Im Söhltal
Landschaft im Grenzraum Nordostbelgiens
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ZEITSCHRIFT DER VEREINIGUNG FÜR
KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
IM GÖHLTAL
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Im Göhltal
ZEITSCHRIFT DER VEREINIGUNG
FÜR
KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
IM GÖHLTAL
Nr 48
Februar 1991
Veröffentlicht mit der Unterstützung des Kulturamtes der
deutschsprachigen Gemeinschaft
Vorsitzender: Herbert Lennertz, Stadionstraße 3, 4721 Neu-Moresnet.
Sekretariat: Maxstraße 9, 4721 Neu-Moresnet, Tel. 087/65.75.04
Lektor: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Kassierer: Fritz Steinbeck, Hasardstraße 13, 4721 Neu-Moresnet.
Postscheckkonto N" 000-0191053-60
Die Beiträge verpflichten nur die Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten.
Entwurf des Titelblattes: Alfred Jansen, Moresnet-Kapelle.
Druck. Hubert Aldenhoff, Gemmenich.
3
Inhaltsverzeichnis
A. Jansen, Zum Umschlagbild 5]
Moresnet-Kapelle
F. Pauquet, Kelmis Die Revolutionsjahre 1789-1794
und das Limburger Land
(2. Fortsetzung und Schluß) 9
M.Th. Weinert, Aachen Zur Nacht 40
A. Bertha, Hergenrath Der Umtausch des deutschen Geldes
im Kreise Eupen i.J. 1920 41
A. Jansen Kelmis im ersten Jahrzehnt
Moresnet-Kapelle nach dem Ersten Weltkrieg 63
A. Bertha, Hergenrath Das Stoßtruppunternehmen
im Gemmenicher Tunnel
am 10. Mai 1940 97
F. Nyns, Walhorn Tätigkeitsbericht 1990 103
6
Das zweigeschossige Herrenhaus, ein Wohnturm aus Sand-
bruchsteinen unter einem hohen hohlziegelgedeckten Walmdach, ruht
auf einem mächtigen vorstehenden Sockel und wird an den Kanten von
mehr oder weniger regelmäßig versetzt angeordneten Quadersteinen aus
heimischem Kalkstein gerahmt. Die vierachsige, nach Nordosten
ausgerichtete Front hat unsymmetrisch angeordnete Rechteckfenster
aus dem 18. Jh., manche mit Keilstein im Fenstersturz. Einige Ent-
lastungsbögen weisen noch auf frühere Fensteröffnungen hin. Die
rundbogige Eingangstür, früher über eine Zugbrücke zu erreichen, steht
in einem rechteckigen Zugbrückenrahmen. Auch die Nordwestseite des
Hauses hat unsymmetrisch angeordnet vier Achsen. Einige Fenster
haben einen Sturz in Treppenstufenform. Im Südosten weist Groß-
Weims im Sockel noch zwei Schießscharten auf; zwei Fenster dieser
Seite sind noch aus dem 16. Jh. und tragen einen dreieckförmigen Sturz.
Auch die Südwestseite trägt einige interessante bauliche Merkmale, so
Schießscharten im Sockel und im Obergeschoß, ein zugemauertes
Quersprossenfenster sowie die Spuren einer Außenlatrine, die auf starken
Steinkonsolen ruhte.
Ursprünglich war der gesamte Gebäudekomplex von Was-
sergräben umgeben. Durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges war
Groß-Weims stark in Mitleidenschaft gezogen worden; so meldete Anna
Maria von dem Hirz gen. Landskron dem Aachener Lehnhof am 1. April
1651, «daß vor 8 Tagen ein großer Teil der Mauern des Schlosses Weims
eingestürzt wäre, und daß dasselbe, weil es im Baue nicht unterhalten
; würde, sehr baufällig geworden wäre. Der Pächter des Guts erklärte: er
hätte dem jr. Hermann von Hirz Landskron, Vater der Fräulein Anna
. Maria, öfters den baufälligen Zustand des Schlosses vorgestellt, der
Verstorbene hätte aber von Reparation desselben nichts wissen wollen.»
Christian Quix, der diese Urkunde aus dem Aachener Marienstift zitiert,
schreibt weiter: «Es war Pflicht der Vasallen, die Schlösser und Häuser
oder Stocklehen-Gebäude immer im guten Baue zu erhalten, dieselben
gar nicht verfallen zu lassen. Durch die kriegerischen Zeiten unserer
Gegenden hatte das Haus Weims sehr gelitten und war baulos geworden.
Die Dämme seiner vier Teiche waren von den Soldaten durchstochen
worden, die Fische desto leichter zu erhalten.» (Quix, Kreis Eupen, S.
114-115)
Bei einer damals vorgenommenen oberflächlichen Wieder-
herstellung wurden die Wassergräben, welche die gesamte Anlage
einschließlich der zweiflügeligen Vorburg umschlossen, zum großen
Teil zugeschüttet. Nur um den eigentlichen Wohnturm blieben die
Gräben noch erhalten.
Kommen wir nochmals kurz auf die Geschichte des Hauses und
dessen Besitzerfolge zurück. Zu Beginn des 15. Jh. war Groß-Weims im
%
Besitz derer von Weims, genannt von dem Wambach (Waymbach).
1448 erwirbt Thomas Malherb(e) von Liberme€ das Haus. Dessen Tochter
Elisabeth heiratet Johann von Hagen gen. von Merols. Diese Eheleute
werden 1490 mit Groß-Weims belehnt. Die Tochter Johanna heiratet in
erster Ehe Wilhelm von Weims und in zweiter Ehe Dietrich von Hir(t)z
gen. Landskron.
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Wappen des Diederich von Weyms, 1425
Der Sohn aus zweiter Ehe, Wilhelm von Hirz gen. Landskron,
wurde 1551 mit Schloß Weims belehnt. Damals entstand der heutige
Bau, bei dem sich aber der Bauherr so arg verschuldete, daß er den Besitz
seinem Onkel, Hermann von Hirz und dessen Gattin, Katharina
Kleingedank gen. Mommerloch, verkaufen mußte. Der Sohn und Erbe
Isaak von Hirz gen. Landskron verkauft Weims nach dem Tode seiner
Eltern an den Bruder seiner Mutter, Kaspar Kleingedank gen. Mom-
merloch. Nach dessen Tod fällt der Besitz an Isaak von Hirz zurück, der
seinen Sohn Johann zum Erben einsetzt. Durch Tausch geht Groß-
Weims an den Bruder Hermann von Hirz und in der Folge an den Enkel
Johann Hermann Dietrich von Hirz gen. Landskron. In den Jahren 1674
bzw. 78 ging das stark verschuldete Ketteniser Anwesen an den Aachener
Bürgermeister Johann Bertrand von Wylre, dessen Sohn Hubert Friedrich
Hyacinth das Haus 1710 an Frau Henrica von Brandt, verwitwete von
Thenen, verkauft. Deren Tochter Susanne von Thenen verkaufte Groß-
Weims 1740 an den K.u.K. General Leopold von Palfi von Erdöde.
8
Dieser tauschte es mit anderen Gütern 1755 gegen das Dorf Iserim in
Ungarn, das der Gemahlin des Freiherrn Adolf von Berge zu Trips
gehörte. Von Letzterer ging die Wasserburg im folgenden Jahr an den
Walhorner Drossard Lambert Rasquin. Dieser läßt eine «dringend
nötige und gründliche Wiederherstellung» (Reiners) der Burg vornehmen.
U.a. erhielt das Herrenhaus die heute noch vorhandenen Stichbogen-
fenster, die Zugbrücke wurde entfernt, der Graben vor der Hauptfront
zugeschüttet. Die anderen Wassergräben blieben erhalten, verschlammten
aber nach und nach.
Durch Testament vom 30.8.1773 kommt Groß-Weims an Johann
Wilhelm Poswick (1780), nach dessen Tod an den Sohn Peter Andre
Wilh. Jos., der das Haus 1828 dem Eupener Bürgermeister Andreas
Joseph Franz von Grand’Ry verkauft. 1852 wurde das Dach des Hauses
durch einen Großbrand so stark beschädigt, daß es vollständig erneuert " 1
werden mußte. Die Familie von Grand’Ry blieb im Besitz von Weims
bis zum Jahre 1919, wo Andreas Joseph Julius von Grand’Ry sein
väterliches Erbe den Brüdern Nikolaus und Hubert Miessen verkaufte.
1929 wurde der Erstgenannte alleiniger Besitzer der alten Wasserburg.
1990 konnte die Familie Miessen mit Hilfe der Denk-
malschutzkommission den alten Herrensitz von Grund auf renovieren,
wobei die Erhaltung der alten Bausubstanz oberstes Gebot war. Der
Wassergraben, der das Schloß von drei Seiten umgab, aber vollständig
verschlammt war, wurde wieder gereinigt, die Südmauer des Schlosses
neu hochgezogen, der Dachstuhl konsolidiert. Auch im Innern des
Hauses wurden zahlreiche Arbeiten ausgeführt, die das Bild der alten
Wasserburg erhalten, gleichzeitig aber auch den Bau so gestalten, daß er
heutigen Wohnansprüchen genügt. Beim «Tag der offenen Tür», am 13.
Okt. 1990, konnten sich die Besucher von der neugewonnenen Schönheit
der alten Wasserburg überzeugen.
Quellen: }
Das Umschlagbild ist entnommen aus:
G. Poswick, Les Delices du Duche de Limbourg.
Der Text stützt sich auf G. Poswick, op. cit., S. 337-342.
Chr. Quix, Beiträge zu einer historisch-topographischen Beschreibung
des Kreises Eupen (Aachen, 1837),
Reiners, H. u. Neu, H., Die Kunstdenkmäler von Eupen-Malmedy,
(Schwann, Düsseldorf, 1935),
Minist@re de la Communaute francaise (Hrsg;), Le patrimoine monu-
mental de la Belgique, vol. 12.1, Prov. de Liege, tome 1, Vlg. P. Mardaga.
9
° ° .
Die Revolutionsjahre 1789-1794
und das Limburger Land
(2. Fortsetzung und Schluß)
von Firmin Pauquet
Weitere Auseinandersetzungen im Limburgischen
Im Juni 1791 zogen die Generalstatthalter Erzherzog Albert
und Erzherzogin Maria Christina nach Brüssel zurück. Am 13. Juni
wurden sie mit Begeisterung durch die Behörden und die Bevölke-
rung der gesamten Provinz Limburg empfangen (58).
Die durchgeführte Reform der Stände brachte aber nicht die
erhoffte Aussöhnung. Im Juni 1791 entstanden Auseinandersetzun-
gen zwischen Anhängern der ehemaligen Patrioten und ehemaligen
Freiwilligen in Eupen, wie Fiskalrat Havenith den Generalstatthal-
tern meldet. Anläßlich der Erneuerung des Magistrats konnten die
Konservativen vier ihrer Anhänger in den Magistrat entsenden.
Auditor Wunsch berichtete dem Staatssekretär hierüber am
1. Juli.
Am 5. Juli wurde der neue bevollmächtigte Minister Graf von
Metternich-Winneburg (59) auf der Durchreise nach Brüssel in Her-
ve empfangen. Dieser erhielt kurz danach am 31. August eine Denk-
schrift des Herver Pfarrers P.S.C. Lys, die mehrere kaisertreue Be-
amte wegen ihrer rachsüchtigen Einstellung gegen frühere Anhän-
ger der brabantischen Patrioten scharf angreift. Angezeigt wurden
Auditor Wunsch, Rechtsanwalt Du Faur, Gerichtsschreiber bei der
Domänenkammer zu Herve, und die Freiwilligen, denen vorgewor-
fen wurde, verschiedene Geistliche lächerlich machen zu wollen. Im
September herrschte wieder Unruhe in Herve und Eupen.
Kurz darauf kam es zu einer neuen Auseinandersetzung bezüg-
lich des Obersten Gerichtsrates, der am 30. Juli 1789 zu Limburg
eingerichtet worden war und dessen Mitglieder stets der kaisertreu-
en und demokratischen Partei angehört hatten. Die brabantischen
Stände und der Souveräne Rat von Brabant verlangten die Aufhe-
bung des Gerichtsrates. In Limburg selbst wurden sie nun durch die
konservative Partei unterstützt. Dieselbe brachte es fertig, die Magi-
strate von Herve und Eupen sowie die Gemeindevorsteher der mei-
sten Gemeinden der ”flämischen” Banken dahin zu bringen, sich ih-
nen anzuschließen. In seiner Denkschrift sprach sich der Herver
Pfarrer Lys auch für die Aufhebung aus, um die demokratische Par-
10
tei einer ihrer stärksten Stützen zu berauben. Im November brachte
Ratskonsulent Wildt als Gegenargument vor, der Oberste Gerichts-
rat müsse bestehen bleiben, damit die Kaisertreuen nicht den Ge-
richten der konservativen Adligen und dem reaktionären Souverä-
nen Rat von Brabant ausgeliefert würden.
Einstweilen entschied die Wiener Regierung, nichts zu ändern,
so daß der Oberste Gerichtsrat zu Limburg weiter bestand.
Allgemeine Entwicklung der Lage in den Niederlanden
Wie in Limburg, hatten auch in den anderen Provinzen inzwi-
schen die Parteigänger von Francois Vonck an Boden gewonnen,
wie die Generalstatthalterin dem Kaiser im Juni 1791 meldete. Am
14. Juli vermerkte sie, daß die ”französischen Prinzipien furchtbare '
Fortschritte in mehreren Provinzen machten” und am 19. Dezem-
ber schrieb sie, daß das demokratische System immer mehr Anhän-
ger, sogar in den kaisertreuen Provinzen Limburg und Luxemburg,
gewinnen konnte. Die hochmütige Haltung der französischen emi-
grierten Adligen, die nach der mißglückten Flucht Ludwigs XVI. im
Juni sich immer zahlreicher in den Niederlanden aufhielten, konnte
in der Bevölkerung nur eine Reaktion zugunsten der Demokraten
verursachen. Da sie nun aber eine Entwicklung nach französischem
Muster befürchteten, distanzierten sich die Generalstatthalter im
August 1791 von den Demokraten. Der Vorsitzende der Brüsseler
Gesellschaft der Freunde des allgemeinen Wohls, Edouard von
Walckiers (60), zog sich nach Lille zurück, wo der kranke Francois
Vonck geblieben war. Von der österreichischen Regierung ent-
täuscht, radikalisierte Walckiers seine Auffassung und bildete im Ja-
nuar 1792 mit den schon immer radikaleren Lüttichern ein ”Comite
general des Belges et Liegeois Unis”, in welchem auch der Journalist
Pierre Lebrun eine maßgebende Rolle spielte, u.a. bei der Aufstel-
lung eines gemeinsamen Manifestes im April (61). In diesem Mani-
fest wurde nun die Gründung einer Republik erstrebt, in welcher
Lüttich und die Niederlande vereinigt würden. Somit hatte der radi-
kale Flügel der Demokraten gänzlich mit Habsburg gebrochen. Die
gemäßigten Demokraten wie Vonck blieben aber weitgehend ab-
seits.
Das neue Komitee wurde von den Franzosen unterstützt, ins-
besondere durch die Girondisten Charles Francois Du Perier, ge-
nannt Dumouriez (* Cambrai 1739, + 1823), Außenminister vom
10. März bis zum 15. Juni 1792, und Pierre Henri Lebrun, den frü-
heren ‚Herausgeber des ”Journal General de I’Europe” und
Außenminister nach dem 10. August 1792.
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L’AN 4 DE LA LIBERTE FRANGCOISE (ayril 1792 )
(Liege, Biblioth&que de l’Universite, cote X1L.48.7.)
«La constitution dont le « Manifeste des Belges et Li&geois unis »
promulgue les principes, est un des symplömes les plus caracteristiques
de cette foi naive dans les lumi&res de la raison abstraite et dans la
vertu du peuple... » (Voyez le texte, p. 293.)
Page de titre du Manifeste des Belges et Liegeois unis. Publie A Paris « V’an IV
de la liberte francaise ». En realite, {1 date d’avril 1792.
Titelseite des Manifestes der vereinigten TE und Lütticher
(Universitätsbibliothek Lüttich)
12
Im benachbarten Fürstbistum Lüttich wurde die demokrati-
sche Radikalisierung noch durch die reaktionäre und rachsüchtige
Haltung des zurückgekehrten Fürstbischofs Constantin von Hoens-
broeck (62) begünstigt, der am 10. Februar 1791 durch Herve zog.
Der Krieg mit Frankreich
Wegen der unruhigen Lage in Frankreich zogen im Laufe des
Jahres 1792 immer mehr österreichische Truppen durch Limburg
und die südlichen Niederlande zum Schutze der Grenze gegen
Frankreich. In Frankreich selbst bereitete die Girondistenpartei den
Krieg vor, um dem Treiben der emigrierten Adligen in den Nieder-
landen und im Rheinland ein Ende zu machen. Sie erhoffte sich .
auch eine Untertstützung unter den Nachbarvölkern. Inzwischen
war Leopold II. am 1. März gestorben. Sein Sohn, Franz II. (* 1768,
H. 1972, + 1835), folgte ihm in den Habsburgischen Erbländern und
als dt. Kaiser. Gekrönt wurde er in Frankfurt am 14. Juli 1792. Im
April bewilligte die Generalversammlung der limburgischen Stände
die jährliche Beisteuer für 1792 und am 27. August noch zusätzlich
eine außerordentliche Beisteuer.
Am 27. April beauftragten die Generalstatthalter den Zivil-
kommissar Wunsch mit der Wiederherstelllung des limburgischen
Freiwilligenkorps, das zur Verteidigung der Provinz dienen sollte.
Am 18. Mai wurde eine Kompanie in Eupen stationiert sowie Po-
sten in Herve, in verschiedenen Ortschaften der Grenze gegen Lüt-
tich und an der Ourthe in den ”Herrschaften jenseits der Wälder”
stationiert. Da für Limburg keine Gefahr zu befürchten war, beschlos-
sen die Generalstatthalter Ende Mai wieder die Auflösung des Korps,
wahrscheinlich aus finanzieller Überlegung. Die meisten Freiwilli-
gen wollten aber auch außerhalb ihrer Provinz weiter dienen. Das
Korps wurde am 24. Juni nach Namur beordert; es zählte
285 Mann unter 20 Offizieren. Am 27. August übernahm der Eupe-
ner Michel von Grand’ Ry das Kommando über das Korps. Am
19. August um 20.00 Uhr konnte eine Abteilung der Limburgischen
Freiwilligen den geflüchteten französischen General Marie Joseph
Motier Marquis de La Fayette (* Chavaniac 1757, + Paris 1834),
bei Rochefort festhalten. La Fayette hatte als Oberbefehlshaber der
Garde Nationale vergebens versucht, dieselbe zur Befreiung des Kö-
nigs einzusetzen. Ludwig XVI. war einige Tage vorher, am 10. Au-
gust, vom Pariser Volk gestürzt und am 13. von der Pariser Kom-
mune in Haft genommen worden.
13
Die französischen Revolutionsheere unter Dumouriez und
Kellermann konnten das preußische Invasionsheer unter Herzog
Karl Wilhelm von Braunschweig am 20. September bei Valmy zum
Rückzug zwingen. Darauf gingen sie dann zur Offensive über. Die
Sambre-Maas Armee unter Dumouriez siegte am 6. November über
die Österreicher bei Jemappes im Hennegau und fing anschließend
die Eroberung der habsburgischen Niederlande an. Am 5. Novem-
ber hatte Zivilkommissar Wunsch seinen Sekretär Lemaire aufge-
fordert, die Verwaltungsakten heimlich einzupacken und nach Aa-
chen in Sicherheit zu bringen (63). Am 13. November zogen sich die
Generalstatthalter nach Roermond in Obergeldern zurück. Am 20.
bewilligten die Limburger Stände noch die Beisteuer für 1793 und
am 21. beschlossen sie eine Deputation zu den Franzosen zu entsen-
den, falls deren Heere nach Limburg zögen. Die Deputation soll-
te die Franzosen bitten! wie Freunde zu handeln und jedermann
in seinen Besitzungen und Ämtern entsprechend der Verfassung der
Provinz zu belassen. Aus Furcht vor den Franzosen wurde die Re-
gierung gebeten, das Freiwilligenkorps aufzulösen.
Die erste französische Besetzung (Dezember 1792 - März 1793)
Nach seinem Sieg bei Jemappes hatte General Dumouriez am
8. November den Belgiern die Unabhängigkeit versprochen, inso-
fern eine auf die Volkssouveränität sich basierende Regierung ge-
gründet würde. Dies entsprach der damals in den Regierungskreisen
der Republik vorherrschenden Theorie der Gründung von Schwe-
sternrepubliken, die der Leiter der Girondistenpartei, Jacques Bris-
sot, noch am 21. November vertrat. So wurden auch Provinzialver-
sammlungen in Flandern, im Hennegau, im Tournaisis und in Na-
mur gewählt.
Dumouriez selbst wünschte sich die Wahl einer Nationalver-
sammlung; dagegen wollte das Komitee der vereinten Belgier und
Lütticher zuerst die Bildung einer provisorischen Regierung. Die
Lütticher Demokraten sprachen sich ihrerseits für den Anschluß an
Frankreich aus und in Brabant widersetzten sich die ”Statisten”
(- die Anhänger Van der Noots -) noch immer jeder Verfassungsän-
derung. Die französische Regierung und der Nationalkonvent än-
derten kurz darauf ihre Meinung. Brissot sprach sich schon am
26. November für die Festlegung der Grenze am Rhein aus. Am 31.
Januar 1793 verlangte Georges Danton ausdrücklich den Anschluß
Belgiens an die Französische Republik in Anlehnung an die neue
”Lehre von den natürlichen Grenzen”. Die siegreiche französische
14
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| General Charles-Francois Dumouriez
Armee erreichte das limburgische Gebiet am 10. Dezember 1792,
nachdem die Österreicher noch am 5. Dezember die Vorhut bei Sou-
magne zurückgeschlagen hatten. Der Herver Magistrat sandte eine
Delegation zum Oberbefehlshaber, General Dumouriez, um ihm die
Meinung über eine angeblich französischfeindliche Haltung der
Limburger auszureden. Die französische Vorhut erreichte Herve am
12. Dezember. Sie wurde unter Vivatrufen empfangen. Dieser Emp-
; fang war bei der Menge wahrscheinlich nur durch die Furcht vor
der Plünderung begründet. Auch der Limburger Bürgermeister Del-
court begab sich am 13. Dezember zum General Fregeville nach
Verviers, um den Franzosen zu gratulieren. Am 14. Dezember zo-
gen die Franzosen in Clermont ein und am 15. erschienen die fran-
16
Durch Dekret des Nationalkonvents vom 12. pluviöse des Jah-
res I (31. Januar 1793) wurde die Bevölkerung der Niederlande auch
verpflichtet, sich über die Form der Regierung innerhalb von vier-
zehn Tagen in sogenannten Primarversammlungen auszusprechen.
Am 3. nivöse des Jahres I (3. Dezember 1792) hatten schon solche
Versammlungen in Spa und Theux, in der benachbarten Markgraf-
schaft Franchimont, den Anschluß an Frankreich verlangt. Im sel-
ben Sinne sprachen sich Lüttich und die zu Stablo-Malmedy gehö-
rende Grafschaft Logne aus (65).
Die Nationalkommissare erschienen erst im Februar 1793. Die
bis dahin durchgeführten Wahlen der Gemeindeverwaltungen er-
klärten sie als nichtig, da die Wähler den vorgeschriebenen Eid nicht
geleistet hatten. ä
Neue Wahlen wurden nur in wenigen Ortschaften (Herve,
Housse, Hodimont, Bombaye, Esneux) und dies nur mit sehr be-
schränkter Beteiligung durchgeführt. Darunter wird gar keine ”flä-
mische” Ortschaft, auch nicht das Industriezentrum Eupen, er-
wähnt. Dies zeigt, daß die Limburger in ihrer allergrößten Mehrheit
kaisertreu geblieben waren. Auch unter den Demokraten zeigten
sich nur die Gebrüder Fafchamps aus Housse als ausdrücklich fran-
zösischfreundlich. Einige Radikale bildeten wohl Jakobiner-
clubs in Herve und in Hodimont.
Französische Truppen unter Colonel Pierson und General
Neuilly blieben den Winter durch in der Bank Walhorn einquar-
tiert.
Die zweite österreichische Restauration
(März 1793 - September 1794)
Am 1. März 1793 wurden die Franzosen bei Aldenhoven an
der Rur durch die kaisertreuen Truppen unter Friedrich Josias Her-
zog von Sachsen-Coburg zurückgeschlagen. Am darauffolgenden
Tage zogen sie sich nach Straßenkämpfen aus Aachen zurück. Aus
Raeren nahmen sie unter Plündern und Brandschatzen Abschied,
wie der dortige Pfarrer Vincken für den 1. und 2. März 1793 berich-
tet.
Laut Bericht der Stände wurden die Österreicher, "leichte Rei-
terei und Tiroler Schützen”, überall mit Begeisterung empfangen
und die Freiheitsbäume umgehauen und verbrannt. Der bevoll-
mächtigte Minister, Graf von Metternich-Winneburg, beschloß am
8. März, das limburgische Freiwilligenkorps bestehen zu lassen.
18
Später wurden Offiziere der Freiwilligen anderen Regimentern
zugewiesen und das Korps aufgelöst. Eine ”Legion Erzherzog Karl”
von zwei belgischen Kompanien wurde im Juni gebildet. Diese Le-
gion wurde bei den Schlachten zu Sprimont, Herve und Clermont
stark aufgerieben. Im Jahre 1798 wurden die letzten Truppenkräfte
der Legion den kaiserlichen Linienbataillonen 2 und 14 zugewiesen.
Darunter befanden sich aber keine Limburger mehr.
Der Zivilkommissar Wunsch ließ die von den Franzosen in
Herve und Henri-Chapelle zurückgelassenen Sachen nach Maas-
tricht überführen. Ab dem 11. März mußten die limburgischen Ge-
meinden Fuhrwerk zum Nachschub der österreichischen Armeen
nach Maastricht zur Verfügung stellen, so z.B., am 18. März, die
Bank Baelen 50, Henri-Chapelle und Eupen jeweils 6, die Bank Wal-
horn mit Lontzen 50 Fuhrwerke. Am 3. April wurde der Durchzug )
dreier Regimenter mit drei schweren Artilleriezügen angekündigt.
Im Notfall wurden die Bauern gezwungen, Fuhrwerke zu stellen, so
der Christian Stevens aus Homburg, am 16. April. Der Herver Ma-
gistrat beklagte sich am 25. April über die Grobheit der einzuquar-
tierenden Soldaten. Im Mai wurden die Arbeiter des Altenberges in
Kelmis zur Instandsetzung der Straße im Aachener Wald eingesetzt.
Im Monat Juni befürchtete man wieder Unruhen am Aubeler
Markt wegen der Kornteuerung: 5 Dragoner und 12 Infanteristen
wurden aus Lüttich als Ordnungshüter hingeschickt. Im Juli über-
prüfte Zivilkommissar Wunsch die Möglichkeit, weitere Truppen-
abteilungen über Verviers und Theux durchmarschieren zu lassen,
um das überstrapazierte Limburger Land etwas zu schonen. Ende
Juli und Anfang August zogen französische Kriegsgefangene durch,
die in einer Wiese bei Clermont übernachteten. Am 9. August ent-
deckte man bei Franck in Moresnet einen versteckten französischen
Munitionswagen, der am 24. unter guter Bewachung nach Lüttich
gefahren wurde.
Nach dem Sieg der Kaiserlichen bei Neerwinden im Hespen-
gau, am 18. März 1793, konnten die gesamten südniederländischen
Provinzen wieder unter habsburgische Herrschaft zurückgeführt
werden. In Limburg versammelten sich die Stände am 22. März und
die alten Behörden und Gerichte nahmen wieder ihre Amtsgeschäf-
te auf. Die Stände verlangten in mehreren Denkschriften, so u.a. am
10. und 23. Mai, die sie dem bevollmächtigten Minister zusandten,
die Bestrafung der stürmerischen Anhänger der französischen Re-
publikaner.
Besonders wurden die Gebrüder Fafchamps genannt, die aber
mit den Franzosen geflohen waren.
19
Als Generalstatthalter hatte der neue Herrscher Franz II. sei-
nen Bruder Erzherzog Karl (* 1771, + 1847) (66) nach Brüssel ent-
sandt. Am 18, Mai teilte dieser den Limburger Ständen den Willen
des Kaisers mit, das Gerichtswesen der Provinz wieder so zu organi-
sieren, wie es unter Maria Theresia gewesen war. Der oberste Ge-
richtsrat wurde nun aufgehoben und Limburg wieder der Zustän-
digkeit des Souveränen Rates von Brabant unterstellt. Im Dezember
sandten die Stände eine Deputation zum Generalstatthalter nach
Brüssel, um die Bestrafung der Gebrüder Fafchamps, die seit Mai
wieder aufgetaucht waren, und die Abschaffung der ”Kommission
der öffentlichen Lasten” zu beantragen.
Der Einzug der Österreicher in Brüssel mit dem Erzherzog
als General-Gouverneur der Niederlande, am 26.3.1793
Anfang 1794 befürchtete man wieder einen französischen Ein-
fall. Kaiser Franz II. beschloß, sich persönlich zum Schlachtfeld zu
begeben. Er wurde am 8. April an der limburgischen Grenze im Aa-
chener Wald beim Biltgen von einer Delegation der Stände empfan-
gen. In Battice wurde er von der Generalversammlung der Stände
mit Begeisterung aufgenommen und übernachtete in Herve. Am 23.
April 1794 wurde Franz II., nachdem er den Eid der ”Blyden In-
komst” oder ”Joyeuse Entree” abgelegt hatte, feierlich als Herzog
20
von Brabant und Limburg eingesetzt. Im Jahre 1794 werden zusätz-
liche Donativgelder (67) als ”dons patriotiques” zur Kriegsführung
seitens der Stände gewährt. Am 9. Mai 1794 verabschiedeten die
limburgischen Stände einen ”Tarif d’une imposition pour fournir
aux deux Dons gratuits accordes a Sa Majeste l’Empereur et Roi
pour les frais de la guerre”. Jedes Mitglied der beiden privilegierten
Stände, Adel und Klerus, wurde mit 58 Gulden, 10 Stüber besteu-
ert, desgleichen der Präsident des ehemaligen Obersten Gerichtsra-
tes von Limburg.
Jedes Mitglied des Dritten Standes wurde mit 19 Gulden,
10 Stüber belastet. Die höheren Beamten der Stände und der Regie-
rung sowie die ”seigneurs haut justiciers”, Besitzer einer hohen Ge-
richtsbarkeit, mit je 39 Gulden. 4
Alle Pfarrer mit 8 Gulden.
Alle Tuchfabrikanten mit 1 Gulden pro beschäftigten Scherer.
Die Wollkaufleute mit 50 Gulden.
Die Nagelkaufleute mit 10 Gulden.
Die Raerener Pottbäcker mit 2 Gulden pro Ofen.
Jeder Krämer, je nach Einstufung in einer der drei vorgesehenen
Klassen, von 3 bis 10 Gulden.
Jeder Einwohner, je nach Einstufung in einer der vier vorgesehenen
Klassen, von 1 Stüber bis 1 Gulden. .
Pro Pferd, je nach Benutzung, 10 Stüber bis 4 Gulden.
Pro Kuh oder Ochsen sowie Hund 10 Stüber.
Pro Schaf, Ziege oder Schwein 1 Stüber.
Den Gemeindevorstehern (regents) wird vorgeschrieben, die
Aufstellung aller Steuerpflichtigen innerhalb vierzehn Tagen bei
den Kanzleien der Stände und den Steuereinnehmern einzureichen.
Letztere sollen anschließend die Steuer innerhälb der drei nächsten
Wochen eintreiben.
Die Beamten der Herver Kasse für Ein-, Aus- und Durchfuhr-
zölle senden schon am 7. Juni 1794 die eingereichten Aufstellungen
der Donativgelder vom 26. und 31. Mai an den Finanzrat.
Einige eifrige Vertreter der kaisertreuen Partei hatten ihren
Anteil schon vor der Veröffentlichung des Steuertarifs seitens der
Stände bezahlt, so am 4. Mai der Gerichtsratspräsident Legro und
der Fiskalanwalt Havenith jeweils 50 Gulden.
Zusätzlich zur festgelegten außerordentlichen Steuer wurde
noch als weitere ”patriotische Gabe” der Regierung eine zinslose
Anleihe für die Dauer des Krieges gewährt.
22
Die österreichische Restauration sollte aber nicht lange dau-
ern. Am 27. Juni siegte die französische Sambre-und-Maas-Armee
unter General Jean-Baptiste Jourdan (* Limoges 1762, + Paris 1833)
bei Fleurus. Am 29. Juni riet Zivilkommissar Wunsch seinem Sekre-
tär Lemaire in Herve wieder zu packen. Die Franzosen zogen am
10. Juli in Brüssel und am 27. Juli in Lüttich ein. Zuerst hielten die
Österreicher noch die Ourthe-Maas-Linie. Nach der verlorenen
Schlacht bei Esneux, am 18. September 1794, zogen sie sich dann
östlich der Rur zurück.
Der Zivilkommissar Wunsch hatte sich nach Deutschland ab-
gesetzt; am 14. Oktober schrieb er aus Spich seinem Sekretär Lemai-
re unweit Siegburg, daß er sich nach Wetzlar und Frankfurt zurück-
ziehen werde.
Bei ihrem Wegzug wollten die Österreicher den Franzosen kei- .
ne Lebens- und Futtermittel hinterlassen, so daß sie noch rasch
scharfe Requisitionen vornahmen. Das Herzogtum mußte ihnen
200.000 Portionen Heu zu 15 Pfund und 200 Rinder abliefern.
Die zweite französische Besetzung
und der Anschluß an Frankreich
Die Besetzung Limburgs
Am 20. September 1794 fand ein Geplänkel zwischen österrei-
chischer Nachhut und französischer Vorhut am Pireux oberhalb
Clermont statt (68). Am selben Tag zog die französische Vorhut
durch Henri-Chapelle und am 21. erschien sie vor den Stadtmauern
von Aächen. Der Kommandant der Vorhut, General Hatry, nahm
Quartier im ”Hotel Bellevue” zu Henri-Chapelle. Der Wirt des alten
Hotels ”zur Krone” hatte schnell sein Etablissement umbenannt,
um die Franzosen nicht zu ärgern (69). Beim Rückzug der Österrei-
cher kam es noch zu einem Scharmützel an der Göhl. Österreichi-
sche Husaren, die noch im Hergenrather Feld stationiert waren, rit-
ten um die Eyneburg vor, nahmen einige französische Tirailleurs am
Eyneburger Feld gefangen und beschädigten leicht die Göhl-
brücke an der Lütticher Chaussee, bevor sie sich langsam zurückzo-
gen (70).
In Walhorn folgte ein Pikett von 200 französischen Dragonern
den Österreichern am frühen 22. September. Es zog zuerst bis Ey-
natten, wo es noch ein Gefecht gab, kam dann zurück, um von den
Walhorner Dorfbewohnern allerlei Abgaben an Geld, Schmuck und
Kleidungsstücken zu fordern (71).
Am 23. September nachmittags erschien in Henri-Chapelle ei-
ne Deputation des Aachener Magistrats, die den Eroberern die
23
Schlüssel der Stadttore überreichen wollte. Von Henri-Chapelle
wurde sie nach Herve, zum Hauptquartier des Oberbefehlshabers
General Jourdan geführt, wo sie vom Volksrepräsentanten Gillet
empfangen wurde (69).
Das Limburger Land, das bei den Franzosen als kaisertreu be-
kannt war, wurde nach der Eroberung regelrecht durch die Solda-
teska geplündert. Ein 16.000 Mann starkes Korps unter General Le-
febvre lagerte im Walhorner Feld und erhielt die Erlaubnis, 24 Stun-
den lang zu plündern. Kleinere Abteilungen lagerten um Lontzen,
im Hauseter Feld und am Bildchen (71). Eine andere französische
Einheit lagerte zwischen Henri-Chapelle und Homburg und plün-
derte ebenfalls die Gegend. In Kelmis wurden auch die Betriebsanla-
gen des Altenberges und die Direktorwohnung gänzlich geplündert,
trotz einer französischen Bewachung, die das Etablissement im In-
teresse der Republik schützen sollte (72). Der ehemalige Drost von
Kelmis, Walthere Joseph Birven, beklagte sich bei der Walhorner
Gemeindeverwaltung, daß sein Herrenhaus Mützhof wie alle ande-
ren Häuser des Dorfes Astenet völlig ausgeplündert worden sei. Der
Moresneter Pfarrer Palmatius Schlotmecker schrieb ebenfalls dieser
Behörde ”dat in et inkommen van de franzosen so ben gemolestiert
worden, dat het pastoral huys hebbe moeten vier tage verlaaten en-
de tyds de soldaten alles geplundert hebben”.
Am 25. September zogen die französischen Truppen weiter ins
Rheinland, wo sie am 2. Oktober die Österreicher an der Rur schlu-
gen und das Land bis zum Rhein besetzten. f
Nach der Plünderung sah sich die Bevölkerung nun mit
regelmäßigen Lieferungen an die vorbeiziehenden Truppen belastet.
Durch ihre Lage an der Lütticher Chaussee trug die Gemeinde Kel-
mis besonders hohe Lasten. Vom 23. bis zum 28. September mußte
sie z.B. 24.410 Bund Heu zu 15 Pfund, 8.274 Bund Stroh zu
10 Pfund, 186 Malter Roggen und 712 Malter Hafer liefern (73).
Am 30. vendemiaire des Jahres III der Republik (21. Oktober 1794)
belastete der Volksrepräsentant Meynard das besetzte Land zwi-
schen Maas und Rhein mit einer Sondersteuer von 10.000.000 Gul-
den. Der Anteil der Gemeinde Kelmis wurde mit 2440 Gulden, 10
Stüber, und derjenigen der Gemeinde Moresnet mit 3.700 Gulden
veranschlagt (74).
Der Umsturz der alten Institutionen
Die Franzosen beschlossen auch sofort, eine große Verwal-
tungsreform im Geiste der Republik in den besetzten Ländern
24
durchzuführen. Das alte, mit Brabant seit der Schlacht von Worrin-
gen vom 5. Juni 1288 in Personalunion vereinigte Herzogtum Lim-
burg wurde aufgelöst und mit anderen Ländern verschmolzen (75).
Am 9. vendemiaire des Jahres III (30. September 1794) hatte
der Nationalkonvent den Anschluß Belgiens und der anderen an-
grenzenden Länder an die Französische Republik beschlossen.
Nachdem der Volksrepräsentant Frecine am 14. vendemiaire (5. Ok-
tober) das Herzogtum Limburg mit dem französischfreundlichen
Franchimont zum Arrondissement de Spa vereinigen hatte wollen,
wurde dann doch durch Dekret vom 19. vendemiaire (10. Oktober)
desselben Frecine und seines Kollegen Gillet eine Zentralverwal-
tung von 12 Mitgliedern in Limburg selbst konstituiert. Diese Ver-
waltung wurde sofort mit der Eintreibung einer Sondersteuer von ,
1.000.000 Pfund zu Lasten des Klerus, der Emigrierten und all der-
jenigen, die die Feinde der Republik unterstützt hatten, beauftragt.
Diese Sondersteuer wurde zusätzlich zur vorhin festgelegten Steuer
von 600.000 Pfund erhoben. Am 5. brumaire (26. Oktober) wurden
durch ein weiteres Dekret von Frecine das Gerichtswesen, die Ver-
waltung und die Polizei im Limburger Land neu geregelt, unter dem
Vorwand, daß viele Verantwortliche geflohen waren (76). Das ero-
berte Land wurde in sechs Kantone aufgeteilt, in jedem derselben
sollte ein Mitglied der Zentralverwaltung wohnhaft sein.
Unter den von Frecine bestimmten Mitgliedern der Zentralver-
waltung befanden sich u.a. die Bürger Lambert Philippe Poswick
aus Limburg, ehemaliger Gerichtsrat beim Oberen Gerichtsrat, als
Präsident, Hodiamont aus Neau (Eupen), Aussems aus Aubel und
J.A. Cormans aus Baelen.
In jeder Gemeinde wurde eine Sekundärverwaltung eingesetzt,
bestehend aus einem Maire und einem oder mehreren Beigeordne-
ten, je nach Bevölkerungszahl. In jedem Kanton wurde ein Gericht
und in Limburg ein Obergericht von sieben Richtern eingesetzt. Die
Zentralverwaltung war mit der Ernennung der Mitglieder der Se-
kundärverwaltungen und der Richter beauftragt.
Ein ständiges Direktorium von sechs Mitgliedern der Zentral-
verwaltung war mit der Veröffentlichung der Gesetze, Erlasse und
anderer Maßnahmen beauftragt. Den sechs anderen in den Kanto-
nen residierenden Mitgliedern, oblag die Aufsicht der unteren Ge-
richte und Behörden. Die allgemeine Aufsicht über alle Behörden
und Gerichte verblieb beim Befehlshaber der Streitmächte. Zusätz-
lich wurde noch einem ”Agent de la Republique” bei der Zentralver-
waltung eine Kontrollaufgabe anvertraut. Dieser Agent sollte den
25
Volksrepräsentanten, die sich in der Gegend befanden, bzw. dem
Volksrepräsentanten in Brüssel, alle zehn Tage Bericht erstatten. Er
sollte auch Beamte oder Richter, die ihren Pflichten nicht nachka-
men, dem Revolutionären Kriminalgericht zu Lüttich überführen.
Dieses Sondergericht war durch Erlaß vom 14. vendemiaire (5. Ok-
tober) gegründet worden. Als besondere Pflichten wurden das Ein-
halten des Gesetzes über den Höchstpreis der Lebensmittel (seit dem
29. September 1793 in Frankreich) und die Annahme der Assignate
als Zahlungsmittel vorgeschrieben (77).
Frecine bestätigte am 14. frimaire (4. Dezember) die von der
Zentralverwaltung vorgeschlagene Kantonseinteilung. Zu den flä-
mischen Ortschaften des 1. Kantons (Limburg! mit Gericht in Neau
gehörten Neau (Eupen), Membach, Welkenraedt, Henri-Chapelle,
Lontzen, Kettenis, Merols, Astenet, Walhorn, Nieudorp
(Neudorf), Raeren, Eynatten, Hausseth, Hergenraedt und Rabot-
raedt. Zum 2. Kanton mit Gericht in Aubel gehörten Aubel, Mont-
zen, Kelmis, Moresnet, Gemmenich, Hombourg, Sippenaeken, Teu-
ven, Remersdael, St. Martin-Fouron, St. Pierre-Fouron, Noorbeek,
M’heer, Fouron-le-Comte und Mouland.
Vor der Ernennung der Gemeindebehörden wurden auch ver-
schiedene Gemeinden bzw. Quartiere zusammengelegt, so zum Bei-
spiel Kettenis mit Merols, Walhorn mit Astenet und Rabotraedt,
Hergenraedt mit Hauset, Moresnet mit Kelmis, Hombourg mit Re-
mersdael, Teuven mit Sippenaeken.
Inzwischen hatten die Volksrepräsentanten Hausman, Frecine
und Joubert durch Erlaß vom 24. brumaire (14. November) die
Gründung einer Zentralverwaltung mit Sitz in Aachen für die Län-
der zwischen Maas und Rhein beschlossen. Die Arrondissements
Limburg, Spa und Maastricht u.a. wurden dieser neuen Zentralver-
waltung "nterstellt. Diese Zugehörigkeit sollte aber nicht von länge-
rer Dauer sein.
Durch das Gesetz vom 9. vendemiaire des Jahres IV (1. Okto-
ber 1795), d.h. ein gutes Jahr nach der Besetzung des Limburger
Landes, organisierte der Nationalkonvent den im Jahr zuvor be-
schlossenen Anschluß der belgischen Provinzen. Die Habsburgi-
schen Niederlande, die Fürstentümer Lüttich und Stablo-Malmedy
und weitere Enklaven bildeten die neun vereinigten Departements,
die noch vorübergehend einer gemeinsamen in Brüssel tagenden
Verwaltung, dem ”Conseil de Gouvernement”, unterstellt blieben.
Das Limburger Land war schon kurz davor, am 14. fructidor
des Jahres III (31. August 1795), dem neu gegründeten Ourthede-
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Dekret vom 9. Vendemiaire des Jahres
Das Anschluß-Dekret 9, Vendtı des Jahres IV
(1. Oktober 1795)
28
partement mit Hauptort Lüttich einverleibt worden. Unter den
36 Kantonen des neuen Departements wurde ein neuer Kanton mit
Sitz in Walhorn gebildet. Diesem Kanton gehörten alle Gemeinden
der früheren Bank Walhorn sowie Lontzen und die Gemeinden
Gemmenich, Montzen und Moresnet-Kelmis aus der früheren Bank
Montzen-an.
Verschiedene Umbildungen fanden dann im Laufe der Franzo-
senzeit noch statt, die wir hier nicht mehr verfolgen wollen, da sie
nicht mehr zur revolutionären Umbruchperiode gehören.
In den großen Zügen blieben die durch die Franzosen einge-
führten Gebietsumstrukturierungen und Verwaltunsreformen bis
zur heutigen Zeit bestehen.
Mit dieser Umstrukturierung verbunden war auch die Einfüh-
rung der modernen französischen Gesetzgebung.
Der unter dem Druck der Pariser ”Sans-Culottes” vom Natio-
nalkonvent am 3. September 1793 ausgerufene Terror als Ausnah-
mezustand wegen der Gefährdung des Vaterlandes durch Krieg und
Zivilkrieg hatte wenig unmittelbare Folgen in den belgischen Pro-
vinzen und besonders in Limburg, das sich während dieser Periode
noch in österreichischer Obhut befand. Der Hautpvertreter des Ter-
rorregimes, Maximilien Robespierre (* Arras 1758, + Paris 1794),
wurde ja am 9. thermidor des Jahres II (27. Juli 1794) im National-
konvent gestürzt, kurz nach dem französischen Sieg bei Fleurus und
noch Wochen vor der Eroberung Limburgs. So blieb das Limburger
Land von den schlimmsten Ereignissen der französischen Revolu-
tion verschont.
Von den verschiedenen französischen Verfassungen der Revo-
lutionsjahre trat in Limburg, wie in den anderen belgischen Provin-
zen, nur die am 5. fructidor des Jahres III (22. August 1795) vom
Nationalkonvent verabschiedete in Kraft. Diese Verfassung des
Jahres III führte das sogenannte Directoire-System ein: einem
Exekutiv-Ausschuß von 5 Mitgliedern oblag als höchstem Gremium
die ausübende Gewalt. Das erste Direktorium nahm seine Amtsge-
schäfte am 12. brumaire des Jahres IV (3. November 1795) auf. Die
französischen Gesetze über die Abschaffung des Feudalsystems
(Dekret der Nationalversammlung vom 11. August 1789) traten im
Oktober 1795 in den vereinigten Departements in Kraft. Von dieser
Maßnahme waren nicht nur die echten Feudalrechte betroffen, son-
dern auch der kirchliche Zehnt, Haupteinnahmequelle der Kirche,
und die Vorrechte aller möglichen Körperschaften. Am 1. germinal
des Jahres III (21. März 1795) war schon verordnet worden, daß der
30
Klerus die Kirchenbücher den Gemeindebehörden abzuliefern hat-
te. Im Kanton Walhorn wurde dies erst am 15. fructidor des
Jahres IV (1. September 1796) durchgeführt (78).
Vor allem wurde die Vereinheitlichung des Gerichts- und des
Steuerwesens eingeführt, nach dem modernen Prinzip der Gleich-
heit aller Bürger vor dem Gesetz. Diese Modernisierung geschah so
schnell, daß sie Ende Januar 1797 gänzlich vollzogen war. Als
Nachteil für breite Schichten der Bevölkerung wurde in diesem Zu-
ge nur Französisch als einzige amtliche Sprache zugelassen.
Von den Beamten wurden der sogenannte Haßeid auf das Kö-
nigtum verlangt (79), was zu einigen Schwierigkeiten bei den Beset-
zungen der Stellen führte. Verschiedene frühere Amtspersonen
lehnten es aus Gewissensgründen ab, dem neuen Regime zu dienen. N
Die kirchlichen Maßnahmen (80)
Auch im kirchlichen Bereich traten große Änderungen ein, be-
sonders durch die Aufhebung der Klöster am 21. brumaire des Jah-
res V (11. November 1796) und die Sekularisierung ihrer Güter am
16. brumaire (6. November). In den katholisch geprägten ländlichen
Gemeinden Limburgs mußte dies mit Trauer aufgenommen wer-
den. Es wurde aber zuerst keine Entchristianisierungspolitik betrie-
ben, wie sie in Frankreich während des Terrors geherrscht hatte.
Das Dekret vom 3. ventöse des Jahres III (21. Februar 1795) hatte
die Glaubensfreiheit verkündet, wodurch die Ausübung der Reli-
gion als Privatsache angesehen wurde. Am 3. brumaire des Jah-
res IV (25. Oktober 1795) hatte der Nationalkonvent aber aus
Furcht vor der Königspartei die Terror-Gesetzgebung gegen die
Priester wieder eingeführt.
Am 16. frimaire des Jahres V (6. Dezember 1796) beschloß das
Direktorium, das Gesetz vom 7. vendemiaire des Jahres IV (29. Sep-
tember 1795) in den belgischen Departements in Kraft zu setzen.
Laut diesem Gesetz mußten alle Priester eine Unterwerfungs-
erklärung unterzeichnen, durch welche sie den republikanischen
Gesetzen Gehorsam schworen.
Bei den allgemeinen Wahlen vom 1. germinal des Jahres V
(21. März 1797) siegte in Frankreich die Rechtspartei, so daß das
Direktorium die Zukunft fürchten mußte. Es kam der Königspartei
zuvor und konnte am 18. fructidor des Jahres V (4. September
1797) mit Hilfe des Militärs die Annullierung der Wahlergebnisse
von 48 Departements durchsetzen. Am darauffolgenden 19. fructi-
dor beschloß das Direktorium, den Haßeid auf das Königtum nun
auch ‚von allen Priestern zu verlangen.
31
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Der Haßeid auf das Königtum
In der Diözese Lüttich führte das Problem des Haßeides wie
überall in Frankreich zur Bildung zweier Parteien unter den Kleri-
kern. Die einen folgten dem in Lüttich gebliebenen Generalvikar de
Rougrave und leisteten den Eid, um ihr Amt zugunsten des katholi-
schen Volkes ausüben zu können. Andere verweigerten ihn aus Ge-
wissensüberzeugung. Sie wurden in ihrer Haltung durch den geflo-
32
henen, in Erfurt residierenden Fürstbischof de M&an bestätigt (81).
Von 111 Priestern der Kantone Aubel, Walhorn, Eupen und Lim-
burg haben 57 den Eid geschworen und 54 ihn verweigert. Im Kan-
ton Walhorn zählte man aber nur 2 ”Geschworene” auf 21 Priester.
Wie Alfred Minke in seinem Aufsatz berichtet hat, konnten die vom
Direktorium getroffenen Deportierungsmaßnahmen gegen die Eid-
verweigerer (4. November 1798), die heimlich ihre Priesteraufgaben
weiterführten, dank der Haltung der Bevölkerung und auch der
Kantonalverwaltungen nicht durchgeführt werden.
Während dieser Zeit und bis zum Konkordat vom 5. Juli 1801
durften aber keine religiösen Festlichkeiten außerhalb der Kirchen
gefeiert werden und blieb das Glockenläuten verboten. Die kirchli-
che Politik des Direktoriums verstärkte nur die habsburgertreue
Meinung bei der Mehrheit der limburgischen Bevölkerung, wie viele
Berichte der Lütticher Behörde während der Franzosenzeit bezeu-
gen.
Die Einführung der Wehrpflicht
Eine. weitere Maßnahme sollte dies noch bestätigen. Am
19. fructidor des Jahres VI (3. September 1798) führte die Republik
die Wehrpflicht ein, die niemals in den belgischen Provinzen bestan-
den hatte. In mehreren ländlichen Gebieten kam es zum Aufstand,
so auch im ehemaligen Herzogtum Limburg (82). Lambert Bassenge
(84), Kommissar des Direktoriums, riet der Zentralverwaltung des
Ourthedepartements schon am 21. vendemiaire (12. Oktober 1798),
Vorsichtsmaßnahmen im ehemaligen Limburg zu treffen, um der
Flucht der Wehrpflichtigen entgegen zu wirken. Am 12. pluviöse
des Jahres VII (31. Januar 1799) stellte die Zentralverwaltung fest,
daß sich im Kanton Aubel überhaupt noch keine Wehrpflichtigen
der 1. Klasse gemeldet hatten. In der Nacht vom.20. zum 21. pluviö-
se (8. - 9. Februar) kam es zu einem Gefecht zwischen französischen
Gendarmen der Brigaden Herve und Henri-Chapelle sowie Husaren
und wehrpflichtigen Rebellen am Rodenbusch bei Remersdael. Es
wurden 6 Personen gefangen genommen, von denen eine kurz da-
nach in Herve starb. Am darauffolgenden Tag wurde der Belage-
rungszustand im Kanton Aubel verkündet; 18 Geiseln, darunter
mehrere Gemeindevorsteher, wurden nach Lüttich ins Gefängnis
geschleppt. Der kommandierende General Micas entsandte auch ei-
ne Truppenabteilung in den angrenzenden Kanton Walhorn. Die
meisten Rebellen konnten durch die Wälder in Richtung Wittem
oder Walhorn fliehen. Von den sechs Gefangenen wurden vier
durch das Lütticher Kriegsgericht am 18. germinal des Jahres VII
33
(7. April 1799) zum Tode verurteilt: Nissen aus Homburg, Michel
aus Sippenaeken, Reep aus Lontzen und Stassen aus Aubel. Nach-
dem der Belagerungszustand am 4. ventöse des Jahres VII
(22. Februar 1799) aufgehoben worden war, wurden die Geiseln
freigegeben.
Eine genügend starke Militärabteilung blieb aber noch im Kan-
ton bei den Eltern oder Verwandten der Widerständler einquartiert.
Im Juni-Juli 1799 kam es wieder zu Unruhen im Limburger
Land, wo u.a. am 21. messidor (9. Juli) der Freiheitsbaum in Char- ‘
neux und in Walhorn niedergeschlagen wurde. Eine 32 Mann star-
ke mobile Abteilung war schon dauernd seit Monatsbeginn im De-
partement unterwegs, um für Ordnung zu sorgen. Am 25. messidor
(13. Juli) wurde der Belagerungszustand wieder in den beiden Ge-
meinden verkündet. Er wurde erst am 19. thermidor (6. August)
aufgehoben. In seinem Bericht vom 2. thermidor (20. Juli) mußte
Lambert Bassenge zugeben, daß die Bevölkerung der altlimburgi-
schen Kantone auf die baldige Rückkehr der Österreicher hoffte.
Der endgültige Anschluß an Frankreich
Die weiteren Kriegsereignisse mußten die Limburger enttäu-
schen. Im Vertrag von Campo Formio vom 17. Oktober 1797 hatte
Kaiser Franz II. schon auf seine südniederländischen Provinzen zu-
gunsten der Französischen Republik verzichten müssen. Nach dem
zweiten Koalitionskriege (1799-1800) wurde diese Bestimmung im
Vertrag von Luneville am 9. Februar 1801 bestätigt.
Inzwischen hatte in Paris Napoleon Bonaparte durch den
Staatsstreich vom 18. brumaire des Jahres VIII (9. November 1799)
das Direktorium beseitigt und die Macht an sich gerissen. Mit der
neuen konsularen Verfassung vom 24. frimaire des Jahres VIII
(15. Dezember 1799) kann der turbulente revolutionäre Umsturz
des Ancien Regime als weitgehend abgeschlossen betrachtet wer-
den.
Hiermit schließe ich dann auch diese Beschreibung der Ereig-
nisse der Revolutionsjahre im Limburger Land. Die weitere Ent-
wicklung gehört einem anderen Kapitel, nämlich der 15 Jahre dau-
ernden Franzosenzeit an. Nach den unruhigen Revolutionsjahren
blieb für die Limburger eine neue Gesellschaft und eine neue politi-
sche Ordnung. Dieselbe entsprach weitgehend den Wünschen der
limburgischen Demokraten, die die Reformen Josephs II. unter-
stützt hatten. Nur wurden sie leider von der Besatzungsmacht
Frankreich aufgezwungen. Da sie von einem antichristlichen Geist
begleitet und mit der verhaßten Wehrpflicht gekoppelt wurden,
34
stießen sie bei der ländlichen katholischen Bevölkerung Limburgs
aber auch weitgehend auf Ablehnung.
Unter den älteren Notablen blieben viele habsburgtreu. Sie er-
hofften sich noch stets eine Rückkehr der Österreicher. Nach dem
Sturz Napoleons sprach der Herver Gemeinderat noch am
8. Mai 1814 den Wunsch aus, daß das Limburger Land wieder un-
ter habsburgische Souveränität gestellt werde (84).
x k x *
Quellen und Anmerkungen:
(60) Edouard Dominique Joseph von Walckiers wurde in Brüssel am 7. November a
1758 als Sohn des Staatsrates Adrien Ange von Walckiers zu Tronchienne und
der Dieudonnee Louise Josephe von Nettine, Erbin der berühmten Nettine’-
schen Bank geboren. Als junger Mann zeigte er früh Unternehmungsgeist und
konnte auf die Freundschaft des bevollmächtigten Ministers Graf Cobenzl rech-
nen. Er wurde auch bald zum Generalrentmeister und Miglied des Finanzrates
ernannt.
Durch seine Verwandten stand er unter dem Einfluß der französischen Philoso-
phen. Dies erklärt sein Engagement in der demokratischen Partei um Vonck.
Er trat von all seinen Ämtern zurück und finanzierte großartig die aufrühreri-
sche brabantische Bewegung. Nach der Übernahme der Macht durch die Privile-
gierten versuchte er am 9. März 1790 mit dem Herzog von Ursel einen Umsturz
und unterschrieb am 15. März 1790 die Vonck’sche Adresse der Patriotischen
Gesellschaft an die Stände. Nach dem Staatsstreich der ”Statisten” mußte er nach
Frankreich fliehen. Im April versuchte er Kontakt mit den Österreichern aufzu-
nehmen, um Belgien in eine konstitutionelle Monarchie nach englischem Mu-
ster umzuwandeln. Während der Restauration von Habsburg enttäuscht, zog er
sich wieder nach Frankreich zurück. Am 10. Januar 1792 lud er zur Gründung
eines ”Comite general des Belges et des Liegeois” nach Paris ein. Er ließ sich sehr
schnell von den Lüttichern beeinflussen und geriet als Mitglied der französi-
schen Garde Nationale, der er beitrat, in die vorherrschende revolutionäre Stim-
mung. Nach Jemappes begleitete er General Dumouriez beim Einzug in Mons
am 7. November und wurde am selben Abend Mitgründer einer ”Societe des
Amis de la Libert€ et de l’Egalite”. Am folgenden Tage ließ er die Einwohner der
Stadt zur Wahl einer provisorischen Vertretung zusammenrufen. Walckiers
stellte derselben einen Betrag von 20.000 Gulden aus eigenen Mitteln zur Verfü-
gung. Am 17. November widersetzte sich Dumouriez dem Walckiers’schen Plan
zur Gründung einer provisorischen Regierung, um die Konservativen nicht zu
erschrecken. Wieder enttäuscht, diesmal vom gemäßigten Dumouriez, zog
Walckiers sich nach Paris zurück, wo er noch am 4. November mit anderen Bel-
giern und Lüttichern beim Nationalkonvent zugunsten der Unabhängigkeit Bel-
giens vorsprach. Nach dem Annexionsdekret vom 15. Dezember äußerte sich
Walckiers begeistert dafür. Am 10. August 1793 wurde er aber von einem belgi-
schen Flüchtling als ”Verdächtiger’ angezeigt, da er angeblich Börsenspekulant
wäre. Es gelang ihm noch gerade, seine Haut zu retten, er verlor aber jeden poli-
tischen Einfluß. Halb ruiniert starb er in Paris am 17. April 1837.
[Biographie Nationale, Bd. XXVII, Brüssel, Bruylant, 1938. Sp. 37-42].
35
(61) Unter den Lütticher Teilnehmern befanden sich u.a. der geflohene Bürgermei-
ster Hyacinthe Fabry und sein Freund Jean Nicolas Bassenge. Die Lütticher be-
mängelten, daß die ”armen Belgier noch in der Finsternis beharrten und weit
von den echten Prinzipien (der Revolution) entfernt blieben”. Als Belgier wur-
den schon seit der Renaissance die Bewohner der habsburgischen Niederlande
allgemein benannt.
Jacques Hyacinthe Fabry wurde am 13. Dezember 1758 in Lüttich als Sohn des
Lütticher Politikers und Juristen Jacques Joseph geboren. Am 4. September
1780 erwarb er das Diplom eines Lizenziaten der Rechte und im darauffolgen-
den März folgte er seinem Vater im Amt des Meiers. Er wurde aber am
22. März 1786 vom konservativen Fürstbischof Hoensbroeck ohne triftigen
Grund abgesetzt wegen der Stellungnahme seines Vaters im Konflikt um die
Spielhäuser von Spa. Beim Lütticher Umsturz vom 18. August 1789 wurde sein
Vater mit Chestret zum Bürgermeister gewählt. Jacques Hyacinthe selbst wurde
zum Vertreter der Stadt Vis@ in der Generalversammlung des Landes bestimmt.
Mit seinem Freund Jean Nicolas Bassenge gab er das "Journal patriotique” her-
aus. Kurze Zeit danach wurde er Oberst des Lütticher Jägerregiments, bis er mit
der Lütticher Gesandtschaft nach Berlin delegiert wurde.
Während der ersten Restauration mußte er wie sein Vater nach Bouillon und
dann nach Paris fliehen. In der französischen Hauptstadt gehörte er dem
gemäßigten Flügel des ”Comite des Belges et des Liegeois re&unis” an. Nach dem
französischen Einmarsch wurde Fabry am 20. Dezember 1792 in den Lütticher
Nationalkonvent gewählt. Wie sein Vater nahm er den Anschluß seines Vater-
landes in Frankreich nur mit Vorbehalt an. Während seiner Flucht nach Frank-
reich wurde er mit seinem Vater von den Radikalen aus Franchimont als ver-
dächtig angezeigt und konnte erst nach dem Sturz Robespierre’s wieder aufat-
men. Nach dem zweiten Einmarsch der Franzosen wurde Hyacinthe Fabry aber
nur für kurze Zeit Mitglied der Lütticher Arrondissementverwaltung. Am
18. November 1795 gehörte er der neuen Zentralverwaltung des Ourthedeparte-
ments an und wurde 1797 in den ”Conseil des Cinq Cents” - den Rat der
fünfhundert - gewählt. Von 1799 bis 1802 war er Mitglied des ”Corps legislatif”,
zog sich aber wieder zurück, um das diktatorische Verhalten des Ersten Konsuls
Napoleon nicht billigen zu müssen. Am 23. Germinal des Jahres XI (13. April
1803) wurde er zum Richter beim Kriminalgericht des Departements Nieder-
maas in Maastricht ernannt und am 4. August 1807 Gerichtsrat beim Lütticher
Appellationshof, dem er bis zu seiner Emeritierung am 16. Oktober 1830 ange-
hörte. Hochbetagt verstarb er in Lüttich am 13. Januar 1851.
[Biographie Nationale, Bd. VI, Brüssel, Bruylant, 1878. Sp. 821-827].
Jean Nicolas Bassenge wurde am 24. November 1758 in Lüttich geboren. Er stu-
dierte am Kollegium der Oratorianer zu Vise. Im Jahre 1781 begann er eine Kar-
riere als Schriftsteller unter dem Einfluß des französischen Philosophen Raynal,
den er in Spa kennenlernte. Wegen Veröffentlichung seiner Reimsatire ”La
Nymphe de Spa” wurde er vor das Lütticher Sendgericht zitiert. Kurz danach
reiste er nach Paris ab. Nach seiner Rückkehr (1785) nahm er sofort Stellung im
entstehenden Konflikt um die Spielhäuser von Spa gegen den Fürstbischof. Im
Jahre 1787 zog er sich nach Köln zurück und wurde nach dem Lütticher Um-
sturz vom 18. August 1789 Mitglied des Lütticher Stadtrates. Er gehörte nach-
einander der Lütticher Delegation zum Reichskammergericht in Wetzlar, der
Deputation, die mit den belgischen Aufständischen eine Einigung aushandeln
sollte und mit der Lütticher Gesandtschaft nach Berlin an. Während der Restau-
ration mußte er nach Bouillon fliehen und suchte nun Unterstützung in Frank-
reich, nachdem Preußen und Habsburg den Lütticher Demokraten die verspro-
chene Beihilfe versagt hatten. Er gehörte dem gemäßigten Flügel des im Januar
36
1792 gebildeten ”Comite revolutionnaire des Belges et Liegeois”.an, zog sich
aber bald zurück. Nach dem französischen Einmarsch wurde Bassenge Sekretär
des Lütticher Stadtrates und dann im Februar 1793 Vizepräsident der Lütticher
”Assemblee provinciale provisoire”. In der Diskussion über den Anschluß an
Frankreich blieb er seiner gemäßigten Überzeugung treu und nahm die Anne-
xion nur mit Vorbehalt an. Während der zweiten Restauration floh er wieder
nach Frankreich, wo er dem Nationalkonvent im April den Lütticher
Anschlußwunsch präsentierte. Nach dem Sturz der Girondisten durch die Berg-
partei im französischen Nationalkonvent, am 2. Juni 1793, wurde Bassenge als
verdächtig angeklagt und verhaftet. Erst kurz vor dem Sturz Robespierre’s frei-
gelassen, konnte er mit den Franzosen nach Lüttich zurückkommen und wurde
Mitglied der ”Administration centrale provisoire du ci-devant pays de Liege”.
Im Oktober 1794 weilte er wieder in Paris, um den Anschluß des Lütticher Lan-
des als Ganzes an Frankreich zu verteidigen. Nach seiner Rückkehr im Mai
1795 wurde er zum Prokurator des Lütticher Polizeigerichts ernannt und nach
dem endgültigen Anschluß am 27. Brumaire des Jahres IV (18. November 1795)
Mitglied der Zentralverwaltung des Ourthedepartements. Nachher wurde er *
noch zum ”Conseil des Cinq Cents” gewählt und nach dem Staatsstreich des
18. Brumaire Mitglied des ”Corps legislatif” (bis 1802). In diesem Jahr wurde er
durch die napoleonische Regierung wegen seiner Oppositionspolitik ausgeschlos-
sen.
Bis zu seinem Tode, am 16. Juli 1811, bekleidete er nur noch das bescheidene
Amt eines Bibliothekars in seiner Vaterstadt.
[Biographie Nationale, Bd. I, Brüssel, Thiry-van Buggenhout, 1866. Sp. 748-
761].
(62) Cesar Constantin Francois von Hoensbroeck (* 1724, H. 1784, + 1792) stammte
als neuntes und letztes Kind aus einer alten adligen Familie des Landes Valken-
burg, wo sie die Grundherrschaft und das Schloß Hoensbroeck besaß. Im Her-
zogtum Limburg erbte er Schloß und Grundherrschaft Beusdael bei Sippenae-
ken, womit er am 6. Januar 1760 belehnt wurde. Nach dem Theologiestudium
an der Universität Heidelberg wurde er Mitglied und dann Scholaster des Aa-
chener Marienstiftes und als solcher Zehntherr von Gemmenich. Im Jahre 1751
wurde er vom Fürstbischof zum Mitglied des Lütticher Hochstiftes und später
zum Kanzler und Vorsitzenden des fürstbischöflichen Geheimen Rates berufen.
Nach dem Tode des Fürstbischofs Franz Karl Graf von Velbrück (* 1719, H.
1772, + 1784) wurde er einstimmig von seinen Stiftskollegen zum Fürstbischof
gewählt.
Durch das sture Festhalten an seinen hoheitlichen Vorrechten bei der Errich-
tung von Spielhäusern im Kurort Spa kam er in Konflikt mit den Lütticher Stän-
den, insbesondere mit dem demokratischen flügel, u.a. dem Lütticher Meier
Hyacinthe Fabry.
[RENSONNET, Paul J.: Beusdael, son chäteau et ses seigneurs in Bull. Soc.
Verv. Arch. Hist., 54. Bd. Dison, Lelotte, 1966. 112 S. Siehe S. 87-89.]
(63) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel, Commissariat general civil, 48.
(64) Chronik des Johann Casper SCHEEN aus Walhorn,
herausgegeben von HERMANNS, Will, in ”Der Volksfreund”, Aachener Gene-
ralanzeiger für Stadt und Land, 1932.
BISCHOFF, Heinrich: Geschichte der Volksdeutschen in Belgien, Heimat-
Verlag, Aachen, 1941. 221 S. Siehe S. 17.
WIRTZ, Hermann: Eupener Land. Beiträge zur Geschichte des Kreises Eupen.
Nachdruck Grenz-Echo Vlg., Eupen, 1981. 92 S. + 8 Bildseiten, Siehe S. 56.
(65) HANSOTTE, Georges: Histoire de la revolution dans la principaute de Stavelot-
Malmedy. Bull. Inst. Arch. Liegeois, Bd. 69.
Liege, Muste Curtius, 1955, S. 96 ff.
37
(66) Erzherzog Karl wurde in Florenz am 9.X1.1771 als Sohn des damaligen
Großherzogs von Toskana und späteren Kaisers Leopold geboren. Er wurde
1790 Adoptivsohn des Herzogs Albert Kasimir von Sachsen-Teschen und der
Erzherzogin Maria Christina, seiner Vorgänger als Generalstatthalter der Nie-
derlande.
Trotz labiler Gesundheit und unmilitärischer Erziehung hegte er doch seit frü-
hester Jugend ”eine ordentliche Leidenschaft” für den Soldatenberuf. Er nahm .
an den Feldzügen in den Niederlanden 1792-1793 teil. Im Feldzug 1794 befeh-
ligte er ein Reservekorps, übernahm 1796 das Kommando über die österreichi-
sche Rheinarmee und wurde zum Reichsgeneralfeldmarschall ernannt.
Seit seiner Amtsführung in den Niederlanden geriet er in politischen Gegensatz
zum Wiener Hof und besonders zum Staatskanzler Freiherr von Thugut. Nach
dem Friedensschluß des ersten Koalitionskrieges wurde er zum Gouverneur und
Generalkapitän in Böhmen befördert.
Im 2. Koalitionskrieg besiegte er 1799 Jourdan bei Oostrach und Massena bei
Zürich, bevor er 1800 das Kommando niederlegte. Am 9. Januar 1801 wurde er
Feldmarschall und Präsident des Hofkriegsrates und versuchte anschließend ei-
ne grundlegende Heeresreform. In den weiteren napoleonischen Kriegen prakti-
zierte er als Generalissimus eine defensive Kriegsführung. Als gemäßigter Libe-
raler geriet er auch in Gegenzatz zu Metternich. Er starb am 30. April 1847.
[Neue Deutsche Biographie. Bd. XI, S. 242. Berlin, Duncker u. Humblot, 1977].
(67) Donativgelder (dona gratuita, don gratuit) sind im allgemeinen außerodentliche,
von den Landständen bewilligte Abgaben, die häufig über längere Zeit erhoben
wurden, so daß Donativgelder für jede außerordentliche Steuer gebraucht wur-
den. In Frankreich hießen speziell "don gratuit” die Abgaben der Kirche an den
König. In den österreichischen Niederlanden waren die Donativgelder zu einer
regelmäßigen Landessteuer geworden, deren Höhe nur noch jährlich von den
Landständen gebilligt wurde.
[Allgemeines Reichsarchiv Brüssel, Finanzrat, 8527]).
(68) DOMKEN, Alexandre: Histoire de la seigneurie et de Ja paroisse de Clermont-
sur-Berwinne., S. 288.
Liege, Demarteau, 1913. 416 S.
(69) PAUCHENNE, L6on: Histoire de la Franchise et de la Paroisse de Henri-
Chapelle, S. 64.
Dison, Jespers-Gregoire, 1955. 180 S.
(70) Gemeindechronik von Hergenrath.
(71) GIELEN, Viktor: Geschichtliche Plaudereien über das Eupener Land. Der Kan-
ton Walhorn in der Franzosenzeit. S. 40-69, Eupen-Walhorn, Schröder, 1964.
1765.
Chronik des Johann Casper SCHEEN. Siehe (64).
WIRTZ Hermann: Eupener Land. Siehe (64).
(72) Staatsarchiv Lüttich, Fonds Francais, 1868.
(73) Der Malter ist die Untereinheit des Maastrichter Muds.
1 Mud = 4 Malter = 24 Faß; 1 Malter = 140,004 Liter.
[RUWET, Joseph: L’Agriculture... Siehe (43). S. 78].
(74) Staatsarchiv Lüttich, Fonds Francais 449.
(75) BUCHET, Arsene: L’organisation judiciaire et administrative des pays de Lim-
bourg, Dalhem, Fauquemont et Rolduc apres la conquete francaise de l’an III
(1794). Verviers, Gason, 1949.
(76) Freiherr von Fromanteau zu Ruyff hatte sich schon am 24. November 1792
- angeblich auf Geschäftsreise - nach Deutschland abgesetzt. Arnold von Thi-
riart besorgte sich am 12. November 1793 Reisepässe für Familie und Diener-
schaft. Zivilkommissar und Generalrentmeister Wunsch hatte sich im Septem-
ber 1794 nach Deutschland zurückgezogen.
[PAUCHENNE: Siehe (46). S. 63].
38
(77) Assignate hieß das Papiergeld, das die französische Regierung zur Deckung des
großen Geldbedarfs ausgab. Im Grunde waren es zuerst Staatsobligationen auf
die enteigneten Kirchen- und Emigrantengüter, Seit dem 17. April 1790 wurden
die Assignaten aber als Papiergeld in Kurs gesetzt. Die ungeheure Menge der
herausgegebenen Assignate führte zum rapiden Wertverfall: 90 % des Nenn-
wertes Anfang 1791 bis !/3 % im Jahre 1796. Im Mai 1797 wurden die Assigna-
ten entwertet,
(78) GIELEN: Siehe (71), S. 62.
(79) Der Haßeid lautete ”Ich schwöre Haß dem Königtum und der Anarchie, An-
hänglichkeit und Treue der Republik sowie der Verfassung des Jahres III”.
(80) MINKE, Alfred: Geschichtliche Betrachtungen zu einem Eid. in Geschichtli-
ches Eupen VII, Eupen, Markus Vlg, 1973. S. 83-107.
de CLERCOQ, Charles: Prötres assermentes et insermentes dans les cantons d’Eu-
pen, de Limbourg, de Walhorn et d’Aubel. In Zeitschrift des Eupener Ge-
schichtsvereins, 4, Nr. 1, S. 1-7; Nr. 2-3, S. 27.
(81) Francois Antoine Marie Constantin Graf von Mean wurde am 6. Juli 1756 im
Schloß Saive als zweiter Sohn des Francois Antoine und der Anne Elisabeth
Francoise Gräfin von Hoensbroek und Oost geboren. Er entstammte einer alten "
Lütticher Juristenfamilie und seine Mutter war die Schwester des späteren
Fürstbischofs Cesar Constantin von Hoensbroek. Nach Studien in Mainz und
Douai wurde er am 28. Mai 1777 Miglied des Lütticher Hochstiftes, Am 19. Fe-
bruar 1786 zum Bischof geweiht, wurde er Suffragan seines Onkels. Während
der Lütticher Revolution gehörte er der reaktionären Partei um seinen Onkel
an. Nach dessen Tod wurde er am 16. August 1792 einstimmig vom Domkapitel
zum neuen Fürstbischof erkoren. Kurz vor Einzug der Franzosen verließ er Lüt-
tich am 28. November und suchte Zuflucht in Münster in Westfalen.
Nach dem Rückzug der Franzosen am 3. März ließen ihn die Österreicher unter
Coburg erst am 21. April in seine Hauptstadt zurückkehren. Obschon der Wie-
ner Hof Mäßigung angeraten hatte, erließ er schon am 29. April scharfe
Maßnahmen gegen all diejenigen, die den Franzosen gedient hatten. So wurde
u.a. der Vervierser Arzt Gregoire Chapuis am 2. Januar 1794 enthauptet.
Mean wurde erst am 9. Juli feierlich als Fürstbischof eingeführt. Am 27. Juli
mußte Fürstbischof von Mean erneut vor den Franzosen flüchten und Asyl in
Erfurt suchen. Nach Abschluß des Konkordates zwischen Napoleon und dem
Heiligen Stuhl dankte er als Bischof ab, um den päpstlichen Wünschen nachzu-
kommen.
Beim Wiener Kongreß versuchte er, obschon stark behindert, seine Ansprüche
auf Wiedergründung seines verlorenen Fürstentums geltend zu machen. Kurz
danach sah er nun realistisch die neue Situation ein und empfing gerne vom neu-
en König der Vereinigten Niederlande, Wilhelm I. von Oranien, seine Ernen-
nung als Mitglied der ersten Kammer der Generalstände und den Fürstentitel,
Am 28. Juli 1817 wurde er als Günstling des Königs zum Erzbischof von Me-
chelen und Primas der Niederlande ernannt, wo er.am 13. Oktober feierlich
empfangen wurde. In den letzten Jahren geriet er mit dem gesamten Klerus in
Konflikt mit dem König, als Wilhelm I. am 17. Juli 1825 ein einziges philosophi-
sches Kollegium zur Ausbildung der katholischen Priester, nach dem Muster Jo-
sephs II., verordnete.
Kurz nach der belgischen Revolution, am 15. Januar 1831, erlitt Mean einen
Schlaganfall.
[Biographie Nationale, Bd. XIV, Brüssel, Bruylant, 1897, Sp. 198-209.]
(84) MINDER, Arthur: Un episode de la guerre des paysans, in Bull. Soc. Verv.
Arch. Hist., Bd. 31. Verviers, Leens, 1939. Seiten 11-38.
(83) Jean Thomas Lambert Bassenge wurde am 31. Juli 1767 in Lüttich geboren.
Während der Lütticher Revolution engagierte er sich nach dem Vorbild seines
39
älteren Bruders Jean Nicolas. Im Januar 1793 wurde er zum Mitglied des Lütti-
cher Stadtrates und dann der provisorischen Provinzialversammlung gewählt.
Nach der Rückkehr der Kaiserlichen floh er nach Paris und engagierte sich in
der republikanischen Armee. Beim zweiten französischen Einmarsch bekleidete
er das Amt eines Divisionschefs der Transporttruppen bei der französischen
”Armsee du Nord”. In Lüttich gründete er kurz danach den ”Courrier du depar-
tement de l’Ourthe”. Im Juli 1795 wurde er wieder Mitglied des Lütticher Stadt-
rates, 1802 Unterpräfekt in Malmedy und zwei Jahre später Mitglied des ”Corps
legislatif”. Ab 1811 wurde er Beamter bei der Tabaksteuerverwaltung, zuletzt
im Departement der Vogesen, wo er 1821 in Epinal verstarb.
[Biographie Nationale, Bd. I. Brüssel, Thiry-van Buggenhout, 1866. Sp. 761-
762].
(84) LECONTE, Louis: La Revolution brabanconne. Siehe (8). S. 175. Fußnote (3).
40
Zur Nacht
von M.Th. Weinert
Im Ohr
Schrei der Wildgänse,
knarrenden, orgelnden Klang
rauher Kehlen,
Laute die tragen,
knüpfend die Kette
der Vögel zum Keil ... .
Uralte Geleitmelodie
im Rhythmus schlagender Schwingen,
verschworener Gemeinschaft
herbes Lied.
41
Der Umtausch des deutschen
Geldes im Kreise Eupen i.J. 1920
von Alfred Bertha
Eine zufriedenstellende Regelung des Geldumtausches und der
zukünftigen Handelsbeziehungen mit Deutschland: das war eine der
Zusicherungen, die der Hohe Kommissar Baltia in seiner berühmten
Proklamation vom 11. Januar 1920 den Einwohnern der Kreise Eupen
und Malmedy gegeben hatte. Für eine Integration in das belgische
Wirtschaftsleben war der Wechsel von der Mark- zur Frankenwährung
unumgänglich.
Schon am 6. Februar desselben Jahres — noch vor Abschluß der
sog. Volksbefragung — forderte der Kommissar die Bürgermeister der
beiden Kreise auf, einen Zettelkasten mit den Namen der "seit einem
dem 1. August 1914 vorgängigen Datum "in ihrer Gemeinde ansässigen
Personen anzulegen," um die Operationen der unmittelbar stattzufin-
denden Einziehung der deutschen Geldwährung vorzubereiten". Es
sollte je eine vorgedruckte Karteikarte angelegt werden
"- für jedes Familienoberhaupt, dem gestattet werden wird, seine
Markmünzen in seinem eigenen Namen sowie im Namen seiner nicht
geschiedenen Ehefrau und seiner unverheirateten und unter demselben
Dach wohnenden Kinder zu hinterlegen;
"- für die Witwen, die geschiedenen Gatten, die großjährigen,
nicht in der 1. Kategorie mit einbegriffenen Personen".
Es wurde angekündigt, zu einem späteren Zeitpunkt auch
Karteikarten für die minderjährigen Kinder sowie für die Gemeinden,
die gemeinnützigen Anstalten, die Gesellschaften oder irgendwelche
Verbindungen anlegen zu wollen.
Die Bürgermeister waren gehalten, bis zum 20. Februar diese
Registrierung abzuschließen.
Gleichzeitig mit den Karteikarten gingen den Bürger-
meistereiämtern Deponierungsscheine zu, auf denen die Summen der
von den Einzelpersonen deponierten Markbeträge zu vermerken waren.
Am 13. Februar 1920 erließ General Baltia eine 12 Artikel
umfassende Verordnung, welche die Einwohner der Kreise Eupen und
Malmedy, die schon vor dem 1. August 1914 dort ansässig waren,
verpflichtete, ihre Markguthaben bei den dazu vorgesehenen Stellen zu
deponieren bzw. anzumelden,
Die Höhe der zum Umtausch zugelassenen Summen wurde auf
300 Mk pro Einwohner festgesetzt; der Kurs betrug 1 zu 1.
Personen, die vor dem 1. August 1914 nicht in Eupen-Malmedy
ansässig waren sowie Ausländern, konnte mit besonderer Genehmigung
- Gouvernement
EUPEN und MALMEDY
El = h ä
DES
Der Königliche Oberkommissar - Gouverneur der gemäss
Art. 33 bis 35 des Versailler-Vertrages vom 28 Juni 1919 mit
Belgien einverleibten Gebiete, auf Grund der ihm durch Art. 2 der
Gesetzes vom 15 September 1919 verliehenen Befugnisse,
VERORDNET:
ART. 2. Der Austausch des deutschen Geldes gegen bei-
gischos goschichl bis auf 300 Mk per Einwühner, zum Kurse von Ant. 7. -- Die auf Grund dieser Verordnung vorzunehmenden
Ir. = "1 Mk, sofern der Deponenl den Vorschriften der gegen- perlionen erfalgen nach Massgabe meiner Verfügungen, unler
wärligen Verordnung nachkommt. Heranziehung der Rürgermeislereien, und zwar auf Kosten und
+ Ausser den im Art. 3 vorgesehenen Fällen, darf kein Peponal unter Verantwortung (der Gemeinden, je für ihre eigenen
für Rechnung von Personen oder Vereinen welche nicht vor dem Einwohner, wie es aus folgenden Vorschriften hervorgeht.
Tsten August 1914 in den Kreisen Eupen oder Makmedy ansässig
waren, noch im Namen eines Ausländers, geschehen; doch kön- Ant. 8.” Die Regierung von Eupen und Malınedy wird den
nen die, mil einer hesanderen Ermächtigung des Bürgermeisters Gemeinden Vorschüsse in beigischem Golde gewähren, und zwar:
versehenen Familienhäupter einen Belrag von 150 Mk für jedes 1° Die für die in Arl. 2 vorgesehenen Wechseleperalionen nöti-
Milglied ihrer Familie, gegen eine gleiche Zahl Franes gewach- gen Gekisunmen;
sell bekommen. 2° Je nach den vorhandenen Bedürfnissen, diejenige (inld-
Für jede Familie, oder für jede im Art. 6 (Absulz 4) ange- summen welche für «ie zu gewährenden Vorschüsse auf dopo-
gebene Personengrüppe, darf kein Deponal 50,000 Mk überstei- nierten Markbeträge, und für den etwaigen Weilerwerhsel nölig
“gen: eventuell ist der Ueberschuss anzumelden. Die Depanate sein werden, Diese Vorschüsse werden den Gemeinden zinslos
welcher Ursprung verdächtig erscheinen würde, werden von uber gegen eine jährliche Vergülung von 0 fr. 35 % gewährt:
der Hürgermeisterei oder von der beireflenden Gemeinde einer was die unler 2" erwähnten Vorschüsse betrifft, bleibt diese Ver-
Untersuchung unlerzogen; nur wenn der Ursprung des Geldes külung zur Last der Gemeinden und telziere ‘werden eventuell
von der Gemeindebehönde und von mir als nicht gesetzwidrig anch den Wechselverlust {ragen müssen zur Zeil wo die Flüssig-
erkannt wird, werden die Deponalen endgüllig angenommen. machung der gewechsellen Markbeiräge erwünschl sein wird; in
Unbeschadet aRer gerichtlichen Verfolgungen, kann jede Abwarlung dieser Flüssigmachung werden die Mark-Stücke oder
‚gegen diese Verfügungen verstossende Dekläralion dir Aoschla- Nolcn hei der Beigischen Nationalbank als Pfand [für die gewähr-
grahme des Deponaten zur Folge haben. Ion Vorschüsse hinterlegt; wenn möglich werden diese Beiräge
u gunsten der Gemeinden zinsbar gemacht werden.
Art. 3. -— Ich behalte mir das Recht vor in besonderen wir {
sofort. zu meldenden Fällen zu unlersuchen ob es sich nicht „Ant. 9. AMe Knanzieflen. Operationen in Bankkontos, auf
Johnt vonder Ausführung der im Art. 2, Abs. 2 dieser Verordung Sicht oder mil Vorherbenachrichligung, oder auch mit Sparkas-
vorgesehenen Massregel Absland zu nehmen. sendeposilen, sind bis auf weiteres unlersagt; die Bahık- und
W Krodilanstallen sind gehalten an ihre auf Grund dieser Verord-
Ant. 4. .- Die Verzeichnisse auf welchen die Deponaten ange- ming zum Deponicren der Markbeiräge ermächligien Kunden,
meldet werden, werden vom Depositen-Beamten (Rentmeisler und auf Anfrage derselben, eine für richtig erklärle Bescheini-
oder dessen Vertroier) ausgeferligl, und zwar in zwej Exempla- gung zu erfeilen, woraus den Saldo ihrer Kontos am 31 Dezem-
ren vom denen das eine von ihm unterschrieben und gestempell, ber 1918, am 30 Juni 491%, am 34 Dezember 19419 und am heu-
‚dem Deponenten als Empfangschein für den nicht gewechseiten ligen Tage hervorgeht. n
nnd zinsinsen Retrag ausgehämligt wird, Diese Bescheinigungen müssen vun den Interessenten am
späleslens gleichzeitig ınil der Abgabe der auszulauschenden
Ant. 5. -- Bevor ein neuer Auslausch, dessen Zweckmässig- Gelder an ihrer Bürgermeisterei abgegeben werden; gegebenen-
keit’ noch geprüft werden könnte, stattfindet, können auch mn- falls wird auch das Sparkassebuch vorzulegen sein.”
natliche Vorschüsse in belgischer Währung zum Kurse von Die Einwohner welche sich ats Inhaber eines Bank -oder Spar-
{Mk = 1 fr. und gegen Beweisstücke bewilligt werden; doch kassekonlos angemeldet haben und welche am Tage der Mar-
dürfen diese Vorschüsse den Höchstbelrag von 200 Ir. für das keinziehung kein firssendes Geld besilzen um den ersten Aus-
Familienhaupt, und 100 fr. für jedes Mitglied der Familie nicht tausch von 300 Mk per Einwohner auszuführen, werden aus
übersteigen. ‘Nur in gewissen Fällen und für erwiesent Bedürf- ihren Bank- oder Sparkassendepositen den nöligen Betrag be-
‚nisse kann dieser Hüchstbelrag überschrillen werden. kommen können, aber nur gegen Vorlegung eines von der Bür-
Für in Deutschland zu teistende Zahlungen wird die Erstattung germeisterei visierlen Checks (oder Quitlung).
des Depunalen ganz oder teilweise genehmigt werden können;
dann aber sind die elwa früher erhaltenen Vorschüsse, zum Ant, 10, Die die Einziehung mer den Austausch von Mark-
„selben Kurse wir sie bewilligt wurden, wieder rückzuzahlen, heiräge heireffenden Operationen sind der Aufsicht der belgi-
Die in der Markwährung festgesetzten Guthaben deren Vorhan-, ‚schen Bohürde unterworfen; diese Rehörde bebAll sich das Recht
densein auf sicherer Weise bewiesen ist werden ihren Ausgleich var sich alle von ihr als nötig geachleten Schriflstücke vorzeigen
A Vehertragung aus der Rechnung des Schuldners nach eb
rjenigen des damit einrerstandenen Gläubigers linden können. je il
Ten Vorne Sea ge Oder EDEN AEE ve Ant. 11. Diejenige Person welche nach ihrem ersten Dupo-
mir zur Gutheissung vorgwegl und dann güflig gemacht mitlelst nalen nber innerhalb der achilägigen im Art. 1 vorgesehenen
einer vom Ben EEE ya BE AK SEC Allen Frist noch ein zweites Depanat ausführen möchte, wird ihre
Erklärung, weiche auf dem Verzeichnisse abzugeben is!. SE DE AO RAS DE Doplaal mıin-
ZE y fangen hal, einreichen. und emselhen den ersten Empfang-
Etwaige Einsprüche gegen Erslallung eines Depanalen der schein vorzeigen müssen.
<ines Teils davon sind hei der Rürgermeisterei welche das Dopn- OA
nat angenommen hat, einzubringen, und zwar-unler Berücksich- | * * Ar, 12, - Sobald die achllägige im Art. 1 vorgesehenen Frist
AM, kn sea algen in den Gebieten Eupen und Malmedy versirichen ist, wird das heigische Geld allein kursfähig sein.
gen Geselze, Malmedy, den 43 Fehrunr 1990.
Art. 6. Die Geldabgahr wird Inlgenderweise staliünden ) HA MEHEM general
‚4° Von dem Familienhaupt : im eigenen Namen ımd in Namen GENEHMIGT
- seiner nicht geschiedenen Frau und seiner nicht verlgiraleten, Der Premier-Minister.
mit ihm Jebenden Kinder: inanzminister,
nie ‚auch Finanzminister,
2° Von volljährigen unverheirateten Persanen die im vorigen £
L£0on DELACROIX.
FE AN NA BETEN EAN
houdt,s. a.,5 et 7, rue du Marteau.
Auszug aus der Verordnung bzgl. der Einziehung des deutschen Geldes
44
des Bürgermeisters ein Betrag von 150 Mark zum Kurse 1:1 umgewechselt
werden.
Die Höchstsumme der deponierten Markbeträge wurde auf 50.000
Mark pro Familie begrenzt. Bei verdächtigen Deponaten, d.h. Geldern,
deren Herkunft nicht klar ersichtlich war, mußten die Gemeinden vor
Annahme der Gelder den Fall prüfen. (1)
Bei Vorlage von Beweisstücken konnte nach dieser ersten
Umtauschaktion weiteres belgisches Geld als Vorschuß ausgegeben
werden.
Des weiteren regelte die Verordnung vom 13. Februar den Modus
des Umtausches, die den Gemeinden zu gewährenden Vorschüsse, die
Bankoperationen etc.
Die Ausführungsbestimmungen zu der genannten Verordnung
umfaßten 11 Schreibmaschinenseiten. &
Es blieben nun noch die materiellen Einzelheiten des Umtausches
zu regeln.
In Eupen wurden 9, in Raeren 2, in Herbesthal 2 und in den übrigen
Gemeinden je 1 Raum dafür vorgesehen. Die Einziehungsarbeiten
begannen am 8. März 1920, morgens 9 Uhr, und endeten am 17. März
1920, nachmittags um 16 Uhr. Jedoch wurden dieselben in Eynatten nur
vom 8.-13. März,
in Kettenis vom 8.-12. März,
in Neu-Moresnet vom 15.-17. März,
in Walhorn vom 13.-17. März,
in Hergenrath vom 8.-13. März, und
in Hauset vom 15.-17. März durchgeführt.
Jeden Tag waren die Annahmestellen morgens von 9-12 und
nachmittags von 13-16 Uhr geöffnet.
Bei der Abgabe des deutschen Geldes erhielten die Deponenten
eine Empfangsbescheinigung. Es wurden «alle gediegenen Metallgelder
angenommen. Was das Papiergeld angeht, so wurden nur Reichs-
banknoten, Darlehenskassenscheine und Eupener Stadtbons be-
rücksichtigt. Anderes Papiergeld, das von den deutschen Bundesstaaten
oder von Städten und Gemeinden außerhalb der beiden Kreise Eupen
und Malmedy in Umlauf gesetzt worden war, wurde nicht zum Umtausch
zugelassen. Die Banknoten mußten sorgfältig entfaltet und nach ihrem
Wert in Päckchen von 20, 25, 50 oder 100 Stück gebündelt werden.
Um zu verhüten, daß ein und dieselbe Person mehrere Male
vorstellig wurde, versah der Einzugsbeamte den Personalausweis an
deutlich sichtbarer Stelle mit einem "P", wenn der Deponent in eigenem
Namen erschien, und mit einem "R", wenn das Geld für Rechnung einer
anderen Person abgegeben wurde,
Monatliche Vorschüsse wurden in Höhe von 200 F für das
Familienoberhaupt und 100 F für jedes weitere Mitglied der Familie
45
gewährt, und zwar wie beim ersten Umtausch zum Kurse von 1 Mk = 1
F. Für nachgewiesene Bedürfnisse (z.B. Familiengründung) wurde
diese Beschränkung aufgehoben.
Rückerstattungen von Markbeträgen waren nur für in Deutschland
zu leistende Zahlungen zulässig, z.B. im Falle von aus Deutschland
bezogenen Materialien der Industrie.
Der Kgl. Kommissar Baltia ließ den Gemeinden für die bei der
ersten Umtauschaktion notwendigen Beträge sowie für die den
Deponenten nötigenfalls monatlich zu gewährenden Vorschüsse
seinerseits einen Vorschuß zugehen. Für die monatlichen Wech-
seloperationen, die im Falle dringender Bedürfnisse durchgeführt werden
durften, hatten die Gemeinden einen jährlichen Zins von 0,35% der so
vorgeschossenen Gelder zu zahlen. Auch Wechselkursverluste, die sich
aus einem Wertverlust der bei der Belgischen Nationalbank deponierten
Markguthaben ergeben konnten, waren zu Lasten der Gemeinden.
Am26. Februar 1920 erging von der Finanzverwaltung in Malmedy
die Aufforderung an die Bürgermeister, wenn möglich noch vor dem 1.
März eine beglaubigte Abschrift der Lohn- und Gehaltslisten der
Unternehmer von Mitte Januar bis Mitte Februar 1920 sowie eine in
Franken libellierte begründete Aufstellung der für die erste halbmonatliche
Frist nach Einziehung des deutschen Geldes für Rohstoffankäufe in
Belgien etc. benötigten Mittel einzureichen. Die Frage des Markum-
tauschs war damit aber noch lange nicht endgültig geregelt. Die
Gemeinden wurden am 27. Mai 1920 zur Einsetzung von "schieds-
gerichtlichen Kommissionen" zwecks Prüfung der Geldhinterlegung
aufgefordert, wobei die am 31.12.1913 erfolgte Vermögenserklärung
als Grundlage dienen sollte. Auch andere beweiskräftige Unterlagen,
wie Spar- und Bankguthaben nach dem Stand vom 31.12.1913, konnten
als Berechnungsgrundlage der umzuwechselnden Mark-Beträge dienen.
Zur Umwechslung vorgeschlagen werden durften bei allen De-
ponenten "die vollen bei der Steuererklärung oder von der Steuerbehörde
eingeschätzten Einkommen der Jahre 1914 und 15 als Ersparnisse der
sechs Jahre 1915-20". Waren Steuereinschätzungen nicht vorhanden, so
konnte für Personen von mindestens 26 Jahren (mit Ausnahme der
Ehefrauen) eine Ersparnis von 1.800 M, für Personen bis 20 Jahre eine
solche von 300 M für die Jahre 1914-1920 angenommen werden.
Vermögenswerte, welche am 31.12.1913 bestanden, «ohne einen
Barwert darzustellen», wohl aber bei Deponierung Barwert besitzen
(Wertpapiere), kamen zur Umwechslung in Betracht, sofern nicht
angenommen werden mußte, daß solche im Hinblick auf den
Markumtausch zu Bargeld gemacht worden waren und die Inhaber einen
«übermäßigen Gewinn den Friedenswerten gegenüber» erzielt hatten.
Auch mußten die für diese Vermögenswerte erhaltenen Summen bei
SGoudernement Enpen-Malmedy
Finanzverwaltung, Malnedy, den 26, Februar 1920,
Me. 2167.
Einziehung des
deutschen Geldes.
Herr Bürgermeifter !
Ih beehre mich, Sie zu bitten, alle Yorficher jeglicher Unternehmen hrer Gemeinde einzuladen, .
Zonen unorrzüglich folgende Urkunden zuzufenden:
1. Cine beglaubigte Aofchrift der Lohu- und Gehnltsliften,
welche die Unternehmer für den legten Januarhatbmonat
fowie für den erfien Februarhnalbmonat diefes Inhres
3wcd8 Zahlung der Löhne und Gehälter ihrc8 Rerfo=
unl8 aufgeftellt Haben.
2. Gin Nechtfertigungsbeleg der in Franken aufgestellten
Summen, deren fic unbedingt während der erften halb-
monatlichen Frift nach Einziehung des deutfchen Geldes
; bedürfen zes Ankauf in Belgien von Nohftoifen 26.
8 it von Belang, mir die Urkunden in einer Sendung md wenn möglid noch vor dem
1. März zukommen zu Infjen,
“Die Abgabe der den Arbeitgebern zu leiftenden Vorfhüjfe wird befonders von der Schnelligkeit,
» mit welcher bie gefengten Urkunden eingereicht werden, abhängen.
Hochachlungsvoll!
Der Geheimrat des Finanzwefens,
gez. (Unterfehrift.)
Un den Heren Bürgermeifter in Eupen. N
MVorftehendes Schreiben bringe id zur Kenninis der Inierejjenten mit der Aufforderung, die
vorfichend angeführten Unterlagen bis fpäteflens
Dienstag, den 2. März, undhmittags 5 Mohr
. auf dem Lebenömittelamt I Neuftraße in doppelter Ausführung in verfehlofjenem Briefumfehlag
einzureichen.
Berfpätete Anmeldungen Können nigt mehr b-rücfihtigt werden.
Eupen, 28. Februar 1920,
Der Bürgermeißter:
Dr. Graf Metternich,
47
dem Deponenten, der sie erworben hatte, von der Umtauschsumme in
Abzug gebracht werden.
Aus den steueramtlichen Unterlagen der Deponenten war zu
entnehmen: - das Kapitalvermögen;
- das Grundvermögen;
- das gewerbliche Vermögen, welches das
Betriebsvermögen der einzelnen Handwerker und
Gewerbetreibenden angibt;
- das Einkommen der einzelnen Jahre;
- die Schulden.
Bei größeren Betrieben dienten die Bilanzen zur Berechnung des
Vermögens.
Weitere amtliche Unterlagen für die Bearbeitung der Besitz-
standserklärung konnten sein: Kaufakte bei Immobilientransaktionen,
Hypothekenbriefe, Schuldscheine, Erbschaftssteuerbescheinigungen.
Beträge aus Lebensversicherungen kamen nur dann zur Umwechslung,
wenn es sich um wirkliche Todesfälle handelte oder die Lebens-
versicherung vor Waffenstillstand ausbezahlt wurde oder abgelaufen
war. Brandschadensvergütungen wurden umgewechselt, wenn der
Brandschaden nicht bereits durch einen Neubau ausgeglichen war.
Kriegsschädenvergütungen wurden nicht zum Umwechseln zugelassen.
Wie man sieht, hatten die für die Einziehung des deutschen Geldes
und den Umtausch der Markguthaben verantwortlichen Stellen viele
mögliche Fälle in Betracht gezogen. Erbschaften und Lebens-
versicherungen, Brandschäden und Immobilienverkäufe deckten aber
noch längst nicht das gesamte Spektrum der Möglichkeiten ab. Wie
hatten sich die Mitglieder der "schiedsgerichtlichen Kommissionen" im
Falle einer von auswärts (sprich: Deutschland) kommenden Mitgift zu
verhalten? Was war mit Geld, das aus dem Verkauf von Möbelstücken
herrührte? Durften Geldgeschenke zum Umwechseln angemeldet
werden? Solcher und ähnlicher Fragen gab es noch viele. Die
Finanzverwaltung gab in allen Fällen klare Richtlinien, behielt sich aber
immer die letzte Entscheidung vor.
Bis zum 15. November 1920 sollten die Besitzerklärungen geprüft
sein. Anschließend würde jedem Deponent ein Bericht über die zu
wechselnde Summe zugehen. Gegen diesen Bescheid konnte Einspruch
erhoben werden, was eine erneute Prüfung der Erklärung nach sich
ziehen mußte.
Die bei der Währungsumstellung auftretenden Härtefälle konnten
nicht alle vorhergesehen werden. Nicht nur die Industrie wurde dadurch
schwer getroffen und zunächst ihrer Konkurrenzfähigkeit beraubt (2).
Viele Einzelpersonen, die schon seit Jahren in den beiden Kreisen
ansässig waren, wurden nun als Ausländer beim Geldumtausch, wenn
€ | nl
TRIACUN
A +
Nah BHeutiger Rüdjprade mit dem Herrn Gouverneur General Baltia
fann ih der Bevölferung des Kreijes Eupen bekannt geben, day der Belgijhe Staat
infolge der Bemühungen des Herrn Oberkommijjars eine Hinreidende Summe zur Vers
Fügung geltellt Hat, um den ungejtörten Fortgang des Wirtjhaftslebens im Kreife Eupen
für bie Mebergangszeit Jiher zu jtellen, Diefe Summe Hat der Kreis entjprechend der
Verordnung des Herın Hohen Kommiffars vom 13, Februar 1920 auf Koften und Vers
antwortung des Kreifes und der Gemeinden zur Verteilung zu bringen.
In Ausführung diejes Auftrages wird der Kreis die Unterverteilung bdiefer
Summe auf der Bafis 1 Franken für 1 Mark vornehmen. )
Mus diejfer Summe werden zunächit von Montag cb denjenigen, die dauernd
eine gewijfe Anzahl Arbeiter befchäftigen, die für die BegahHluug der Löhne und Ges
Hälter erforderlichen Gelder ausgewechfelt. Zu diejem Zwere ift eine Abfjchrift der für
bie jegige Lohnzahlung in Frage fommenden LoHnlijte, die u. a. Namen und Stand
ber in Betracht kommenden Arbeiter und Angeftellten enthalten muß, mitzubringen.
Die LohHnlijten müjfen zur Endjunmme aufaddiert fein. Außerdem find die im Befif der
Deponenten befindliden A, bezw. B. Vogen mitzubringen. Dieje Lifte ft von den
Srtliden Behörden zu prüfen und vom Bürgermeijter zur Auszahlung zu genehmigen.
In den Fällen, wo der deponierte Barbeirag zur entfpredenden Dedung der zu erhal
tenden Frankenjumme nicht ausreiden jollte, ijt ein Sched zur Dedung des Mehrbetrags
vorzulegen. Die Auszahlung der Franken erfolgt für alle Gemeinden auf dem [tädt,
Lebensmittelamt in Eupen, Neuftrake, (Reftaurant Schwemmer).
Des weiteren werden im Laufe der Woche nach Beendigung der nod anzu
ftellenden Erhebungen an einem nom) näher bekannt zu gebenden Tage den Gewerbes
treibenden unter gleiden Bedingungen diejenigen Gelder gezahlt werden, die zum
Unfauf von Waren in Belgien unbedingt erforderlich find.
Aud den Privatleuten, die zunächit über kein ausreidendes Frankeneintommen
verfügen oder bet denen id fonjt aus irgend einem befondern Grunde ein dringendes
Medürfnis zu einer weiteren Auswechjelung Herausftellen follte, Lönnen unter denjelben
Bedingungen von Fall zu Fall entfpredjende Beträge zur Verfügung geftellt werden.
Inwieweit von einzelnen Gewerbetreibenden oder von Privatleuten befondere
Anträge auf Auswechfelung zu ftellen find, wird eine in den nädjjten Tagen erfheinende
Bekanntmachung aut bezgl. Form und Aıt pp der einzureihenden‘ Gefuche Muftlärung
geben. $
Eupen, ben 28. März 1920.
Der Kreistommilfar
Xhaflalre.
49
auch nicht ganz ausgeschlossen, so doch stark benachteiligt. Ein besonders
schwieriges Problem stellten auch die vielen "Grenzgänger" dar, die
tagtäglich im benachbarten Aachen ihr Brot verdienten.
Für diese Personengruppe erließ der Kreiskommissar Xhaflaire
am 26. April 1920 eine Reihe von "Richtlinien für die Umwechslung der
außerhalb des Kreises verdienten Löhne". Danach galten für eine
Höchstzeit von 120 Tagen, vom 19.3.1920 an gerechnet, folgende
Bestimmungen:
- Für den Haupternährer der Familie wurden in den ersten 8
Wochen wöchentlich 42 Mark gegen 42 Franken eingetauscht; in den
folgenden 8 Wochen noch 84 Mark gegen 42 Franken.
- Für jedes weitere Familienmitglied, das auch zum Unterhalt der
Familie beitrug, wurden in den ersten 8 Wochen 84 Mark gegen 42 F
gewechselt, danach 126 Mark gegen 42 Franken.
Vorbedingung war, daß die Arbeiter täglich nach Hause kamen
und «zur Weiterführung des Haushaltes» wesentlich beitrugen. In Fällen,
wo der Arbeiter nur wöchentlich oder in noch längeren Abständen nach
Hause kam, war zu prüfen, in wieweit derselbe «zur Lebensfähigkeit des
Haushaltes» beitrug. Unter Umständen war ein solcher Arbeiter vom
Umtausch auszuschließen.
Nicht zum Umtausch zugelassen wurden Beamte und Arbeiter,
die in staatlichen oder kommunalen deutschen Einrichtungen außerhalb
des Kreises Eupen beschäftigt waren.
"Da die Umwechslung nur eine beschränkte Zeit dauern
soll", so Xhaflaire, "und voraussichtlich noch gekürzt wird, ist den
Arbeitern klar zu machen, daß sie sich längstens innerhalb der
festgesetzten Zeit in Alt- oder Neubelgien Arbeit suchen müssen.
Neue Zugeständnisse sind auf keinen Fall zu erwarten."
Der Kreiskommissar ordnete die Errichtung eines Arbeitsamtes
an, das alle Berufe erfassen sollte, die für obige Umwechslung in Frage
kamen. Die einzelnen Gemeinden hatten sich gegenseitig die Nachfragen
und Angebote an Arbeitskräften zu melden. "Jeder, der eine halbwegs
zusagende Arbeit verweigert, ist von der Umwechslung auszu-
schließen."
Zur Prüfung der einzelnen Fälle war durch die Arbeiter anzugeben,
seit wann sie außerhalb des Kreises arbeiteten, welche Zeit sie
voraussichtlich benötigten, um innerhalb des Kreises Arbeit zu finden
und aus welchen Gründen sie im Kreise keine Beschäftigung fanden.
(Am 15. April 1920 war es in Eupen zu einer Protestkundgebung
von etwa 10.000 Menschen gekommen, die die Freilassung des in der
Nacht vom 14. auf den 15. verhafteten Gewerkschaftssekretärs Pontzen
erzwingen wollten. Schon am Vortag hatten etwa 7.000 Personen gegen
die aus der Grenzziehung erwachsenen Schwierigkeiten protestiert. Die
50
Großkundgebung wurde durch Polizei und Militär aufgelöst.
Kreiskommissar Xhaflaire kündigte einer Abordnung streikender Arbeiter
an, die Regierung Baltia habe 20 Millionen Franken zur Verfüngung
gestellt, um die Härten bei der Währungsumstellung zu mildern. In
Zukunft sollte jeder Arbeiter von seinem Lohn 7 Mark pro Tag zum Kurs
von 1:1 umtauschen können.) (3)
Die von den erwähnten schiedsrichterlichen Kommissionen
vorgelegten Berichte stießen bei fast allen Bevölkerungsschichten auf
heftigen Widerstand. Die Industrie wehrte sich gegen die Anrechnung
der Löhne auf die Wechselsummen; die Handwerker und Geschäftsleute
fanden, die Betriebskapitalien seien in den Steuerkarten durchweg zu
niedrig eingeschätzt; die Landwirte benötigten zusätzliche Mittel, um
die während der Kriegsjahre vernachlässigten Felder in Stand zu setzen
und die Hausbesitzer hatten lange unterbliebene Reparaturen auszuführen.
Unwillen erregte auch, daß ein Teil des umzutauschenden Geldes 4
in Kassenbons zu 3% gezahlt werden sollte. Im belgischen Inland
brachten solche Papiere meist 5%. Die Scheine, so sagten die Neubelgier,
seien keine Zahlungsmittel, da niemand sie als solche annehme, deshalb
auch nicht als Umwechslung zu betrachten.
Eine Volksversammlung im Eupener Jünglingshaus, zu der am
Sonntag, dem 30. Januar 1921, laut damaligen Presseberichten "alle
Stände von Eupen Stadt und Land", "Hunderte und aber Hunderte"
zusammengekommen waren, gab erstmals allen betroffenen Gruppen
Gelegenheit, ihre Kritik öffentlich vorzubringen, und dies in Anwesenheit
von Kreiskommissar Xhaflaire, den Bürgermeistern und sonstigen
Vertretern der Stadt und der Landgemeinden sowie des Vervierser
Abgeordneten Winandy. Der Pressevertreter, der von Hunderten von
Teilnehmern gesprochen hatte, verbesserte sich und schrieb: «Man kann
schon eher sagen: Tausende. Waren doch nicht nur der Saal selbst bis
zum letzten Winkel, alle Gänge von stehenden Teilnehmern dicht
besetzt, nach Hunderten zählten die allein, die draußen im Hof durch die
geöffneten Fenster dem Gang der Verhandlungen folgten. Fast
beängstigend war der Zudrang zur Versammlung, jene Enge im Saal;
aber alle etwaigen Befürchtungen erwiesen sich als grundlos; ruhig,
ohne Unfall, ohne Störung und — das sei schon vorweggenommen —
ohne ein unrechtes oder auch nur allzulautes Wort aus dieser gewaltigen
Menge verlief die Massenversammlung von Anfang bis zu Ende.”
Beieiner am 17. Januar 1920 im Eupener Rathaus stattgefundenen
Versammlung hatte der Wirtschaftsausschuß des Kreises Eupen schon
vorgeschlagen, den örtlichen Kommissionen die Berechtigung zu erteilen,
bei Vermögenswerten bis 25.000 M eine Wechselsumme zu befürworten,
welche sich nicht aus den Steuerakten ableite. So könnten die
«Geschäftsleute, Handwerker, Landwirte und der kleine Mann»
x OO
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A A
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Die vertrauten Reichsbanknoten (hier verkleinert)
wurden nach dem Anschluß Eupen-Malmedys an Belgien
gegen belgische Scheine bzw. gegen "Kassenbons" eingetauscht.
53
berücksichtigt werden. Zu den Kassenbons hatte der WA den Standpunkt
vertreten, nur 50% der gesamten Wechselsumme dürften aus solchen
Scheinen bestehen, die zu 5% verzinst werden müßten und nicht über die
Optionszeit, d.h. den 31.12.1922, hinausgehen dürften.
Die Großversammlung im Jünglingshaus erlaubte es nun, wie
gesagt, allen Berufsschichten, sich zu Wort zu melden und ihren Standpukt
darzulegen. Als Vertreter des Kleinhandels machte Josef Pommee klar,
daß der Hauptgrund der Unzufriedenheit darin liege, daß das zugrunde
gelegte Betriebskapital von 1913 nicht akzeptabel sei, da damals jeder
Geschäftsmann aus steuerlichen Gründen möglichst wenig angegeben
habe. Kaum mit dem Zehnfachen komme der Geschäftsmann heute aus.
Viele stünden denn auch vor der Frage, ob sie nicht ihr Geschäft
schließen müßten. Der Redner erläuterte die schwierige Lage der
Kleinhändler, deren guter Glaube in die Regierung enttäuscht worden
sei, und er wies darauf hin, daß der Staat, wenn er uns übernommen habe,
damit auch Verpflichtungen gegen uns auf sich geladen habe. Die
altbelgische Presse und die Vertreter im Parlament sollten über die
wahre Lage, über die man in Belgien nicht unterrichtet sei, berichten, die
Parlamentarier aber hätten hier eine nationale Pflicht zu erfüllen. In
Flandern sei die Not die Folge des Krieges, bei uns sei sie die Folge des
Friedens. Der Eupener Oberpfarrer Löchte schilderte in bewegten Worten
die Not der Kirche, besonders der Pfarre St. Nikolaus. Von den
deponierten 120.000 M habe man nur 16% zum Umtausch angenommen,
ähnlich sei es in anderen Pfarren des Dekanates gegangen. So habe seine
Gemeinde kein Geld mehr, um die dringendsten Ausgaben zu bestreiten.
Für die evangelische Kirchengemeinde sagte der Fabrikant W. Peters,
die Gemeinde habe 40.000 M zum Umtausch deponiert, nur 20.000 seien
umgetauscht worden, jedoch nur 4.000 in Bar, der Rest in Kassenbons.
Als Vertreter des Handwerks legte der Obermeister der
Bäckerinnung, R. Rinck, die Notlage und die Wünsche der Handwerker
dar. Von allen Gruppen, so sagte Rinck, habe das Handwerk am
schlechtesten abgeschnitten. Es fehle an Kapital und sogar eine
Mehrumwechslung von 200% könne den Zusammenbruch vieler
Handwerker nur noch etwas aufhalten, nicht aber verhindern. Allein die
Handwerker der Stadt Eupen benötigten zusätzliches Kapital in Höhe
von zwei Millionen F. Manchen Handwerkern seien nur 19% ihrer
Deponate gewechselt worden.
Die Landwirte des Kreises Eupen waren im Jünglingshaus durch
Herrn Küpper aus Hergenrath vertreten. Er kritisierte zunächst, daß man
bei der Umwechselaktion nicht auch den Geldwert von 1913 zugrunde
gelegt habe. Damals habe eine Mark einen Gegenwert von 1,25 F gehabt,
mindestens das Zwanzigfache müsse man heute haben, um "dasselbe
damit machen zu können wie 1913". Jeder Haushalt solle, so die
54
Forderung der Landwirte, bis zu 25.000 M sofort umgewechselt
bekommen, darüber hinaus noch bis zu 50.000 M in den beiden nächsten
Jahren. Als Betriebskapital forderten die Landwirte mindestens 600 F
mehr je ha "besonders zur Verbesserung des durch Raubbau entwerteten
Bodens, für die lange unterbliebenen Gebäudeausbesserungen und zur
Auffüllung des Viehbestands, der um ein Drittel zu gering" sei.
Der Großhandel, vertreten durch H. Mennicken, hatte in den
Kriegsjahren unter der Zwangsbewirtschaftung gelitten und war nun, da
er sich zu hohen Zinsen mit Franken versehen hatte, der belgischen
Konkurrenz gegenüber schwer im Nachteil. Bei der Umwechslung, so
legte Mennicken dar, habe kein Großhändler mehr als 10.000 F erhalten,
wofür man z.B. nur drei bis vier Stücke Tuch oder einen Wagen Hafer
erhalten könne, während ein Wagen Mehl schon 14.000, Sohlleder
schon 140.-160.000 F gekostet habe. Die Sperrung der Kredite müsse -
unverzüglich aufgehoben werden, die jetzt dem Großhandel
zugestandenen Beträge seien viel zu niedrig. Was solle man mit den
Kassenbons anfangen? Bargeld brauche der Handel, um arbeiten und
leben zu können. Und warum sollten die Neubelgier den Altbelgiern
gegenüber im Nachteil sein? Niemand mache dem "Herrn Ober-
kommissar" (Baltia) einen Vorwurf, es solle ihm keine Schuld an den
beklagenswerten Zuständen beigemessen werden. Man wisse sehr wohl,
daß das erste und letzte Wort nicht in Malmedy gesprochen werde:
deshalb scheue man sich nicht, die Erwartung auszusprechen, daß es
dem Herrn Gouverneur nicht von höherer Stelle aus schwer gemacht
werde, sein in der Proklamation gegebenes Wort einzulösen, daß die
Lösung der Geldfrage zur Befriedigung der Bevölkerung gelöst werde.
Im Auftrag des Allgemeinen Arbeitgeberverbandes sagte Herr
Alex. Mayer, daß der Herr Oberkommissar die Notlage der Industrie
anerkenne, gehe aus einem Schreiben desselben an den Herrn Erstminister
deutlich hervor, worin betont werde, die Regierung dürfe nicht weiter
dulden, daß die Industrie der beiden Kreise Eupen und Malmedy nicht
genügend Unterstützung finde. Dank gebühre dem Statthalter (Baltia)
für seine klare Erkenntnis der Lage, bedauerlich sei nur seine geringe
Bewegungsfreiheit in wirtschaftlichen und Finanzfragen. Jedenfalls
werde ihm das Vertrauen, das er in seinem Aufruf an die Bevölkerung
erbeten habe, auch heute noch entgegen gebracht, nicht aber allen seinen
Beamten. Mayer gab zum Schluß seiner Ausführungen der Hoffnung
Ausdruck, daß nach dieser Versammlung mehr Aufklärung in das
belgische Volk kommen möge und man dann in Brüssel eher helfen
wolle und könne.
Gewerkschaftssekretär Dericum, der im Namen der christlichen
Gewerkschaften sprach (— diese gruppierten 80% der Arbeiterschaft
—) stand mit seiner Organisation geschlossen hinter den Wünschen und
55
Forderungen des Wirtschaftsausschusses. Nur Gerechtigkeit verlangten
die Eupener. Wenn es wahr sei, daß in Kelmis und Moresnet eine Mark
zu 1,25 F getauscht worden sei, so könnten auch die Eupener das mit Fug
und Recht verlangen. Den Arbeitern müsse alles rechtmäßig Erworbene
umgetauscht werden. Die Zahlen zeigten einen Anstieg der
Arbeitslosigkeit; die Arbeitslosen erhielten jedoch keinerlei Unter- 5
stützung, außer durch ihre Verbände.
Die Einheit der Wünsche von Arbeitgebern und Arbeitnehmern
unterstrich der Vertreter der freien Gewerkschaften, Jos. Koch. Die
Arbeiterführer sähen ein, daß die Industrie in der augenblicklichen Lage
nicht zu Lohnerhöhungen in der Lage sei. Eine Herabsetzung der Löhne,
um dadurch die Konkurrenzfähigkeit der Industrie zu stärken, komme
jedoch auch nicht in Frage. Der belgische Staat müsse helfen, indem er
der Industrie die Mitte] für die Löhne zu solchen Bedingungen verschaffe,
daß sie mit Deutschland konkurrieren könne; auch die für die
Sozialversicherung nötigen Franken solle der Staat zu einem für die
Industrie tragbaren Kurs zur Verfügung stellen. Man erhoffe sich
schnelle Hilfe von Brüssel; nur sofortige Hilfe könne noch Rettung
bringen, bei weiterer Verzögerung komme sie für viele zu spät.
Auch für die kaufmännischen und technischen Angestellten
war die Umwechslung eine Überlebensfrage. So wenigstens formulierte
es deren Vertreter, Herr Hermann Becker. Die bescheidenen Summen
der Angestellten müßten restlos umgetauscht werden, und zwar so, daß
die Besitzer jederzeit über ihr Geld verfügen könnten.
Die Kriegsteilnehmer und Hinterbliebenen gehörten in der
damaligen unmittelbaren Nachkriegszeit gewiß zu den am stärksten
benachteiligten Gruppen. Manche Kriegsteilnehmer waren erst kurz vor
Deponierung der Markguthaben aus der Gefangenschaft zurückgekehrt
und verfügten infolge dessen nur über geringe Barmittel. Kriegs-
beschädigte waren erst nach der Deponierung in den Genuß ihrer Ge-
samtrente gekommen und waren folglich um die Möglichkeit gekommen,
diese umzutauschen. August Vise, der Sprecher des Verbandes der
Kriegsteilnehmer und Hinterbliebenen, gab der Hoffnung Ausdruck,
daß diese Gruppe bei einer Änderung der Umwechslung seitens der
Regierung gebührend berücksichtigt werde.
Der Verband der katholischen Vereine setzte sich für die
Milderung der Not der kleinen Rentner ein. Wie der Sprecher dieses
Verbandes, August Thielen, darlegte, hätten gerade diese Menschen
«durch die schwere Enttäuschung ihres Vertrauens, mit dem sie ihr Geld
hingegeben, das härteste Los zu tragen». Teuerung und Geldentwertung
trügen schon viel dazu bei, doch die Geldumwechslung mache das Elend
vollständig.
56
Die alten Leute könnten sich nicht noch einmal umstellen,
höchstens aufs Sterben! Viele von ihnen erhielten Unterstützung von
ihren Kindern aus Deutschland, aber was sollten sie damit anfangen,
wenn sie nicht umgewechselt werde? So seien Menschen zu
Unterstützungsempfängern geworden, die sich das früher nie hätten
träumen lassen.
Die Eupener Großversammlung hörte als letzten Redner den
Abgeordneten Winandy aus Verviers, der versprach, gemeinsam mit
den Senatoren bzw. Abgeordneten Peltzer, Simonis und David sich mit
allen Mitteln dafür einzusetzen, daß Zufriedenheit in die Bevölkerung
gebracht werde, auch wenn ie nicht die Erfüllung all dessen versprechen
könnten, was in der Versammlung gefordert worden sei.
Die Worte des Abgeordneten wurden mit Beifall aufgenommen.
Einstimmig angenommen wurde alsdann eine an die zuständigen ,
Behörden und die Volksvertretungen (Kammer u. Senat) zu richtende
Entschließung folgenden Wortlaus:
"Die von sämtlichen wirtschaftlichen Verbänden des Kreises
Eupen auf Sonntag, den 30.Januar 1921, in den Saal des Jünglingshauses
zu Eupen einberufene öffentliche Versammlung faßte folgenden Beschluß:
Das Ergebnis der erfolgten Unwechslung des deutschen Geldes entspricht
keineswegs den berechtigten Erwartungen der Bevölkerungen, es ist im
Gegenteil geeignet, das wirtschaftliche Leben zu Grunde zu richten,
sicher aber schwerstens zu gefährden. Die heute anwesenden, rund
zweitausend Angehörigen aller Stände und Berufsverbände, die die
gesamte Bürgerschaft der Stadt und des Kreises Eupen vertreten,
erwarten in der Wechslungsfrage ganz bedeutend weiter gehende, noch
über die Vorschläge des Wirtschaftsausschusses hinaus reichende
Zugeständnisse der Regierung im Sinne der heute erstatteten Berichte,
soll der sichere Ruin des werktätigen Lebens verhindert werden."
Wie hart die Umwechslung im Einzelfalle einen Industriellen
treffen konnte, zeigen die privaten Aufzeichnungen des Eupener
Tuchfabrikanten Nikolaus Schunk (*). Er schreibt u.a:
"Dann kam die Geldumwechslung. Den Arbeitgebern wurde am
Dienstag mitgeteilt, daß sie am Samstag derselben Woche in Franken
löhnen mußten, Die erste Löhnung war am 18. März 1920. In Eupen war
ein Büro im Rathaus, wo man Freitags mit der Lohnliste für Samstag
erscheinen mußte und man erhielt für soviel Mark dieselbe Zahl Franken
mit der Bedingung, daß den Arbeitern auch 1 a 1 ausgezahlt werden
mußte, unter Androhung von Strafe. Für den Haushalt erhielt ich eine
kleine Summe ausgezahlt, resp. umgewechselt in Franken. Die Löhne
(*) Privatarchiv Manfred Schunck, Eupen. Wiedergegeben‘in der
Dokumentenmappe zur Ausstellung "Die verdrängten Jahre" Eupen-Malmedy-St. Vith
1914-1945. Hrsg. von F. Cremer, F. Goor und W. Mießen. InED, Eupen, 1990.
57
konnte ich ca 4 Wochen, wie vorhin gesagt abholen und auszahlen, dann
stellten sie die Umwechslung ein. Man konnte sehen, wie man weiter
seine Leute in Frs bezahlte, man hatte eben keine. Diese Anordnungen,
von heute auf morgen die belgische Geldwährung einzuführen und I a
1 an die Arbeiter zu zahlen waren grundfalsch. Dann hätten wir eben
genügend Frankengeld von Belgien erhalten müssen. Zu der Zeit kostete
1 m Tuch 40 Franken und 200 M, ein Zeichen, wie falsch die Lohnzahlung
1 a 1 an die Arbeiter war. Dann kam die Endumwechslung. Ich hätte
erwartet, auch für die Bezahlung der in Franken gekauften Garne etwas
Franken zu erhalten, aber weit gefehlt. Mir wurde gesagt, daß ich mit
den erhaltenen Löhnen schon über das mir zustehende Maß an Franken
erhalten hätte. So hatte ich also mein Barvermögen an meine Arbeiter
abgegeben. Die Fabrikanten kamen in die größte Verlegenheit, da sie
die gekauften Rohmaterialien nicht bezahlen konnten. Es wurden
sogenannte Regierungskredite bei Banken gewährt. Ich mußte auch
einen nehmen und da ich ca 1000 Kg Kammgarn zu bezahlen hatte, einen
recht hohen von 80.000 Franken.
Ich mußte 80.000 M zur Bank besorgen und erhielt dagegen soviel
Frankenkredit. Dieser Kredit wurde für mich fast unerträglich, zumal
ich keinen Meter Tuch in Franken verkaufen konnte. Das Rohmaterial,
resp. das Kammgarn zum Arbeiten hatte ich gekauft von Leopold
Michels fils in Verviers. Einer der Söhne glaubte auch in Verviers Tuch
verkaufen zu können. Er verkaufte auch tatsächlich 25 Stücke blauen
Serge an eine Firma Croufer in Verviers. Diese Firma ließ sich die
Stücke vor und nach liefern und man glaubte, es sei alles in Ordnung.
Aber, als alle Stücke dort waren, (es waren mittlerweile die Preise für
Tuch mächtig gesunken) da fand Herr Croufer in den Stücken
Appreturschatten und verweigerte mir die Annahme von sämtlichen
Stücken. Ich ließ die Stücke bei Hüffer & Co, die dieselben appretiert
hatten, nachbehandeln, aber man wollte sie eben nicht, weil die Preise
gesunken waren. So konnte ich noch Lagergeld im Condionement, wo
Croufer sie hinges (...) hatte, zahlen und die Stücke nach Hause holen
lassen. Wenn wir nicht damals die «Boches» gewesen wären, dann hätte
man event. die Sache gerichtlich entscheiden lassen. Aber so war ein
solches Beginnen aussichtslos."
Das so schwer angeschlagene Wirtschaftsleben kam nur langsam
wieder in Gang. Die in Deutschland immer stärker werdende Inflation
förderte die Umorientierung unserer Betriebe in Richtung Westen. Aber
nicht allen glückte die Umstellung auf neue Märkte und die Suche nach
neuen Absatzgebieten. Das Amtsblatt Malmedy-Eupen jener Zeit bringt
zahlreiche Meldungen von Konkursen, die offensichtlich durch die
Währungsumstellung und die Abschnürung von den bisherigen
Absatzmärkten ausgelöst wurden. Die Regierung stellte insgesamt für
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Schon während der Besatzungszeit hatte die Nationalbank den Druck einer neuen
Banknotenserie für die Nachkriegszeit geplant. 1920 kam diese sog. Nationalserie mit
patriotischen Motiven nach und nach in Umlauf. Die Scheine im Werte von 1000, 100, 20,
5 und 1 Franken zeigen im Medaillon das Herrscherpaar König Albert und Königin
Elisabeth. Im Wasserzeichen ist König Leopold I. zu erkennen.
Die von der Besatzungsmacht in großer Menge in Umlauf gebrachten Reichsmark
und die vielen von Gemeindeverwaltungen und Wohltätigkeitsverbänden herausgegebenen
Notgelddrucke wurden gegen Scheine der Nationalserie eingetauscht, wobei der überhöhte
Kurs der Reichsmark beibehalten wurde, was eine starke inflationäre Wirkung im Lande
ausübte.
59
die Umtauschaktion die Summe von 65 Millionen Franken in bar und 45
Millionen in Staatsschuldscheinen ("Kassenbons") zur Verfügung, und
zwar zum Vorzugskurse von 1:1. Wer mehr als die ihm zu diesem
günstigen Kurs zugestandenen 1000 F benötigte, mußte sich auf dem
freien Wechselmarkt zu einem wesentlich ungünstigeren Kurs eindecken,
wodurch es vielfach zu hoher Verschuldung kam. Dennoch konnte
Baltia in seinem Jahresbericht für 1922 eine spürbare Verbesserung der
wirtschaftlichen Lage feststellen. "Das Ende der Übergangszeit sah die
Wirtschaft des annektierten Gebietes mit wenigen Ausnahmen wieder ‘
auf dem Weg einer günstigen Entwicklung." (4)
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7 AD
Diese 5 Franken-Banknote war von 1914 bis 1922 in Umlauf. Auch sie wurde
dann durch eine 5 Franken-Note
der «Nationalserie» abgelöst.
Anmerkungen:
(1) Der günstige Wechselkurs 1:1 hat offenbar auch zu Spekulationen geführt, da
die Banken im Gebiet Eupen-Malmedy einen Geldumlauf von 3.000 Mark pro Kopf der
Bevölkerung feststellten, während es im Reich 800 Mark und in Belgien 750 F waren. Das
führte dazu, daß schließlich nur 1.000 Mark pro Person umgetauscht werden durften.
(2) Klaus Pabst, Eupen-Malmedy in der belgischen Regierungs- und Parteienpolitik
1914-1940, ZAGV, Bd. 76, S. 308 ff.
(3)S. Peter Thomas, "Der große Wandel" in "50 Jahre Geschichte der Ostkantone",
Publikation des BHF, 1972, S. 12 u. 16.
(4) K Pabst, op. cit. S. 313.
61
Anhang:
Aus der früheren Gemeinde Walhorn besitzen wir ein Verzeichnis
der im Jahre 1920 in Aachen arbeitenden Personen, deren Verdienst für
einen Zeitraum von 5 Wochen und die ihnen zugestandene
Umtauschsumme. Die Liste enthält 31 Namen und gibt daneben auch
den Beruf und den Namen des Arbeitgebers.
Namen Beruf Arbeitgeber Haupt- oder
Nebenernäher
1. Wertz Maria, Drossiererin Friedr. Erkens H
2. Klinkenberg Maria Presserin Peter Ney H
3. Brandt Maria Sortiererin Siegmont Berg H
4. Eikens Leonard Weber Carl Heinemann H
5. Mertens Maria Lehrmädchen Reinhold Thelen N
6. Kerres Leo Betriebsführer Geschwister Thelen H
7. Barth Josefine Leserin H. Croon H
8. Barth Luise Leserin H.Croon N
9. Fischer Ernst Fabrikarbeiter Peter Ney H
10. Becker Alex Fabrikarbeiter Peter Ney H
11. Ernst Magdalena Kontoristin Gebr. Schumacher H
12. Ernst Emma Modistin F.Mommer N
13. Braun Maria Modistin Kaufhaus H
14. Flas Peter Gartenarbeiter Anton Plumanns H
15. Kalf Johann Fabrikarbeiter Peter Ney H
16. Kalf Josef Fabrikarbeiter Peter Ney N
17. Ramjoie Josef Färber Carl Scheins H
18. Worms Mathias Heizer Aachener Quellprodukte H
19. Goor Josef Tagelöhner Franz Keutgen H
20. Kever Josef Fabrikarbeiter Peter Ney H
21. Laschet Johann Lagerarbeiter Fanz Flamm H
22. Rossaint Theresia Fabrikarbeiterin Alb. Brüls H
23. Mostert Lambert Gartenarbeiter Anton Plumanns H
24. Schlemmer Elise Fabrikarbeiterin DJ. Küpper Sohn H
25. Dujardin Wilh. Maurer Peter Dreuw H
26. Schaaps Anna Stöpferin Arnold & Schüll N
27. Mostert Barbara Tagelöhnerin Heleni Jordis N
28. Drolinvaux Hein. Architekt Rob. Grünsig H
29. Dreyer Emil Zeichner C. Mehler N
30. Timmermann R. Lehrmädchen Adolf Bosch N
31. Esch Josef Gärtner
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Die in der Zeitspanne vom 19.3. bis 23.4.1920 gezahlten Löhne
liegen zwischen 1125 Mark für den Betriebsführer Leo Kerres und 210
Mark für das Lehrmädchen Maria Mertens. Fast die Hälfte der in Aachen
beschäftigten Walhorner (14 auf 31) sind Frauen, die vorwiegend in der
Textilindustrie und in Geschäften Arbeit fanden.
Da viele dieser Betriebe heute nicht mehr bestehen, fügen wir hier
noch deren Art und Lage hinzu:
Friedr. Erkens, Tuchfabrik, Burtscheid, Eller Str. 50
Peter Ney, Seifenfabrik, Kamperstr. 2
Siegmont Berg, Kunstwollfabrik, Emmichstr. 32
Carl Heinemann, Tuchfabrik, Burtscheid, Bachstr. 22
Reinhold Thelen, Plisseebrennerei, Harscampstr. 1
Geschw. Thelen, Gut Vogelsang, Burtscheid, Erzbergerstr.
Ringofenziegelei, Hüttenstr. '
H. Croon, Tuchfabrik, Annastr. 56 #
Gebr. Schumacher, Großhandl. Inst., Maurerstr. 108
F. Mommer, Putzmacherin, Kleinmarschierstr. 39
M. Braun, Kaufhaus, Adalbertstr.
Anton Plumans, Gärtnerei, Mühlenberg 9 II
Carl Scheins, Färberei u. Carbonisieranstalt, Schillerstr.
Aachener Quellprodukte=Kaiserbrunnen, Jülicher Str. 121
Franz Keutgen, Landwirt, Burtscheid, Am Chorusberg
Franz Flamm, Kolonialwarengroßhandl., Borngasse 27
Alb. Brüls, Spinnerei, Trierer Str. 99
J. Küpper Sohn, Tuchfabrik, Kaiserallee 19
Peter Dreuw, Eisenbetonbau, Burtscheid, Gregorstr. 11
Arnold u. Schüll, Tuchfabrik, Oranienstr.
Drolinvaux H., Baugeschäft, Bergstr; 10
C. Mehler, Maschinenfabrik, Roermonder Str. 17
Adolf Bosch, Devotionalien, Seilgraben 1
63
Kelmis im ersten Jahrzehnt
nach dem Ersten Weltkrieg
von Alfred Jansen
Ein Wort vorab
Die folgenden Zeilen über das ehemalige Neutral-Moresnet
(Altenberg, La Calamine, Kelmis) erheben keineswegs den Anspruch,
eine umfassende Darstellung der Geschichte dieses Ortes in den zwanziger
Jahren zu geben; sie wollen nur in einigen Episoden über den Alltag der
Bevölkerung in diesem ersten Jahrzent der Zugehörigkeit zu Belgien
berichten. Unser Mitarbeiter Franz Uebachs hat in den Göhltalheften Nr.
21,22,23 und 24 das Kelmis jener Jahre ziemlich ausführlich geschildert
und manche Begebenheit festgehalten.
Sollten sich im nachfolgenden Bericht auch gewisse Themen mit
den damals von Franz Uebachs behandelten überschneiden, so hoffen
wir doch, mit unserem Beitrag noch genügend bisher unbeachtete Aspekte
jener Zeit aufleben zu lassen.
Es soll ein Rückblick sein, der zu beschaulichem Vergleiche,
wenn überhaupt, anregen möchte, eine Gegenüberstellung der «guten
alten Zeit» mit unserer Computerära, die in weiteren 60-70 Jahren
unseren Nachkommen ebenso rückständig und altmodisch erscheinen
wird, wie uns Heutigen die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg.
Vorkriegszeit
Von der Maxstraße bis zur Göhlbrücke trug die Hasardstraße, im
Volksmund «de Pavei» genannt, ein klobiges Kopfsteinpflaster. Sie
führte mitten durch das Gelände der Bergwerksgesellschaft «Vieille
Montagne»; links war Preußen, rechts das neutrale Gebiet.
In Höhe der Werksanlagen wurde die Straße von einigen
Feldbahngleisen überquert, die einerseits das Material von der Erzwäsche
in kastenartigen Kippwagen zur Halde fuhren und andererseits das
Elektrizitätswerk, «Centrale» genannt, in umgekehrter Richtung mit der
nötigen Kohle versorgten.
Verkehrshindernisse waren diese mit betulicher Ruhe vonstatten
gehenden Transportzüge damals noch nicht, denn die Automobilindustrie
stand noch am Beginn ihrer Entwicklung.
Unten im Bruch zog sich zwischen Häuserfronten und Pflaster-
steinstraße ein Schienenstrang dahin: der Anschluß an das Eisenbahnnetz.
Ander anderen Seite verlief ein Feldbahngleis; es war die Zubringerstrecke
vom Bergwerk Mützhagen am Weißen Haus.
Dasjahrhundertalte Bergwerk war nur noch Aufbereitungsanlage
und das ehemalige Abbaufeld, die «Kull», bildete eine riesige
64
Kelmis vom Heidkopf aus gesehen in den 20er Jahren
Kraterlandschaft mit einigen toten Wassertümpeln, kargem Gestrüpp
sowie einer einzigartigen Galmeiflora.
Abgeschlossen wurde dieses gewaltige Abbaugebiet im Westen
von der Neustraße. Es schlossen sich dann in nördlicher Richtung ein
ausgedehnter Park sowie das Gebäude des Bergwerksdirektors an (das
heutige Parkcafe); die östliche Seite bildete der Lindenweg.
Neutral-Moresnet war zu Beginn des Jahrhunderts schon eine
beachtliche Ortschaft, dessen Dorfkern stabile Häuserreihen aufwies
undeine stattliche Kirche sein eigen nannte. Auch außerhalb des Zentrums
hatten sich Menschen angesiedelt, hatten sich Häusergruppen gebildet
und waren Ortsteile mit den skurrilsten Bezeichnungen (Vossölder,
Ruhr, Soufflet u.s.w.) entstanden. Mit den Straßen haperte es allerdings,
wie zu der damaligen Zeit ja überall. Einen asphaltierten Belag, wie ihn
heutzutage fast jeder Feldweg aufweisen kann, kannte man noch nicht.
Die Straßendecke bestand aus festgewalztem Schotter; zu beiden Seiten
lagen Rinnsteine, die die Abwässer ableiteten, wenn nicht noch offene
Abzugsgräben da waren, denen diese Aufgabe zukam.
Dieses aus ganz alter Zeit stammende offene Kanalsystem verlief
vor den Häuserreihen, deren Eingangstüren nur durch einen Steg zu
erreichen waren. Bei sommerlichen Temperaturen stieg von diesen
offenen Gräben ein scheußlicher Gestank auf.
An sich war Neutral-Moresnet also ein stilles, besinnliches Dorf,
das Jahr für Jahr so in den Tag hinein lebte und doch durch seinen
65
speziellen Status in aller Herren Länder bekannt war, was nun seinerseits
wiederum Fremde dazu ermunterte, sich hier anzusiedeln.
So wies beispielsweise am 1.7.1908 das Bevölkerungsregister
von Neutral-Moresnet 3904 eingeschriebene Personen auf, die interna-
tional eine recht bunte Palette darstellten. Da waren 1640 Preußen, 1457
Belgier, 388 Niederländer, 401 Neutrale, 8 Amerikaner(innen), 6 Fran-
zosen, 2 Italiener, 1 Schweizer und 1 Russe. Davon bekannten sich 3875
zur katholischen und 29 zur evangelischen Kirche.
Man sieht, es war ein bunt zusammengewürfeltes Völkchen, das
bestrebt war, im besten Einvernehmen miteinander das Leben zu meistern.
Aber die Zeit eilt uns in einem unheimlichen Tempo davon und heute,
1990, werden nicht mehr viele Kelmiser da sein, die noch vor der Wende
zum 20. Jahrhundert ihren Lebensweg begannen, zwei Weltkriege erlebten
und zum guten Schluß noch mit dem Atom- und Computerzeitalter
konfrontiert wurden.
Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte das kleine
Ländchen, das durch den Beschluß des Wiener Kongresses (1815) sich
einer gewissen Freiheit erfreute, ohne große Probleme und soweit es die
soziale Lage gestattete seinen Bürgern ein bescheidenes Dasein gesichert.
Der erste Arbeitgeber am Ort war die Bergwerksgesellschaft
«Vieille Montagne». Das im Umkreis noch abgebaute Galmeierz wurde
dem Werk zugeführt und aufgearbeitet. Das war für viele Einwohner die
einzige Erwerbsquelle. In Hergenrath war neben einer Marmorschleiferei
eine Kalkbrennerei, deren Material vor Ort abgebaut wurde. Dann lockte
Aachen mit seiner Industrie viele weibliche Arbeitskräfte an. Dieses
Einkommen war mit einer für die heutige Zeit unzumutbaren Strapaze
verbunden, mußte doch die Strecke Kelmis-Aachen jeden Tag hin und
zurück zu Fuß bewältigt werden.
Kleine Handwerksunternehmen, wie Klempner, Schreiner, Bäcker
und Metzger hatten sich im Ort etabliert und fanden ihr Auskommen.
Wenn das Geschäft einigermaßen lief, konnte man sich eine Dienstmagd
leisten, zumindest aber eine Waschfrau, die dann montags schweißtriefend
den ganzen Tag am Waschzuber stand und mittels Waschbrett und
scharfer Sodachemikalien die deftigen Wäschestücke bearbeitete, was
zur Folge hatte, daß die Frau abends mit verquollenen Händen und
Unterarmen ihren Arbeitstag beendete.
Nur 344 ha groß, eingekeilt zwischen Preußen und Belgien, mit
seiner Nordspitze eben die Niederlande berührend, war das kleine
Ländchen geradezu dazu prädestiniert, seinen Bewohnern auf nicht
gerade legale Weise zu einem verbesserten Einkommen zu verhelfen.
Schnaps wurde gebrannt, und das nicht nur für den eigenen Gebrauch.
Das «Bonnewäske» (Kaffeebohnenpfad), das vom Dorf zum Wald
hinaufführte, bedarf ebenfalls keiner weiteren Erklärung. Unten, auf der
66
«Pavei», der Landesgrenze zu Preußen, wechselten nachts Waren Land
und Besitzer. Die wenigsten hatten sich aber den Schmuggel zum Beruf
gemacht; meistens gingen die Menschen brav ihrer gewohnten Arbeit
nach und gaben sich mit demjenigen zufrieden, was sie hatten.
Kriegsausbruch
Ausdieser beschaulichen Ruhe wurden die Bewohner des neutralen
Gebietes jäh herausgerissen, als zu Beginn des Monats August 1914 mit
Kopfnägeln bewehrte Knobelbecher über das Steinpflaster der
Hasardstraße gegen Belgien marschierten. Die Träger derselben trugen
Spitzhelme und sangen aus voller Kehle, so als gelte es, eine harmlose
Feldübung zu machen. Der Krieg war ausgebrochen und das hatte für
Land und Leute Folgen. Folgen, die auch im Ort tiefe Wunden gerissen
haben. Man schaue sich nur einmal die Gedenktafel im Eingang der
Pfarrkirche an! Da wird einem vor Augen geführt, welchen Tribut die
Bewohner im Ersten Weltkrieg gezahlt haben. Vier Jahre gingen ins
Land, vier Jahre Besatzungszeit. In dem großen Patronagesaal war eine
Landsturmkompanie einquartiert. Das Brot wurde im Schützenlokal auf
Lebensmittelkarten ausgeteilt. Für Ordnung und Ruhe sorgte der «Spitz»,
ein preußischer Feldgendarm, der, wenn nicht zu Fuß, dann hoch zu Roß,
mit Pickelhaube und Capemantel bekleidet, seinen Dienst versah und mit
dem nicht zu spaßen war.
Das Schulwesen
Die pädagogischen Aufgaben besorgten Ordensschwestern. So
war im jetzigen Gemeindehaus eine 14-köpfige Gemeinschaft des Ordens
von Notre Dame (aus Namür) zu Hause, darunter 6 Lehrerinnen. Ihnen
oblag es, der weiblichen Jugend das nötige Wissen für den späteren
Lebensweg mitzugeben. Diese Schwestern mußten 1940 das Land
verlassen, da in der Zeit der Annexion in Kelmis eine andere
Weltanschauung propagiert wurde.
Im Jahre 1901 hatten sich hinter der Kirche Domini-
kanerschwestern niedergelassen, deren Mutterhaus in den Vereinigten
Staaten war. Von den 13 Ordensfrauen waren zwei aus den Staaten
eingewandert, die anderen kamen aus Deutschland. Außer einem
Schulraum im eigenen Klostergebäude hatte man in der Patronage zwei
große Säle eingerichtet, wo zwei Schwestern ihren erzieherischen
Aufgaben gerecht wurden.
Diese beiden Nonnen hoben sich besonders hervor, nicht nur
dadurch, daß beide im Klosterleben Männernamen angenommen hatten
(Schwester Leo und Schwester Thomas), sondern auch, weil sie mit
preußischem Drill und Stockhieben Wissen einbleuten.
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Als der Krieg zu Ende ging, verkauften die Dominikanerinnen ihr
Haus an die Gemeindeverwaltung, ließen sich den Erlös in harten Dollars
auszahlen und zogen alle nach Amerika.
Wäre noch der alte Lehrer Horgnies zu erwähnen, dem im Kloster
der Schwestern von Notre Dame ein Klassenzimmer eingeräumt worden
war, und der die obere Knabenschule führte, aber durch sein Alter sowie
eine nicht stabile Gesundheit nicht mehr die Autorität aufbrachte, sich
Respekt zu verschaffen. S
Das Haus auf der Lütticher Straße, das jetzt die Hausnummer 156
führt, hat bis nach dem Kriege einer Ordensgemeinschaft der Minoriten
gehört. Als der Ort dann 1919 belgisch wurde, zogen es die Patres vor,
die deutsche Nationalität zu behalten. Sie sind größtenteils nach Würzburg
abgewandert.
Die Attraktion des Antoniushauses, so hieß die Niederlassung,
war während der Weihnachtszeit, wenn die Fratres in ihrer Kapelle eine
wunderschöne Krippe aufstellten, die Jung und Alt anlockte.
Die Pfarre
Drei geistliche Herren trugen für das Seelenheil der Bevölkerung
Sorge: Pastor Kept, ein großer vierschrötiger Mann mit breiten
Gesichtszügen und strengem Blick, eine Autoritätsperson; Kaplan
Simons, eine kultivierte Erscheinung, dem u.a. die Chorknaben
unterstanden, war auch zuständig, wenn außerhalb der üblichen Got-
tesdienste, an Feiertagen, wie z.B. Ostern, Pfingsten oder Weihnachten,
bis zu 30 Ministranten zur Verschönerung der Liturgie beitrugen. Kaplan
Fis verkörperte den ausgesprochenen Landpfarrer, klein von Gestalt mit
etwas unnatürlichem rotem Teint und wulstigen Lippen. Äußerlich sah
man ihm das Energiebündel, das er in Wirklichkeit war, nicht an. Er rief
verschiedene Institutionen ins Leben und wurde später Direktor der
sozialen Werke in Verviers.
Nachkriegszeit
Ende 1918 war der Krieg zu Ende. Die deutschen Truppen
strömten nach Deutschland zurück, ihnen auf dem Fuße folgten die
belgische und die französische Armee. Neutral-Moresnet wurde Belgien
unter dem Namen «La Calamine» einverleibt. Die Staatsgrenze wurde
einige Kilometer nach Osten verlegt und die Grenzsteine, die bis dahin
das freie Ländchen umsäumt hatten, zeigten nur noch die
Gemeindegrenzen an. Die belgische Gemeindeverwaltung bezog dasselbe
Gebäude, das unter Neutral-Moresnet demselben Zweck gedient hatte,
nur lag es damals in Preußen, nun in Neu-Moresnet, dem früheren
Preußisch-Moresnet.
69
Die Ordnungshüter
Es war schon eine gewaltige Umstellung für die Einwohner von
Kelmis. Bekanntlich verändern Kriege ja das Weltbild; Kriege verän-
dern auch die Lebensweise; es dauerte auch eine geraume Zeit, bis
gewisse politische Wellen sich geglättet hatten. Als Feldhüter im Dorf
fungierte «Schingse Juhann», ein Mann, der dank seiner belgischen
Nationalität aus der Anonymität herausgehoben wurde, als er den
Uniformrock anzog. Ein Mann aus dem Volke, der einem «Dröpke»
(Schnaps) gar nicht abgeneigt war.
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Schülergruppe: (1919 oder 1920)
der erste auf der Ecke vorne links ist Peter Kofferschläger;
rechts mit Zylinder Schingse Juhann (Schampett)
Die Gendarmeriebrigade hatte da ganz andere Sorgen: Grenzland
war Schmuggelland und der blühte ganz besonders nach dem Waffen-
stillstand. Da hatten sich rivalisierende Clans im Dorf gebildet, die
meistens sonntags, natürlich unter Alkoholeinfluß, in Wirtschaften und
Tanzsälen ihre Streitigkeiten ausfochten, ja sich förmliche Saalschlach-
ten lieferten, deren die zahlenmäßig unterlegene Gendarmerie nicht
immer Herr wurde. Diesem ein wenig außer Kontrolle geratenen Zustand
mußte Einhalt geboten werden, und so stand zu erwarten, daß die
Obrigkeit alles versuchen würde, die Lage wieder in den Griff zu
bekommen. Der Mann, dem diese Aufgabe anvertraut wurde, war der in
Messancy geborene und in Verviers stationierte Gendarmeriekomman-
dant Nikolaus Schrobildgen, der am 1.12.1919 seine Versetzung nach
Kelmis antrat. Dieser Mann war ein Hüne von Gestalt. Mit Bärenkräften
ausgestattet gelang es ihm mit Unterstützung seiner Brigade, auf ziemlich
drakonische Art in kurzer Zeit diese Wildwestepisode zu beenden.
#8
So wurden in aller Eile am «Dörnchen», an der Stelle, wo jetzt die
Mittelschule steht, drei langgestreckte Schulgebäude zu je vier Klassen
gebaut.
Dieser Eile waren nun doch allerhand administrative Hürden im
Wege gewesen und es hatte des Besuchs des zuständigen Ministers be-
durft, um demselben die Notwendigkeit einer neuen Schule vor Augen
zu führen.
Was jetzt in der Parkstraße errichtet wurde, waren ausgediente
deutsche Militärbaracken, die irgenwo an der belgischen Küste gestan-
den hatten.
Also Schulgebäude «aus zweiter Hand». Mit der Zeit erwies es
sich, daß die Temperaturen in diesen Baracken im Sommer wie im
Winter, Anlaß zu Beanstandungen gaben; die Sache nahm aber schlim-
me Folgen an, wenn es regnete. Die Dächer der Schulgebäude waren
undicht, so daß es machmal an verschiedenen Stellen durchtropfte. Dann
mußten die zweisitzigen Sehulbänke verrutscht werden, was dann in der
Klasse zu einem lustigen Kunterbunt führte.
In diesen Unterkünften nahmen dann zu Beginn der zwanziger
Jahre die Lehrer Decker, Kessels, Hennico, P&che, Laurent und Renard
für die Knaben, und die Lehrerinnen Letiexhe, Biver und Ponce für die
Mädchen ihre Klassenzimmer ein.
Ein Teil dieser Pädagogen ist für immer in Kelmis ansässig
geworden, mit Ausnahme der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Edouard
Laurent, allen Kelmisern als "Liehrer Laurent" bekannt, lebte im Ort bis
1987. Er verstarb in Verviers am 15.12.1989 im Alter von 88 Jahren.
Einfallsreiche Schmuggler
Kommen wir doch noch einmal auf das Thema Schmuggel
zurück. In Deutschland waren direkt nach dem Kriege Kaffee und
Schokolade begehrte und seltene Artikel.
Für Leute, die auf einen lukrativen Nebenverdienst erpicht
waren, war dieser Notstand natürlich Anlaß, rentable Geschäfte zu
machen. Eine Zeitlang war es die begehrte Kwattaschokolade, die auf
nicht ganz legale Weise den Weg über die Grenze fand. Dazu bot sich
unten auf der Hasardstraße in geradezu provozierender Weise ein
Transportmittel in Gestalt der "Aachener Kleinbahn" an.
Von Aachen kommend blieb die Straßenbahn 40 Minuten lang in
Kelmis stehen, bis die nächste kam. Zeit im Überfluß für "Sachverstän-
dige", im Innern des Wagens von der Innenverkleidung Paneele
abzuschrauben und die Ware in den freien Raum zu verstauen. Es war
selbstverständlich, daß Fahrer und Schaffner in die Sache eingeweiht
waren; sie erhielten ihre Provision und "hießen Hase" wenn mal eine
Sache schiefging.
73
geschnappt wurden, verging das Lachen und noch mehr die Lust,
weiterhin diese Risiken auf sich zu nehmen.
Einkauf im Tante-Emma-Laden
Seit Ende des Krieges waren auch wieder die Regale der "Colonial-
Warengeschäfte" gut gefüllt. Diese "Tante-Emma-Läden" boten so
ziemlich alles, was in der damaligen Zeit an Konsumgütern feilgeboten
wurde. Aber viele Waren, wie Zucker, Reis und Kaffee, wurden in
großen Behältern und Säcken angeliefert und mußten abgewogen werden.
Da passierte es schon mal, daß der cleveren Geschäftsfrau zum Wiegen
des Kaffees die dünnen Tüten ausgegangen waren und eine dicke aus
Packpapier herhalten mußte. Um das schmackhafte, zähflüssige
Apfelkraut aus dem Tönnchen in die vom Kunden mitgebrachte Schüssel
abzuwiegen, bedurfte es schon einer gewissen Geschicklichkeit. Auf
der Theke stand neben den Glaskugeln mit "Klömkere" (Bonbons) das
ganze Jahr über die große Schüssel mit den eingemachten Heringen. Das
ganze Innere des Ladens wurde aber durch den penetranten Geruch des
Petroleumfasses beherrscht, das in der Ecke stand und dessen Inhalt
trotz sichimmer mehr und mehr ausbreitendem Stromnetz rege Nachfrage
fand.
| O Ä a <
Maison H. Schins-Ve38
i LA OALAMINE Bo
| ; Rue du Patronage, 26 Rus da Patronago. 26
4 Empfichlt :
Kolonial
Kolonialivaren:.
Weine — Liqueure — Spirituofen.,
Spezialität : Original Lugemburger Korn,
E Auf ale Waren Kelmifer Rabattmarken
Einzelhandelsgeschäfte nannten sich häufig «Kolonialwarenladen», d.h. daß sie
Waren aus den Kolonien anboten.
74
A propos Kaffee. Dieses Gebräu wurde sozusagen niemals pur
getrunken, es wurde immer Zichorie beigemischt, ein bitteres
Wurzelprodukt, das der verwöhnte Kaffetrinker heute mit aller
Entschiedenheit ablehnen würde.
In Kelmis blieb die Zeit nicht stehen, der Fortschritt nahm seinen
Lauf. Es wurde eine Delhaize-Filiale eröffnet und die soeben gegründete
Arbeiterbewegung richtete einen "Konsumladen" ein. Das bekamen in
erste Linie die kleinen "Potikskere" (= Läden, Boutiquen) zu spüren.
Eine Situation, wie wir sie in unserem Zeitalter mit den großen
Einkaufszentren erleben.
Zum Thema "Läden" muß hier unbedingt eine kleine Attraktion
eingeblendet werden. Es war der schwarze Pudel des evangelischen
Pfarrers, der alleine mit dem Korb im Maul einige hundert Meter weit
Waren einkaufen ging und sich sogar mitunter die Tür selbst öffnete. Es
sollte da keiner wagen, ihm den Korb abzunehmen!
Fuhrverkehr und Vandervelde-Gesetz
An Autos war im Dorf noch nicht viel zu sehen; Pferdefuhrwerke
beherrschten das Bild. Um die Exkremente der Vierbeiner brauchte sich
die Gemeinde nicht zu kümmern. Da gab es im Dorf pfiffige Burschen,
die mit kleinen Karren sowie "Quispelen Plett" (Handfeger und Schaufel)
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75
die Straßen reinhielten und das eingesammelte Düngegut gewinnbringend
an Gartenbesitzer veräußerten. Da gab es sogar bestimmte Standorte, die
mit Sicherheit Erfolg versprachen. So, zum Beispiel, wenn die Fuhrleute
vom "Berg" mit den beladenen Pferdekarren den Anstieg aus dem Bruch
bewältigt hatten, mußte für die schweren Brabanter eine Rast eingelegt
werden. Das nützte der Fuhrmann selbstverständlich aus, um ebenfalls
gegenüber im "Nikenik" (heute Ratskeller) "e Dröpke" zu trinken. So
beschaulich war die Zeit damals!
Wirtschaften und Dorfschenken gab es inrauhen Mengen, darunter
auch einige, denen ein nicht ganz untadeliger Ruf anhaftete. Diesem
Erwerbszweig wurde im Jahre 1922 durch das allgemeine Alkoholverbot,
das sogenannte Vandervelde-Gesetz, ein harter Schlag versetzt. Das
hinderte den gewieften Wirtshausbesitzer aber nicht daran,
klammheimlich hinten in der Küche den Stammkunden weiterhin das
zur Gewohnheit gewordene "Pikske" einzuschenken.
Ein blühendes Vereinsleben
Es war auch die Zeit, wo eine Menge neuer Vereine gegründet
wurden. Brieftaubenverein, Theatergruppen, Familienbund, der Fuß-
ballverein, etliche Schützenvereine wurden ins Leben gerufen und
bestehen zum Teil erfreulicherweise auch heute noch. Für die Jugend
bildete man eine Pfadfindergruppe, ein Novum, dem die Kelmiser
Jungen mit Begeisterung begegneten.
Es hatte sich auch ein Raucherklub gebildet. Diese ehrenwerten
Herren tagten im Hinterzimmer einer Wirtschaft und fröhnten ihrem
Laster. Geraucht wurde aus jenen langen Opapfeifen mit gewaltigem
Porzellankopf, denen man gut und gerne eine halbe Packung Tabak
einverleiben konnte.
Nunstelle man sich den dichten Qualm vor, der aus gut einem
Dutzend Pfeifen in dem kleinen Zimmer während einer Sitzung im
Raume stand. Aber nefaste Auswirkungen oder krebsfördernde
Eigenschaften dieses Genußmittels waren zu jener Zeit kein Ge-
sprächsthema.
Die neu gegründeten Gesellschaften suchten ein Vereinslokal,
und das war bei der Vielzahl von Wirtshäusern und Tanzsälen in Kelmis
kein Problem.
Wenn bis vor dem Ersten Weltkrieg allenfalls bei Kirmes, Karneval
oder Schützenball das Tanzbein geschwungen wurde, so änderte sich
das schlagartig mit dem neuen Lebensstil nach dem Krieg. Da lösten sich
Fahnenweihe mit Turnfest und Königsvogelschuß ab; kurz, man feierte
die Feste, wie sie fielen.
Der abendliche Vereinsball war der Höhepunkt. Die älteren
Semester traten mit Bratenrock und Röhrenhosen an , Kleidungsstücken,
die noch von vor dem Kriege stammten, unverschleißlich waren und für
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76
die Ewigkeit gemacht schienen. Die Damen kamen in schweren
Satinroben, eingezwängt in Korsetts. So den ganzen Abend von den
kräftigen Dorfburschen herumgewirbelt zu werden, na, wenn das kein
Spaß war! Getanzt wurden meistens die Tänze, die sich noch aus dem
vorigen Jahrhundert herübergerettet hatten: Masurka, Polka, Lancier,
Walzer u.s.f.
Nachmittags wurde von 4 bis 6 "op de Krack gedanzt", d.h. die
Veranstalter gingen mit dem Teller rund und kassierten bei jedem
Kavalier 0.25 centimen (en Krak) ein. Hier wurde auch Foxtrott und
Tango getanzt und — zum Entsetzen der älteren Generationen — auch
Charleston.
Das erste Kino
Dann bot sich in Kelmis eine Sensation an: es wurde ein Kino
eröffnet. Dazu war auf der Lütticher Straße ein Saal eingerichtet worden
(Dentist Snoeck, heute Dr. De Ridder). Stummfilme von unendlichen
Episoden mit Geige und Klavierbegleitung und einem Dolmetscher, der
die Texte übersetzte, wurden nun wöchentlich den Zuschauern vorgeführt,
und da dies eine noch nie dagewesene Attraktion war, brauchten sich die
Inhaber des Kinos keine Sorgen über ein eventuelles Verlustgeschäft zu
machen.
Pitt u. Nades
Ein gewisses Gegenstück dazu bot die Patronage, wo vom
Jünglingsverein unter der Leitung der Geistlichkeit von Zeit zu Zeit
Theateraufführungen gebracht wurden. Es war die Zeit, wo "Herve Pitt"
(Peter Herff) und "Kohle Nades" ( Leonard Kohl) als Duo auftraten.
A A
5 A nn
A, an BD A "
Peter Herff und Leonard Kohl (rechts) als komisches Duett
77
Nades wiederholt mit dem Gag, wo er einen Balanceakt mit Blechdosen
vorführte. Dazu trug er ein an einem Stiel befestigtes Tablett, auf dem
leere Konservendosen gestapelt waren, die er in gespielter Unge-
schicklichkeit auf die in den ersten Reihen sitzenden Honorationen des
Ortes fallen ließ. Die Dosen waren aber alle mit einer Schnur am Tablett
befestigt. Der Saal brüllte vor Lachen.
Zum Schluß der Vorstellung wurde dann mit Magne-
siumbeleuchtung ein Bühnenbild von allen Darstellern gemacht. Danach
war der Saal in eine dichte, stickige und stinkende Rauchwolke gehüllt.
Neue Sportvereine
Zu Beginn der zwanziger Jahre wurde die Jugend hier mit einer
Sportart konfrontiert, von der wir bisher nicht die geringste Ahnung
hatten, dem Radrennsport. Durch den Ort, von Bleiberg oder Moresnet
kommend und auf Hergenrath zu führte eine Etappe der Tour de
Belgique. Mit dem heutigen Radsport ist hier kein Vergleich möglich. Es
hatte geregnet und die aufgeweichten Wege hatten die Radsportler in
Schlammgestalten verwandelt. Einzeln oder paarweise durchquerten
die Renner in ziemlich großen Abständen den Ort und strebten dem
Etappenziel zu. Es war eine Sportart, die zu den widersprüchlichsten
Kommentaren bei der Jugend führte.
Trotzdem, bei uns Burschen, die wir in Sachen Leibesertüchtigung
allenfalls mit den Leistungen der Turner vertraut waren, wurde in der
Folge der Radsport sehr beliebt, etablierten sich doch kurz danach im Ort
zwei Fahrradhändler. Ein Fahrradklub wurde gegründet, und es dauerte
auch nicht lange, bis Radrennen organisiert und durchgeführt wurden.
EAEAENEOENFNNETENAET
Hotel DAHLEN, Neu-Moresnet.
= NacdhHkirme8! Au
V Zi Sonntag 21. September
Grosser BALL mit Preistanzen
veranftaltet vom Radfahrer-Klub „Calaminla“
Erster Walzer 6 Ubr. _— Entiröe 2 Fr. 50,
SERBIEN EB VEREREE DEFSONEENTEEETNENUFTEMET,
Die Freie Presse, 17.9.1924
Der Radfahrerclub «Calaminia» hatte sein Vereinslokal in Neu-Moresnet.
al «“
Vöio-Club GBR „EN AVANT
LA CALAMINE
DE Somntag, den 4. Mai 1924 BE’
OGroß. Radrennen
Vs ß en”
70 Kilometer. — WertvyoNe Preije.
Abfahrt der Redfaebrer halb 3 ur nachmittags ab Reftaurant
Willy Bings.
Ankunft und Preisverieilung dorifeib{t.
Abends 6 Ubr, Im Vereinstokale Willy Bings : .
Erites Stiftungsfeit |
"und
Ze Sieger-Ball. 2:
Zu diefen Feßlichkellen laden ergebanft zin $
Velo-Clud „En Avant” und der Verzinswirt.
Die Freie Presse, 3.5.1924
Im Vereinskokal Willy Bings trafen sich die Radler des
1923 gegründeten «V&lo-Club En Avant».
; UM Heil!
RAD A
in
ZN), Radfahrer-Club Calaminia
XEU-MORESNET.
BE Am Sonntag den 24. Mai 1925 BE
; feiert der Radfahrer-Club Calaminia feln diesjähriges
A »
Champien-Mennen
verbunden mit Konkurrenz-Rennen
offen {für £a Calamine und Meu-«Moresnet,
Abfahrt und Ziel Im Vereinslokale des Herrn Peter Dablen,
1. Rlafje 60 Klm. 2. Klajfie 30 Klm.
für jeden Jugendlichen Fahrer unter 17 Jahren,
Punkl balb 2 Ubr, Antrelzn der Renner. — 2 Ubr, Abfahrt
Rumeldungen zu belden Rennen und Bedingungen beim
Präfidanten Reflaurallon Hubert! Autmanns, Moresnezlerftrafje,
bis 23. Mal.
2b 4 Uhr, Tanzvergnügen,
Rbends,
Grosser Champion-Ball.
Anfang 7 Uhr. — Eniree 2 Fr. 50,
Es Jade! ein Der Radfahrer=Club nebft Vereinswirt.
Die Freie Presse, 23.5.1925
79
Zwei "Asse" hatten wir im Ort, die allen anderen überlegen waren,
die sogar dem Rest der Fahrer zwei bis drei Minuten Vorsprung ließen,
um dann noch als Sieger, Schulter an Schulter, das Zielband zu überqueren.
YNeuw-Moreduet. Verfloffenen Sonntag hielt der
Rudfahrer-Klub „Salaminia“ fein diesjähriges Cham ”
pion-Iennen ab. Ab 1 Uhr waren die Straßen, wo
die Durchfahrt ftattfand, von Zufchauern dicht befeßt,
wollte fich doch jeder überzeugen, wer eigentlid) der
befte Nenner von La Calamine und Neu-Moreonet fet.
MWunkt 2 Uhr, nach einigen freundlichen Yillfomm-
mworten des Präjidenten und Huldigung des vorigiäh-
rigen Champions Henri Nicßhen, nahmen die Kenner
Stellung 3ır Abfahrt. Um 2 1/4 Uhr, gab Herr
Yailkry das Zeichen „lo3”. E38 nahmen adt Fahrer
am Kennen teil. Als Zeuge der ganzen Fahrt muß
ich geftehen, daß die Nenner cine Leiftung geliefert
haben, die alle SER übertraf. 1. Or. Thomas
Lemoine, Mitglied der „Calaminia”, crrang 3 Preife :
Shampion-Chrenpreis, Chrenpreis für beften Jahrer
und Konkurrenz-Chrenpreis. 2. Hr. Hub. Defonay,
ebenfalls Vitglied der „Calaminia“, errang den 1.
Championpreis und den 1, Preis im Konkurrenzreunen.
3. Hr. Zean Herf errang den 2. Preis im Konkurrenz:
zennen, 4, Gr. Henri Nießen, vorigjähriger Champion,
errang iroß feiner 48 Jahre den 3. Preis im Mon:
Furrenzrennen, Ju der 2, Ilaffe errang Hr. Yanace
Schmig den Chrenpreis und Hr. Jean Autmanz den
1. reis, Wir rufen dem waderen Nadfahrer-Alub
„Calaminia“ fowie den diesjährigen Champions und
Siegern ein Iräftiges „Gut Heil“ zu.
Die Freie Presse, 31.5.1925
Im Jahre 1923 wurde der Fußballclub gegründet. Wenn er auch
sofort seine begeisterten Anhänger fand, so blieb doch die Hauptsportart
das Turnen. Drei Turnvereine hatten wir hier im Ort: den "Verein", die
"Turngemeinde" und die "Einigkeit". Mannschaftlich waren sie sehr
stark besetzt und auch äußerst aktiv, bestanden doch hier in der ganzen
Umgebung zu jener Zeit in allen Dörfern Gymnastikvereine, die alle im
Sommer ihr Turnfest abhielten. Dann versammelten sich mitunter 20-25
Vereine zum Wettkampf. Gewichtheben, Ringen, Geräteturnen,
Freiübungen und Pyramidenbau waren die hauptsächlichsten Disziplinen,
indenenes galt, sich als der Beste zu zeigen. Am Sonntagnachmittag zog
der Festzug durch den Ort. Das war immer ein imposanter Anblick, wenn
die Turnerriegen stramm und unter Musikbegleitung durch die Straßen
marschierten, um so strammer, alses ja Preise für die beste Marschordnung
gab. Höhepunkt war dann am Abend die Preisverteilung, wo die Kelmiser
Turner niemals leer ausgingen.
1
82
Feste feiern wie sie fallen
Mit den Schützenvereinen verhielt es sich genau so. Sechs
Gesellschaften hatten wir im Jahre 1923 hier im Ort. Mit ihren schmucken
Uniformen, den federverzierten Hüten und den großkalibrigen, schweren
Gewehren boten sie ebenfalls bei den Vereinstreffen und Umzügen ein
prächtiges und eindrucksvolles Bild. Größtenteils war diese Sportart
aber einer Generation vorbehalten, die zwar noch stramm marschieren
konnte, sonst aber schon einer beschaulichen Ruhe nachging und ihre
ganze Konzentration über Kimme und Korn dem anzuvisierenden Ziel
widmete. Eine bunte Prachtentfaltung bildeten die Radfahrvereine bei
den Umzügen. Die Räder waren mit bunten Rosetten und Girlanden
geschmückt und die Speichen der Räder durchzog farbiges Kreppapier.
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EN ® as
Zum 75-jährigen Vereinsjübiläum stellten sich die Jubilare der St. Barbara und
St. Sebastianus Schützengesellschaft am 12. Juni 1927 dem Fotografen zum
Erinnerungsfoto.
Man sieht, bei einer so mannigfaltigen Vereinsansammlung konnte
von Mangel an Unterhaltung und Abwechslung keine Rede sein.
83
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«Narrheit getrieben, Kurz und mit Sinn, Wohltun den Armen, dem Herzen Gewinn».
Der «Karnevalsklub Lustige Brüder Altenberg» im Mai 1922
Und schon damals nicht zu übergehen waren Karneval und
Kirmes. Die Bevölkerung von Kelmis war und ist immer von Frohnatur
gewesen. Die Feste wurden gefeiert, wie sie fielen, und dabei spielte der
Karneval immer eine bedeutende Rolle. Hier Rot, da Blau, wetteiferten
die Büttenredner, die sich im Laufe des Jahres zugetragenen,
spottverdächtigen und schadensfrohen Begebenheiten zu Gehör zu
bringen. Der Lacherfolg war ihnen sicher, kam doch da manches auf's
Tapet, was sonst geflissentlich verschwiegen worden wäre.
Die Kirmes fiel und fällt immer auf den zweiten Sonntag im
September. Sie fand damals auf der "Pavei" statt. Der große Ort zog
immer viele Schausteller an und die zusätzliche Teilnahme der hier
ansässigen Fahrensleute, die die schönsten Karussells und
Schiffsschaukeln im ganzen Umkreis besaßen, garantierten der Kirmes
einen vollen Erfolg. Wenn die Familie Hülster im Frühjahr für den
ganzen Sommer auf Tournee ging, war es immer beeindruckend zu
sehen, wie diese aus 8 bis 10 Wagen bestehende Kolonne sich im
Schrittempo fortbewegte. Gezogen wurde dieser Zug von einer
Straßenlokomotive, wie sie die deutschen Soldaten aus dem Kriege
mitgebracht hatten. Von Straßenverkehr im heutigen Sinne war natürlich
keine Rede, die paar Autos und Pferderfuhrwerke, die die Wege belebten,
fielen nicht ins Gewicht.
85
Bleibt nur noch die Fahrkunst zu erwähnen, wie der Lokführer mit
dem langen Zug durch die Straßenkurven kam.
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Dieses Bild der im November 1918 durch Kelmis zurückflutenden deuschen
Armee zeigt eine sog. Lokomobile, wie sie die Fa. Hülster in den zwanziger Jahren
als Zugmaschine benutzte.
Neue Seelsorger
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges bekam die Pfarre eine neue
Geistlichkeit. Pastor Kept wurde nach Baelen versetzt. An seiner Stelle
kam der aus Henri-Chapelle stammende Pastor Franz Scherrer. 1919
kam an Stelle von Kaplan Simons ein geborener Gemmenicher, Jos.
| Wenders, und 1924 der aus Dilsen stammende Kaplan Boutsen.
| Kirchliche Feiern waren in Kelmis immer etwas Großartiges.
Wenn auf der Orgel der damalige Küster Peter Radermacher Bach
intonierte, konnte der Erhabenheit des Kirchenfestes nichts mehr
| hinzugefügt werden.
Trippe träne
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Z) /
Melodie Trippe träne
Den hohen Festtagen voraus erklang aus dem Kirchturm ein
Geläute, das sich mit Unterbrechung auf den ganzen Nachmittag dahinzog
und im Volksmund "Trippe träne" genannt wurde. Es war eine Melodie
von 16 Noten, die zwei unterschiedliche Töne aufwies und im raschen
Staccato heruntergespielt wurde. Dieser schöne Brauch sollte die
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Bevölkerung auf das bevorstehende Fest vorbereiten. Aber wie kam es
zu der Bezeichnung "Trippe träne"? "Träne" bedeutet "treten" und
"Trippe" waren ein Mittelding zwischen Schuhen und Holzschuhen. Auf
eine dicke Holzsohle wurde eine Lederhülle genagelt, die Ferse wurde
ebenfalls mit Leder eingefaßt und die "Trippe" war fertig. "Trippe träne"
heißt also zu gut Deutsch "Holzschuh treten", hat aber keinen Zusam-
menhang mit dem Läuten.
Woher der Brauch kam undseit wann er sich in Kelmis eingebürgert
hatte, haben wir nicht in Erfahrung bringen können, auch nicht, ob in den
umliegenden Dörfern dieselbe Gepflogenheit herrschte.
Zum Geläute selbst war eine besondere Technik notwendig, denn
die im raschen Rhythmus heruntergespielte Melodie konnte unmöglich
mit dem herkömmlichen Glockenläuten erzeugt werden.
Da saßen dann im zugigen Glockenturm zwei Männer, der
Totengräber "Schares Pitter" und der "Wassermann Bings" auf ihren
Schemeln jeweils vor einer Glocke, deren Klöppel mit einem Lederriemen
versehen war. Jeder zog nun den Klöppel bis an den Schlagring der
Glocke und durch abwechselndes Anschlagen an dieselbe erzeugten sie
oben erwähnte Melodie.
Natürlich wurde den beiden da oben bei Wind und Wetter nicht
nur ein gewisser Kraftaufwand abverlangt; der Geräuschpegel des sich
über den ganzen Nachmittag dahinziehenden Geläutes kann auf die
Dauer den Gehörorganen der beiden nicht besonders zuträglich gewesen
sein.
Nach dem Tode der beiden ist das Läuten zwar noch fortgesetzt
worden, hat sich aber im Laufe der Zeit leider gänzlich verloren.
Im Jahre 1925 wurde in Kelmis eine Sektion der christlichen
Arbeiterjugend (J.O.C.) ins Leben gerufen. Diese Jungarbeiterbewegung
war von Monseigneur Cardyn gegründet worden, überzog sozusagen
ganz Belgien und fand hier im Ort viele begeisterte Anhänger. Dank
dieser Institution, die auf die Initiative des Herrn Kaplan Wenders
zurückzuführen war, wurden die angehenden jungen Werktätigen in ihre
Rechte und Pflichten eingeführt und trugen wesentlich mit dazu bei, die
christliche Gewerkschaftsorganisation aufzubauen und daraus das zu
machen, was sie heute ist.
Luftkurort Altenberg
Es mutet sonderbar an, daß man auf alten Altenberger
Ansichtskarten liest: "Luftkurort Altenberg bei Aachen". Der
Casinoweiher mit seinem schönen Hintergrund und die Eyneburg konnten
unmöglich allein der ausschlaggebende Grund zu dieser Bezeichnung
sein und die Bergwerksgesellschaft "Vieille Montagne" tat nichts,
wodurch Kelmis dieses Gütesiegel verdient gehabt hätte.
|
87
Ganz im Gegenteil. 1929 errichtete oben genanntes Unternehmen
| eine Werksanlage, die im Volksmund die "Giftmühle" hieß und das
ganze Jahr rund um die Uhr in Tätigkeit war. Diese Verbrennungsanstalt
ist immer ein unschönes Kapitel in der Kelmiser Geschichte gewesen.
| Man hatte ein Verfahren entwickelt, um aus dem über Jahrzehnte
| abgelagerten Galmeiabraum Zinkweiß herzustellen, ein Basismaterial .
| für Ölfarbe. Dazu benötigte man Hochöfen, die dann auf ganz natürliche
| Weise ihren gelben, stickigen, giftigen Rauch durch die Schlote in die
Luft pusteten. Die anfallenden glühenden Schlacken wurden mittels
Transportband der "Kull" zugeleitet und häuften sich im Laufe der Zeit
zu einem gewaltigen Bergkegel an, der nur nachts einen grandiosen
Anblick bot, wenn die feurige Asche zu Tal kullerte.
| Kay N 2 !
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| Das Badehäuschen am Weiler
| Die Leidtragenden waren in erster Linie die nächsten Anwohner,
1 die in ihren verseuchten Gärten noch nicht einmal einen Salatkopf oder
eine Lauchstange zum Gedeihen brachten, von Fensteröffnen und Lüften
ganz zu schweigen. Protestmärsche und dergleichen, wie wir sie heute
kennen, waren damals nicht "in", Das ist erst später "erfunden" worden.
Man hatte Brot und Arbeit, und das war damals bei den
bescheidenen Ansprüchen der Bevölkerung das Wesentlichste.
Dieser Zustand hat bis nach dem Zweiten Weltkrieg angehalten
| undebenso lange ist auch die Gegend mit den giftigen Staubpartikelchen
berieselt worden.
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Die Spielbank
Die kleine Ecke hier im Osten des Landes hat immer internatio-
nale Beachtung gefunden, erst dürch das Erzvorkommen, nachher durch
ihren besonderen Status und jetzt, im Jahre 1927, in bescheidenerem
Umfange, durch die Eröffnung einer Spielbank. Das geschah in Kelmis
nicht zum ersten Male. So wie in der Zeit des neutralen Gebietes im
vorigen Jahrhundert einfallsreiche Persönlichkeiten versucht hatten,
Briefmarken und Münzen aus Neutral-Moresnet in Umlauf zu bringen,
so hatten auch schon lange vor dem Krieg (1903) pfiffige Köpfe im
damaligen Hotel Bergerhoff eine Spielbank eröffnet, die jedoch mangels
* gesetzlicher Grundlage durch die belgischen und preußischen Behörden
geschlossen worden war. Jetzt, im ersten Jahrzehnt nach dem Weltkrieg,
in einer Periode des wirtschaftlichen Aufschwungs, kam man auf den
Einfall, dasselbe noch einmal zu versuchen.
Die günstige Grenzlage zu Deutschland und den Niederlanden
wird bestimmt die Standortwahl mit bestimmt haben, und so wurde dann
zuerst im ehemaligen Preußisch-Moresnet, das jetzt Neu-Moresnet hieß,
im Saale Astoria eine Spielbank eröffnet.
Wenn nun auf der einen Seite der Hasardstraße ein so lukratives
Geschäft blühte, warum sollte dann auf der Kelmiser Seite einem
gleichartigen Unternehmen der Erfolg versagt bleiben?
Esboten sich ja da dieselben Räumlichkeiten an, die schon vor dem
Kriege diesen Zwecken gedient hatten, nämlich das Hotel Nessel, vormals
Bergerhoff, heute Select.
So weit, so gut. Aber wir haben und hatten nun mal in Belgien ein
Gesetz vom 24. Oktober 1902, das grundsetzlich Glücksspiele untersagt.
Bei diesem Kodex blieb aber ein Hintertürchen offen in sofern, als jeder
Gast, der die Spielbank besuchen wollte, sich als Mitglied eintragen
mußte; so bildete die ganze Gesellschaft eine geschlossene Vereinigung
und dem Gesetz war Genüge getan.
Also sollte am 1. Juli 1926 der Spielsaal «Cercle Selekt» eröffnet
werden.
Nun sind wir aber im Besitz eines Protokollauszuges der damaligen
Gemeindeverwaltung von Kelmis, der uns deutlich zeigt, in welch
konfuse Lage sich einerseits der Gemeinderat, andererseits die Direktion
der Spielbank verstrickt haben. Es ging um umstrittene Steuerabgaben an
die Gemeinde von Seiten des Präsidenten des «Clubs», Viktor Moyano,
der aber auch gleichzeitig Schöffe der Gemeinde war.
In dem Protokoll liest sich das wie folgt:
«"Am Iten Juli ist die Eröffnung des Spielclubs noch nicht
vorgesehen, aber am 26ten September beschließt der Gemeinderat, dem
internationalen Club "Kursaal", die Gemeindesteuer in gleicher Höhe
wie die Landessteuer aufzuerlegen. Als Direktor der Bank erhebt Herr
89
Moyano Einspruch gegen diese Abgaben und droht mit Schließung des
Spielklubs, die auch am 14ten Juli erfolgt.
Der Gemeinderat stellt dem Schöffen Moyano ein Vertrauensvotum
aus, bedauert, daß der Bürgermeister die Bearbeitung der Akte verzögert
hat und genehmigt der Spielbank einen letzten Aufschub, um bis zum
Monatsende die Eröffnungssteuer in Höhe von 40.000 frs zu begleichen.
Am 14ten November 1927 hat die Gemeindeverwaltung eine
Unterredung mit den neuen Direktoren, den Herren Neid und Pirard;
S dabei wurde festgelegt, daß für das Jahr 1928 die Gemeindesteuer mit
0,40 centimes (cent. additionnels) Zusatzsteuer zur Staatsabgabe belastet
wird, außerdem muß eine Pauschalsumme von 30.000 frs gezahlt werden
mit der Verpflichtung, daß die 40.000 frs von 1927 endlich bezahlt
werden. Den 10ten und den 14ten Februar 1928 protestiert die Bank
offiziell gegen diese Belastungen.
Die Direktoren wechseln sich ab und am 15. Dezember 1929
übernimmt der ehemalige Gendarmeriekommandant N. Schrobildgen
die Leitung der Bank, in der er bis dato die Buchführung erledigte.
Ebenso wie seine Vorgänger beanstandete auch er die hohe
Steuerbelastung und argumentierte, daß diese im Vergleich zu dem
Konkurrenzunternehmen "Astoria" seinen Betrieb unrentabel mache."
So weit ein Teil unseres Protokollauszuges.
Hier wird uns wieder vor Augen geführt, wir widersprüchlich sich
diese Situation darstellte. Es war derselbe Mann, der nach dem Kriege mit
Brachialgewalt in Kelmis als Hüter des Gesetzes für Ordnung gesorgt
hatte und jetzt einet Institution vorstand, die im Grunde genommen ein
illegales Dasein fristete.
Die Streitigkeiten haben bis weit in die dreißiger Jahre angehalten,
und beide Parteien waren stets bemüht, die größten Brocken an Land zu
ziehen.
Währenddessen lief der Betrieb, erfreute sich die Spielbank eines
regen Besuches und zog von nah und fern ihre Kunden an. Es war eine
mehr oder weniger begüterte Kundschaft aus Belgien und den
Niederlanden, aber vorwiegend ans Deutschland.
Auf Faltblättern wurde das "Monte nächst Deutschland" in
Altenberg den Gästen in überschwenglichen Worten vorsgestellt. Prospekte
mit den Eisenbahnverbindungen von Hamm, Dortmund, Duisburg u.s.w.
nebst denen von komfortablen Hotels in Aachen lagen zur Mitnahme
bereit. Luxuriöse Ausstattung und eine erlesene Tafel boten die
Spielbanken, kurz alles, was Besucher anlocken konnte.
Die Gäste, die mit dem Zuge anreisten, wurden zu Lasten der Bank
von einem Taxiunternehmen in Aachen am Hauptbahnhof abgeholt und
auch wieder dorthin zurückgebracht.
90
Das erforderliche Einreisevisum, das nicht jeder vorweisen konnte,
um belgischen Boden betreten zu dürfen, wurde durch den Chauffeur an
der Grenze mit einem Trinkgeld erstanden.
Und die Sache lief. Den Rekord brachte einer der Taxifahrer zu
Wege, der an einem einzigen Tag 25 Pendelfahrten fuhr; eine
außerordentliche Leistung, muß man sagen, denn um die mit Schlaglöchern
übersäten Schotterstraßen zu befahren, bedurfte es einer soliden Fahrkunst.
Es ist belegt, daß bei Glücksspielen die Bank immer im Vorteil ist,
da letzten Endes die Spielleidenschaft des Menschen ihn meistens dazu
verleitet, eine Pechsträhne mit aller Gewalt zu seinen Gunsten umgestalten
zu wollen, mit dem Resultat, daß auch sein letzter Groschen der
Glücksgöttin geopfert wird. In dieser Hinsicht hoben sich besonders die
Damen hervor. In ihrer Besessenheit, das Glück zwingen zu wollen, ist
es öfters vorgekommen, daß sie das mitgebrachte Bargeld nach einer
Stunde schon verspielt hatten und daß sie dann die Ungeniertheit besaßen,
sich beim Chauffeur das bei der Ankunft gespendete Trinkgeld
zurückzufragen, um weiter ihrem Laster zu frönen. Bei Gewinn oder
beim nächsten Besuch wurde es dann doppelt und dreifach erstattet.
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| Einen grotesken Aspekt nahm die Sache, wenn irgend ein Gast eine
große Summe Geld verspielt hatte und dann beispielsweise dessen
Ehepartner Klage erhob. Flugs rückten Staatsanwaltschaft und Polizei
an, beschlagnahmten das Geld, die Roulett- und Bakkarattische und nach
acht Tagen lief der Betrieb wieder wie zuvor.
Was die Chauffeure angeht, die mit ihren Taxen tagtäglich den
Pendelverkehr Aachen-Altenberg fuhren, so war deren Fahrweise in
Aachen berüchtigt. Der damalige Autoverkehr ist ja nicht mit den
Blechlawinen unserer Tage zu vergleichen; Ampeln und Geschwin-
digkeitsbegrenzungen waren noch unbekannt und wurden erst viel später
eingeführt.
So konnte man nach Herzenslust seine Fahrkünste zeigen, was
besonders zu nachtschlafender Zeit auf den völlig leeren Straßen zum
Hochgenuß wurde.
Auf dem letzten Nachhauseweg wurde dann im Aachener Wald
Jagd auf "Karnickel" gemacht, die zu Tausenden den Wald bevölkerten
und die, vom grellen Licht der Autoscheinwerfer geblendet, auf der
Straße stillhielten und eine leichte Beute wurden.
Es war schon ein turbulenter, aber herrlicher Lebensabschnitt, den
wir in den zwanziger Jahren miterleben durften, und es schwingt schon
ein bißchen Nostalgie mit, wenn man an die «gute alte Zeit» zurückdenkt.
Originale
Wie schon eingangs erwähnt, lebte, als Neutral-Moresnet noch ein
freies Ländchen war, dort ein bunt zusammengewürfeltes Völkchen.
Zu den Einheimischen gesellten sich Ausländer, die irgend ein
Schicksal nach hier verschlagen hatte und die in der neuen Heimat
Zuflucht und Obdach suchten. So war es denn auch nicht verwunderlich,
daß bei so vielen unterschiedlichen Mentalitäten und Lebensauffassungen
sich hier und da einige Individuen hervorhoben, die auf schrullige Art und
Weise die dörfliche Aufmerksamkeit auf sich zogen. So auch der unter
dem Namen Rodolf bekannten Fotograf schweizer Nationalität, den es im
Jahre 1910 nach Kelmis verschlagen hatte. Es war bis dahin mehr oder
weniger den Berufsfotografen vorbehalten, mittels ihrer schweren
Plattenkameras das Konterfei der Mitmenschen auf Papier zu verewigen.
Eigentlich hieß unser Mann Conrad Rordorf, doch die Leute im Dorf
hatten den Namen Rordorf in "Rodolf" umgewandelt. So hat er während
der Jahre, die er im Ort verbracht hat, niemals anders geheißen.
Eine Gefährtin hatte er nicht mitgebracht und auch hier nicht
gefunden; er war ein eigenbrötlerischer Charakter. Durch sein Wesen und
besonders durch seine harte deutsche Aussprache hat er sich niemals in
die Dorfgemeinschaft eingliedern können; er ist immer ein Fremdling
geblieben.
92
Nichtsdestoweniger stand der "Rodolf” Sonntag für Sonntag,
wenn das Wetter es erlaubte, irgendwo am Casinoweiher und ersuchte die
Spaziergänger, sich ablichten zu lassen; mit dem Erinnerungsfoto legten
diese dann oft unbewußt den Grundstein für eine Bilddokumentation, Da
die Fotografie erst im Kommen war, fehlte es auch nicht an Interesse und
unser Mann hatte ein bescheidenes Auskommen. Das ging solange gut,
bis nach dem Kriege das Fotografieren sich verallgemeinerte; die kleinen
handlichen Boxen waren jedermann zugänglich und der "Rodolf" hatte
das Nachsehen.
Einen neuen Broterwerb hatte der Mann, als in Kelmis das Kino
eröffnet wurde und dessen Besitzer den Conrad gewissermaßen als
Faktotum anstellten. Unter anderm mußte er bei den Sonntagsnachmittags-
vorstellungen, die für die Jugend bestimmt waren, im Saal für Ruhe und
Ordnung sorgen: ein vergebliches Unterfangen, da die Jugend den
"Rodolf" nicht für voll nahm und erst Ruhe eintrat, wenn auf der
Leinwand der Film ablief und tosendes Gelächter den Saal erfüllte, wenn
Harald Lloyd und Co. dazu Anlaß gaben.
Bis 1927 ist der Conrad Rordorf hier geblieben, dann ist er
untergetaucht, wie er gekommen war.
Knoake Jupp
Er hatte ein hageres Gesicht mit tief im Kopf liegenden stechenden
Augen, die, von buschigen Augenbrauen umrandet, den Blick noch
durchdringender erscheinen ließen, dazu einen Oberlippenbart, der bis
über die Lippen herunterreichte, war eingehüllt in abgetragene Kleidung
und machte absolut keinen vertrauenerweckenden Eindruck.
Er hieß Joseph Weber, war eines Tages in Neutral-Moresnet
gelandet und versuchte, sich mit dem Sammeln von Lumpen, altem Eisen
und Knochen durchzuschlagen.
Bald hatte der Mann, der durch sein Äußeres schon auffiel, seinen
Spitznamen weg: er war bei der Jugend und der Bevölkerung der "Knoake
Jupp" (= Knochen Jupp). Es war ein Spottnahme, den der Joseph Weber
oft genug zu hören bekam, wenn er mit seinem vierrädrigen Wägelchen
irgendwo auftauchte. Natürlich aus respektabler Entfernung, denn mit
dem Mann war nicht gut Kirschen essen,
Seine Frau war eine kleine, rundliche Person, die ihr schütteres
Haarnach hinten zu einem kleinen Knoten aufsteckte. Bei der Bevölkerung
kam auch sie nicht gut weg, es war "et suupe Treske". Trank das Frauchen
schon einmal einen über den Durst, dann war es zu verstehen, da Armut
schon immer in Alkohol ertränkt worden ist.
Zur Sommerzeit betrieb der Joseph Weber noch einen anderen
Erwerbszweig. Er bastelte aus Haselnußgerten, Draht und buntem Papier
kleine Windmühlen, die er dann meistens am Casinoweiher oder auf
Aachen zu in der Nähe der sich dort befindlichen Waldcaf&s feilbot.
93
| Wenn die Oma uns dann bei dem Joseph eine Windmühle kaufte,
| standen wir Knirpse mit einem ganz flauen Gefühl im Magen dabei, denn
| wir hatten nicht vergessen, was wir dem Mann im Laufe der Woche
| nachgerufen hatten. Aber der "Knoake Jupp" sah die Verdienstmöglichkeit
und nur sein scharfer, durchdringender Blick sagte, was hinter der
krausen Stirn vor sich ging. Wie gesagt, ein Außenseiter. Die ärmliche
soziale Lage, in der sich der Mann befand, ließ gar nicht darauf schließen,
daß wir es hier mit einem intelligenten, gebildeten Menschen zu tun
hatten. Die wenigen Kontakte, die er hier mit den Leuten pflegte, darunter
! waren welche mit abgeschlossenem Studium, bestätigten dies, und
letzten Endes trug die wertvolle Briefmarkensammlung, die er besaß,
nicht unwesentlich mit dazu bei, den Mann aus einer ganz anderen
Perspektive zu beurteilen. Wenn bis nach dem Kriege das Lumpensammeln
für den Joseph noch lief, so wurde er im Laufe der Jahre von den aus der
Wallonie anrückenden Altwarenhändlern, die das Geschäft in einer ganz
anderen Größenordnung betrieben, verdrängt. Die Windmühlen waren
auch nicht mehr "in" und so hat unser "Knoake Jupp» Kelmis eines Tages
Lebewohl gesagt und ward nicht mehr gesehen.
Der Schäle Wenner
Ein flaches rundes Gesicht, schwarzer Schnurrbart, die Augen-
behinderung war nicht zu übersehen, auf dem Kopf eine Kappe aus ganz
grobem Stoff, angetan mit einer blütenweißen Jacke: eigentlich konnte
man nicht von einem aus dem Rahmen fallenden Mann sprechen.
| Er war Eisverkäufer, kam von Henri-Chapelle und war im Ort
| ansässig geworden. In der guten Jahreszeit zog er, oder besser gesagt:
/ drückte er einen kleinen zweiräderigen, weißgestrichenen Kastenwagen
| vor sich durch den Ort, lockte mit einer kleinen Trompete, die nur einen
Ton von sich gab, die Kundschaft an und bot seine Delikatesse feil. Nach
/ einigen Jahren konnte er sich verbessern. Ein Pferdchen wurde gekauft
mit dem dazu gehörigen vierräderigen, prunkvoll überdachten Eiswagen.
Ein etablierter Mann also.
Es läßt sich schwer verfolgen, wieso der Leo Wenner eines Tages
mit dem einen oder anderen Bürger des Dorfes in Meinungs-
verschiedenheiten geriet. Jedenfalls war unser Mann, der ein eher
ungestümes Temperament besaß, auf besagte Personen nicht gut zu
sprechen.
Die ihrerseits wollten sich nur einen Jux machen und hatten ihre
Gaudi, wenn sie den Mann für eine Nichtigkeit auf die Palme bringen
konnten. Unser aufbrausender Hitzkopf rächte sich dann auf seine Weise.
Kam er auf seiner Tournee durch den Ort an dem Hause des ihm nur zu
gut bekannten Widersachers vorbei, dann hielt er sein Gefährt an und
| trompetete, was das Zeug hergab, in Richtung Haustür. Zeigte sich nun
|
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94
der Betreffende, — und das war immer der Fall, man wollte ja seinen
Spaß haben —, dann machte der Leo mit gespreizten Händen eine lange
Nase, streckte die Zunge heraus, schnitt seinem Gegenüber die
scheußlichsten Grimassen und bedachte ihn mit den unflätigsten
Schimpfwörtern. Wenn er auf diese Weise seinem Opponenten die
Reverenz erwiesen hatte, zog er beruhigt weiter. Der Publikumserfolg
war ihm auf alle Fälle immer sicher,
Klüte Wilm
Unter "Klüte" versteht man meist ein Brikett, aber es kann auch ein
Schnapssein. Letzteres traf auf unseren Wilm zu. Der Mann, ein Original,
war kein "Neutraler". Überall und nirgends zu Hause, durchkämmte er
bettelnd die Gegend von Eupen bis Kelmis, scheute die Arbeit wie die
Pest und ward sehr oft hier im Ort gesehen. Er hatte ein Gespür, sich
immer da einzufinden, wo es spendable Unterstützer gab.
Seine Lebensphilosophie war Schnaps, seine Nahrung war Schnaps
und logischerweise umgab ihn immer eine Dunstwolke aus solchen
Distillaten. Sommer wie Winter trug er einen langen braunen Mantel, auf
dem Kopf einen undefinierbaren Filzhut und zur Seite eine Tasche, die
mit aller Wahrscheinlichkeit sein ganzes Hab und Gut barg. Vor sich trug
eraneinen Lederriemen befestigt das Instrument, dasihm sein Einkommen
sicherte. Das war ein kleiner viereckiger Kasten in der Größe eines alten
Phonographen, der an der Oberseite mit einer durchstanzten runden
Messingplatte versehen war. Durch eine an der Seite angebrachte Kurbel
versetzte er die Platte in Drehungen und entlockte dem Kasten ein
wimmerndes Glöckchengebimmel, dem man nach gutem Zuhören diese
oder jene Melodie zuordnen konnte.
Nun war es janicht so, daß der Wilm in dem relativ ruhigen Ort sich
an irgend einer Straßenecke aufstellte und der Dinge harrte, die da
kommen würden, nein, er wanderte von Haustür zu Haustür, orgelte seine
Liederströphchen herunter und wartete auf die milde Gabe. Eßwaren
waren ebenfalls begehrt und verschwanden in seiner Hängetasche. Die
gespendeten Groschen setzte er in sein Lieblingsgetränk um.
Ob nun zu seinem Nutzen oder Schaden, der Wilm konnte, wenn
die Gelegenheit sich bot, unheimliche Portionen Essen verzehren. Was
heißt schon "verzehren"? besser gesagt: verschlingen!
Dazu ergaben sich die besten Gelegenheiten, wenn auf den Dörfern
die Kirmes stattfand und bei den Bauern Schlachtfest war. Da fand sich
ungeladen unser Wilm ein, wußte er doch, daß auch für ihn immer etwas
abfiel.
Die Burschen im Ort hatten dann ihren Spaß, wenn sie den Wilm
inirgendeine Wirtschaft hineinkomplimentiert hatten, ihm eine gewaltige
Schüssel "Gekrösch" (Sülze), die entsprechende Maß Bier und ein
| 95
| zweipfündiges Brot vorsetzten, die unser Wilm sich dann in aller Ruhe
einverleibte. Er hätte es aber nicht über’s Herz gebracht, einen Rest übrig
zu lassen. Nun möge man nicht denken, daß der Mann überflüssige
Pfunde mit sich herumschleppte, er war hager und mager, so daß man sich
letzten Endes die Frage stellte: "Wo stopfte der Wilm das alles hin?"
Irgendwann fiel es dann auf, daß unser Vagabund nicht mehr da .
war. Er ward nicht mehr gesehen und wird eines Tages wohl auch den
Weg gegangen sein, der uns allen beschieden ist.
Schieve Wilm
Schieve heißt zu gut Deutsch "Scheiben". In unserem Falle sind es
aber nicht irgendwelche, sondern es geht hier um Mark- oder Talerstücke.
Da sagte man hierzulande: "Dä hat waal vööl Schieve" (der hat wohl viel
Geld). Der Wilm hatte welches, da er ein gut situierter Fleischermeister
im Ort war und auch ganz brav und fleißig seinem Beruf nachging.
Zu der damaligen Zeit standen die Metzger nicht nur in ihrer
Wurstküche, sondern waren auch mit dem Pferdegespann viel unterwegs,
um beim Bauern selbst Schlachtvieh aufzukaufen.
Aber wie das nun so einmal ist, es steckt ja in jedem von uns irgend
eine Untugend, und die bricht auch.schon mal durch.
Kam es dann mal vor, daß der Wilm dem Bauern das Schwein oder
Kalb etwas billiger als vorgesehen abgehandelt hatte, dann genehmigte
er sich auch schon einmal ein Schnäpschen mehr als sonst. Aber wie so
etwas ausarten kann, hat unser Mann öfters erlebt, und ehe er sich versah,
hatte er einen Bombenrausch weg. Wenn dieser Zustand erreicht war, gab
es kein Halten mehr für den Wilm. Übermütig zog er dann mit seinem
Einspänner Runden durch das Dorf, hielt hier und da vor einer Schenke
und rief auf der Straße den Passanten lauthals zu: "Der Wilm hat Schieve,
der Wilm hat Schieve." Damit tat er jedem kund, daß er nicht zu den
Ärmsten des Ortes gehörte.
In Kelmis genügte das vollauf, um sich einen Spitznamen
einzuhandeln, den der Wilm dann auch zeitlebens behalten hat.
Das waren, am Rande vermerkt, einige kleine Anekdoten, durch
die die Darsteller, die zeitweilig im Blickpunkt des Dorfgeschehens
gestanden haben, in der Erinnerung weiterleben.
Mitte der zwanziger Jahre hatte sich auch die schwerfällige
Eisenbahnverwaltung dazu durchgerungen, den Bahnanschluß, der bis
dahin ausschließlich dem Güterverkehr der "Vieille Montagne" diente,
für den Personenverkehr freizugeben. Es war nicht normal, daß die
Werktätigen morgens und abends den weiten Weg nach Moresnet machen
mußten, um ein Verkehrsmittel vorzufinden, das sie zu ihrer Arbeitsstätte F
brachte. Wenn der Pendelverkehr auch mit archaischen Vehikeln
durchgeführt wurde, so war diese Vergünstigung, die einen wesentlichen
Zeitgewinn brachte, den Benutzern doch sehr willkommen.
96
Viele Einwohner, die bis zum Ende des Krieges die deutsche
Staatsangehörigkeit besessen hatten, hatten für die belgische Nationalität
optiert; in den meisten Fällen wohl, um nicht ihr Eigentum zu verlieren
oder des Landes verwiesen zu werden. Im Grunde wurde dieser
Nationalitätenwechsel noch ziemlich leicht verkraftet, denn man war ja
in erster Linie "Kelmiser", sprach dasselbe Platt, und wenn die jungen
Männer nach dem belgischen Gesetz im neuen Vaterland den Militärdienst
abzuleisten hatten, so war zwischen "Neubelgiern" und "Altbelgiern"
kein Unterschied zu spüren.
Im Laufe des ersten Jahrzehnts verlor sich auch nach und nach der
bekannte Schimpfname, den man in der Wallonie während des Krieges
der deutschen Besatzung zugelegt hatte und den die Werktätigen, die im
französischsprachigen Teil des Landes ihrer Beschäftigung nachgingen,
schon der mangelhaften Sprachkenntnisse wegen oft genug zu hören
bekamen.
Undso gingen die Jahre dahin. Unten im Bruch wurde noch immer
das aufbereitete Erz zur "Plaine", dem Lagerplatz, gefahren, der
Aschenberg wurde größer und größer, mit der Trambahn fuhr man nach
Aachen und mit dem Zug nach Verviers, sechs Tage die Woche wurde
gearbeitet, ein eingefahrenes Alltagskarussell. Die Generation, die in
ihren ersten zehn Lebensjahren den Weltkrieg 14-18 miterlebt hatte, war
nun erwachsen, die Schulausbildung war für die meisten mit 14 Jahren zu
Ende. Fortan standen sie im Berufsleben. Man war im Turnverein oder
hatte sich dem Fußball verschrieben. Sonntags ging man zum
Frühschoppen und abends zum Tanz. Es war ja Friedenszeit, man lebte
in einer heilen Welt, und das Leben war noch ohne Probleme, was ein
Jahrzehnt später ja nicht mehr der Fall war. So ist es denn auch besser, wir
beenden den Rückblick auf diesen Lebensabschnitt und schwelgen ab
und zu in Erinnerung an die "gute alte Zeit", an unsere Jugendzeit.
97
Das Stoßtruppunternehmen
im Gemmenicher Tunnel
am 10. Mai 1940
von Alfred Bertha
Seit September 1939 war ein deutscher Angriff an der West-
|| front siebzehnmal als unmittelbar bevorstehend angekündigt wor-
den. Der Vatikan hatte gewarnt. Die Militärattaches Hollands und
Belgiens in Berlin hatten ihre jeweiligen Regierungen gewarnt.
Oberst Oster, Chef der Zentralabteilung der deutschen Abwehr,
hatte den Westmächten die deutschen Angriffspläne, soweit sie ihm
bekannt waren, verraten. Noch am Abend des 9. Mai hatte Oster
den niederländischen Militärattache in Berlin vom unmittelbar be-
vorstehenden Angriff unterrichtet.
Die belgische Generalität war auf eine Wiederholung des von
Schlieffen-Planes mit einem Vorstoß durch Holland eingestellt.
Nach.dem Absturz eines deutschen Aufklärungsflugzeuges bei Me-
chelen an der Maas am 10. Januar 1940, wobei den Belgiern die
deutschen Aufmarschpläne in die Hände fielen, hätte eigentlich im
belgischen Verteidigungsministerium höchste Alarmstufe herrschen
müssen. Doch in Brüssel versuchte man, sich gegenseitig zu beruhi-
gen. Hatten die den belgischen Behörden in die Hände gefallenen
Dokumente nicht zum Ziel, von den tatsächlich vorgesehenen An-
griffsplänen abzulenken? Auch angesichts der sich immer mehr zu-
spitzenden Läge wollte Belgien nicht von der Anfang September
1939 verkündeten Neutralität abgehen. Man klammerte sich an die
Hoffnung, man könne, ähnlich wie die Niederlande im Ersten Welt-
krieg, aus dem drohenden Konflikt herausgehalten werden. Zudem
war es beruhigend zu wissen, daß die verflossenen Jahre zum Bau ei-
ner Reihe von Festungswerken genutzt worden waren: An diesen
Festungswerken, sog. Forts, würde sich jeder Angreifer die Zähne
ausbeißen! Besonders der Lütticher Festungsring mit dem Fort von
Eben-Emael galt als nicht zu überwindendes Hindernis. In Grenznä-
he hielten Grenzwachteinheiten die Stellungen an Brücken und son-
stigen militärisch wichtigen Objekten, die allesamt bei einem even-
tuellen deutschen Angriff gesprengt werden mußten. Bei den letzten
großen Herbstmanövern vom August 1938 war ”La Meuse” zu dem
Schluß gekommen, daß unser Land bis zur Grenze gut bewacht sei:
”Nous sommes bien gardes jusqu’a la frontiere”.
98
Seit September 1939 waren die belgischen Reservisten unter
den Waffen, doch jetzt, ein paar Tage vor dem 10. Mai 1940, war
die Urlaubssperre aufgehoben worden!
Im deutschen Aufmarschplan, der von General von Manstein
ausgearbeitet worden war und als ”Sichelschnitt-Plan” bekannt
wurde, kam der Eisenbahnlinie Aachen/West-Montzen-Vise eine
nicht unerhebliche Rolle zu. Im Ersten Weltkrieg war es den Bel-
giern gelungen, am ersten Kriegstag mit aufeinandergefahrenen Lo-
komotiven und Güterwagen den grenzüberschreitenden Tunnel bei
Gemmenich-Botselaer für längere Zeit unbrauchbar zu machen.
Wie dieser für den Nachschub so wichtige Tunnel unversehrt in die
Hände der Deutschen fiel, beschrieb einer der Teilnehmer an dem
Stoßtruppunternehmen, das am 10. Mai 1940 diese Aufgabe zu 1ö-
sen hatte. Der Bericht erschien im ”Westdeutschen Beobachter”
vom 10. Mai 1941 unter dem Titel ”Stoßtrupp durch den Tunnel
von Gymnich”.
Wie der nicht namentlich genannte Soldat schreibt, hatten er
und seine Kameraden als Angehörige eines Grenzwachtregiments
seit dem 26. August 1939 Bunker und Panzerwerke des Westwalls
besetzt gehalten. ”Die Westgrenze des Reiches zu schirmen”, das sei
ihr Auftrag gewesen.
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Belgische Grenzwachsoldaten an der Hammerbrücke
(Hergenrath / Hauset - 1938)
99
Als die Soldaten in die Bunker einzogen, war ein Teil derselben
erst im Rohbau fertiggestellt. Acht Monate sollten die Männer Zeit
haben, ihre Unterkünfte bequem einzurichten.
Während dieser Zeit wurden sie durch strammen Dienst,
regelmäßige Übungsmärsche und häufige Probealarme auf ihre Auf-
gabe vorbereitet.
Eines Tages wurde aus Teilen verschiedener Kompanien eine
besondere Abteilung zusammengestellt, bestehend aus einem ,
Schützen-, einem MG- und einem Pakzug (Pak = Panzerabwehrka-
I none). Diese Abteilung, der nur ausgesuchte Leute angehörten,
| wurde häufig zu besonderen Übungen aus der Bunkerlinie herausge-
zogen, wobei zunächst niemandem klar war, was mit diesem Trupp
! beabsichtigt war. Als jedoch einige Verladeübungen am Stolberger
Bahnhof und am Tunnel bei Bildchen durchgeführt wurden, ahnten
alle, daß diese Männer für einen besonderen Auftrag geschult wur-
den.
Inzwischen war es Frühling geworden. Die ”dröle de guerre”
im Westen dauerte an. Der 9. Mai hatte wie jeder andere Tag be-
gonnen. Exerzierdienst hatte den Vormittag ausgefüllt. Nun saßen
die Männer der Sonderabteilung nach dem Mittagessen um ihre Ge-
wehrführer versammelt, als telefonisch Alarm ausgelöst wurde. Erst
glaubten alle, es handele sich, wie schon so oft, um einen Probea-
larm. Die zur Kompaniebefehlsstelle beorderten Zugführer erfuh-
ren, daß in der Nacht ‚Alarm zu erwarten sei. Der Auftrag der Son-
derabteilung wurde wie folgt umschrieben: ”Unter Führung des
Kompaniechefs wird am frühen Morgen des 10. Mai mit der ge-
mischten Abteilung, zu der noch ein Pionierzug tritt, ein
Stoßtruppunternehmen durchgeführt. Zweck des Unternehmens:
Sicherung des 850 m. langen Tunnels vor dem Ort Gymnich, dessen
| letztes Drittel sich bereits auf belgischem Gebiet befindet. Der Tun-
nel ist zu durchstoßen, die Sprengung oder anderweitige Unbrauch-
barmachung ist zu verhindern. Darüber hinaus ist durch das Dorf
Gymnich vorzustoßen, alle Vormarschstraßen sind freizumachen
für die nachrückenden Truppen. Was sich auf der belgischen Seite
des Tunnels befindet, ist nicht bekannt.”
Die Nacht sollte kurz werden. Gegen 2 Uhr schrillte das Feld-
telefon: ”Alarm!” Die Männer machten sich marschbereit und bega-
ben sich zur Kompaniebefehlsstelle, einem nahe gelegenen Kloster.
Hier sammelte sich die Abteilung. Waffen und Gerät wurden verla-
den. Schweigend marschierte die Kolonne dann unter Führung ih-
res Hauptmanns, eines alten Frontkämpfers, zum Güterbahnhof
100
Aachen/West. Unterwegs begegneten ihnen Truppen aller Art, die
im Anmarsch auf die belgische Grenze waren.
Am Bahnhof wartete schon die Pionierabteilung unter der
Führung eines Leutnants. Die Uhr zeigte 4,50 Uhr. Ein Zug stand
bereit. Der erste Wagen war mit Sandsäcken beladen, um bei einem
möglichen Zusammenstoß das Schlimmste zu verhindern. Auf dem
zweiten Wagen nahmen die Pioniere mit ihrem Gerät Platz. Pakge-
schütze rechts und links auf dem dritten Wagen sollten bei der Aus-
fahrt aus dem Tunnel sofort gegen Panzerziele feuerbereit sein. Der
vierte Wagen nahm die Schützen auf, während auf dem fünften
Wagen, auf einer Tribüne, ein schweres MG aufgebaut war. Es soll-
te nach dem Durchstoß den Feuerschutz während des Entladens
übernehmen. Der Rest des Stoßtrupps verteilte sich auf den letzten‘
Wagen. Ganz hinten befand sich die Lokomotive.
Das Unternehmen mußte schnell und entschlossen durchge-
führt werden. Nicht noch einmal wollte man den Belgiern die Zeit
lassen, den Tunnel zu blockieren, wie sie es 1914 getan hatten. Von
deutscher Seite hatte man festgestellt, daß in dem belgischen Teil
des Tunnels Entgleisungsweichen eingebaut und Sprengvorrichtun-
gen angebracht worden waren.
5 Uhr 25. Der Zug hält kurz vor dem Tunneleingang. Für
5 Uhr 27 war die Einfahrt vorgesehen gewesen. Der Hauptmann
wechselt ein paar Worte mit dem Lokführer, dann geht es in den
Tunnel hinein. Hier herrscht vollständiges Dunkel. Die Männer
warten gespannt auf das, was ihrer Meinung nach eintreten muß:
ein Knall, ein Flammenmeer, umherfliegende Felsbrocken. Doch
nichts geschieht. Wieder hält der Zug. Die Pioniere springen ab und
stellen die Entgleisungsweichen um. Alle zum Tunnel führenden
Drähte und Leitungen werden durchschnitten. Dann erreicht der
Zug den Ausgang, hält wieder an der Blockstelle, die mit Handgra-
naten unter Bewurf genommen wird. Die Schützen gehen beider-
seits des Bahndammes in Stellung.
Inzwischen war es heller Tag geworden. Die Sonne ging leuch-
tend auf. Die Soldaten des Stoßtrupps freuten sich, ihren Auftrag so
reibungslos ausgeführt zu haben, als plötzlich das ganze Unterneh-
men zum Scheitern verurteilt schien. Auf dem Schienenstrang, un-
weit des Tunneleingangs, standen drei mit Sand beladene Waggons.
Es sah so aus, als seien sie rein zufällig dort stehengeblieben. Da
kam von Gemmenich her, immer lauter werdend, das Schnauben
und Fauchen einer Lokomotive. In hoher Fahrt rollte sie führerlos
die abschüssige Strecke hinunter, auf die auf den Schienen stehen-
101
den Waggons zu. Beim Aufprall würden diese ihrerseits den deut-
schen Zug in den Tunnel zurückdrücken und wie 1914 die Durch-
fahrt sperren. In letzter Sekunde gelang es jedoch den Pionieren, vor
den ersten Waggon eine Sprengladung zu legen, die beim Aufstoß
explodierte. Die Geleise wurden aufgerissen, die schwere Maschine
hochgehoben und auf die Seite geworfen. Die Waggons setzten sich
zwar in Fahrt in Richtung auf den deutschen Zug, doch dieser
konnte den Stoß leicht auffangen.
Es war 5 Uhr 40. Schon flogen Luftwaffengeschwader gegen
Westen, um ihre Bombenlast auf strategisch wichtige Ziele abzu-
werfen. Nachrückende Pioniere räumten die Minen an der Eisen-
bahnstrecke, ein Werkstattzug machte die Strecke frei und richtete
sie wieder für den Verkehr her.
Der Stoßtrupp hatte seinen Auftrag noch nicht ganz erfüllt. Bis
jenseits Gemmenich sollten sie vorstoßen. Unterwegs machten sie
16 Gefangene. Wie sie später erfuhren, handelte es sich um den
belgischen Sprengtrupp, der den Tunnel von Botselaer hätte zerstö-
ren sollen. Von drei Seiten drangen die deutschen Soldaten in Gem-
menich ein, wo sie erfuhren, daß die Mehrzahl der belgischen Solda-
ten sich schon am frühen Morgen zurückgezogen hatte. An den
Dorfausgängen fanden sie ausgehobene Feldstellungen.
Der Eingang des Tunnels auf Gemmenicher Seite
Foto A. Jansen
102
Um 7 Uhr 10 konnte der Hauptmann der Division melden, daß
der Tunnel nebst den davor liegenden Brücken unversehrt sei und
die Orte bis Homburg vom Sondertrupp gesichert würden.
So gelang es dem Stoßtrupp zwar, den wichtigen Eisenbahn-
tunnel von Botselaer zu nehmen, die Sprengung des großen Mores-
neter Viadukts jedoch, die durch Fernzündung von Battice aus vor-
genommen wurde, konnten die deutschen Truppen nicht verhin-
dern. Ein Jahr lang fiel diese Strecke für den Nachschub aus.
Zur Zeit arbeitet ein deutsch-belgisches Firmenkonsortium am
Ausbau des Tunnels von Botselaer, der nach Verbreiterung und Er-
höhung auch Transporte mit Überbreite (5 m) aufnehmen kann. Die
Arbeiten wurden im Juni 1989 in Angriff genommen und sollen im
Mai 1991 beendet sein. Der 1872 durch die Bergisch-Märkische Ei-
senbahn erbaute, 870 m lange Tunnel wird dann dreigleisig die
deutsch-belgische Grenze durchschneiden und allen Anforderungen
des heütigen Schienentransports auf dieser vielbefahrenen Strecke
von Aachen-West nach Montzen gerecht werden.
103
...“. ° °
Tätigkeitsbericht 1990
von Freddy Nyns
Anläßlich der diesjähigen Generalversammlung im «Select», am 27.1.1991,
konnte folgender Rückblick auf 1990 gegeben werden:
Wir stellen zu unserer großen Freude fest, daß das Jahr 1990 sehr erfolgreich war, |
sind doch im Ganzen 20 Aktivitäten zu verbuchen.
Leider haben wir im verflossenen Jahr unseren Ehrenpräsidenten, Herrn Peter
ZIMMER, sowie unseren langjährigen Mitarbeiter, Herrn Helmut HEYDASCH, durch
den Tod verloren.
Die Reihe der Vorträge, Studienfahrten, Besichtigungen, Wanderungen usw.
umfaßte am
| 21. Januar 1990: Generalversammlung im Hotel-Restaurant "SELECT" in
| KELMIS mit einem DIA-Vortrag über "Die schwäbische Barockstraße". Es war eine
| Rückschau auf die mehrtägige Studienfahrt im August 1989. Die Referenten waren Frau
| Margarete WAHL und Herr Alfred BERTHA.
15. März 1990: DIA-Vortrag über «Die alten Straßen und Wege unserer engeren
Heimat», besonders im Raume Aachen.
Der Referent war Herr Rblf HASCHE, Aachen.
24. März 1990: Werksbesichtigung: "Ein Großbetrieb in unserer Gegend, die
Molkerei in WALHORN". Leider kamen nur ein Dutzend Interessenten; vermutlich weil
wir im Jahre 1989 zu dem gleichen Thema 200 Interessenten zählen konnten. Voraussichtlich
werden wir in 2 Jahren nochmals eine Besichtigung durchführen, da dann der
Erweiterungsbau abgeschlossen sein wird. Referent war Herr Freddy NYNS.
26. April 1990: Im Schloß "Vaalsbroek" in VAALS fand ein Vortrag über "Die
Geschichte der Limburgischen Dialekte" statt. Der Referent war Herr Jan NOTTEN der
"Vereniging Veldeke", Valkenburg (NL).
20. Mai 1990: Studienfahrt: "Von Maastricht über die Maas und den Albert-Kanal
nach Lüttich mit Stadtrundfahrt in Lüttich und Besuch des Zoologischen Museums der
Universität Lüttich". Der Organisator und Referent, Herr Alfred JANSEN, konnte 50
Teilnehmer begrüßen.
09. Juni 1990: "Internationales Geschichtvereinstreffen" in KELMIS. Im Saal des
Hotel-Restaurant "SELECT" wurden Referate von unseren Vorstandsmitgliedern, den
Herren Herbert LENNERTZ, Alfred BERTHA und Walter MEVEN, über unsere Region
gehalten. Anschließend fand ein Besuch des hiesigen "Göhltalmuseums” statt und nach
einem gemeinsamen Mittagessen erfolgte eine Busrundfahrt zu den Sehenswürdigkeiten
in der näheren Umgebung: CLERMONT, CHAINEUX, SOIRON, VAL-DIEU und
zurück über GEMMENICH, wo die 80 Teilnehmer im "HOME-FRANCK" zum Abschluß
dieser erfolgreichen Veranstaltung zu einem kleinen Imbiß geladen wurden.
17. Juni 1990: Studienfahrt: "XANTEN, eine römische Siedlung am Niederrhein".
Die Organisatorin und Referentin, Frau Marg. WAHL, startete mit 41 Teilnehmern zu
dieser geschichtsträchtigen Fahrt.
24. Juni 1990: Halbtagswanderung: "Pflanzen und Kräuter entlang der Göhl". Es
nahmen 17 Personen daran teil unter der Leitung von Frau Astrid SCHMITZ und Herrn
Alfred EMONTSPOHL.
11.-16. August 1990: Mehrtägige Studienfahrt nach BURGUND (F) mit dem
Besuch von BEAUNE, DIJON, CLUNY, VEZELAY, BOURG en BRESSE, VERDUN
und REIMS. Diese hochinteressante Reise wurde organisiert und geleitet durch unseren
Präsidenten, Herrn Herbert Lennertz. Teilnehmer: 49 Personen.
07.-23. September 1990: Ausstellung: "Bildmaterial über Denkmäler im
Göhltalraum". Anläßlich der Königsfeiern wurde diese Ausstellung mit Unterstützung der
Deutschsprachigen Gemeinschaft (Bildmaterial) durchgeführt. Es fanden sich 173 Besucher
im Göhltalmuseum ein. Die Organisation lag bei unseren Vorstandsmitgliedern.
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21. September 1990: DIA-Vortrag: "Beschreibstoffe der Vergangenheit und
Gegenwart", wie z.B. Tontafeln, Papyros, Pergament etc. Der Referent, Herr ECKERT aus
Neu-Moresnet, hielt einen mit großem Sachverstand gehaltenen Vortrag, der mit viel
Beifall aufgenommen wurde.
26. September 1990: Werksbesichtigung: "Ein weltbekanntes Unternehmen der
Zementindustrie im EUREGIO-Bereich: CBR-LIXHE". Der Organisator, Herr Willi
Palm, fuhr mit 22 technisch interessierten Teilnehmern los. Nach einem von den Herren
DEBRUCHE und CHALMET gehaltenen Einführungsvortrag begann die 3-stündige
Werksführung, die bei allen Teilnehmern sehr großes Interesse erregte.
06.-28. Oktober 1990: Ausstellung: "Folklore im Göhltalraum". Anläßlich des
111-jährigen Bestehens der "Königl. Karnevalsgesellschaft ULK zu Kelmis" wurde diese
Ausstellung in Zusammenarbeit mit unserer Vereinigung zu einem vollen Erfolg. Nicht
weniger als 349 (!) Besucher wurden gezählt. Hierbei zeigte sich wiederum, daß eine das
hiesige Publikum ansprechende Veranstaltung des Erfolges sicher ist.
21. Oktober 1990: Ganztagswanderung: "Ab OVIFAT durch die herrlichen
Eifelwälder". Die Organisatorin und Referentin, Frau Astrid Schmitz, konnte zu dieser
unter biologischem und biotopischem Aspekt organisierten Wanderung 42 Teilnehmer
begrüßen.
27. Oktober 1990: Werksbesichtigung: "Ein internationaler Grenzbahnhof im
EUREGIO-Bereich". Diese von Herrn Walter MEVEN organisierte und von Herrn Hans
HECK (techn. Überwachungsbeamter bei der DB) durchgeführte Besichtigung wurde von
den 22 Teilnehmern mit großem Verständnis aufgenommen.
03.-25. November: Ausstellung: Die Herren H. JANSEN und F. HELDEN
stellten Aquarelle und Skulpturen vor. Zu dieser sehenswerten Ausstellung konnten wir
174 Besucher verzeichnen. Vor allen Dingen waren unter den Aquarellen manche Motive
aus unserem heimatlichen Gebiet zu sehen.
14. und 21. November 1990: Zwei DIA-Vortragsabende: "Indiens tropischer
Süden, eine landschaftliche, völkerkundliche und kunsthistorische Reise in zwei Folgen".
Die Referentin, Frau Marg. WAHL, verstand es ausgezeichnet, den 106 Besuchern dieses
hochinteressante Thema vor Augen zu führen. Wie immer bei solch fremdländischen
Vorträgen, hatte sie auch diesmal als Abschluß eine Kostprobe eines dortigen Gebäcks
vorbereitet.
13. Dezember 1990: DIA-Vortrag: "Alfred Jansen: Variationen im Bereich der
Fotografie". Der Referent, unser lanjähriges Vorstandsmitglied, Herr Alfred JANSEN,
verstand es meisterhaft, den Anwesenden die Mikro-, Makro- und Farbfotografie anhand
vieler Beispiele näher zu erläutern.
Der Vollständigkeit halber bliebe noch hinzuzufügen, daß auch 1990 2 Ausgaben
“IM GÖHLTAL” erschienen, die Nr. 46 und 47. Die Mitgliederzahl schwankt um die 800.
Beim Sommernachtsfest des “Cercle Musical” im August 1990 wurde gleichzeitig ein
reger Besuch des Museums festgestellt.
Ferner möchten wir schon jetzt auf unser 25-jähriges Jubiläum hinweisen, welches
im September 1991 in der Patronage Kelmis gefeiert wird. Demnächst wird das durch die
Gemeinde Kelmis erworbene Gemälde von Bastin€, welches die «KOUL» darstellt,
Einzug ins Museum halten. Es wird in die Obhut der “Göhltalvereinigung” genommen.
Der Termin wird rechtzeitig durch die Presse- und Rundfunkorgane bekanntgegeben.
Zuletzt möchten wir allen unseren Mitgliedern danken für ihre Treue zur
Vereinigung und ihre Unterstützung. Gleichzeitig danken wir der Gemeinde Kelmis, dem
Kulturamt der Provinz Lüttich und der Verwaltung und Exekutive der Deutschsprachigen
Gemeinschaft. Wir hoffen, daß wir mit dert Hilfe vieler weiterhin unser kulturelles
Programm fortführen können.
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