Im Söhltal
Landschaft im Grenzraum Nordostbelgiens
AA NE —nn
-— DE
YA ARSCH N 1. Ar La
A WA 4 VE AS
3 Me DR ; |] DB Hd Ee
%| EB Zen AU een tn E N EN O
Is ke
ZEITSCHRIFT DER VEREINIGUNG FÜR
KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
IM GÖHLTAL
Nr 57 — August 1995
*
|
W '
A |
a, 4
nr
Y
pP |
"Te
x dl — a
Im Göhltal
ZEITSCHRIFT DER VEREINIGUNG
FÜR
KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
IM GÖHLTAL
Nr 57
August 1995
Veröffentlicht mit der Unterstützung des Kulturamtes der
deutschsprachigen Gemeinschaft
Vorsitzender: Herbert Lennertz, Stadionstraße 3, 4721 Neu-Moresnet.
Sekretariat: Maxstraße 9, 4721 Neu-Moresnet, Tel. 087/65.75.04.
Lektor: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Kassierer: Fritz Steinbeck, Hasardstraße 13, 4721 Neu-Moresnet.
Postscheckkonto Nr. 000-0191053-60.
Generale de Banque: 248-0251251-51
Konto NL: AMRO-BANK: 46.37.00.090 Vaals/L
Konto BRD: Aachener Bank: 88 266 (BLZ 390 601 80)
Die Beiträge verpflichten nur die Verfasser,
Alle Rechte vorbehalten
Entwurf des Titelblattes: Alfred Jansen, Moresnet-Kapelle.
Druck.: Hubert Aldenhoff, Gemmenich.
3
Inhaltsverzeichnis
Alfred Jansen, Zum Umschlagbild 5
Moresnet-Kapelle
H. von Schwartzenberg, Die Raerener Töpfermeister 8
Aachen und der Adel
Peter Claes, Ich erinnere mich noch ... 23
Brüssel
M. Th. Weinert, Im Wald 4
Aachen-Forst
Alfred Bertha, 25 Jahre nach Sedan 45
Hergenrath
Hub. Debey, Im Göhltal 1940 64
Verviers
Jos. Bernrath, Wie war das noch, damals? 67
Hergenrath
Walter Meven, Vor 80 Jahren starb der letzte 74
Hergenrath Bürgermeister von Preußisch-
und Neutral-Moresnet
Alfred Jansen, Wilhelm Tell in der Kelmiser 78
Moresnet-Kapelle "Patronage"
Jos. Bindels, Über das Moresneter Theater- 84
Kelmis leben in der Zwischenkriegszeit
Alfred Jansen, Der amerikanische Ehrenfriedhof 97
Moresnet-Kapelle von Henri-Chapelle
Alfred Bertha, Könnte Raaff so ausgesehen 105
Hergenrath haben?
5
Zum Umschlagbild
Das Haus Bergscheid in Raeren!
von Alfred Jansen
Es mag sein, daß, wie Chronisten vermuten, an der Stelle des
heutigen Hauses Bergscheid einstmals eine Wasserburg gestanden
hat. Die letzten Reste des ehemaligen Burgweihers sind erst Mitte
der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts trocken gelegt worden?.
Die jetzige Bauanordnung läßt jedoch keine Spuren einer solchen
wehrhaften Anlage aus früherer Zeit mehr erkennen.
Dem schnell durchfahrenden Zeitgenossen fällt das an der
Raerener Hauptstraße Nr. 104-108 gelegene Haus nicht auf,
trennen doch eine Gartenmauer und ein etwa 40 m tiefer Vorgarten
dasselbe von der Straße.
«Die glückliche Anordnung der Baukörper, die
Ausgewogenheit der Maße, das altertümliche Aussehen und die
nüchterne Einfachheit», so Poswick, machen Bergscheid zu einem
der reizendsten Baudenkmäler der Gegend.
Bergscheid ist eine dreiflügelige Anlage, an deren
zweigeschossigen Hauptbau unter schiefergedecktem
Krüppelwalmdach sich zur Straßenseite hin zwei kleinere, bis zur
Dachunterkante des Hauptbaus reichende Flügel anlehnen.
Bis 1527 gehörte Bergscheid zu «Haus Raeren», von dem es
nach dem Tode des Heinrich von Schwarzenberg abgetrennt
wurde. Die Tochter des genannten Heinrich, Judith, hatte in
zweiter Ehe Johann von Hirtz gen. Landskron geheiratet. 1559
übergab Johann v. Landskron das Haus seiner Tochter Anna, die
in erster Ehe mit Anton von Sombreff, in zweiter mit Hermann
von Gülpen verheiratet war.
Aus der Ehe mit Anton von Sombreff stammte ein Sohn,
Johann, dessen Tochter Katharina Bergscheid erbte. Diese heiratete
1614 Wilhelm von Hagen. Diese Eheleute hatten drei Kinder, von
denen die Tochter Elisabeth von Hagen Philipp von Wicherding
ehelichte. Bei der Teilung des elterlichen Besitzes (1650) konnte
1 Aus G. Poswick, Les Delices du Duche de Limbourg, S. 379-384
2 V.Gielen, Raeren und die Raerener im Wandel der Zeiten, 2. Aufl. 1976,
S.28
6
sie ihre beiden Geschwister mit Geld abfinden und somit alleinige
Eigentümerin von Bergscheid werden.
1668 erbt der Sohn Wilhelm von Wicherding die Domäne;
von ihm heißt es auf einem Gedenkstein in der Raerener
Sakristei, er sei ein Vorbild der Demut, der Frömmigkeit und der
Hingabe gewesen. Die Inschrift nennt ihn auch den «größten
Wohltäter der Armen und unserer Kirche in Titfeld» . Mit einer
Kapitalsumme von 1200 Patacons zu Lasten seines adligen Hauses
gründete Wilhelm von Wicherding 1723 die Vikarie in Raeren
mit der Verpflichtung, in der Frühmesse eine Predigt zu halten.
Auch gründete er eine Armen-Spende von Brot an den
Quatembertagen ( = liturgische Bußwochen bzw. Bußtage)'. Er
starb unverheiratet. "
Auf ihn folgte 1727 die Schwester Maria-Elisabeth, nach
deren Tod (1739) Bergscheid durch Kauf in den Besitz des
Winand von Schwartzenberg überging.
So war also Bergscheid wieder an einen Nachkommen der
früheren Besitzer zurückgekommen. Winand von Schwartzenberg,
der Gertrud Mennicken geheiratet hatte, ließ 1753 einen Neubau
errichten. Die Wetterfahnen auf dem Dach des Haupthauses
tragen seine Initialen: WSIB = Winand Schwartzenberg In
Bergscheid.
Johann Leonard von Schwartzenberg, ein Sohn des
Vorgenannten, wird 1773 mit dem Gut belehnt. Er war verheiratet
mit Maria-Anna Mennicken. Johann Leonard von Schwartzenberg
war eine über die Ortsgrenzen hinweg bekannte Persönlichkeit,
die auch als Schöffe der Bank Walhorn und Notar in Ansehen
stand. Nach seinem Tod geht Bergscheid an den jüngsten Bruder,
Johann Heinrich, über, der 1799 stirbt. Er hatte seine Schwester
Isabelle, verheiratet mit Johann Jos. Schauff, als Erbin eingesetzt.
1829 ist Bergscheid im Besitz der Witwe des vorgenannten Joh.
Heinrich und deren Tochter, die mit Mathias-Nikolaus Duyster
verheiratet war.
Vermutlich durch Kauf ging das Gut dann an Johann-
Christian Jeghers aus Aachen über, der 1832 als Besitzer genannt
wird,
3 V.Gielen, a .a. O., S. 28
4 Ch. Quix, Beiträge zu einer historisch-topographischen Beschreibung des
Kreises Eupen, Aachen, 1837, S. 164
7
In den folgenden Jahrzehnten wechselt das alte Haus noch
oft den Besitzer: 1844 ist es Eigentum des Pierre-Amand Benoit
von Harenne, 1849 von dessen Bruder Albert. 1862 gehört
Bergscheid einem Schwager derselben, Leonard Radermacher,
und nach dessen Tode (1866) dem Major J. F. W. Dilthey.
1894 erwirbt Johann Jos. Schumacher das Haus; über dessen
Tochter Maria-Anna, verheiratet mit Johann Leonard Kirschvink,
kommt Bergscheid an letztere Familie, die noch heute im Besitz
des alten Hauses ist.
8
Die Raerener Töpfermeister und
der Adel
von Heinr. von Schwartzenberg
Wer aufmerksam das Raerener Töpfereimuseum sowie
Keramikabteilungen anderer Museen, ja sogar Flohmärkte usw.
besucht, kann feststellen, daß auf alten Raerener Krügen als
Auflage -neben vielen anderen Adelswappen- ein Wappen
besonders häufig vorkommt, und zwar das des Peter von
Schwartzenberg aus Raeren.
PD w V vS
(=, A De C 7)
AS ANZ
Vz U) fTET TTS
ZA > O7 m \s
A RR AU 45 N ch EL f
V 3 } VZ % CC = ß
Abb. 1: Wappen des Peter von Abb. 2: Andere Wappen, z.B. das
Schwartzenberg, das später im des Wilhelm von Schwartzenberg
Allianzwappen Schwartzenberg/ (Vater oder Bruder des Peter), sind
Krümmel häufiger erscheint”. seltener ?,
Wer war dieser Peter von Schwartzenberg?
Er war der Sohn der Eheleute Wilhelm von Schwartzenberg
und Anna Krümmel (?), die Haus Raeren besaßen 3). Peter selbst
hatte großen Grundbesitz, vornehmlich zwischen Haus Raeren
und Sief, so daß es mehrmals zum Tausch von Grundstücken
zwischen ihm und dem Prior des Kreuzherrenklosters Brandenburg
in Sief kam %).
Im Jahre 1567 heiratete Peter von Schwartzenberg die
Margarete Krümmel von Nechtersheim zu Vaalsbroek. Durch
diese Heirat erhielt er Anteile an Schloß Vaalsbroek und dem
10
Anhand des Beispiels des Peter von Schwartzenberg wird in
der nachfolgenden Studie versucht zu klären, wie diese Häufigkeit
zustande gekommen ist. Es wird der Frage nachgegangen, ob sie
durch verwandtschaftliche Beziehungen der Töpfermeister mit
der Adelsfamilie oder durch Auftragserteilung bzw. geschäftliche
Beziehungen entstanden ist.
A. Verwandtschaftliche Beziehungen
Die Blütezeit der Raerener Töpferei lag etwa zwischen der
Mitte des 16. und dem Anfang des 17. Jh. 7). Der Wohlstand der
Töpfermeister hatte zu dieser Zeit einen Stand erreicht, der sich
mit dem der Adelsfamilien, deren Einfluß allmählich abzunehmen
begann, messen konnte. Diese Tatsache spiegelt sich auch darin"
wider, daß nicht nur fast alle Töpfer dieser Zeit im Lehnsregister
erscheinen, sondern auch, daß etliche eheliche Verbindungen der
Töpfer mit Angehörigen der Adelsfamilien eingegangen worden
sind. Hellebrandt nennt folgende verwandtschaftliche Beziehungen
zwischen den Töpfer- und den Adelsfamilien 8):
«Johann Wild von Eynatten, Schöffe der Bank Walhorn,
Sohn des Jacob Wild genannt Smyth, der Kruechenbecker von
Neudorf, war mit der Anna Schuyl, Tochter des Forstmeisters
Winand Schuyl von Walhorn verheiratet. Die Schwester, Catharina
Schuyl, und ihr Ehemann Gillis Offermann waren die
Schwiegereltern des Ements op den Born (E. E.). Wilhelm Kalff
war der Ehemann der Hilgen (Hildegard) von Petitveld, Nichte
des Hermann von Petitveld, Everhard Kalff war Ehemann der
Odilia Krümmel, einer Tochter von Junker Reynardt Krümmel.
Edmund Mennicken (E. M.) war Ehemann der Witwe Sanders,
geborene von Obsinnig, genannt Rohe.Jan Mennicken (J. M.) war
verheiratet mit Engel (Angela) von Schwartzenberg»
Die letzte Eintragung, leider ohne Quellenangabe, ist für die
vorliegende Studie interessant.
Nach der eingehenden Familienforschung von M.
Kohnemann über die Raerener Töpferfamilie Menneken gab es
nur einen Jan Menneken oder Mennicken (von Titfeld, 1539-
1573, gest. vor 1576), der eine Frau mit Vornamen Engel (Angela)
hatte. Kohnemann schreibt über ihn:
11
«Jan MENNEKEN von Titfeld 1539-1573 + vor 1576
In den meisten Fällen wird Jan mit dem Vor- und Zunamen
oder zusätzlich mit der Ortsbezeichnung «von Titfeld» genannt.
Ab 1570 wird er auch mit dem Zusatz «der Alte» versehen. Nach
seinem Todtätigt seine Witwe Engel (Angela) die verschiedensten
Transaktionen; ihr Familienname ist mir nicht bekannt; sie wird
von 1564 bis 1580 erwähnt. Beider Kinder sind Trin, Engel, Jan,
Mergen, Vas, Lennert und Emont.
Aus den urkundlichen Unterlagen geht nicht immer klar
hervor, welches von den Mitgliedern der Familie MENNEKEN
namens Jan gemeint ist, denn hinterher führe ich noch einige
andere auf, die alle zur gleichen Zeit gelebt haben. Falls er es ist,
der auf dem Vogtgeding (amtliche Bürgerversammlung) vom 19.
November 1567 bekennt, er wolle an die hundert Gulden mit
Geirken (dem Schatzmeister der Töpferzunft?) verrechnen, die er
bei «kollien» (Köln?) verzehrt hat, kann man eine Tätigkeit als
Töpfer annehmen.
Sonst wird Jan nirgends mit dem Töpfergewerbe in
Verbindung gebracht; es würde mich allerdings nicht wundern,
wenn er wie viele Angehörige der Familie MENNEKEN Töpfer
gewesen wäre, denn sein Sohn Vas war es gewiß 9.»
Ein Sohn des vorgenannten Jan Menneken, der auch Jan
hieß, wird in einer Urkunde mit seinen Schwägern Willem
Schwartzenberg (vermutlich ein natürlicher Sohn des oben
genannten Peter) und Kornelis Lomont genannt 19).
Die bisherige Forschung über die Familie von
Schwartzenberg kennt die eheliche Verbindung des Jan Menneken
mit der Engel (Angela) von Schwartzenberg nicht 11).
Jan Menneken war übrigens ein Onkel deswohl berühmtesten
Raerener Töpfers Jan Emens.
Die Urkunden nennen folgende geschäftliche Verbindungen
des Jan Menneken mit Peter von Schwartzenberg:
Aus den Walhorner Gudungsbüchern 12):
«Joncker Peter Swartzenberch end Johan Mennecken van
Tytfelt. Up dach datum (lesten mertz anno ’70) ist komen voer
heer end gerycht joncker Peter Swartzenberch end Johan
Mennecken van Tytfelt end haven ons tzue kennen gegeven wye
sye tsamen eyn erfbuyting gedaen haven.
12
Tzom eyrsten soe haet beyde partyen bekant dat joncker
peter Swartzenberch den drossart oevergedragen hait II morgen
LXIIII roeden lantz gelegen boeten den berch tzue den Raeren.
Daertegen haet Johan Mennecken vurschreven oevergedragen 1
morgen lantz gelegen op dye Raerener Feyst loss erff myt noch
eyn schuyr end stal, dye Johan Mennecken aefbrack, wylchen
bouw joncker Peter haet laessen settzen up dye steynbaen.»
Aus dem Lehensregister 13):
«9. VI. 1572- In einem Erbwechsel empfängt Johann
Mennicken der Alte zu Titfelt 1 1/2 Morgen, 64 Ruten an Cranen
Engels Bend nächst des Wiggen Haus «boeten des Berch» von
Peter von Schwartzenbergh, dem er gelobt, vor dem Gericht zu ”
Walhorn 1 1/2 Morgen auf der Raerener Feest zu übertragen mit
dem aus Scheune und Stall bestehenden Bau, den Peter von
Schwartzenbergh dort auf dem Land errichtet hat, das Johan
Symon van Belven erhalten hat.»
Wenn die Angaben von Hellebrandt zutreffend sein sollten,
könnte es sich nach den Jahreszahlen bei der Engel (Angela) von
Schwartzenberg um eine bisher nicht bekannte Schwester des
Peter von Schwartzenberg gehandelt haben.
Wie dem auch sei, trotz bestehender oder vermuteter
Verwandtschaft mit Jan Menneken ist es -auch wegen fehlender
Belege- unwahrscheinlich, daß einer aus der Sippe des Jan der
erste Hersteller der Krüge mit dem Schwartzenberg-Wappen war.
Alles deutet darauf hin, daß die Untersuchung über die
geschäftlichen Beziehungen des Peter von Schwartzenberg mit
den Töpfermeistern erfolgversprechender sind.
B. Geschäftliche Beziehungen
Bereits im Jahre 1488 verkauft Heinrich von Schwartzenberg
(Großvater des Peter von Schwartzenberg) sechzehn Morgen
Driesch, d. h. brachliegendes Land oder Weideland, oberhalb
Titfeld gelegen, dem «Kruechenbecker» in Neudorf Peter de
Wilde 19),
Das war die erste geschäftliche Beziehung eines von
Schwartzenberg mit einem Töpfer.
In den Lehensregistern der Propsteilichen Mannkammer des
Aachener Marienstiftes und in den Walhorner Gudungsbüchern
13
findet man bei den Eintragungen vom Ende des 16. Jh. einige
Urkunden, in denen Peter von Schwartzenberg und Emont
Emonts op den Born in geschäftliche Beziehungen treten. (In die
Lehnsregister wurden die lehnsrührigen Grundstücke eingetragen,
während die übrigen «Grundbuch-Eintragungen» in den
Gudungsbüchern erfolgten).
Hierunter kurze Inhaltsangaben der Urkunden:
Gudungsbuch 3, pag. 198, 25 Mai 1564
Emont Emonts op den Born erhält von Peter von
Schwartzenberg im Tausch zwei Morgen Land im Raerener
Flurstück Feest.
Lehnsregister, reg. 3.118, 15. November 1567
Emont Emonts op den Born erhält von Peter von
Schwartzenberg im Tausch 4 1/2 Morgen Land zu Raeren «up de
Feest».
Gudungsbuch 4, pag. 142, 30. November 1567
Emont Emonts op den Born erhält von Peter von
Schwartzenberg im Tausch fünf Morgen Land im Flurstück
Raerener Feyst.
Gudungsbuch 4, pag. 10, 16. Juni 1573
Emont Emonts op den Born erhält von Peter von
Schwartzenberg einen Morgen Land «up de Doedtsypen». Diesen
Morgen tauscht Emont Emonts op den Born gegen einen Morgen
mit Hof «up den Born» mit Johann Mennicken. Den Bau, der noch
auf dem Grundstück steht, soll Johann Mennicken bis zum
Martinstag des nächsten Jahres abreißen.
Gudungsbuch 4, pag. 28, 10. Mai 1575
Peter von Schwartzenberg kauft von Emont Emonts op den
Born eine Jahresrente, die er später dem Prior des
Kreuzherrenklosters Brandenburg in Sief weiterverkauft. Als
Unterpfand wird ein Hof in Raeren-Born genannt.
Gudungsbuch 2, pag. 198, 1. September 1575
Emont Emonts op den Born erhält von Peter von
| Schwartzenberg im Tausch sechs Morgen Land im Flurstück
|
14
Raerener Feest.
Die vollständigen Texte aus den Gudungsbüchern und den
Lehensregistern sind am Schluß dieser Studie als Abschnitt C.
aufgeführt 15).
Das oft zitierte Flurstück Feest oder Feyst lag in Raeren-
Born, dem Wohnsitz des Emont Emonts.
Raeren-Born liegt wiederum in der Nähe von Burg und Haus
Raeren, so daß Peter von Schwartzenberg und Emont Emonts op
den Born gewiß nicht weit auseinander wohnten (s. Abb. 6).
IC) WO |
SA 1587 IST IM FERN WO
YVERSTORBEN-EMONT IE
Heck : EMONTS OPDEN 8
0 BORN W BORN # PA
TIter Bornbend D,
S NS Zahlepohl ;
SAH
S Do
E yis, Raer®n Ss
NE:
OT
Abb. 6 Abb. 719
N Wer war dieser Emont Emonts op den Born?
Er war in der Zeit, als die Raerener Töpferkunst ein überle-
gener Konkurrent von Köln-Frechen und Siegburg war 17), in
Raeren -wie Jan Emens- auch ein Meister seines Faches, der viele
seiner Werke mit EE signierte.
Sein Grabkreuz (s. Abb. 7) befand sich früher auf dem
Walhorner Friedhof und steht jetzt in Raeren gegenüber der Burg,
in der Nähe der Stätte, wo Emont Emonts gewirkt hat.
Wenn von Jan Emens behauptet wird, daß seine Kunst
unerreicht war, so kann man von Emont Emonts op den Born
sagen, daß er einen eigenen Stil hatte und so dem großen Meister
entgegentreten konnte 18),
15
Während die großen Meister anfangs noch Krüge und
Verzierungen herstellten, kann man davon ausgehen, daß sie
später nur noch die Formen schnitten, d. h. Matrizen für die
kunstvollen Auflagen fertigten 19),
Der abgebildete Krug (Abb. 8) wird dem Emont Emonts op
den Born zugeschrieben 20). Die für diesen Töpfermeister typische
Birnenform mit dem oberen Rillenhals kann man auch bei einem
Krug mit dem Wappen Schwartzenberg/Krümmel finden (s. Abb.
9), so daß unverkennbar ist, daß auch dieser Krug von Emont
Emonts op den Born stammt.
Derartig verzierte Krüge -insbesondere die großen
Prachtkrüge- dienten mehr der Dekoration als dem Gebrauch und
wurden meist auf Bestellung ausgeführt 22).
Der vorgenannte Krug (Abb. 9) mit dem Wappen
Schwartzenberg/Krümmel zeigt drei Mal das gleiche Wappen, so
daß man davon ausgehen kann, daß er vom Ehepaar bestellt
worden ist, was ja bei den engen geschäftlichen Beziehungen sehr
nahe liegt.
43
Ss
8.
A A
2
AA
AS BO
7" ee
Abb. 8
16
MEN |
7 Ss m
x | SZ. ven 4
AN SE Er a S )
A EN NO
SEE N
RE E k A N WE
/. N
A
=, AAN SW
BE
BLUE "9 a 2
Abb. 9 29
Eine Weiterentwicklung der oben genannten Rillenhals-
Krüge ist hierunter abgebildet (Abb.10). Der Krug zeigt wieder
das Wappen Schwartzenberg/Krümmel und auf einer anderen
Seite ein französisches (?) Wappen, dessen Matrize eindeutig von
Emont Emonts op den Born gefertigt worden ist, wie das Zeichen
EE beweist (s. Abb. 11).
Da die beiden Wappen in keinem Zusammenhang stehen,
kann man schlußfolgern, daß der Krug (Abb. 10) nicht auf
Bestellung, sondern zum freien Verkauf hergestellt worden ist.
Die einmal vorhandenen Matrizen wurden einfach zur
Verbesserung der schön modellierten Krüge verwendet und sollten
die Käufer animieren.
Ein anderes Beispiel mit zwei nicht zusammenpassenden
Wappen aus dem Raerener Töpfereimuseum zeigt einen Krug mit
dem Wappen von Schwartzenberg/Krümmel und demjenigen der
Stadt Danzig (Museumsobjekt 5033).
18
SW EE (für Emont Emonts op den Born) usw. anfertigen konnten
In der Sammlung Rehker im Raerener Töpfereimuseum
findet man sogar einen Bartmannkrug 26) aus der Köln-Frechener
Gegend, der das Wappen Schwartzenberg/Krümmel trägt.
Entweder hatte der Kölner Meister eine Matrize aus Raeren
erstanden oder er hatte das Wappen einfach «abgekupfert», um
seinen einfachen Krug damit zu verschönern, wobei ihm wohl die
Bedeutung des Wappens nicht bewußt war (Museumsobjekt
6272). Bemerkenswert ist, daß er den Schriftrand fehlen ließ.
Zusammenfassend kann man sagen, daß es durch die
Multiplikation der Matrizen und durch die Weitergabe derselben
verständlich ist, daß heute große Mengen der gleichen -
Wappenkrüge vorhanden sind.
Auffallend ist, wie man aus den Urkunden der Gudungsbücher
und aus den Lehnsregistern ersehen kann, daß Emont Emonts op
den Born viel Grund und Boden um seinen Wohnsitz erwarb,
wobei ihm Peter von Schwartzenberg half.
Brauchte Emont Emonts op den Born das Land für die
Ausübung seines Töpfergewerbes und erhielt Peter von
Schwartzenberg als Gegenleistung eine größere Anzahl Krüge?
Vielleicht war auch Emont Emonts op den Born von dem
Allianzwappen seines Geschäftspartners Peter von Schwartzenberg
und dessen Gemahlin so angetan, daß er es durch Fleiß in
Herstellung und Verkauf zu einem Rekord bei diesen Wappen-
krügen brachte.
M. E. übertreffen die Krüge mit dem schönen Wappen
Schwartzenberg/Krümmel -zumindest in der Häufigkeit- alle
anderen Wappenkrüge.
C. Texte der Urkunden aus den Walhorner Gudungsbüchern
und dem Lehnsregister des Aachener Marienstiftes
Walhorner Gudungsbuch 3, pag. 198
Uffhuydt den XXV maye anno 64 ist koemen vur here ende
gericht Joncker Peter Swartzenberch ende Emont up den born tzo
den Raren und haven tzamen eynen Erffmart gedaen. In den
eyrsten haet Emont vurseyt upgedraegen Joncker Peter
19
vurgescreven ontrent II morgen bendtz gelegen aen des
weggenhuys tzo den Raderen daeruntegen hait Joncker Peter
gelofft Emont vurseyt up tzo draegen II morgen lantz gelegen up
die feest vur vitzdum ende mannen van leen tzo aech tzo beyden
syde los Erve.
Noch is vurbehalden dat Swartzenberch den bouwe wech
gebruicken sall wye van als gewenlich.
Up den stoenden vorseyt is koemen vur here ende gericht
Joncker Peter Swartzenborchende haet geguit Emont up den born
den vursscreven anderhalven morgen bendtz gelegen aen des
weggen huys ende vur eyn somme van LXXXXV daler los erve.
Lehnsregister des Aachener Marienstiftes, 3.118 (von Coels,
S. 630)
15. XI. 1567. In einem Erbwechsel empfängt Emundt uf den
Born mit seiner Frau Marie 4 1/2 Morgen Land zu Raeren «up die
Feest», grenzend an den Dreesch des Peter up den Born, die ihm
Peter von Schwartzenburg aufträgt, dem er gelobt, er werde ihm
vor der Bank Walhorn 4 1/2 Morgen Bend zu Raeren in die Heyp
genannt der Vossenborn übertragen.
Walhorner Gudungsbuch 4, pag. 142
Peter Swartzenborch und Emont op den Born van Raderen.
Anno ’67 den lesten November es comen vur heer en gericht Peter
Swartzenborch en Emont op den Born ende haven tzamen zu
kennen gegeven das sy tzamen eenen erffmaert gedoen; ten
eersten haet gesachte Joncker Peter Swartzenborch bekant myt
ouch Emont vurschreven dat joncker Peter gesachtz Emont
opgedragen haet V morgen lants gelegen zu den Raderen op die
Feyst vur vitzdom ende mannen van leen. Daertegen haet Emont
vurschreven geguit ende opgedragenjoncker Peter vurschreven V
morgen bentz gelegen in die Heyss. Op den stonden voet haet
joncker Petervurschreven geguit ende opgedragen die vurschreven
V morgen bendts Emont vurschreven ende vur IIc daeler ende
LXXX daeler los erve.
20
Walhorner Gudungsbuch 4, pag. 10
Joncker Peter Swartzenberch end Emont up den Born. Up
den 16 dach braemaentz (= Juni) anno 773 is komen voer heyr end
gerycht joncker Peter Swartzenberch end haet Emont op den Born
gegeven , yn gyften end yn almoys, eynen morgen erfs gelegen up
den doedtsypen tzue beyden syden tusschen Johan Menneckens
erf sonder eynych argelyst.
Up dach datum vurschreven ist komen voer heyr ende
gerycht Emont_ op den Born end Johan Menniken end haven
tzamen eynen erfwessel gedaen. In den eyrsten soe oeverdreycht
Emont up den Born Johan Menniken eynen morgen erfs gelegen
up den doydtsypen, den wylchen joncker Peter Swartzenberch
Ementupden Borngegeven haet. Daertzegen hat Johan Menniken
Emont oevergedraegen 1 morgen hoeffs gelegen up den Born
neyst neven Emontzhoff end tzue beyden syden los erf. Noch sal
Johan Menneken die bouw die up den selven hoff steyt mogen
aefflegen tusschen nue neyst sent Mertensdach oever eyn jaer,
alles sonder argelyst.
Walhorner Gudungsbuch 4, pag. 28
Emont up den Born van den Raeren end joncker Peter
Swartzenberch. Up den x dach Meeys anno ’75 ist komen voer
Heyr end gerycht Emont up den Born van den Raeren end haet
guedyng gedoen joncker Peter Swartzenberch VI mudt even
jaerrenten, jeder mudt tzue loessen myt X daler tzue den ewygen
dagen end jeder mudt jaers tzue betzalen myt end nae luyde der
mandaeten up pant end underpant Tzyllijs Kalffs huys end hoff,
gelegen tzue den Raeren up den Born end tzue loessen tzue eynen
mael.
Up den staenden voett ist komen voer heyr end gerycht
joncker Peter Swartzenberch end haet guedyng gedoen broeder
Jacop Verluyns, prior des Conventz van Brandenborch, VI mudt
even jaerrenten, jeder mudt voer X daler up ewyg weder loess end
jeder mudtjaers tzue betzalen nae luyde der mandaeten. Underpant
Tzyllys Kalffs huys end hoff, gelegen tzue den Raeren up den
Born, tzue wissen tzue eynen mael, doch in alle der maessen als
joncker Peter dye vurschreven mudden erkregen haet van Emont
up den Born.
21
Walhorner Gudungsbuch 2, pag. 198
Uff huydtt den ersten September Anno 1575 sint koemen vur
heir ende gericht Joncker Peter Swartzenberch ende Eimont up
den born ende haven bekant dat sy tzamen erffbuyteng offgericht
haben myt dieser conditioen das Emont vursseyt uberdrecht
gedachten Peter Swartzenberch vyff morgen bentz genant
humpisbent gelegen en dye fys, dairentgen hayt gedachterJoncker
Peter gelobet uber tzo drachen Eimont up den born VI morgen
lantz gelegen up dye Raerener Feest boeven Emontz vurscreven
erff um vitzdum ende mannen van Leen up der probstien tzo
Aecken tzo beyden syden los erff.
Up den stoenden voyrseyt is koemen vur heir ende gericht
Joncker Peter Swartzenberch ende haeyt noch gedachten Emont
alsulch guyt als er haeyt liggen in der wostennyen tzo eynen
erffoverdracht gesatt off umber Enniche mangel aen finden, aen
dyeser oeben gesachter erffbuytong geschoeyhen das sych
gedachter Emont uff syne erben aen dye vorgemelte underpande
quitte sol moegen erhaelen tot synen volkomen ende erlyddenen
schaeden.
Uff den stoenden voyrseyt iss koemen vur heir ende gericht
Joncker Peter Swartzenberch ende hayt geguit Emontz up den
born vunff morgen bentz genant hompis bentz gelegen en dye feys
vur dye hondertt Jahr ende eyn allen floeyls los erve.
Anmerkungen
1) Kohnemann, Michel: Auflagen auf Raerener Steinzeug, Raeren 1982, S. 43
2) ebenda, S. 43
3) von Schwartzenberg, Heinrich, in «Im Göhltal», 54/1994, S. 47 ff.
4) Staatsarchiv Eupen, Walhorner Gudungsbücher,4, pag.24 ff.
5) Oppenhoff, J., in «ZAGV» 56/1935, S. 39
| 6) Kohnemann, Auflagen, S. 59
| 7) Hellebrandt, Heinrich: Raerener Steinzeug, Aachen 1977, S. 195
8) ebenda, S. 40
9) Kohnemann, Michel: Raerens Töpferfamilie Menneken, Raeren 1992,
53
| 10) ebenda, S. 26
| 11) Die Lehensregister nennen eine Verbindung Engel von Schwartzenberg-
Ellerborn. Beide stammen wohl aus bekannten Aachener Schöffen- und
22
Bürgermeisterfamilien. (v. Coels: Die Lehensregister der Propsteilichen
Mannkammer des Aachener Marienstiftes, Bonn 1952, S. 182)
12) Staatsarchiv Eupen, Gudungsbücher, 4, pag. 7
13) Lehensregister, S. 631
14) Gielen, V.: Raeren, 1967, S. 37
15) Staatsarchiv Eupen, Gudungsbücher, Abschriften Bern. von Schwartzenberg.
von Coels, Lehensregister, s. Anm. 11
16) Gielen, S. 73
X 17) Hellebrandt, S. 5
18) ebenda S. 47 u. 52
19) ebenda, S. 93
20) ebenda, S. 58
Im Heimatmuseum in Burg Frankenberg befindet sich ein weiterer
Rillenhalskrug mit dem Allianzwappen Schwartzenberg/Krümmelund einem
anderen viergeteilten Wappen mit dem Zeichen EE von Emont Emonts op,
den Born und der Jahreszahl 1583 (s. Kohnemann, Auflagen, S. 87).
21) Früher im Besitz des Math. von Schwartzenberg, Aachen-Grauenhof
22) Hellebrandt, S. 73
23) Kohnemann, Auflagen, Titelbild (Schriftrand: PETER SVARTZENBURCH
MARGRETE VAN NECHTERSSEM GENANT KRUMMEL S
HVSFRAV)
24) ebenda, S. 95
25) Hellebrandt, S. 47
26) Die Bartmannkrüge waren eine Spezialität der Köln-Frechener Werkstätten,
s. Hellebrandt, S. 25.
23
Ich erinnere mich noch ...
(Forts. u. Schluß ')
von Peter Claes
Gemeinschafts- und Vereinsleben
Das Kriegsende 1918 hatte große Wandlungen, nicht nur im
politischen, sondern auch und vor allem im technischen und
sozialen Bereich nach sich gezogen. Es lohnt sich daher, die
damalige Lebensweise kurz zu beleuchten.
Die Kelmiser Bevölkerung bestand vorwiegend aus
Arbeitern, folglich spielte die Arbeitszeit eine wichtige Rolle. Als
der Acht-Stunden-Tag eingeführt wurde, d. h. die
Wochenarbeitszeit von 48 Stunden (1921), schätzte man dies als
eine große soziale Errungenschaft. Da aber gewiß mehr als die
Hälfte der arbeitenden Bevölkerung auswärts, d. h. in Eupen,
Verviers oder Aachen beschäftigt war, mußten durchschnittlich
noch zwei Stunden täglich für den Weg zur Arbeit hinzugerechnet
werden ...
Für die Geschäftsleute gab es allerdings keine gesetzlichen
Regelungen dieser Art. So war z. B. die Kolonialwarenhandlung
meiner Eltern ganztags von morgens 7 bis abends 22 Uhr geöffnet,
und das vom 1. Januar bis zum 31. Dezember, Sonn- und Feiertage
einbegriffen! Was blieb da noch an Freizeit übrig?
Trotzdem bestanden viele Vereine zu der Zeit: sieben
Schützengesellschaften, mehrere Turnvereine, ein Fußballclub,
ein Fahrradclub... Außerdem bemühten sich mehrere Theater-
und Gesangvereine (Kirchenchor und St. Joseph-Gesangverein)
sowie die berühmte Bergwerkskapelle, das kulturelle Leben zu
fördern.
Im Vergleich zu heute war das Sportleben sehr beschränkt.
Im Sommer dienten die Bäche und der Casinoweiher der
männlichen Jugend zum Schwimmen und Planschen. Im Winter
amüsierten sich Burschen und Mädel mit Rodeln und Eislaufen.
Eine Pfadfindergruppe hat nur über kurze Zeit bestanden. Der
Jünglingsverein bot ausschließlich Bildung und
Freizeitbeschäftigung in der "Patronage".
' Erster Teil in "Im Göhltal", Nr. 56, S. 60-81
24
Voranzeige.
Internationaler Turnverband der deutfch:
{prehenden Gebiete,
Die „Altenberger Turngemeinde“ veranftaltet
gelegentlid) ihres 35jährigen Beftehens
DZ am 5. uud 6. Juni 1926 Bl ihr
N Aug: 3 „{
Erfies Yerbands-Curn-Seß,
Mähere Bekanntmachung erfolgt fpäter.
Srifch! Voranzeige. ; Fromm!
Turnverein Einigkeit |
Neu-Moresnet - La Calamine,
Samstag 17. und Fountag 18. Inlt 1926
veranflaltet vorgenannter Verein das
l 35 WIR =
Iweite Üerbands- Turnfelt
De für 1926. Dal
Fröhlich! Gut Heil! Frei!
Die "Altenberger Turngemeinde" und der "Turnverein Einigkeit”
veranstalteten beide 1926 ein großes Verbandsfest.,
(Die Freie Presse, 31.3.1926)
Höhepunkte des Frohsinns und Vergnügens waren damals
wie heute Karneval und Kirmes, wenn auch, das muß ich zugeben,
die Fastnacht nicht so pompös und aufwendig gefeiert wurde wie
zur heutigen Zeit.
Bemerkenswert ist auch, wie das Zusammenleben der
verschiedenen Bevölkerungsgruppen sich auf die menschlichen
Beziehungen auswirkte. Gemeinsam war vielen die Zugehörigkeit
zum selben Betrieb, der Vieille Montagne. Auch im Vereinsleben
spielten die Standesunterschiede und die Staatsangehörigkeit
kaum eine Rolle. Dennoch gab es Trennlinien. Zunächst die durch
die sprachliche Zugehörigkeit hervorgerufene Trennung zwischen
Wallonen und Deutschen. Erstere wohnten hauptsächlich in
Neutral-Moresnet, letztere hingegen waren zumeist in Preußisch-
Moresnet ansässig. Noch deutlicher traten die Unterschiede im
25
religiösen Bereich hervor, zunächst weil Preußisch-Moresnet zur
Pfarre Hergenrath gehörte, ferner weil es unter den Zugewanderten
aus Preußen viele Protestanten gab, wovon ja auch das
Vorhandensein der evangelischen Kirche in Preußisch-Moresnet
zeugt.
Ernste Probleme oder Spaltungen hat es bei allen
Gegensätzlichkeiten jedoch selten gegeben. Das ist vor allem der
Gesinnung der Kelmiser Bevölkerung zuzuschreiben, die stets
friedfertig und ausländerfreundlich war. Dieser Friedensdrang
unddiese Aufgeschlossenheit rührten wohl daher, daß das neutrale
Gebiet innerhalb von 100 Jahren, von 1816 bis 1914, seine
Einwohnerzahl von ursprünglich 256 auf 4.668 gesteigert hatte.
Das Vielvölkergemisch, das so entstanden war, bildete den idealen
Nährboden für die Esperantobewegung, die Neutral-Moresnet
zum Weltzentrum dieser Sprache machen wollte. Auch heute
registriert man in Kelmis nicht weniger als 24 verschiedene
Nationalitäten, und das bei einer Einwohnerzahl (der
Gesamtgemeinde) von weniger als 10.000.
Das friedliche Zusammenleben der Kelmiser war jedoch
durch den Krieg 1914-18 auf tragische Weise gestört worden. In
vielen Familien hatten sich nämlich Freunde, Bekannte und
Verwandte auf dem Kriegsschauplatz gegenübergestanden, der
eine auf belgischer, der andere auf deutscher Seite. Ich selbst hatte
einen belgischen und einen deutschen Onkel an der Front. Derartige
Umstände konnten ja nichts anderes, als die Atmosphäre vergiften
... Gott sei Dank, haben die Kelmiser diese Krise großmütig
überwunden, auch wenn dies nicht von heut auf morgen möglich
war.
Das Pressewesen
Erwähnenswert scheint mir auch die gängige Presse meines
Heimatortes. Die wichtigste Zeitung, die zwischen den beiden
Kriegen die Bevölkerung informierte, war "Die Fliegende Taube",
die wöchentlich erschien. Sie wurde in Aubel verlegt und hatte
zweifelsohne die meisten Leser in Kelmis. Herausgegeben wurde
die "Taube" von der Familie Willems, die eng mit dem Pressewesen
im altbelgischen Grenzraum verbunden ist.
Jean Henri Willems war Drucker und gründete 1847 in
Aubel die "Fliegende Taube". Der Verleger war Vater von elf
26
Kindern, sechs Mädchen und fünf Jungen. Die Söhne traten alle
in die Fußstapfen ihres Vaters und wurden Drucker bzw.
Zeitungsverleger. Zwei der Töchter traten in den Orden der
Franziskanerinnen von Luxemburg ein; die eine wirkte in Beloeil
(Henri-Chapelle), die andere in Forges (Baelen). Eine dritte
Tochter (Francoise) heiratete Pierre Mostert in Moresnet-Kapelle.
| =>, TE I
35 te liegende Zaunbe.
FEN OSEGes Ds EEE
Die Fliegende Taube
Alphonse Willems gründete 1872 das "Journal d’Aubel" und
1883 das "Journal de Dahlem-Vis&".
Der Sohn Louis gründete 1886 in Dolhain "Das Freie Wort",
das später "Die Freie Presse" hieß. Im Jahre 1901 erreichte das
"Freie Wort" eine Auflage von 4.500 Stück. Eine weitere von
Louis Willems herausgegebene Zeitung waren "Les Nouvelles".
Gerard Willems ließ sich in Esch-sur-Alzette (Lux) nieder,
wo er als Drucker und Zeitungsverleger tätig war.
Henri Willems übte verantwortungsvolle Funktionen in der
Königlichen Druckerei in Brüssel aus, während der fünfte Sohn,
Joseph, 1882 die Leitung der von seinem Vater gegründeten
Zeitung in Aubel übernahm, wonach sich der Vater erst nach Esch
a. d. Alzette zurückzog, wo er mit dem Sohn Gerard die "Escher
Volkszeitung" herausgab. 1887 ließ er sich in Arlon nieder und
gründete dort die "Arloner Zeitung", die nach seinem Tode, i. J.
1895, von dem Sohn Alphonse übernommen wurde. Die Zeitung
stellte ihr Erscheinen 1914 bei Kriegsausbruch ein.
Der Schwiegersohn des Louis Willems, Guillaume Schynts
aus Henri-Chapelle, hat die beiden Zeitungen seines
Schwiegervaters weitergeführt. Sehr wahrscheinlich ist er auch
der Gründer der "Kelmiser Zeitung", die von 1921 bis 1935
jeweils mittwochs und samstags erschien. Im Leitartikel der
letzten Nummer, am 28.12.1935, wirbt der Verleger G. Schynts
ZE
für das in Eupen erscheinende katholische Tagesblatt "Grenz-
Echo". Diese 1927 gegründete Zeitung hat als einziges
deutschsprachiges Blatt überlebt.
zu Relmifjer Zeitung...
m Eee (DA CALAMENE) ve
Zum Ze OA Do de Mer Gase mn ee] SE
Kelmiser Zeitung, letzte Nummer
Die "Fliegende Taube" ging 1920 in die Hände von Jos.
Willems jun. über, Sohn von Joseph Willems und Enkel des
Gründers. Drei Geschwister von Jos. Willems jun. wählten das
Ordensleben.
C fi Ss es AS
uf Aris 1
2 +
Neue reichikuftrierte Jugendzeilfchrift für den deut:
redenden Teil der Jugend Alt: und Neu-Belgiens.
Sr{dheint ale Monate. Beginn des neues Jahrganges.
mit der nächften.. Juli-Rummer. — Übonnementspreis
pro Jahr nur 5 Frs. bei gemeinfamen Yezug
durch den Ort3- oder Anfialtsgeijtlidhen ; hingegen 6
Zr8. bei CSinzelbezug unter Kreuzband durch die
oft. Ubonnementsbeftelungen entweder direkt bei der
Schriftleitung : Kapları Lejoly, Weismes bei Malmedy
(unter Einzahlung der Bezugsgelder auf Boftichef Nr.
1748.32, Brüfjel), oder am beiten bei den Orts: oder
Anftaltögeiftlihen. Auf Wunfch verjendet die Schrift:
Jeituug Brobenummern.
Mein lieber Junge! 5 Fr8. wirft dur doch
wohl noch übrig haben, „Aufwärts“ umuß dein
Leibblatt werden. IDod) Heute beftellft du eS!
(Die Freie Presse, 25.6.1927)
28
Sozialen Inhalten verpflichtet war "Das neue Leben", die
Monatsschrift der christlichen Gewerkschaften. Daneben fand
man noch zwei Zeitschriften religiösen Charakters, nämlich den
" Sonntag" aus Aachen sowie das "Liboriusblatt" aus Hamm.
Natürlich wurden auch Aachener und französischsprachige
Zeitungen gelesen.
"Die Arbeiterjugend", das Vereinsblatt der "Christlichen
\ Arbeiterjugend" (J.O.C.), wandte sich speziell an die Jugendlichen;
eine andere Jugendzeitschrift, der "Aufwärts", hat nur eine kurze
Lebensdauer gehabt.
Kirche, Kult und Brauchtum
Es wird wohl manchen Leser interessieren, etwas über das ’
frühere kirchliche Leben zu erfahren. Ich war Ministrant und ich
erinnere mich noch gut an die Herren Pfarrer Kept und Scherrer
sowie die Kapläne Fis, Simons, Wenders, Boutsen, Pennings und
Darcis. (Letzterer war Mitbegründer der Göhltalvereinigung).
Kaplan Balthazar Fis war von Ende 1910 bis 1919 Kaplan in
Kelmis, danach (kurzzeitig?) Gefängnispfarrer in Verviers und
hernach Leiter der "Sozialen Werke" des Vervierser Arrondisse-
ments (Kreis).
Das religiöse Leben war in der Zwischenkriegszeit viel reger
als heute. Besonders der Sonntag war noch ein Tag der Feier, der
Festlichkeit, der Liturgie. Diese diente dem Körper zur Erholung,
dem Geiste zur Sammlung und Besinnung, der Familie zur
Eintracht.
Die katholische Pfarre verfügte damals über drei Geistliche,
einen Pfarrer und zwei Kapläne. An der Lütticher Straße, fast
neben dem Friedhof, befand sich ein kleines Kloster, in dem
einige Minoritenpatres lebten. Besonderen Zulauf hatten diese
Patres zur Weihnachtszeit, wenn sie in ihrem "Antoniushaus"
eine besonders schöne Krippe aufgebaut hatten. 1919 hat diese
Klostergemeinschaft Kelmis verlassen.
Was den Friedhof betrifft, so ist zu erwähnen, daß die erste
Begräbnisstätte unweit der Pfarrkirche angelegt worden war,
etwa an der Stelle, wo heute die Poststraße in den Marktplatz
einmündet. Damals stand kein einziges Haus zwischen der Kirche
und diesem Gottesacker, alles war Weideland.
Auch Tod und Beerdigung waren seinerzeit etwas verschie-
den von heute. Beim Trauergottesdienst trugen die zelebrierenden
29
Priester schwarze Gewänder; auch die trauernden Hinterbliebe-
nen waren schwarz gekleidet und mußten, je nach Verwandtschafts-
grad, bis zu einem Jahr und sechs Wochen auf diese Weise ihre
Trauer bekunden. Hierfür gab es bestimmte Regeln.
Beim Ableben des Gatten mußte die hinterbliebene Ehefrau
sechs Wochen lang ihr Gesicht mit einem Schleier aus schwarzem
Tüll verhüllen. Danach wurde der Schleier hinten an der
Kopfbedeckung befestigt und fiel in den Rücken.
Alle Familienangehörigen trugen ein Jahr lang schwarze
Kleidung, doch war es gestattet, nach der Halbzeit, d. h. nach
sechs Monaten, sich violett oder grau zu kleiden. Beim Tod eines
Kindes war die Trauerzeit auf ein halbes Jahr beschränkt.
Eine weitere Konvention galt es zu beachten: während der
Trauerzeit durften die Trauernden an keinen öffentlichen Feiern
(Kirmes oder anderen Belustigungen) teilnehmen. Zog ein Festzug
an einem Haus vorbei, in welchem ein Leiche lag, so mußte die
Musik verstummen.
Auch war es Sitte, daß vier Nachbarn des/der Toten bei der
Leichenfeier den Sarg trugen. Besonders schmerzlich war die
eigentliche Beerdigung, das Herablassen des Sarges in das offene
Grab vor den Augen der anwesenden Trauergemeinde. Hier kam
es manchmal zu ergreifenden Szenen des Schmerzes und der
Trauer...
Die Krankenbetreuung wurde sozusagen öffentlich
vollzogen. Ein Priester mit weißem Rochett, begleitet von einem
rot-weiß gekleideten Chorknaben mit Leuchter und Glöckchen,
brachte den Sterbenden die Kommunion. Der begleitende
Ministrant mußte den ganzen Weg mit dem Glöckchen klingeln
und so auf den Versehgang aufmerksam machen. Beim
Vorbeigehen knieten Passanten nieder.
Werktags wurden täglich drei Messen gefeiert, und zwar um
6,15 Uhr für die Arbeiter, die in einem Kelmiser Betrieb beschäftigt
waren, sowie um 7 und um 8 Uhr. Die letzte Messe wurde u. a. von
den Schulkindern besucht, die dann nach dem Gottesdienst unter
Aufsicht der Lehrpersonen zu den Schulen marschierten.
Sonntags galt folgender "Zeitplan": 5,30 Uhr, 7 Uhr, 9,15
Uhr und 10 Uhr. Die letzte Messe nannte man Hochamt, da sie
besonders feierlich gestaltet und vom Kirchenchor durch Gesänge
verschönt wurde. Alle Gottesdienste wurden in Latein zelebriert.
Gepredigt wurde natürlich in deutscher Sprache und auch gewisse
30
Gesänge und Gebete in der Sprache des Volkes luden dieses zur
aktiven Mitfeier ein.
Der gregorianische Gesang war sehr melodisch und versetzte
die Gläubigen in eine weihevolle Stimmung. Schade, daß man
dieserjahrhundertealten Musik fast vollständig den Rücken gekehrt
hat.
Hohe Festtage wurden am Vorabend durch ein besonders
feierliches "Geläut", das man "Trippe träne" (7) nannte,
angekündigt. Weihnachten begann die Christmette um 5 Uhr; ihr
folgten im Laufe des Vormittags noch acht andere Meßfeiern. An
diesem Festtag, wie auch am Allerseelentag, durften die Priester
ausnahmsweise drei hl. Messen lesen.
Ereignisreicher war das Osterfest. Es wurde durch die '
Fastenzeit vorbereitet. Diese Bußzeit, "Quadragesima" genannt,
begann nach dem Karneval. Sechs Wochen lang durften nun keine
öffentlichen Vergnügen, weder Tanz noch Theater, stattfinden.
Auch Trauungen wurden auf die Nachfastenzeit verschoben. Die
Erwachsenen, die ihre Christenpflicht ernst nahmen, hatten gewisse
Fastengebote zu halten. So heißt es in der Fastenverordnung des
Lütticher Bischofs für die Fastenzeit 1934 u. a.:
"Das Fastengebot verbietet, mehr als eine volle Mahlzeit an
demselben Tage zu halten. Es gestattet jedoch, des Morgens ein
wenig Nahrung zu sich zu nehmen und das Abends eine Stärkung
oder Kollation zu genießen gemäß der bei uns bestehenden
Landessitte. Die Hauptmahlzeit darf bis zum Abend vorgeschoben
werden und die Kollation gegen Mittag stattfinden."
Zudem galt in der vorösterlichen Fastenzeit ein
Abstinenzgebot, das mittwochs und freitags Fleischgenuß
untersagte und alle katholischen Christen vom 7. Lebensjahr an
betraf. Zum Fasten waren nur die Christen vom 21. bis zum 60.
Lebensjahr verpflichtet, doch gab es eine große Anzahl von
Dispensen: aktives Militär, im Dienst befindliche Polizei- und
Zollbeamte, Förster, Telefon- und Telegrafenbedienstete,
Postbriefträger, die "fahrenden Beamten" der Eisenbahn,
Straßenbahnen und Autobusse, die Seeleute, Schiffer und
Hafenarbeiter, Hochofen- und Glasschmelzarbeiter, Arbeiter in
Walz- und Bergwerken, in chemischen Betrieben und Steinbrüchen
etc. Wer eine solche Dispens vom Fast- und Abstinenzgebot in
Anspruch nahm, wurde ersucht, jeden Tag gewisse Gebete zu
verrichten oder aber statt dessen ein Almosen zu spenden.
31
Das ganze Jahr über herrschte übrigens freitags das
Abstinenzgebot, d. h., es durfte kein Fleisch verzehrt werden. Als
Ersatz aß man Fisch.
An den Fastensonntagen kam immer ein fremder Priester,
um zur Vesper zu predigen. Die Kirche war dann regelmäßig zu
klein, sämtliche Stühle und Bänke waren besetzt, so daß viele
Gläubigen sich mit einem Stehplatz begnügen mußten. Einmal
predigte ein Salesianer aus Verviers; er sprach aber so schlecht
Deutsch, daß er an den nächsten Sonntagen durch seinen Obern,
einen gebürtigen Walhorner, ersetzt wurde.
Von Gründonnerstag bis Karsamstag verstummten die
Glocken. An ihre Stelle traten die Rasseln oder Klappern, mit
denen die Chorknaben zum Gottesdienst riefen. In meiner Kindheit
war es noch Brauch, daß man am Gründonnerstag eine
Gemüsesuppe kochte, die aus sieben Kräutern bestand, u. a.
Brennesseln, Löwenzahn und Sauerampfer. Aufgabe der Kinder
war es, die benötigten Kräuter im Garten, auf der Weide oder im
Wald zu sammeln.
Höchstes kirchliches Fest war der Ostersonntag. Die Sitte
wollte, daß man neue Kleidung vorzugsweise an diesem Tag zum
ersten Male trug ("het poschbetste Kleed").
Pfingsten zeichnete sich durch drei verschiedene
Gottesdienste aus: dem Meßopfer morgens folgten um 15 Uhr die
Vesper und um 18 Uhr die Komplet; in letzterer wurden Psalmen
gesungen, natürlich auf Latein.
Alle drei oder sechs Jahre fand eine sog. Mission statt. Zwei
Wochen lang predigten abends drei gewandte Ordensleute, um
die Christen aufzurütteln und zu einem besseren Lebenswandel
anzuspornen. Diese Predigtabende erfreuten sich immer eines
außergewöhnlichen Andrangs.
Zweimal im Jahr ging die Prozession aus, und zwar am
Sonntag nach dem Fronleichnamsfest (zweiter Donnerstag nach
Pfingsten) und am 15. August, dem Fest Mariä Himmelfahrt. Das
hl. Sakrament, eine geweihte Hostie in einer Monstranz, wurde
von einem Priester, der unter einem Baldachin, einem tragbaren
"Himmel", einherschritt, durch die Ortschaft getragen. Die
Schulkinder und fast alle Vereine nahmen an den Prozessionen
teil. Eine Musikkapelle sowie der Kirchenchor begleiteten den
Zug der Gläubigen. Unterwegs wurde gesungen und man betete
den Rosenkranz. Viermal hielt die Prozession an einem Altar, der
32 8 5 u
Andenken an die hl. Mission
in der Pfarrkirche vas La Calamine
unter Pfarrer Franz Scherrer.
Abgehalten vom 22, Mai bis 5. Juni 1932
von den Franziskanerpatres
Heribert, Adrian und Paulinus.
®
Meine Vorsätze:
Keinen Morgen ohne Gebet!
„Ohne Gebet den Tag beginnen,
Hilft dem Teufel den Sieg gewinnen.“
„Das Gebet soll die tägliche Nahrung meiner
Seele sein.” (Hl. Leonardus 1676—1751.)
Keinen Tag olıne ein Werk der Liebe!
An der Liebe will der Heiland seine Jünger
erkennen. .
Nur beglückend kann ich glücklich sein.
Keinen Abend ohne Liebesreue!
„Dich liebt, o Gott, mein ganzes Herz,
Und dies ist mir der größte Schmerz,
Daß ich betrübt Dich, höchstes Gut,
O, wasch mich rein in Deinem Blut !
„MeinJesus, Barmherzigkeit!” (Reuegebet des
hl. Leonardus, des Patrons der Missionen.)
Keinen Sonntag ohne heilige Messe!
„Eine einzige heilige Messe ist mehr wert
als die ganze Welt.“ (HI. Leonardus.)
„Wer aus Gott ist, der höret Gottes Wort.“
Keinen Monat ohne hl. Kommunion!
„Ich vermag alles in dem, der mich stärkt.
Verlag Butzon & Bercker, Kevelaer (Rhld.)
Missionsandenken
von den Nachbarn errichtet und geschmückt wurde. An jedem
dieser vier Altäre fand eine Zeremonie statt, die mit dem Segen
endete. Die Fronleichnamsprozession führte über den Krickelstein,
die Augustprozession nahm ihren Weg über die Steinkaulstraße.
Nach der Rückkehr wurde in der Kirche das "Te Deum laudamus"
gesungen.
Zu bemerken ist noch, daß die Pfarre Kelmis während der
neutralen Zeit ein spezielles Gebetbuch gebrauchte, das für das
neutrale Gebiet bestimmt war. Es hieß "Das fromme Pfarrkind".
Abendmessen kannte man zu der Zeit noch nicht.
Die Patronage
Der Name ist doppelsinnig. Zum einen bezeichnet er das
Gebäude, zum anderen aber auch die Jugendbetreuung. Das
Jugendproblem in Neutral-Moresnet lag Kaplan Bosch besonders
33
am Herzen. Er scharte daher die männliche Jugend um sich, um sie
zu unterhalten und zu belehren. Seine Initiative hatte einen
derartigen Erfolg, daß er schon bald im ganzen Ort keinen Saal
mehr finden konnte, der groß genug gewesen wäre, all die Jungen,
die er sonntags einlud, aufzunehmen. Daraufhin faßte er den
mutigen Entschluß, selbst eine Unterkunft für seine Schützlinge
zu bauen, und es gelang ihm, das heute noch stehende große
Gebäude zu errichten, dem er den Namen "Patronage St Louis"
gab. Das Ziel von Kaplan Bosch war es, der männlichen Jugend
ein "zu Hause" zu bieten, das sie vor den Gefahren des Alkohols
schützen sollte. Man muß nämlich wissen, daß es in Neutral-
Moresnet an die vierzig Gaststätten gab. Die "Patronage" war
1911 im Bau vollendet, der Gründer hat die Verwirklichung
seines Traumes allerdings nicht mehr erlebt; erstarbam 16.11.1910.
Sogleich nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im
August 1914 wurde die "Patronage" in ein Lazarett und später in
eine Kaserne umfunktioniert.
Nach dem Waffenstillstand haben die damaligen Kapläne
Fis und Wenders die Jugendarbeit unverzüglich wieder
aufgenommen und zu neuer Blüte geführt. Jeden Sonntag bot das
Jugendheim den Jugendlichen Spiel, Sport und Unterhaltung. Der
"Aloysius Jünglingsverein" unterhielt eine Theatergruppe und
einen Turnverein und besaß sogar eine ausschließlich ihm dienende
Kegelbahn (8).
Dem Aufruf von Kanonikus Cardijn, dem späteren Kardinal,
folgend, gründete Kaplan Wenders in Kelmis eine Abteilung der
Christlichen Arbeiterjugend (J.O.C./C.A.J.), wodurch ein neuer
Geist in die Patronage gebracht wurde. War es ursprünglich das
Ziel dieser Einrichtung gewesen, die Jugend zu beschützen, zu
unterhalten und gesundheitlich zu stärken, so ging Cardijn andere
Wege. Der bis dahin herrschenden paternalistischen Einstellung
stellte er seine Methode entgegen, die er in dem prägnanten
Wahlspruch "voir, juger, agir", d.h. beobachten, urteilen, handeln,
zusammenfaßte. Jetzt legte man in der Patronage weniger den
Schwerpunkt auf Aufsicht und Führung als auf die Erziehung zu
Selbstvertrauen und Selbstverantwortung. Wen wundert es, wenn
ich sage, daß es bei diesem Umschwung auch Unmut und
Reibereien gegeben hat? Doch nach und nach glätteten sich die
Wogen, so daß dann Hand in Hand gearbeitet wurde.
Oberster Grundsatz der C. A. J. war es, die Selbständigkeit
34
der Jungarbeiter zu fördern. Nur ein Erwachsener, und zwar ein
Priester, war als geistlicher Ratgeber zugelassen. Dieses Amt
übernahm mit viel Mut und Gottvertrauen Kaplan Wenders, der
sich an einige beherzte Jungarbeiter wandte, die sich dann mit
großer Begeisterung an die Arbeit machten. Diese Gründer (Laurent
Fryns, Peter Kofferschläger, Peter Zimmer, Hubert Hackens...)
haben alle später eine wichtige Rolle im öffentlichen Leben ihrer
Gemeinde gespielt.
Eines der größten Hindernisse, die am Anfang zu überwinden
waren, lag im damaligen Minderwertigkeitsgefühl, das sich in
dem gängigen Ausspruch "Wir sind doch nur Arbeiter" äußerte.
Wollte man das neue Ideal an den Arbeitsstätten verbreiten und
die Interessen der Jungarbeiter verteidigen, so mußte dieses
Gefühl erst abgebaut werden. Peter Zimmer hat auf diesem Gebiet
vortreffliche Arbeit geleistet. Nach der Stillegung der Zinkgruben
hat er im Herver Kohlerevier gearbeitet und dort die christliche
Gewerkschaft eingeführt und gefördert. Bis zu seinem Tode
haben ihm die Interessen seiner Kumpels sehr am Herzen gelegen.
Gewiß war für solch eine Arbeit eine entsprechende
Ausbildung erforderlich. Diese erwarben die "Militanten", indem
sie sich jede Woche versammelten und lernten, wie die Regel
Cardijns in die Tat umzusetzen war. Diese Zusammenkünfte
nannten sich Studienzirkel. Bei den monatlichen
Generalversammlungen wurde dann dieses Wissen mit den
Alltagsproblemen im Arbeitsmilieu konfrontiert und nach
Lösungen gesucht. Oder es wurden Verbesserungen angeregt, um
Schwierigkeiten zu beseitigen. Viermal jährlich begaben sich die
Militanten ins Kloster Josephstal (Schloß Ruyff) in Henri-Cha-
pelle, um während eines Wochenendes ihre christliche
Weltanschauung zu vertiefen.
Mittlerweile wuchs die Kelmiser Sektion der J.0.C./C.A.J.
mit 175 Mitgliedern zu einer der stärksten des Landes heran.
Zweimal besuchte uns der Gründer, Cardijn.
1934, nach dem Militärdienst, wurde Peter Kofferschläger
"Propagandist" (heute würde man sagen " Animator”) der "Jocisten"
im Bezirk Verviers mit der besonderen Aufgabe, die Bewegung
im deutschsprachigen Gebiet zu betreuen. Es bildeten sich dann
Abteilungen in Bleyberg, Gemmenich und Membach. Später
übernahm Joseph Jongen dieses Amt; er betreute jedoch
ausschließlich die deutschsprachigen Abteilungen der J.O0.C.
35
Ganz in der Linie der Kelmiser Aufgeschlossenheit lag die
Kontaktaufnahme zu den Sinnesgenossen in den Nachbarländern,
der "Werkjugend" in Deutschland und den "Kajotters" in Vaals.
Um möglichst viele Jugendliche anzusprechen und den
Problemen der Zeit gerecht zu werden, bildeten sich innerhalb der
Kelmiser Sektion mehrere Unterabteilungen. So entstanden ein
Mandolinenclub, eine Wandergruppe, eine Sportabteilung sowie
| ASS
5 =] |
] Can A H
DE DS {4 ME
5 5 Fe ac
FA € . aa fl
BE 4x 39:6
f BE N En
San EOS NE
| | BETA BARE S——— =) Br AM
GE ARE INES MET
(Gruben | Arbeiter SA Fa li
EOS (ernten | (EE
RE | | Eöcherrer | 1
De [Zi |_Hamenstag 1935 | 70 | Sn
DE LE | bi
A. (Berfiads Fafrenage | 27: [am
| (OS (mr | wm Sn om | nam ] SD |
| SE Ka |
Pa ae ME |
HE 5 a HS
a 8 Am 3] mn |
| | 7 a
SEE | 91 SE 5 | |
| a E e .
Die Patronage war Heimstatt vieler christlichen Organisationen.
ein Sparkassendient. Sogar eine eigene Zeitschrift wurde verlegt.
Sie hieß "Die christliche Arbeiterjugend". Dieses Blatt, das später
den Titel "Werkvolk" trug, ist sozusagen der Urahn des heutigen
Organs der Christlichen Gewerkschaft, des "CSC Werkvolk". Die
Schriftleitung lag in den Händen von Jos. Dahlen, dem verstorbenen
Gemeindesekretär von Kelmis. Kurz vor Kriegsausbruch gesellte
36
sich ein Fachmann zum jungen Redaktionsstab, nämlich der aus
Deutschland geflohene Pater Duschak, der in Gemmenich eine
Kaplanstelle erhalten hatte. Er war Schriftleiter der Steyler
Missionszeitschrift gewesen. Pater Duschak starb 1954 als Pfarrer
von Hauset.
Inzwischen hatte sich auch eine weibliche Abteilung der
Christlichen Arbeiterjugend gebildet, deren Leitung Pastor
Scherrer übernommen hatte. Die beiden Abteilungen arbeiteten
harmonisch zusammen.
Für die Arbeiterjugend muß die J.0.C./C.A.J. als ein Segen
betrachtet werden. Doch auch für den Ort Kelmis war sie eine
Wohltat, sind doch aus ihren Reihen, wie schon angedeutet,
Verantwortungsträger in der Gemeinde hervorgegangen: Peter ’
Kofferschläger, Peter Zimmer und Willy Schyns waren
Bürgermeister von Kelmis, Hubert Hackens Bürgermeister in
Hergenrath. Ehemalige "Jocisten" bekleideten verant-
wortungsvolle Posten im Sozialbereich: Laurent Fryns im
Gewerkschafts- und Wohnungssektor, Joseph Jongen und Louis
Schöffers im Sozial- und Krankenwesen, Tinchen Schillings und
Hubert Hilligsmann in der Gemeindepolitik. Peter Kofferschläger
hat nach dem Kriege sogar das deutschsprachige Gebiet in der
Kammer vertreten und 1955 im sog. Harmel-Ausschuß den ersten
politischen Schritt zur Errichtung einer "Deutschsprachigen
Gemeinschaft" getan.
Als geistliche Ratgeber (Präses) haben folgende Priester
fungiert: Pfarrer Scherrer, Kaplan Wenders (der dynamischste
und eifrigste von allen), Kaplan Penning und Kaplan Xhonneux.
Die Abteilung haben als Präsident geleitet: Laurent Fryns,
Peter Kofferschläger, Peter Claes und Joseph Dahlen.
Meine Gattin (Therese Fryns) und ich sind stolz, mit an der
Spitze der Jungarbeiterbewegung gestanden zu haben und widmen
diese Zeilen als Anerkennung allen lebenden und verstorbenen
Leitern, Militanten, Mitarbeitern und Gönnern.
Eine andere wichtige Organisation im Sozialbereich war der
Katholische Arbeiterverein St. Joseph. Er wurde im Februar 1914
von Kaplan Fis, einem eifrigen Verteidiger der Arbeiterschaft,
gegründet. Drei Monate später zählte er bereits 150 Mitglieder.
Man kann sagen, daß dieser Verein ein Ersatz für die im neutralen
Gebiet nicht bestehende Gewerkschaft war. Zwar hatte es mehrere
Versuche gegeben, auch in Neutral-Moresnet gewerkschaftliche
37
Tätigkeiten zu entfalten, doch sind dieselben am Widerstand der
beiden Kommissare (des deutschen und des belgischen) gescheitert.
Oder war es der Widerstand der Gesellschaft des Altenberges, der
"Vieille Montagne"?
Wie die anderen Vereine und Vereinigungen, so stellte auch
der Arbeiterverein seine Tätigkeit während der Kriegsjahre 1914-
18 ein. Doch sofort nach Kriegsende wurde die Arbeit wieder
aufgenommen. Im Jahre 1920 wurde eine Genossenschaft
gegründet, deren Hauptziel der "An- und Verkauf von
Lebensmitteln und allen anderen Waren" war. Zu dem Zwecke
richtete die Genossenschaft in der Kapellstraße, im heutigen
Musikgeschäft, ein Geschäft ein, das man "Konsum" nannte.
Geschäftsführer war Jean Reul, der auch später eine Rolle in der
Gemeindepolitik gespielt hat. Wie aus einer Anzeige in der
"Fliegenden Taube" vom 12.4.1930 ersichtlich, hatte der
"Konsumyverein St. Joseph" auch eine Geschäftsniederlassung in
der Kirchstraße in Hauset und verkaufte dort nicht nur
Lebensmittel, sondern auch Leibwäsche, Mützen, Kravatten,
Taschentücher, Schuhe etc. Im Jahre 1937 beschäftigte der
"Konsum" 22 Personen. Ende des Jahres 1937 mußte er Konkurs
anmelden.
Herausragende Persönlichkeiten
Universitätsprofessor Emil Dovifat
In der Kirchstraße 44, der früheren Apotheke Cornely,
wurde am 27. Dezember 1890 Emil Dovifat geboren. Der Vater,
Apotheker, verließ Neutral-Moresnet allerdings schon, als der
Sohn erst 5 Jahre alt war, um sich in Köln niederzulassen. Emil
Dovifat wurde Professor für Publizistik an der FU Berlin. An
seinem ehemaligen Wohnhaus in Berlin-Zehlendorf, wo er von
1929 bis 1969 lebte, wurde aus Anlaß des 100. Geburtstages 1990
eine Gedenktafel angebracht (10).
Der Geheime Sanitätsrat Dr. Wilhelm Molly
Dieser sehr geschätzte Arzt war kein geborener Kelmiser; er
hat auch nicht dort gewohnt, muß aber dennoch als der
vortrefflichste Gönner des Ortes betrachtet werden. Dr. Molly
war ein tüchtiger Arzt und eine edelmütige Person. So nahm er
beim Besuch von bedürftigen Kranken das Honorar zwar an, legte
38
das Geld dann aber meistens unauffällig unter das Kopfkissen des
Patienten.
Wilhelm Molly stammte aus Blasbach bei Wetzlar, wo er am
25.10.1838 geboren wurde. Sein Medizinstudium absolvierte er
in Marburg und Berlin. 1863 wurde er Knappschaftsarzt bei der
Vieille-Montagne in Kelmis und bezog ein Haus an der Jansmühle
in Preußisch-Moresnet. 1881 wurde Dr. Molly beigeordneter
Bürgermeister dieser Gemeinde, doch das "neutrale" Moresnet
interessierte ihn ebenso viel, wenn nicht noch mehr...
1886 gründete Dr. Molly im Verein mit einigen anderen
Notabelndes Ortes eine Privatpost, deren Freimarken den Aufdruck
trugen "Kelmiser Verkehrs Anstalt / Neutrales Gebiet von
Moresnet" sowie in französischer Sprache "Poste Interieure / '
Territoire Neutre de Moresnet". Diese "Verkehrsanstalt"
funktionierte aber nur vom 17. bis 28. Oktober 1886, da Belgien
und Preußen durch die sie vertretenden Kommissare sie mit der
Begründung verboten, die Post sei nach dem Code Napol&on ein
staatliches Monopol. Die in der kurzen Zeit herausgegebenen
Freimarken haben inzwischen Seltenheitswert.
Wer kannte die soziale Lage in dem Arbeiterdorf Kelmis
besser als Dr. Molly, der fast alle Familien besuchte? So verbrachte
die im nahen Haaren wohnende Schriftstellerin Nanny Lambrecht
mehrmals ihre Ferien auf Jansmühle, um Land und Leute
kennenzulernen. Ein Enkel des Dr. Molly, Wilhelm Dithmar,
wußte zu berichten, daß die Schriftstellerin dann mit dem Großvater
auf dem Kutschbock durch die Gegend fuhr. In dem Roman "Die
Suchenden" hat Nanny Lambrecht 1912 die Verhältnisse in
Neutral-Moresnet und das Leben der Einwohner geschildert.
Gleichzeitig hat sie, dem Doktor zu Ehren, ein Theaterstück
geschrieben mit dem Titel "Der König". Dr. Molly wurde nämlich
der ungekrönte König des neutralen Gebiets genannt (11).
"Sanitätsrat" und "Geheimrat" waren zwei der Titel, die Dr.
Molly, der der Freimaurerloge angehörte, verliehen wurden. Sein
medizinisches Können hat er vor allem bei Gelegenheit einer
verheerenden Seuche, die im Göhltal herrschte und die er
erfolgreich bekämpfte, unter Beweis gestellt. Sowohl vom
belgischen wie vom deutschen Staat wurde er dafür ausgezeichnet,
was sein Ansehen natürlich noch erhöhte.
Als 1908 eine Esperantogruppe in Kelmis entstand, trat der
tatendurstige Dr. Molly wieder auf den Plan. Mit einem Freund,
39
dem französischen Professor Gustave Roy, klügelte er abermals
ein kühnes Projekt aus: Neutral-Moresnet sollte zum Weltzentrum
des Esperantismus mit dem Namen "Amikejo" (=Ort, wo die
Freunde sich versammeln = Stadt der Freunde) werden. Das
höchste Gremium der Esperantobewegung billigte diese Idee und
die europäische Presse sprach mit Begeisterung darüber, sah man
doch darin eine bemerkenswerte Förderung des Weltfriedens.
Leider hat sich dieses Vorhaben nicht verwirklichen lassen; der
Erste Weltkrieg hat erbarmungslos einen Schlußstrich darunter
gezogen.
Der "ungekrönte König von Neutral-Moresnet" starb im
Jahre 1919. Mit Recht steht auf seinem Grabstein in Neu-Moresnet
"58 Jahre im Dienste der Menschheit".
Bischof Jean Fryns
Als letzte Person, auf die die Kelmiser stolz sein können,
erwähne ich Bischof Jean Fryns, der am 5. Juli 1910 in Kelmis/
Heide (heute Hagenfeuer) als Sohn einer frommen Arbeiterfamilie
das Licht der Welt erblickte. Sein Vater war bei der Vieille-
Montagne beschäftigt. Schon im frühen Jugendalter fühlte sich
"Schäng" zum Missionar berufen.
Nach Beendigung der Grundschule besuchte Jean Fryns das
Missionskolleg der Väter vom Heiligen Geist in Gentinnes, wo er
das Abitur machte. Es folgte das Noviziat im Kloster von Orly
(Paris), wo der Novize am 8. September 1930 die Ordensgelübde
ablegte. Zwei Jahre Philosophiestudien in Bonsecours schlossen
sich an.
Ehe Jean Frynsdaseigentliche Theologiestudium aufnehmen
konnte, kam er für ein Jahr als Lehrer an die Klosterschule in
Gentinnes. Alsdann schickten seine Oberen ihn nach Rom, um an
der gregorianischen Universität Theologie zu studieren. In der
Ewigen Stadt empfing er am 8. Juli 1936 die Priesterweihe.
Bereits am darauffolgenden Sonntag feierte der Jungpriester
seine Primiz in Kelmis.
Fortan fungierte unser Pater als Professor der Theologie an
der Ordensschule zu Löwen. 1946 wurde er zum Generalprovinzial
der belgischen Provinz seines Ordens gewählt. Acht Jahre später
beriefen ihn seine Oberen zum Direktor der Ordenshochschule in
Freiburg (Schweiz).
Im November 1956 ging endlich sein Wunsch, die
41
Missionsarbeit in Afrika aufzunehmen, in Erfüllung. Im folgenden
Jahre entstand durch die Teilung des Bistums Kongolo ein neues
Vikariat, nämlich Kindu, und Papst Pius XII. ernannte Pater Fryns
zum Apostolischen Präfekten dieser neuen Diözese. Am 7. Juli
1957 wurde Jean Fryns zum Bischof geweiht.
= u
ES 2
NA EP
7
| Al}
x OL EV
Papst Pius XII. betraute Bischof J. Fryns mit der Leitung des neuen
Bistums Kindu.
Anläßlich ihres hundertjährigen Bestehens i. J. 1958 lud die
Heimatgemeinde Kelmis Bischof Fryns zu den Feierlichkeiten
ein. Danach hat er seine Heimat und die umliegenden Länder noch
öfters besucht. Bei diesen Gelegenheiten hat "Schäng" sogar
manchmal auf Plattdeutsch gepredigt.
Die ersten Wirren in Zaire 1961/62 richteten großen Schaden
in der Diözese Kindu an. Doch mit Mut und Gottvertrauen brachte
Bischof Fryns seinen Sprengel wieder zur Blüte, obschon 20
seiner Ordensbrüder damals ihr Leben lassen mußten.
Der erste Bischof von Kindu hat sich als wahrer Seelenhirte
erwiesen und die Herzen der Schwarzen gewonnen. Nichtumsonst
nannten sie ihn "Baba mwema", Großpapa. Diese enge
42
Verbundenheit mit den Einheimischen begünstigte erheblich die
Verkündigung der Frohbotschaft in seinem Missionsfeld.
HR
CE € BL 2 „4 A . .
) 2a Aa
7 . A
a
Grabstein von Bischof Fryns in Kindu
Erneute Aufstände in Maniema setzten der Gesundheit des
Bischofs hart zu, so daß seine Arzte ihn zur Erholung nach Europa
schickten. Doch nach einigen Monaten des Aufenthaltes in Belgien
wollte der Bischof unbedingt in seine Wahlheimat zurück. Nur
wenige Wochen später, am 2.7.1965, starb er unerwartet in
seinem geliebten Kindu, wo er noch am Abend des gleichen
Tages, afrikanischem Brauch gemäß, beigesetzt wurde.
Die Pfarre Kelmis hat ihrem erlauchten Sohn ein Ehrenmal
neben der Kirche errichtet.
43
Anmerkungen
6) Horgnies, E., "Der 13. August 1908" in "Im Göhltal", Nr. 43, S. 70 ff.
7) Jansen, Alfred, "Trippe träne" in "Im Göhltal", Nr. 48, S. 85
8) Claes, Peter, "Die Patronage, eine Kelmiser Institution" in "Im Göhltal", Nr.
41,5. 75 ££.
9) Ausführlicheres über den Werdegang der christlichen Arbeiterbewegung
ist dem Buch "Arbeit, Kampf und Glaube" von P. Zimmer, P. Claes, E.
Klöcker und H. Ruland (Kelmis, 1986) zu entnehmen.
10) S. die Würdigung von Katharina Comoth in "Im Göhltal", Nr. 47, S. 68 ff.
11) Gerd Pasch, "Nanny Lambrecht, eine 'wallonische' Schriftstellerin" in "Im
Göhltal", Nr. 26, S. 103 ff.
P.S.: Mit diesen Erinnerungen möchte ich einen bescheidenen
Beitrag zur Geschichte von Kelmis liefern. Ich habe hauptsächlich
das erzählt, was ich erlebt, gesehen und gehört habe; ich habe es
niedergeschrieben, um der Wahrheit zu dienen und in der Hoffnung,
Anstöße auszulösen, die vielleicht Jüngere veranlassen könnten,
die eine oder andere Begebenheit zu vertiefen.
Der Leser möge eventuelle Irrtümer und Ungenauigkeiten
verzeihen: Es handelt sich bei meinen Aufzeichnungen nicht um
heimatkundliche Forschung, sondern um einen sehr subjektiven
Rückblick auf meine Kindheit und Jugendzeit, die vor mehr als 80
Jahren begann und kurz vor dem Zweiten Weltkrieg endete.
(Brüssel, 9. 8. 1994. P. Claes)
44
Im Wald
Anfang November
von M. Th. Weinert
Herb duftet welkes Laub,
raschelt unter den Füßen,
goldfarben rieseln Blätter
lautlos wie Schneefall.
Kein Wind, kein Vogellaut. ;
Stilles Tal, tiefes Tal,
rostrot angefüllt
mit Buchenlaub.
Silberne Stämme oben
vor'm Himmelsblau
spüren noch Sonne.
Schönster Tag,
letzter Tag,-
die Nacht bringt Frost.
45
25 Jahre nach Sedan
von Alfred Bertha
Die französische Bezirkshauptstadt Sedan in den Ardennen,
an der Maas, nur 10 km von der belgischen Grenze entfernt,
gelegen, ist mit ihren etwa 50.000 Einwohnern ein Schwerpunkt
der Metall- und Textilindustrie.
Die Stadt besitzt ein Schloß des 15. - 17. Jh., großartige
Militärmagazine, schöne Plätze und Springbrunnen sowie ein
Denkmal des Marschalls Turenne, der 1611 dortselbst geboren
wurde.
Als Festungsstadt hat Sedan schon im Juni 1815 beim letzten
Aufbäumen Napoleons im "Feldzug der 100 Tage" eine gewisse
Rolle gespielt, da die Zitadelle fast drei Monate lang, bis zum 15.
September 1815, Widerstand leistete.
Militärgeschichtlich verdient diese Episode jedoch allen-
falls eine Fußnote. Wenn Sedan einen herausragenden Platz in
den Geschichtsbüchern einnimmt, dann nur, weil sich dort vor
125 Jahren Ereignisse abgespielt haben, die über die Kriegs-
geschichte hinaus eine europäische und weltgeschichtliche Be-
deutung erlangt haben.
Wie der Streit um die spanische Thronfolge und die damit
verbundene "Emser Depesche" zur französischen Kriegserklä-
rung an Preußen (19. Juli 1870) und einem militärischen Konflikt
großen Ausmaßes führten, ist oft schon behandelt worden, so daß
wir es uns ersparen können, hier auf die Einzelheiten einzugehen.
Dem preußischen Kanzler Otto von Bismark erlaubte dieser
Konflikt, die angestrebte deutsche Einheit zu vollenden; für
Frankreich brachte er das Ende des Kaiserreichs und folgenreiche
innenpolitische Umwälzungen.
Für die schlecht auf einen längeren Feldzug vorbereitete
französische Armee war der Krieg gegen Preußen, dem sich
Bayern und Sachsen angeschlossen hatten, eine einzige Kette von
Niederlagen: Weißenburg / Wissembourg (4. 8.) und Fröschweiler/
Froeschwiller (6. 8.) im Elsaß bildeten den Auftakt; am Ende
standen der Waffenstillstand vom 28. Januar 1871 und der Frank-
furter Friede vom 10. Mai 1871, der den Verlust des Elsaß und
eines Teiles von Lothringen besiegelte und einen vorläufigen
Schlußstrich unter den deutsch-französischen Konflikt setzte.
46
Zehn Tage vor dem Waffenstillstand war König Wilhelm I.
von Preußen im Schloß von Versailles zum deutschen Kaiser
proklamiert worden. Ohne Sedan hätten die Ereignisse einen
anderen Lauf genommen.
Die französische Rheinarmee unter dem Kommando des
Marschalls Bazaine hatte im August 1870 mehrere Niederlagen
hinnehmen müssen und war in die Festung Metz zurückgedrängt
und dort eingeschlossen worden. Mit der sog. Armee von Chälons
(etwa 120.000 Mann) sollte Marschall Mac-Mahon den Einge-
schlossenen zu Hilfe eilen, wurde aber seinerseits von den Preu-
ßen auf Sedan abgedrängt, wo sich am 1. September 1870 eine der
folgenreichsten Schlachten der neueren europäischen Geschichte
entwickelte. Ö
Die Kampfhandlungen begannen schon morgens um 6 Uhr.
Verbissen kämpften Sachsen, Bayern und Preußen auf den
terrassenförmigen, von Laubwald bekränzten Höhenzügen des
Maastales mit seinen vielen Ortschaften, in denen die Franzosen
erbitterten Widerstand boten. Gegen Mittag begannen die franzö-
sischen Einheiten sich fluchtartig in Richtung Sedan abzusetzen.
Im Talkessel der Stadt waren sie dem Feuer von etwa 500
deutschen Geschützen schutzlos ausgesetzt. Und während sich
das geschlagene Heer aufdie Festung zuwälzte, setzte das Artillerie-
feuer auf die Stadt ein, wo die ersten Häuser bald in Flammen
aufgingen.
Zwei Tage nach der Schlacht berichtete König Wilhelm der
Königin Augusta über die Geschehnisse. Der "Preußische Staats-
anzeiger" vom 7. September 1870 veröffentlichte den Bericht, aus
dem wir hier das Wesentliche wiedergeben wollen:
"Vendresse, südl. Sedan
3. Sept. 1870
Du kennst nun durch meine drei Telegramme den ganzen
Umfang des großen geschichtlichen Ereignisses, das sich zuge-
tragen hat! Es ist wie ein Traum, selbst wenn man es Stunde für
Stunde hat abrollen sehen!
Wenn ich mir denke, daß nach einem großen glücklichen
Kriege ich während meiner Regierung nichts Ruhmreicheres
mehr erwarten konnte und ich nun diesen weltgeschichtlichen Akt
erfolgt sehe, so beuge ich mich vor Gott, der allein mich, mein
47
Heer und meine Mitverbündeten ausersehen hat, das Geschehene
zu vollbringen, und uns zu Werkzeugen Seines Willens bestellt
hat. Nur in diesem Sinne vermag ich das Werk aufzufassen, um in
Demut Gottes Führung und Seine Gnade zu preisen.
Nun folge ein Bild der Schlacht und deren Folgen....Da sich
der Rückzug des Feindes auf vielen Stellen in Flucht auflöste und
alles, Infanterie, Kavallerie und Artillerie in die Stadt und nächste
Umgebung sich zusammendrängte, aber noch immer keine An-
deutungen sich zeigten, daß der Feind sich durch Kapitulation aus
dieser verzweifelten Lage zu ziehen beabsichtige, so blieb nichts
übrig, als die Stadt bombardieren zu lassen; da es nach 20 Minuten
ungefähr an mehreren Stellen bereits brannte, was mit den vielen
brennenden Dörfern in dem ganzen Schlachtkreise einen erschüt-
ternden Eindruck machte - so ließ ich das Feuer schweigen und
sendete den Oberst-Leutnant v. Bronsart vom Generalstab als
Parlamentär mit weißer Fahne ab, der Armee und Festung Kapitu-
lation antragend. Ihm begegnete bereits ein bayerischer Offizier,
der mir meldete, daß ein französischer Parlamentär sich mit weißer
Fahne am Tore gemeldet habe. Der Oberstleutnant von Bronsart
wurde eingelassen und auf seine Frage nach dem General en chef
ward er unerwartet vor den Kaiser geführt, der ihm sofort einen
Brief an mich übergeben wollte. Da der Kaiser fragte, was für
Aufträge er habe, und zur Antwort erhielt: "Armee und Festung zur
Übergabe aufzufordern", erwiderte er, daß er sich dieserhalb an
den General von Wimpffen zu wenden habe, der für den blessierten
Mac-Mahon soeben das Kommando übernommen habe und daß er
nunmehr seinen General-Adjutanten Reille mit dem Briefe an
mich absenden werde. Es war 7 Uhr, als Reille und Bronsart zu mir
kamen; letzterer kam etwas voraus, und durch ihn erfuhren wir erst
mit Bestimmtheit, daß der Kaiser anwesend sei. Du kannst Dir den
Eindruck denken, den es auf mich vor allem und auf alle machte!
Reille sprang vom Pferde und übergab mir den Brief seines
Kaisers, hinzufügend, daß er sonst keine Aufträge habe. Noch ehe
ich den Brief öffnete, sagte ich ihm: "Aber ich verlange als erste
Bedingung, daß die Armee die Waffen niederlege."
Der Brief fängt so an: "N'ayant pas pu mourir ä la t&te de mes
troupes, je d£&pose mon Epee a Votre Majest&" (Da es mir nicht
vergönnt war, an der Spitze meiner Truppen zu sterben, übergebe
ich Eurer Majestät meinen Degen), alles Weitere mir anheimstel-
lend.
48
Meine Antwort war, daß ich die Art unserer Begegnung
beklage und um Sendung eines Bevollmächtigten ersuche, mit
dem die Kapitulation abzuschließen sei. Nachdem ich dem Gene-
ral Reille den Brief übergeben hatte, sprach ich einige Worte mit
ihm als altem Bekannten, und so endigte dieser Akt.
Ich bevollmächtigte Moltke zum Unterhändler und gab
Bismark auf, zurückzubleiben, falls politische Fragen zur Spra-
Che kämen, ritt dann zu meinem Wagen und fuhr hierher, auf der
Straße überall von stürmischen Hurras der heranziehenden Trains
begrüßt, die überall die Volkshymne anstimmten....
Da ich am Morgen des 2. noch keine Meldung von Moltke
über die Kapitulationsverhandlungen erhalten hatte, die in
Donchery stattfinden sollten, so fuhr ich verabredetermaßen nach
dem Schlachtfeld um 8 Uhr früh und begegnete Moltke, der mir
entgegenkam, um meine Einwilligung zur vorgeschlagenen Ka-
pitulation zu erhalten, und mir zugleich anzeigte, daß der Kaiser
früh 5 Uhr Sedan verlassen habe und auch nach Donchery gekom-
men sei. Da derselbe mich zu sprechen wünschte und sich in der
Nähe ein Schlößchen befand, so wählte ich dies zur Begegnung.
Um 10 Uhr kam ich auf der Höhe vor Sedan an; um 12 Uhr
erschienen Moltke und Bismark mit der vollzogenen Kapitulations-
urkunde; um 1 Uhr setzte ich mich mit Fritz in Bewegung, von der
Kavallerie-Stabswache begleitet. Ich stieg vor dem Schlößchen
ab, wo der Kaiser mir entgegenkam. Der Besuch währte eine
Viertelstunde; wir waren beide sehr bewegt über dieses Wieder-
sehen...
Was ich alles empfand, nachdem ich noch vor drei Jahren
Napoleon auf dem Gipfel seiner Macht gesehen, kann ich nicht
beschreiben...Nun lebe wohl, mit bewegtem Herzen am Schlusse
eines solchen Briefes.
Wilhelm."
Die Schlacht bei Sedan war für beide Seiten mit hohen
Verlusten verbunden: deutscherseits hatte man 465 Offiziere und
8.459 Mann an Toten und Verwundeten zu beklagen;
französischerseits zählte man 17.000 Tote und Verwundete sowie
21.000 während der Kampfhandlungen Gefangene. Nach der
Kapitulation kamen noch weitere 83.000 Gefangene hinzu.
Frankreich verfügte nun über keine Feldarmee mehr, wäh-
rend für die deutschen Truppen der Weg nach Paris offen stand.
49
Die Festung Sedan wurde noch am Abend des 2. September
1870 durch deutsche Truppen besetzt.
Mit der Schlacht von Sedan und der Gefangennahme
Napoleons, der seinen Aufenthalt in Wilhelmshöhe b. Kassel
zugewiesen erhielt, war der Fall des französischen Kaisertums
vollzogen. Am 4. September 1870 wurde Frankreich zur Republik
erklärt.
In Deutschland wurde seitdem regelmäßig der 2. September,
der "Sedantag", als Nationalfesttag feierlich begangen, da kein
anderes Ereignis des großen Krieges so allgemeinen Jubel hervor-
gerufen hatte, wie die Kunde von der Gefangennahme Napoleons
I.
Im Anschluß an den preußisch-österreichischen Krieg und
die Schlacht bei Königgrätz (1866) hatten sich die heimgekehrten
Krieger mancherorts zu kameradschaftlichen Vereinigungen zu-
sammengeschlossen, deren Ziel es war, die unter den Waffen
begründete Kameradschaft zu pflegen, sich gegenseitig zu unter-
stützen und den verstorbenen Kriegern ein militärisches letztes
Geleit zu geben. Auch eine staatstragende Funktion sollten diese
Vereine ausüben: Immer wieder schürten sie das patriotische
Feuer durch Sieges- und Erinnerungsfeiern, die mit viel militäri-
schem Zeremoniell (Reveille, Parademärschen, Zapfenstreich)
veranstaltet wurden. Aus dem Dorfleben waren die Veteranen
bald nicht mehr wegzudenken; kein Schützenfest, keine Kirmes,
kein Gedenktag, wo nicht die Kriegervereine mit von der Partie
gewesen wären.
In der Kreisstadt Eupen bestand schon 1867 ein "Corps der
Kampfgenossen von 1866"; 1895 zählte man dort vier Krieger-
vereine; in den meisten Landgemeinden nannten sich die
Veteranenverbände schlicht "Kriegerverein", in Kettenis "Wehr-
verein".
1870 bestanden solche Vereine nachweislich in Raeren,
Eynatten und Hergenrath/Preußisch-Moresnet (gegr. Febr. 1870).
Nach dem siegreichen Krieg von 1870-71 folgten Hauset
(gegr. Mai 1872), Altenberg (1872) und Lontzen (gegr. 1872,
Fahnenweihe 6. 7. 1873). In letzterem Ort gestaltete man die
Kirmes 1871 zu einem "Krieger- und Kirmes-Feste".
Ganz besonders festlich wurde der 25. Jahrestag der Schlacht
bei Sedan vor genau 100 Jahren begangen. Die Presse der dama-
ligen Zeit erlaubt uns. die Feierlichkeiten in den einzelnen Orten
Kirmes in Eynatten!
Eynattener Krieger-Verein.
Lokal: Joh. von Agris.
4 as
7
ZNSN
A.
Sonntag den 1. Scptember cr, Mittags
Freies Tanzverguügen.
Abends 7 Uhr
GROSSER FEST-BALL.
Montag den 2. Scptember, nadı dem HodhHamte
au ..
CDU CLHUUNCH
und Versammlung der Mitglieder im ereinsloXale, .
Sleranf
Festzug durch den Ort.
Abends 7 Uhr
Grosser FEST-BALL.
Dienftag den 3. Scptember, von Morgens 10 Uhr ab
>AConcerk.«+
Abends 7 Uhr
SGefchloffener Ball.
Anzug zum Feftzug dunkel mit Cylınder.
ea Ada Den VOormtand
Hauseter Krieger-Verein.
. RM
A
AS ZE
E DS) üd
a
EEE
Dei Gelegenheit der diesjährigen Kirmes finden im VBereinSlokale de8 Kameraden
Hermann Gatz folgende Feftlihreiten fiat; -
Montag den 26, Anguft, Morgens 5 Uhr FLoVEe1110. Um k Uhr
Antreten der Kameraden mit Waijen, Orben, Ehren: und Abzeichen zur Beiwohnnng des
Hodhamtes für die Icbenden und verftorbenen Stameraden des Vereins,
Nach dem Hohante Parole, Frühschoppen uw
—e% Freics Tanzucrgitügen, *3-
Nachmittags 4 Uhr Antıeten der Kameraden zur Abholung des GHrenvorfigenden
Deren Bürgermeister Kittol, fodanı Feftzug durd) den Ort bis ur
Leltwiele, wofjelbit
Parade, Preisvogeljehufz für werthvolle Gegenftände
unter den Kameraden,
MVolkdbeluftigungen aller Art,
3 Concert und Tanzvergnügen "A
Hanfindet. — WMbendS 8 Uhr —- (2693
großer Kriegerball.
Entreo zur Festwiese 20 Pfg., Kinder 10 Pfz. Entrec zum Ball 75 Pfg.
Die Kriegervereine fehlten nie bei den Kirmesfeiern.
52
TS Der Kriegerverein von Hautfet
a mwırd zur Erinnerung der glorreichen Thaz
ten ‚unierer Arınee von 1870/71, Sonntag den
27. Dftober c. den Zayrestag Der Capitulation
von Vieß jeftlich begeben.
Seine VMitalieder verfammeln fih an diefem Zage
Iachmittag8 halb 2 Uhr im Vereinslokale, werden
in milıläriicher Ordnung und unter den Klängen
einer ausgezeichneten Miufif zur Kirche geführt und
veranjtalten unmittelbar nach dem Gottesdienfte und
vor Der Kirche anfangend einen
Fejtzug mit Yarademarfh. ;
Hierauf 33 all im Vereinslokale beim Wirthe
Herru ®, Pohlen, DET BDDrfabd
(Korrespondenzblatt, 26.10.1872)
KETTE HET
Mit Gott
für König und Baterland !
Kriegerverein in Sonben.
Seomtag den 18. Auguft, Diorgens 6 Uhr
Hieveille. Nachmittags 4 Uhr Mppell mit.
Sewehren zum Abholen des Hauptmanns und 0
Zug durmGs Dorf.
* Abends + % a f f
im neuerbauten Saale des Gaftwirlhes Herrn
Hofepb MWMirbach. Eutree für Nichlmitz
gliever 5 Sgr. Damen frei,
Wientag deu 19, Auguft, Morgeus 9*/, Uhr
Yppell und Zug zum Hocdhamte, Nach
dem Hochamte Harmonie im Vereinslokale, $
Zu zahlreicher Yerheiligung Iadet ergebenft ein
Der Vorflanbd. Q
OoOc0°0°°0°06°°°000°0°0000
Kirmes in Lontzen 1872
54
Das im Kelmiser Raum viel gelesene "Freie Wort" berichtete:
"Die Siegeserinnerungsfeier zu Ehren der hiesigen
Veteranen hat sich trotz der sehr ungünstigen Witterung zu einer
wahrhaft großartigen Kundgebung gestaltet. Nachdem die Ehren-
gäste, Veteranen und Ortsvereine im Hotel Bergerhoff” begrüßt
worden, bildete sich der Festzug in folgender Reihenfolge:
Vorauf eine stattliche Zahl prächtig mit Nationalbändern
geschmückter Vorreiter, das Musikkorps, Gemeinderat und Fest-
ausschuß, die Veteranen, der Kriegerverein, der Gesangverein
Fidelia, die freiwillige Feuerwehr, die St. Hubertus-Schützen-
gesellschaft, Gesangverein Freundschaft, Bergmannsverein, Turn-
verein, Kirchengesangverein, Turngemeinde, Theaterverein,
Handwerkerverein. "
Sieges - Erinnerungsfeier
zu Moresnet.
Die Gemeinde Preußiich-Moresnuet beabfichtigt, zur CErs
innerung an die glorreıden Siege von 1870171 und zur
Ehrung ıhrer Veteranen au diejem Feldzuge ein Fefl ZU
veranfialten ; daher die zu B.eußifh-« und Nentral«Moresnet
mohnenden Befizer der KriegsS-Denkmünze für Kombatanten
hiermit erfucdht werben, fid unter Vorlage ihrer Militärpapiere
bei dem Unterzeihaeten bis längfiens Ende diefes Wonals
zu melden,
i Der Fc-Ausiguß.
3.
SchuteH, Bürgermeifter,
Prenßijh-Moredsnet, den 18. Aug. 1895. 1
(Das Freie Wort)
Der Zug bewegte sich zu dem festlich geschmückten Krieg-
erdenkmal, welche Ausschmückung größtenteils den hiesigen
Damen zu verdanken ist, auch verdient die von Herrn Adolph
Molly mit Blumen angefertigte und dort angebrachte Nachbil-
dung des Eisernen Kreuzes besonders lobenswerte Erwähnung.
Herr Dr. Müller, Assistenzarzt der Reserve, brachte in seiner
Eigenschaft als Vize-Präsident des Kriegervereins den Toast auf
den Kaiser aus. Die nach Tausenden zählende Festversammlung
stimmte in höchster Begeisterung ein in das Hoch, die Musik
1 Das Hotel Bergerhoff ist der heutige "Select", Ecke Lindenallee-Lütticher
Straße, in dem damals neutralen Gebiet gelegen!
55
spielte die Nationalhymne(2), welche von allen Anwesenden
gesungen wurde."
Hierauf hielt Herr Bürgermeister Schmetz die Festrede. Das
Korrespondenzblatt des Kreises Eupen, auch "Amtliches Kreis-
blatt", brachte die Rede des Bürgermeisters im vollen Wortlaut.
Er sagte u. a. :
"Wir stehen nicht mehr unter dem Druck einer sog. grande
nation, wir sind freie Deutsche geworden. Ganz Deutschland
begeht eine Feier von Erinnerungen so ergreifend, so ernst, so
gewaltig und erhaben, wie sie bedeutsamer die Geschichte nicht
kennt...Hier an dieser Stelle, welche von patriotischen
opferfreudigen Mitbürgern hergerichtet worden, hier an dieser
Stelle, wo vor 25 Jahren diese Friedenslinde(®) gepflanzt worden,
ja, hochgeehrte Festversammlung, hier an dieser Stelle steht es
auf marmorner Tafel mit ehernem Griffel eingegraben, um was es
sich handelt: "Dem Andenken an den ruhmvollen Krieg von 1870/
71 und seine tapferen Streiter von Preußisch- und Neutral-
Moresnet. Es ist Frühling geworden im deutschen Vaterlande.
Lassen Sie uns in diesem Kreise und zu dieser Stunde und an
dieser Stelle in erster Linie derjenigen gedenken, welche furchtlos
und treu ins Feld den alten ruhmvollen Fahnen folgten, aber nicht
wieder heimgekehrt sind, welche den Heldentod auf dem Felde
der Ehre starben, welche geblieben sind für unsere heilige Sache,
sowie derjenigen, welche zwar zurückgekehrt, aber den heutigen
2 Die damalige deutsche Hymne war "Heil dir im Siegerkranz,
Herrscher des Vaterlands,
Heil, Kaiser, dir! usw.
Der eigentliche Verfasser derselben ist Heinr. Harries (1762-1802); in seiner
ursprünglichen Fassung erschien das Lied 1790 in Flensburg unter dem Titel
"Lied für den dänischen Unterthan an seines Königs Geburtstag zu singen in
der Melodie des engl. Volksliedes 'God save great George the king'." Das
Lied wurde von Balthasar Schumacher zum "Berliner Volksgesang' "Heil dir
im Siegerkranz” umgearbeitet und in dieser Fassung zur preußischen
Nationalhymne.
3 Aus der Gemeindechronik von Preußisch-Moresnet wissen wir, daß am 22.
März 1871 "zum Andenken an den glorreichen Krieg und ruhmvollen
Frieden" auf des Königs Geburtstag eine "Kaiserlinde" gepflanzt und später
mit einer hübschen Anlage umgeben wurde.
4 Diese Marmortafel mit besagter Inschrift wurde nach dem Ersten Weltkrieg
entfernt.
56
A 8 X
4” A
£ AA KLAR
) I.
} / EI
Foto des Denkmals (1995)
Ehrentag nicht erlebt haben; ihnen werde hier von uns allen eine
stille Erinnerung zuteil! (Hierbei senkten sich die Fahnen und das
Gewehr wurde präsentiert). Ihre Andenken bleiben in Ehren.
Wenn wir uns heute dieser Ruhmestage erinnern und unser
Herz dabei höher schlägt, so geschieht das wahrlich nicht in
Überhebung gegen den besiegten Feind, sondern einzig und allein
in dem Gefühle der Freude und der Dankbarkeit, der Freude über
das, was mit den schwersten Opfern auf blutgetränkten Schlacht-
feldern errungen worden ist: Das deutsche Reich ist entstanden,
groß, stark und herrlich,- der Dankbarkeit, die uns erfüllt gegen all
diejenigen, die damals freudig hinausgezogen in den Kampf und
besonders gegen die hier vor uns stehenden braven Veteranen,
denen unser heutiges Fest ganz besonders gilt. Ich bitte die
sämtlichen Veteranen, bei Aufrufung ihres Namens gütigst hier
vortreten zu wollen und als bleibendes Zeichen der Erinnerung
die von der Gemeinde aus Dankbarkeit gestiftete Denkmünze
entgegenzunehmen. Herr beigeordneter Bürgermeister Meeßen
wolle die Überreichung der Denkmünzen übernehmen...
Es erfolgte sodann der Aufruf der Namen von 39 Veteranen,
welchen außer der Gedenkmünze noch eine Ehrengabe überreicht
wurde. (Den wegen Krankheit verhinderten Veteranen Witter und
Kölling brachte der Festausschuß die Münze und das Präsent in
ihre Wohnung).
7 „AltenbergerKrieger Verein
mE Sonntag, den 6. Oktober, ...
0 ZN & punkt 2 Ubr nachnt,, 4
; HN, Antreten im Vercinslokale zum Zuge,
; Anzug fehiwarz mit boh:ur Qute, Dr.en und p
ns Vereingahzeichen. ER
5 Ubenda 8 U9r,
BALL im Vereinslokale.
M tylieder und ‚Familie frei. Fremde habzn nur
Zutritt, wenn durch Mitglieder eturgeführt.
d; 7 ; Der DVorftand.
] x Freiwillige Fegerwehr >
&79 für Preussisch- und Neutral Moresnet,, +
(a | Sonntag, den. 6. Oktober,
AS” nagmittag& 11/, Or, 2obnon!
Anfrefen auf den Aycllalahe,
Um recht rege Beteiligung bittet d
2 Y Der Borftand.
Altenberger St. Iobertus-Schützen-
EA “Gesellschaft.
” Sonntag, 6. ÖRt,, EEE 11 Ur,
Antretend. Schüßen in Zuifuru u, Waffen
zur Tellnaßme an dem s
„Festzug der Siegesfeier.:.
| Nachher, Grte
'“ 7 Zug zum Dereinslokal. ;
7@8 fadet ergebenft ein ; } Der Borftand.
(Das Freie Wort, 5.10.1895)
58
Der Bürgermeister beendete seine Ansprache mit den Wor-
ten:
"Ich schließe mit der Aufforderung an Euch alle, mit mir
einzustimmen in ein dreifach donnerndes Hoch auf die sämtlichen
Veteranen, sie sollen leben, hoch, hoch, hoch!"
Die ganze Festversammlung stimmte begeistert mit ein. Der
stattliche Festzug setzte sich nunmehr wieder in Bewegung und
durchzog unter den Klängen der Musik den Ort bis vor das
Festlokal (Hotel Jünger), woselbst die Veteranen Aufstellung
nahmen und seitens der sämtlichen Vereine unter der vortreffli-
chen Führung des Postverwalters Müller aus Hergenrath ein
strammer Parademarsch erfolgte. Glücklicherweise zeigte Mei-
ster Pluvius (der Regen) während der Feier am Kriegerdenkmale *
und während des Festzuges einsichtsvolle Rücksicht, indem er
uns mit seinen Ergüssen verschonte. Das festlich geschmückte,
geräumige Lokal des Herrn Jünger füllte sich bald bis auf den
letzten Platz und es nahmen jetzt die Gesang- und Musikvorträge
sowie Theatervorstellungen ihren Anfang. Nach dem zweiten
Stück erhob sich Herr Pfarrer List® und hielt eine Rede zum Lobe
des Vaterlandes. Seinen begeisterten Worten entnehmen wir
folgendes:
"Was führt uns hier zusammen in einmütiger Festfreude und
Jäßt unsere Herzen höher schlagen in froher Begeisterung? Ist es
die Erinnerung an blutige Schlachtfelder, die wir gewaltsam
wieder heraufbeschwören wollen, ist es die Lust an Kriegsnot und
Kriegsgeschrei?...
Wir gedenken heute einzig der nationalen Bedeutung der
großen Zeit vor 25 Jahren. Was deutsche Jünglinge und Männer
jahrzehntelang vorher ersehnt hatten: ein einiges deutsches Volk
und Reich: es wurde damals zur Wirklichkeit. Blut und Eisen
mußten den Bau zimmern, unter dessen Dach wir jetzt sicher
wohnen. Auf den blutigen Gefilden Frankreichs, unter Donner-
schlag und Wettergrauen, zerstob die alte Misere deutscher
Zersplitterung und Michelei, die uns so lange zum Gespött Europas
gemacht hatten, und herauf stieg der mächtige Adler, auf dessen
Brust das Wappen des deutschen Kaiserreiches erglänzte. Nur
Böswilligkeit und Unverstand können es uns verargen, wenn
unsere Herzen froh der großen Errungenschaft des Jahres 1870/71
5 Herm. List betreute die evangelische Gemeinde von Moresnet von 1891 bis
1920.
59
gedenken: wenn wir nach 25 Jahren noch einmal wieder den Zoll
der Begeisterung bringen unserm schönen, großen, geeinigten
Vaterland.
Von den idealen Gütern, die Gott dem Menschen gegeben,
ist der höchsten und heiligsten eines seine Heimat, sein Vaterland.
Mit unsichtbaren Ausgabeen hat er unser Herz gefesselt an die
Scholle, auf derwir geboren sind, an das Volk, dem wir entstammen.
Ihr Gedeihen und Wohlergehen sind ihm teuer. Unseres Volkes
Wohlergehen beruht aber darauf, daß es als einig Volk geschart ist
unter einem starken volkstümlichen Herrscher. Wer das noch
bezweifelt, der kann es erfahren in unserer Jahrtausende alten
Geschichte. Daß aber dieses Ideal verwirklicht ist, sollten wir
dessen nicht froh sein? Und wenn es Ströme deutschen Blutes
gekostet hat, um der Einheit Ausgabe zu schmieden, muß uns das
nicht das schwer Errungene doppelt lieb und wert machen? Ja, das
Blut unserer Väter soll der Kitt sein, der uns unaufhörlich verbin-
det mit Thron und Reich! Deutsches Vaterland, du bist auch heute
noch ein starker, stattlicher Bau, aus blutgedüngter Erde
entsprossen. Wir vertrauen auf deine Kraft, wir weihen dir aufs
neue unser Herz und zum Zeichen dessen stimmen wir alle ein in
den Ruf: unser Vaterland, es lebe hoch!
Als dieses Hoch verklungen und die Begeisterung sich etwas
gelegt hatte, brachte der Veteran, Herr Sanitätsrat Dr. Molly®
Oberstabsarzt d. L., den Dank der Veteranen zum Ausdruck. Aus
seiner kurzen Ansprache hier die Kernsätze:
"Vor 1/4 Jahrhundert, als der Ruf des Königs zur Verteidi-
gung des Vaterlandes erscholl, zogen auch die Altenberger Krieger
unter großer Begeisterung, von den Segenswünschen, aber auch
von bangen Sorgen ihrer Zurückgebliebenen begleitet, ins Feld,
einstattlich Häuflein von 70 Mann. ...Als nun auch die Altenberger
Krieger froh nach Hause zurückkehrten, da fehlte kein teures
Haupt, alle, die hinauszogen, sahen die liebe Heimat wieder.
Dieselben wurden seitens der Gemeinde mit einer schönen erha-
benen Feier hoch geehrt, es wurde am Kriegerdenkmal eine Linde
gepflanzt mit dem Wunsche, daß sie gedeihen und erstarken möge
durch Ansetzen von Ästen und Zwei. gen, ebenso wie das deutsche
Vaterland....25 Jahre ist eine lange Zeit, vieles ist anders gewor-
6 Dr. Wilbh. Molly war Grubenarzt der Gesellschaft der Vieille Montagne und
Vorsitzender des Altenberger Kriegervereins.
60
den, verändert, vervollkommnet, fortgeschritten, wir sind auch
mit ihr fortgeschritten, aber zum Alter, und werden wohl ein
weiteres 25jähriges Fest nicht mehr erleben..."
Er schloß mit den Worten: "Die Gemeinde und unsere
Mitbürger haben uns heute einen schönen Festtag bereitet; es wird
dieser stets bei uns in treuer Erinnerung bleiben.
YienNesyEdenkfeier zu AVDalhoarcıı
6 Vorfeier.
Der Zapfenstreich got am 14, September abenb8 R Uhr vom Lokale
de8 RKriegeroereine8 au& und bewegt [ih zum Gemeindeplage vor Krümmel8hof, mofelb{l
zur Erinnerung an die Feler eine
In Öl
HER Jubel-Eiche
gepflarlzgt mirb, Die Kriegaveteranen, die Milglieder de8 Fellau8jHhufje8, des SGemeinder
ratheß, Über Vereine und die jungen Krirger werden Hiermit gebeten, [ih zahlreich an
Diefer Vorfeier betheiligen zu wollen. - n
sy _Malhorn, den 9, September 1895. (2833) Der Festausschuss,
Siegesgedenkfeier zu Walhorn.
"In % Yım Borabende Samftag, den 14. September,
QHvorfengeläute und Zapfenftreich mit Böllerfchie fen.
Se Santag, den 15. September, morgen3 6 Uhr EMI XI: I: EI.
E Vormfitags 9'/, Uhr Abholung der Veteranen am Gemeindehanfe
durch den Feflaufchuß, den Gemeinderath, den Sefangverein, die SHügengefellfhaft,
den ‚Ariegerserein and die fig am leßlern anfgHließenden, einem Verelne nicht angehö:
renden gebienten, Hbrigen Mannfohaflen, zum Zuge zur Kirhe, wofelbft
s+ Bormittags 10 Ur feierlidhes Sochamt fatifindet,
Mad demfelben Zusammenkunft der Veteranen In der SI m on8'{den
Saftyfth{haft. Nachmittags 93'/, Uhr,
m‘ Festzug durch den Ort
zur Feltwiefe (Wefhwifer Simone). — Dajelbt Yarnde-Marfcy zu Ehren der
Kriegsüeleranen, NE Festrede, WX Ueberreidung einer bon der Gemeinde
geftiftefen Eriyperungs-Medallle an die Veteranen. Hierauf
m Ehrenvogelschuss
für die Veleranen und aANNgemeiner Vogelschuss lir Geldpreise.
Mährend des CSohlehens Gefang-, WMufil-Vorträge und
" DSF Bal-Hanızeive. A
MNbends Q-MlGr
«a Fest - Versammlung a
Im SchumaHer’fhen Lokale, Preisvertheilung und Ueberreidhung der necflikteten
Ehrengube an bie Veteranen, Aufprahe an dielelben, WGefang und Mufil : Vorträge
mit nofpfolgenbem
x :;FEST-BALLE
uf ' °
EI . "DH
Montag, den 16, September, vormitiag3 9 Uhr,
Yeti Hreleuamt für bie gefalenen Krieger, forwie für die In Walhorn
eerbigten Krieg&uetevanen, *
Gin Gutittegelb zu den FeflicHkeilen, zu welHen Hiermit freundlihft eingeladen
wird, molıd nicht ahoben.
An die Vewohner Walhorns ergeht die Bitte, zur Berfhönerung des Feflinge®
Abre Gänler gefl. bellaggen zu wollen,
MWalhorn, den 27. Nugufi 1895.
Der Fe And[Gufß
3. N:
2722] Stick, Aal
Sedantag in Walhorn 1895
62
} Socal: Joh. Radermacher. {
} Sedanfeier {
; Sonntag, den 1, September, | |
} Mittags und Nachmittags {
Treies
$ Tanzvergnügen. {
— Abends —
' Fest-Ball. |
} E
Entree 50 Pjg. — Damen frei.
$ Zu diefen Feftlichkeiten adet {
freundlichft ein
Joh Radermacher,
$ 2693) Maeren an der Kirche. N eenGectdececo
22. Sedan-Feier! $
SEN AS (so)
8 LOKAL: 8
oO 6 n ed
$ Wilh. Pesch-Simons, 3
8 ‚Sonntag den I. September, 8
8 Mittag3 und Nachmittags 8
6
9 mM N ze o
Ss Ballkränzchen.
8 Eutree frei. — Abends 8
Ö N 6
3 Oroßer Sefhal ?
: Oroßer Feflbail. :
8 C 8
8 _Entree 0,50 Mk. — Damen frei. 3
9 &
9 ufß der Seltenifer Stapelle. 8
8255200092323099329023303905
In Raeren war der Sedan-Tag 1895 Anlaß zu Volksbelustigungen und
Festbällen.
63
Im Namen der Veteranen danke ich allen Mitbürgern, beson-
ders dem Herrn Bürgermeister Schmetz, der durch seine rastlose
Tätigkeit, Fleiß und Bemühungen dieses erhabene Fest zustande
gebracht hat. Ich danke den zahlreichen Vereinen, die das Fest so
herrlich verschönert, ohne Rücksicht auf Parteistellung und Na-
tionalität, nur das eine Prinzip verfolgend, ihre Mitbürger zu
ehren. Kameraden, stimmt ein mit mir in den Ruf: sie alle sollen
leben hoch, hoch, hoch!"
Die Theater- und Gesangvereine entledigten sich in aner-
kennenswerter Weise der angenommenen Aufgabe, besonders
der humoristischen Stücke. "Die Kapitulation von Sedan", "der
verspätete Urlauber" und "das Kasernenleben" unterhielten die
zahlreichen Zuhörer aufs beste. Hieran schloß sich der Festball in
fünf Lokalen an und hielt die Festteilnehmer noch lange vergnügt
zusammen.
Die Gemeinde Preußisch-Moresnet darf mit Stolz auf dieses
in glänzender Weise verlaufene Fest zu Ehren ihrer Veteranen und
zum 25jährigen Jubiläum der Wiederaufrichtung des deutschen
Reiches zurückblicken."
*x* x * * * * *
In der Gemeinde-Chronik von Preußisch-Moresnet geht
Bürgermeister Schmetz ebenfalls kurz auf die Feiern ein und
bemerkt besonders, daß auch die Vereine des neutralen Gebietes
daran teilgenommen haben; nur zwei hatten sich "zurückgezo-
gen", so der Bürgermeister.
Auch in den anderen Landgemeinden wurde der Sedantag
1895 festlicher als üblich begangen; Hergenrath feierte die
"25jährige Erinnerung an die glorreichen Siege des Krieges 1870/
71" (Chronik) am 3. September; in Hauset fand die Feier am 29.
September statt. Besonders Raeren (1. September) und Walhorn
(14. September) machten aus dem Tag ein wahres Volksfest.
Doch nur aus Preußisch- und Neutral-Moresnet liegen detaillierte
Presseberichte über die Feiern vor. Dafür hat wohl Bürgermeister
Schmetz persönlich Sorge getragen...
64
Im Göhltal 1940
von Hubert Debey
In Kelmis sind die Straßenlöcher schon lange ausgetrocknet.
Wir können uns nicht mehr gegenseitig bespritzen. So schön ist
das Wetter. Wirspielenjetzt "Keiwärepe", "Pötchestuhte", "Bock-
sprenge" und abends "Kuckepiep" oder "Räuber en Schampett".
Das außergewöhnlich schöne Maiwetter erlaubt es uns so-
gar, in der Göhl zu "schwimmen". Natürlich kann keiner von uns
schwimmen, und es zu lernen, hatten wir kaum Gelegenheit. Aber
wir sagten: "Wir gehen schwimmen!"
Die Göhl hat eine mächtige Anziehungskraft. Wir bauen ,
Dämme, um das Wasser zu stauen. Mit 50-60 cm Höhe kommt uns
das Wasser fast bis an die Brust. So können wir "schwimmen".
Ein anderer Platz, den wir gerne aufsuchen, ist der Heidkopf.
Hier finden wir immer Gelegenheit, durch mancherlei Spiele uns
die Zeit zu vertreiben und den Schulalltag zu vergessen.
Zwar stehen an die dreißig Kinder meines Alters vor der
gefürchteten Staatsprüfung, sind wir doch in der 8. Klasse. Hier
herrscht der als streng bekannte Lehrer Peche€. Er ist wohl einer
derbesten Lehrer, die wir im Laufe unserer achtjährigen Schulzeit
kennengelernt haben. Lehrer Peche ist wirklich streng, aber
zugleich gut. Manchmal, wenn er die Geduld verliert, schreit er.
Doch seine Erklärungen im Unterricht sind so einfach und so
leicht zu verstehen, daß wir ihn zwar fürchten, aber auch lieben.
Der Maimonat ist der letzte Schulmonat vor der gefürchteten
Staatsprüfung. Herr Peche hat sich alle Mühe gegeben, uns
gründlich darauf vorzubereiten. Wir sollen ja dort beweisen, daß
wir die Schulbank nicht umsonst acht Jahre lang gedrückt haben.
Auch Herr Peche ist es eine Freude, wenn seine Schüler gute
Resultate erzielen. Na also!
Aber es sollte anders kommen.
Fast wie von heute auf morgen war seit einigen Jahren
wieder Arbeit zu finden. Es gab zu essen und zu trinken. Nur ein
paar Arbeitsunwillige waren noch arbeitslos. Die sahen wir jeden
Tag "stempeln" gehen.
AusdenRadios, die es hier und da gab, gröhlte eine schrecken-
erregende Stimme, die von Lebensraum, Dolchstoß und Freiheit
sprach. Mir lähmte sie die Glieder. Diese Stimme hatte es ver-
65
mocht, Österreich an Deutschland zu binden; bald darauf hatte sie
es über Danzig und einen Korridor, den es da geben sollte.
Schreiend forderte diese Stimme Stadt und Korridor. Kurz darauf
meldete das Radio den Einmarsch in Polen.
Aus dem Radio kommen auch andere Stimmen, gar nicht
laut, doch vernehmbar. Ein Herr Chamberlain soll gesagt haben,
Hitler (der Mann, der sozeterte), sei friedliebend und gut gesonnen.
Herr Chamberlain soll gesagt haben, solch einen Mann wie Hitler
könne manches Land gut gebrauchen...
Dann sind die Russen in Finnland eingefallen. Ein, zwei
Monate später werden in Kelmis Kleider und Lebensmittel für die
Finnen gesammelt. Die Bolschewisten bedrohen die Nordländer,
das Baltikum, sagt man. Das tapfere Volk der Finnen wehrt sich.
Nach ein paar Monaten ist dort der Krieg vorbei. Wir sind
überzeugt, daß der rote Goliath vom gläubigen David besiegt
wurde.
Nein, er ist nicht tot, der Goliath. Aber wir beten für seine
Bekehrung.
Doch da ist noch der andere, der mit der brüllenden Stimme.
Ein Antikommunist. Zwar haben sich die beiden geeinigt, und
man sagt, einen Nichtangriffspakt hätten sie geschlossen. Sie tun
sich also nichts?
So kann die kehlige Stimme jetzt auf Frankreich und Eng-
land schimpfen, die an dem "Diktat" die Schuld trügen. In den
Marschliedern, die aus dem Radio tönen, heißt es:"...denn wir
fahren gegen Engeland" oder "Wir ziehen siegreich nach Frank-
reich hinein".
Wir sind noch zu jung, um das alles ernst zu nehmen.
Dennoch haben wir Angst, sind zerstreut; unsere Schulaufgaben
und unsere Vorbereitung auf die Staatsprüfung leiden unter dem
vielen Kriegsradau, der Mobilmachung und den
Demobilisierungen, die an unseren Nerven nagen.
Am 9. Mai legen wir uns zu einem ruhigen und erholsamen
Kinderschlaf nieder. Gegen 5 Uhr morgens, am 10. Mai, weckt
uns unsere Mutter mit dem Ruf: "Kinder, wir haben Krieg!"
Mutter war schon zeitig bei der Arbeit. Sie ist schwerhörig.
Mit ihren auf dem Herd geheizten Bügeleisen war sie damit
beschäftigt, die Wäsche zu plätten. Übermorgen ist Pfingsten: da
soll alles blitzsauber sein. Darum verpaßt sie keine Minute des
66
Tages. Mutter ist eine Frühaufsteherin, die sich dann nachmittags
eine halbe Stunde Ruhe gönnt.
Während ihrer Arbeit hat sie ein Brummen gehört, sich aber
nicht von ihrer Bügelei ablenken lassen. Nun aber wurde es zu
stark; sie geht vor die Tür, um nachzusehen ...und hat begriffen.
Sie eilt, uns zu wecken. Im Nu sind auch wir draußen, recken
staunend die Köpfe gen Himmel, wo sich Flugzeug an Flugzeug
reiht. Waschen und Anziehen gingen heute schnell, wollten doch
auch wir wissen, was da geschah.
Unten in der Straße stehen schon Soldaten. An ihren Helmen
erkennen wir, daß es deutsche sind.
Verschiedene Nachbarn haben Haus und Hof verlassen und
sind fluchtartig verschwunden. Auch meine beiden Brüder ver- '
lassen uns, um sich bei ihrer Einheit zu melden.
Die Erinnerung an diese Zeit ist mir geblieben. Auch viele
unserer Lehrer waren geflohen. Doch nach dem 28. Mai kamen
die meisten zurück, um uns noch ein paar Wochen Unterricht zu
erteilen.
Mit der Staatsprüfung war es jetzt vorbei; der Jahrgang 1926
wird ohne Schulabschlußzeugnis entlassen.
Wie es weiterging? Im Juli wurden wir zum Arbeitsamt
bestellt und im selben Monat noch begann unser Arbeiterleben.
Und 1943 sollten wir dann uns auf den Fronteinsatz in Rußland
vorbereiten. "Doch war es schon den meisten klar, daß das die
falsche Richtung war!"
67
Wie war das noch, damals ...?
von Josef Bernrath
Damals, ich denke an die Zeit um 1930, es ist also noch gar
nicht so lange her, erst rund 65 Jahre, noch nicht einmal ein gutes
Menschenalter.
Die Erinnerung an diese Zeit kam mir dieser Tage, als ich
nach langer Zeit nochmals einen Blick in einen modernen Vieh-
stall werfen konnte. Da drängte sich der Vergleich zu damals auf.
10 Jahre war ich, als meine Mutter und ich, nach dem frühen
Tod des Vaters, Wohnung in Eynatten nahmen, bei einem Onkel,
der in der Ortsmitte einen landwirtschaftlichen Betrieb besaß. An
dem Hof waren aber, im Gegensatz zu den meisten anderen Höfen
der Gegend, keine Hauswiesen. Nein, Wiesen und Weiden lagen
in alle Himmelsrichtungen verstreut, teils hundert Meter, teils
aber auch mehrere Kilometer (Johberg) vom Hof entfernt.
In dieser Umgebung wuchs ich auf und wurde mit dem
Landleben und der Arbeit auf dem Bauernhof vertraut. Und erst
heute, nach vielen Jahrzehnten, kommen die Bilder vom damali-
gen Alltag auf dem Bauernhof zurück. Wie es auf dem Hof meines
Onkels zuging, so ging es wohl auf allen Bauernhöfen zu, denn die
Situation war überall mehr oder weniger die gleiche.
Wenn ich mich gut erinnere, waren auf dem Hof etwa 15
Milchkühe und zusätzlich noch das Jungvieh (Rinder, Kälber)
sowie Schweine, Hühner usw.
Das Vieh wurde bei Beginn der guten Witterung im Frühjahr
auf die Weide getrieben; dabei kamen die Rinder auf abgelegene-
re Weiden, wo sie längere Zeit blieben und heranwuchsen. Die
Kälber blieben auf den dem Hof am nächsten gelegenen Weiden,
da sie noch regelmäßig mit Milch versorgt und gut beobachtet
werden mußten.
Die Kühe standen tagsüber auf etwas abseits gelegenen
Weiden, wurden aber für die Nacht ebenfalls auf näher gelegene
Parzellen getrieben. Hierfür waren natürlich immer mehrere
Personen notwendig, sollten doch die Tiere den Verkehr nicht
behindern, aber auch umgekehrt nicht durch denselben gefährdet
werden. Wenn auch der Autoverkehr zur damaligen Zeit bei
weitem nicht so stark war wie heute, so mußte doch in Eynatten
mit der regelmäßig verkehrenden Straßenbahn gerechnet werden.
68
Ich erinnere mich noch, daß die Kühe des Landwirten Tychon in
die Straßenbahn hineingelaufen sind, wobei viele Tiere zu Tode
kamen. Um diesen großen finanziellen Verlust noch etwas auszu-
gleichen, wurden die Tiere an Ort und Stelle notgeschlachtet,
bzw. für den Verkauf hergerichtet, und es wurde versucht, das
Fleisch im Orte selbst zu verkaufen.
Die Stallentmistung war nicht nur eine "mistige” , sondern
auch eine schwere Arbeit. Während des Winters fiel sehr viel Mist
an; aber auch während des übrigen Jahres mußten die Ställe
sauber gehalten werden. Im Sommer lag die ganze "Schose"
meistens auf dem Hof selbst, wo sie natürlich nicht hingehörte.
Der Mist wurde zunächst mit der Schubkarre zum Mistplatz
gefahren. War dieser voll, was im Frühjahr meist der Fall war,”
ging es los: Mist aufladen, Mist fahren, Mist auf der Wiese auf
kleine Häufchen ziehen, Mist spreiten, Mist schleifen. Alles war
reine Handarbeit. Von wegen Traktor oder Güllefaß! Mensch und
Pferd leisteten Schwerstarbeit.
Bei so viel anfallender Arbeit war es nicht verwunderlich,
daß die Kinder auf den Höfen blieben und schon früh in den
Arbeitsrhythmus einbezogen wurden. Mit kleinen Dingen fing es
an: Hühner füttern, Hof kehren, Wasser geben usw....Wo keine
Söhne waren, mußte man auf fremde Hilfskräfte zurückgreifen,
wie das auf dem Hof meines Onkels der Fall war. Er hatte ständig
einen, im Sommer aber mindestens zwei Hilfskräfte, "Knechte"
genannt.
Die Wirtschaftslage war in den frühen dreißiger Jahren
überall sehr schwierig. So suchten auch kräftige Burschen aus
dem deutschen Grenzgebiet Unterkunft bei Bauern und begnüg-
ten sich bei Kost und Logis mit einem kleinen Taschengeld. Von
wegen Versicherung, Feiertage, Sozialabgaben usw.! Alles unbe-
kannte Größen.
Ich sehe die Zimmer noch vor mir, die von diesen Burschen
bewohnt wurden: gekalkte Wände und, damit sie etwas schöner
aussahen, wurden darin Muster "gewebt": man färbe den weißen
Kalk nach Geschmack und Belieben rot, blau oder grün, nehme
einen Aufnehmer, tauche denselben in die Brühe, Wringe ihn aus
und rolle so mit dem ausgewrungenen Aufnehmer von oben nach
unten über die weiße Wand. So war das damals!
Der Tag auf dem Hof begann früh. Im Sommer sogar sehr
früh, denn neben der Pflege des Viehs, dem Melken, Füttern usw.
69
mußte nun gemäht werden. Mein Onkel hatte im Sommer immer
zwei Pferde, die vor die Mähmaschine gespannt wurden. Auf der
Mähwiese ging es dann los: zuerst ein kurzes Gebet und dann
"jöh"! Es dauerte nicht lange, dann hing die Maschine in dem
schweren Gras fest, insbesondere in den Kurven. Mit "hü" und
"hot" versuchte der Onkel, wieder Schwung zu geben. Aber die
Pferde mußten das wohl falsch verstanden haben, denn das eine
ging "hü" und das andere "hot". Alle guten Vorsätze waren nun
vergessen. Es begann eine ungeheure Flucherei, bis die Maschine
wieder flott war.
In der Heuzeit mußten alle an die Arbeit. Das frische Gras
mußte erst gespreitet werden; nach dem Antrocknen wurde es
gewendet, mit der Maschine, wenn eine solche vorhanden war,
sonst mit der Hand. Es ging aber nichts über die Handarbeit, so die
Überzeugung der Bauern. Der Maschine traute man nicht ganz;
das werdende Heu wurde immer und immer wieder mit der Hand
gewendet, einmal, zweimal... und wenn die Witterung nicht ganz
beständig war, durfte man es abends auch noch auf Reihen ziehen
oder Häufchen machen. Wir jungen Leute waren mit "steigender
Begeisterung" dabei, wußten wir doch, daß anderntags alles
wieder auseinander zu werfen war. Wenn man eine große Wiese
vor sich hatte, war das eine schweißtreibende Arbeit, die nicht in
einer Stunde zu erledigen war. So sah man denn auf allen Wiesen
eine Heerschar von Helfern, bis das Heu trocken war.
Wenn dann mit Gottes Hilfe das Heu samstags "fast" trocken
war, hatte man eine Pause bis montags, es sei denn, der Pastor
habe ein Einsehen gehabt und morgens in der Frühmesse die
Erlaubnis erteilt, am Sonntag das Heu einzufahren! Er hatte aber
mit Sicherheit den Himmel in allen Richtungen beäugelt, ob denn
auch wirklich die Gefahr eines Gewitters oder Wetterumschwungs
bestand. War der Himmel klar, verkündete der Pastor "Pause".
Die Erlaubnis zum Einfahren des Heus kam erst, wenn ein
Gewitter im Anzug war, was dann bei der Handarbeit mit den
Pferden oft fatale Folgen hatte...
Und dann mußten alle Mann (und Frau) heran. Heu auf
"Betten" ziehen, aufladen, abfahren, abladen, auf dem Heuboden
verteilen. Da war schon eine Mannschaft notwendig, denn aufden
meisten Heuställen wurde das Heu über zwei, drei oder gar vier
Personen bis in die äußersten Winkel weitergereicht. Zwischen-
zeitlich wurde die Wiese sauber gerecht. Und so ging das viele
70
Tage bis zum späten Abend. Und wenn die Witterung es erlaubte,
über Wochen, bis daß das Heu alle unter Dach war.
In der Heuzeit wurden alle im Ort verfügbaren Kräfte
mobilisiert, angefangen vom Schmied, der eine wichtige Persön-
lichkeit war und der auch über entsprechende Kräfte verfügte, bis
zu den Freunden im Kirchenchor, in der Schützengesellschaft
usw.
Zur Mittagszeit blieb man meistens auf der Wiese. Dorthin
wurde die Verpflegung gebracht, vielfach kühler, selbstgemach-
ter Quark, "Makei" genannt (aus dem Wallonischen "maqu&e),
Kaffee usw. Ein kühles Bier wurde nach Feierabend gereicht.
Während der Heuzeit ging das Leben auf dem Hof natürlich
weiter: Kühe melken, Kälber versorgen, tränken, beifüttern...
Die Bäuerin machte wöchentlich Butter. War das eine Akti-
on! Die Milch wurde täglich nach dem Melken durch eine Zentri-
fuge (Entrahmungsmaschine) geschleust, wobei ihr der Rahm
entzogen wurde. Dieser Rahm mußte über mehrere Tage sehr kühl
gestellt werden, bis dann der Buttertag kam. In der Milchküche
stand das Butterfaß, das mit Treibriemen angetrieben wurde. War
noch kein elektrischer Antrieb da, und das war auf vielen Höfen
der Fall, mußte Muskelkraft her.
War die Butter fertig, mußte sie verkauft werden. Man fuhr
damit zum Markt. Im Sommer war das etwas ganz Besonderes!
Von Eynatten war man fast eine Stunde mit dem Pferdefuhrwerk
bis Eupen unterwegs, und dies bei den damaligen schönen und
heißen Sommertagen. Auf dem Markt hieß es nun, auf Kunden
warten. Es standen dort sehr viele Bauern mit ihrer Butter. Das
Angebot war also reichlich und dementsprechend auch das Verhal-
ten der Käufer. Man war also keinesfalls von vornherein sicher,
seine Butter auch an den Mann (bzw. die Frau) bringen zu können.
Selig konnte sich preisen, wer eine Stammkundschaft besaß!
Ich erinnere mich, daß verschiedene Landwirte mit ihrer
Butter und anderen landwirtschaftlichen Produkten wie "Makei"
und Eier nach Aachen fuhren, wo sie eine Stammkundschaft
belieferten. Das ging so lange, wie die Grenze und die
Devisenbewirtschaftung es zuließen.
Als in Walhorn die Genossenschaftsmolkerei gegründet und
fortan der Rahm am Hof abgeholt wurde (1934), war das ein
großer Segen.
Die Fleischversorgung lag weitgehend in eigenen Händen.
A
Der Bauer mästete Kälber und Schweine für den Eigenverbrauch.
Diese Tiere wurden auf dem Hof selber geschlachtet und durch
die Bäuerin verarbeitet. Es gab ein wirkliches Schlachtfest. Wir
als Kinder wurden von jung an mit dem grausamen Geschehen des
Tötens der Tiere konfrontiert. Im Ort gab es in der Regel einen
Landwirtssohn, der das Schlachten und Zerlegen des Fleisches
bei einem Metzger oder im Schlachthof gelernt hatte. Wenn der
Tag da war, wurde er gerufen. Schweine wurden für den Winter-
bedarf und für das kommende Jahr geschlachtet, Kälber meist nur
zu besonderen Anlässen, wie Hochzeiten, Kommunionen usw., d.
h. zu Festen, zu denen viel Verwandtschaft erschien, die man
standesgemäß bewirten wollte.
Der Schlächter des Schweines hatte nach meiner Erinnerung
eine Art Zange mit einem Loch. In dieses Loch wurde ein
Eisenbolzen eingelegt und dieser mit einem schweren Hammer in
den Schädel des Tieres eingetrieben. Das Schwein, das von
mehreren Helfern festgehalten wurde, war meistens sofort tot. Es
wurde dann unverzüglich abgestochen. Das Blut wurde aufgefan-
gen und zur Herstellung von Blutwurst ("Puttes") verwendet. Mit
brennenden Strohfackeln wurden alsdann die Borsten abgebrannt.
Nun erst konnte mit dem Zerlegen und dem Weiterverarbeiten
begonnen werden. Da man noch keine Kühltruhen kannte, wurde
das Fleisch in Gläsern eingekocht ("eingeweckt"), der Speck kam
in die Salzsole und wurde später geräuchert.
Beim Schlachtfest wurde auch der Pastor mit einem guten
Braten bedacht...
Das Schlachten eines Kälbchens war immer eine Sache für
sich. Man hatte das Tier mit viel Liebe großgezogen, und nun
mußte es dran glauben. Über die Tötung, wie sie damals vorge-
nommen wurde, möchte ich mich nicht näher auslassen. Nach
heutigen Maßstäben käme der Schlächter vor den Kadi. Trotzdem
ließ man sich den Braten gut munden...
Kamen Herbst und Winter, so verlief die Arbeit etwas
ruhiger, wenn auch auf dem Bauernhof immer etwas zu tun ist.
Die Hecken (wo sind sie heute?) wurden zurückgestutzt, das
anfallende Holz fein säuberlich bearbeitet: das Kleinholz zu
"Faggen" (frz. fagot=Reisigbündel) gebunden, das stärkere Holz
auf Ofenlänge (weitgehend mit der Hand) gesägt. Das anfallende
Heckenholz war für den Hof sehr wichtig, war es doch für den
häuslichen Ofen bestimmt. Das Kleinholz, also die "Faggen",
72
wurde mit einem "Sessel" (Hippe) nach Bedarf klein gehauen;
man brauchte es dringend als Anmachholz und für kleine, kurze
Feuer, z. B. zum Milchkochen. Flaschengas, Strom und Heizöl
waren noch unbekannt und kamen erst Jahrzehnte später. Für jede
Kleinigkeit mußte also das Herdfeuer angezündet werden. Das
Heckenholz war ein billiger und allezeit vorhandener (weil nach-
wachsender) Brennstoff. Wie ist das heute?
Briketts und, wenn genügend Geld vorhanden war, auch
Steinkohle brauchte man, um das Feuer über längere Zeit zu
halten. Zu einem späteren Zeitpunkt kam der Kohlenschlamm,
der an der Grenze in Deutschland sehr billig zu haben war. Oft
wurde der Schlamm noch mit etwas Lehm "vermehrt". Man
spricht heute von den Abgasen. Wie war das damals? .
Ja, und wie sah es mit dem Wasser aus? Wir schimpfen heute
über den Preis des Wassers, das uns frei Haus geliefert wird. Hahn
auf, schon da! Damals war die Schimpferei nicht nötig. Man ging
"einfach" bei Wind und Wetter zum Brunnen, pumpte und pumpte
bei Sonnenschein, Regen, Schnee und Eis und trug die Eimer nach
Hause. In Eynatten, wie auch in den anderen Orten, gab es auch
eine Dorfpumpe, wo die allermeisten Privatleute, die keinen
eigenen Brunnen besaßen, das Wasser holen mußten.
Wenn Waschtag war (es gab noch keine "Miele"), war
Wasserschleppen angesagt. Die Wäsche wurde zuerst gut
eingeweicht, dann gekocht, dann, je nachdem, wie die Hausfrau
das sah, zwei- oder dreimal gespült.
Auch das Vieh brauchte viel Wasser. Soweit das Brunnen-
wasser für den Bestand reichte, wurden die Tiere damit getränkt.
Die größeren Höfe trieben die Tiere zu Weihern, die den Bauern
zur Verfügung standen. In Eynatten war ein solcher Weiher der
"Pohns Weiher". Es gehörte schon ein bißchen Planung dazu, um
zu verhindern, daß mehrere Herden gleichzeitig dort ankamen.
Viele Höfe hatten auch sog. Pools, kleine Teiche, in denen sich
Oberflächenwasser und anderes mehr sammelte, und wo das Vich
zum Trinken hingetrieben wurde, bis der "Pool" leer war. Diese
Teiche dienten auch als Wasservorrat im Falle einer Brand-
katastrophe.
Auf dem Hof befand sich natürlich auch das kleine "Häus-
chen", weitgehend außerhalb der Gebäude, immer der Außen-
temperatur angepaßt und daher selten zu längerem Verweilen
einladend. Im Sommer summten die Mücken um das Besagte und
73
im Winter fror der Besagte... Wasser war nicht vonnöten. Das
Holz der Häuschen wurde möglichst einmal im Jahr schön bunt
gestrichen.
Das Altpapierproblem bestand nicht. Die Zeitungen gingen
den Weg alles anderen, teils als Abriß, teils fein geschnitten
(besonders an Festtagen) und mit einem durchgezogenen Bindfa-
den säuberlich an einem deftigen Nagel aufgehängt. Das Problem
der glatten Papiere (Illustrierte z. B.) kannte man nicht. Sie wären
ja auch kaum zu verwenden gewesen...
Was wäre noch zu berichten? Sicherlich noch vieles, und
viel detaillierter. Für heute wollen wir es hierbei belassen.
So war das "damals". Und dieses "Damals" liegt kaum 60
Jahre zurück. Könnten wir heute nicht zufriedener sein, wenn wir
nur etwas an die Zeit von damals zurückdenken, an ein "damals",
wo wir zwar weniger Bequemlichkeit und Komfort besaßen, aber
mit Sicherheit zufriedener waren, damals; als alles viel mensch-
licher war...Aber, Hand aufs Herz: Wollen wir das "Damals"
heute noch?
74
Vor 80 Jahren starb der letzte
Bürgermeister von Preußisch- und
Neutral-Moresnet
von Walter Meven
Zum 80. Male jährt sich in diesem Jahre der Todestag des
Wilhelm Arnold Hubert Schmetz, der als letzter in Personalunion
die Gemeindeämter von Neutral- und Preußisch-Moresnet als
Bürgermeister verwaltete.
Die Teilung der durch die Franzosen i. J. 1795 geschaffe-
nen Großgemeinde Moresnet (mit den heutigen Orten Moresnet, *
Kelmis und Neu-Moresnet) in Ausführung des Aachener Grenz-
vertrages vom 26. Juni 1816 hatte zur Schaffung des neutralen
Gebietes von Moresnet geführt. Der i. J. 1802 als "maire"
(Bürgermeister) eingesetzte Arnold von Lasaulx blieb nach
dieser Teilung für die Rumpfgemeinden Kelmis und Preußisch-
Moresnet im Amt. Diese beiden Nachbargemeinden führte von
Lasaulx bis zum Jahre 1850, das neutrale Gebiet von Moresnet bis
zum Jahre 1859. Für den preußischen Teil war er der älteste
amtierende Bürgermeister der gesamten preußischen Monarchie.
Er starb am 8. Juli 1863 in Moresnet.
Sein Nachfolger als Bürgermeister der beiden Gemeinden
Neutral- und Preußisch-Moresnet wurde Ende 1859 der aus
Eupen stammende Verwaltungssekretär Josef Kohl. 25 Jahre
stand Bürgermeister Kohl an der Spitze der Verwaltung des
neutralen Gebietes. 1884 trat er in den Ruhestand; er starb am 25.
Juli 1909 in Neutral-Moresnet.
Der dritte und letzte Bürgermeister von Preußisch- und
Neutral-Moresnet war -wir erwähnten es bereits- der aus
Hergenrath stammende und am 25. August 1848 dort geborene
Wilhelm Arnold Hubert Schmetz.
Der Vater, Johann Wilhelm Michael Schmetz, am 16.6.1810
geboren, war bereits von 1840-1855 Beigeordneter der Gemeinde
Hergenrath gewesen. Nach dessen frühem Tod im Jahre 1855 kam
der damals zehnjährige Wilhelm Arnold Hubert zu einem Bruder
des Vaters, dem Moresneter Pfarrer Peter Josef Schmetz, der als
Vormund der unmündigen Kinder sich bereit erklärte, "für ein
Weiterkommen der vorgenannten Minderjährigen im Belgischen
75
zu sorgen" und an den Hergenrather Bürgermeister Mostert den
Antrag auf Entlassung der Kinder aus dem preußischen Staats-
verband stellte. Am 22. 12.1858 erfolgte die beantragte Entlas-
sung für Wilhelm Arnold Hubert und seine vier Geschwister.
Es ist unzweifelhaft, daß der geistliche Onkel sich um die
Weiterbildung der Mündel sehr bemüht hat. 1871 wurde Wilhelm
Arnold Hubert der Militäraushebung in Belgien unterzogen. 1877
kommt er in sein Heimatdorf Hergenrath zurück und erwirbt
durch Naturalisationsurkunde wiederum die preußische Staatsan-
gehörigkeit. Gleichzeitig wird er erster Beigeordneter, ein Amt,
das er bis zu seiner Ernennung zum kommissarischen Bürgermei-
ster von Preußisch-Moresnet im Jahre 1884 innehatte. Die defini-
tive Ernennung durch die preußische Regierung in Aachen erfolg-
te am 21. August 1886.
Wie Bürgermeister Kohl, so wurde auch Hubert Schmetz
durch die beiden königlichen Kommissare als Bürgermeister von
Neutral-Moresnet mit der Verwaltung dieser Gemeinde betraut.
Die nötigen Vorkenntnisse zur Führung des verantwortungsvollen
Amtes hatte er nicht nur als Beigeordneter in Hergenrath, sondern
auch als Sekretär bei Bürgermeister Gangolf in Lontzen erworben,
wo man ihm eine "tadellose Amtsführung" bescheinigte.
Der Landrat äußerte sich nach einer am 3. November 1885
in Preußisch-Moresnet vorgenommenen Revision recht lobend
mit den Worten: "Herr Schmetz hat ein freundliches und gewand-
tes Wesen, scheint auch ziemlich intelligent und befähigt, Ord-
nung in seinen Geschäften zu halten, welches auch deshalb
vermutet werden mußte, weil gen. Schmetz lange Zeit als
Bürgermeistersekretär fungiert hat."
Bürgermeister Schmetz war den neuesten Errungenschaf-
ten der Technik zum Wohle seiner Bürger sehr aufgeschlossen.
Lange vor den anderen Landgemeinden des Kreises Eupen
sah er die Notwendigkeit einer zentralen Wasserversorgung für
die beiden Gemeinden diesseits und jenseits der Lütticher Straße.
Obschon die Bevölkerung, wie es in der Gemeindechronik heißt,
"dieser segensreichen Einrichtung unsympathisch gegenüber-
stand" und sich zunächst abwartend verhielt, wodurch die Aus-
führung des Unternehmens anfangs in Frage gestellt war, konnte
die Wasserversorgungsanlage im Jahre 1910 in Betrieb genom-
men werden. In den nächsten Jahren und bis 1914 stieg die Zahl
der Anschlüsse auf 389, womit Aussicht auf Rentabilität bestand.
76
Im Jahre 1911baute das "Kreisbauamt für Abgabe elektri-
scher Kraft" in Brand das erste Stromnetz in Preußisch-Moresnet.
Daß Neutral-Moresnet keinen Anschluß an dasselbe bekam, lag
an der besonderen Rechtskonstruktion dieses Gebietes, das bis
zum Ersten Weltkrieg "dieser Wohlfahrtseinrichtung entbehrte"
( Schmetz).
ET ir WENN
DO > a A
ES ED
bb {}
2 Way |
Ani zo5s5s<—<——— {I
MA SE
X BE 22525 . N
VE! 6. I
ip = zn \ I
Xi 252. x 1 IP
A ME 0 |
WE 22 A = „A
Ä RE u 4 I
D Gl
a N A
N Sl
- N 5 |
a 8
9 BO EC A
- % Ka zn A 2
AAO e 3
Ä A E Se
Feldhüter Ph. Hilligsmann (ft) mit dem Porträt von Bürgermeister
Hubert Schmetz (Aus "Panorama", 3.9.1955)
Eine weiteres Anliegen, die Anbindung der beiden Ge-
meinden an das Netz der Aachener Straßenbahn, hatte Bürger-
meister Schmetz schon 1907 verwirklichen können.
Die Eröffnung einer Poststelle in Preußisch-Moresnet mit
einer Telefon-und Telegrafenverbindung ist ebenfalls seiner In-
itiative zu verdanken.
Welche Verdienste sich der Bürgermeister um die Er-
richtung einer von der Bergwerksgesellschaft unabhängigen
BE
Gemeindefeuerwehr erworben hat, haben wir in einem Beitrag in
Nummer 54 (1994), S 67 f££. dieser Zeitschrift dargestellt.
Als Bürgermeister von Neutral-Moresnet besaß Schmetz
allein die Polizeigewalt, unterstand jedoch der Oberaufsicht der
beiden königlichen Kommissare. Eine von ihm herausgegebene
Sammlung von Polizeiverordnungen für das neutrale Gebiet von
Moresnet gibt uns einen interessanten Aufschluß über seine
Amtstführung im Bereich des Polizeiwesens, das auch die oft
strittigen Fragen der Staatsangehörigkeit der Bewohner regelte.
Auch dem Schulwesen widmete Bürgermeister Schmetz
seine. besondere Aufmerksamkeit. Die Gemeinde Preußisch-
Moresnet wurde 1906 aus dem Schulverband Hergenrath heraus-
gelöst und seitdem als selbständige Einheit geführt. Es schmerzte
den Bürgermeister sehr, daß er im neutralen Nachbarort keine
Initiativen im Erziehungswesen ergreifen konnte.
Nicht immer war die Amtsführung von Hubert Schmetz
unumstritten. Sogar Unterschlagung im Amt hat man ihm im
Zusammenhang mit der Konzession eines Londoner Wettbüros
nachweisen können. Auch eine "unpassende Äußerung" im Lokal
Bergerhoff ("Was geht uns hier ein deutscher Kaiser an?") hatte
manchen Unmut aufkommen lassen. Der Bürgermeister erhielt
für diese Bemerkung eine Ordnungsstrafe von 9 Mark.
Dennoch wurde das 25-jährige Dienstjubiläum des Bürger-
meisters im Jahre 1909 zu einem Fest für die ganze Gemeinde.
Wir werden zu gegebener Zeit noch darauf zurückkommen.
Bürgermeister Hubert Schmetz starb am 15. März 1915 an
einem Schlaganfall im Alter von 70 Jahren. Er wurde auf dem
Friedhof von Kelmis beigesetzt. Da das Landratsamt in Eupen
nicht besetzt war, wurden die Amtsgeschäfte durch den stellver-
tretenden Kommissar Notar Spies wahrgenommen.
Der Hergenrather Bürgermeister Wilh. Kyll übernimmt
kommissarisch die Leitung der Gemeinden Preußisch-und Neu-
tral-Moresnet "bis ein geeigneter Kandidat für beide
Bürgermeistereien gefunden wird".
Ein Regierungssekretär Blum (Aachen) bewirbt sich für
beide Bürgermeistereien, ist aber wegen der Kriegszeit bei der
Regierung Aachen unabkömmlich.
So bleibt Bürgermeister Schmetz der letzte durch die
beiden kgl. Kommissare ernannte Bürgermeister. Sein 80. Todes-
jahr bot den Anlaß, kurz auf sein Leben und Wirken einzugehen.
78
"Wilhelm Tell "
in der Kelmiser "Patronage"
von Alfred Jansen
. Am 1. Oktober 1994 feierte die Göhltalvereinigung das
zehnjährige Bestehen des Museums. Aus diesem Anlaß hatte sie
zu einem Heimatabend in die "Patronage" eingeladen. Trotz des
ansprechenden Programms mit kurzweiligen Vorträgen und
Musikeinlagen ertappte ich mich dabei plötzlich, wie meine
Gedanken in die Vergangenheit zurückschweiften, in meine |
Jugendzeit. Sah mich da auf der Bühne stehen und Theater
spielen, u. a. die Rolle des Landvogtes Geßler in Schillers
"Wilhelm Tell".
Zu Hause angekommen, spann sich der Nostalgiefaden noch
weiter zurück bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges, wo im Saal
der Patronage eine Kompanie Soldaten einquartiert waren, wir
aber bestenfalls durch die geöffnete Tür die in Reih und Glied
aufgestellten Etagenbetten erspähen konnten. Im Hause selbst
war die erste Etage in zwei Räume aufgeteilt, wo uns von zwei
Dominikanerinnen das Einmaleins eingetrichtert wurde.
Der gewaltig große Spielhof, der uns zur Verfügung stand,
schloß an der Südseite mit einem langgestreckten niedrigen
Gebäude ab, das sicher vor dem Kriege als Kegelbahn gedient
hatte. Die dritte Seite des Hofes war zum Teil den Bedürfnisan-
stalten vorbehalten, die je nach Windrichtung mit dazu beitrugen,
daß der herben Landluft ein gewisser Stempel aufgedrückt wur-
de...
1918 war der Krieg zu Ende. Wir bekamen belgisches
Lehrpersonal, andere Schulräume, aber die Patronage ist uns noch
einige Jahre erhalten geblieben.
Im Alter von 12 Jahren "machten" wir in Kelmis die
feierliche Kommunion und kamen, so hieß es damals, "in die
Patronage". Dort war in der oberen Etage ein Aufenthaltsraum
hergerichtet worden und dort konnten wir uns sonntags nach der
Vesper mit Karten- und Würfelspielen oder Billard bis zum
frühen Abend die Zeit vertreiben. Diese Zusammenkünfte, im
weitesten Sinne mit den heutigen "Patros", der Pfarrjugend,
79
vergleichbar, wurde von einem geistlichen Herrn -zu meiner Zeit
war es Kaplan Boutsen®- geleitet, dem zwei Laien zur Seite
standen.
Als Sonntagsgeld bekam ich von meiner Mutter 50 Centimes,
das reichte für ein Pfund Fallobst oder sonstige Naschereien. Was
waren wir doch genügsam und bescheiden!
Aber wir erlebten von Zeit zu Zeit doch Höhepunkte, und
zwar, wenn die Verwaltung der Patronage einen Theaterabend
organisierte. Dann waren wir Darsteller. Vermerkt sei noch, daß
wir mit vierzehn Jahren in eine andere Altersgruppe aufstiegen
und die Patronage immer ein Spielerpotential junger Männer bis
zu 18 zur Verfügung hatte.
Diese Theaterabende waren immer bis auf den letzten Platz
besetzt, denn außer einem Drama kam auch jeweils ein Lustspiel
zur Aufführung und wir hatten einige Elemente, die imstande
waren, den Saal zum Brüllen" zu bringen. Ichzitiere nur "Löschete
Jöfke" (Laschet Joseph), der eine besondere Begabung dieser Art
hatte.
Eines Tages wurde uns durch den geistlichen Herrn mitge-
teilt, daß die nächste Theateraufführung der "Wilhelm Tell" sei;
mir hatte man dabei die Rolle des Geßler zugedacht.
Die Tellsage wurde von Ägidius (oder Gilg) Tschudi, dem
"Vater der schweizer Geschichtsschreibung" (1505--1572), in die
bekannte, sichtlich ausgeschmückte Form, gebracht. Durch
Schillers Drama (1802/04) wurde der Tell zum volkstümlichsten
Helden der Schweiz. Rossinis Oper "Wilhem Tell" (1829) trug
ebenfalls nicht wenig zu dieser Popularität bei.
Die Geschichte des Tell beruht auf einer Sage. Der als guter
Armbrustschütze berühmte Tell soll sich dem Bunde zur
Vertreibung der österreichischen Landvögte angeschlossen ha-
ben, jedoch vor dem Ausbruch des Aufstandes in Altdorf von dem
Vogte Geßler gefangen gesetzt worden sein, weil er sich gewei-
gert habe, dem von Geßler dort als Zeichen österreichischer
Hoheit aufgepflanzten Hut die befohlene Reverenz zu erweisen.
(1) Der aus Dilsen stammende Kaplan Boutsen kam 1924 nach Kelmis und
übernahm die Jugendarbeit in der Patronage. Der Kaplan hatte eine schwache
Gesundheit und war zudem Kriegsinvalide. Er starb am 16. März 1931
während eines Erholungsaufenthaltes in der Schweiz( F. Pauquet, Hundert
Jahre Pfarre Kelmis).
80
Ihr sehet diesen Hut, Männer von Uri!
Aufrichten wird man ihn auf hoher Säule,
Mitten in Altdorf, an dem höchsten Ort,
Und dieses ist des Landvogts Will' und Meinung:
Dem Hut soll gleiche Ehre wie ihm selbst geschehn,
Man soll ihn mit gebognem Knie und mit
Entblößtem Haupt verehren - Daran will
Der König die Gehorsamen erkennen.
Verfallen ist mit seinem Leib und Gut
Dem Könige, wer das Gebot verachtet.
(Schiller, Wilhelm Tell, 1. Aufzug, 3. Auftritt)
Um sein durch diese aufständische Haltung verwirktes Le-
ben zu retten, sollte Tell auf Befehl des Vogtes mit der Armbrust
einen Apfel vom Haupte seines Sohnes schießen. Widerstrebend
folgte er dem Befehl, wagte den Schuß und traf glücklich. Da er
vorher einen zweiten Pfeil in seinen Köcher gesteckt hatte, wollte
Geßler wissen, was er damit bezweckt habe, worauf Tell antwor-
tete, dieser Pfeil habe dem Vogt gegolten, wenn der erste den
Apfel verfehlt hätte. Nun ließ Geßler den Schützen auf die Burg
Küßnacht überführen, doch bei der Überfahrt über den von einem
Sturm aufgewühlten Vierwaldstädtersee konnte sich der Verur-
teilte durch einen kühnen Sprung ans Land retten und auf Schleich-
wegen nach Küßnacht gelangen, wo er in einem Hohlweg dem
Vogt auflauerte und diesen durch einen Pfeilschuß tötete. Das soll
sich i J. 1307 zugetragen haben.
Man sieht, in der Patronage schreckte man auch vor "dicken
Brocken" nicht zurück. Die Rollen waren verteilt, die Leseproben
konnten beginnen; dann ging es auf die Bühne.
Zwei Passagen im "Tell" verursachten uns doch einiges
Kopfzerbrechen: da war zum ersten die Apfelschußszene und
zum zweiten die Frage: "Wie soll das gehen, wenn der Tell mit
dem Pfeil auf den Geßler schießt?"
Nun, wir haben uns etwas einfallen lassen und alle erwarte-
ten mit Spannung den Tag der Aufführung. Und der kam. Lampen-
fieber, keine Spur von unbeschwerter Jugend. Aber wir kannten
unsere Rollen.
Es war natürlich unmöglich, die Apfelschußszene so zu
spielen, daß der Junge mit seinem Apfel auf dem Kopf als
Zielscheibe mit auf der Bühne stand. Also spielte sich die Szene
82
folgendermaßen ab: Der Geßler stand mit seinem Gefolge und mit
Tell auf der Bühne, während der Junge hinter den Kulissen
versteckt blieb. Als nun der Schuß fiel und die Armbrust ein
zischendes Geräusch von sich gab, erscholl Jubelgeschrei aus den
Kulissen und der junge Tell stürzte mit einigen Komparsen auf die
Bühne. In jeder Hand hielt er einen halben Apfel.
Wenn man sich die Szene lebhaft vorstellt, kann man verste-
hen, daß der Freudentaumel der mittelbar und unmittelbar Betei-
ligten, die Gesprächsfetzen und das Hin und Her auf der Bühne
den Bluff mit dem Apfel vergessen ließen.
Die Sache war also bestens gelaufen. Blieb nun noch die
Szene mit dem tödlichen Schuß auf Geßler. Während der Proben
hatte mich der Kaplan gefragt, ob ich eine Idee dazu hätte. *
"Jawohl", hatte ich ihm geantwortet, "ich habe mir folgendes
vorgestellt: ich stecke mir ein kleines dünnes Brettchen unter das
Wams, schnitze mir einen Pfeil zurecht mit einer Nagelspitze,
verstecke diesen in meinem Ärmel und wenn der Tell schießt,
drehe ich mich schnell zur Bühnenwand und stecke mir den Pfeil
in die Brust."
Anscheinend hatte der Geistliche auch keinen besseren
Vorschlag und so nahm er meine Idee an.
Die Szene lief an. Ich kam von links mit meinem Gefolge auf
die Bühne; an der anderen Seite stand der Tell hinter den Kulissen
versteckt und schoß mit seiner Armbrust auf mich. Der Bolzen traf
mich am Arm und fiel geräuschvoll zu Boden. Dessen ungeachtet
stieß ich einen Schrei aus, drehte mich zur Bühnenwand, zog
meinen Pfeil schnell aus dem Ärmel, steckte ihn in das Brettchen
unter meinem Wams, drehte mich dann wankend um, stürzte mit
ausgebreiteten Armen und dem Pfeil in der Brust auf die Knie und
starb mit einem letzten Schrei eines gewaltsamen Todes auf der
Bühne. Der Anblick des Geßler, wie dieser da mit einem Pfeil in
der Brust stand, woher er auch immer gekommen sein mochte,
verursachte bei den Zuschauern tiefe Ergriffenheit und im Saal
herrschte Totenstille.
Wohl hatten, als der Bolzen zu Boden kullerte, zwei drei
Kicher laut werden wollen, doch waren diese sehr schnell wieder
verstummt.
Ein lang anhaltender Beifall wurde den Spielern zuteil, die
wieder einmal ihre schauspielerischen Fähigkeiten bewiesen hat-
ten.
83
Ich weiß nicht, wie lange diese Theaterabende noch durch-
geführt worden sind. Man wurde älter und durch Beruf oder
sonstige Gründe verlor man sich aus den Augen. Es hat sich auch
nie einer berufen gefühlt, aus der Schauspielerei mehr als nur
einen Zeitvertreib zu machen.
Übrigens: das Theaterspielen war Männersache! Frauen
oder Mädchen durften in der Patronage auf der Bühne nicht
mitspielen. Wenn eine weibliche Rolle nicht zu umgehen war,
wurde ein Junge in Mädchenkleidung gesteckt, wobei nur auf den
Stimmbruch geachtet werden mußte...
Von den Aufführungen der Theatertruppe der Patronage ist
mir nur eine einzige Abbildung bekannt, und zwar die des "Tell".
So hat dieses vergilbte Bild einen um so größeren Wert, zumal es
auch einige Personen zeigt, die im Laufe der Jahrzehnte auf
politischem oder sozialem Gebiet sich für das Wohl und Wehe der
Kelmiser Bevölkerung eingesetzt haben. Da wären zu nennen der
Gewerkschaftler Laurent Frings, der Abgeordnete und Bürger-
meister Peter Kofferschläger und auch Peter Zimmer, später
Bürgermeister und 2. Präsident der Göhltalvereinigung. Auch
Franz Uebags, der mit seinen Beiträgen über die Geschichte von
Kelmis im allgemeinen und über den Bergwerksbetrieb der Vieille
Montagne im besonderen wertvolles Material zur Gestaltung
dieser Zeitschrift beigetragen hat, ist auf dem alten Foto verewigt.
84
Über das Moresneter Theaterleben
in der Zwischenkriegszeit
von Jos.Bindels
Ein Blick in alte Zeitungen aus der Zeit vor dem Ersten
Weltkrieg genügt, um zu sehen, daß das Montzener Land -von
Baelen/Membach über Welkenraedt und Montzen bis Gemmenich-
ein sehr reges Kulturleben besaß, dessen Träger vor allem die
Musik-, Gesang- und Theatervereine waren. Kultur wurde damals
noch nicht durch Rundfunk und Fernsehen zu den "Konsumen-
ten" gebracht; die dörfliche Gemeinschaft zeigte Eigeninitiative...
Vor allem die Vielzahl der Theatervereine fällt auf. Manche ’
von ihnen waren eigenständige Gruppierungen, andere gingen
aus Gesangvereinen oder Kirchenchören hervor.
Zwischen den Theatergruppen der einzelnen Ortschaften
bestand ein lebhafter Austausch und Aufführungen in Nachbar-
orten waren nicht selten. Auch traf man sich zu regelrechtem
Wettstreit, wo es galt, die besten Theatertruppen zu bestimmen
und auszuzeichnen.
Nach dem Ersten Weltkrieg flaute die Tätigkeit dieser
Theatervereine, die fast alle nur deutschsprachige Stücke aufführ-
ten, in den meisten Orten stark ab. Um so erstaunlicher ist die
Neugründung eines solchen Vereins in Alt-Moresnet i. J. 1922.
Zwar hatte die 1894 gegründete Gesellschaft "Wohlgemuth" (1),
welche die Organisation der dörflichen Festlichkeiten durchführ-
te, schon im Kirmesprogramm des Jahres 1900 "theatralische
Aufführungen" vorzuweisen, doch waren dieselben vom Musik-
verein bzw. dem St. Josephsverein ausgegangen. Auch ein
"Theaterbund" -Moresnet ist uns aus der Teilnahme an einem
"theatralischen Festival" in Welkenraedt i. J. 1907 bekannt. Doch
ist anzunehmen, daß der Erste Weltkrieg einen so starken Ein-
schnitt in das dörfliche Vereinsleben gebracht hat, daß es unmög-
lich war, nach diesen tragischen Jahren nahtlos an Vergangenes
anzuknüpfen und die Neugründung eines Theatervereins sich als
notwendig erwies.
Doch auch diesmal handelte es sich um einen Gesangverein
mit Theatergruppe. Aus den Aufzeichnungen meines Vaters Jos.
Bindels, Jahrgang 1864, seit 1888 in Moresnet-Hoof, Nr. 226,
ansässig, der zu den eifrigsten Theaterspielern Moresnets gehör-
86
der Pfarrpatron Moresnets ist, lag die Namengebung des neuen
Vereins auf der Hand: " Chorale de Chant St Remy", d. h.
Gesangverein St. Remigius.
Die Namen der Gründer sind: Nicolas Gretry, Hubert Bindels,
Jean Bindels, Antoine Bindels, Hubert Voncken, Jean Franssen,
Leopold Brauwers, Ferdinand Dethier, Henri Dethier und Joseph
x Vaessen.
Den ersten Vorstand bildeten Nicolas Gretry (Ehren-
präsident), Joseph Vaessen (Präsident), Jean Bindels (Vize-Präsi-
dent), Ferdinand Dethier (Schriftführer), Hubert Voncken (Kas-
sierer), Joseph Crott (1. Vorsitzender), Henri Dethier (Kommis-
sar), Jean Franssen (Kommissar), Joseph Lausberg und Hubert
Bindels (Regisseure). *
Der Chor wählte in der Person des aus Gemmenich kom-
menden Musikers Jos. Herzet einen sehr kompetenten Dirigenten,
der schon in Moresnet den Musikverein leitete. Zum Fahnen-
träger wurde Joseph Franssen bestimmt.
Schnelles Wachsen des Gesang- und Theatervereins
Gleich nach der Gründung konnte der junge Verein schon 27
aktive Mitglieder verzeichnen. In den nächsten Jahren stieg die
Zahl ständig an, so daß schließlich nicht weniger als 80 Personen
für Gesang- und Theaterdarbietungen zur Verfügung standen.
Viele sind uns mit Namen bekannt:
Herr und Frau Nicolas Gretry
Herr und Frau Ernst Schifflers
Herr und Frau Ferdinand Dethier
Jean Dethier
Henri Dethier E
Charles Pitz,
Frau Bertine Pitz
Fini Pitz
Herr und Frau Hubert Voncken
Joseph Brandt
Hubert Bindels und Kinder Elise, Louis, Joseph
Jos. Bindels jun.
Jean Bindels
Antoine Bindels
Herr und Frau Louis Jägers
Henri Jägers,
87
Leonard Jägers,
Franz Jägers
Leo Jägers
Herr und Frau Eugö@ne Faniel
Martin Faniel
Hubert Faniel
Mimi Faniel
Herr und Frau Jean Drouven
Leopold Drouven
Herr und Frau Jos. Vaessen
Herr und Frau Jean Franssen
Jules Nyssen
Maria Nyssen
Elise Nyssen
Jos. Schillings
Jos. Crott
Jos. Reich
Hubert Ortmanns
Jos. Lausberg
Hubert Duykaerts
Alois Schmetz
Frau Chantrain
Jos. Janssen
Gertrud Meessen
Henri Gutmann
Jos. Schmetz
Frau Gulpen
Gerard Beckers
Andre Werts
Ferdinand Bedenhousen
Pierre Jos. Schmetz
Guillaume Beckers
Frau Hubert Deryck
Elise Radermecker
Frl. Paulus
Jean Alleleyn
(x) Mohnen
Die Aufzeichnungen der Jahre 1925 bis 1937 zeugen von
einer sehr regen Theatertätigkeit der St. Remigius-Truppe. Die
88
Drannatifde Abteilung des Katholifden Yolksucreins
in AWelfenracdt,
Gelegentlid) des *Ojährigen Stifungsfeftes, an den Sonntagen des
20., 27. ftober, 3, und 10, November 1907 :
Großer
(Rs N RO \
mit Rrämien-VBerkofung unter den teilnehmenden Vereinen,
iu Feitjaale des Fatholijchen Bereinshanfes.
Die teilnehmenden Sefelljhaften werden iu Folgender Neihenfolge auftreten : *
Somtag 20. Cftober: Somnutag 3. Yovember :
1. Gejangverein St. Gregoire, Bauken, | '- Iheaterfreunde, Eupen,
2. St. Yofephsverein, Enfival. 2. Verein It. Antoine, Bervier8,
3. Mrbeiterverein St. Paul, Yaclen. |3- Kirchenchor, Sippenaeken,
4. Zheaterverein Eintracht, Lonken. & Zramat, Gejeeheitg Kırtre nous,
LVerviersS.
Sonntag 27. Oktober : 5. Männerquartett, Welfenraedt,
1. La Röäuniso des Travaillenrs, Sonutag 10. November ;
A Yaclen. 1, Concordia, Yrandt.
2. Freundjhaftsbund, Backen. 2. Concordia, Yndrimont.
3. St. Jojep Sverein, Dolhain, 3. Theaterfreunde, Machen.
4. Theaterbund, Moresnet. 4. Dramatijhe YWbteilung der Sit.
5. Theaterfreunde, Welkenracdt, Sojephs-Schüßen, Eupen.
Die Aufführungen beginnen fämtligH punkt 6 Uhr.
Eintrittspreis pro Perfon 50 Et3, ; MAbonnementspreis für die vier
Sonntage 1,25 Fr.
Zu zahlreichen Bejuche adet freundlichft ein
Der Vorftand,
Das Freie Wort (16. 10.1907)
Aufführungen bestanden regelmäßig aus einem Drama (manch-
mal auch zwei ernsten Stücken) und einem Lustspiel. So brachte
die Truppe am 18. Okt. 1925 im Saale Schifflers in Gemmenich
das Drama "Schuldig" gefolgt von dem Lustspiele "Eigensinn".
In Moresnet spielte man am 30. Okt., 7. und 11. Nov. 1926
die Dramen "Brennende Herzen" und "Mein ist die Rache" sowie
das Lustspiel "Die geborgte Braut".
Am 2. Jan. 1927 wurden die Dramen "Das Vater Unser" und
"Die feindlichen Nachbarn" sowie der Schwank "Der siegreiche
Schwiegersohn" aufgeführt.
90
Es folgten am 8. Mai 1927 das Drama "Der ist meiner nicht
wert" und das Lustspiel "Einer muß heiraten".
Dadie Aufführungen immer auf sehr regen Zuspruchstießen
und der Saal jedesmal ausverkauft war, gab man im selben Jahre
noch das Drama "Frührot" und das Lustspiel "Der Herr Profes-
sor". Mit diesen Inszenierungen beteiligte sich Moresnet am
Theaterfestival in Welkenraedt am 25. Sept. 1927.
Soci616 de Chant Saint Remy, Moresnet,
Sonntag 7. Februar 1926
R Im Saale des Hrn, Vaessen
° N 5
Musikal- und Theatral-Konzert.
5 N Abteilung.
1. Halmatrofen‘ Chor von A. Opladen,
2. Es haben zwei Blümlein geblübet » = D. Schrader.
3. Hänsel und Greiel 4 SZ Er Brust:
4. ! m
.
Preziosa
oder
Die Rache der Zigeunerin
Schaufplel In 4 Aufzügen vo. Dr. Joseph Faust.
2. Ableilung.
5. Zum Wald Wandermarfd) von A. Abrenssen,
6. Abendglocken Chor von Fr. Abt,
7, Jm Arm der £iebe Aumoritifche Mazurka vo. W. Hülser,
8. . Bannemann8 Sommerreife,
Schwank In 1 Akt von W, Webels.
Während den Zwifdhenpaufen Auftreten des berühmten
Komikers Hın. Leon. Kohl genannt „Nades3”.
Kaffe 7 Ubr, Elnirilt 2 Fr. 50. Anfong 7 Uhr 30.
Die Freie Presse (27.1.1926)
1928 standen auf dem Spielplan "Hunger und Liebe" sowie
"Des Försters Rosel". Mit "Der Mann der Freiheit" nahmen die
Moresneter am 30. September am Theaterfestival der "Fidelen
Freunde" in Kelmis teil, wo sie ihre Leistungen vor den anderen
teilnehmenden Truppen ( Lontzen, "Fidelia"-Moresnet/Kapelle,
Fidele Freunde Kelmis, Liebhaberbühne Eupen, Societ€
dramatique Moresnet) unter Beweis stellen konnten.
Lontzen spielte bei der Gelegenheit ein "Alaska" betiteltes
Drama und das Lustspiel "Die dummen Auguste".
91
"Fidelia" aus Moresnet-Kapelle brachte "Das Zirkuskind"
und "Die Kotelettsbraut".
Der gastgebende Verein, die "Fidelen Freunde" (2), spielten
"Im dunklen Forst". Die "Dilettantenbühne" aus Gemmenich
brachte "Gerächte Schuld" zur Aufführung und St Remy-Moresnet
stellte sich der Jury mit dem Drama "Die große Schuld" und dem
Lustspiel "Sie kriegen sich".
Die "Liebhaberbühne" aus Eupen war mit dem Drama "Das
achte Gebot" und dem Schwank "Der gebildete Johann" angetre-
ten.
Eine zweite Kelmiser Truppe, die "Tipp-Topp La Calamine"
brachte "Verschmähte Liebe" und "Er soll heiraten".
Am 14. Oktober 1928 finden wir die Theatertruppe "Union"
aus Kelmis, den Gemmenicher Dilettantenbund, die Kelmiser
"Fidelen Freunde", die "Fidelia" aus Moresnet-Kapelle sowie die
"Liebhaberbühne" aus Eupen und die Truppe aus Lontzen zu
einem weiteren Wettstreit in Moresnet versammelt. Lontzen
erzielte mit 375 Punkten das beste Resultat, die St. Remigius-
Truppe mußte sich den sechsten Platz mit Eupen teilen.
Am 25. Oktober 1928 gastierten die Moresneter Spieler in
Henri-Chapelle, wo sie neben dem Drama "Die große Schuld"
und dem Lustspiel "Sie kriegen sich" auch gesangliche Darbie-
tungen brachten, so die Terzette "Die dummen Auguste" und
"Überlistet" und das Duett "Die Obdachlosen".
Auch im Jahre 1929 wurde eifrig geprobt und gespielt. "Die
große Schuld" , "Wenn zwei sich lieben" und "August reist nach
Brasilien" kamen gut beim Publikum an. Die zweite Moresneter
Truppe, die "Fidelia", führte am 3. Februar 1929 "Das Geheimnis
von Felseck" im Saale Vliex (heute "Au Fin Bec") auf.
Gemeinsam mit der Theatergruppe der Kelmiser "Patronage
St Louis" veranstalteten die Moresneter am 21. April 1929 einen
Gesangs- und Theaterabend, wobei "Ehre und Heimat" (Drama in
1 Akt) sowie das Lust$piel "Der Bursche Johann oder Dummheit
über Dummheit" zur Aufführung kamen.
Das Herbst- und Winterprogramm 1929-30 von St. Remigius-
Moresnet weist wieder einige Neueinstudierungen auf: "Das
Strafgericht im Walde" und "Eine Geduldsprobe oder der ver-
wechselte Offiziersbursche". Mit letztgenannter Posse gastierte
St. Remy am 28. Januar 1930 auf Einladung der "Harmonie
Montzen" im dortigen Saal Delannoy.
92
3 Montzen. ZN
” Sonntag, den 7, Fedruar 1926,
veranfialtet die Section dramatique der Sit. Barbara:
G SchüßengefelihHaft
im Saale des Yın. I. Delnoy-Maijenaur ein
as
S % 3
großes dramatifdes Konzert,
Kaffe 6 12 Ubr, Yrogramm, Anfang 7 Ubr.
+ } . +
; 1 NEN an a {5
& a 1 .
Die Dlinde yon Yaris
Schaufpiel In S Akten von D. Schrüh.
RE S’L.eserl ("Eee
£iederfpiel In einem Akt von J. Knelff.
—-——— De Lusterfenk ———
E lössiid) Spöl op Oecher Platt, .-
Die Zwijdenpaufen werden durd Kouplett8 u. Ducttz
= ausgefüllt.
Eniree ; 2.50 a Person.
Der Vorffand hält fich alle Kechtz vor.
Die Freie Presse (27.1.1926)
Neben der Theatertruppe des St. Remigius-Gesangvereins
und der "Fidelia" vom "Eichschen" (Mor.-Kapelle) bestand eine
dritte Theatertruppe in Moresnet, nämlich die schon erwähnte
"Soci&t€ dramatique St Joseph", von der das Gründungsjahr nicht
bekannt ist. Zwischen St Remy und St Joseph bestand ein sehr
freundschaftliches Verhältnis und man half sich gegenseitig im
Krankheitsfalle. Die Mitglieder der "Societ& dramatique" hatten
ihr Vereinslokal im Saal St. Joseph.
1930 wurden wiederum mehrere Dramen und Lustspiele
einstudiert. "Das Bild der Mutter" erntete besonders viel Applaus.
"Kein Heimatland, kein Mutterhaus", ein Singspiel in 1 Aufzug,
und "Der liebe Onkel", eine komische Operette, bereicherten das
Repertoire der Truppe St Remy. Man war zu Gast in Moresnet-
Kapelle im Saale Vliex und in der Kelmiser Patronage. Dort auf
Einladung des Kelmiser Arbeitervereins.
93
"Das Grab in Sibirien" (Drama), "Walzerträume" (Burleske)
und "Rotkäppchen" wurden 1931 einstudiert.
Mit dem "Grab in Sibirien" hätte die Moresneter Truppe
einen Langzeiterfolg. Das Stück blieb auf ihrem Spielplan bis
1933 und wurde am 17. April 1932 in der Patronage in Kelmis und
am 10. Dezember 1933 für den Kirchenchor Bleyberg im dortigen
Saal Christian Wintgens-Philips (3) aufgeführt.
Daneben vergrößerten die Spieler ihr Repertoire mit einer
Reihe von Possen, Schwänken und Lustspielen sowie Gesangs-
darbietungen in der Form von Duetten, Terzetten und Quartetten.
Einige Titel waren "Wippmann auf der Walze", "Der selige
Florian", "Die Vier Studenten" und "Guten Morgen, Herr Fi-
scher".
Am 8. Mai 1932 feierte der Gesangverein St. Remy sein 10-
jähriges Bestehen mit Kirchgang, Frühschoppen im Lokale Ernst
Schifflers (Moresnet-Bahnhof) und anschließendem gemeinsa-
men Mittagessen im neuen Saal Vaessen (4). Dirigent Herzet
hatte für die musikalische Unterhaltung gesorgt und drei Chöre
brachten Geburtstagsständchen. Für die Abendunterhaltung hat-
ten sich die einzelnen Mitglieder durch komische Beiträge ver-
pflichtet und ein abschließender Ball ging erst um halb drei Uhr
in der Frühe zu Ende... S
1933 spielte Moresnet "Die gerächte Schuld" (Drama) und
nahm damit am 15. und 22. April 1934 am Theaterwettstreit der
Gemmenicher Truppe "Frohsinn" (5) im Saale Schifflers in
Gemmenich teil. Neben Moresnet stellten sich der Jury
Der "Dilettantenbund" Gemmenich mit den Dramen "Um
eine Million" und "Säet Liebe",
Henri-Chapelle mit dem Lustspiel "Robert und Bertram",
Bleyberg mit "Du armer Bajazzo"(6),
Die "Theaterfreunde" aus Vaals mit den Dramen "Seelen-
stürme" und "Drama auf Cypern" sowie dem Lustspiel "Ein
Künstlerherz",
Eupen mit "Ben Hessan",
Kelmis "Fidele Freunde" mit dem Lustspiel "Er ist eifer-
süchtig",
Patronage Kelmis mit "Ehre und Heimat".
95
Mit dem Jahre 1937 enden die Aufzeichnungen meines
Vaters, der nach dem frühen Tod meiner Mutter (sie starb 1938 im
Alter von 49 Jahren) die Lust am Theaterspielen verlor und auch
selber krank wurde.
Im Jahre 1937 kamen zur Aufführung "Das Vaterhaus",
"Der Grenadier" und "Die Wunderspritze".
Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte die Theatertruppe des St.
Remigius-Gesangvereins nochmals für einige Zeit auf, doch das
Publikum wurde weniger, die Spieler heirateten und zogen weg...
Wenn die Truppe auch heute schon lange der Vergangenheit
angehört, so hat sie doch das kulturelle Leben in den Zwischen-
kriegsjahren entscheidend mitgeprägt und mitgetragen und ver-
dient es deshalb, nicht vergessen zu werden.
* * * * * * * *
Anmerkungen
1) Die Gesellschaft "Wohlgemuth", 1894 gegründet, zählte zeitweilig an die 40
Mitglieder, darunter viele Eisenbahner. Bei Festlichkeiten zeigte sich die
Gesellschaft mit der Figur des Riesen Goliath, dem später noch ein Riesin
mit Namen Rebecca zugesellt wurde. Beide Figuren sind, wie man sich noch
erinnert, zu irgendeiner Veranstaltung nach Gemmenich "ausgeliehen"
worden und von dort nicht mehr zurückgekommen.
Die "Wohlgemuth" veranstaltete Theaterabende und Kappensitzungen,
organisierte die Kirmes und unterstützte die anderen Ortsvereine bei ihren
Tätigkeiten. Seit 1986 ruhten die Aktivitäten der Gesellschaft, die zuletzt
noch acht eingetragene Mitglieder zählte, und 1994 beschloß man, zum 100-
jährigen Stiftungsfest, am 16. Oktober, nach Kirchgang und Frühschoppen
die Gesellschaft aufzulösen.
2) Die Kelmiser Truppe "Fidele Freunde" hatte in jenen Jahren in der Person
von Leonard Kohl gen. Nades einen der besten Spieler und Regisseure. Am
9. Okt. 1927 wurde unter der Regie von "Nades" zum ersten Male in Kelmis
das Lustspiel "Barong Flöckmösch" von H. Jansen aufgeführt.
3) Der Saal Wintgens ist das heutige "Caf& du Centre",
96
4) Die "Socie&t€ de Chant St Remy" hatte ihr Vereinslokal bei Herrn Jean
Vaessen. Dieser verkaufte Lokal und Saal im Jahre 1932 an Herrn Niessen,
der den alten Saal abreißen und einen neuen bauen ließ. Zum 10-jährigen
Bestehen des Vereins konnte der neue Saal bezogen werden. Herr Niessen
verpachtete den Komplex an Herr Hub. Lausberg; als dieser 1959 kündig-
te, wurden Lokal und Saal verkauft. Der neue Besitzer, Andre Scharis,
vergrößerte die "Salle du Viaduc". 1984 wurde die Gemeinde Eigentümerin
des Ganzen. Der Saal steht den Vereinen für Veranstaltungen gegen eine
Benutzungsgebühr zur Verfügung.
5) Die Gesellschaft "Frohsinn" wurde 1984 aufgelöst. Gemmenich besaß 1929
noch einen weiteren Theaterverein, die "Societ& dramatique Union".
6) Vermutlich war die Truppe aus Bleyberg der Theaterverein "Fidele Freun- _
de”.
97
Der amerikanische Ehrenfriedhof
von Henri-Chapelle
von Alfred Jansen
Eine dunkle Septembernacht im Jahre 1944. Der Krieg war
noch nicht zu Ende und in der weiten Runde war kein Licht zu
sehen. Der Bauer von "Vogelsang" kam spät nach Hause. Gerade
hatte er die von Henri-Chapelle nach Aubel führende Straße
verlassen und war in die Allee eingebogen, die zu seinem etwas
abgelegenen Gehöft führte, als er über ein Hindernis stolperte. Im
flackernden Schein eines Streichholzes erkannte er, in einer Reihe
liegend, tote amerikanische Soldaten. Der Schock war groß und
der Mann stellte sich allerhand Fragen, auf die er keine Antwort
wußte.
Am nächsten Morgen, es war der 17. September, ein Sonn-
tag, sahen die Bewohner von "Vogelsang", die Familien Putters,
Taeter und Simons, die Totengräber bei der Arbeit.
8 U MI Mi AR Y- E
am MILITARY
a
nn am
N 2 0 A
2
Von Anfang an wurde der Friedhof mit Henri-Chapelle, statt, wie es
korrekt gewesen wäre, mit Homburg in Verbindung gebracht.
98
Vorerst war es nun mit der friedlichen Ruhe auf dem weiten
Wiesengelände hinter "Gensterblum" zu Ende. Tag um Tag
brachten amerikanische "Trucks" ihre makabre Ladung. Ein
kräftiger Wasserstrahl säuberte anschließend die Ladeflächen
und schon ging es zurück zur Front, neue Gefallene aufzuladen.
Die Generation, die dieses als Zuschauer miterlebt hat, wird
solche Bilder nie vergessen können. Das war die furchtbare
Zuspitzung des Krieges, der immer noch wütete. Aachen, der
Hürtgenwald und die Rundstedtoffensive forderten in den letzten
Kriegsmonaten noch Tausende von Toten auf beiden Seiten der
Front. Wem das Schicksal nicht gewogen war, der fand seine
vorläufig letzte Ruhestätte auf den Höhen bei Henri-Chapelle.
Am 28. September 1944 wurde der Friedhof seiner Bestimmung *
übergeben.
Da reihten sich nun Tag um Tag, Woche um Woche, immer
mehr weiße Holzkreuze aneinander, breitete sich das Gräberfeld
immer weiter aus. Links die Amerikaner, rechts die Deutschen.
Als im Mai 1945 die Waffen schwiegen, lagen auf der Ebene
17.323 Amerikaner (die Zahlenangaben schwanken leicht) und
10.607 Deutsche begraben. Es war ein hoher Preis, den die
Vereinigten Staaten für unsere Freiheit bezahlt haben. Man muß
bedenken, daß etwa 156.000 Amerikaner auf den europäischen
Kriegsschauplätzen gefallen sind...Es stellt sich die Frage nach
dem Dank, den wir ihnen schulden für das Opfer ihres Lebens,
dem wir die Wiedererlangung einer lange Zeit als illusorisch
geltenden Freiheit verdanken.
Der erste "Memorial Day"
Am 8. Mai 1945 ist auf einmal der lange Alptraum vorbei. Es
kreisen keine Jagdflieger mehr am Himmel, keine
Bombergeschwader ziehen mehr mit ihrer todbringenden Last
über uns hinweg nach Osten. Eine merkwürdige und ungewohnte
Stille liegt über dem Land. Vier Jahre lang waren wir hier an der
Grenze von Belgien getrennt, "deutsch auf Widerruf", hatten die
Bombennächte auf Aachen und Montzen unmittelbar und mittel-
bar erlebt. Jetzt waren sie da, die Amerikaner, die Befreier, die zur
Verständigung mit der Bevölkerung das bis dahin in unserem
Wortschatz nicht vorkommende "O.K." einführten als Ausdruck
beiderseitiger Zustimmung.
99
Der 30. Mai hat in den Vereinigten Staaten die gleiche
Bedeutung wie unser Allerseelentag. Drei Wochen nach Kriegs-
ende erlebten wir auf der Höhe von Vogelsang den ersten
"Memorial Day" in unserer Gegend. Es war eine grandiose
Zeremonie, an der neben zahlreichen hohen amerikanischen
Offizieren General Dwight D. Eisenhower und der Botschafter
der Vereinigten Staaten, Charles Sawyer, persönlich teilnahmen.
Von belgischer Seite hatten sich neben dem Gouverneur der
Provinz Lüttich, Leclercq, die Bezirkskommissare von Waremme
und Verviers, der Hohe kgl. Kommissar Lepage, Abordnungen
der umliegenden Städte und Ortschaften sowie zahlreiche Dele-
gationen patriotischer Vereinigungen eingefunden. Auch die
Bevölkerung der ganzen Umgegend wohnte der Feier in großer
Zahl bei.
Seitdem hat sich der "Memorial Day" in Henri-Chapelle
alljährlich wiederholt und auch die diesjährige Feier, am 27. Mai
N 5
BE
Pd HR 4
£. > a
R ® ee
8 A
1945 wurde der Friedhof noch von deutschen Kriegsgefangenen
unterhalten.
100
1995, die zur Erinnerung an den 50. Jahrestag nach Kriegsende
besonders feierlich gestaltet wurde, stand als Beweis dafür, daß
auch nach einem halben Jahrhundert die auf Vogelsang ruhenden
Soldaten in unserem Andenken weiterleben.
Grabpatenschaften
Schon 1945 wurden viele Gräber gefallener GI's von Einzel-
personen oder Familien der umliegenden Orte "adoptiert", wo-
durch sich diese Personen bzw. Familien verpflichteten, vor allem
zum "Memorial Day" sowie zum 1. und 11. November (Allerhei-
ligen/Allerseelen und Waffenstillstandstag) das Grab, ihr Grab,
mit einigen Blumen zu schmücken. Die allgemeine Grabpflege
war Sache der Friedhofsverwaltung.
In Eupen ließ Bürgermeister Zimmermann kurz vor Weih-
nachten 1946 einen Aufruf an die Bevölkerung ergehen, sich
En
| \m
ae NE
Das Grabkreuz trägt den Namen von Jeannette Van Eccelpoel aus
Welkenraedt, die dieses Grab "adoptiert" hatte.
101
ebenfalls recht zahlreich an der schönen Geste der Grabadoptionen
zu beteiligen und die Gelegenheit zu nutzen, ihren Dank in
schöner Weise zum Ausdruck zu bringen. Einzelpersonen, Verei-
ne und Gesellschaften konnten ihre Bereitschaft dazu bei der
Stadtverwaltung bekannt geben.
Rückführungen
Kurz nach Kriegsende wünschten viele amerikanische Fa-
milien die Heimbeförderung ihrer gefallenen Angehörigen. Der
EP = O
Allerheiligen 1945. Ein schwarzer GI hält Wache am Friedhofseingang.
102
amerikanische Kongreß ging mit dem sog. öffentlichen Gesetz
Nr. 383, das der Präsident am 26. Mai 1945 unterzeichnete, auf
diesen Wunsch ein. Die "New York Herald Tribune" wußte zu
berichten, daß etwa 60% der in Europa gefallenen Amerikaner in
die Heimat übergeführt werden sollten. Dadurch würde sich die
Zahl der Soldatenfriedhöfe von 37 auf 7 reduzieren.
Am 28. Juli 1947 begann man in Henri-Chapelle mit der
Exhumierung der Toten, die in hermetisch schließenden Metall-
särgen zum Einschiffen nach Antwerpen gebracht wurden. Ande-
re Tote kamen von den aufgelassenen Friedhöfen von Fosse und
Foy nach Henri-Chapelle. Als die Umbettungsaktionen beendet
waren, zählte man auf Vogelsang noch 7.889 Gräber. Die deut-
schen Soldaten hatte man nach Lommel (Prov. Limburg)’
umgebettet.
Die ganze Zeit über war der Friedhof für Besucher geschlos-
sen und zur Straße hin durch eine mehrere Hundert Meter lange
Sackleinwand abgeschirmt. Erst Anfang Januar 1950 wurde die
Gedenkstätte der Öffentlichkeit wieder zugänglich; doch war die
Die erste Kapelle auf Vogelsang war ein kleiner, schmuckloser
Barackenbau mit Glockentürmchen.
103
Anlage noch "etwas unfertig". Es dauerte denn auch noch 10
Jahre, bis der Ehrenfriedhof sein endgültiges Aussehen erlangt
hatte. Um die Neugestaltung der Anlage durchführen zu können,
kaufte der belgische Staat das 23 ha große Gelände von der
Familie Duesberg und überlies es dann den Vereinigten Staaten
zum symbolischen Preis von 1 F.
Die Holzkreuze wurden durch weiße Marmorsteine ersetzt,
ein Säulengang mit Kapelle und kleiner Schauhalle errichtet,
Alleen angelegt, Pflanzungen vorgenommen...Drei der auf Vogel-
sang befindlichen Bauernhöfe wurden durch den Friedhof be-
trächtlich verkleinert, während die Wiesen und Weiden des Hofs
"Houdel" oder "Hoddel" ganz in den Friedhof einbezogen wur-
den.
Vor 35 Jahren...
Als die offiziellen Einweihungsfeiern am 9. Juli 1960 im
Beisein hoher belgischer und amerikanischer Persönlichkeiten
stattfanden, war dies für die meisten der Anlaß, nochmals auf die
damals schon 15 Jahre zurückliegenden tragischen Ereignisse
einzugehen. Der amerikanische Botschafter in Belgien, Burden,
drückte die Hoffnung aus, daß dieses Ehrenmal ein Zeugnis der
5 ee Es A
tt ED BET a
a
a r WON NE MR LAT a
en ; ea DE
Der diesjährige "Memorial Day", am 27. Mai 1995, wurde aus Anlaß des
50. Jahrestages der Befreiung besonders feierlich gestaltet. Im Bild der
renommierte "Century College Choir” aus Shreveport (Louisiana)
104
Einheit unter den Völkern werde und ein Symbol der Freund-
schaft zwischen Belgien und den Vereinigten Staaten bleibe. Er
schloß seine Ansprache mit den Worten: "Möge Europa, das seit
den Tagen Julius Cäsars immer wieder blutige Kriege erlebte, in
denen Siege und Niederlagen einander ablösten, endlich unter
dem Eindruck dieser Gräberreihen zu einem Bewußtsein der
gegenseitigen Freundschaft finden und alle Zwietracht verges-
sen."
Als persönlicher Gesandter des amerikanischen Präsidenten
verlas John McCloy eine Botschaft Eisenhowers, der ebenfalls
seiner Hoffnung auf ein gegenseitiges besseres Verstehen unter
den Völkern Ausdruck gab.
Kapitän William Hallam Tuck erinnerte an die bedeutend- "
sten Ereignisse der beiden Weltkriege, wo sich die Freundschaft
zwischen Belgien und den Vereinigten Staaten bewährt habe. Das
Ehrenmal von Henri-Chapelle, das dazu berufen sei, die Erinne-
rung an das höchste Opfer Tausender junger Amerikaner wachzu-
halten, trage zur Festigung dieser Freundschaft bei. "Euch, Belgi-
er, vertrauen wir diese Toten an, die hier ruhen", sagte Kapitän
Tuck. "Wir sind beruhigt, daß sie in Belgien ruhen, in einem
Lande, das uns versteht und das wir lieben."
Reden zur Huldigung der Toten; Reden für Frieden und
Verständigung unter den Völkern...Ist das alles, angesichts der
heutigen Krisen, eine Utopie?
Quellen
Le Soir Illustr€, 1. Nov. 1945
Stassen, Albert, Le cimeti&re americain dit de "Henri-Chapelle" a4 Hombourg-
Vogelsang, septembre 1944 - septembre 1994, Hrsg. Syndicat d'Initiative
Hombourg;
Grenz-Echo, 5.6.1945, 18.9.1946, 30.8.1946, 21.12.1946, 1.3.1947, 24.7.1947,
12.9.1947, 15.11.1947, 11.1.1950, 31. 5.1952, 9.7.1960, 11.7.1960.
Fotos S. 97 - 102 aus dem "Soir Illustr£" vom 1. November 1945, Foto S. 103 von
A. Bertha.
106
Vom früheren Zustand dieses massiven Wohnturms können
wir uns nur eine sehr vage Vorstellung machen. Seit 1832 ist der
12m hohe Turm ohne Dach und somit schutzlos den Unbilden der
Witterung ausgesetzt. Die meisten Blausteingewände sind ausge-
brochen worden. Das Innere ist leer.
Da wir keine älteren Darstellungen von Raaff besitzen,
dürfen wir unserer Phantasie bzgl. der früheren Dachform freien
Lauf lassen.
Die hierunter abgebildete Zeichnung gibt eine mögliche
Form des Dachaufbaus: ein hohes, sehrsteiles Schieferwalmdach,
vonzwei Reihen Gauben durchbrochen und von mehreren Wetter-
fahnen bekrönt.
a
’ 4 KA:
ya
Ya SE
Rn Dane
AM N A BE DR Ya
AN % (| # a e A al A 7 }
EEE A ES 7 a8 5 |
KA En Zr A =
8 SE ia - = nn TE SEP ann |
Be DO = A
So könnte Raaff ausgesehen haben
(Zeichnung eines unbekannten Künstlers)
Der Vergleich mit "Haus Raeren" und anderen Burgen
unseres Landes zeigt, daß das Walmdach durchaus für Raaff in
Frage kommen kann. Der Neigungswinkel wird durch die Höhe
bestimmt und die Zahl der Gauben kann nach Belieben schwan-
ken.
S m
Il
8 SR.
En
M- LO Me
BE DEN
) er DS Sa GO AN
L A E A
Haus Raeren
5 2
x B, 7 Hi 47
Pe AD so 5 9}
KA
n 20} RES {ee Sm N
Y a EMS LAHLUUS S ALLE NE E
» aM YET} N aa
% ‚a re EN:
a Qi #7} FR, 1
LE } nn ah Im mt Ye A
AS ? Ex
din — "WE az A
Turm von Schloß Tongerloo: das Walmdach trägt eine
Zwiebelbekrönung.
108
Be ES en
- Ze zZ =
x DR CB zZ Sa
; ZZ V LE ER en
De
ZN en
a nm 2
EEE ar TE N Di ind
ver PP BEE: BEER BE: ANDENE 5 Bra. Bl 7 (Mu
KR en X m 0 | ll
HM 5 =: AS
ST a aM OWEN DL NEE DAN
A
Ans 7 EZ SS KATZ MD]. vo
I EMO DEE U) DH N 11
N N NY AAO, I
17 DIPL SE ZU Y VA A
fn& ZA N AG Ag LT HEN
we
VER x VE A KO RAN
Sa ZZ, > fi ww 2 AD ‚AA 7 AN a
N KO ZN
Turm mit Walurdach von Schloß Alensberg (Moresnet) i. J. 1680.
Die vorstehenden Beispiele von Walmdächern zeigen einige
der möglichen Dachabschlüsse. Die Zeichnung von Raaff fügt
sich gut ein. Wenn allerdings, wie angenommen wird, Burg Raaff
im 18. Jh. eine Aufstockung erfahren hat, ist es durchaus möglich,
daß man dem Dach einen etwas mehr dem Zeitgeist entsprechen-
den Abschluß gegeben hatte.