz nach Henri-Chapelle (Kapell) das
Panorama um Kelmis auf dem rechten Göhlufer am Westabhang
des Aachener Waldes, auch Preuswald genannt. Letztere Bezeich-
nung bedeutet ‚"Pfarr- bzw. Gemeindewald" und ist abgeleitet aus
dem französischen "paroisse" (Pfarre) und erst in "pareuse",
dann in "preuse" umgewandelt worden. Diese Bezeichnung er-
scheint im Artikel 49 des limburgischen Landrechts (romanische
Fassung der Handschrift Franquin, vor 1600). In der germanischen
Fassung steht "paroisse" in der Handschrift Hannot (vor 1600),
bzw. "parochie" in der Handschrift Quoitbach (kurz nach 1600).
Die "Preuse" bildete ein Grenzgebiet am Waldkamm zwischen
Aachener Reich und Herzogtum Limburg. In diesem Gebiet besa-
ßen ursprünglich die Bewohner beider Territorien ausgedehnte
Nutzungsrechte: Weiden der Schweine und Rinder, Bauholz,
Brennholz. Die Aachener durften im Westen bis zur Göhl und
zur Gemmenicher Soue ihre Nutzungsrechte ausüben; die
Limburger aus den Urpfarren "Geminiacum" und "Harne" (Wal-
horn) bis vor "Rospoort" (Rostor) am Fuße der äußeren Aachener
Stadtmauer. Wegen der dauernden Streitigkeiten wird der ge-
meinsame Forst 1611-1615 aufgeteilt: Die Reichsstadt Aachen
behält den Waldteil östlich des Waldkammes, der seit 1430 als
Landesgrenze gilt; der Landesherr, der Herzog von Limburg, er-
hält einen Streifen westlich der Grenze, den heutigen Staatswald
"König", und die limburgischen Anwohner den übrigen Wald im
Westen.
Die große Siedlung Kelmis kommt besser zum Vorschein, so-
bald man sich der Wegegabelung nach Moresnet und Bleyberg
nähert. Diese Straße wurde 1849-1850 von der "Compagnie
des Usines et Fonderies de Bleyberg" (Bleyberger Hütten-
gesellschaft) gebaut. Sie folgt der Trasse des alten Herzogenweges
von der Hauptstadt und Festung Limburg zur herzoglichen Grab-
lege in der Abtei Rolduc (Herzogenrath). Der alte Bauernhof "a
je Krüts" gegenüber der Wegegabelung wird so bezeichnet we-
gen eines alten gotischen Wegekreuzes aus dem Jahre 1597, das
in seiner Bruchsteinfassade. eingemauert ist. Von hier zieht auch
ein alter Weg in südliche Richtung, der die Gemeindegrenze
34
Lontzen-Kelmis bildet. Wir wollen aber zuerst noch der Land-
straße weiter folgen. Diese wurde 1750-1760 unter Kaiserin Ma-
ria - Theresia als Pflasterstraße, "Pavei", seitens der limburgischen
Stände ausgebaut.
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"'A je Krüts'" (Am Kreuz)
Bald erreichen wir einen stattlichen Bauernhof rechts der Stra-
ße, "e jen häets" genannt, was in der preußischen Katasteraufnahme
1830 mit "Hirtz" verdeutscht wurde. Der Sinn dieses Hof- oder
Flurnamens konnte noch nicht geklärt werden. Mit der Familie
Hirtz genannt Landskron, die in Kettenis begütert war, darf er wohl
nicht in Verbindung gebracht werden, da diese Familie hier nicht
begütert war.
Die große Anlage aus oberdevonischen Sandbruchsteinen
(Famennestufe) wurde 1684 vom Ehepaar Lambert Franck und
Catharina Weerts errichtet, wie der Keilstein am Karrentor der
nach Westen orientierten Wirtschaftsgebäude bezeugt. Aus der
weitverzweigten bodenständigen Familie Franck stammen meh-
rere königliche Aufsichtsbeamte (sog. Kontrolleure) am
Altenberger Bergwerk im 17. Jh. sowie der Pariser Komponist
Cesar Franck, der 1822 in Lüttich geboren wurde. Alle Tür- und
Fensterrahmen sind aus gehauenem unterkarbonischem Kalkstein/
35
Blaustein, (Dinantstufe) hergestellt. Im zweiten Stock und an der
Hinterfront des imposanten dreigeschossigen vierachsigen Wohn-
hauses sind die Kreuzsprossenfenster im ursprünglichen Zu-
stand entsprechend dem traditionellen maasländischen Stil des 17.
Jhs. erhalten geblieben.
( Sa >
1m 11 d
Be Sa DS
, UF}
DO
Der Hof Hirtz
Dagegen sind die Rahmen der vier Öffnungen der Hauptfassade
an der Landstraße in den beiden unteren Geschossen entsprechend
dem vorherrschenden Stil der zweiten Hälfte des 18. Jhs. umge-
ändert worden: stichbogig mit Keilstein nach dem Muster des fran-
zösischen Louis XV-Stils. Anschließend ist nach Osten hin wahr-
scheinlich am Ende des 18. Jhs. ein weiteres Wohnhaus im glei-
chen Material erbaut worden. Dieser vierachsige Bau verbirgt die
ehemalige Ostfassade des älteren Wohnhauses und zählt nur
zwei Geschosse. Die einfachen rechteckigen Fensterrahmen
entsprechen schon dem Empirestil. Der stark profilierte Türrahmen
könnte aus dem älteren angrenzenden großen Haus stammen, sei-
ne Form entspricht eher dem maasländischen Stil. Die Anlage steht
seit dem 27. Februar 1984 unter Denkmalschutz.
Der Weg östlich des Hofs führt zum kleinen Bauernhof "op en
rotsche”", d. h. auf dem Felsen (vom Französischen "rocher"). Die
sichtbare Nordfassade wurde umgebaut, früher bestand sie aus
36
Fachwerk. Als Hauptfassade gilt die gegen Süden zu den Wiesen
gerichtete. Sie ist auch in Sandbruchstein errichtet mit Fenster-
und Türrahmen in gehauenem Kalkstein.
Bemerkenswert ist auch, daß der Bauernhof "e jen häets"
nicht genau parallel zur Landstraße steht. Schaut man zum Tal
hinunter, so entdeckt man rechts in den Wiesen eine längliche
Vertiefung, die spitzwinklig zur Landstraße verläuft: die Trasse
der alten Gracht, des Landweges aus der Zeit vor dem Bau der
theresianischen "Chauss&e“. Der große Bauernhof wurde 1684 am
Rande dieses Landweges errichtet. Nach dem Bau der "Chaus-
see" war beim Bauernhof "e jen häets" Wegezoll zugunsten der
Bauherren, der limburgischen Stände, zu entrichten. Der Ort hieß
damals "Barriere Haute Folie". Die jetzige Landstraße bildete 1816-
1920 die Landesgrenze Preußen-Belgien und mußte als Neutral-
straße (route mitoyenne) von beiden Staaten gemeinsam unter-
halten werden. Entlang der Landstraße verlief auf preußischer Seite
eine Schmalspurbahn, die die Erzgrube Mützhagen (1898-1927)
am Weißen Haus mit der Erzaufbereitung oder Wäsche der "Vieille
Montagne" in Preußisch-Moresnet verband.
Etwas weiter bergab steht rechts der Landstraße mitten in der
alten Gracht ein kleines Haus aus verputzten Bruchsteinen mit
ziegelsteingerahmten Öffnungen, das als "nömerväedech" (nie-
mals fertig) im Volksmund bezeichnet wird.
Noch weiter auf Kelmis zu, etwas abseits in den Wiesen zwi-
schen zwei hohen Hecken, erkennt man die alte Gracht noch viel
besser. Ihre Richtung zeigt, daß sie von der jetzigen Landstraße
kurz nach dem kleinen umgebauten Bauernhof "a jene pool" über-
quert wurde. Dieser Bauernhof trägt seinen Namen wahrschein-
lich vom gegenüberstehenden hölzernen Grenzpfahl 188 des neu-
tralen Gebietes, der 1870 durch den heute noch stehenden Grenz-
stein Nr. 1 ersetzt wurde. Früher war der Eingang zum Bauern-
hof an der jetzigen Rückseite, wo der alte Landweg verlief. Dies
bedeutet, daß der aus Bruchsteinen bestehende Bauernhof vor
dem Bau der Landstraße (d. h. vor 1750) errichtet worden ist.
Die Ziegelsteinrahmen der Öffnungen sowie Ziegelstein-
reparaturen im Bruchsteinmauerwerk zeugen von einem späteren
Umbau. !
Schräg gegenüber steht das Haus Ahn mit Zementbewurf-Fas-
sade, hinter welchem die alte Gracht bis zu ihrer Verfüllung vor
37
einigen Jahren tief ins Gelände eingeschnitten zur Göhlfurt hin-
unterlief. An der westlichen Seite der Gracht steht ein Fußfall aus
Ziegelsteinen, der vor kurzem renoviert wurde. Wir fahren nun
in Richtung Kreuzung bergauf zurück. Kurz hinter dem Fußfall
liegt die Einfahrt zu der auf dem Gelände des abgerissenen Bau-
ernhofes "i jen hof" angelegten Siedlung. Knapp danach, am
Grenzstein I des ehemaligen neutralen Gebietes, bemerken wir
die Zufahrt zum Hause auf der Anhöhe "op en hächter", das zur
Gemeinde Bleyberg (Plombi@res) gehört. Noch etwas höher, ab-
seits der Landstraße, liegt der Bauernhof "i jene jongeböisch".
Vor einigen Jahren bestand hier noch ein schönes weiß
angestrichenes Fachwerkhaus; an seiner Stelle stehen heute neue
Stallungen. Zwischen Bauernhof und Landstraße zog früher eine
weitere Gracht zur Göhlfurt hinunter, die noch gut im Gelände
als Delle zu erkennen ist. Vor der Teilung von 1816 gehörten
Hechter und Jongenbösch zur Kelmiser Sektion der französi-
schen Bürgermeisterei Moresnet und vor 1794 zur Herrschaft und
Gemeinde Kelmis. Die Grenze gegen Herrschaft und Gemeinde
Moresnet bildete das nördlich hinter der Anhöhe fließende
Iserentantenbächlein.
Wir fahren zurück bis zur Kreuzung und folgen links dem Weg
nach Schmalgraf. Wir überqueren ein teilweise verrohrtes Bäch-
lein, als "Grünstraßerbach" auf der topographischen Karte bezeich-
net. Unsere Vorfahren nannten es "Eselbacherbäcksken" nach dem
etwas weiter nach Westen liegenden Flurnamen Eselbach (früher
Montzen, seit 1816 Lontzen). Bis 1794 bildete dieser Wasser-
lauf bis zur Einmündung in die Honn (auch Hornbach bzw.
Lontzener Bach genannt) die Grenze der St. Remigius-Pfarre
Moresnet im Norden und der St. Stephanus-Pfarre Montzen im
Süden, die sich landzungenartig bis zur Göhl erstreckte.
Wir fahren auf dem anderen Ufer bergauf zum Standort der frü-
heren Erzgrube Schmalgraf (ca. 1888-1932), einer der wichtig-
sten und berühmtesten der "Vieille Montagne", an der alten
Flur "Drossent". Dieser Flurnamen weist auf einen Drossart
(Amtmann) hin, der wahrscheinlich hier Eigentümer war. Aus
diesem Betriebspunkt stammen die schönen nierenartigen Ex-
emplare der bei Sammlern so beliebten Schalenblende, ein
Zinksulfiderz (ZnS). Von der Werksanlage sind nur noch einige
Fundamente der Maschinengebäude (Schacht I und II) und eine
38
kleine Halde aus dem beim Teufen der Schächte herausgeförderten
Schutt übriggeblieben. Auf der Halde hat sich, wie üblich in der
Gegend, eine Galmeitrift sekundär ausgebreitet. Hier wachsen
besonders das bekannte gelbe Galmeiveilchen neben dem wei-
ßen Galmeitäschel und dem grasartigen bläulichen
Schafschwingel. Wo diese Pflanzengesellschaft primär anzutref-
fen ist, konnten die alten Bergleute vermuten, daß sich Erzlager-
stätten im Untergrund befanden. Die Grube Schmalgraf lieferte
774.839 Tonnen Haufwerk, ca. 12.107 T im Jahresdurchschnitt.
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Aus diesem Haufwerk wurden in der Aufbereitung 408.783 T
Konzentrat, d. h. ca. 52,5 % gewonnen, darunter 22.821 T Galmei,
333.854 T Zinkblende, 21.188 T Bleiglanz und 29.300 T Eisen-
kies. Nach dem Altenberg oder Kelmisberg in Kelmis selbst war
Schmalgraf die zweitwichtigste Grube des Nordostens der Pro-
vinz Lüttich bezüglich der Produktion. Die Lagerstätte wurde bis
290 m Teufe abgebaut. Wegen des Sturzes der Zink- und Blei-
preise auf dem Weltmarkt und der sehr kostspieligen Wasser-
haltung mußte die Grube am 1. Mai 1932 aufgegeben werden.
Direktor Timmerhans schätzte die noch vorhandene Erzreserve
auf ca. 55.000 T Haufwerk oberhalb von 290 m.
Aus der Grube mußten 1907 schon ca. 15 m? Wasser /Std.
im Durchschnitt gepumpt werden; es gab sogar vorübergehend
Wassereinbrüche von 1700 m /Std.
Auf der anderen Seite des Weges sehen wir einen lang-
gestreckten und stark verschlammten Pfuhl; höchstwahrschein-
lich ist es der Tagebau der Erzgrube Comborn (1471-1481). Wir
fahren weiter bis zur Wegekreuzung "an der Sämel", wo rechts
1732 ein „Fußfall“ errichtet wurde. Der Montzener Pfarrer Birven
mußte hier laut Notiz in seinen im Pfarrarchiv ruhenden Aufzeich-
nungen den Teufel vertreiben.
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Frühere Steigerwohnung der Grube Schmalgraf
41
erinnert an den Ingenieur Oskar Bilharz, der 1859-1884 zuerst
Inspektor, dann Direktor der Agentur (Neutral-)Moresnet der
"Vieille Montagne" und 1882-1884 auch Bürgermeister von Neu-
tral-Moresnet war. .
An der Kreuzung biegen wir nach links, um dem alten von
Henri-Chapelle (Kapell) zur Göhlfurt in Kelmis und weiter nach
Aachen ziehenden Landweg zu folgen. Irrtümlicherweise wird er
auf Lontzener Gebiet als "Hertogenweg" bezeichnet. Auf der
Lontzener Seite bemerken wir rechts der Kreuzung die Ruine
des Bauernhofes "open sämel", der noch vor einigen Jahren die
typischen Kennzeichen der ländlichen Bauweise des 18. Jhs. im
Herver Land aufwies. Leider hat der Antwerpener Eigentümer
die Anlage verfallen lassen. Etwas weiter sehen wir rechts hin-
ter Sträuchern ein eingeschossiges, mit grüngestrichenen
Eternitplatten bedecktes Häuschen: Es ist die ehemalige Wohnung
des Steigers auf Grube Schmalgraf. Weiter rechts kommt der Bau-
ernhof Schmalgraf, ein langgestreckter, aus unterkarbonischen
Kalkbruchsteinen (Dinantstufe) errichteter Bau, dessen umge-
baute Hauptfassade zur Wiese gerichtet ist. Bevor der Weg steil
zum Tal hinunterführt, erreichen wir noch den Weiler "Schnellen-
berg" auf dem Plateau. Er besteht aus drei ehemaligen Bauernhö-
fen, die ebenfalls teils aus Kalkbruchsteinen, teils aus Ziegel-
steinen gebaut sind. Die östliche Fassade des ersten (links)
weist noch Fachwerk mit Ziegelsteinfüllung auf. Am gegenüber-
stehenden Bauernhof erkennt man gut eine Erweiterung des Stal-
les. Im Inneren weist eine halbrunde Öffnung in der Zwischen-
wand des Stalles darauf hin, daß sich hier früher die Eingangs-
tür befand. Der Rundbogen aus gehauenem Kalkstein trägt noch
die Inschrift "1700 C. M." in einem Schild. Der Bauherr Claes
Mommer oder Momboir "tot Snellenberg" schuldete dem Grund-
hof St. Adalbert zu Moresnet eine Erbrente zu Lasten seiner Gü-
ter. Dieser Grundhof war zuständig für Zinsgüter, die vorhin dem
St. Adalbertstift zu Aachen gehört hatten. Diese stammten aus einer
Schenkung von Streugut in der Gegend von Vaals, Gemmenich,
Moresnet und Vijlen seitens König Heinrich III. an das Stift vom
13. Februar 1041 (!). Etwas weiter erreichen wir links den Ein-
gang zum Feriendorf Country Club auf dem Felssporn zwischen
Eselbacherbächlein und Hornbachtal gebaut. Von der Terrasse des
Empfangszentrums haben wir eine gute Aussicht über Kelmis. Nun
44
Kelmiser Mühle habe ich vor Jahren die Inschrift "Ao 1822
I.P.H." gelesen. Der damalige Müller Johann Peter Heuschen
hat wahrscheinlich in diesem Jahr die Anlage umgebaut.
An der Wegegabelung sehen wir rechts einen ehemaligen klei-
nen Bauernhof aus Kalkbruchsteinen, dessen alte Hauptfassade
zum Weg einen interessanten rundbogigen Türrahmen aufweist.
Im Schild in der Mitte des Rundbogens ist zu lesen "1695/ IHS
/DI OH /HM GS". Bisher habe ich die beiden hier angedeuteten
Ehepaare noch nicht identifizieren können. Im Giebel ist oben am
Schornstein eine schmiedeeiserne Verankerung mit der Jahres-
zahl 1843 angebracht. In diesem Jahr hat wahrscheinlich ein Um-
bau stattgefunden. Vielleicht stammt auch die jetzige Haupt-
fassade zu den Wiesen mit den rechteckigen Öffnungsrahmen im
Empirestil aus dieser Zeit.
Auf der linken Seite des Schnellenberger Weges, nachdem wir
an einigen neuzeitlichen Häusern vorbeigefahren sind, entdecken
wir einen langgestreckten Bau, ebenfalls aus Kalkbruchsteinen.
Der rundbogige Türrahmen weist ein Schild mit der Jahreszahl
1696 auf.
Diese Häuser gehören zum alten Weiler Kelmis, "en jen dörp".
Im Jahre 1445 vernehmen wir aus einer Steuerrolle, daß der Weiler
30 steuerbare Familien zählte, die sich aber auf drei Pfarreien ver-
teilten: Walhorn rechts des Hornbaches, wo heute in den sumpfi-
gen Wiesen kein Haus mehr steht, Montzen zwischen Hornbach
und Eselbacherbächlein und Moresnet auf dem linken Ufer des-
selben. Zentrum des Weilers wird später die 1646 erstmals er-
wähnte Rochuskapelle, die vom Montzener Pfarrer bis ca. 1820
bedient wurde. Unter der Linde bei der unter Denkmalschutz
stehenden Kapelle (Erlaß vom 1.9.1983) versammelte sich 1654-
1794 dreimal jährlich das Schöffengericht der 1650 gegründeten
königlichen Herrschaft Kelmis anläßlich der vorgeschriebenen
Vogtgedinge. Bei diesen öffentlichen Sitzungen, zu welchen die
gesamte Gemeinde eingeladen war, konnte jeder seine Klagen ein-
reichen, insbesondere wegen des Zustandes der Wege, des Brot-
gewichtes, des Bierbrauens, der Benutzung von Heide und Wald
u.s.w. Die Herrschaft Kelmis wurde gegründet, als der Landes-
herr, König Philipp IV. von Habsburg-Spanien, in finanzieller Not
seine Herrschaftsrechte in allen limburgischen Dörfern veräußer-
te, mit Ausnahme der Hauptstadt und Festung Limburg und des
45
Weilers Kelmis mit umliegendem Gebiet wegen der wirtschaftli-
chen Bedeutung des Kelmisberges.
Vor einigen Jahren wurde in die Kapelle eingebrochen und
mehrere Statuen, darunter eine schöne gotische Muttergottes ge-
raubt. Die Kapelle besitzt noch einen alten Altarstein, der leider
hochkantig aufgestellt ist. Im schönen Barockdachreiter hängt ein
Glöcklein mit der Inschrift "1651 + S. MARIA ORA PRO
NOBIS". Die aus geweißten Kalkbruchsteinen gebaute Kapelle
weist noch die alte rundbogige Tür auf. Die vier kleinen Fenster
der Seitenmauern sind wohl später mit stichbogigen Rahmen aus
Kalkstein versehen worden, wahrscheinlich nach einer Renovie-
rung im 18. Jh. Gegenüber der Kapelle steht eine Häuserreihe,
wovon eins gut renoviert wurde. Leider ist ein alter Fachwerkbau
durch einen häßlichen aus grellen roten Ziegelsteinen ersetzt wor-
den. Vom alten Weiler fahren wir weiter dem "Haagweg" folgend
zur Chauss&e. Links bemerken wir einen alten Kalksteinbruch
der Dinantstufe (Kohlenkalk des unteren Carbons). Die hier ge-
brochenen Steine haben zum Bau der davor stehenden Häuser mit
Ziegelsteinfensterrahmen gedient. Der Türsturz eines aus gehaue-
nem Kalkstein errichteten Türrahmens trägt die Inschrift "C. R.
1865". Bauherr war C. Roberts.
An der Kreuzung bemerken wir an der anderen Straßenseite
das Dach der ehemaligen Neutral-Moresneter Mühle, die im
Jahre 1850 vom Müller Jean Pierre Heuschen errichtet, aber erst
1852 genehmigt wurde. Es ist der oben erwähnte Müller der
Kelmisermühle, der wahrscheinlich aus steuerlichen Gründen nach
Neutral-Moresnet umgezogen war. Der Weg an der Mühle vorbei
führt zum Weiler "Hoof" an der Kelmis-Moresneter Grenze und
zur alten Göhlfurt. Wir folgen aber der Landstraße nach rechts.
Nach der Göhlbrücke bemerken wir links im Tal zwischen der
Göhl und der alten von der Flur "i jene vogelsank" kommenden
Gasse die beiden Häuser "e jene kauch" ("im Koch" auf der
Urkatasterkarte von 1860): Ein hoher Ziegelstein- und daneben
ein kleiner älterer Bruchsteinbau. Der Flurnamen "in den coch"
wird schon in einer Häuserliste aus dem Jahre 1651 erwähnt. Eine
weitere Straße, Hagenfeuer, so genannt nach der Fiur "op en
hagelvüer", führt bergauf zum felsigen Sporn, der 1627 einfach
"berch" hieß, und weiter zur Arbeitersiedlung auf dem Plateau,
die nach 1850 entstand. In der Steigung zweigt noch eine Gasse
46
nach links in Richtung "Schlack" zu der alten Streusiedlung am
Osthang des Göhltales ab.
Wir bleiben aber auf der Landstraße. Rechts, gegenüber der
Hagenfeuerstraße, liegt ein ziemlich großer Bauernhof aus Kalk-
bruchsteinen mit rechteckigen Öffnungsrahmen in gehauenem
Kalkstein im Empirestil. Das Oberlicht der Eingangstür ist da-
tiert: 1811. Es ist die Gastwirtschaft Göhlbrücke, in welcher auch
1821-1830 das gemeinsame preußisch - niederländische Zollamt
untergebracht war. Nach Ausbruch der belgischen Revolution im
September 1830 verlassen die preußischen Zollbeamten im Okto-
ber das Zollamt auf Anordnung ihrer Vorgesetzten, um nicht
gemeinsam mit Vertretern einer aufständischen Regierung zuhan-
deln. Die belgischen Zollbeamten ziehen sich erst am 20. Dezem-
ber 1832 zurück. Auch nach der Anerkennung der belgischen Un-
abhängigkeit seitens Preußen wird das gemeinsame Zollamt nicht
mehr besetzt. Neben dem Wohntrakt der Herberge mit Fassade
zum Innenhof befindet sich ein älterer Wohntrakt mit Stall. Hier
sind die Tür- und Fensterstürze stichbogig mit Keilstein, ent-
sprechend der Bauweise des 18. Jhs. Oberhalb der Tür ist in ei-
nem Trapez zu lesen: "MT/IHS/ MM/1783". Mathys Thimister
und Maria Metz haben diese kleine Herberge "op hermens steen"
errichtet, nachdem die Landstraße hier vorbeigezogen wurde. Die
Fensterrahmen der Etage sind noch aus Holz gezimmert worden.
Kurz danach folgt eine Häuserreihe aus Kalkbruchsteinen mit
Fensterrahmen aus Ziegelsteinen, wie sie meistens um 1850 ge-
setzt wurden. Schade, daß eine dieser Fassaden "modernisiert"
wurde und das einheitliche Bild stört. Rechts führt dann eine Gasse
zur Rochuskapelle und ein Pfad durch die sumpfigen Wiesen des
"herkenbroich" sowohl zum Waldpfad der "Hon" bzw. des Horn-
bachtales, wie auch zum ehemaligen "schopsweg" nach Eynenberg,
wovon die alte Gracht in den oberen Wiesen gut sichtbar ist. Hier
können wir eventuell parken und zu Fuß weitergehen. Nun folgt
rechts das ehemalige Industriegelände, heute Gewerbegelände.
Hier stand 1910-1951 das Kraftwerk (Zentrale) der "Vieille Mon-
tagne”, das in diesem sumpfigen Gelände auf Rammpfählen ge-
baut werden mußte. Es folgten nacheinander die sogenannte alte
Wäsche, die 1848 zur Läuterung der Galmeierden gebaut und
später mehrmals modernisiert wurde, die 1900 gebaute "neue
Wäsche" zur Aufbereitung der nun vorherrschenden Sulfiderze
47
und endlich die hohen Halden aus den Rückständen derselben.
Diese Halden sind auf ca. 20 m Tiefe entlang der Lütticher Straße
abgetragen worden. Bis 1950 erreichten sie die Höhe der gegen-
überstehenden Gebäude.
Zwischen den Neubauten der Gewerbezone sind drei Ziegel-
steingebäude der "Vieille Montagne" übriggeblieben, die als La-
ger dienen, bzw. als Wohnhaus umgebaut wurden. Darunter, am
Rande der Straße, der ehemalige Lokomotivschuppen der Schmal-
spurbahn Mützhagen, heute Wohnhaus mit verputztem Mauerwerk.
Gegenüber, auf der ehemaligen neutralen Seite, steht nach der
Göhlbrücke zuerst die Häuserreihe "e jene brook". Diese Häuser
aus Sand- oder Kalkbruchsteinen sind in der Mehrzahl um 1850
gebaut und im Laufe der Zeit manchmal umgebaut worden. Der
Flurname erinnert an das morastige Gelände und an die 1443 er-
wähnte Galmeigrube "herkenbroich", die später (1856-1884)
als "Südlager" abgebaut wurde. Von 1870 bis um 1954 lag hier
zwischen den Häusern und der Landstraße die Eisenbahnstrecke
"Calamine-Moresnet", die die Agentur (Neutral-)Moresnet der
"Vieille Montagne" mit der Linie Bleyberg - Welkenraedt ver-
band. Wo leider ein Verkaufslager für LKW's eingerichtet wor-
den ist, war früher der Güterbahnhof der "Vieille Montagne". An-
schließend bleiben einige bedeutende Teile der großen Hütten-
anlage erhalten. Zuerst hinter einem neuen Wohnhaus ein hohes
Gebäude, dessen Unterteil als Kohlenlager benutzt wird. 1928-
1950 befand sich hierin die Cottrelanlage, in welcher die aus dem
Drehofen der Zinkoxidfabrik herausströmenden Gase Zinkoxid
auf elektrostatisch geladene Platten und Drähte (40.000 Volt .
Gleichstrom) ablagerten. Im Volksmund hieß diese Anlage "Gift-
mühle". Obwohl theoretisch keine Zinkoxidspuren in die Atmo-
sphäre gelingen durften, lagerte sich massenhaft ein weißer
Staub um die Schloten und bedeckte auch Häuser und Bäume, so
daß die Linden des Lindenweges und der Schützenstraße schon
im Frühsommer ihr Laub verloren. Zinkoxid oder Zinkweiß wird
in der Farbenindustrie gebraucht. Im Hintergrund bemerkt man
noch die Überreste der aus der Anlage stammenden Schlacken-
halde, die nach 1951 von der Welkenraedter Firma Xhonneux ab-
gebaut wurde, um Kunstbausteine ("blök") herzustellen. Nun er-
reichen wir die wichtigste Hinterlassenschaft des ehemaligen Berg-
baus, das im Jugendstil errichtete Verwaltungsgebäude aus
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Die frühere Herberge an der Göhlbrücke
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Häuserzeile mit z. T. renovierten Fassaden
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tuell parken. Wir entdecken den ca. 5 ha großen Casinoweiher.
Diese Wasserreserve wurde im Jahre 1861 durch den Bau eines
300m langen Erdwalls am Zusammenfluß von Tüljebach und Göhl
aufgestaut. Der höchstens 5 m tiefe Stauweiher diente als Wasser-
reservoir für die 1849 gebaute Aufbereitung. Die später an-
gehäuften Halden aus den Aufbereitungsanlagen überragen nun
den Staudamm, dessen Funktion im Gelände gar nicht mehr wahr-
genommen werden kann. Beim Bau der Stauanlage mußte das
Göhlbett verlegt und kanalisiert werden, wodurch die Göhl ein
bedeutend steileres Längsprofil mit Bachschnellen erhielt. Auch
wurden die alten Gemeindegrenzen von Hergenrath gegen Preu-
Bisch-Moresnet verwischt.
Sie laufen seitdem unerkennbar durch das Haldengelände und
sind nur noch auf den Katasterkarten entsprechend den ehemali-
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Verwaltungsgebäude der Vieille Montagne, daneben der frühere Bahnhof
gen Bauchläufen von Tüljebach und Göhl eingezeichnet. Vor ei-
niger Zeit hat der Kelmiser Verkehrsverein das nicht mehr be-
nutzte Wehr zum Entleeren des Stauweihers äußerlich instand ge-
setzt. Die Halden sind durch die Galmeitrift kolonisiert worden.
Leider hat die Gemeindeverwaltung Neu-Moresnet in den siebzi-
ger Jahren den schlichten Pfad an der Göhl entlang durch einen
52
breiten Weg ersetzt, um die Halden leichter mit Lastwagen abtra-
gen zu können. Das abgetragene Material sollte als Wegeschotter
gebraucht werden. Durch diese Maßnahmen wurden schöne Par-
tien der Galmeitrift unnötigerweise zerstört. An charakteristi-
schen Pflanzen erkennt man hier das Galmeitäschel, das
Galmeiveilchen, die Grasnelke, den aufgeblasenen Taubenkropf
und den bläulichen Schafschwingel. Die Frühlingsmiere ist hier
nach den erwähnten Zerstörungen sehr selten geworden. Davor
war diese allgemein seltene Art am Rande einer ziemlich tiefen
mit schwermetallsalzhaltigem Wasser gefüllten Pfütze gut vertre-
ten. Früher haben Kelmiser Kinder in dieser "der gröne" genann-
ten Pfütze leicht schwimmen gelernt, da dieses salzhaltige Was-
ser wegen seiner höheren Dichte den Körper leicht tragen konn-
te. Neben der Galmeitrift sind auch andere Pflanzengesellschaften
sowohl auf dem Schlammweiher der Halden, wie am Ufer des
Casinoweihers zu entdecken, u. a. die Sumpfgesellschaften. Ver-
lassen wir das Haldengelände und kehren zur Landstraße zurück.
Am Parkplatz erkennen wir auf der anderen Seite der
Casinostraße zwei Bruchsteinhäuser. Das erste aus Bruch-
sandsteinen mit Kalksteinrahmen gehört zum typischen Stil des
18. Jhs. Die Bruchsandsteine (Famennestufe) konnten aus einem
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Der Penning
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kleinen Steinbruch an Ort und Stelle gewonnen werden. Wie das
Schild im Keilstein des Türsturzes mit der Inschrift "A.O 1776
/ I.W.A.P./ A.B.G." zeigt, wurde das Haus in jenem Jahr vom
Schmied Johann Willem Anton Pennings und seiner Ehefrau Anna
Barbara Groenenschild gebaut. Das Ehepaar hatte am 25. Febru-
ar 1775. in Moresnet geheiratet. Die Frau war die Tochter des
Schmieds der Altenberger Galmeigrube Etienne Groenenschild,
dem sein Schwiegersohn im Amt folgte. Das zweite Haus aus
Bruchkalksteinen gehört dem 19. Jh. an und mag zuerst als Stall
gedient haben. Die "Vieille Montagne" mietete das Haus
"Penning" im Jahre 1847 vom Baron de la Rousseli&re, Guts-
herrn auf der Eynenburg, und ließ hierin 3 Arbeiterwohnungen
einrichten. Im Jahre 1898 bestanden hier 6 Arbeiterwohnungen,
wohl in den zwei Häusern zusammen. Die Bevölkerungsliste von
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Der Select, heute Kulturheim
1894 gibt drei Häuser am Penning an, d. h. wohl drei Eingangs-
türen. Im Haus Nr. 73 wohnten 2 Witwen und eine siebenköpfige
Familie; im Haus Nr. 74 eine elfköpfige und im Haus Nr. 75 noch
eine siebenköpfige Familie!
54
Dem Penning gegenüber auf der anderen Seite der Lütticher
Straße befindet sich der "Select", ein langgestreckter Kalkbruch-
steinbau mit großen Fenstern in Ziegelsteinrahmen. Im Jahre 1977
erwarb die Gemeindeverwaltung das Gebäude, um ein Kultur-
zentrum einzurichten, das am 10. Juni 1983 eröffnet wurde. Da-
vor diente es als Hotel mit Restaurant. Als solches wurde es im
vorigen Jahrhundert von einem Herrn J. Bergerhoff erbaut und
im Mai 1885 eröffnet. Am 15. August 1903 wurde in diesem Ho-
tel eine Spielbank eingerichtet, nachdem das belgische Gesetz von
1902 Glücksspiele in Belgien untersagt hatte. Die damals für
Polizeimaßnahmen zuständigen Königlichen Kommissare für die
Verwaltung des Neutralen Gebietes verordneten aber die Schlie-
ßung dieses "Cercle prive des Etrangers de Calamine ä Moresnet-
Neutre" am darauffolgenden 2. September. Im Juli 1926 eröffne-
te der "Club Select International" wieder eine Spielbank im Hotel
Bergerhoff. Diesmal wurden vor allem deutsche Kunden aus der
Aachener Gegend angelockt. Auch diese Initiative wurde Anfang
März 1928 durch den Prokurator des Königs in Verviers unter-
bunden, obschon die Gemeindebehörden sich für die Beibehal-
tung des Kasinos ausgesprochen hatten in der Hoffnung, Gemein-
desteuern einziehen zu können.
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Die Direktorvilla, heute Park-Hotel
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Von hier aus fahren oder gehen wir die Lindenstraße hinauf.
Diese wurde zwischen 1862 und 1873 von der "Vieille Monta-
gne" auf dem von ihr gepachteten Domanialgrund der
Galmeilagerstätte angelegt. Links befindet sich der Eingang zum
Naturreservat der Galmeitrift, die sich an der südöstlichen Flanke
des ehemaligen Tagebaues entwickelt hat. Dieses Gelände wurde
1995 von der Gemeinde an die Naturschutzvereinigung "Ardenne
et Gaume” verpachtet. Es darf nur in Begleitung eines Vertreters
dieser Vereinigung betreten werden.
Nun können wir eine wohlverdiente Pause eventuell im Park-
Caf& oberhalb des Lindenweges einlegen. Hier bietet sich eine
weitere Parkmöglichkeit.
56
Vor 110 Jahren: Die Eisenbahn
verbindet Raeren und Eupen
von Alfred Bertha
Trotz allen Modernisierungsversuchen und allen Plänen der
Eisenbahnverwaltungen, das in den vergangenen Jahrzehnten ver-
lorengegangene Terrain im Güter- und Personenverkehr zurück-
zugewinnen, wird der Schienenverkehr auch in Zukunft nicht mehr
die Rolle spielen können, die ihm einst zugedacht war. ;
Vor hundert Jahren sah man noch in der Eisenbahn das einzige
Mittel, rückständige Gebiete am allgemeinen Wohlstand teilneh-
men zu lassen. Riesige Bahnhofsanlagen spielten die Rolle heuti-
ger Autobahnkreuze und selbst kleinste Orte wollten um jeden
Preis an das Eisenbahnnetz angeschlossen werden.
Beim Bau der Rheinischen Eisenbahn Köln-Antwerpen in den
vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts - die Strecke wurde am
15. Oktober 1843 eingeweiht - hatte man auf Betreiben des
Aachener Kaufmannes und Präsidenten der Industrie- und Han-
delskammer David Hansemann, des späteren preußischen Finanz-
ministers, vom ursprünglichen Plan einer Trassenführung über
Düren - Eschweiler - Stolberg - Kornelimünster nach Raeren und
Eupen abgesehen und statt dessen die Streckenführung über
Aachen und Hergenrath gewählt, was mit bedeutenden Mehrkosten
verbunden war. Bei der zuerst ins Auge gefaßten Linie über
Stolberg wäre Aachen mit einer Zweiglinie verbunden worden;
nun war es Eupen, das durch den Bau einer solchen Stichbahn ans
europäische Netz angeschlossen werden sollte. Ein höchster kö-
niglicher Entscheid Friedrich-Wilhelms III. vom 12. Februar 1837
schrieb die Streckenführung in folgenden Worten vor: "Die Bahn
soll beim Kölner Freihafen beginnen, über Düren, Aachen,
Burtscheid an die belgische Grenze führen. Von da an soll eine
Zweigbahn nach Eupen geführt werden." Die hier "verordnete"
Zweigbahn blieb allerdings noch lange Jahre ein Wunschtraum
der Eupener. Erst 1862 wurde sie von Herbesthal aus über
Gemehret gebaut; Endstation war in Eupen der Bahnhof Ecke
Herbesthaler - Vervierser Straße ("Residenz Reinartzhof"), der
1863 eingewe‘ht wurde und bis 1887 in Betrieb blieb.
57%
Raeren blieb lange Jahrzehnte nach allen Seiten hin ohne
Eisenbahnanschluß. Erst mit der sog. Vennbahn, der Verbindung
des Aachener Kohlenreviers mit den luxemburgischen und
lothringischen Eisenhüttenbetrieben, deren Planung und Verwirk-
lichung ab 1875 konkrete Formen annahmen, (1889 war die ge-
samte Strecke fertiggestellt) kam auch für Raeren das Ende seines
Inseldaseins. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammen-
hang ein preußisches Gesetz vom 15. Mai 1882, das den Ausbau
des Eisenbahnnetzes und die Schaffung neuer Linien zum Gegen-
stand hatte ("Gesetz betreffend die Erweiterung, Vervollständigung
und bessere Ausrüstung des Staatseisenbahnnetzes"). Das Gesetz
sicherte den Bau von sechzehn neuen Strecken finanziell ab. In
unserem Gebiet wurden drei neue Linien vorgesehen, und zwar
die Hauptlinie "von Prüm über St. Vith und Montjoie nach Aachen/
Rote Erde", sodann eine von dieser Hauptstrecke "von Rären (sic)
oder einem anderen geeigneten Punkt der Bahn ... nach Eupen"
führende Zweigbahn und eine weitere Zweigbahn von Walheim
nach Stolberg.
Nur drei Jahre nach dieser gesetzlichen Grundlage, am 1. Juli
1885, konnten schon mit der Verbindung Aachen-Monschau die
ersten 48 km der neuen Bahnen eröffnet werden. Das
"Correspondenzblatt des Kreises Eupen" vom 4. Juli 1885 berich-
tete kurz:
"Am 1. c. fand die officielle Eröffnung der Bahnstrecke Rothe-
Erde - Montjoie statt. An der Feier betheiligten sich u. a. der Prä-
sident der linksrh. Eisenbahn-Direktion, Herr Geheimrath Ren-
nen, sowie der Regierungs-Präsident, Herr von Hoffmann. Der
erste Extrazug wurde um 10 Uhr 10 Min. Vormittags von Aachen
abgelassen; an jeder Station wurde gehalten und von einer auf
dem Zuge befindlichen Musikkapelle ein Stück gespielt. Die An-
kunft in Montjoie erfolgte Mittags um 1 Uhr, worauf ein Festzug
durch die Stadt und demnächst ein solennes Essen in der Güter-
halle des neuen Bahnhofs stattfand, an welchem sich 200 Perso-
nen betheiligten. Um 1/2 8 Uhr Abends verließ der Extrazug mit
den Gästen die Station Montjoie und traf um 1/2 10 Uhr wieder in
Aachen ein."
Auch die Raerener Gemeindechronik würdigt das Ereignis. Der
Chronist schreibt: "Mit Fahnen und Fähnchen versehen zogen die
Schulkinder des ganzen Ortes zum festlich geschmückten Bahn-
58
hof. Gegen 10,30 Uhr brauste der mit Kränzen und Girlanden ge-
zierte Zug heran. Unterdessen sangen die Kinder der Driescher
Klassen das Lied: 'Heil Dir im Siegerkranz'. Die den Zug beglei-
tende Musikkapelle stieg aus und spielte ein Weise, worauf die
Kinder das Lied 'Guten Morgen' sangen. Unterdessen sahen sich
die Herren die durch Herrn Hubert Schiffer ausgestellten Krüge
an und äußerten sich sehr lobend über die erzielten Fabrikate. Nach-
dem die Herren wieder eingestiegen waren, fuhr der Zug weiter in
Richtung Rötgen-Montjoie, wo das Festessen stattfand."
Für viele in Aachen beschäftigte Raerener war dies eine große
Erleichterung, wenn auch beileibe nicht alle von den Segnungen
einer Eisenbahnhaltestelle in ihrem Ort überzeugt waren. {
Neben Aachen bot Eupen als Textilstadt manchem Raerener Brot
und Arbeit. In einer Petition vom 14. Januar 1881 wird die Not-
wendigkeit einer Bahnverbindung nach Eupen hervorgehoben.
Auch in einer Eingabe der Eupener Handelskammer an den Mini-
ster der öffentlichen Arbeiten vom 2. September 1884 wird darauf
hingewiesen, daß die Arbeiten an der Strecke Aachen - Monschau
"außerordentlich gefördert" würden und die Schienen schon bis
Kornelimünster verlegt seien. Bei der "großen Wichtigkeit eines
zeitigen Anschlusses der Stadt Eupen an die Hauptlinie", von dem
die Erhaltung der Verkehrsbeziehungen zwischen Eupen und der
Eifel in hohem Maße abhängig sei, fühlten sich die Mitglieder der
Handelskammer gedrungen, den Minister "ehrerbietigst dringend
zu bitten, eine Entscheidung in unserer Bahn-Frage hochgeneigtest
bald treffen zu wollen, damit die notwendigen Arbeiten energisch
in Angriff genommen werden können".
Lange vor der Inbetriebnahme des Raerener Bahnhofs am 1.
Juli 1885 diskutierte man in der Weserstadt, ob es nicht angebracht
sei, die Linie Raeren-Eupen mit Beibehaltung des alten Eupener
Bahnhofs bis zur Haas weiterzuführen. Sowohl die Eupener Han-
delskammer wie der Stadtrat waren mehrheitlich für die Beibe-
haltung des Bahnhofs an der Vervierser Straße und auch der
Regierungspräsident von Hoffmann verteidigte die Idee einer
Weiterführung der Strecke bis zur Haas aufs wärmste. Im Bericht
über eine Zusammenkunft in Eupen, am 17. Juni 1884, an der
neben dem Regierungspräsidenten von Hoffmann, der Präsident
der linksrheinischen Eisenbahndirektion, Rennen, Landrat
Gülcher, Bürgermeister Mooren, Handelskammerpräsident
59
Fremerey, das Eisenbahnkomitee und mehrere andere Interessen-
ten teilgenommen hatten, heißt es: "Für das Projekt, den Bahnhof
nach dem Hook zu verlegen, sprach sich niemand aus, man war
vielmehr der Ansicht, es wäre besser, wenn der alte Bahnhof bei-
behalten und von dort aus ein Schienenstrang nach der Oe gelegt
werde."
Der für Eisenbahnfragen zuständige Minister Maybach hatte
jedoch eine durchgehende Linie Herbesthal - Eupen - Raeren fest-
gelegt und dabei einen Bahnhof "Hook" vorgesehen. In der Stadt-
ratssitzung vom 7. November 1884 informierte Bürgermeister
Mooren die Stadtverordneten über den ministeriellen Entscheid.
Einzelne Stadtverordnete plädierten für diesen ministeriellen Be-
schluß (Bahnhof Hook), wollten aber von diesem Bahnhof aus
eine Verbindung zum Industrieviertel Haas schaffen.
Dermifcte Mudridlen.
Auszug aus dem Yrofokole der Handefskam:
mer-SiHung vom 5. Iufi 1884,
De
Sifenbahu= bezw. Bahuhofs-Angekegenheit.
Der VBorfikende kegt der Kanımer eine Eingabe
mchrerer hiefigen Firmen vor, mittelft welcher dies
felben Abjchrift ciner Petition vieler Bürger der
Stadt an den Herrn Sijenbahn-Minifter un Beiz
behaltung de8 allen Bahnhofs und Fortführung
der neuen Linie NMacren=Caupen nach der Haas mit
MAulage eines BahnhofeS dafelbft cinfenden und die
Bitte ausiprechen, daß die Handelskammer diejer
Petition ihre Unterftitkung angedeihen Laffen und
in diefenm Sinne cbenfalls an Se, Grecllenz den
Herrn Minifter Maybach berichten wolle,
Mach Iebhafter Diskujfion befchlicßt die Kammer
mit 5 gegen 4 Stimmen dem Antrag zu eutfprechen.
Für Willfahrung fHinımnten: Fremerey, Gülcher
Weblar, Ziumermann, Mayer. Gegen: Tonnar,
LKenfd, Meichenberger, TheLofen,
Gleichzeitig erklärt die Sammer einftimumig,
daß die Weiterführung der Bahu zur HaaZ mit
Errichtung eines Yahnhofe8 dajelbfit für die Kurz
terefjen der ganzen Stadt dringend nothwendig ift.
Die Minorität wiünfcht c& dent Herrn Minifler
zu überlaffen, den Bahnhof dort anzulegen, wo
Se. Gyeellenz c8 im Iuterejie des durchgehenden
Berkehr8 und der Stadt angemejfen erachtet,
KEGENAANPEE G EEE
Auszug aus dem Protokoll der Eupener Handelskammersitzung .
vom 5. Juli 1884 (Korrespondenzblatt vom 9.7.1884)
60
Minister Maybachs Konzept wurde verwirklicht. Das Amtsblatt
der Kgl. Regierung zu Aachen brachte am 26. Februar 1885 "zur
öffentlichen Kenntnis, daß die Kgl. Eisenbahn-Direktion in den
nächsten Tagen mit der Absteckung der Bahnaxe für die Neben-
bahn von Eupen nach Raeren beginnen wird".
In Eupen hatte man sich wohl oder übel mit dem neuen Bahn-
hof Hook anfreunden müssen. Als die Strecke Raeren-Eupen kurz
vor der Fertigstellung und Eröffnung stand, sah sich der Stadtrat
gezwungen, die "Festivitäten bei Eröffnung der Zweigbahn Eupen-
Raeren" zu besprechen. Man wollte ein Festkomitee mit der Or-
ganisation derselben betrauen und schlug als Mitglieder dessel-
ben Kommerzienrat Gülcher, Andre von Grand'Ry und Julius’
Mayer vor. Gülcher lehnte ab, weil er stets ein Gegner der
Verlegung des Bahnhofs zum Hook gewesen sei und ihm daher
die notwendige Festesstimmung fehle. Grand'’Ry und Mayer er-
klärten, sie müßten verreisen.
Bei einer am 31. Juli 1887 "behufs Veranstaltung einer Feier
bei Eröffnung des Hookbahnhofes" im Saal Tonnar einberufenen
Versammlung bestimmten die ca. 30 anwesenden Personen ein
vierköpfiges Komitee und beschlossen, am Mittwoch, dem 3.
August, den ersten nach Raeren abgehenden und von dort eintref-
fenden Zug durch eine Musikkapelle am neuen Bahnhof begrü-
ßen zu lassen. Außerdem solle die Eröffnung durch 150
Böllerschüsse angekündigt werden. Für abends wurde im
Tonnarschen Lokale großes Freikonzert im Garten angesagt.
Am 3. August 1887 verließ der erste Zug den Eupener Bahnhof
Hook in Richtung Raeren. Zur Eröffnung der neuen Strecke brachte
das "Korrespondenzblatt" eine Lobeshymne auf die Eisenbahn.
Mit der neuen Verbindung sei "dem großen Netz von Eisen eine
Masche zugefügt" und "das teure Nachbarland" (Raeren), dessen
Quellen seitwärts geflossen seien, "lange Eupen abgewandt”", sei
nun wieder erschlossen.
In der dritten Strophe zeigt sich der Fortschrittsglaube jener
Zeit. Mit jeder neuen Eisenbahnverbindung sah man neue Absatz-
märkte sich öffnen; jede Strecke biete den Ansatz einer neuen ...
Die Strecke Raeren - Eupen ließ den Raerener Bahnhof zu ei-
nem wichtigen Verbindungspunkt auf der Vennbahn werden, die
nun von Herbestahl über Eupen erreicht werden konnte. Die Tuch-
stadt an der Weser, die beim Eisenbahnbau bisher eher
61
stiefmütterlich behandelt worden war, fand einen weiteren An-
schluß an die großen internationalen Strecken.
Die neue Strecke Raeren-Eupen (mit Weiterführung nach
Herbesthal) war recht rege befahren. Wie wir aus alten Fahrplä-
nen ersehen, zählte man z. B. am 1. Oktober 1898 wochentags
sieben Züge Herbesthal - Eupen und drei Züge Herbesthal - Raeren.
Der lokale Verkehr Eupen - Aachen oder Raeren - Aachen konnte
aber durch diese Strecken für die meisten nicht befriedigend be-
schleunigt werden. Erst der Bau der Kleinbahnstrecken (Aachen -
Eupen, 1906, Eupen - Herbesthal, 1910) bot eine schnellere und
direktere Anbindung an die Kaiserstadt.
Ga Zur Feier
( der A |
Sröffnung der Sifenbafnfkredie Supen-Kaecen
; z am 3. Auguft 1887. |
Seht das Dampfroß heute eilen 8 ZoU der Sthienenlänge, E
Auf dem’ Bergestamme Fühn, er das Dampfroß weiter trägt, A
Schnurrend über Schienenzeilen Schaffet neue AUbfabßgänge, E
Bald durch Wald und Wiefengrün ; Neu er Glüdeswurzeln {Ahlägt : |
£aßt den Tag uns jubelnd preifen, Yede Eifenbahn auf Erden 4
Der die Zukunft nimmer frügt, Zeigt den Sn unfrer Zeit, A
Der dem großen Ne von Eifen Ai Strefe hat ein Werden |
| Eine 2Mafche zugefügt! :iner neuen Stref” bereit! |
: Si ift wieder ja erfchloffen } Werk des Friedens! fei willlonımen, !
‚Uns das teure Nachbarland, 3. Rühmend wirft du ftets genannt; 8
|, Deffen Quellen feitwärts floffen, Was du bringft zum Heil und F$rommen,|
| ange Eupen abgewandt ; Danfkt dir Stadt und Vaterland ! f
eder foll des Tags fich freuen, £aßt den Tag uns jubelnd preifen,
| Der ihm .frohe Hoffnung bringt Der die Zukunft nimmer trügt, 5
; Und das Eifelland in Treuen An das große Weß von Eifen | S
| Durch ein ftarfes Ausgabe umfchlingt. { Eine Mafche neu gefügt! 4
Ko ; si
EEE
Gedicht zur Eröffnung der neuen Eisenbahnstrecke
(Korrespondenzblatt vom 3.8.1887)
Die Kleinbahnlinie Aachen - Eynatten - Eupen wurde schon
am 19. Juli 1906 durch eine Abzweigung nach Raeren erweiter!,
dessen Ortsmitte damit eine schnelle Verbindung nach Aachen un
62
Eupen erhielt. Diese Kleinbahnstrecke war bis zum 11. Septem-
ber 1944 in Betrieb. ( V. Gielen, Raeren und die Raerener im Wan-
del der Zeiten, S. 135).
öffnungs-Feier der Yahnftren
Sröffnungs-Feier der Yahnftredke Supen-Kaeren,
Mittwoch Morgen am 3. Auguft
Dei Ab: und Anfahrt der erften planmäßigen Züge
KXiarmonie-ANuhk
auf der Terajffe des Bahnhojes, — Böllerfchießen, — Abends 8 Uhr
BE GARTEN-CONCERT
in der Neftauration Harmonie. IMumination des Gartens. Bei Einlauf |*
de8 lebten Zuges Völlerjchießen und Feuerwerk.
Im Falle ungünftiger Witterung findet das Conzert im Saale jtatt. #
« ENTREEB FREI.
MS Die Anwohner der dem Bahnuhofe nähfgelegenen Straßen werden gebeten,
on diefem Tage ihre Hänfer zn beflaggen.
Das Comite.
FA DBekanutmachung,
ra EM Um 3, Arguft d. N. wird die Neubau-Strede Eupen:
ZOOS Maeren unter Einführung de8 weiter folgenden Fahrplan8 dem
Da Tg ang Betrieb übergeben und der neue Bahnhof Eupen (Hood) eröffnet,
XI IS dagegen der bisherige Bahnhof Eupen außer Betrieb gejebt.
nr 9-E Anm Bom Tage der Betriebs-CEröfinung ab findet auf der Strefe
Naeren-Eupen unter den Bejtimmungen des BetriebS-Neglements für die Eifenbahnen
Deutjdiands die Beförderung von Perfonen 2., 3. und 4. Wagenklafje, Reijegepäk, Gü:
tern, Leihen, Fahrzeugen und lebenden Zhieren ftatt.
Die Tarife können auf den Stationen eingefehen werden.
Fahrplan:
Eupen (Hood) ab 7'5 Borm. 123 259 Nam, 7% AWbb3.
RMaeren an AL FAR, ET art
Raeren ab LM 1980788 arrimctin) Sn
Eupen (Hood) an 8% 1% 3836 Ohr
Ferner wird auf der Strede Herbesthal-Cupen ein Perjonenzug neu eingelegt,
Mbjahrt HGerbesthal 12'° Nadmittags Ankunjt Eupen (Hood) 12% Nachmittags.
Köln, den 28. Iuli 1887, 4
Königliche Eijenbahn-Direction (linksrh.)
Eröffnungsfeierlichkeiten und Fahrplan der neuen Strecke Eupen-Raeren
(Korrespondenzblatt v. 3.8.1887)
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Personenverkehr auf
der Strecke Raeren - Eupen zunächst wieder aufgenommen, aber
am 28.3.1959 von der Eisenbahngesellschaft eingestellt. Die einzi-
gen Personenzüge, die den Bahnhof Raeren noch passierten, waren
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Abfahrt des ersten Zuges nach Raeren, am 3. Aug. 1887 .
Truppentransporter in Richtung Lager Elsenborn. Doch auch die-
se ließ die Eisenbahngesellschaft ab Ende August 1988 aus
Sicherheitsgründen nicht mehr zu.
OHM SAH ASD 0S0T HEN Sigs nd
Bon Ginzelfahrt. | püefahrt
f He [ars
Sen m nr, | wm. Ss IL. {II
nad | | IS
AND ME. ME. mt. me, oe. me,
Brand 1 [E4010,90/0,50/0,3012,10 1,40”
Büttgenbach 3,40 2,30 120.080 6.108,50
Conzen 1,90 1,80|0,70/0,50/2,9012,00
Coruelymünfter 1,10/0,80} 0,40 0,30 1.701,20
Kalterherberg 2,60|1,70/0,90/0,60|3,90/2,60
Lanımer8dorf 1,60/1,10/0,60/0,40{2,40/1,70 *
Malmebdy 4,20/2,80 1,40/1,0016,30/4,20
Moutjoie 2,10/1,40 0,70/0,50/8,20 2,10
Nacren 0,50/0,40/0,20/0,20/0,80/0,60
Dötgen 1.100,70 0,40/0,30| 1,70/1,10
Sourbrodt 3,00 2,00/1,00'0,70 14,5013,00
Walheint 10,90(0,6010,80.0,20{1,4010,90
Von Eupen aus zu erreichende Stationen der „Eifelbahn“
64
Eisenbahnnostalgiker haben die Strecke Eupen - Raeren seit
1971 für Sonderfahrten ins Venn genutzt.
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Der Bahnhof Raeren (Aufn. 1997)
Die heutige touristische Nutzung der Vennbahn in den Sommer-
monaten weckt auch seit 1990 den Raerener Bahnhof alljährlich
wieder für einige Monate aus dem Dornröschenschlaf. Ein Rund-
kurs ab Bahnhof Raeren über Weywertz, Jünkerath, Heimbach,
Düren und Stolberg zurück nach Raeren, wie ihn Eisenbahnfreunde
diesseits und jenseits der Grenze anstreben und noch vor der Jahr-
tausendwende verwirklichen möchten, würde dem Raerener Bahn-
hof zusätzliche Attraktivität verleihen.
65
Der Fluch der Nationalismen -
Grenzen und Entfremdung
durch vereinnahmte Kultur(en) -
Kulturnation und Staatsnation *
von Dr. Carlo Lejeune
Die moderne Vereinsforschung wird durch eine einfache, aber be-
merkenswerte These bestimmt: Jeder moderne Verein entstand in den
vergangenen 200 Jahren aus einem konkreten Bedürfnis einer Grup-
pe. Es gibt keinen Grund zur Annahme, daß dieser Verein nicht ge-
nauso schnell wieder verschwinden kann wie er entstand, wenn die-
ses Bedürfnis nicht mehr bei seinen Mitgliedern verspürt wird.
Diese klare Feststellung führt zu der Schlußfolgerung, daß jeder
Verein permanent um sein Überleben kämpfen muß. Er kann dieses
Uberleben nur dann sichern, wenn er das Bedürfnis, das zur Grün-
dung des Vereines führte, wachhält und zeitgemäß (d.h. dauernd dem
Lebensumfeld angepaßt) bei der nachfolgenden Generation wecken
kann. ;
Was für jeden modernen Verein gilt, muß wohl auch für die
Geschichtsvereine gelten. Befinden die drei Geschichtsvereine Ost-
belgiens sich nun nach eigener Einschätzung in einer mehr oder min-
der deutlichen Krise, so liegt das nicht nur an einem möglichen
Generationenkonflikt, der für die meisten Geschichtsvereine sympto-
matisch ist, sondern auch am Umgang mit diesem Bedürfnis nach
Geschichte, das die Gründung der drei Vereine einstmals motivierte.
Ein einfaches Beispiel mag dies belegen: Ein Blick auf den Bücher-
markt zeigt, daß die Konjunktur für Orts- und Gemeindechroniken in
Ostbelgien günstig ist. Die Zahl der Neuausgaben ist in den letzten
zehn Jahren kontinuierlich angestiegen und die Nachfrage scheint zu-
friedenstellend zu sein.
Das scheint logisch. Denn desto mehr die Menschen im
Informationszeitalter mit Informationen überhäuft werden, desto grö-
ßer scheint das Interesse für die überschaubare Region und den eige-
nen, engen Lebensbereich zu sein.
Bestes Beispiel sind die regionalen Tageszeitungen in der Euregio
Maas-Rhein. Sie haben fast ausnahmslos im letzten Jahrzehnt die Be-
richterstattung aus der Region deutlich ausgebaut. Auch das Grenz-
Echo hat sich diesem Trend kompromißlos angeschlossen. Selbst auf
der ersten Seite werden nun regionale Themen in der Regel als
66
Schlagzeile oder Titelgeschichte angerissen. Dieser Trend setzt sich
dann in den Blättern fort: Dort wird das Regionale immer häufiger
auf den ersten Seiten vor den nationalen und internationalen Themen
behandelt. Die Leser-Blatt-Bindung wird hierdurch erheblich verstärkt.
Auch auf die historische Literatur scheint dieser Trend überzu-
greifen. Hier gewinnen das Regionale ebenso wie die jüngere Ver-
gangenheit an neuer Bedeutung: Eine besonders begrüßenswerte Ent-
wicklung - besonders in der belgischen Eifel, weniger im Eupener
Land - ist das neue, unverkrampftere Verhältnis, das Buchautoren und
Leser im Bereich der Orts- und Regionalgeschichte zur Zeit des Na-
tionalsozialismus finden. Die Zeit der Tabuisierung scheint vorbei
und mit ihr ein unliebsamer Nebeneffekt. Denn bedeutsam ist nun
auch, daß im Rahmen dieser Tabuisierung nicht nur die politischen
Themen der jüngeren Vergangenheit verdrängt wurden, sondern
gleichzeitig auch weite (und oft ungemein spannende) Teile der
Alltagsgeschichte.
Doch diesem Trend scheinen sich die drei ostbelgischen
Geschichtsvereine bis heute kaum angeschlossen zu haben. Weite
Themenfelder des 20. Jahrhunderts (und nicht nur die politisch
brisanten Themen) sucht der Leser in der Regel in ihren Publikatio-
nen vergeblich. Die größte Offenheit der jüngeren Vergangenheit ge-
genüber zeigt wohl mit Abstand der Eifeler Geschichtsverein „Zwi-
schen Venn und Schneifel".
Im Gegenzug zeigt der Büchermarkt aber sehr deutlich, daß das
Interesse für lokal- und regionalhistorische Bücher gesteigert werden
kann, wenn die Leser erfahren, daß sie ein Produkt dieser beschriebe-
nen Geschichte sind und sie über ein Buch vieles über ihre eigene
Geschichte erfahren können. In der Praxis ist dies eine klare Auffor-
derung an die Geschichtsvereine, das gesamte, schnellebige 20. Jahr-
hundert möglichst umfassend zu berücksichtigen.
Denn es ist einleuchtend, daß Geschichte nur dann nachvollzieh-
bar wird, wenn der Leser sich in ihr wiederfindet. Daß der Durch-
schnittsleser sich eher in der Alltagsgeschichte des 20. Jahrhunderts
als in einem hörigen Bauern des Mittelalters wiedererkennt, darf nun
kaum verwundern.
Jüngere Leser lassen sich nun aber nur ansprechen, wenn die Ver-
antwortlichen in den Geschichtsvereinen das überwinden, was ihre
Verdrängungshaltung der jüngeren Geschichte gegenüber bisher mo-
tivierte: den Fluch der Nationalismen, der das Resultat der wechsel-
haften ostbelgischen Geschichte in den vergangenen 80 Jahren ist.
67
In meinen Augen scheint es lohnenswert, diesen Fluch der Natio-
nalismen in einigen wesentlichen Etappen nachzuzeichnen.
Zunächst ist festzuhalten, daß Nationalismus laut Duden "ein star-
kes, meist intolerantes, übersteigertes Nationalbewußtsein ist, das
Macht und Größe der eigenen Nation als höchsten Wert erachtet "
Ad)
Die Nationalismusforschung differenziert hier stärker. Zunächst hält
sie den sogenannten Risorgimento-Nationalismus fest. Dieser "libe-
rale Nationalismus" fand seinen Höhepunkt in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts, zielte letzten Endes auf die Befreiung von politi-
scher und sozialer Unterdrückung und diente zur Selbstidentifizierung
im (häufig noch nicht verwirklichten) Nationalstaat.
Der "integrale Nationalismus", auch "übersteigerter Nationalismus"
genannt, setzt die Nation absolut. Er verpflichtet das Individuum auf
einen einzigen Wert: die Nation (2).
Diese Wortumschreibung fordert nun noch eine Klärung des Be-
griffes Nation heraus. Einer der bekanntesten und immer noch ein-
leuchtendsten Ansätze, sich dem Phänomen der Nation zu nähern,
stellt die Unterscheidung von Staatsnation und Kulturnation dar. Die-
sem Begriffspaar, für das es im Englischen oder Französischen keine
Entsprechung gibt, hat der deutsche Historiker Friedrich Meinecke in
der Nationalismusforschung zum Durchbruch verholfen. Ausgangs-
punkt waren für Meinecke die Merkmale der Gleichheit oder Gemein-
samkeit als Bestimmungsfaktoren der Nation.
Folglich begreift sich die Kulturnation über Herkunft und Spra-
che, geschlossenes Siedlungsgebiet, Religion, Gewohnheiten und
Geschichte.
Dagegen begreift sich die an der Idee der individuellen und kol-
lektiven Selbstbestimmung orientierte Staatsnation aus dem freien
Willen und dem subjektiven Bekenntnis des Individuums zur Nation
(3).
Zwei Beispiele. Der französische Religionshistoriker Ernest Re-
nan formulierte 1882:
"L’existence d'une nation est (...) un plebiscite de tous les jours
(4)." Der Historiker Pierre Fougeyrolles erläuterte mehr als hundert
Jahre später: "La nation, c'est d'abord une Emotion (5)."
1. Die umstrittene Volksbefragung
Auch die Eupen-Malmedyer waren im 19. Jahrhundert in die un-
terschiedlichen Formen von Nationsverständnis und Nationalismus
(in Form von übersteigerter Vaterlandsliebe) hineingewachsen, die
68
spätestens mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges eine deutliche
Überhöhung erfuhren. Ausschlaggebender Wendepunkt in der Ge-
schichte dieser Grenzregion war aber die umstrittene Volksbefragung
von 1920, der zahlreiche Makel anhafteten: Sie war keine Abstim-
mung, da sie weder frei, noch geheim war. Die Abstimmungswilligen
standen durch ihr öffentliches Votum in den Protestlisten unter Druck.
Ihnen drohte der Entzug von Lebensmittelkarten, der Ausschluß vom
Geldumtausch oder gar die Ausweisung, was besonders für die vielen
Landwirte den Verlust der Lebensgrundlage bedeutet hätte. Schließ-
lich war auch Belgien als möglicher Nutznießer gleichzeitig Schieds-
richter dieser vom Völkerbund vorgeschriebenen "consultation po-
pulaire"'. ;
In der Bevölkerung wurde diese Volksabstimmung als Farce mit
weitreichenden Auswirkungen empfunden. Sie entwickelte sich näm-
lich zu einem weiteren Vehikel für einen belgischen oder deutschen
Nationalismus, der fast ausnahmslos in übersteigerter Form auftrat.
Der Fluch des Nationalismus konnte aber seinen Lauf nehmen, weil
schon bald Kultur mit Nationalismus vermischt wurde: In der
Weimarer Republik dominierte nach wie vor die Auffassung der
Kulturnation, die alle Menschen deutscher Sprache und Kultur in ei-
nem Land vereinigen sollte. Zu dieser Kulturnation sollten auch all
die Deutschen gehören, die durch den Versailler Vertrag von anderen
Ländern annektiert worden waren. Auf belgischer Seite herrschte zwar
die Auffassung der Staatsnation vor, doch durch die deutliche Vor-
machtstellung der französischen Sprache in diesem Land flossen auch
hier klare Elemente der Auffassung einer Kulturnation mit ein.
2. Von Selbstbestimmung keine Spur 1
Nach der umstrittenen Volksbefragung begann das Ringen zwi-
schen der Weimarer Republik und dem belgischen Staat um die Zu-
stimmung der sogenannten Neubelgier. Deren Haltung war gespalten:
Die einen empfanden die Volksbefragung als Unrecht und setzten sich
für eine neue, faire Volksabstimmung ein. Die andere Meinungsgruppe
nahm die Volksbefragung als vom Völkerbund abgesegnet an und
versuchte, auch im neuen Vaterland Heimat zu finden.
Vor Ort regierte Generalleutnant Baron Baltia mit quasi diktatori-
schen Mitteln. Er konnte versuchen, die schwierige Aufgabe der Ein-
gliederung der Neubelgier in ihr neues Vaterland mit allen Mitteln
durchzusetzen.
Das alte Vaterland Deutschland, als durch den Versailler Vertrag
gekränkte Nation, stand nun aber vor der schwierigen Aufgabe, die
69
alten Landsleute für den eigenen Nationalismus zu begeistern. Nach
1920 galt es nicht mehr nur, eine kurzfristig zu erreichende Mehrheit
von Protestierenden zu gewinnen, sondern nun bestand die Notwen-
digkeit, „den deutschen Gedanken in Eupen-Malmedy mit allen Mit-
teln zu erhalten und zu stärken" (6), wie das Preußische Innen-
ministerium 1920 formulierte.
Daß es dabei klar um die Verbreitung von Nationalismus ging, wird
aus einer Wertung der Gemeinderatswahlen von 1926 deutlich. Hier
schlußfolgerten die Deutschtumspolitiker, "daß sich der (Gemeinde-
rats-) Wahlkampf von 1926 in zunehmender Schärfe als die Ausein-
andersetzung der deutschgesinnten Bevölkerung von Eupen-Malmedy
mit den probelgischen Elementen gestaltet" habe und daß trotz aller
Bemühungen von belgischer Seite "das nationalpolitische Moment"
(7) nicht habe verdunkelt werden können.
Als Medium sollte der 1926 gegründete Heimatbund dienen. Es
galt in dieser Vereinigung "alle lebendigen, bodenständigen und kul-
turellen Kräfte der drei Kantone planmäßig zu sammeln, zu pflegen
und für die kulturelle und damit auch politische Selbsthilfe (...) zu
entfalten" (8). Diese frühzeitige Verquickung von Kultur und Politik
wird auch in einem Schreiben von 1928 bestätigt, in dem Hans
Steinacher, einer der wesentlichen Lenker des Vereins für das
Deutschtum im Ausland (VDA), im Namen der Deutschen Arbeits-
stelle den Landesverband des VDA Mittelrhein auf seine unter-
geordnete Stellung hinweist, da die "kulturelle Arbeit für Eupen-
Malmedy nur ein Teil der Deutschtumsarbeit ist, neben der die politi-
sche Arbeit (...) und die wirtschaftliche Hilfsarbeit an Gewichtigkeit
an die Seite gestellt werden muß" (9). Rückblickend scheint - trotz
mancher scharfen Formulierung auf deutscher Seite - das Urteil trag-
bar, daß die Deutschtumsarbeit auf deutscher Seite während der
Weimarer Republik zwar stark nationalistisch ausgeprägt war, aber
in der Praxis dennoch primär kulturell ausgerichtet blieb. Dieses Ur-
teil wurde 1928 indirekt durch die belgische "Sürete" (Staats-
sicherheitsdienst) bestätigt, die nach umfangreichen Haus-
durchsuchungen in Eupen-Malmedy eingestehen mußte, daß die deut-
sche Arbeit besonders kulturell ausgerichtet sei. Eine weitere Stützung
dieser These findet sich im lange andauernden Meinungsstreit, der
innerhalb des VDA bestand. Noch 1931 formulierte die VDA-Füh-
rung, daß "die politische Durchsetzung nationaler Forderungen (...)
nicht sein Gebiet ist" und er sich "berufen fühlt, innerhalb der beste-
henden gesetzlichen Grenzen das Deutschtum auch im Ausland in
seinen rechtlich begründeten Bestrebungen zu stützen" (10).
70
Die belgische Haltung wurde durch die unglückliche Politik die-
ses Landes nach 1925 bestimmt. Zunächst hatten die inoffiziellen
Rückgabeverhandlungen von 1926 und 1929 sowie der unglückliche
Ausgang der Wahlen von 1926 bei den Eupen-Malmedyern Zweifel
an der Haltung des neuen Vaterlandes aufkommen lassen. Zudem för-
derte Belgien ebenso wie Deutschland die langsam aufkommende
Polarisierung, die die nationalistischen Auseinandersetzungen zuneh-
mend prägte. So teilte der belgische Staat beispielsweise dem (kultu-
rell) ausgerichteten Heimatbund mit, daß "er das Vertrauen der belgi-
schen Behörden nicht besitzt", da gerade die neubelgischen Zeitun-
gen immer wieder den Standpunkt vertraten, "daß sich die kulturel-
len Belange nicht vom Politischen trennen lassen" (11). n
Erst zu Beginn der 1930er Jahre setzte sich in Brüssel die Erkennt-
nis durch, daß die Vernachlässigung Neubelgiens in den vergangenen
fünf Jahren fatale Folgen gehabt hatte und eine neue, zielgerichtete
Politik in diesem Gebietsstreifen notwendig sei. Ein Sonderbüro wurde
eingerichtet, das unmittelbar dem Premierminister unterstand und klare
Ziele formulierte. Doch noch bevor diese neue Politik fassen konnte,
veränderte die Machtergreifung der Nazis die politische Landschaft
grundlegend.
3. Der Kampf der Weltanschauungen
Der Kampf der Nationalismen entwickelte sich nun innerhalb re-
lativ kurzer Zeit zu einem Kampf der Weltanschauungen: Diktatur
gegen Demokratie, freiheitlicher Rechtsstaat gegen rassistisches
Unrechtsregime, katholisches Land gegen kirchenfeindliches Regime.
Der Fluch der Nationalismen fand nun seine erste Übersteigerung,
weil die Nazis explizit die Kultur als Vehikel ihrer menschen-
verachtenden Ideologie verstanden. Dies wurde auf belgischer Seite
zum Teil durchaus begrüßt, da so die Verbindung von deutscher Kul-
tur mit dem Nationalsozialismus zu einer Polarisierung führen sollte,
die das eigene nationalistische Anliegen fördern würde.
Die Haltung der Eupen-Malmedyer wurde aber durch eine Vielfalt
von Meinungen geprägt, die häufig von Opportunismus und politi-
scher Unreife, häufig aber auch von Starrsinn und bewußter
Uberzeugung geprägt waren. Raum für Differenzierungen scheint es
kaum gegeben zu haben.
Und dennoch haben die Nazis ihr Ziel einer totalen Verquickung
von Kultur und Weltanschauung nicht erreicht. Selbst über die heimat-
treuen Führungskräfte, die den Ideen des Nationalsozialismus wohl
zumindest nahe standen, beklagten sie sich noch 1938. Die Führungs-
KA
schicht sei "morsch und verbraucht, da sie sich nicht vom Katholizis-
mus lösen und sich nur auf die kurzfristige Lösung spezialisieren kön-
ne)
Gerade die Heimattreue Front brauchte nach Ansicht der Nazis aber
eine ideologische Durchdringung, "weil der weltanschauliche Unter-
bau fehlt und eine Volksgruppe, die allgemein deutsch, aber nicht
nationalsozialistisch geführt wird, auf die Dauer die inneren Bindun-
gen an das Reich verlieren muß" (13).
Eine interessante Zusammenfassung der deutschen Haltung for-
mulierte 1938 Franz Thedieck, der die Deutschtumsarbeit im Namen
des Innenministeriums von Köln aus koordinierte: "Eine
Kulturautonomie für Eupen-Malmedy zu fordern, würde einen Kurs-
wechsel bedeuten. Wir haben bisher immer den Standpunkt vertre-
ten, daß das abgetrennte Gebiet Eupen-Malmedy ein reines
Irredentagebiet ist und daß alles darauf ankommt, ein Einleben dieses
Gebietes in den belgischen Staat zu verhindern. Möglichkeiten, die
deutsche Kultur in diesem Gebiet bis zu dem früher oder später kom-
menden Tag der Rückkehr ins Reich zu erhalten, gibt es auch bei der
jetzigen Sachlage ausreichend, auch ohne daß man die Forderung der
Kulturautonomie erhebt (...). Für diese Forderung kann man nur ein-
treten, wenn man die irredentistische Politik dieses Gebietes endgül-
tig begraben will. Dann kann man aber auch gleich mit Dechant
Keufgens und Bürgermeister Zimmermann zusammengehen, die auch
die deutsche Sprache und Kultur pflegen wollen, die aber den deut-
schen Willen töten wollen (14)."
Es scheint nun logisch, daß diese Haltung der Nazis, die bewußt
Kultur mit nationalsozialistischer Weltanschauung verbanden, fatale
Folgen für das Selbstverständnis der 65.000 Ostbelgier haben mußte.
Allerdings müssen hier mehrere Einschränkungen gemacht wer-
den.
Weder für die Zwischenkriegszeit, noch für die Zeit des Weltkrieges
oder gar die Zeit der Säuberungen ist Pauschalieren angebracht. Die
Eupen-Malmedyer standen im Alltag immer vor einer Fülle von Ent-
scheidungen, die sie situationsgebunden treffen mußten. Hierbei spiel-
ten aber in der Regel die politischen Überzeugungen nicht die einzige
Rolle. Auch die von den Nazis (theoretisch an ihren Planungstischen)
geforderte Verbindung von Weltanschauung und Kultur als Grundla-
ge für den "deutschen Willen" hat die Eifeler bzw. die Ostbelgier nie
in dieser reinen Form erreicht, geschweige denn berührt.
Denn selbst für die rückständige Eifel war das Dorf nach dem Er-
sten Weltkrieg nicht mehr die Lebenswelt. Auch in diesen damals
#2
recht abgeschiedenen Eifeldörfern bestanden erste Ansätze zum Kon-
sum von Kultur ohne Grenzen (über Rundfunk, Zeitungen und deut-
lich wachsende Mobilität). Hier scheint besonders die damals jünge-
re Generation all diese Impulse dankbar aufgenommen zu haben und
dadurch zu einem neuen Selbstverständnis gefunden zu haben, das
scheinbar auch eine gewisse Offenheit für die Lockungen der Nazis
zur Folge haben konnte.
Vor diesem Hintergrund ist der Jubel zu verstehen, der doch am
10. Mai in vielen Orten vorherrschte, als die Wehrmacht einmarschierte
und Hitler Eupen-Malmedy kurze Zeit später annektierte.
Nun hieß deutsche Kultur nichts anderes mehr als schleimige
Anbiederung an das neue Unrechtsregime, das sich so ganz anders |
erwies als das deutsche Vaterland, das viele 20 Jahre zuvor verlassen
und nostalgisch in Erinnerung hatten. Diese Anbiederung ging so-
weit, daß sich viele "Ostkantönler" als Denunzianten verdient zu
machen suchten. Offizielle oder inoffizielle Zusammenarbeit mit der
Gestapo und dem Sicherheitsdienst war keineswegs die Ausnahme.
Die Spannungen der 1930er Jahre schlugen nun oft in ein Klima des
Hasses um, in dem viele alte Rechnungen im Namen von Führer und
Weltanschauung beglichen wurden: Viele Mitbürger wurden ins KZ
verschleppt, 62 dort ermordet. Den menschenverachtenden Charak-
ter des Hitlerregimes bekamen auch die 8.700 Männer zu spüren, die
ab September 1941 in die Wehrmacht eingezogen wurden. 3.400 ver-
loren im Namen der Naziideologie für "Führer, Volk und Vaterland"
ihr Leben.
4. Nationalismus mit Nationalismus austreiben?
Für Martin Schärer, einen der profunden Kenner der ostbelgischen
Nazizeit, hat diese unglückselige Epoche einem vorher durch den
belgischen Staat angestrebten Ziel zum Durchbruch verholfen. Er
urteilt: "Dem nationalsozialistischen Großdeutschen Reich gelang in
vier Jahren, was Belgien in zwanzig Jahren ohne großen Erfolg ver-
sucht hatte, nämlich die 1920 zu Belgiern gewordenen Eupen-
Malmedyer auch innerlich an diesen Staat zu binden (15). ”
Dieses 40 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gefällte
Urteil ließe eigentlich auf eine nationalistisch emotionslosere Nach-
kriegszeit schließen. Doch dem war nicht so. Das undifferenzierte
und selbstgerechte Auftreten der "arm&e blanche", die angestauten
Aggressionen in der Bevölkerung, die undifferenzierte Säuberungs-
politik durch den belgischen Staat und all jene Opportunisten, die
sich wieder auf der richtigen Seite wähnten oder als Wendehals dahin-
73
schlagen wollten, führten zu neuen Aufwallungen von Nationalismus,
die in den Augen eines Zeitzeugen, Pierre Maxence, verheerende
Folgen hatten: "La libert& individuelle, le respect du domicile et des
biens n'existent plus. Dans les Cantons il n'y a que des coupables;
möeme les citoyens paisibles sont coupables. Il faut &tre Belge cocar-
dier. C'est qu'ils ont &t€ forts, les ouvriers de la onzieme heure. Ils
ranconnent, r£quisitionnent, plastronnent et emprisonnent. Les pri-
sons de Tongres, d’Alost, de Louvain regorgent d’Eupenois et de
Malmediens. On ne sait plus oü les fourrer; on Equipe des centres
d'internement (16)." Zunächst muß angemerkt werden, daß sich der
belgische Staat 1940 nicht zur Annexion Eupen-Malmedys geäußert
hat. Er hat diese Annexion weder akzeptiert, noch sie irgendwie aner-
kannt. Zudem schwiegen die belgischen Exilpolitiker bis 1943. Erst
im Juli jenen Jahres verkündete der belgische Premierminister Pierlot
über Radio London in französischer Sprache, daß die Eupen-
Malmedyer Belgier waren und Belgier blieben. Auf eine klare Bot-
schaft von belgischer Seite warteten die Eupen-Malmedyer aber ver-
gebens.
Die erneute Übernahme dieses 1940 annektierten Gebietsstreifens
durch den belgischen Staat im Winter 1945 war nun aber heikel: Na-
tionalistische Grabenkämpfe und Irredentismus mußten verhindert,
Unrecht bestraft und die Zukunft vorbereitet werden.
In einer großangelegten Säuberung wurden 15.623 Ostbelgier und
somit fast 25 Prozent der Bevölkerung angeklagt. Verurteilt wurden
immerhin noch 1.503, weil der belgische Staat die Sonderrolle Ost-
belgiens als annektierte Region lange Zeit nicht anerkannte. So wur-
den - nach einem Umdenken, das erst 1947 einsetzte - zwar nur 2,41
Prozent der ostbelgischen Gesamtbevölkerung verurteilt. Der Landes-
durchschnitt betrug jedoch nur ein Viertel davon. Hier fühlten sich
die Ostbelgier, besonders die zwangsweise für die Wehrmacht rekru-
tierten Soldaten, mißverstanden und enttäuscht.
Und noch während der Säuberung setzte die abermalige
Vermischung von Politik, Kultur und Nationalismus ein. So verkün-
dete der Eupener Bürgermeister Zimmermann 1945: "Alle Eupener
wollen nunmehr offen und ehrlich belgisch denken und belgisch füh-
len und alle diejenigen sollen nunmehr mit Hab und Gut rechts-
rheinisch umgesiedelt werden, die immer noch danach trachten soll-
ten, wie dereinst dieses aufrichtige und rückhaltlose Wollen der
Eupener Bevölkerung von Stadt und Land zu unterwühlen (17)."
Dieses nationalistische Denken sollte durch Denunziation geför-
dert werden. Sie wurde zur vaterländischen Tugend erhoben, denn
74
"es kommt auf die Zahl der Anzeigen an, um zu erkennen, welcher
Prozentsatz der Bevölkerung den Willen zur aktiven Mitarbeit be-
sitzt" (18), hieß es im Juli 1945 im Grenz-Echo.
In diesem Klima der Verunsicherung setzte Henri Hoen, der starke
Mann Ostbelgiens, der in Malmedy als Bezirkskommissar tätig war,
die Akzente in der regionalen Politik. Eckpfeiler seiner nationalisti-
schen Politik sollte die gezielte Förderung der französischen Sprache
im Unterrichtswesen sein. Als einziger Bezirkskommissar des Lan-
des stand Hoen im Range eines Generaldirektors der Zentral-
verwaltung, dem ausdrücklich vorgeschrieben war nachzuforschen,
ob es ratsam sei, das Sprachregime; soweit es in der Zwischenkriegs-
zeit die deutsche Einsprachigkeit bevorzugt hatte, beizubehalten.
Hoen war der festen Überzeugung, daß die Bevorzugung des Fran-
zösischen in den Schulen eine wichtige Vorbedingung für die Assimi-
lation, d.h. wortwörtlich (im soziologischen Sinne) "Angleichung eines
einzelnen oder einer Gruppe an eine andere Volks- oder Gruppen-
eigenart", der Bevölkerung sei.
Aus diesem Grunde widersetzte er sich auch anfangs der Idee des
Verteidigungsministeriums, eine deutschsprachige Kompanie inner-
halb der belgischen Armee zu schaffen oder ostbelgische Rekruten in
Deutschland zu stationieren. Er forderte wiederholt die nationale Re-
gierung auf, die nötigen Kredite zur Finanzierung einer Kulturpolitik
im nationalen Interesse zu gewähren, um nach und nach "die letzten
Reste der deutschen Kultur" (19) aus den Ostkantonen verschwinden
zu lassen.
Ein weiteres wichtiges Instrument Hoens zur Reintegration der Ost-
belgier in den belgischen Staat war die Schließung der Grenzen. Die
nur unter erschwerenden Umständen ausgestellten Passierscheine, die
für einen Grenzübertritt unerläßlich waren, "streben ein nationales,
politisches Ziel an. Die Situation der Ostkantone kann nicht mit der
Situation der Niederlande oder Luxemburgs verglichen werden. Die
Einwohner dieser Länder bleiben unverkennbar, auch in Deutschland,
Niederländer oder Luxemburger" (20), so Hoen 1948. Diese Haltung
begründete er folgendermaßen: "Der Grenzverkehr nach Deutschland
ist von ausschlaggebender Bedeutung im Hinblick auf die
Reintegration der Ostbelgier. Sie müssen um jeden Preis zum Lan-
desinneren hin orientiert werden (21)."
Hoens Politik wurde durch mehrere Schwerpunkte bestimmt. So
definierte er die sogenannte restauration culturelle: "Die Jugend, die
die Zukunft dieser Region gestalten wird, muß in Zukunft mit Leichtig-
keit alle Bereiche des belgischen intellektuellen Lebens erfahren
75
können. Die Ausbildung der zukünftigen Elite muß durch belgischen
Geist getragen werden. Die Sozialisation des intellektuellen und künst-
lerischen Kulturerbes ist dazu bestimmt, zum Ferment der zukünfti-
gen Assimilation zu werden. Um belgisch zu denken und zu fühlen,
müssen diese Menschen ihre geistige Nahrung in nationalen künstle-
rischen und literarischen Produkten finden (22)."
Diese politische Leitlinie, vom Zeitgeist der Nachkriegszeit dik-
tiert, verkam spätestens seit Anfang der 1950er Jahre zum
Anachronismus, obwohl sie bis in die 1960er Jahre fortbestand. Ein
Beispiel aus der Eifel: Während die Eifeler der Grenzdörfer bis Ende
der 1940er Jahre nur durch den Schmuggel enge Bindungen über die
Grenzen hinweg knüpfen konnten, - Bindungen, die zum Teil noch
heute bestehen -, rissen die überzeugten Europäer anderenorts bereits
an den Grenzen die Schlagbäume nieder, um auf friedliche Weise für
ein vereintes Europa zu demonstrieren.
In der Eifel war die Europabegeisterung vielleicht nicht geringer.
Doch Bezirkskommissar Hoen ließ einen ersten zaghaften Ansatz erst
am 14. Juni 1953 zu: Über 4.000 Belgier und Deutsche kamen in
Udenbreth, einem kleinen deutschen Grenzort, zum ersten Mal in ih-
rem "Europa-Dorf" für einen Tag zusammen.
Jakob Schmitt, einer der bundesdeutschen Pioniere und gleichzei-
tig unermüdliche Triebfeder der grenzüberschreitenden Zusammen-
arbeit, erinnert sich rückblickend: "Was heute so selbstverständlich
klingt, war zu Beginn der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts noch
heikle und unpopuläre Missionierungsarbeit, namentlich für unsere
belgischen Freunde. Das Wort Aussöhnung hörte man noch nicht ger-
ne. Allzu offen deutschfreundliche Gefühle zu bekunden, war sogar
mit persönlichem Risiko verbunden. Zu tief lastete bei den Offiziel-
len der Schuldvorwurf, daß dreimal (?) innerhalb 100 Jahren von deut-
schem Boden aus der Krieg ins Land getragen wurde. Zu unnachgie-
big übten die Kräfte der Resistance Druck auf jene aus, die dem
zögerlichen staatlichen Annäherungsprozeß mit versöhnlichen Einzel-
aktionen vorauseilen wollten.
Gleichwohl waren es zu allen Zeiten die Menschen vor Ort und
weniger die Behörden und Institutionen, die in ihrer Friedens-
sehnsucht, im Wunsch nach Völkerverständigung, die Schrittmacher
ihrer Regierungen waren. Das gilt vor allem für die Grenzbewohner,
die Generationen lang unter ihrer Nationalstaatlichkeit gelitten haben
und oft genug Subjekt willkürlicher Gebietsabtretungen und Grenz-
verschiebungen waren (23)."
76
5. Civismus-Misere ohne Ausweg?
Der Fluch der Nationalismen überlebte aber auch die unmittelbare
Nachkriegszeit. Waren es in der zweiten Hälfte der 1940er und in den
1950er Jahren die materiellen Probleme (besonders in der vom Krieg
stark getroffenen Eifel), die fast absolute Verdrängung und die politi-
sche Monokultur (mit nur einer absolut dominierenden Partei), so
verhinderte in den 1960er und 1970er Jahren die Civismus-Misere
der deutschsprachigen Belgier eine Überwindung des Fluches der Na-
tionalismen.
Die Frage nach der Identität war in Ostbelgien seit 1940 tabuisiert.
Als sie Ende der 1960er Jahre dann in die öffentliche (aber partei-
politische) Diskussion eingebracht wurde, konnte sie aus zwei Grün-
den abgeblockt werden: Einerseits diskreditierten einige wenige
deutschnationaldenkende (Ost-)Belgier dieses Thema durch ihre ag-
gressiven Töne, die an die Zwischenkriegszeit erinnerten und die Angst
vor diesen Ewiggestrigen schürte. Andererseits wurden die konstruk-
tiven Ansätze einiger demokratischen Politiker, insbesondere aus der
1971 gegründeten Partei der deutschsprachigen Belgier (PDB), so-
fort politisiert, parteipolitisch instrumentalisiert und somit ein gesun-
der, konstruktiver Prozeß wieder verdrängt.
Rückblickend gewinnt man den Eindruck, daß sich stillschweigend
eine Identität mit dem Begriff "Ostbelgier" festsetzte. Da diese Fest-
setzung gerade in einer Zeit erfolgte, als das Begriffspaar Belgien
und Belgier immer häufiger von Flamen, Wallonen und auch Deutsch-
sprachigen hinterfragt und wo vor dem Hintergrund des erstarkenden
Regionalismus nach neuen Identitäten gesucht wurde, besetzten die
deutschsprachigen Belgier das Wort "Ostbel- gier" nicht primär posi-
tiv, sondern durch Abgrenzung zu anderen Identitäten. Wohl deshalb
erfolgte auch eine so klare Abgrenzung zu allem Deutschen, das heu-
te nach wie vor in breiten Kreisen der Bevölkerung mit leichtem Miß-
trauen beäugt wird.
Dies heißt nun aber keineswegs, daß hierdurch ein Nationalismus
konstruktiv überwunden worden wäre. Wohl im Gegenteil. Durch die
oft recht aggressive Abgrenzung zu allem Deutschen scheinen neue
Formen von Nationalismus vorhanden, die zwar nicht positiv besetzt
sind, aber an Formen des integralen Nationalismus angelehnt scheinen.
Wie schwierig und wie leicht nun die Überwindung alter, durch
den "Fluch des Nationalismus" geprägter Grenzen sind, mögen eini-
ge Beispiele aus der belgischen Eifel belegen.
Ein erstes Beispiel: Eine Untersuchung unter den 18jährigen Abi-
turienten der belgischen Eifel im Frühjahr 1995 befaßte sich u.a. mit
HT
Vorurteilen. Entsprechend dem belgischen Bewertungssystem konn-
ten die Jugendlichen die Vorurteile, die ihrer Meinung nach in der
ostbelgischen Gesellschaft gegenüber den Menschen benachbarter
Regionen bestehen, von 1 = gering bis 10 = sehr stark bewerten.
Während die Luxemburger die Note 3,7 erhielten, kamen auch die
Flamen mit 4,3, die Eupener mit 4,9 und die Wallonen mit 5,4 glimpf-
lich davon. Mit ziemlich starken Vorurteilen in der ostbelgischen Ge-
sellschaft sehen sich aber die Deutschen mit einem Wert von 8,2 kon-
frontiert.
Ein zweites Beispiel: Das Heiratsverhalten.
179 der 1582 zwischen 1984 und 1993 geschlossenen Ehen in vier
der fünf belgischen Eifelgemeinden erfolgten zwischen Eifelern und
sogenannten "Ausländern". Das sind 11,3 Prozent.
Während in Amel auffallend wenige (4,2 Prozent) Gemeindebürger
einen nicht-belgischen Partner wählten, lag die Rate im etwas
städtischeren St. Vith mit über 15 Prozent deutlich über dem Durch-
schnitt. In St. Vith war an jeder zweiten Ehe mit einem ausländischen
Partner ein deutscher Staatsbürger beteiligt.
Besonders aufschlußreich ist die Statistik der Gemeinde Büllingen:
77,1 % der in den letzten zehn Jahren geschlossenen Ehen erfolgten
zwischen Partnern aus der (kleinen) belgischen Eifel. Nur 1,4 % wähl-
ten einen flämischen, 1,9 % einen Partner aus dem Eupener Land, 1,9
% einen luxemburgischen, 7,3 % einen wallonischen und 10,2. % einen
deutschen Partner. Interessant ist dabei, daß von den 42 deutsch-belgi-
schen Ehen 35 Partner aus der angrenzenden deutschen Westeifel
stammten und nur 7 aus weiter entfernt liegenden deutschen Regionen.
Hinter diesen abstrakten Heiratsstatistiken steht natürlich mehr. Sie
spiegeln indirekt auch die Kontaktmöglichkeiten im Alltag wider, die
ebenfalls noch nie untersucht worden sind. Deshalb ein drittes Bei-
spiel: Freizeit.
Deutsche Gäste auf Veranstaltungen in der belgischen Eifel oder
belgische Gäste auf Veranstaltungen in der deutschen Eifel sind zwar
keine Ausnahme, aber selten. So liegt der Anteil der DM-Einnahmen
bei großen Vereinsfesten in der belgischen Eifel bestenfalls bei fünf
Prozent, meist deutlich darunter. Und diese Zahl ist mehr oder weni-
ger repräsentativ, da die Bundesbürger fast ausnahmslos ihrer Ge-
wohnheit treu bleiben und im benachbarten Ausland mit DM zahlen,
was zwar akzeptiert, aber wenig geschätzt wird.
Einzige Ausnahmen sind einige wenige Diskos im Grenzgebiet,
die gerne von Bürgern beider Länder aufgesucht werden und so fast
etwas wie grenzüberschreitende Freundschaftskneipen sein könnten.
78
Doch neben der Fremde, der fehlenden Gewohnheit und der
Kontaktscheu spielen hier auch einfache ökonomische Zwänge mit:
Es gibt erst ganz zaghafte Ansätze - über Kooperationsabkommen -
für grenzüberschreitende Werbung. Sie ist aber natürlich nicht für den
gleichen Preis auf beiden Seiten der Grenze möglich. Die Mehrkosten
für eine Werbung in der Nachbarregion scheuen aber die meisten Ver-
anstalter.
Viertes Beispiel: der Arbeitsmarkt.
Wesentlich positiver präsentiert sich da der Arbeitsmarkt: Man-
cher Belgier findet in der wirtschaftlich etwas stärker entwickelten
deutschen Westeifel Arbeit. Auch die Region Aachen ist nicht nur für
das Eupener Land, sondern auch für die belgische Eifel ein nicht un- ,
bedeutender Arbeitgeber. Täglich pendeln 1.210 Belgier und 1.409 in
Belgien wohnende Deutsche in die Grenzstadt ein. Die drei südlichen
Eifelgemeinden sind hingegen auf Luxemburg ausgerichtet: Aus Burg
Reuland pendeln täglich 441, aus St. Vith 334, aus Amel 99, aus
Büllingen 48 und aus Bütgenbach 36 Arbeitnehmer nach Luxemburg.
Die Wirtschaft scheint demnach das Ferment der wachsenden An-
näherung zu werden. Schon immer wußte die Grenzbevölkerung die
wenigen Vorteile der Grenze zu nutzen und ihr Kaufverhalten auf das
unterschiedliche Preisniveau im Nachbarland abzustimmen. Ähnlich
positiv wie die starken wirtschaftlichen Kontakte über die Grenze
hinweg zeigt. sich auch die politische Zusammenarbeit. Die in den
1970er und 1980er vorhandene Europabegeisterung hat hier Spuren
hinterlassen. Und das nicht nur in leeren verbalen Absichtserklärungen,
sondern auch in der konkreten Tagesarbeit.
Viele weitere Beispiele könnten folgen.
Sie alle zeigen aber ausnahmslos, daß der Fluch der Nationalis-
men nach wie vor den Alltag der Ostbelgier mitprägt. Mit Sicherheit
sind Voraussetzungen, Entwicklung und Realität in Kelmis anders
gelagert als in der Eifel, in der ich mich besser auskenne. Aber gerade
das sollte doch eine vordringliche Aufgabe eines Geschichtsvereines
sein: endlich die Aktualität vor dem Hintergrund der Vergangenheit
deuten und erklären. Nur so wird Geschichte für junge und alte Leser
nachvollziehbar, nur so können aber auch Kontroversen provoziert
werden, ohne die eine konstruktive Auseinandersetzung mit der jün-
geren Vergangenheit und eine konstruktive Geschichtsarbeit einfach
nicht möglich sind. Gleichzeitig ist dies meiner Ansicht nach auch
der einzige Weg, damit junge, geschichtsinteressierte Menschen (und
deren gibt es immer wieder) den Mut finden, in den Geschichtsvereinen
mitzuarbeiten. Ich wünsche hierzu zum Jubiläum viel Erfolg.
80
(15) SCHÄRER (Martin), Deutsche Annexionspolitik im Westen. Die Wiederein-
gliederung Eupen-Malmedys im Zweiten Weltkrieg, 2. Aufl., Bern/Frankfurt
a.M./Las Vegas, 1978, S. 260.
(16) MAXENCE (Pierre), Les atouts gaspill&s ou le drame des Cantons de l'Est, St.
Nicolas, 1951, S. 52.
(17) Grenz-Echo, 7.4.1945.
(18) Grenz-Echo, 10.7.1945.
(19) Commissariat d’ Arrondissement adjoint d’Eupen-Malmedy-St. Vith, Rapport
annuel, Exercice 1950, S. 118.
(20) Im Original: «Ils visent un but de politique nationale. La situation des Cantons
ne peut Etre compar&e A celle de la Hollande ou du Grand-Duche de Luxem-
bourg, les ressortissants de ces deux Pays restant, me&me en Allemagne, tou-
jours Hollandais ou Luxembourgeois», in: Commissariat d'Arrondissement ad-
joint d’Eupen-Malmedy-St. Vith, Rapport annuel, Exercice 1948, S. 118.
(21) Im Original: «La circulation frontali&re vers 1’ Allemagne revet une importance ”
certaine au point de vue de la politique de rEint&gration des populations des
Cantons de 1’Est, dont l’orientation doit se faire vers l'int&rieur du Pays», in:
Commissariat d’Arrondissement adjoint d’Eupen-Malmedy-St. Vith, Rapport
annuel, Exercice 1948, S. 46.
(22) Commissariat d’ Arrondissement adjoint d’Eupen-Malmedy, Rapport d&cen-
nal, 1945- 1955, S. 27-28.
(23) SCHMITT (Jakob), 30 Jahre Grenzlandtreffen Hellenthal-Büllingen, 1989, S.
14.
81
De Moddersproek
von Jakob Langohr
Oss Moddersproek, die oss jejäeve,
ess ett Schönste ennett Läeve.
Wenn dusend Sproeke och jevalle,
Jott oss ett Hemett Platt mäe kalle.
Wells de schäele, bromme, senge,
änn kanns de rechtege Wöet net venge,
quetsch ett net wie ene Schottelsplack
sag ett mäe op Kelmeser Platt!
Bloometeppech, Moddersproek,
verjäet se net, och wenn der ooet.
E klee Lexiünche, ett sow jevalle,
me kann ett schönn va Hatte kalle.
Jütschke, Zuppeschnauz änn Küll,
Krütschensmull änn Flockebüll, |
enn Hoddelemull, ene domme Bölles,
e schlörpe Liss änn ene vreiete Jelles,
ene suupe Bäer, ene Vollenskopp
e Knießuur änn ene Kaamerpott,
enn Ohmeseek, enn Önnepiep,
de Tummelöet änn Kuckepiep,
Mascherang änn Kockelebox,
Äeselsuur änn zommele Boks,
Hahnepenkel, Huckepack;
Bodschüll änn ene hohve Flapp.
Vöel könne ner vremde Sproeke kalle, |
da deht enn de Moddersproek net mie jevalle,
datt sönt luus Lüj, die sönt jett schlauer,
mäe och die wäede da op ehmol auwer,
wenn die ove aje Pötzke,
änn der Pitres vrott se da:
"Könnt der Kelmeser Platt noch kalle?"
änn se sage nee, da valle
82
de Balke an datt Pötzke tu
änn da könne se lang dow stue.
Wenn se wäede janz verläege,
änn se welle da noch leäge,
sätt Pitres: "Watt? je Platt mie kalle,
änn der wellt hej enn die Halle!
Tröck, now onde, liet öch datt,
weil der datt verjäete hatt!"
Die enn dä Köref, met die Klapp,
hauwwe de Worret net gesaat,
saate mech, se kösste Platt, #
datt stemde net, datt hauw ech satt,
änn die donge wie de Lusche,
hej sech now die Poetz eräe fusche,
die sönt now ömmer annet bromme,
änn der janze Dag ant jromme,
döhn schmackt je Drenke änn je Äete,
die hauwwe de Moddersproek verjäete.
. Och hörrem, die dönnt mech ihrlech leed,
da sitt me wahl at werrem, wie datt jeht.
(Mai 1996)
83
DEBEY, Hubert & PAUQUET, Firmin
Erinnerungen an Laurent FRYNS
Am 3. April 1997 hätte "Loreng" seinen 90. Geburtstag gefei-
ert. Alle, die ihn gekannt haben, werden sich seiner gerne erin-
nern. Für uns ist dies Anlaß, einige Begebenheiten seines Wirkens
wieder aufleben zu lassen.
Geboren wurde er in Neutral-Moresnet als ältester Sohn des
Tagelöhners Heinrich FRYNS und der Maria-Anna AHN. Sein
1834 in Teuven geborener Großvater Jean FRYNS hatte sich als
Schmied bei der "Vieille Montagne" verdingt. Er wuchs in einer
tiefreligiösen Familienatmosphäre auf.
Als Elektriker von Beruf wurde der junge Laurent in viele Be-
triebe auf Montage geschickt und lernte dabei die Bedingungen
kennen, die den Arbeitern auferlegt waren. Bei der Einrichtung
der Straßenbeleuchtung im Dorf beschäftigt, hatte er dann Gele-
genheit, Einblick in die häuslichen Verhältnisse der einheimischen
Familien zu nehmen. Waren die Arbeitsbedingungen in den Be-
trieben schon schwer, so waren die Lebensverhältnisse der
Kelmiser Arbeiterfamilien manchmal kummervoll: Während der
100 Jahre der "neutralen" Zeit waren aus der tiefgläubigen Dorf-
gemeinschaft (ca. 4500 Einwohner) nur drei Priester hervor-
gegangen. In den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts kamen
deren zwei hinzu. Es hatten nur drei Kelmiser bis 1940 die
"Normalschule" absolviert, um Volksschullehrer zu werden; sie
gaben vor 1940 Unterricht in der Kelmiser Primarschule. Wenn
irgend etwas die große finanzielle Not der Dorfgemeinschaft dar-
stellen kann, dann wohl der Mangel an "studierten Köpfen". Kaum
einige Abiturienten und kein ausgebildeter Akademiker waren
aus der Dorfgemeinschaft hervorgegangen, um im eigenen Dorf
tätig zu sein. In Neutral - Moresnet gingen alle Maßnahmen zur
Pflege und Entfaltung von Gesundheit und Bildung von Auswär-
tigen aus. Der Reichtum der Kelmiser Bodenschätze hat der an-
sässigen Bevölkerung wenig genutzt. Die Einheimischen waren
derart gewohnt, von "Auswärtigen" geleitet und verwaltet zu wer-
den, daß z.B. ältere Kelmiser Männer die Mütze zogen, wenn der
Koautor dieser Zeilen als junger Schullehrer 1947 vorbeiging.
Selbst Laurent Fryns nannte ihn noch 1967 "Herr Lierer".
84
Die 1911 von Kaplan Bosch errichtete Patronage wurde Treff-
punkt vieler Jugendlicher. Dort verbrachte der junge Laurent auch
manche Stunde und erlebte 1925 den Appell des Kaplans Wen-
ders, den Ideen des Brüsseler Priesters Joseph Cardijn zu folgen:
"Das Leben eines Arbeiters, so hieß es, hat einen größeren Wert
als alles Gold der Welt." Für viele auch heute noch eine verrückte
Idee! Dann weiter : "Der beste Vertreter der Arbeiter kann nur
ein Arbeiter sein." Wie sollte aber ein Arbeiter die anderen vertre-
ten? Schließlich hieß es: "Der gute Wille allein genügt nicht; wir
bedürfen fähiger Leute.” Das war schon eine andere Sprache. Was
hieß aber "fähig" in einem Dorf, aus welchem die meisten
14jährigen Knaben Arbeit in den Kohlenzechen für ein paar '
Franken Lohn suchten? Kaplan Wenders gelang es nach der gro-
ßen Jungarbeiterversammlung vom 11. Oktober 1925, mit 33 wiß-
begierigen Jungmännern eine Ortsgruppe der JOC ("Jocisten")
zu gründen. Am 11. April 1926 wurde Laurent als deren erster
Präsident gewählt. Bei den wöchentlichen Studienabenden in der
Patronage wurde zuerst die Soziallehre der Kirche studiert. Da-
rauf folgte eine "Rundschau im Arbeiterleben", die es ermög-
lichte, die Unterschiede zwischen Theorie und Praxis hervorzu-
heben. In Kirche und Öffentlichkeit war die Enzyklika "Rerum
novarum”" bisher kaum behandelt worden, ihr Inhalt dem Volk
meist unverständlich, wenn nicht unbekannt. Laurent und seine
Freunde werden wohl mit Bedauern festgestellt haben, was ihnen
bisher an Schulkenntnissen fehlte. Später hat Laurent diesen
Mangel manchmal bedauert.
Seit vielen Jahrzehnten gab es wohl christliche Gewerkschaf-
ten in Belgien. Unsere plattdeutsche Gegend (Dekanat Montzen
seit 1888) wurde von Verviers aus betreut. Nur die Zentrale für
Eisenbahn, Post und Telegraf - Telefon hatte einen Vertreter in
Welkenraedt, wo bis 1920 der belgische Grenzbahnhof lag. Für
die Arbeiter der Privatindustrie der Gegend mangelte es an
Koordinierung. Erst am 23. Januar 1927 beschließt die Vervierser
christliche Gewerkschaft, einen ständigen überberuflichen Sekre-
tär mit Deutschkenntnissen anzuwerben: Es war Felix Mauth, der
dieses Amt ab Mai 1927 übernahm. Bald wurde vom Direktor der
Sozialen Werke in Verviers, dem früheren Kelmiser Kaplan Bal-
thazar FIS, die Notwendigkeit erkannt, einen zweiten
Propagandisten für die deutschsprachigen Pfarreien einzustellen.
85
Laurent wird wohl zurückgeschreckt haben, als ihm 1929 das
Amt des überberuflichen Sekretärs für den Privatsektor angebo-
ten wurde. Zuerst mußte er aber ein Studium an der "Ecole supe-
rieure pour ouvriers chretiens" (Hochschule für christliche
Arbeiter) zu Heverlee bei Löwen, dem späteren Cardijn-Institut,
belegen. Im Jahre 1932 nimmt er dann seine Arbeit als Angestell-
ter der CSC in Verviers auf. Als erstes gilt es in diesen Vorkriegs-
jahren, Ortsgruppen in der deutschsprachigen Gegend aufzubau-
en und zu betreuen. Das ist das Jahr, ab welchem die Gruben der
"Vieille Montagne" nach und nach geschlossen werden und auch
der Bleyberger Hüttenbetrieb aufgegeben wird. Grubenarbei-
ter, hier "Köhler" genannt, Textil- und Metallarbeiter, Arbeitslo-
se, Rentner, alle erwarteten Hilfe von "Loreng". Sein Vervierser
französischsprachiger Kollege Rene Dawant spricht von Laurent
Fryns als "un homme en quelque sorte exceptionnel" dont "l'ac-
tion et la d&termination sont ä mettre en relief pour comprendre
V'&volution de la CSC". Es muß schon eine Ausnahme in der Ge-
schichte der CSC sein, daß ein "überberuflicher" Sekretär nicht
versucht, Sekretär einer Berufszentrale zu werden.
Nach dem 2. Weltkrieg verdankt die CSC es Laurent Fryns,
daß sie sofort nach der Befreiung ihre Tätigkeit im plattdeutschen
Raum und in Eupen wieder aufnehmen konnte: Während des
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Diese Aufnahme (um 1950) zeigt Laurent Fryns (rechts) mit seinen
Brüdern v.l.n.r. Franz, Joseph und Jean.
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Laurent Fryns (Mitte links) war eng befreundet mit Peter Kofferschläger
(Mitte r.). Das Bild entstand im Juni 1955,
Krieges hatte er die vom NS-Bürgermeister Josef Kriescher
angebotene Mitarbeit in der Deutschen Arbeitsfront strikt abge-
lehnt. Am Freitag, dem 15. September 1944, meldet er sich schon
in Verviers beim Direktor der Sozialen Werke, dem späteren Mgr
Dejardin, um seinen Dienst bei der CSC wieder aufzunehmen. In
den Monaten September bis November nimmt er an unzähligen
Versammlungen in den Vervierser Betrieben, in den Ortsgruppen,
bei den Gemeindeverwaltungen und den amerikanischen Militär-
behörden teil. Im Auftrag der CSC erreicht er nach vielen Be-
sprechungen am 3. Oktober mit den Eupener Delegierten Jean
Herpens und Jean Thielen, daß das Eupener Gewerkschaftshaus
von den Behörden als Eigentum der CSC anerkannt wird. Das
Gebäude war unter Sequester gestellt worden, da verschiedene
Eupener Gewerkschaftler vor dem Kriege mit der Heimattreuen
Front und während des Krieges mit der NS-Arbeitsfront zusam-
mengearbeitet hatten.
87
Ende 1944 stellt Laurent Fryns ein Zimmer in seiner Wohnung
in der Thimstraße in Kelmis zur Verfügung, um dort ein ständiges
Sekretariat der CSC einzurichten, später das gesamte Erdgeschoß.
Ab 1945 erscheint die Gewerkschaftszeitung "Werkvolk", deren
Redaktion bis 1950 von Laurent und seinem Schwager Joseph
Dahlen betreut wird. Laurent setzt sich weiter ein für den Bezug
der Arbeitslosengelder, für die Auszahlung der Renten und Pen-
sionen und für die Einführung günstigerer Eisenbahnverbindungen
für die Arbeiter. Wie jemand sagte, ist "Laurent ein Mensch, der
immer viel mehr als seine Pflicht getan und sich stets bis zum
Letzten für die Arbeiter eingesetzt hat". Auf Grundlage einer Sta-
tistik der einbezahlten Beiträge vom 1. Mai 1955 betreute das
Kelmiser Sekretariat der CSC 1369 Mitglieder, davon 696 in
der Textilindustrie, 173 im Baufach, 171 im Bergbau, 140 in der
Metallindustrie. Aus Gesundheitsgründen muß Laurent Fryns ab
1955 "kürzer treten"; am 1. Mai 1972 tritt er in den wohlverdienten
Ruhestand. Ab 1964 und bis zu seinem Tode am 29. Februar 1980
hatte er noch den Vorsitz der zunächst auf Kelmis beschränkten,
dann regional tätigen Baugenossenschaft "Nos Cit&s" übernom-
men, um weiter sozial wirken zu können.
Um die tiefchristliche und echt demokratische Gesinnung
unseres Freundes "Loreng" zu charakterisieren, sei daran erin-
nert, daß er nach Kriegsende auch als Sekretär des örtlichen
Lebensmittelversorgungskomitees fungierte, das in Kelmis ab dem
4. August 1945 tagte. Diese Instanz spielte eine Rolle bei der
Erteilung der "Zivismuszeugnisse" für die Geschäftsleute und ent-
schied u.a., darüber, welche Läden wieder öffnen durften. In der
Sitzung vom 13. Oktober 1945 schlägt Sekretär Laurent Fryns
vor, "daß jedem Delinquenten die Möglichkeit gegeben werde,
sich zu verteidigen". Er beruft sich auf die belgische Verfassung
und die Rechte der Verteidigung in einer gesunden Demokratie.
Dieser Vorschlag wurde aber mit einer Mehrheit von sechs gegen
zwei Stimmen abgelehnt. Derartige Mißachtungen der Menschen-
rechte hat Laurent Fryns immer bekämpft.
Danke "Loreng" für Deinen Einsatz zugunsten der Arbeiter-
schaft und für das abgegebene Zeugnis eines tiefgläubigen, stets
hilfsbereiten, christlichen Gewerkschaftlers. Dein Leben soll uns
stets Beispiel sein. ‘
88
Ein Vieh- und Krammarkt für
Lontzen?
von Alfred Bertha
Die 1816 erfolgte Grenzziehung zwischen Preußen und den Nie-
derlanden hatte einen Teil des ehemaligen Herzogtums Limburg,
nämlich die Stadt Eupen, die "Bank" Walhorn und einen kleinen
Teil der ehemaligen Herrschaft Kelmis, zu Preußen geschlagen
und damit von den früher gerne besuchten Märkten des Herver
Landes, vor allem Henri- Chapelle, abgeschnitten. Die Land-
bevölkerung mußte sich nun umorientieren. :
Dem Landrat des Kreises Eupen dürften die Schwierigkeiten
nicht unbekannt geblieben sein, so daß er mit Schreiben vom 24.
Februar 1817 sich an die Bürgermeister seines Kreises richtet und
diese bittet, ihm ihre Vorstellungen über eventuell zu verlegende
oder neu zu errichtende Märkte zu unterbreiten.
Bürgermeister Ägidius Schrynmecker von Hergenrath macht
daraufhin eine ziemlich detaillierte Analyse der Situation; seine
Gemeinde verfügte weder über einen passenden Platz noch war
sie über "practicable” Wege gut zu erreichen. Aber in Lontzen sah
Schrynmecker den idealen Standort für einen Vieh- und Kram-
markt.
Den Bericht Schrynmeckers haben wir in der Original-Schreib-
weise des Bürgermeisters wiedergegeben, jedoch die Groß- und
Kleinschreibung dem heutigen Gebrauch angepaßt.
Hergenrath, den 5. Mertz 1817
Der Bürgermeister
an den Königlichen Preußischen Landrath Herrn von Scheibler
Um an die, mittelst, dero geehrtes vom 24. v. M. N° 431 geäu-
ßerten Wünschen, zu wissen, ob die in dero Verwaltungs Kreis
jetzt bestehenden Kram- und Viehe Märkten hinreichend, und hin-
sichtlich der Zeit und des Orts, wo dieselbe gehalten werden, als
zweckmäßig anzusehen sind, oder ob die Vermehrung derselben
89
und die Verlegung des einen oder des anderen Marktes von Nut-
zen sein könnte, etc. etc. so viel mir möglich Genüge zu leisten,
beehre ich mich ihro Hochwohlgeboren hinsichtlich dieses Ge-
genstandes das Nachstehende zu bemerken, nemblich:
1tens Über die Hinreichung sowohl als über die Örter, wo die
Haupt Viehe und Kram-Märkten für hiesiger ganzen Gegend ehe-
mals bestanden, als nemblich Herve, Thimistre, Clermont, Henri
Chapelle, wovon dieser letztere zwey die bedeutensten Viehe und
Kram-Märkten, nemlich einen Frühjahrs und einen im Herbst hiel-
te, ist zu bemerken; daß wegen der Grenz Berichtung zwischen
Belgien und Preußen die ob-benannte Märkten von den diesseitigen
Preußischen Unterthanen nicht anders als unter schwären Abga-
ben, daß die zu verkauffende Gegenständen merklich im Preise
steigeren, so wie auch die in dero Kreise, wirklich bestehende
Kram- und Viehe Märkten, wegen ihrer Entlegenheit und
unzugänglichen Wegen können benutzet werden, daher die
Anlegung neuer Kram- und Viehe Märkten nicht allein als zweck-
mäßig, sondern allen Vernunft Schlüssen nach als unumgänglich
nothwendig zu erachten sind.
2tens Was das Local sowohl als die practicabelen Wegen be-
trifft, beehre ich mich, ihro Hochwohlgeb. vorläufig zu bemer-
ken, daß ich mich aus Mangel der zwey Objecten das Gesuche zur
Anlegung eines Marktes in unserer Gemeinde gern müßigen will;
indessen, um dero Wunsche so vollständig als möglich zu ent-
sprechen, glaube ich es, meiner Pflicht zu sein, ihro Hochwohlgeb.
in Kenntnis zu setzen, daß das Dorf Lontzen, ungefehres zwey ad
drey Hectaren in sich fassendes, und in der Mitte dieses Dorfs
gelegenes Stück Gemeinden Grundes, darbeut, welches Ihro
Hochwohlgeb. wegen den nachstehenden Bemerkungen zweifels
ohne für das bequemste dero gantzen Kreises, zur Anlegung, son-
derlich eines Herbst Viehe und Kram Markt erachten werden.
1tens jst es allgemein bekannt, daß dieses Dorf, außer das an-
geführte vortheilhafte Local, von allen Seiten, sonderlich bei jet-
ziger neuer Grenz Berichtung, von die Stein Straße von Eupen
und Achen umgeben ist und die Wegen dahin noch am
zugänglichsten sind; sollten auch allenfalls sich hinsichtlich die
90
ses kleine und unbedeutende Schwierigkeiten darbieten, sind doch
dieselbe leicht zu heben.
2tens ;st es nicht minder unläugbar, daß dieses Ort in dem Mit-
tel Punkt, wo die Viehezucht am bedeutensten dero Kreises ist;
auch das Mast- und mageres Viehe der gantzen Gegend, haupt-
sächlich im Herbst, das erstere verkauft und das letztere einge-
kauft wird; an welchen zwey Gegenständen auch um diese Jah-
reszeit allda einen Überfluß zu finden ist, und also die Anlegung
eines Herbst Markts an diesem Orte für den gantzen Kreis nütz-
lich wäre, auch dazu in dem Mittel Punkt, wo die Metzger von
Eupen, Aachen, Burtscheid, Corneli Münster, Stolberg etc etc. ohne
Schwierigkeit gelangen können, gelegen ist.
3tens und schließlich bemerke ich ihro Hochwohlgeb. daß, was
die Absetzung der Krämerey Waren betrift, immer in hiesiger
Gegend der Gebrauch gewesen, und noch ist, wenn die
Dorfbewohneren ihren Mast- und anderes Vieh verkauft, dieselbe
für einen Theil ihres gelösten Geldes, wo nicht für alle, ihre
nothwendige Haus und Kleidungs Gegenständen, als Hanf, Flachs,
Leinentuch, Wollenlaken und Stoff etc. wieder einkaufen, und man
also hinsichtlich dieses nicht einem geringen Absatz: entgegen
siehet.
Dieses ist es also, was ich ihro Hochwohlgeboren hinsichtlich
der Markts Vermehrung und Verlegung zu benachrichtigen weiß,
verhoffend, daß dieses genügend sein wird.
Aus den vorhandenen Unterlagen geht nicht hervor, ob man
höheren Orts auf den Vorschlag des Hergenrather Bürgermeisters
eingegangen ist. Die Amtsblätter der Königlichen Regierung zu
Aachen bringen erst im Jahre 1855 die Genehmigung eines Vieh-
marktes in Lontzen, und zwar für den 2. Dienstag nach dem 3.
November, d. h. nach dem Patronatsfest des hl. Hubertus.
In späteren Jahren scheint Lontzen als Marktplatz an Bedeu-
tung gewonnen zu haben. So findet sich in der Presse am 17. Ok-
tober 1908 eine Ankündigung des "Oktober-Viehmarktes" und im
letzten Vorkriegsjahr 1913 steht neben dem Oktober-Viehmarkt
auch noch ein September-Viehmarkt. e
91
DBekanutmachung,.
Pferde, Rindvieh: und
Schweine:2Narfkt
au Mittwoch, Den 12. Scpt. 1900
zu Lorgen,.
Standgeld wird nicht erhoben.
Herbesthal, den 6. ANuguft 1900.
2739) Der Bürgermeijter Esser,
A anazer
AL EN
BE
MM Ä DA
Nindvieh:, Bferde- und
Schweine-Markt
am Dienftag, den 18, Sept, 1900
auf der Hauziwiefje der Wirthfhaft
von Pefh-Simons zu KRaeren-
Drie[h.
Standgeld wird nicht erhoben.
MRaeren, den 17. MAuguft 1900.
2800) Der Bürgermeifter, Becker,
ZEN
N ZN
Bekanntmachung.
Viehmarkt
| findet in Walhorn
am Mittwoch, den 10, Oktober d. I.
ftatt, -—— BaHujtarion Uftenet 20 Minuten
und Bahnjiation MRacren 11, Stunden
entfernt.
Standgeld wird nicht erhoben.
MWalhorır, den 25, Auguft, 1900.
2943) Der Bürgermeifter, Ernst,
Marktanzeigen im Korrespondenzblatt vom 8. September 1900
92
Die Amtsblätter bringen 1897 die vorläufig auf drei Jahre be-
fristete Genehmigung eines Viehmarktes in Walhorn und 1899
diejenige eines solchen in Raeren. In Walhorn war der Markttag
auf den 2. Mittwoch im Oktober und in Raeren auf den 1. Diens-
tag nach dem 14. September (Kreuzerhöhung) festgelegt worden.
Bekanntmachung.
EEE 1
£ A SED ES
am Mittwoch, den S,
; Oftober dS. IS,
DBahnitation Aitenet 20
Min. und BahHnjtation
RKaeren 1'/: Stunde; jowie
Kleinbahn Miervls 20
Minuten entfernt,
Standgeld wird vict erhoben,
Walhorn, 15, Sept. 1913,
Der Bürgermeifter
8368) Ernst,
Noch im letzten Friedensjahr hatte Walhorn einen Viehmarkt.
93
Der Raerener Markt wurde in den Jahren 1902 und 1905 für
Jeweils weitere drei Jahre durch die Provinzialbehörde genehmigt;
in Walhorn wurde bis zum Ersten Weltkrieg am 2. Oktober-Mitt-
woch Markt abgehalten. Über den ersten Markt am 16. Oktober
1897 hatte das "Korrespondenzblatt" wie folgt berichtet:
"Walhorn, 14. Okt. - Auf dem gestern zum ersten Male hier
abgehaltenen Viehmarkt waren aufgetrieben:
130 Kühe, 71 Rinder, 18 Kälber, 6 Stiere im Alter bis zu einem
Jahr, 3 Ochsen und 120 Schweine.
Der Handel war lebhaft.
Preise:
Kühe 300 - 400 Mk,
Rinder 200 - 300,
Kälber 100 - 120,
Ochsen 300,
Schweine bis zu 9 Wochen 21 - 22 Mk.
Nach dem gestrigen Ergebnis dürfte das Fortbestehen des Mark-
tes gesichert sein."
Quellen: Archiv der Göhltalvereingung
96
Le tableau de la derniere cene fut commande en 1947 pour la
somme de 12.000 F. Il est l’oeuvre de Monsieur Gilbert, directeur
et professeur aux Beaux Arts de Liege; il vint contribuer ä faire
vivre par nos paroissiens la Merveille par excellence de la foi: la
Ste Messe. Ce tableau ose mettre en scene les contemporains et
indigenes qui exercent une profession dont les apötres sont les
patrons.
En observant le tableau de gauche ä droite, nous reconnaissons
..... Pour Judas, inutile de chercher 4 Gemmenich, on n’en
trouve pas sur les lieux. Il n existait que dans la t&te du peintre; il
Etait capable d’en peindre cinq a 1l’heure, disait-il.
(Monsieur Rene Schmets, ancien boulanger de la place, nous a *
confie avec certitude qu’il s’agissait de Monsieur Counette de
Moresnet).
.... Pour St Thomas, un brave macon, Monsieur Jean
Vandeweyer, est 1I’homme tout trouve.
.... Pour St Barthele£my, un de nos vaillants peres de famille,
cordonnier infatigable, Monsieur Antoine Herzet, fera 1’affaire.
.... Pour Jude Thad&e, un menuisier courageux et Eprouve,
V’ex-bourgmestre Renier Flas, grand d&vot de St Jude Thad6ee ...
.... Pour Simon, un bücheron, Hubert Barth, espäce de zelote
= partisan de son groupe ... musical (Enge van de ouw... un de la
vieille harmonie...)
..... St Pierre, patron des pe&cheurs, represente par Monsieur
Jean Ernst, ancien sacristain; a 87 ans, il manie les filets pour rem-
plir sa gibeci&re, tr&s convoit&e, tr&s envige.
..... St Jean, un militant jociste, fils de tourneur, Etienne
Leusch, tiendra ce röle.
... St Jacques Majeur, t&moin de la Transfiguration et de 1’ Ago-
nie, patron des tisserands, est repr&sent& par G. Conzen.
.... St Andre, disciple de Jean le Baptiste, repre&sent& par un
brave ‚"traditionaliste", voisin de 1’Eglise, Joseph Niesten.
... Pour Jacques le Mineur, patron des foulons, drapiers etc ...
un veteran du textile, Ste&phane Counotte de la rue de la Gare.
... Pour Philippe, l’apötre qui presente ä J&sus le gamin d’un
geste genereux ( il fut le point de depart de la multiplication des
pains) un boulanger, chantre et fabricien, Joseph Schmetz, 6tait
1l’homme de la situation.
97
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Partie droite du tableau
.... Pour St Mathieu, Monsieur Laforge, un percepteur doua-
nier conciliant, il vint 4 Gemmenich et y laissa le meilleur souve-
nir, il est I’homme tout indique.
A ce tableau l'artiste travailla plus de 8 mois. Pour repr&senter
le Christ, il fut 3 jours et 2 nuits dans des "trances" indicibles, il
retoucha la figure du Sauveur pour l’adapter au manque ou au
defaut de lumi@re de notre Eglise. Le coloris du tableau est une
r&ussite splendide. Admirez
- le paysage de Moresnet avec son viaduc &croule ä la fin de la
guerre 40-45,
- Plombi@res et sa belle Eglise dat&e de 1930.
- Sippenaeken avec le moulin sur la Gueule.
Nous nous permettons d’ajouter un commentaire important aux
notes de Monsieur 1’Abb€ Nyssen: derri@re les apötres, dans le
coin droit du tableau, nos remarquons, parmi la foule, deux per-
sonnages ä lunettes. Il s’agit du Pere Etienne Conrath, Pre du
Saint Esprit, aujourd’hui pasteur protestant, et derriere celui-ci
Monsieur 1’Abbe Emile Nyssen, commanditaire de 1’oeuvre.
98
+
Mr ]’Abb6€ Nyssen et le P. Conrath (detail du tableau)
Kurzfassung: Bei Renovierungsarbeiten in der Gemmenicher
Pfarrkirche wurde 1972 ein bis dahin im Chor der Kirche
befindliches "Letztes Abendmahl" abgehängt und damach lange
Jahre auf dem Dachboden des Pfarrhauses aufbewahrt. Das Bild
kam 1988 zum "College Notre-Dame", wo es an der Stirnwand
des Studiersaales eine neue Bleibe gefunden hat.
Mit diesem Bild, einem Werk des Lütticher Künstlers Gilbert
aus dem Jahre 1947, hat es eine besondere Bewandnis, wählte der
Maler doch als Vorlage für die Apostel Männer aus dem Dorfe,
deren Berufsgruppen mit dem jeweiligen Apostel als Schutzpatron
in Verbindung gebracht werden.
So erkennt man von links nach rechts :
- Judas; er soll von Herrn Counette aus Moresnet dargestellt
worden sein;
- Thomas, dargestellt durch den Maurer Jean Vandeweyer;
- Bartholomäus trägt die Züge des Schustermeisters Antoine
Herzet;
- Judas Thaddäus findet einen Darsteller in der Person des
Schreinermeisters, Ex-Bürgermeisters und Verehrers dieses Apo-
stels, Renier Flas;
99
- Für Simon stand der Waldarbeiter Hubert Bart Modell;
- Petrus, der Schutzheilige der Fischer, fand einen würdigen
Darsteller in der Person des früheren Küsters Jean Ernst, eines
begeisterten Anglers;
- Johannes wird dargestellt durch einen Propagandisten der JOC,
Etienne Leusch;
- bei Jakobus dem Älteren, Patron der Weber, erkennen wir die
Züge von G. Conzen;
- Andreas ist als Joseph Niesten zu identifizieren;
- Jakobus der Jüngere, Patron der Tuchmacher, wird von
Ste&phane Counotte aus der Bahnhofstraße, einem Textilarbeiter,
dargestellt.
- Philippus, der bei der wunderbaren Brotvermehrung und der
Speisung der Fünftausend besonders erwähnt wird, trägt auf dem
Bild die Züge des Bäckermeisters Joseph Schmetz.
- Für Mathäus, den Zöllner, fand sich in Gemmenich der pas-
sende Darsteller in der Person des Zollbeamten Laforge.
Noch zwei weitere Personen sollen erwähnt werden: In der rech-
ten Bildhälfte erkennt man in der Menge im Hintergrund zwei
Brillenträger. Es sind (mit römischem Kragen) der frühere Pfarrer
von Gemmenich und Auftraggeber des Bildes, Hw. Emile Nyssen,
und der Pater Etienne Conrad, heute evangelischer Pastor.
Der Künstler hat mehr als acht Monate an diesem Werk gear-
beitet. Im Hintergrund erkennt man den Viadukt von Moresnet,
die Kirche von Bleyberg und die Mühle von Sippenaeken.
100
MORESNET - Une page d'histoire
Du VAL D'ENFER au VAL DE VIE
Entre 1915 et 1918, tandis que les arm&es s’affrontaient dans les
tranch6es de ]'Yser et du nord de la France, le village de Moresnet
voyait son environnement transforme par la construction de la li-
gne de chemin de fer Aachen-Montzen-Hasselt-Anvers. Ligne en
projet des avant la "grande guerre", elle avait pour but d'amener
les marchandises depuis l'Allemagne et l'Europe Centrale jusqu'au
Port d'Anvers. Pour la r&aliser, un grand viaduc &tait necessaire,,
enjambant la vall&e oü se niche Moresnet; viaduc prolonge de part
et d'autre par un talus.
La guerre 1914-1918 interrompit les 6tudes belges, mais devant
l'importance vitale du projet (pour les besoins de guerre), l'occu-
pant reprit ä son compte les projets initiaux et d&cida de construire
sans plus tarder le fameux viaduc.
La main-d'oeuvre fut facile ä trouver: des centaines de prisonniers
russes, mais aussi des femmes, russes Egalement, furent contraints
par la force de r&aliser ce gigantesque travail.
Le camp des prisonniers russes &tait situ€ a Alensberg ( prairie de
M. Jean SCHYNS). Celui des d&port&es russes &tait situe ä
Buschhausen, ä l'interieur du triangle forme par la rue du Pont, la
rue du Panorama et la for&t (la rue de La Calamine n'a &t& ouverte
qu'en 1957). Ces camps &Etaient entour&s d'une double clöture en
fil de fer barbel&, separ&s par un chemin de ronde parcouru par les
sentinelles allemandes.
Les conditions de vie Etaient tres dures; par pitie, les habitants de
V'endroit lancaient de la nourriture par dessus les barbeles. Mais si
elle tombait dans le chemin de ronde, les sentinelles la pietinaient.
Le travail des dEport&es &tait penible: il consistait a niveler, avec
comme seuls outils des brouettes, la terre que des wagonnets de-
versaient pour Eriger l'&norme talus.
La prairie oü se trouvait le camp des femmes &tait vraiment, pour
ces expatriges, un veritable "Val de Detresse".
Actuellement, cette meme prairie, devenue un quartier anim6&, s’ap-
pelle le "Val de Vie". Heureux retournement, non?
101
(Sources: Jos. Jongen - Mad.Schunk-Cornet)
Remy HARDY
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Le "Val de Vie'' - vue aerienne (200 m d'altitude) - juillet 1996
(photo W. Marzodko)
102
In Memoriam
Am 14. Mai 1997 starb im Alter von 86 Jahren im Alten-
heim "Regina" in Moresnet
Herr Alfred Jansen.
Ed Unserer Vereinigung gehörte er
N 7 V seit Bestehen derselben an; seit
7 ua 1991 war er Vorstandsmitglied.
8 eh Der gelernte Bäcker- und
ra O3 Konditormeister, den die
A Lebensumstände in den Kohle-
1” A bergbau des Herver Landes
|| TAN verschlagen hatten, hat über
N MW Jahrzehnte mit der Kamera das
| Leben um ihn herum im Bild
Al _ festgehalten. Den Lesern unse-
U N rer Zeitschrift ist er durch zahl-
ES “reiche Beiträge zur Geschichte
des Moresneter Gebietes kein Unbekannter. Gerne erinnern
wir uns auch an seine vielen Dia-Vorträge und die von ihm
geführten Wanderungen und Exkursionen, die von seiner
großen Liebe zur Heimat zeugten.
Mit Alfred Jansen verliert die Göhltalvereinigung eines ih-
rer aktivsten Mitglieder, dessen Namen mit der Geschichte
unserer Vereinigung verbunden bleiben wird. Sein nim-
mermüder Einsatz wird uns Beispiel und Ansporn bleiben.
In dankbarer Erinnerung
Der Vorstand
103
Anzeigentext
Der Fonds
der König-Baudouin-Stiftung für
Kulturerbe und Denkmalschutz in
der Deutschsprachigen Gemeinschaft
Die Deutschsprachige Gemeinschaft ist seit kurzer Zeit für den
Denkmal- und Landschaftsschutz zuständig. Der Spielraum für
die Projektförderung ist jedoch begrenzt, neue Initiativen können
nur mühsam umgesetzt werden.
Doch gerade in diesem Bereich, d.h. für den Erhalt unseres
Kulturerbes, sind die vereinten Kräfte von individuellen Initiativen, .
Unternehmen und Behörden gefordert. Um Synergien zu ermög-
lichen und auch kleineren privaten Initiativen eine Chance zu bie-
ten, hat die König-Baudouin-Stiftung im vergangenen Jahr einen
Fonds eingerichtet.
Der Fonds der König-Baudouin-Stiftung für Kulturerbe und
Denkmalschutz in der Deutschsprachigen Gemeinschaft er-
möglicht einerseits, für anerkannte Projekte unbürokratisch und
im Namen der Stiftung Mittel zu mobilisieren (100% der Spen-
den werden an den Projektträger weitergeleitet; die Stiftung fi-
nanziert ein PR-Faltblatt). Andererseits können manche Projekte
in den Genuß von direkten Fördermitteln gelangen.
Eingereichte Projekte müssen eine Reihe von Kriterien erfül-
len:
Ausschlaggebend ist der architektonische oder kulturhistori-
sche Rang des Objekts.
Dessen Wert für die Gemeinschaft kann auf lokaler Ebene lie-
gen, seine Bedeutung kann aber auch weit über die Grenzen der
Gemeinde bzw. Gemeinschaft hinausgehen. Alle Restaurierungs-
und Sanierungsvorhaben kommen für eine Förderung in Betracht.
Der gesetzliche Denkmalschutz ist keine zwingende Notwendig-
keit. Antragsteller können Privatpersonen, Vereine, Gemeinden,
Unternehmen oder andere Interessenten sein.
104
Ob sich Gebäude und Denkmäler in privatem oder öffentlichem
Besitz befinden, ist unerheblich. Allerdings muß sich der Privat-
besitzer für das Projekt einsetzen. Antragsteller und Besitzer ha-
ben die Pflicht sicherzustellen, daß die restaurierten Objekte für
die Bevölkerung zugänglich bleiben oder eine öffentliche Bestim-
mung erhalten.
Die Antragsteller legen ein Finanzierungskonzept für das Pro-
jekt vor, das Eigen-und Fremdmittel (Zuschüsse, Sponsorengelder
usw.) sowie die Arbeit von freiwilligen Helfern auflistet.
Vorbereitung und Ausführung des Projekts erfordern Beratung
durch externe Sachverständige.
Ein Zeitplan sollte im voraus festgelegt werden. Das Projekt ”
sollte gegebenenfalls auch kurzfristig gestartet werden können.
Eine Förderung von bereits abgeschlossenen Projekten ist ausge-
schlossen.
Die Antragsteller kümmern sich um die Öffentlichkeitsarbeit
auf lokaler und regionaler Ebene.
Wenn ein Projekt vom Fonds für Kulturerbe und Denkmalschutz
anerkannt worden ist, schließen Antragsteller oder Besitzer einen
Vertrag mit der König-Baudouin-Stiftung, der die Ausführungs-
bestimmungen zur finanziellen Förderung und Verwirklichung re-
gelt.
Nähere Informationen erhalten Sie beim
Sekretariat des Fonds für Kulturerbe und Denkmalschutz
König-Baudouin-Stiftung
Rue Brederode 21
1000 Brüssel
(Christophe HARDT - Tel. 02/549.02.61 - )