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Im Göhltal
ZEITSCHRIFT DER VEREINIGUNG
FÜR
KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
IM GÖHLTAL
Nr 46
Februar 1990
Veröffentlicht mit der Unterstützung des Kulturamtes der
deutschsprachigen Gemeinschaft
Vorsitzender: Herbert Lennertz, Stadionstraße 3, 4721 Neu-Moresnet.
Sekretariat: Maxstraße 9, 4721 Neu-Moresnet, Tel. 087/65.75.04
Lektor: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Kassierer: Fritz Steinbeck, Hasardstraße 13, 4721 Neu-Moresnet.
Postscheckkonto N" 000-0191053-60
Die Beiträge verpflichten nur die Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten.
Entwurf des Titelblattes: Alfred Jansen, Moresnet-Kapelle.
Druck. Hubert Aldenhoff, Gemmenich.
3
Inhaltsverzeichnis
A. Jansen, Zum Umschlagbild 3
Moresnet-Kapelle
W. Promper, Pater Deodat de Lamboy SSCC
Münster Ein langes Leben im Dienst der
Weltmission 13
M.Th. Weinert, Aachen Schlehdorn 47
Viktor Gielen, Das adlige Damenstift von Sinnich 48
Eupen
F. Pauquet, Kelmis Die Revolutionsjahre 1789-1794
und das Limburger Land 32
M.Th. Weinert, Aachen Alter Winkel 12
A. Bertha, Hergenrath Aus Walhorns Vergangenheit
Die Preismühle 73
A. Jansen, Das Franziskanerkloster in Völkerich
Moresnet-Kapelle (Gemmenich) 81
M.Th. Weinert, Aachen Am Bach 98
A. Bertha, Hergenrath Eine Eisenbahnfart von Köln
nach Brüssel i.J. 1859 99
A. Bertha, Hergenrath Auf dem Büchermarkt 104
F. Nijns, Walhorn Tätigkeitsbericht 1989 107
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5 Eutwurf des Titelblattes: Alfred Jamien, Morespet- Kapelle.
Druck. Hubert Aldenhoff, Gemmertich,
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5
Zum Umschlagbild «
Das Schloß Lontzen
von Alfred Jansen
Im limburgischen Erbfolgekrieg spielte die Burg Lontzen eine
nicht unerhebliche Rolle. 1286 lagerten geldrische Truppen vor
Lontzen, ”das sie heftig angriffen und bekämpften. Mit Sturm-
böcken und mit Ballisten und glaubten schon zu gewinnen, aber die
Burg war im Innern wohl bemannt und bewehrt. Darinnen war
Herr Gheraert Burggraf von Mueslinge... denn ohne Versöhnung
und ohne Frieden hielt er tapfer Lonsies (= Lontzen) gegen den An-
sturm und feindliche Attacken 40 Tage lang und noch mehr, ehe
Hilfe für ihn kam... (bis) Herzog Jan Lonsies befreien half...” (1) Die
Burg Lontzen gehörte damals zum Besitz des Ritters Kuno von
Lontzen aus dem Hause Scavedriesch, der dem Grafen Gui von
Flandern am 29. Juni 1289 ”das Haus Lontzen, das der Herzog von
Brabant zerstören ließ”, verkaufte. Die Lontzener Burganlage zähl-
te zweifelsohne zu den ältesten befestigten Häusern unserer Ge-
gend. Von dem ursprünglichen wehrhaften Bau ist jedoch nichts
mehr erhalten. Kunos Sohn Heinrich kaufte die Burg 1293 wieder
zurück. Über Yolande oder Julienne von Lontzen kam der Besitz an
Thomas von Holsit, dessen Tochter Katharina Pontz von Welken-
huysen (Welkenhausen/Welchenhausen) heiratet.
Man vermutet, daß Pontz von Welkenhuysen einen Neubau
errichten ließ, von dem noch geringe Teile (zwei Türme und ein
Stück Umfassungsmauer) erhalten sind. Seitdem wird das Schloß
Lontzen auch häufig ”Welkenhuysen” genannt.
Nachdem die Familie von Welkenhuysen mit dem Tode der
Brüder Pontz und Dietrich von Welkenhuysen — Letzterer starb
1495 — in der männlichen Linie ausgestorben war, fiel der Lontze-
ner Besitz an die Schwestern Katharina und Margarete von Welken-
huysen, die beide in die Reichsabtei Burtscheid eingetreten waren.
1500 bzw. 1512 kam das Haus durch Kauf an einen Vetter der vor-
genannten Nonnen, Johann von (der) Neu(er)burg; dessen Schwa-
ger, Johann von Zeel, war verheiratet mit Katharina von (der)
(1) Reimchronik des Jan van Heelu betr. die Schlacht von Worringen, zitiert in
Si A Betrachtungen zu einem dreifachen Jubeljahr, in Im Göhltal, Nr 45,
(*) Aus G. Poswick, Les Delices du Duche de Limbourg.
6
Neufer)burg/Neufchateau b. Dalhem, deren Kinder aus erster Ehe,
Frambach und Katharina von Gülpen, im Jahre 1518 Schloß Lont-
zen erbten.
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Schloß Lontzen
Blick auf die Wirtschaftsgebäude
(Foto A, Bertha)
Durch Heirat der Katharina von Gülpen mit Friedrich von
Sombreffe (1519) fiel Lontzen an Letztgenannten, der jedoch kin-
derlos starb, worauf der Besitz (1564) an Wilhelm von Goldstein auf
7
Müggenhausen (Kr. Euskirchen), Gatten der Katharina von Som-
breffe, überging. Die 1567/68 in den spanischen Niederlanden aus-
gebrochenen Religionskriege suchten auch das Limburger Land
heim. 1578 belagerten die Spanier die Burg Lontzen, die nach 3 Ta-
gen vor den aus Limburg herbeigeschafften Kanonen kapitulieren
mußte und eine spanische Besatzung erhielt.
Nach dem Tode des Wilhelm von Goldstein (1598) erbte die
Tochter Katharina die Burg Lontzen. Durch Heirat mit Graf Jo-
hann Schellart von Obbendorf kam Lontzen an die Familie Schel-
lart.
Für das Jahr 1696 verzeichnet die Chronik brandenburgische
Einquartierung und für 1702 die Sprengung des Hauptturmes durch
den französischen Kommandanten der Feste Limburg. Dadurch
wurde die gesamte Anlage stark beschädigt, so daß Graf Heinrich
von Harscamp, der Lontzen 1732 von Johann Wilhelm Schellart er-
worben hatte, sich 1746 entschloß, den gesamten Bau bis auf gerin-
ge Teile der Vorburg abzutragen und einen Neubau zu errichten.
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Wappen des Jak. Heinr. von Harscamp
und seiner Ehefrau Elisabeth von Rolshausen
(Foto A. Jansen)
8
Aus der wehrhaften Burganlage wurde nun dem Stil und dem
Geschmack der Zeit entsprechend ein herrschaftliches Landschloß:
ein zweigeschossiger, achtachsiger Bau mit 50 Räumen und hohem
Mansarddach (495 m’). An der Hauptfront springen die beiden
äußersten Achsen flügelartig vor, so daß ein kleiner, von den Seiten-
flügeln umrahmter Vorhof entsteht, der zur Freitreppe und zum
Haupteingang leitet. Das gesamte Haus hat Insellage. Eine dreibogi-
ge Steinbrücke hat die mittelalterliche Zugbrücke über den Wasser-
graben ersetzt.
An die Familie von Harscamp erinnern heute noch zwei Al-
lianzwappen von Harscamp-von Rolshausen, wovon das eine, über
dem Außentor der Vorburg, die Jahreszahl 1738 trägt.
Die älteste Tochter des Grafen von Harscamp, Maria Louisa .
Philippina, heiratete den Freiherrn Ferdinand Karl von Hochste-
den, während der einzige Sohn, Ponthian von Harscamp, Erbe des
Lontzener Besitzes, kinderlos starb, wodurch Schloß Großhaus an
die Tochter der vorerwähnten Maria Louisa Philippina, Amalia
Theresia Franziska, Gräfin von Hochsteden und Stiftsdame zu Sü-
stern, fiel. Diese heiratete den Grafen Karl Emmanuel von Auxy,
”königlich-kaiserlicher österreichischer Kämmerer und Niederländi-
scher Kammerherr zu Brüssel” (Quix). Wie Ch. Quix weiter 1837 zu
berichten weiß, erforderte das Schloß ”eine große Reparation”.
Diese ”große Reparation” wurde kurz darauf vorgenommen,
nachdem Schloß Lontzen 1845 durch Kauf an Andreas Joseph von
Grand Ry übergegangen war. Dieser war 17 Jahre lang Bürgermei-
ster von Eupen gewesen und dann in Verviers ansässig geworden.
Er vererbte das Lontzener Schloß mit den dazugehörenden Gütern
und Ländereien (1848) seinem ältesten Sohn, Julius von Grand Ry.
Schloß und Gutshof bildeten damals mit neueren Zukäufen ein Are-
al von 554 Morgen.
Julius von Grand Ry ließ das sehr reparaturbedürftige Herren-
haus 1853 wiederherstellen und er gab der Hauptfassade ihr heuti-
ges Aussehen. Ein kleiner rundbogiger Ziergiebel über dem Haupt-
portal trägt das Wappen Grand Ry und erinnert an die damaligen
Besitzer.
1882 verkauften die Erben Grand Ry Schloß Lontzen an den
Aachener Tuchindustriellen Leo Nellessen, einen Bruder des nach-
maligen Besitzers der Hergenrather Eyneburg, Theodor Nellessen.
An baulichen Veränderungen aus jener Zeit ist an der Nordsei-
te des 1. Stockwerkes ein erkerartiger Kapellenvorbau zu erwähnen.
9
Durch Heirat der einzigen Tochter Rosa Nellessen mit dem
”Königlich-Preußischen Forst- und Rittmeister”, Freiherrn Philipp
Ostmann von der Leye, i.J. 1905, kam Lontzen an diese Familie, die
den alten Adelssitz bis 1951 hielt.
Seitdem wechselte Schloß Großhaus noch mehrmals den Besit-
zer. Pierre de Walque, Richter am Appellationshof zu Gent, kaufte
das Schloß 1951 und verfaßte eine beachtenswerte geschichtliche
Abhandlung über dasselbe (”Le chäteau et l’avouerie de Lontzen”).
Er verkaufte das Anwesen 1958 an die Brüder vom hl. Gabriel
(Montfortianer-Brüder), die in Lontzen ihr Noviziat für Belgien ein-
richteten. Sie nannten das Schloß ”Haus Unserer Lieben Frau von
Banneux”. Die in der Jugenderziehung und in der Missionsarbeit tä-
tigen Brüder machten in Lontzen ihr Postulat und ihr Noviziat, be-
vor sie zur weiteren Ausbildung ins Scholastikat nach Etterbeek
überwechselten. Fehlender Nachwuchs ließ das Schloß für die Brü-
der zu groß werden. Sie beschlossen, sich von dem im Unterhalt zu
teuren Objekt zu trennen und sie fanden in der Person des Aache-
ner Waffenhändlers Friedrich Münch einen Käufer, dem an der Er-
haltung des geschichtsträchtigen Bauwerks sehr viel gelegen war.
Nachdem Herr Münch Ende 1968 das Schloß erworben hatte,
begann er sogleich mit umfassenden Renovierungsarbeiten, die er
mit folgenden Worten beschreibt: ”Ein neuer Dachstuhl wurde er-
richtet. Auf der ersten Etage ließ ich 28 Fenster erneuern und im
Parterre wurden zwei neue Parkettfußböden verlegt. Die Restaurie-
rungsarbeiten waren beinahe beendet, die Anstreicher legten letzte
Hand an, da wurde durch eine Lötlampe der Dachstuhl in Brand ge-
setzt.”
Dieser am 4. Juni 1970, gegen 11 Uhr 30, ausgebrochene
Großbrand konnte erst nach Stunden durch die Wehren von Eu-
pen, Herbesthal und Verviers unter Kontrolle gebracht werden. Was
danach von dem herrlichen Schloß blieb, war eine Ruine. Nach Ex-
pertenschätzungen war Schloß Großhaus zu 70% zerstört. Unwie-
derbringlich verloren waren das einmalig schöne Treppenhaus, die
kostbaren Vertäfelungen und die schweren Eichentüren.
Wegen eines Versicherungsstreitfalles konnte vorerst nicht mit
dem Wiederaufbau begonnen werden. Das ungeschützt liegende
Mauerwerk verfiel zusehends. Erst nachdem Großhaus 1985 er-
neut den Besitzer gewechselt hatte, wurde die Versicherungsangele-
genheit geklärt und der neue Eigentümer, Herr Jos. Schiffer (Aa-
chen), begann noch im selben Jahr mit den Vorarbeiten zum Wieder-
aufbau des Schlosses. Das Gebäude wurde entkernt, eine neue Raum-
10
aufteilung vorgenommen und neue Decken eingezogen. Ein moder-
nes Treppenhaus führt nun bis in die Mansardwohnungen. Nach
zwei Jahren intensiver Arbeit war das Schloß 1987 wieder bezugs-
fertig. Der Innennausbau ist inzwischen so gut wie abgeschlossen
und im alten ”Großhaus” ist nun Wohnraum für sechs Familien.
Der Großbrand von 1970 hatte das Schloß, wie gesagt, innen
vollständig verwüstet. Nach stilgerechtem Wiederaufbau des Dach-
stuhles erstrahlt der Bau jedoch von außen wieder im alten Glanz
—-zur Freude aller Dorfbewohner.
Für die sog. petite histoire sei hier noch folgendes nachgetra-
gen: Auf einer seiner Reisen durch die Länder Westeuropas kam
Zar Peter der Grosse 1717 nach Spa, um dort ”seiner Gesundheit
halber” einen Kuraufenthalt einzulegen. Nach beendigter Kur be- -
gab sich der Zar nach der Festung Limburg, um ”selbiger so be-
rumbt gewesener citadell zu besehen und in hohen augenschein zu
nehmen... Dahe nun Sr. Maj. sich etliche täg und zwarn bis den 25.
Julij aufgehalten und zu Lontzen das mittagmahl, welches auf re-
quisition und ersuchen gesagten hr. von Tunderfeldt ich ordonniert
und vor Sr Maj. höchstgedacht aufgesetzt, eingenohmen, haben sel-
be Sr Maj. sich nach alhiesiger kayserlich freyer reichsstadt Aachen
verfugt, auf wessen gräntzen die regierende hn. burgermeistere und
sindici in ihren carössen, wie nicht weniger eine companie von de-
nen furnembsten burgeren zu pferdt, alle in roth und blaw montür
Sr Maj. alda gebuhrend empfangen und bis in der stadt und dessen
logement begleitet... ”
Diese Zeilen aus der Chronik des Aachener Notars Johann
Adam Weinandts (die Chronik umfaßt die Jahre 1716-1728) bele-
gen, daß der russische Zar am 25. Juli 1717 in Begleitung des Lim-
burger Festungskommandanten und Gouverneurs General Georg
von Tunderfelt auf dem Weg von Limburg nach Aachen in Lontzen
Station machte; der Schreiber der Chronik hatte die Anordnung der
Tafel übernommen und das Essen aufgetragen. Von Lontzen aus
begab sich der Zar mit seinem Gefolge über den alten Limburger
Weg via Hergenrath nach Aachen. Der genannte Limburger Weg
zweigt am Gutshof Brückbent vom heutigen Königsweg ab und
stößt am Mühlenweiher in Hergenrath auf die heutige Asteneter
Straße, die früher zusammen mit der Aachener Straße das Hergen-
rather Teilstück des Limburger Weges bildete. Zwischen Mühlen-
weiher und Königsweg ist der Limburger Weg heute nur noch in
seinem unteren Teilstück befahrbar, seine Trasse jedoch noch über-
all klar zu erkennen.
12
Diesen Weg also zog Peter der Große am 25. Juli 1717. An der
Grenze der Stadt Aachen, d.h. am Bildchen, kamen ihm die beiden
Aachener Bürgermeister und die ”sindici” (Berater) in ihren Kut-
schen entgegen, daneben nicht weniger als eine ganze Kompanie der
vornehmsten Aachener Bürger, alle zu Pferd und in rot-blauen Uni-
formen. So eskortierten sie den Zar nach Aachen, wo er bei Johann
Adam Clermont in der Franzstraße Wohnung nahm.
Quellen:
Grondal, G., Lontzen, Notices historiques, Verviers.
Juffern, H., Lemeunier, U., Schyns, A., Weling, J., 1076-1976, Freie Herrlichkeit
Lontzen, (Selbstverlag, 1976)
Pauls, E., Auszüge aus der Chronik des Aachener Notars Johann Adam Weinandts, .
in ZAGV, Bd. 16, S. 165-166.
Poswick, G.,Les Delices du Duche de Limbourg, Verviers, 1951.
Quix, Ch., Beiträge zu einer historisch topographischen Beschreibung des Kreises
Eupen, Aachen 1837.
Reiners, H., Die Kunstdenkmäler von Eupen-Malmedy, S. 157-158.
13
Ein langes Leben im Dienst der Weltmission:
Pater Deodat de Lamboy SSCC
(1856 - 1947)
von Werner Promper
Zu den aus dem nordostbelgischen Grenzraum stammenden
Missionaren der Kongregation von den Heiligsten Herzen — nach
dem in der Pariser Rue de Picpus gelegenen ersten Mutterhaus auch
Picpus-Missionare genannt — gehörte neben dem in dieser Zeit-
schrift (Nr. 41, August 1987, S. 8-42) bereits vorgestellten Bruder
Maternus Laschet (Neu-Moresnet 1875 — Honolulu 1966) — der
in der Nachfolge des Aussätzigenapostels Damian De Veuster 36
Jahre auf der Hawaii-Insel Molokai gewirkt hat — auch der aus
Kettenis gebürtige Pater Deodat de Lamboy.
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Pater Deodats Geburtshaus in Kettenis, Talstraße Nr. 4
(Foto: A, Bertha)
Das Licht der Welt erblickte der spätere Missionar als Sohn
von Joseph Melchior de Lamboy und Maria Magdalena geb. Fran-
zen am 20. September 1856. Am gleichen Tag wurde er in der Ket-
15
teniser Pfarrkirche St. Katharina von Alexandrien von Pfarrer Jo-
hann Heinrich Herfs (Saeffelen 1802 — Kettenis 1859) auf die Na-
men Joseph Hubert Deodatus getauft. Seine Paten waren Joseph
Deodatus de Lamboy und Anna Elisabeth Koetgen geb. Franzen.
Erste Gymnasialklassen in Eupen
Nach vier Jahren Grundschulausbildung in Kettenis besuchte
Joseph Hubert Deodat ab Ostern 1866 eine höhere Privatschule in
Eupen, die katholische Knaben auf die Oberstufe des Gymnasiums
vorbereiten und mit Rücksicht auf die örtlichen Verhältnisse ganz
besonders auch das Französische pflegen sollte. Diese Schule hatte
1860 der an der Klosterkirche tätige Rektor Nikolaus Maria Joseph
Cornet (Malmedy 1826 — Eupen 1891) gegründet, da an der städti-
schen höheren Lehranstalt die Gymnasialfächer in den Hintergrund
getreten waren.
Nach Besuch des Progymnasiums in Malmedy hatte Cornet
die Oberstufe am Jesuitenkolleg Saint-Servais in Lüttich absolviert
und dort 1845 das Reifezeugnis erworben. Nach philosophischen
Studien an der Katholischen Universität Löwen und theologischen
Semestern an der Universität Bonn sowie im Kölner Priesterseminar
hatte er am 8. April 1850 durch Erzbischof Johannes von Geissel
die Priesterweihe empfangen. Bis zu seinem Tode war er dann Rek-
tor der Eupener Klosterkirche.
Cornets Mitarbeiter wurde der 1832 in Bruyeres bei Weismes
geborene, 1861 in Köln zum Priester geweihte Gymnasiallehrer
Franz Joseph Lamby, der zuvor zwei Jahre am Gymnasium Aloy-
sianum in Opladen gewirkt hatte. Aufgrund wachsender Schüler-
zahlen errichtete Lamby neben der Klosterkirche einen neuen
Schulbau. Da indessen die rasche Entwicklung dieser Privatschule,
die 1865 bereits über hundert Schüler zählte, den Besuch der höhe-
ren Bürgerschule sehr beeinträchtigt hatte, wurde ihr vom Kultus-
ministerium die Konzession wieder entzogen. Dem staatlich geprüf-
ten Gymnasiallehrer Lamby wurde jedoch gestattet, in kleinerem
Umfang einen privaten Lehrbetrieb fortzuführen. Lamby hat dann
bis 1895 noch etwa achtzig Schüler für die Oberstufe des Gymnasi-
ums vorbereitet und verhältnismäßig viele junge Menschen dem
Priesterstand zugeführt (nach: Johann Gerhard Heinen, Pfarrge-
schichte Eupens, 1896. Reprographischer Nachdruck: Editions Cul-
ture et Civilisation, av. Gabriel Lebon 115, Brüssel 1979, S. 214-
215 und Totengedenkbildchen 1913).
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no Pecci, dem nachmaligen Papst Leo XIII., der von 1843 bis 1845
Nuntius in Belgien war —, im Namen des Präfekten der Kongrega-
tion für die Ausbreitung des Glaubens (Kardinal Filippo Franzoni,
1775-1856) das Anliegen des Heiligen Stuhles vorgetragen hatte, bei
der Löwener Katholischen Universität ein Kolleg für die Auswärti-
gen Missionen zu gründen, besonders zur Ausbildung belgischer,
holländischer und deutscher Kandidaten für die im 19. Jahrhundert
unter den Impulsen der Päpste mächtig expandierende Weltmission
der Kirche. Seit der Gründung war de Lamboy der 95. deutsche
Kandidat, der in dieses Missionsseminar eintrat.
Als er am 2. Januar 1884 in Löwen sein Postulat begann, war
in zahlreichen christlichen Familienzeitschriften und in der Tages-
presse über das heldenhafte Apostolat von Pater Damian De Veu-
ster berichtet worden, der seit 1873 freiwillig unter den Aussätzigen
auf Molokai lebte, wo er — seit 1885 selbst vom Aussatz befallen —
am 15. April 1889 starb. Durch die vielfältigen Berichte über diesen
flämischen Helden, der seine Ausbildung zum Priester und Missio-
nar ebenfalls in Löwen erhalten hatte, war das Löwener Missionsin-
stitut von den Heiligsten Herzen allgemein bekannt geworden, und
der Trend deutscher Kandidaten dorthin hielt auch weiter an, nach-
dem der Münsteraner Weltpriester Arnold Janssen (nach einem
Aufenthalt im Löwener Noviziat) im Jahre 1875 das erste deutsche
Missionshaus gegründet hatte — wegen des Kulturkampfes unter
Bismarck in Steijl (Niederlande). Ähnlich wie de Lamboy im Zoll-
haus, so hatte De Veuster erst zu später Stunde den Ruf des Herrn
in seinen Weinberg vernommen und war von der väterlichen Schol-
le der Bauerschaft Tremelo in die Missionsschule übergewechselt.
Am 26. Februar 1884 begann de Lamboy unter der Leitung
von Pater Caprasius Verhaeghe (+ 1895) sein Noviziat. Als reifer
Mann von nahezu 29 Jahren legte der ehemalige Zollbeamte am 26.
August 1885 als Frater Deodatus (d.h. Gott hingegeben) seine ewi-
gen Gelübde ab. Dieser sein dritter Taufname, der ihm zur Erinne-
rung an seinen Patenonkel zugedacht worden war und den er als Or-
densnamen wählte, bedeutete ihm nunmehr ein ganzes Programm
für seinen künftigen Lebensweg. Er war der erste deutsche Kandi-
dat, der sämtliche achtzehn Noviziatsmonate in Löwen verbrachte
und für die letzte Vorbereitungszeit und Profeß (Gelübdeablegung)
nicht mehr ins Mutterhaus nach Paris übersiedelte.
18
Philosophische Studien bei Mercier und
erste Etappen zum Priestertum (1885-1887)
Im Anschluß an das Noviziat absolvierte Frater Deodat zur
Vorbereitung auf die theologische Ausbildung das durch die von
Papst Leo XIII. in der Enzyklika Aeterni Patris (1879) vorgeschrie-
bene zweijährige Studium der scholastischen Philosophie im Geiste
des hl. Thomas von Aquin. So wurde er Student der Katholischen
Universität Löwen, wo der nachmalige Kardinal-Erzbischof von
Mecheln, Desire Mercier (1851-1926), als führender Neuscholasti-
ker seit 1877 den auf Wunsch Papst Leo XIII. errichteten Lehrstuhl
für thomistische Philosophie innehatte und bestrebt war, ”für die
Menschen seiner Zeit zu philosophieren” (LThK VII, 306), indem er
sich bemühte, zwischen modernen Wissenschaften und traditionel-
ler Metaphysik zu vermitteln. Dabei galt sein besonderes Interesse
der Psychologie. Gleichzeitig hörte de Lamboy durch vier Semester
auch schon theologische Vorlesungen.
Am 19. Dezember 1885 wurde er durch den Erzbischof von
Mecheln, Kardinal Pierre Lambert Goossens (1827-1906), der ihm
in der erzbischöflichen Kapelle die Tonsur erteilte, in den Kleriker-
stand aufgenommen. Am 18. September 1886 empfing er in der
Brüsseler Nuntiatur durch Nuntius Domenico Ferrata (1885-1888),
den nachmaligen Kardinal-Staatssekretär Papst Benedikt XV., die
vier Niederen Weihen und am 24. Juni 1887 durch den Mechelner
Weihbischof Van den Branden de Reeth in der Löwener Pfarrkir-
che St. Quintinus die Subdiakonatsweihe.
Theologische Studien und Dozentur in Spanien (1887-1890)
Mit so großer Begeisterung und mit solchem Erfolg hatte Fra-
ter Deodat unter Professor Mercier das Studium der neuscholasti-
schen Philosophie betrieben, daß der Generalobere der Kongrega-
tion, der Franzose Marcellin Bousquet (1828-1911), ihn bereits kurz
nach seinem 31. Geburtstag als Dozenten der Philosophie an das
1880 in Miranda de Ebro bei Burgos in Spanien gegründete Kolleg
berief, um dort die ersten Abiturienten in Philosophie und Kirchen-
geschichte einzuführen. Gleichzeitig sollte er seine theologischen
Studien am Priesterseminar von Burgos abschließen.
Am 28. September 1887 reiste er von Löwen zu Pater General
nach Paris. Am 30. September traf er in Miranda de Ebro ein.
Mit außergewöhnlicher Energie erfüllte der junge Dozent die
in ihn gesetzten hohen Erwartungen. Am 26. Mai 1888 empfing er
in der Kathedrale zu Burgos die Priesterweihe.
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Kathedrale von Burgos
Als junger Priester oblag er noch weitere zwei Jahre theologi-
schen Studien in Burgos und dozierte am Scholastikat der Kongre-
gation.
In diese Zeit fiel der Tod Pater Damians (15. April 1889), des-
sen außergewöhnliches Apostolat so zahlreiche junge Menschen
zum Eintritt in die Picpus-Kongregation anregte, die auch in Spa-
nien immer mehr festen Fuß faßte.
Im Frühjahr 1890 ging Pater Deodats Herzenswunsch in Er-
füllung: Er erhielt das Missionskreuz für Chile. Vor seiner Ausreise
am 28. Mai weilte er in der Heimat und feierte eine Primizmesse in
Kettenis.
22
Zum neuen Schuljahr, das am 1. März begann, wurde Pater
Deodat an das Kolleg der Kongregation in Valparaiso berufen. Dort
wirkte er vier Jahre als Lehrer.
Aus den Kollegien von Santiago und Valparaiso gingen zahl-
reiche Berufe hervor, so daß die Region Chile bereits 1899 zu einer
selbständigen Ordensprovinz erhoben werden konnte.
Als Jugenderzieher in Kaiserswerth (1895-1896)
Nach Abschluß des Schuljahres Ende November 1894 in Val-
paraiso erreichte Pater Deodat, der im Dezember wieder im Gebiet
von Los Perales missionierte, ein neuer Ruf des Generalsuperiors.
Nachdem aufgrund des Zustroms so zahlreicher deutscher Kandida-
ten in das Löwener Seminar bereits 1893 ein erstes deutsches .
Picpus-Missionshaus mit ordenseigener Aufbauschule in Simpelveld
(Holland), unweit von Aachen, gegründet worden war und seit Bis-
marcks Entlassung durch Kaiser Wilhelm II. (1890) die Nachwehen
des Kulturkampfes allmählich abebbten, sollte die Gründung einer
Missionsschule auf deutschem Boden gewagt werden.
Schon 1892 hatte Pater Severin Kaiser (geb. 1846 in Bendorf
am Rhein, gest. 1931 in Kaiserswerth) den Auftrag erhalten, mit
den deutschen Behörden über eine Klostergründung auf deutschem
Boden zu verhandeln. Seine Bemühungen waren erfolglos geblie-
ben. Er hatte jedoch 1892 in Kaiserswerth in einem ehemaligen Ka-
puzinerkloster ein Wohnheim für Schüler gründen können, die in
Düsseldorf das Gymnasium besuchten.
Pater Deodat traf von Valparaiso aus am 28. Januar 1895 im
Generalat in Paris ein und erhielt seine Ernennung als Schülerprä-
fekt für Kaiserswerth. Ende Februar übernahm er seine neue Auf-
gabe als erster Mitarbeiter von Pater Severin im Hinblick auf die
spätere Eröffnung eines ordenseigenen Schulbetriebs. Dieser Plan
scheiterte jedoch an der ablehnenden Haltung der deutschen Regie-
rung.
Aus diesem Schülerheim gingen die Patres Benedikt Friedrichs
(1878-1909) und Bonifatius Mombaur (1879-1948), beide aus Elber-
feld gebürtig, hervor.
Dozent der Philosophie in Löwen (1896-1898)
Inzwischen hatte die Picpus-Kongregation, dem Beispiel ande-
rer Genossenschaften folgend, in einem ordenseigenen Scholastikat
philosophisch-theologischen Lehrbetrieb eröffnet. Nur noch verein-
zelte, für das höhere Lehrfach bestimmte Patres wurden zur Univer-
sität geschickt.
24
Jahres 1897/98 mit und mit seine philosophischen Vorlesungen ne-
ben Pater Deodat wieder auf, der somit frei wurde für eine neue
Aufgabe. Mit seiner vielfältigen Erfahrung als Spätberufener sowie
aufgrund der verschiedenen Ämter, die er in Europa und Übersee
im Orden bekleidet hatte, war der nunmehr auf der Höhe seiner
Schaffenskraft Stehende zu einer starken Führerpersönlichkeit her-
angereift.
Das deutsche Missionshaus in Simpelveld war als Wiege einer
deutschen Ordensprovinz vorgesehen, die dem französischen Gene-
ralsuperior bei dem so großen Zustrom deutscher Kandidaten so
sehr am Herzen lag, und der in dieser Hinsicht nach dem Scheitern
einer Gründung in Kaiserswerth seine ganze Hoffnung auf Simpel-
veld setzte. Diese Hoffnung war insofern begründet, als sich neben
dem deutschen Unternehmen Arnold Janssens in Steijl, das sich seit
seiner Gründung 1875 wachsender Schülerzahlen erfreute, auch
schon eine erst 1878 entstandene französische Genossenschaft an
der deutschen Grenze in Niederländisch-Limburg etabliert hatte: die
Herz-Jesu-Priester (SCJ). Leon Dehon (La Capelle, Aisne 1843 —
Brüssel 1925), der Stifter dieser jungen Genossenschaft, war eine
überragende Persönlickeit der Kirche des 19. Jahrhunderts. Zu-
nächst Rechtsanwalt, hatte er als Spätberufener in Rom seine Stu-
dien mit den Doktoraten in Philosophie, Theologie und Kirchen-
recht abgeschlossen sowie als Stenograph am 1. Vaticanum teilge-
nommen. Als Kaplan hatte er sich dann in seiner Heimatdiözese
Soissons der Arbeiterfrage zugewandt und war mit verschiedenen
anderen Franzosen sowie dem Lütticher Prälaten Antoine Pottier
(1849-1923) einer der bedeutendsten Inspiratoren der Sozialenzykli-
ka Rerum novarum geworden, die Leo XIII. 1891 promulgierte.
Vor Aufnahme seiner theologischen Studien hatte er durch ausge-
dehnte Reisen in Europa, Nordafrika und dem Heiligen Land inter-
nationale Erfahrungen gesammelt. So sah er sein Unternehmen von
Anfang an weltweit und rief bereits 1883, fünf Jahre nach der
Gründung seiner Kongregation, in Leijenbroek bei Sittard ein Mis-
sionshaus ins Leben, das er sofort als Wiege einer selbständigen
deutschen Ordensprovinz plante, die dann tatsächlich bereits 1908
errichtet werden konnte.
Angesichts solcher Vorbilder wird Marcellin Bousquets Traum
von einer deutschen Ordensprovinz besser verständlich. Noch auf
dem Generalkapitel 1869 war ein Ratsmitglied der Meinung gewe-
sen, «que la Congregation devrait toujours rester une ceuvre entiere-
ment francaise». Es zeugt deshalb umso mehr von dem über allen
25
Chauvinismus erhabenen katholischen Weitblick Bousquets, daß er
auf vermehrte deutsche Kräfte setzte für die aufblühende Pazifik-
Mission, wo sich seit einem halben Jahrhundert so zahlreiche deut-
sche Patres und Brüder hervorragend bewährt hatten. Von 1882 bis
1892 war der aus Ostbevern bei Münster stammende Bischof Her-
mann Köckemann SSCC Apostolischer Vikar der Hawaii-Inseln,
wo insgesamt 47 deutsche Missionare gemeinsam mit Franzosen
und Belgiern sowie einigen Holländern so segensreich gewirkt ha-
ben. Der letzte von ihnen starb 1971: Pater Ildefons Heibges (geb.
1881 in Salm/Eifel).
Ähnlich wie Arnold Janssens weit verbreitete Familienzeit-
schriften mit Berichten von den ersten Chinamissionaren (seit 1879)
dem Steyler Missionswerk zahlreiche Schüler zuführten, so warb die
seit 1895 erscheinende Zeitschrift Das Werk des Pater Damian von
Simpelveld aus. Sie erfreut sich bis heute — als Jahrbuch unter dem
Titel Apostel — großer Beliebtheit im christlichen Volke (Bestellan-
schrift: Provinzialat der Kongregation von den Heiligsten Herzen,
Eberburgweg 4, 5100 Aachen).
Die Leitung der Missionsschule von Simpelveld als Wiege einer
geplanten selbständigen deutschen Ordensprovinz war somit die bei
weitem wichtigste Aufgabe, mit der ein deutsches Mitglied der Kon-
gregation betraut werden konnte. Die Wahl des Generals fiel auf
den so vielseitig erfahrenen und begabten Pater Deodat de Lamboy.
Im Januar 1899, gleich nach den Weihnachtsferien, hatte Pa-
ter Deodat den verdienten Gründer von Simpelveld und ersten
Herausgeber der Zeitschrift Das Werk des Pater Damian, Pater An-
selmus Löning (aus Lingen an der Ems, 1863-1949), dort abgelöst.
Nachdem sein Vorgänger ihm die Ernennungsurkunde des Gene-
raloberen ausgehändigt hatte, sagte Pater Deodat in seiner
Begrüßungsansprache vor der versammelten Hausgemeinschaft:
”Ich bin nur der Stimme meiner Oberen im Gehorsam gefolgt und
hoffe, im Vertrauen auf den Gnadenbeistand Gottes meines Amtes
mit Frucht und Segen zu walten.” Dieses sein Gebet fand Erfüllung.
Auch als Ausbilder von zukünftigen Missionaren fühlte Pater
Deodat sich selbst ganz als Missionar, wenn auch nicht gerade so,
wie er es sich ursprünglich geträumt hatte, als er vom heimatlichen
Zollhaus ins Missionsseminar übergewechselt war. Im Stillen hatte
der nun Zweiundvierzigjährige noch immer auf eine neue Missions-
bestimmung gehofft. Dieses ursprüngliche Ziel war nun in weite
Ferne gerückt, und vor dem Tabernakel hatte Deodatus — der Gott
ganz Hingegebene —, der sein ganzes Leben den Heiligsten Herzen
26
Jesu und Mariä geweiht hatte, mit Maria sein Fiat gesprochen. Mit
dem ganzen Feuer seines Herzens und seinem cholerischen Tempe-
rament ging der neue Direktor von Simpelveld ans Werk.
Obenan stand, wie bei seinem Vorgänger, die Erziehung im
Geist der Kongregation der Heiligsten Herzen und der Ewigen An-
betung. Mit seinem energischen Charakter und in harter Selbstdiszi-
plin hat er vorgelebt, was er anderen abverlangte, Liebe mit Strenge
paarend, ohne irgendwelche Abstriche zu machen von den hohen
Idealen der Gründergeneration in der schweren Zeit der Französi-
schen Revolution. Diesen Geist der Gründer strahlte er aus in der
Feier der Eucharistie, in erhebenden Anbetungsstunden und Herz-
Jesu-Andachten, in der Verwaltung des Bußsakramentes sowie in
seinen tiefgründigen, zu Herzen gehenden geistlichen Konferenzen. .
Die Weihe der Menscheit an das göttliche Herz Jesu durch Papst
Leo XIII. zur Jahrhundertwende war ihm eine willkommene Gele-
genheit zur Vertiefung der Spiritualität der Kongregation, die auf
Sühne und Genugtuung dem göttlichen Erlöserherzen gegenüber in
den Wirren der Zeit gründet.
Während seiner spanischen und südamerikanischen Jahre wur-
de Pater Deodat auch in besonderer Weise mit der Spiritualität der
hl. Teresa von Avila vertraut. Das Vorbild dieser Mystikerin, die
” Anbetung und Kontemplation mit höchster Aktivität zu verbinden
wußte, indem sie schon zu ihren Lebzeiten (1515-1582) dreiund-
zwanzig Klostergründungen persönlich durchführte, war ihm Leit-
stern in seinem neuen Amt. Das leibliche Wohl der Schüler und der
gesamten Kommunität lag ihm ebenso sehr am Herzen wie die soli-
de schulische Ausbildung. Geeigneten Lehrkräften widmete er seine
besondere Aufmerksamkeit. Als er sein Amt antrat, konnten in Sim-
pelveld nur die unteren Klassen des Gymnasiums absolviert werden.
Für die Oberstufe siedelten die Schüler in die Missionsschule von
Aarschot bei Löwen über. Getreu der Weisung des General-
oberen hatte Pater Deodat stets das Ziel einer zukünftigen deut-
schen Ordensprovinz vor Augen. Mit den Schwierigkeiten im Hin-
blick auf dieses Ziel war er schon in Kaiserswerth vertraut gewor-
den. Nun plante er hin und her, nicht selten zu nächtlicher Stunde,
mit einem seiner ehemaligen Kaiserswerther Schüler, der ihm jetzt
als einer der fähigsten Lehrer zur Seite stand, Frater Benedikt Fried-
richs. Dem Organisationstalent und dem Wagemut Frater Benedikts
kommt das Hauptverdienst dafür zu, daß der Unterricht in Simpel-
veld mit dem Lehrplan eines deutschen humanistischen Gymnasi-
ums in Einklang gebracht werden konnte. Diese Umstellung kostete
27
viel Zeit und Nerven für Lehrer und Schüler, in besonderer Weise
jedoch für den Leiter der Anstalt. Mit zäher Ausdauer haben es alle
gemeinsam geschafft, daß ab 1903 die gesamten Gymnasialstudien
in Simpelveld absolviert werden konnten. Bis dahin war es ein wei-
ter Weg gewesen; denn die Umstellung hatte Pater Deodat auch
zum Baumeister werden lassen. Alle Schwierigkeiten aus dem Wege
räumend und mit großem Gottvertrauen konnte er an den von sei-
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nem Vorgänger fertiggestellten Neubau noch einen Flügel anfügen,
um die vermehrte Schülerzahl aufzunehmen. Diesen Erweite-
rungstrakt konnte der Bauherr nicht mehr persönlich einweihen, da
ihn im Anschluß an das 1903 in Kortrijk abgehaltene Generalkapi-
tel schon wieder der Ruf zu einer neuen Aufgabe erreichte.
28
In Löwen und Tremelo (1903-1907)
Dank den rastlosen Bemühungen des Provinzialoberen der bel-
gischen Ordensprovinz, Pater Mauritius Raepsaet (1850-1905), war
das Bauernhaus der Familie De Veuster in Tremelo bei Löwen, in
dem Pater Damians Wiege gestanden hatte, Eigentum der Kongre-
gation geworden. Das Anwesen hatte bereits einige bauliche Verän-
derungen erfahren und ein mehr klösterliches Aussehen erhalten. Es
fehlten jedoch die innere Gestaltung des Gebäudes und die Organi-
sation der damit verbundenen Ländereien. Mit dieser Aufgabe wur-
de Pater Deodat betraut. So nahm er wieder Wohnung im Scholasti-
kat in Löwen und hatte gleichzeitig eine Bleibe in Tremelo. Mit
großem Geschick nahm er auch diese neue Aufgabe wahr, im heili- ;
gen Gehorsam. Gleichzeitig wirkte er in der Pfarrseelsorge, wenn
Aushilfen angefordert wurden bei besonderen Anlässen, im Beicht-
stuhl und auf der Kanzel. Auch war er ein geschätzter Beichtvater
im Scholastikat. Das idyllisch gelegene, geschickt umgebaute und
zweckdienlich eingerichtete Landhaus wurde zum Noviziatshaus
der belgischen Provinz. Auch wurde dort im Lauf der Jahre ein
Damian-Museum aufgebaut, das Pilger aus aller Herren Länder an-
zieht, besonders seit der Überführung der sterblichen Überreste Da-
mians nach Löwen im Jahre 1936.
Leiter eines Schülerheims in Herzogenrath bei Aachen (1907-1914)
Erneut im Hinblick auf das Zustandekommen einer selbständi-
gen deutschen Ordensprovinz erging ein verantwortungsvoller Auf-
trag an Pater Deodat, der bei der Übernahme eines Schülerheims
seine Erfahrungen von Kaiserswerth und Simpelveld einbringen
und fruchtbar machen sollte. Am 5. September 1907 traf er in Her-
zogenrath ein, und bereits zu Ostern 1908 konnte er in das neu er-
öffnete und zweckmäßig hergerichtete Internat etwa dreißig Schüler
aufnehmen, die das Städtische Gymnasium besuchten. Mit Milde
und Strenge sorgte Pater Deodat für das leibliche, geistige und geist-
liche Fortkommen seiner jungen Schützlinge, sie mit seinem prie-
sterlichen Gebet und Beistand begleitend, in der berechtigten Hoff-
nung, aus ihren Reihen neue Arbeiter für den Weinberg des Herrn
zu gewinnen.
In diese seine Herzogenrather Zeit fiel auch Pater Deodats sil-
bernes Priesterjubiläum am 26. Mai 1913. Berichte über den Ver-
lauf dieser Feier liegen nicht vor.
29
Wieder in Simpelveld (1914-1922)
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde Pater Deodat wieder
in sein geliebtes Simpelveld versetzt, wo er ehedem als Hausoberer
und Direktor so maßgebliche Aufbauarbeit geleistet hatte. Verschie-
dene Lehrer und Brüder waren zum Kriegsdienst einberufen wor-
den, die Reihen der Schüler hatten sich gelichtet, auch einige ältere
von ihnen trugen den Soldatenrock. Im neutralen Holland konnte
der Schulbetrieb in kleinerem Umfang fortgeführt werden. In seiner
Vielseitigkeit war Pater Deodat wieder Lehrer und Seelsorger im ab-
wechslungsreichen Alltagsgeschehen. Jeder Tag war für ihn ein
Gottestag mit neuen Pflichten und Aufgaben. Er war Beichtvater in
Schwesternklöstern und leistete seelsorgliche Aushilfe in der Umge-
gend. So verbrachte er die Kriegsjahre verhältnismäßig ruhig in dem
vom Kriege verschonten Holland, jedoch nicht ohne tägliches Ban-
gen um Mitbrüder und viele Menschen hüben und drüben, die ihm
teuer und durch die Kriegsereignisse gefährdet waren.
Damals wurde Simpelveld vielen obdachlosen Ordensleuten
zur Zufluchtsstätte. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen
in Belgien ordnete die belgische Regierung die Ausweisung aller
Deutschen und Holländer an. Aus den verschiedenen Ordenshäu-
sern in Belgien fanden fünfzig deutsche Mitbrüder in Simpelveld ein
gastliches Asyl. Deutsche und holländische Scholastiker konnten
zum Teil in Simpelveld ihre Studien abschließen.
Mit dem Ausgang des Krieges fielen die Bismarckschen Kultur-
kampfgesetze. Die Kongregation durfte nun auch auf deutschem
Boden ungehindert Niederlassungen gründen, so daß 1920 die
schon so lange geplante und ersehnte selbständige deutsche Ordens-
provinz errichtet werden konnte. Die Missionsschule wurde nach
Niederlahnstein verlegt. Simpelveld erhielt seine Bestimmung als
Scholastikat (Ordenshochschule für Philosophie und Theologie).
Von 1920 bis 1922 nahm Simpelveld die Belegschaft der holländi-
schen Missionsschule Grave, die einem Brand zum Opfer gefallen
war, in seine gastlichen Mauern auf.
All diese Ereignisse erlebte Pater Deodat in vielfältig gestalten-
der Weise aktiv mit. Inzwischen war er 66 Jahre alt geworden, als
ihm eine neue Aufgabe zugewiesen wurde.
30
Prokurator und Seelsorger in Aachen (1922-1939)
Am 8. Dezember 1922, in schwerster Nachkriegszeit, über-
nahm Pater Deodat als Verwalter der Prokur in Aachen ein nicht
leichtes Amt. Es war die Zeit der wirtschaftlichen Krise, der Infla-
tion und der Geldentwertung. Überdies leistete er seelsorgliche Aus-
hilfe in verschiedenen Pfarreien der Stadt. Auch war er ordentlicher
und außerordentlicher Beichtvater mehrerer Schwesterngemein-
schaften.
Im Februar 1933 bin ich Pater Deodat (unvergeßlich in weißer
Kutte mit wallendem Bart) im Kloster Rütscherstraße einmal per-
sönlich begegnet, als meine fromme deutsche Mutter (Bad Ems
1889 — Verviers 1979) — auf Anregung meines Religionslehrers
Studienrat Grein — mit mir erwog, mich von der Aachenener Hin-
denburgschule (dem heutigen Couven-Gymnasium) in ein katholi-
sches deutsches Internat im benachbarten Holland überwechseln zu
lassen, da ein Übergang in das Lütticher bischöfliche Gymnasium
«Institut Saint-Joseph» in Dolhain, wo ich einst Schüler der Prepa-
ratoire gewesen war und wo zwei ehemalige Lehrer meines Vaters
(Welkenraedt 1890 — Verviers 1978) noch tätig waren, sich wegen
der Verschiedenheit der Lehrpläne als allzu schwierig erwies. Zu
Ostern 1933 bin ich dann in das als ”Höhere deutsche Schule im
Ausland” staatlich anerkannte humanistische Gymnasium der
Herz-Jesu-Priester in Sittard eingetreten, wo auch ein Neffe Greins
als Schüler weilte. Dort gelangte ich Ostern 1938 zum Abitur.
Herausragende Ereignisse in Pater Deodats Aachener Zeit wa-
ren sein goldenes Ordensjubiläum am 26. August 1935 und sein gol-
denes Priesterjubiläum am 26. Mai 1938.
Das Ordensjubiläum wurde in Simpelveld unter großer Beteili-
gung von nah und fern begangen. Darüber einige Auszüge aus dem
Apostel (1935, 303-304): ”... Am Morgen des 26. August erneuerte
der hochw. Pater Deodat feierlich seine Gelübde. Danach zelebrier-
te der Jubilar unter Assistenz von Pater Anselmus Löning und Pa-
ter Clemens Saxowski ein feierliches Hochamt. Beim Festakt in der
Aula wurde manche Anekdote aus dem Leben des Jubilars zum be-
sten gegeben, und er selber hat darüber herzlich mitgelacht. Für die
jungen Priesteramtskandidaten und die Brüdernovizen wird dieser
Tag sicher ein Tag heiliger Begeisterung für jene Ideale gewesen
sein, denen sie entgegenstreben. Das Jubiläum stellte ihnen ja ein
halbes Jahrhundert eines Ordenslebens vor Augen, das nicht nur
reich an Jahren, sondern auch reich an Arbeiten, Mühen und Erfol-
gen gewesen ist. Der zeitlichen Ausdehnung steht die räumliche
31
Weite, in die es den Jubilar geführt hat, nicht nach. Nachdem er in
Löwen sein Noviziat gemacht...”
Vers V.C.M.I.
zur
goldenen Jubelfeier des hochwürdigen Herrn
P. Deodatus de Lamboy SS. CC.
1885 26. August 1935
2555200 dm
Vorabend |
1. Coburger Josias Marsch
2. Dekoration des Jubilars
3. »Hell, von mildem Glanz umflossen« Lied v. Franz Nagler
4. Jubiläumsadresse der theologischen Fakultät
5. Suscipe Domine Chor v. P. Griesbacher
6. Blumenlied v. Lange
7. Radio-Welt-Ovation
8. Ecce quam bonum
Festtag
1 Grof Lamboy- Marsch v. Zosimus Laufschritt
2. Lied: »Jubelt dem Herrn« v. P. Piel
3. »Der Rosenkranz« Solo mit Orchester
4. Geschichtsvortrag v. Professor Dr. Jeremias Weesnichts
5. Hymne an die Nacht Lied v. Beethoven
6. König Mydas Ouverture v. R. Eilenberg
A Nachtgebet v. Conradin Kreutzer
32
Den fünfzigsten Jahrestag seiner Priesterweihe, der 1938 auf
Christi Himmelfahrt fiel, feierte Pater Deodat in seiner Geburtspfar-
rei Kettenis. Das Eupener Grenz-Echo berichtete ausführlich dazu:
”Mit stolzer Freude und Dank gegen Gott blickt die ganze Ge-
meinde auf ihren fast 82jährigen Priestergreis, dem, obwohl er zu
den Spätberufenen gehört, das hohe Glück zuteil geworden ist, die-
ses seltene Fest in einer geradezu staunenswerten körperlichen und
geistigen Frische zu begehen... Am Festtage werden sich die weltli-
chen und kirchlichen Ortsbehörden mit den örtlichen Vereinen,
dem Lehrpersonal und den Schulkindern um 10 Uhr an der Kirche
versammeln, um den hochwürdigen Herrn Jubilar in feierlichem
Zuge an der Wohnung seines Neffen, des Herrn Franz de Lamboy,
abzuholen und zur Kirche zu geleiten, wo derselbe ein feierliches )
Hochamt zelebrieren wird. Die Festpredigt wird ein Mitbruder des
Herrn Jubilars, Pater Hilarius Vogt, aus Simpelveld halten... Über
die priesterliche Laufbahn des Herrn Jubilars wäre noch folgendes
Zu sagen...”
Das Provinzzirkular K/eine Neuigkeiten (45. Folge, Juni 1938)
sowie die Chronik von Simpelveld berichteten dann über die Jubilä-
umsfeier in Simpelveld:
”Heute kann der Chronist von Aachen mal sein stereotypes Es
liegen keine besonderen Neuigkeiten vor abändern; denn er hat et-
was nicht Alljährliches zu erzählen: Vom goldenen Priesterjubiläum
des P. Deodat. Der eigentliche Jahrestag war am 26. Mai. Der Jubi-
lar hatte die Freude, an diesem Tage in seinem Geburtsort Kettenis
die Jubelfeier zu begehen... Das war aber nur der Auftakt zu den
Feierlichkeiten in Simpelveld, die am 31. Mai stattfanden. Am Vor-
abend begrüßte die Kommunität den Jubilar in der festlich ge-
schmückten Aula. Pater Provinzial überreichte ihm das mit golde-
nem Myrthenkranz gezierte Birett, wobei er in beredten Worten sei-
ner Freude darüber Ausdruck verlieh, den Jubilar in den Räumen
des Hauses, das er einst als Superior geleitet und erweitert hat,
begrüßen zu können. Die Glückwünsche der Kommunität sprach
Frater Ferdinand aus, der mit Begeisterung das Priestertum feierte.
Am Jubeltage zelebrierte der Jubilar ein feierliches Hochamt. Nach-
mittags war wieder Festfeier in der Aula, wo das Scholastikat das
Sakramentspiel von Calderön Das Abendmahl des Balthasar auf-
führte. Den größten Beifall fand wohl der Lebenslauf des Jubilars,
in dem alle seine Heldentaten — mit zahlreichen Anekdoten — in
das gebührende Licht gerückt wurden. Am folgenden Tag fand
noch eine kleine Nachfeier in Aachen statt.”
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Pater Deodat anläßlich seines goldenen Priesterjubiläums am 26. Mai 1938
35
In dem nebenstehend abgedruckten Brief antwortet Pater Deo-
dat auf eine Anfrage von P. Simon Goovaerts (Antwerpen 1879 —
Löwen 1959) bezüglich des Aufenthalts des Steyler Gründers Ar-
nold Janssen im Löwener Picpus-Noviziat:
”Eines guten Tages sprach ich mit Pater Caprasius [Verhaeghe,
Novizenmeister, + 1895 in Löwen] über das Steyler Missiönshaus,
wo ich vor meinem Eintritt in Löwen Exerzitien gemacht hatte.
P. Caprasius sagte mir dann, daß er P. Janssen [Goch 1835 — Steijl
1909] gut kenne, da dieser bei ihm im Noviziat gewesen sei. Nach ei-
ner gewissen Zeit (wenn ich mich nicht irre, sagte er, nach einem
Jahr) habe er ihm aber gesagt: ’Nein lieber Herr, Sie haben keine Be-
rufung zum Picpus-Pater, Gott ruft Sie zu einem anderen Werk’.
Das muß um 1865 gewesen sein. Soweit ich mich erinnere, war Pa-
ter Caprasius davon überzeugt, daß Herr Janssen wenigstens mit
dem Gedanken gespielt hatte, bei uns einzutreten, daß seine Ideen
jedoch zu grandios waren und den einfachen Picpus-Pater tief
beeindruckten.
Ich weiß nicht, ob Pater Caprasius Verhaeghe später noch mit
P. Janssen in Verbindung geblieben ist. Er zeigte jedenfalls großes
Interesse für die Nachrichten, die ich ihm über Steijl gab. Das war
1885.
Pater Etienne [Labroue, + 1910 in Santiago] habe ich in Chile
nie über Herrn Janssen reden hören.
In den Notizen des P. Caprasius — wenn es welche gibt —
würde sich gewiß etwas finden.”
Im Ruhestand in Montzen und Eupen (1939-1946)
Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges flüchtete Pater
Deodat von Aachen in sein heimatliches Eupener — seit dem Ver-
sailler Vertrag belgisches — Grenzland. Bald darauf fand der Drei-
undachtzigjährige Zuflucht in dem im altbelgischen Montzen gele-
genen Altenheim von Pannesheyd bei den französischen Augustine-
rinnen von Meaux. Beim Einmarsch der Hitlertruppen in Belgien,
am 10. Mai 1940, wurden jedoch — anders als im Ersten Welt-
krieg — auch die plattdeutschsprachigen altbelgischen Gemeinden
des Dekanates Montzen annektiert.
Somit verbrachte Pater Deodat seinen wohlverdienten Ruhe-
stand im Göhltal. In geistiger und körperlicher Frische widmete er
sich dort bis 1946 der Altenseelsorge und stand dann und wann für
Aushilfen in den umliegenden Pfarreien bereitwillig zur Verfügung.
Auch konnte er — aufgrund der Annexion des Dekanates
36
Montzen — weiter ungehindert nach Aachen fahren, wo das Klo-
ster in der Rütscherstraße Pfingsten 1943, im Zuge der Befreiung
vom Hitlerjoch, alliierten Bomben zum Opfer fiel.
Im Frühjahr 1946 übersiedelte Pater Deodat in die Eupener
Kneippanstalt zu den Franziskanerinnen von der hl. Familie. Rek-
tor Robert Ernst (geb. 1909) erinnert sich noch gut, wie er dort leb-
haft über seine Missionsarbeit in Chile erzählte.
Letzte Lebensmonate und Heimgang in Simpelveld (1946-1947)
Dem nahezu Neunzigjährigen erfüllten die Oberen gern einen
letzten Herzenswunsch: sich im Mutterkloster der deutschen Or-
densprovinz, die ein Jahr zuvor bereits das silberne Jubiläum ihrer
Gründung gefeiert hatte, auf den Tod vorbereiten zu dürfen und im
Kreise seiner Mitbrüder sein arbeitsreiches Leben zu beschließen
und in Gottes Hände zurückzugeben.
Am 3. September 1946 bezog er wieder Wohnung in Simpel-
veld. Am 20. September feierte er dort (laut Chronik) ”in körperli-
cher und geistiger Regsamkeit seinen 90. Geburtstag. Stets hat er bis
in die letzten Tage seines Lebens die Tagesordnung der Kommuni-
tät treu und vorbildlich befolgt. Eigentlich krank ist er nie gewesen.
Am 12. März 1947, vier Tage vor seinem Tode, klagte er in der Mit-
tagserholung über Herzbeschwerden, unter denen er in der vorher-
gehenden Nacht gelitten habe. Abends zog er sich frühzeitig zurück.
Am folgenden Morgen las er noch die hl. Messe, wozu er eine ganze
Stunde nötig hatte. Dann legte er sich hin, um zu sterben. Dies war
am 13. März. Am 14. März spendete ihm Pater Pro-Provinzial Ga-
briel Scholten die hl. Ölung und am folgenden Morgen (15. März)
Pater Hilarius die hl. Wegzehrung. Die beiden letzten Nächte haben
wir bei ihm gewacht; aber niemand dachte, daß er so schnell sterben
würde. Am Sonntag, dem 16. März, empfing er gegen 6 Uhr mor-
gens noch die hl. Kommunion. Um 9 Uhr 10 ist er während des
Frühstücks, das Pater Willehad ihm reichte, still verschieden.
Wenn sein Tod auch plötzlich eintrat, so waren bei seinem
Hinscheiden doch zugegen: Pater Pro-Provinzial Gabriel Scholten,
Pater Prior Wolfgang, Pater Hilarius Vogt und Bruder Hugo.
Am 18. März haben wir ihn nach feierlichem Requiem, das Pa-
ter Gabriel unter Assistenz des Priors der holländischen Kommuni-
tät, Pater Leo, als Diakon und Pater Hilarius als Subdiakon zele-
brierte, zu den «Fratres in pace» getragen.”
Genealogischer Exkurs
Durch nebenstehenden Brief, den mir eine in Vise lebende
Großnichte Pater Deodats zur Verfügung stellte, wurde ich auf des-
sen erlauchte Vorfahren aufmerksam und begann, etwas zu for-
schen...
Es ist bemerkenswert, daß de Lamboy mit seinem dritten Tauf-
namen Deodat (Dt) unterschrieb, der somit bereits vor seinem Ein-
tritt in den Orden sein Rufname gewesen sein muß.
In diesem Exkurs werden nur einige allgemeine Hinweise gebo-
ten und als Beispiel eine Äbtissin (1653-1675) der ehemaligen
Zisterzienserinnenabtei Herkenrode bei Hasselt, Anna Catharina de
Lamboy, Schwester des im Brief genannten Generalfeldmarschalls
Grafen Wilhelm de Lamboy, vorgestellt. Auf letzteren deutet auch
der ins Programm zum- goldenen Ordensjubiläum Pater Deodats
aufgenommene Graf Lamboy-Marsch von Zosimus Laufschritt hin.
Ausführlichere Schilderungen sollen einem eigenen Beitrag
vorbehalten bleiben.
Im X. Ausgabe seiner Notices historiques sur les &glises de Liege
(Lüttich 1882) gibt J. Daris in einer Notice sur Cortessem (S. 155-
157) folgende interessante Hinweise:
«Le 18 mai 1640, Albert de Lalaing, comte de Hoogstraten, ce-
de la seigneurie de Cortessem ä Guillaume de Lamboy en echange
de la seigneurie de Rachute&s en Boheme. Guillaume de Lamboy,
probablement ne au chäteau de Dessener, feldmarechal, fait prison-
nier A la bataille de Kempen, est enferme ä Vincennes. Son epouse,
baronne de Bemelberg et Hohenbourg, rassemble la rancon de
21.000 &cus.
Il achete la seigneurie de Demoucourt en Boheme. En 1657, il
vend Cortessem, Dessener et Wintershoven. Il est mort en aoüt
1663. Il a Et& enterre au couvent des Recollets ä Arnau. Sa veuve
mourut ä Prague, le 15 octobre 1687.
Il a deux sceurs: Isabelle Marguerite, qui €pouse Lambert de
Sta&l, general au service de l’empereur, et Anne Catherine, l’abbesse
de Herkenrode».
E Anna Catharina de Lamboy gehörte zu den bedeutendsten Äb-
tissinnen von Herkenrode. Der Beginn ihrer Amtszeit fiel in eine
sehr unruhige Epoche. 1653-1654 wurde die Abtei von vagabundie-
renden lothringischen Truppen ausgeplündert. Am 13. Juni 1654
erließ Maximilian, Herzog von Bayern, Bischof von Lüttich und
Köln (1650-1688), den Befehl, die geraubten Möbel in die Abtei zu-
rückzubringen.
41
Unter Anna Catharina de Lamboy zählte die Abtei wohl fünf-
zig Chorfrauen, so daß Erweiterungsbauten erforderlich wurden.
Der an die Schwesternzellen grenzende Flügel der Krankenstation
wurde in einen normalen Schlafzellentrakt umgewandelt. Für die
Krankenstation wurde ein neues Gebäude errichtet (1658).
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Das durch die Äbtissin Anna Catharina de Lamboy erbaute Krankenhaus
(Aus Herkenrode 800 jaar, Hasselt, Stadhuis 1982, S. 38)
Dieses Gebäude sowie bauliche Verschönerungen und der Er-
werb von Kunstwerken für Kirche und Haus zeugen von dem Sinn
der langjährigen Äbtissin für Pracht und Kunst. Herkenrode war
damals die bei weitem reichste Abtei der gesamten Niederlande.
Grundlage dieses Reichtums waren über dreitausend Hektar Lände-
reien im fruchtbaren Haspengau. Diese Einkünfte wurden noch
übertroffen von dem in zahlreichen Kirchspielen erhobenen Zehn-
ten.
In der damaligen Gesellschaftsordnung, als soziale Gesetzge-
bung noch unbekannt war, gab es viele Bedürftige, die aufs Betteln
angewiesen waren. So widmete Herkenrode einen großen Teil seiner
Einkünfte Werken der Barmherzigkeit. In diesem Sinne dienten die
Erträge bestimmter‘ Ländereien ausschließlich für die Zuteilungen
von Brot und Almosen an der Klosterpforte (Texte nach Herkenro-
de 800 jaar, S. 35, 39, 40)
Grabmal der Anna Catharina de Lamboy
(Aus M. Brussels, Drie oude kerken van Hasselt, Hasselt 1975, S. 89)
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Die lateinische Grabinschrift lautet:
”Wanderer verweile! Zu Lebzeiten habe ich dieses marmorne
Grabmal errichten lassen für mich, die ich nun hier in der Enge lie-
ge, aber auch für dich. Du fragst nach meinem Namen? Ich bin An-
na Catharina de Lamboy, der Gott in seiner Güte 66 Lebensjahre
geschenkt hat. Durch 22 Jahre hin bin ich Äbtissin gewesen. Erfor-
sche nicht meinen Stammbaum, der mit meinem Leben erlosch.
Schenke mir Glauben, die ich bereits Schatten bin. Denn Schatten
sind außer dem Höchsten Gut die Güter alle. Als letztes erbitte ich
von dir, Wanderer, ein Gebet, auf daß ich zur ewigen Schau gelan-
gen möge.” Sie ging hin am 2. November 1675.
44
Die Äbtissin, die sich dieses Grabmonument von Artus Quelli-
nus de Jonge (St.-Truiden 1625 — Antwerpen 1700), einem der be-
deutendsten Bildhauer jener Zeit, errichten ließ, kniet betend neben
dem Leichnam Christi. Ein Engel hebt das Schweißtuch empor.
Schwebende Engel halten Stab und Wappen.
Der Neue Herder (2 Bände 1949) zeigt unter Niederländische
Kunst (Ausgabe II, nach Spalte 2994) in einem Ausschnitt des Grab-
mals die ausdrucksvollen edlen Gesichtszüge der Äbtissin. Das
Grabmal wird dort dem Lütticher Bildhauer Jean Delcour (Hamoir-
sur-Ourthe ca. 1627 — Lüttich 1707) zugeschrieben.
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Ausschnitt des Grabmals
(Aus Der Neue Herder)
Am 9. August 1803 wurde das Monument aus der Abteikirche
in die Kirche Unserer Lieben Frau nach Hasselt überführt.
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In sämtlichen wissenschaftlichen Abhandlungen zum
Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) wird Wilhelm de Lamboy als ei-
ner der bedeutendsten Generäle im Gefolge Wallensteins erwähnt.
Vgl. z.B. Golo Mann, Wallenstein (Fischer-Verlag). Als Wallenstein
jedoch 1634 meuterte, blieb er dem Kaiser treu, der ihn 1649 mit
dem Grafentitel adelte.
45
Von September 1635 bis Juni 1636 belagerte de Lamboy mit
kaiserlichen Truppen vergeblich die Festung Hanau. Dort wird all-
jährlich noch das Lamboyfest mit kulturellen Veranstaltungen und
Volksbelustigungen begangen. Ein Lamboywald und eine
Lamboystraße erinnern noch an den General. Die ehemalige Lam-
boybrücke heißt heute Kinzigbrücke.
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Titelblatt der vom Kulturamt der Stadt Hanau herausgegebenen Festschrift
(1986, 84 S.)
Beziehungen der Familie de Lamboy zum Eupener Gebiet
zeigt A. de Ryckel auf in seinem Beitrag La cour f&odale de l’ancien
duche de Limbourg, in: Bulletin de la Societe d’art et d’histoire du
diocese de Liege 9 (1895) 399-400:
«Le 27 octobre 1714, Jean Sigismond de Lamboy et son &pouse
Marie Madeleine de Belven donnent le Moulin de Raeren en loca-
tion. Le 23 novembre 1723, Marie Madeleine Bertolf, douairiere de
Lamboy, rel&ve en son nom et du nom des trois enfants mineurs:
Engelbert Guillaume, Charles Philippe et Guillaume Joseph de
Lamboy. Le 10 juin 1761, Engelbert Guillaume vend le Moulin ä&
Nicolas Jacques Smets, chanoine de Notre-Dame ä Aix-la-
Chapelle».
46
Nachwort
Dieses Lebensbild eines Missionars aus der Kongregation des Aussätzigenapo-
stels De Veuster erscheint im Nachklang zu dem 1989 in aller Welt begangenen
Damian-Jahr. Es ist nicht auszuschließen, daß auch Joseph Hubert Deodat de Lam-
boy durch die Berichte über den großen Molokai-Missionar, wie so zahlreiche ande-
re, zum Eintritt in die Kongregation von den Heiligsten Herzen angeregt wurde.
Dem Namen Deodat de Lamboy begegnete ich erstmals auf S. 5 der Festschrift
zum fünfzigjährigen Bestehen der deutschen Ordensprovinz der Kongregation von
den Heiligsten Herzen 1920-1970, die vom Aachener Provinzialat herausgegeben
wurde und neben Chroniken und anderen Archivalien eine wichtige Unterlage für
diesen Beitrag abgegeben hat.
Dort heißt es unter dem Titel Arbeiter der ersten Stunde: ”Der Zustrom der mis-
sionsbegeisterten deutschen Jugend in das Löwener Studienhaus ist seit seiner Grün-
dung 1840 so groß, daß schon nach dreißig Jahren die Deutschen ein Zehntel der
Mitglieder der 1800 in Frankreich gegründeten Kongregation stellen. Die ewigen »
Gelübde wurden vorerst noch im Mutterhaus der ganzen Ordensgemeinschaft in Pa-
ris abgelegt. Pater Deodat de Lamboy aus Eupen ist der erste, der 1885 seine Gelüb-
de in Löwen ablegt...”
Allmählich nahm Pater Deodats imposante Persönlichkeit vor meinem geisti-
gen Auge Gestalt an, und als ich erstmals mit einem Lichtbild des Jubilars von 1938
konfrontiert wurde, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, da mir klar wurde, daß
ich ihm vor mehr als einem halben Jahrhundert in Aachen begegnet war, ohne sei-
nen Namen zu kennen. In dieser Stunde der Erleuchtung überprüfte ich ohne Ver-
zug seine Lebensdaten und erhielt so die Gewißheit, daß Pater Deodat im Februar
1933 tatsächlich in Aachen tätig gewesen war.
Nun habe ich sein Leben nachgezeichnet für kommende Generationen. Ich
fühlte mich wirlich berufen, sein Andenken der Vergessenheit zu entreißen. Es war
kein leichtes Unterfangen. Viele haben mir dabei geholfen. Sie alle haben ihren Teil
des Verdienstes am Zustandekommen dieser Biographie. Ihnen allen gebührt auf-
richtiger Dank.
An erster Stelle sei erneut gedankt der Großnichte des Hawaii-Bischofs Her-
mann Köckemann, Frau Therese Bruns (geb. 1906 in Ostbevern bei Münster), die
den Stein ins Rollen brachte (vgl. Im Göhltal, Nr. 41 — August 1987, S. 9). Sodann
verdienen besondere Erwähnung: zunächst der Mitbegründer und langjährige Her-
ausgeber dieser Zeitschrift, mein ehemaliger St. Vither Schüler, Studienrat Alfred
Bertha; Pater Deodats Großnichten Elisabeth de Lamboy (Kettenis) und Guste Bido-
de Lamboy (Vise); Pfarrer Ernst Alard (Kettenis), Kaplan Robert Ernst (Eupen),
Pfarrer Viktor Gielen (Nispert-Kettenis), Aumönier Antoine Halleux (Montzen); Pa-
ter Provinzial Dr. Gabriel Simon SSCC (Aachen), die Archivare der Kongregation
von den Heiligsten Herzen: P. Telesfoor Bosquet (Löwen), P. Andre Mark (Rom), P.
Juan Vicente Gonzälez (Santiago de Chile); Lic. theol. Hans-Günther Schmalenberg
(Direktor des Diözesanarchivs Aachen), Josef van Elten (Historisches Archiv des
Erzbistums Köln); last but not least: Pfarrer i.R. Walter Schomus (aus Weismes), von
dem ich erfuhr, daß Gymnasiallehrer Lamby mit seinem Vater befreundet war und
aus Bruyeres bei Weismes stammte.
Zum Genealogischen Exkurs lieferten wertvolle Unterlagen: Bistumsarchivar
Lic. Abbe Andre Deblon (Lüttich); Dechant Jozef Forier unseres Lütticher Weihe-
jahrgangs 1946 (Hasselt), Rektor Herman Bergmans (Onze-Lieve-Vrouwekerk Has-
selt). Ihnen allen gebührt Dank sowie schließlich auch meinem Vetter Raymond Sau-
wens (Bilzen), der das Portrait der Äbtissin Anna Catharina de Lamboy in der Abtei
Herkenrode fotografierte.
47
Schlehdorn
von M. Th. Weinert
Seltsame, dunkle Beeren,
prall von der Bitterkeit,
schwarzen Dornbusch beschweren
Früchte welkender Zeit.
Blaue, behauchte Schlehen,
Zweiglein im dunklen Krug,
wenn alle Blätter verwehen,
schenkst Du noch Trost genug.
Fröste erst reifen die Schlehen,
Dornbusch, bizarres Geäst,
beim ersten Frühlingswehen
leuchtet Dein Blütenfest.
48
° . ° °
Das adlige Damenstift von Sinnich
von Viktor Gielen
In der sogenannten Feudalzeit - das ist die Zeit vor der Franzö-
sischen Revolution - gab es auch im Dreiländereck Klöster, die den
Angehörigen des Adels reserviert waren, so Burtscheid b. Aachen,
Thorn bei Maastricht und Sinnich. Heute, in unserem demokrati-
schen Zeitalter, wäre so etwas unmöglich. Zu Recht zählt heute
nicht mehr an erster Stelle der Adel der Abstammung, nicht die Tat-
sache, daß man vor seinem Namen ein ”von” oder ”zu” führen darf,
nicht daß man der Sohn oder die Tochter eines Grafen oder Barons
ist. Viel mehr als der Adel der Abstammung gilt der Adel des Her-
zens, der Adel der Gesinnung. .
Am Fuße der waldigen Anhöhe bei Teuven und am Ufer des
Flüßchens Gulpe liegt die ehemalige Wassermühle von Sinnich und
etwas weiter das sehr schöne Schloß Sinnich, ehemals Kanonissin-
nenstift, das über fünfhundert Jahre lang den Töchtern des limbur-
gischen Adels eine geruhsame Bleibe gab. Das zum großen Teil auf
das 18. Jahrhundert zurückgehende Gebäude liegt in einer traum-
haft schönen Landschaft.
Zuerst befand sich die Abtei der Kanonissinnen in Klosterrath,
auch Rolduc genannt, unweit der Abtei der Augustiner-
Chorherren, von denen sie abhängig war und betreut wurde. Abt
Marsilius von Rolduc beschloß jedoch, für die Stiftsdamen von Rol-
duc und Schaarn (b. Maastricht) in Sinnich ein neues Kloster zu
gründen. Dazu erbat er sich die Genehmigung des Fürstbischofs
Robert de Langres von Lüttich. Am 11. Juni 1243 gestattete dieser
den Stiftsdamen, ihr Kloster zum Ort ”Fons beatae Mariae” zu ver-
legen. In der Gartenanlage des heutigen Herrensitzes sprudelt auch
jetzt noch eine Quelle. Wahrscheinlich ist es dieselbe, die damals
dem Stift den Namen gab: ”Fons beatae Mariae” d.h. Quell der seli-
gen Maria.
Zu nebenstehendem Bild:
Am Fuße einer waldigen Anhöhe und am Ufer der Gulpe — Nebenfluß der Göhl —
liegt die ehemalige Wassermühle von Sinnich und ein wenig weiter das sehr schöne
Schloß Sinnich, ehemals Abtei.
Nach einem Aquarell von Alexander Schaepkens, Landschaftsmaler und Radierer,
geb. zu Maastricht 1815, gest. daselbst 1899.
Bildarchiv der Königlichen Bibliothek, Brüssel.
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Auch das Damenstift von Sinnich hat sehr gelitten unter den
Folgen der vielen Kriege, die im Mittelalter und darüber hinaus das
Land zwischen Rhein und Maas heimsuchten. Bekanntlich waren
die Herzöge von Limburg und Brabant sehr kriegerisch veranlagt,
und eine Fehde folgte der anderen. Die Folgen waren auch für unse-
re Heimat verheerend. Trotzdem standen sich die Stiftsdamen von
Sinnich - materiell gesehen - nicht schlecht, da sie in der näheren
und weiteren Umgebung zahlreiche Liegenschaften besaßen, deren
Einkünfte das Stift vor Not bewahrten.
Weniger gut stand es um das geistliche Leben der Stiftsdamen
- besonders im 15. Jahrhundert. Der von Rolduc ernannte Prior von
Sinnich mußte sich des öfteren bei seinem Abt über die gelockerte
Klosterdisziplin und die Nichtbeobachtung der Klosterregel bekla-
gen.
Reform unter Maria von Walhorn
Um das Jahr 1487 hieß die Äbtissin von Sinnich — auch Sub-
priorin genannt — Maria von Walhorn. Sie stammte also aus unserer
näheren Heimat. Überhaupt müssen zwischen Walhorn und Rolduc
ziemlich enge Beziehungen bestanden haben, waren doch nicht we-
niger als drei Äbte gebürtige Walhorner: Nikolaus Heyendal, Wi-
nand Lamberti und Johann Joseph Haghen.
In der Amtszeit der Maria von Walhorn unternimmt der Abt
von Rolduc einen neuen Versuch, das adlige Stift zu reformieren
und die Klostergemeinschaft mit einem neuen Geist zu erfüllen.
Wie die Annalen von Rolduc berichten, geschah dies auf folgende
Weise:
Im Jahre 1497 hatte die Gräfin von Schwartzenberch, Gattin
des Vinzenz von Schwartzenberch, Gouverneur des Herzogtums
Limburg, von Holtzem bei Neuss vier Ordensschwestern kommen
lassen, um mit ihnen ein neues Kloster in Limburg zu gründen. Da
das Vorhaben sich zerschlug, berief der Abt von Rolduc die vier
Schwestern nach Sinnich, um durch sie die sehr heruntergekomme-
ne Klosterdisziplin zu erneuern. Im Laufe des Monats Februar 1495
kamen die Schwestern an. Mit ihnen zog in Sinnich ein neuer Geist
ein, und bald kehrten auch die übrigen Stiftsdamen zu einer genaue-
ren Befolgung der Klosterregel zurück. Dieses gute Beispiel führte
der Abtei auch bald neue Novizinnen zu. (*)
(*) Hares, J.A.: Inventaris van de archieven en de handschriften der abdij Klosterra-
de, Maastricht 1986, S. 28.
51
Maria von Walhorn blieb Äbtissin bis zu ihrem Tod am 4. Fe-
bruar 1508.
Das Ende von Sinnich
Kaiser Joseph II. (1765-1790) ordnete die Aufhebung aller Kl1ö-
ster an, die ihren Nutzen für die Öffentlichkeit nicht nachweisen
konnten. Dazu gehörten u.a. die rein beschaulichen Orden. Auch
Sinnich drohte die Gefahr der Aufhebung. Die Stiftsdamen richte-
ten darum ein Gesuch an die Limburger Stände, d.h. an die Landes-
vertretung. Darin suchten sie zu beweissen, daß sie für die Bevölke-
rung von Nutzen seien. U.a. heißt es darin:
”Das Kapitel von Sinnich war immer bestrebt, sich den Mit-
menschen nützlich zu zeigen. Regelmäßig hat es Gottesdienst gefei-
ert, an dem auch die Anwohner teilnahmen. Die bedürftigen Fami-
lien der Nachbarschaft und der Umgebung wurden durch bedeuten-
de Zuwendungen unterstützt, besonders wenn sie im Falle von
Krankheit keine anderen Einnahmen hatten. Den armen Kranken
haben wir mancherlei Linderung verschafft durch Fleischsuppen,
durch Kleidung, Wein, Medikamente, Wäsche usw. Während der
Ruhrepidemie haben wir diese Zuwendungen noch erhöht, und wir
sind entschlossen, es auch weiterhin zu tun...”
Es gelang den Stiftsdamen, die drohende Aufhebung zu verei-
teln. Jedoch nicht mehr lange sollten sie sich des stillen Sinnich er-
freuen. Nach der 2. französischen Invasion im Dezember 1794
mußten die Stiftsdamen Sinnich verlassen und sich nach Köln zu-
rückziehen, konnten jedoch am 19. Mai 1795 zurückkehren — wenn
auch nur für kurze Zeit. Ein französisches Gesetz vom 1. September
1796 hob alle religiösen Orden auf. Am 17. März 1798 verließen die
Stiftsdamen für immer Sinnich.
Beim Verkauf durch den französischen Staat ging das verlasse-
ne Kloster in Privathand über. Es wurde erworben durch den frü-
heren Einnehmer des Klosters Karl Joseph Reul.
Literatur:
Brouwers, DD: Histoire du Chapitre Noble de Sinnich de l’Ordre de St. Augustin, in
Bulletin de la Societe Vervietoise de l’Archeologie et d’Histoire, Volume 5 - 1903.
52
Die Revolutionsjahre 1789-1794
und das Limburger Land
von Firmin Pauquet
Allgemeine Lage
1989 wurde überall des Ausbruchs der französischen Revolu-
tion und der Erklärung der Menschenrechte im Jahre 1789 gedacht.
Im selben Jahr 1789 brach auch die Lütticher und die Brabantische
Revolution aus. Wenn auch lokale und regionale Begebenheiten die-
selben verursachten, so haben doch die Pariser Ereignisse und die
allgemeine aufklärerische Stimmung in Westeuropa diese beiden Re-
volutionen im heutigen Belgien beeinflußt. Wie haben nun unsere
Vorfahren im ehemaligen Herzogtum Limburg und insbesondere in
den ”duytschen Banken” Baelen, Montzen und Walhorn, wozu das
Göhltal gehörte, darauf reagiert und was haben sie erlebt? Durch
die geographische Nähe des Fürstbistums Lüttich sowie durch die
wirtschaftliche Verflechtung der Limburgischen und Vervierser
Tuchindustrie bedingt, mußte der Aufruhr in der Lütticher Mark-
grafschaft Franchimont, wozu Verviers gehörte, irgendwie Wider-
hall in den limburgischen Dörfern finden, besonders in denjenigen,
wo Spinner und Weber für die Kaufmannschaft der Weserorte ar-
beiteten. Die Zugehörigkeit des gesamten Herzogtums zur Diözese
Lüttich mag auch eine Rolle gespielt haben. Andererseits war Lim-
burg eine der zehn Provinzen der österreichischen Niederlande (1)
und seit dem Pariser Frieden vom 15. Oktober 1289 nach der
Schlacht von Worringen vom 5. Juni 1288 eng mit Brabant verbun-
den. Somit waren es vor allem die Ereignisse in Brabant, die vorwie-
gend die politische Lage in Limburg beeinflussen mußten.
Die Reformen Josephs II.
Nachdem der aufklärerische Joseph II.:(* 1741, Kaiser 1765,
+ 1790) seiner Mutter Maria-Theresia (* 1717, Herrsch. 1740, +
1780) als alleiniger Herrscher der Habsburgischen Erbländer gefolgt
war, führte er in schnellem Tempo grundlegende Reformen in Ver-
waltung und Justiz ein. Diese Reformen, die unter seiner Mutter
eher behutsam vorbereitet wurden, mußten besonders in konservati-
ven Kreisen Reaktionen auslösen. Sie wurden auch noch in einer
Periode der relativen wirtschaftlichen Flaute durchgeführt, in wel-
cher unregelmäßige Getreideernten und Teuerung der Lebensmittel
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Joseph II. an der Schelde
(Kupferstich, nach 1784 - Katalog zur Ausstellung auf Stift Melk,
Österreich zur Zeit Josephs II. 1980, S. 420)
54
Unzufriedenheit im Volke verursachten (2). Dies führte zu einer
Vereinigung der verschiedenen Oppositionsgruppen: der Konserva-
tiven bei der Geistlichkeit, der Städtemagistraten, der Gerichtshöfe,
der städtischen Gilden und der Stände oder ”Staaten” der ein-
zeinen niederländischen Provinzen einerseits und der aufkläreri-
schen Kräfte unter Juristen und Kaufmannschaft andererseits. Un-
ter Einfluß der französischen Philosophen wünschten letztere wohl
Reformen, aber unter Mitwirkung einer nationalen Vertretung. Die
Absetzung Josephs II. in Brabant wurde dann auch unter Berufung
auf die alten Privilegien, Freiheiten und ”Costuymen”, d.h. Landes-
rechte, vor allem der branbantischen ”Blyden Inkomst” oder ”Joy-
euse Entree” vom 3. Januar 1356, verkündet (3). Dies zeigt den
großen Unterschied mit der französischen, der Lütticher und der .
nordamerikanischen Revolution (1776-1783) sowie dem holländi-
schen Umsturz (1784-1787) jener Zeit, die sich im aufklärerischen
Geiste entwickelten.
Nach seiner Reise in die südniederländischen Provinzen im
Jahre 1781 (4) war Joseph II. noch mehr als zuvor von der Notwen-
digkeit der Einführung grundlegender Reformen überzeugt. Wie in
Österreich sollten diese Reformen einen modernen zentralistisch re-
gierten Staat schaffen und auch im aufklärerischen Sinne, vor allem
aus wirtschaftlichen Überlegungen, eine Angleichung aller Bürger
gleich welcher Konfession anstreben.
Ab 1781 wurden verschiedene Maßnahmen im kirchlichen Be-
reich vorgenommen. Eingeführt wurden sie durch das allgemeine
Toleranzedikt vom 13. Oktober 1781 zugunsten der protestanti-
schen Gemeinden, das einen Monat später, am 12. November, auch
in den Niederlanden veröffentlicht wurde. Es wurde speziell den
Ortsbehörden der Städte Limburg und Herve sowie den Flecken Eu-
pen und Hodimont in Rundschreibenform zugesandt. Während sei-
ner Reise hatte Joseph II. am 17. Juni in Antwerpen eine Delega-
tion protestantischer Tuchhändler aus Hodimont, einem limburgi-
schen Vorort von Verviers, und aus Eupen empfangen. Geleitet war
diese Delegation vom Fabrikanten Paul von dem Bruch aus Hodi-
mont und vom Limburger Rechtsanwalt Francois Joseph Legro (5).
Anläßlich seines Aufenthaltes in Limburg am 18. Juli und in Hodi-
mont am 19. Juli hörte er sich nochmals die Wünsche der reformier-
ten Kaufmannschaft an. Die kirchlichen Reformen gipfelten in der
Gründung des allgemeinen Seminars zur Ausbildung des Klerus in
Löwen und einer Abteilung desselben in Luxemburg durch Edikt
vom 16. Oktober 1786. Da weder die Bischöfe noch der Papst sich
55
einverstanden erklären konnten, begann die klerikale Opposition
sich bemerkbar zu machen. In diesem Zuge waren auch durch Edikt
vom 17. März 1783 alle Klöster aufgehoben worden, ”in welchen
ein rein beschauliches Leben geführt wurde, das vollkommen nutz-
los für Religion, Staat und Mitmenschen war”. Unter den 163 auf-
gehobenen Klöstern befand sich auch das Kreuzherrenkloster Bran-
denburg an der Ostgrenze des Herzogtums Limburg gegen die
Reichsabtei Kornelimünster bei Raeren-Sief (6).
Im November 1786 wurde Charles von Martini als kaiserlicher
Kommissar mit der Reform des Gerichtswesens beauftragt.
Zwei Diplome vom 1. Januar 1787 brachten dann die große
Verwaltungsreform (7). Alle noch aus der Zeit Karls V. (* 1500,
Herrscher 1515-1555, + 1558) stammenden Regierungsgremien wur-
den durch einen einzigen ”Conseil de Gouvernement general” (Ge-
neralgouvernementsrat) unter Leitung des bevollmächtigten Mini-
sters ersetzt. Das Land wurde ab dem 1. April 1787 in neun Kreise
unterteilt, die jeweils von einem Intendanten verwaltet wurden, und
die ständigen Vertretungen der Landstände wurden aufgehoben.
Die praktischen Organisationsregeln wurden durch Edikt vom 12.
März festgehalten.
Auch das gesamte Gerichtswesen wurde umorganisiert: 63 Ge-
richte erster Instanz, zwei Appellationshöfe in Brüssel und Luxem-
burg und ein einziger Obergerichtshof. Verordnungen vom 3., 10.
und 20. April bestimmten die Durchführungsmaßnahmen. Die Ver-
ordnung vom 3. April beseitigte u.a. den Gebrauch der Folter. Diese
Reformen Josephs II. entsprechen weitgehend der jetzigen Organi-
sation des Landes, die in der Franzosenzeit durchgesetzt wurde.
Die Reformen in Limburg
Die alte Provinz Limburg, d.h. das Herzogtum und die österrei-
chischen Teile der Länder von Übermaas (— Dalhem, Valkenburg
und Herzogenrath —) wurden mit der Provinz Obergeldern zum
Kreis Limburg mit Hauptsitz in Herve vereinigt (8).
Der neue Kreis Limburg bestand aus drei Distrikten, dem je-
weils ein Kommissar vorstand: Herve für das Herzogtum,
Herzogenrath-Rolduc für die drei Länder von Übermaas und Roer-
mond für Obergeldern.
Dem neuen Intendanten, Herrn von Ransonnet, ehemaligem
Rat beim Generalgouvernement, wurde am 8. Februar 1787 seine
Ernennung vom Staats- und Kriegssekretär Henri von Crumpipen
(9) mitgeteilt. Am selben Tag erhielt er die sehr detaillierten Instruk-
ST
tionen (10) über die Befugnisse seines neuen Amtes. Aufgabe der In-
tendanten war es vor allem, der Regierung bei der allgemeinen Lei-
tung der öffentlichen Angelegenheiten sowohl politischer wie wirt-
schaftlicher Art behilflich zu sein und sie genauestens über alles,
was zur öffentlichen Ordnung und zum allgemeinen Wohl beitragen
könnte, zu informieren.
Es oblag ihnen, alle Verordnungen bezüglich der Polizei, der
Finanzen und der Volkswirtschaft anzuwenden und Verbesserungs-
vorschläge einzureichen. Sie sollten einen jährlichen Gesamtbericht
über die Lage in ihrem Kreis erstellen und ebenfalls jährlich die
Grenzen ihres Bezirkes inspizieren. Die Untertanen sollten auf ihre
Beihilfe eventuell durch Einsatz der Wehrkraft rechnen können.
Die Intendanten sollten auch die Anwendung aller erlassenen Ver-
ordnungen über den Kultus und den Eifer der Pfarrer überwachen.
Es oblag ihnen, für die Eintreibung der Steuer zu sorgen und
alle örtlichen Behörden zu überwachen. Ferner sollten sie sich für
die Verbesserung der Landwirtschaft, des Handels, der Industrie
und der Verkehrswege einsetzen. Das öffentliche Gesundheitswe-
sen, die Bekämpfung der Notlagen und der Tierkrankheiten gehör-
ten ebenso zu ihren Kompetenzen wie die Unterbringung und Ver-
sorgung der vorbeiziehenden Truppen. Dem Intendanten standen
folgende Mitarbeiter zur Verfügung: ein erster Kommissar als Beige-
ordneter am Hauptsitz des Kreises, ein Kommissar am Hauptsitz ei-
nes jeden Distriktes, ein Sekretär, zwei Offiziale oder Verwaltungs-
richter und drei Boten. Die Distriktkommissare mußten ihrerseits
zweimal jährlich eine Inspektion in ihrem Verwaltungssprengel
durchführen.
Am 7. März versammelten sich alle neun Intendanten in Brüs-
sel, um die Anwendung ihrer Instruktionen zu besprechen. Die von
den Intendanten vorgeschlagenen Instruktionen für die Distrikt-
kommissare wurden am 19. März vom bevollmächtigten Minister
gutgeheißen und anschließend gedruckt. Am selben Tag wurden die
Vereidigungsformeln für ihre Mitarbeiter den Intendanten zuge-
sandt. Mitte März erhielt der Limburger Intendant seitens des Ge-
richtsrates von Geldern und des Souveränen Gerichtsrates von Bra-
bant eine Aufstellung aller Gemeindevorsteher und Pfarrer seines
Amtssprengels.
Es folgte am 7. April eine weitere Aufstellung mit Angabe
der Anzahl Exemplare der Verordnungen, die durch die Boten
auszutragen und an den jeweiligen örtlichen Amtmann, Drost oder
Meier, auszuhändigen waren. In Anwendung der Verordnungen
58
vom 19. März 1777 benötigte der Intendant 15 flämische Exempla-
re und 64 französische für die Amtmänner des Herzogtums. Dazu
kamen noch 17 flämische und 35 französische für die Pfarrer, die
laut Edikt vom 7. Oktober 1785 ebenfalls die Verordnungen der Re-
gierung in ihren Kirchen bekanntgeben mußten.
Seit Oktober 1786 hatten sich verschiedene Kandidaten für die
anläßlich der Verwaltungsreform vorgesehenen Ämter beworben,
meistens Personen, die bis dahin Ämter bekleidet hatten, die durch
die Reform aufgehoben wurden. Darunter seien genannt: der Notar
Nicolas Joseph Bounie, der am Bildchen wohnte und auch Schöffe
von Walhorn und Lontzen war; der Ratskonsulent der Stadt Me-
cheln, Rechtsanwalt Michel de Beelen, der mit der limburgischen
Familie dieses Namens verwandt war; der Assessor von Fromenteau ,
aus Hodimont, alle Mitglieder der Kommission für die öffentlichen
Lasten, und der Limburger Rechtsanwalt von La Saulx zu Sainte-
Marie (10a).
Die meisten Kandidaten beteuerten ihre Kenntnisse der beiden
Umgangssprachen des Herzogtums, Flämisch und Französisch. Am
3. April 1787 wurden der erste Kommissar Michel de Beelen und
die beiden Offiziale, der Eupener Peters, bisher Sekretär der Kom-
mission der öffentlichen Lasten, und der Bonner Joseph Proschaske,
der zuvor im Regiment Muray gedient hatte, vereidigt.
Am selben Tag versandte der Intendant das kaiserliche Edikt
vom 12. März über die Einrichtung der Intendanturen an alle örtli-
chen Amtmänner mit der Aufforderung, dasselbe sofort zu veröf-
fentlichen und ihm das Protokoll über die Veröffentlichung inner-
halb von vierzehn Tagen zurückzusenden.
Am selben 3. April wurde der Limburger Intendant auch feier-
lich vom Magistrat der Stadt Herve und dann von der Gemeindere-
gierung (regence) der Bank Herve (11) aufgesucht und beglück-
wünscht.
Am 4. April wurde der erste Bote Lintgens, am 12. April die
beiden Boten Jean Francois Bonvoisin und Pierre Reul sowie der
Bürodiener Louis Hauregard vereidigt.
Aus sprachlichen Gründen wurden seitens der Brüsseler Regie-
rung für das Amt eines Distriktkommissars folgende Personen abge-
wiesen: der Herr Fromenteau, der weder Flämisch noch Deutsch
beherrschte, und der Herr von La Saulx zu Sainte Marie, der kein
Flämisch sprach.
Am 25. April 1787 berichtet von Ransonnet dem Generalgou-
vernementsrat über die Lage am Altenberger Galmeibergwerk. Am
59
16. April hatte ihn. das neue oberste Regierungsorgan mit einer Un-
tersuchung an Ort und Stelle beauftragt, die er am 24. April durch-
führte.
Dieser Fall verdeutlicht die größere Effizienz der von Joseph II.
gewollten Verwaltungsorgane, aber auch den zentralistischen Cha-
rakter der Reform. Der Intendant sollte der alleinige Vertreter der
Brüsseler Regierung in den Provinzen sein, dem alle bis dahin paral-
lel aufgebauten Verwaltungsstellen der verschiedenen Bereiche un-
terstanden (12).
Am 29. April wurde das jährliche Gehalt der Kreisbeamten
festgelegt:
der Intendant von Ransonnet bezog 5.600 Gulden
der 1. Kommissar von Beelen 2.400 Gulden
der Distriktkommissar in Rolduc, Corneli, 1.200 Gulden
der Sekretär, Freiherr von La Mine, 1.000 Gulden
der 1. Offizial Peters 600 Gulden
der 1. Bote Lintgens 250 Gulden
die beiden Boten Ruel und Bonvoisin je 225 Gulden
der Bürodiener Hauregard 200 Gulden
Bis dahin waren die Distriktkommissare in Roermond (für
Obergeldern) und in Herve (für das Herzogtum Limburg) noch nicht
ernannt. Es scheint, daß der am 3. April vereidigte 2. Offizial, Pro-
schaske, von seinem Amt schon zurückgetreten war. Der Sekretär
wurde am 13. Mai vereidigt, desgleichen ein zusätzlicher (?) Bote,
Antoine Joseph Hauregard.
Ab dem 1. Mai 1787 mußte die Gerichtsreform in Kraft treten.
Der Hofrat beim Obersten Gerichtshof, Vandervelde, war am
23. Februar in Herve angekommen, um die Durchführungs-
maßnahmen zur Gerichtsreform an Ort und Stelle vorzubereiten.
Der Rat beim aufgehobenen Souveränen Gerichtsrat von Brabant,
Stiens, wurde zum Präsidenten des Herver Gerichtes ernannt. Die
anderen Richter wurden durch die Bevölkerung gewählt. In Herve
fand diese Wahl am 27. März statt.
Die kaiserliche Verordnung vom 20. April 1787 sah folgende
Gerichte erster Instanz im Limburgischen vor: Herve, Limburg, Eu-
pen, Herzogenrath, Dalhem und Valkenburg. Am 9. Mai 1787 trat
der neue königliche Gerichtsrat mit Sitz in Herve zusammen und
auch die neuen Gerichte nahmen an diesem Tage ihre Geschäfte
auf.
Präsident und königlicher Richter beim Gericht erster Instanz
in Eupen wurde Pierre-Olivier-Albert von la Saulx, Herr zu Alens-
60
berg und Gemmenich, bis dahin Schöffe beim Hohen Gerichtshof
zu Limburg (13).
Im neuen Kreis Limburg scheint die Verwaltungsreform bis da-
hin problemlos durchgeführt worden zu sein. Wir vernehmen aber
dann, daß am 5. Mai der kaisertreue protestantische Geschäftsmann
von den Bruch aus Hodimont dem Intendanten ein von ihm am
25. April erhaltenes Rundschreiben zukommen läßt, in welchem die
Stände von Brabant sich ausdrücklich gegen die Einmischung der
Intendanten bei der Steuereinhebung wehren. Dieses Schriftstück
wurde auch in der Umgebung von Verviers verteilt.
Laut Berichten des Intendanten von Ransonnet vom 5. bzw.
10. Mai 1787 war die Verwaltungs- und Gerichtsreform ohne
Schwierigkeiten in Limburg durchgeführt worden. Erleichtert wur-
de die Durchführung der Reformen des Monarchen im Limburgi-
schen durch die günstigen Stellungnahmen der seit 1786 in Herve
von Pierre Tondu, genannt Lebrun (14), herausgegebenen aufkläre-
rischen Zeitung ”Journal General de l’Europe”. Diese konnte von
der französischsprechenden Kaufmannschaft und von den zahlrei-
chen Juristen des Limburger Landes gelesen werden. Die allgemein
bezeugte Habsburger Treue der Limburger beruhte u.a. auf dem
Wohlwollen der Wiener Regierung für die wirtschaftlichen Bedürf-
nisse der Provinz.
Am 10. Mai erhielt der Limburger Intendant eine kurze Mittei-
lung der Generalstatthalter, nach welcher er sich zukünftig nur
noch um die Amtsgeschäfte kümmern sollte, die unmittelbar zum
königlichen Dienst gehörten. Hiermit war seine Rolle als Aufsichts-
behörde des Klerus und der örtlichen Instanzen aufgehoben. Dies
entsprach der erläuternden Erklärung vom 30. April 1789 und einer
Depesche der Generalstatthalter an die Stände aller Provinzen vom
16. Mai. Am 23. Mai hatte Ratskonsulent Legro diese Depesche
und ein Dekret des Souveränen Gerichtsrates von Brabant d.d.
8. Mai den abgesetzten Schöffengerichten zukommen lassen. Diese
Urkunden wurden am 24. Mai am Gemeindehaus der Bank Herve
zu Battice angeschlagen und ihre Veröffentlichung vom hiermit
wieder eingesetzten Schöffengericht durch Böllerschießen gefeiert,
ohne daß jedoch große Volksmengen sich daran beteiligten. Der In-
tendant berichtete am 25. Mai, daß Ruhe in Limburg herrschte, daß
wohl einige Priester sich in Raeren versammelt und ein Prosit auf
die Brabanter Stände gebracht hätten.
Am 31. Mai 1789, um 12.30 Uhr mittags, erhielt Intendant
von Ransonnet das am 29. Mai von Brüssel gesandte Aufhebungs-
62
”Blyde Inkomst”. Auf Grundlage des Unionspaktes vom 4. Novem-
ber 1415 (15) schlossen sich die Limburger Stände der Oppositions-
politik ihrer brabantischen Kollegen an. Am 8. Mai richteten sie in
diesem Sinne eine Bittschrift an den Kaiser.
Nachdem die Generalstatthalterin der Niederlande, Erzherzo-
gin Maria Christina (* 1742, H. 1780-1792, + 1798) (16), und ihr Ge-
mahl Albert Kasimir von Sachsen-Teschen (* 1738, + 1822) sich am
7. und 14. Mai kompromißbereit erklärt hatten, setzten sie sogar am
28. Mai die neuen Verwaltungsorgane und die neuen Gerichte aus.
Diese Opposition der oberen Gerichtshöfe ist mit der gleichzeitigen
Opposition der französischen Parlamente, ebenfalls obere Gerichts-
höfe, gegen die Steuerreformversuche Ludwigs XVI. zu verglei-
chen. Anführer der brabantischen Opponenten wurde der Brüsseler .
Rechtsanwalt Henric Van der Noot (1731-1827) (17), der in seinem
”Memoire sur les droits du peuple brabancon” die Stände und den
Souveränen Gerichtsrat von Brabant als die Hüter der alten Privile-
gien und Freiheiten des Landes darstellte. Am 30. Mai und
20. Juni sagten die Generalgouverneure sogar die Aufhebung aller
früheren Reformen zu, ”die irgendwie gegen alte Rechte und Privile-
gien verschiedener Provinzen” verstießen. Bei der Aufzählung der
Provinzen fällt wohl auf, daß u.a. Limburg nicht erwähnt wird, viel-
leicht weil Limburg prinzipiell die gleichen Freiheiten wie Brabant
genoß.
Reaktion in Limburg
Die Aufschiebung der Reformen verursachte im Limburgi-
schen widersprüchliche Reaktionen, so daß eine Kluft in der öffent-
lichen Meinung sichtbar wurde. Einerseits behaupteten Vertreter
der Stände, laut Bericht vom 26. Mai, daß die Bevölkerung sich dar-
über freue. Andererseits schrieb das ”Journal General de l’Europe”
am 22. Mai, die Einwohner dieser Stadt (Herve), wie auch diejeni-
gen vieler kleineren Städte der Provinzen Limburg, Luxemburg und
sogar Wallonisch-Brabants, seien bestürzt. Dem Aufhebungsdekret
zum Trotze tagte das neue Herver Gericht weiter und seine Mitglie-
der wurden sogar am 21. Mai vom Stadtmagistrat unter Treueerklä-
rungen für Joseph II. feierlich empfangen.
Am 24. Mai beschlossen die Mitglieder der neuen Gerichte von
Herve, Eupen und Dalhem gemeinsam, weiter zu tagen, bis persön-
liche Beschlüsse der Kaisers einträfen. Der Kaiser seinerseits war
mit den Zugeständnissen seiner Schwester und seines Schwagers gar
nicht einverstanden. Er berief sie sowie den bevollmächtigten Mini-
63
ster Graf Louis Charles Barbiano die Belgiojoso (18) nach Wien zu-
rück und lud auch Delegierte der Stände im Juli nach Wien ein.
Eine Generalversammlung der Ständevertreter aller Provinzen
fand zuerst am 18. Juli im Brüsseler Rathaus statt. Aus Limburg er-
schienen der Abt von Gottestal (Val-Dieu) Nicolas Delcourt (19) für
den Klerus, Freiherr Edmond von Lo& zu Imstenraedt (20) und
Graf Maximilien von Hoen zu Neufchateau (21) für den Adel, und
die‘ Herren Dodemont, Francois-Joseph Legro (5) und Arnold
Hyacinthe von Limpens (22) für den Dritten Stand.
64
Graf Louis-Charles-Marie v. Barbiano Belgiojoso (1728-1802),
bevollmächtigter Minister in den österreichischen Niederlanden von 1783 bis 1786
(Stich von de la Rue, Brüssel, Kgl. Bibliothek)
Weitere Entwicklung in Brabant
Zur 32-köpfigen belgischen Delegation, die am 12. August in
Wien eintraf, gehörten für Limburg der Abt von Klosterrade (Rol-
duc), Pierre Chaineux (23), der Graf Maximilien von Hoen zu Neuf-
Chateau und Herr Dodemont (24). Im Grunde blieben die Unterre-
dungen mit dem Kaiser ergebnislos, da Joseph II. entschlossen blieb,
Reformen durchzusetzen, wenn er sich auch bereit erklärte, proviso-
risch die neuen Gerichte und die Intendanturen aufzuheben. Alle
anderen Reformen mußten aber laut kaiserlichem Beschluß vom 16.
August als endgültig gelten.
65
Die Stände wollten ihrerseits die kaiserlichen Vorentscheidun-
gen, d.h. die Beibehaltung aller vor dem 1. April eingeführten Refor-
men u.a. bzgl. der Universität Löwen und des Generalseminars
nicht annehmen. Freiwilligenkorps wurden von den Notabeln in
verschiedenen Städten bewaffnet, so in Brüssel ca. 1100 Mann. Um
einen Aufstand zu vermeiden, zog General Joseph Murray (25),
Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen und stellvertretender
Generalstatthalter, alle bis dahin aufgeschobenen Maßnahmen am
21. September 1787 endgültig zurück. Joseph II. reagierte wütend.
General Murray wurde durch den harten General Richard d’Alton
(1732-1790) ersetzt. Graf Ferdinand von Trauttmansdorff (1749-
1827) wurde gleichzeitig zum neuen bevollmächtigten Minister er-
nannt (26). Der gewandte neue Minister konnte die Situation wieder
meistern und die ”kleine brabantische Revolution” am 17. Dezem-
ber 1787 beenden.
Alle früheren Reformen blieben bestehen, aufgeschoben blieb
nur die Einsetzung der neuen Gerichte und der Intendanten. Ob-
wohl die Hennegauer und die Brabanter Stände wieder opponierten,
mußten letztere am 22. Januar 1788 dem Druck des Militärs nach-
geben. Im Mai 1788 bewilligten die Brabanter Stände sogar die jähr-
liche Beisteuer. Kurz danach schlossen sie sich aber wieder der op-
positionellen Politik des Klerus und der Universität Löwen an. Die
Kraftprobe führte zur Absetzung und Verbannung von mehr als der
Hälfte der Professoren. Diese zogen sich nach Sint Truiden im
Fürstbistum Lüttich, bzw. in die Republik der nördlichen Vereinig-
ten Provinzen zurück. Im August versuchte die Regierung, die An-
stifter zu verhaften.
Henric Van der Noot gelang es, zuerst nach England und dann
nach Holland auszuweichen. In Breda bildete er ein oppositionelles
Komitee mit dem Antwerpener Theologen Kanonikus Pieter Simon
Van Eupen (* 1733, + 1804) (27).
Im September entstanden Unruhen auf dem Lande, wo die Be-
völkerung sich gegen die konservativen Opponenten äußerte.
Grund hierfür war vor allem die Teuerung des Getreides. Die Mo-
dalitäten zur Aufhebung der Steuern seitens der Stände wurden
auch scharf angegriffen. In mehreren Provinzen waren die Stände
kaum repräsentativ für die Gesamtbevölkerung: beim Adel waren
die kürzlich in den Adelsstand Erhobenen ausgeschlossen, der Kle-
rus wurde nur durch einige Prälaten der reichen Abteien vertreten
und der Dritte Stand bestand meistens nur aus Vertretern der Gil-
den einiger größeren Städte (28).
66
Am 18. November 1788 verweigerten die Hennegauer Stände
wieder die Beisteuer. Der brabantische Dritte Stand folgte am 29.
Nun reagierte der Kaiser empört. Am 7. Februar 1789 meldete er,
er fühle sich nicht mehr an die von ihm geschworenen Privilegien
der beiden Provinzen gebunden. Dieser Bruch des Treueides ihres
Fürsten wurde in den Niederlanden mit Bestürzung empfunden,
desto mehr, da im gleichen Moment Ludwig XVI. in Frankreich am
24. Januar die Generalstände zur Besprechung der katastrophalen
finanziellen Lage des Königreiches für den 1. Mai 1789 einberufen
hatte (29).
\
H. Van der Noot (1731-1827), Rechtsanwalt beim Souveränen Rat von Brabant
(Stich von F. Bartolozzi, Brüssel, Kgl. Bibliothek)
67
Anmerkungen
(1) Nach der endgültigen Trennung der nördlichen Vereinigten Provinzen der Nieder-
lande am Ende des achtzigjährigen Krieges (1568-1648) blieben folgende südnie-
derländische Provinzen katholisch und königstreu: die Herzogtümer Brabant mit
der Markgrafschaft des Heiligen Römischen Reiches um Antwerpen, Limburg mit
den Ländern von Übermaas (Dalhem, Herzogenrath-Rolduc und Valkenburg), Lu-
xemburg und Obergeldern; die Markgrafschaft Namür, die Grafschaften Flandern
und Hennegau, die Herrschaften Mechelen und Tournai-Tournaisis.
Die von Frankreich rückübertragenen flämischen Territorien blieben als Provinz
Westflandern getrennt von der Grafschaft verwaltet. Daraus erklärt sich, daß die
Anzahl der südniederländischen Provinzen mit acht, neun oder zehn angegeben
wurde, je nachdem, wie gezählt wird.
(2) HEERWEGH, Jean-Jacques: La fin de l’Ancien Regime et les revolutions,
S. 467-504, in ”La Belgique autrichienne” 1713-1794. Les Pays-Bas meridionaux
sous les Habsbourg d’Autriche. Bruxelles, Credit communal, 1987. 539 S.
MABILLE, Xavier: Histoire politique de la Belgique. Brüssel, CRISP, 1986, 396 S.
Kapitel I: La fin de l’Ancien Regime. Die allgemeinen Reformen sind weiter unten
nach diesen Aufsätzen angegeben.
(3) Die ”Blyde Inkomst” wurde am 3. Januar 1356 von den brabantischen Ständen
dem neuen Herrscherpaar Herzogin Johanna (* 1322, H. 1355, + 1406), ältester
Tochter Herzogs Jan III. (* 1300, H. 1312, + 1355), und ihrem Gemahl Wenzel I.
von Böhmen, Herzog von Luxemburg (*, H. 1352, + 1383), aufgebürdet.
(4). DE JAEGHER, Francis: Le voyage de Joseph II aux Pays-Bas et particulierement
au pays de Limbourg. Bulletin des Archives vervietoises, VIII. Verviers, Leens,
1972, S. 107-108.
ROEGIERS, Jan: Die Reise Josephs II. in den österreichischen Niederlanden (Mai
bis Juli 1787). In "Österreich zur Zeit Kaiser Josephs II”. Katalog zur niederöster-
reichischen Ausstellung. Stift Melk 1980, S. 85-88.
(5) HUBERT, Eugene: Les 6glises protestantes du duche de Limbourg pendant le
XVII: siecle. Brüssel, Academie, Memoires, Bd. IV, 1908-1911, 388 S.
Francois Joseph LEGRO, geboren zu Clermont am 21. Oktober 1736, Lizentiat
der Rechte, Besitzer der Hälfte der Herrschaft Cortenbach zu Membach, heiratete
am 9. Mai 1761 in Limburg Albertine Josephe Poswick, Tochter des Notars und
mehrmaligen Bürgermeisters der Stadt Limburg. Er folgte seinem Schwiegervater
als Bürgermeister von Limburg 1780-1783. Am 5. Dezember 1786 wurde er zum
Ratskonsulent (conseiller-pensionnaire) und Schreiber der Stände gewählt. Im fol-
genden Jahr war er Stellvertreter des Hohen Drostes und stellvertretender Leut-
nant der Mannkammer. Legro blieb stets ein Anhänger Josephs II. Er verstarb zu
Limburg am 21. Oktober 1799.
[POSWICK, Eugene: Histoire biographique et genealogique de la noblesse lim-
bourgeoise. Liege, Grandmont-Denders, 1873. 367 S., S. 175-177.]
(6) BUCHET, Arsene: Le Prieur& des Croisiers de Brandenbourg ä Raeren (1477-
1784). Bull. Soc. Verv. Arch. et Hist., Bd. 35, Verviers, Leens, 1948, S. 5-50.
(7) Recueil des edits et ordonnances des Pays-Bas autrichiens, 3° serie, Bd. XIII,
S. 1-3: ”Diplöme de l’Empereur portant €tablissement d’une nouvelle forme pour
le gouvernement general” und ”Diplöme de l’Empereur portant etablissement des
Nnouveaux tribunaux de justice”,
(8) MINDER, Arthur: Le Duche de Limbourg et la revolution brabanconne. Pepin-
ster, Thoumsin, 1948, 244 S.
LECONTE, Louis: La Revolution brabanconne dans le Duche de Limbourg et les
volontaires limbourgeois auxiliaires des troupes autrichiennes en 1790 et de 1792 ä
1794. Bruxelles, Institut cartographique militaire, 1938, 188 S.
Für die meisten Angaben über die Ereignisse im Limburgischen folge ich auch im
übrigen diesen beiden Werken.
(9) Henri Herman Werner Francois Antoine von Crumpipen, Ritter des Stephansor-
dens, wurde am 20. September 1738 in Brüssel als Sohn des aus Osnabrück stam-
menden Staats- und Kriegssekretärs Henri von Crumpipen geboren.
68
Am 23. Mai 1757 wurde er als Lizentiat der Rechte von der Universität Löwen
diplomiert und am darauffolgenden 9. Juli als Rechtsanwalt beim Souveränen
Gerichtsrat von Brabant zugelassen. Zuerst fünfter Offizial beim Staats-und
Kriegssekretariat wurde er schon am 16. August 1760 Stellvertreter seines Vaters
und am 16. Juni 1769 dessen Nachfolger. Am 7. Dezember 1781 wurde Henri von
Crumpipen zum Staatsrat ernannt und nach den josefinischen Reformen 1787
zum Vizepräsident des Generalgouvernementsrates befördert. Er übte stets einen
großen Einfluß auf die Generalstatthalter, die bevollmächtigten Minister und
sogar am Wiener Hof aus. Er wurde zu Recht als einer der Initiatoren der Refor-
men angesehen, obschon er sich stets bemühte, die öffentliche Meinung zu
berücksichtigen und den Bruch mit den Ständen zu vermeiden. Im Jahre 1774 ver-
trat er mit Erfolg die Einführung des öffentlichen Unterrichtswesens in den Nie-
derlanden, der sogenannten theresianischen Gymnasien (”Colleges royaux”).
Während der Revolution mußte er nach Wien fliehen. Nach der österreichischen
Restauration wurde er am 21. August 1791 Chef-Präsident des wiedereingeführ-
ten Geheimen Rates ("Conseil Prive”). Nach Einzug der Franzosen zog er sich
wieder nach Wien zurück und wurde schließlich österreichischer Gesandter in"
Stuttgart, wo er 1811 verstarb.
(10) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel, Intendances, III Limbourg, Nr. 51 bis 70.
(10a) Stammort der Familie von Fromenteau ist Froidmanteau in der Vogtei Fleron, wo
sie im 16. Jahrhundert begütert war. Ritter Mathieu von Fromenteau (1682-1749)
heiratete die Marie Lambertine von Franquinet (1719-1777), Tochter einer reichen
Kaufmannsfamilie aus Hodimont. Er erwarb am 28. September 1736 die alte
Grundherrschaft Ruyff in Henri-Chapelle. Sein Sohn Lambert Antoine, am 14.
Februar 1721 zu Nancy in Lothringen geboren, folgte ihm als Grundherr zu
Ruyff, wo er auch residierte und am 29. Dezember 1788 starb. Er war Lizentiat
der Rechte der Universität Löwen, wurde 1767 Generalrentmeister des Herzog-
tums Limburg und der Übermaasländer und 1784 in den Freiherrenstand erhoben.
Der Assessorkandidat ist wahrscheinlich einer seiner Brüder, die beide in Hodi-
mont wohnten: Francois Mathieu, geboren am 11. August 1726 und gestorben am
29. September 1790, oder Jean Charles Joseph, geboren am 25. November 1732
und gestorben am 26. Oktober 1811, der Jurist und Rechtsanwalt war. [de BEHR,
Louis-Charles: La Famille de Fromenteau in ”Le Parchemin”, N° 250, juillet-aoüt
1987, S. 666-692].
(11) Die Gerichtsbank Herve bildete eines der ältesten Besitztümer der Grafen und spä-
teren Herzöge von Limburg. Sie entsprach wohl dem alten Königshof und der Ur-
pfarre Herve, wo die Ahnen der Limburger im 11. Jahrhundert begütert waren.
Durch die Verleihung der Stadtrechte an Herve (1270) wurde die Bank in zwei
neue Gerichts- und Verwaltungssprengel aufgeteilt, und zwar einerseits die Frei-
heit, d.h. das Stadtgebiet, andererseits die Bank ”buyten den Vrijhijt”, d.h. das um-
liegende ländliche Territorium. In demselben bildeten sich die späteren Pfarreien
bzw. Gemeinden Charneux, Clermont, Thimister, Chaineux und Battice, Durch
Belehnung der herrschaftlichen Rechte an Heinrich von Gronsveld schied Cler-
mont im Jahre 1338 aus der Gerichtsbank Herve aus.
(12) A.G.R. - A.R. Conseil de Gouvernement general 1022/78.
Der Kontrolleur des Altenberger Betriebes Albert Mallet hatte sich am 7. April
über die von der Rechnungskammer seit Dezember 1786 durchgeführten Abände-
rungen in der Geschäftsordnung beim Generalgouvernement beklagt. Er bean-
spruchte die früher bestandene Möglichkeit, unmittelbar von der Rechnungskam-
mer angehört zu werden, und fühlte sich nun, als dem Domänenrentmeister ein-
fach untergeordnet, degradiert. Dem Intendanten schienen die Ansprüche des
Kontrolleurs übertrieben und seinen Fähigkeiten überhaupt nicht entsprechend.
Der vom Intendanten vorgeschlagenen Absage schloß sich die Brüsseler Regierung
am 3. Mai auf Vorschlag des Berichterstatters, des Rates G.L. Gilbert, an. Am 21.
Mai wurde die Absage dann auch dem Kontrolleur Mallet, und zwar über den In-
tendanten, zugesandt.
69
(13) Pierre Olivier Albert Georges Joseph von la Saulx, Herr zu Alensberg, Terschuren
und Gemmenich, war in Limburg am 13. Juli 1728 geboren. Lizentiat der Rechte
der Universität Löwen am 14. Mai 1750. Richter und Kommissar bei der limburgi-
schen Mannkammer am 18. November 1755 und Schöffe des Hohen Gerichtsho-
fes zu Limburg am 19. Februar 1765. Später Rat beim obersten Gerichtshof zu
Limburg (8. August 1789). Gestorben zu Alensberg am 7. Oktober 1789. Am 2.
Februar 1773 hatte er in Köln Maria Anna Emerantia Josepha von Mylius gehei-
ratet, die in Köln am 23. Juni 1740 geboren war und einer alten kölnischen Patri-
zierfamilie angehörte, die am 9. Dezember 1775 in den kaiserlichen Freiherren-
stand erhoben worden war. Ihr Vater, Johann Heinrich Arnold von Mylius, war
Bürgermeister der Stadt Köln gewesen, ihre Mutter, Maria Albertina Sylvia Jose-
pha von Lamberts Cortenbach, stammte ihrerseits aus einer alten limburgischen
Familie.
Einziger Sohn des Pierre Olivier von la Saulx war der auf Schloß Alensberg am 24.
Januar 1774 geborene Arnold Timothäus Albert Franz Joseph von la Saulx zu
Alensberg, der Jura an der Universität Köln studierte und am 25. Juni 1791 als Li-
zentiat der Rechte promovierte. Am 12. Thermidor des Jahres X der Republik (31.
Juli 1802) wurde er Maire von Moresnet und blieb der langjährige Bürgermeister
von Neutral-Moresnet bis zum 21. Februar 1859, von Preußisch-Moresnet bis
1850 und von Hergenrath zwischen 1823 und 1847.
(14) Pierre Henri Helene Marie Lebrun Tondu geboren in Noyon 1763, gestorben in
Paris 1793, gründete seine Zeitung 1785 in Lüttich, mußte aber im folgenden Jahr
wegen eines Prozesses nach Herve ausweichen. Er war ein begeisterter Anhänger
der politischen und sozialen Ansichten des französischen Philosophen Jean-
Jacques Rousseau (* 1712, + 1778) und der wirtschaftlichen Theorien des Physio-
kraten Francois Quesnay (1694-1774). Während der Revolution zog er nach Paris
zurück, wo er der Fraktion der Girondins beitrat. Als Außenminister nach dem
10. August 1792 leitete er die Friedensverhandlungen mit Preußen nach dem fran-
zösischen Sieg bei Valmy am 20. September. Er fiel in Ungnade beim Nationalkon-
vent mit seinen Parteigenossen und wurde im Juni 1793 enthauptet.
(15) Der Unionspakt vom 4. November 1415 wurde von den drei brabantischen Stän-
den und Deputierten des Herzogtums Limburg und der anderen Länder von Über-
maas nach dem Tod des ersten Herzogs aus dem Hause Burgund, Anton
(* ‚H. 1406, + 1415), der in der Schlacht von Azincourt gefallen war, unter-
zeichnet. Bei dieser Gelegenheit nahmen die Stände die Regierung des Landes in
die Hände und übten die Vormundschaft über den jungen Herzog Jan IV.
(* 1402, H. 1415, + 1427) aus.
(16) Erzherzogin Maria Christina wurde am 3. Mai 1742 als Tochter Maria Theresias
in Wien geboren. Sie heiratete am 8. April 1766 Albert Kasimir, Herzog von Sach-
sen-Teschen. Das junge Paar trat zuerst das Generalstatthalteramt in Preßburg
(Bratislava) für das Königreich Ungarn an. Nach dem Tod ihres Onkels, des sehr
beliebten Generalstatthalters der Niederlande, Karl von Lothringen, übernahm sie
mit ihrem Manne am 20. August 1780 dessen Nachfolge. Die neuen Generalstatt-
halter wurden feierlich in Brüssel am 10. Juni 1781 empfangen. Ihre Anreise aus
Wien führte u.a. über Aachen und Spa, so daß sie fast mit Sicherheit die Grenze
des Herzogtums Limburg bei Bildchen passierten. (B. Poll, Geschichte Aachens in
Daten, vermerkt die Durchreise Maria-Christinas und ihres Gemahls unter dem
5. Juli 1781). Wegen der vom Kaiser gewollten Reformen gerieten sie bald in Kon-
flikt mit ihrem eigensinnigen Bruder Joseph II., da sie unsere alten Institutionen
voller Respekt betrachteten. Am 18. November 1789 mußte sie gegen ihren Willen
auf Drängen des bevollmächtigten Ministers Brüssel verlassen. Sie zogen sich zu-
erst nach Luxemburg, dann nach Koblenz und Bonn zurück. Aus ihrer Bonner Re-
sidenz versuchten sie noch über den Erzbischof von Mecheln, Kardinal von Fran-
kenberg, zu vermitteln. Nach dem Tode Josephs II. berieten sie erfolgreich dessen
Nachfolger und Bruder Leopold II., der ihnen geistig viel näher stand. Nach ihrer
Rückkehr nach Brüssel näherten sie sich der demokratischen Partei. Nach dem
französischen Einmarsch zog Maria Christina sich nach Wien zurück, wo sie am
24. Juni 1798 verstarb.
70
[Biographie Nationale, Bd. XIII, Brüssel, Bruylant, 1894-1895. Sp. 722-727].
(17) Henri Charles Nicolas Van der Noot wurde in Brüssel am 7. Januar 1731 geboren
und studierte Jura an der Universität Löwen. Als Lizentiat der Rechte wurde er
1757 Anwalt beim Souveränen Gerichtsrat von Brabant. Während der ersten
österreichischen Restauration zog er sich nach Bergen op’Zoom in die nördlichen
Niederlande zurück. Im Jahre 1792 wurde er ausgewiesen und floh nach England.
Im November 1792 kam er nach Brabant zurück und versuchte vergebens, die
Franzosen für seine Vorstellungen zu gewinnen. Im Jahre 1796 wurde er als auf-
rührerisches Element in s’Hertogenbosch in Haft gesetzt. Nach dem Sturz Napole
ons plädierte er 1814 für eine Habsburgische Restauration. Er starb am 12. Januar
1827 in Strombeek bei Brüssel,
[Biographie Nationale, Bd. XV, Brüssel, Bruylant, 1899. Sp. 835-866].
(18) Louis Charles Marie Belgiojoso Graf von Barbiano wurde am 2. Januar 1728 gebo-
ren und wählte zuerst das Soldatenleben. Im Jahre 1764 wurde er kaiserlicher Ge-
sandter in Stockholm und dann 1770 in London mit dem Titel eines wirklichen ge-
heimen Staatsrates. 1772 zum Generalmajor befördert, begleitete er Joseph Il.
während dessen Aufenthaltes in Frankreich 1777. Im Jahre 1783 wurde er zum #
bevollmächtigten Minister in den Niederlanden ernannt. Wegen seiner bekannt
gewordenen Gegensätze zu den Generalstatthaltern und seines hochmütigen Ver-
haltens wurde er irrtümlicherweise als der eigentliche Anstifter der Reformen an-
gesehen und vom Volke angegriffen. Belgiojoso mußte am 19. Juli aus Brüssel flie-
hen. Er starb in Wien im Jahre 1802.
[Biographie Nationale. Bd. II. Brüssel, Thiry van Buggenhout, 1868. Sp. 118-124].
(19) Nicolas Delcourt wurde am 19. Juni 1778 von Kaiserin Maria-Theresia als Abt
von Gottestal bestätigt. Er war in Lambermont am 24. Februar 1720 geboren und
am 8. Juni 1739 in die Abtei eingetreten, Er starb am 26. Mai 1790 nach einem am
2. Mai erlittenen Pferdesturz auf der Reise zu einer Ständeversammlung in Klo-
sterrade (Rolduc).
(20) Edmond Freiherr von Lo€ zu Imstenraedt, Herr. von Aubel und St. Martins Voe-
ren, Vogt von Mheer. Unter Napoleon Senator und kaiserlicher Graf.
[DELVAUX de FOURON, Henri: Dictionnaire geographique de la province de
Liege. Liege, Jeunehomme, 1841 486 S. - S. 32, 174]
(21) Graf Maximilien Henri Laurent von Hoen zu Neufchateau, Sohn des Freiherrn
Eugene Theodore von Hoen zu Schaloen in der Herrschaft Valkenburg, erbte die
Herrschaft Waldenburg (Wodemont) bei Neufchateau von seinem Vater im Jahre
1425
(22) Arnold Hyacinthe Wautier von Limpens, Herr von Chevremont, geboren im
Schloß Bongart zu Simpelveld am 27. Juni 1791, Lizentiat der Rechte. Hoher
Drost des Landes Herzogenrath seit dem 8. Oktober 1785, starb in Chevemont bei
Herzogenrath am 26. Juli 1808.
(23) Pierre Chaineux wurde am 28. Mai 1740 in Henri-Chapelle geboren, trat in Klo-
sterrade am 24. März 1761 ein und wurde am 10. August 1782 zum Abt gewählt.
Beim französischen Einmarsch zog er sich am 20. September 1794 mit einigen
Konfratres ins Rheinland zurück. Er nahm das Thesaurium und einen bedeuten-
den Teil der Bibliothek mit in die Emigration. Er residierte zuerst in der Trappi-
stenabtei Düsseltal bei Düsseldorf, dann in Welde bei Warburg und endlich, ab
Oktober 1796, in Münster in Westfalen.
Im Juni 1795 kamen die mit ihm geflohenen Kanoniker nach Rolduc zurück.
Da er dem französischen Angebot, aus der Emigration zurückzukehrers; nicht folg-
te, wurde er am 12. Mai 1796 endgütlig auf die Liste der Emigranten gesetzt und
verlor somit alle seine Rechte im Gebiet der Republik. Er starb Anfang Juli 1800
in Münster. Seine Exequien wurden unter dem fiktiven Namen Kempener am 11.
Juli in der St. Jakobskirche gefeiert.
(24) MINDER, Arthur: Les doleances des Limbourgeois deposes au pied du tröne de
Joseph II. (Vienne, aoüt 1787). Bull. Soc. Verv. Arch. Hist. 44. Verviers, Gerard,
1957, S. 187-203.
(25) Joseph Graf Murray von Melgum wurde in Tournai am 6. August 1718 geboren.
JB
Sein Vater Robert entstammte einem alten schottischen Adelsgeschlecht und war
damals Stadtgouverneur von Tournai namens der holländischen Staaten General.
Joseph Murray trat am 10. Juli 1733 dem Regiment Los Rios als Fähnrich bei.
Während des österreichischen Erbfolgekrieges (1741-1748) wurde er am 20. No-
vember 1747 zum Major beim wallonischen Regiment Arberg befördert. Im Sie-
benjährigen Krieg (1756-1763) bewährte er sich besonders in den Schlachten von
Breslau (25. November 1757), Hohenkirch (14. Oktober 1758) und Leuthen
(S. Dezember 1758) und wurde mit dem Ritterkreuz des Maria-Theresia-Ordens
ausgezeichnet. Im Jahre 1761 wurde er zum Generalmajor befördert und in den
Grafenstand erhoben. Ab 1766 war er Unterinspektor der Infanterie in den Nie-
derlanden und 1780 Oberbefehlshaber. Nachdem Murray noch am 3. April 1784
zum Feldzeugmeister befördert worden war, ging er am 6. Oktober 1787 in den
Ruhestand. Er zog sich nach Wien zurück, wo er am 5. Juni 1802 starb.
[Biographie Nationale. Bd. XV. Brüssel, Bruylant, 1899. Sp. 368-371].
(26) Ferdinand Graf von Trauttmannsdorf wurde in Wien in einer alten adligen Fami-
lie am 12. Januar 1749 geboren. Nach Jurastudien an der Universität Wien trat er
1774 in den kaiserlichen diplomatischen Dienst ein. Nachdem er seinen Herrn zu-
erst ab 1780 beim Regensburger Reichstag vertreten hatte, wurde er 1785 kaiserli-
cher Gesandter beim Kurfürsten von Mainz, wo er große Verdienste gegen den
preußischen Einfluß gewinnen konnte. Kaiser Franz II. betraute ihn mit der Füh-
rung der niederländischen Kanzlei in Wien. Am 12. Januar 1815 wurde er in den
Fürstenstand erhoben und zum Oberhofmeister ernannt. Er starb in Wien am 27.
August 1847.
Richard Graf d’Alton war 1782 in Lachond (Irland) geboren. Der 1771 zum Gene-
ralmajor und 1777 zum Feldmarschalleutnant Beförderte genoß in der kaiserli-
chen Armee den Ruf der Entschlossenheit. Durch den rein militärischen Geist ge-
prägt, hatte er überhaupt kein Verständnis für die belgische Mentalität und kam in
Konflikt mit seinem diplomatischen Kollegen Trauttmannsdorf. Nach seinem
Scheitern gegen die kleine Insurgentenarmee des Jean Andre van der Mersch bei
Turnhout am 26. Oktober 1789 desertierten viele Wallonen seiner Armee und er
mußte sich nach der Festung Luxemburg zurückziehen. Zur Rechtfertigung nach
Wien berufen, nahm d’Alton sich in Trier am 16. Februar 1790 das Leben.
[Neue Deutsche Biografie Berlin, Dunker und Humblot, 1971. Bd. I, S. 229.]
(27) Pierre Jean Simon Van Eupen, in Antwerpen am 12. November 1744 geboren,
studierte Theologie an der Universität Löwen. Er wurde anschließend Professor
am bischöflichen Seminar zu Antwerpen und dann Pfarrer zu Kumtich. Im Jah-
re 1775 wurde er Kanonikus beim Liebfrauenstift zu Antwerpen und kirchlicher
Zensor. In Breda ernannte er sich selbst zum Staatssekretär der Vereinigten südli-
chen Niederlande. Im November 1789 initiierte er die Union von Brabant und
Flandern. Nach der Rückkehr der Österreicher floh er wieder zum Norden. Im
Jahre 1794 kam er nach Brabant zurück, wurde aber bald als Geisel in Lille und
dann in Paris in Haft gesetzt. Nach seiner Befreiung 1796 zog er sich nach Lutt-
haas bei Utrecht zurück, wo er am 14. Mai 1804 verstarb.
[Biographie Nationale, Bd. VI. Brüssel, Bruylant-Christophe, 1878. Sp. 733-738].
(28) In Brabant waren nur Brüssel, Löwen und Antwerpen im Dritten Stand vertreten;
in Flandern Gent, Brügge und die ländliche Brüggener Freiheit.
Im Laufe der Zeit hatten die größeren Städte die kleineren aus der Ständevertre-
tung verdrängt.
Im Herzogtum Limburg dagegen, wo Städte sich kaum entwickelt hatten und wo
die kleinen Städte Limburg und Herve von der Beteiligung zur Beisteuer befreit
waren, bestand der dritte Stand aus Vertretern der ländlichen Banken, der einsti-
gen herzoglichen Gerichtsbezirke.
(29) In Frankreich waren die Generalstände seit 1614 nicht mehr einberufen worden.
In den südlichen Niederlanden waren sie zuletzt 1632 bis 1634 zusammengetreten.
Seitdem blieben die Provinzialstände die einzigen Vertretungen der Bevölkerungs-
schichten. Sie wachten über die Einhaltung der alten Freiheiten und Privilegien und
stimmten jährlich über die Beisteuer für die Regierung ab. In Frankreich bestan-
den Provinzialstände nur noch in der Bretagne, in der Provence und in Burgund.
(Fortsetzung folgt)
72
Alter Winkel
von M.Th. Weinert
An der alten Mauer
lehnt ein Apfelbaum,
trägt für kurze Dauer
roter Blüten Traum
Aus den Mauerritzen
treibt ein frisches Grün, 8
zarte, gelbe Spitzen
fangen an zu blühn
Runde Gartenpforte,
moosbewachsener Stein,
ausgetretene Stufe
führt zum Bach hinein.
Stiller, grüner Winkel
der zuerst dich schaut
vor zweihundert Jahren
hat das Haus gebaut,
vieler Menschen Heimat,
abendliches Glück,
unter Baum und Blüten
kleines Gartenstück!
In dem grünen Winkel
scheint die Zeit zu stehn,
rauscht der Bach und blüht der Baum,
fraget nicht für wen.
73
Aus Walhorns Vergangenheit
— Die Preismühle —
von Alfred Bertha
Viele Namen hat man einem der bedeutendsten Nebenbäche
der Göhl auf belgischem Gebiet gegeben: Hornbach, Haarbach,
Grötbach, Walhornerbach, Widbach, Bürbach, Lontzenerbach,
Hohn, Honne ... Wie die Göhl, die Gülpe, die Oehl und die Soue,
trägt auch dieser Bach ursprünglich einen nicht zusammengesetzten
Namen, nämlich Horn, Honn oder Hohn.
Sein Quellgebiet liegt am westlichen Abhang des Merolser Pla-
teaus, auf 320 m Höhe, dort, wo sich die Wasserscheide von Göhl-
Rur, Rur-Weser und Göhl-Weser befindet.
Zwei Quellen bilden den Hornbach, der westwärts fließend
nach etwa 400 m seinen Lauf durch unterirdisches Kalkgestein fort-
setzt und erst nach etwa 1 km südlich von Walhorn wieder zutage
tritt. {
Der Bach führt inzwischen durch Aufnahme einiger Quellen
bei Philippenhaus bedeutend mehr Wasser als im oberen Quellge-
biet. Auf dem Gelände der Walhorner Molkerei entspringen weitere
Quellen. Diese bilden den Grötbach, der mehr Wasser führt als der
Hornbach und diesem nach Vereinigung der beiden Bäche in der
Nähe des Freizeitzentrums seinen Namen gibt.
Über Astenet und Lontzen fließt der Grötbach, in Lontzen
Walhornerbach genannt, auf Kelmis zu, wo er sich in der Nähe der
Rochuskapelle mit der Göhl vereint. Auf dem letzten Teilstück
durchfließt er eines der hübschesten Täler unseres Gebietes, das
nach ihm benannte Lontzenerbachtal. (1)
Schon früh haben sich an diesem Wasser Mühlen angesiedelt.
Das in der Urkunde König Heinrichs IV. vom 27.4.1072 dem Aa-
chener Marienstift geschenkte Königsgut Harne kann man sich
nicht anders als mit einer Mühle ausgestattet vorstellen. In besagter
Urkunde heißt es auch, der König schenke dieses Gut der Aachener
Marienkirche ”mit den Mühlen und dem Mahlgut”. Selbst wenn
man davon ausgeht, daß es sich bei der Aufzählung der mit der
Schenkung verbundenen Güter und Vorteile um eine stereotype
Formel handelt, bleibt die Existenz einer Mühle in ”Harne” so gut
wie sicher.
74
Im Spätmittelalter wird diese Mühle eine Bannmühle gewesen
sein, d.h., daß der Grundherr von den Bewohnern seines Herr-
schaftsbezirks verlangte, daß sie ihr Getreide in seiner Mühle mah-
len ließen; dafür erhob er einen Mahlzins.
Wie G. Grondal schreibt (2), wird um die Mitte des 13. Jh. eine
Mühle in Walhorn genannt. Die erste namentliche Erwähnung einer
Mühle im Raum Walhorn-Astenet fällt allerdings erst in das Jahr
1419 (3).
1421 finden wir die Ersterwähnung der Preismühle (”Preyssz
Mühle”) in den Lehenregistern der Propsteilichen Mannkammer des
Aachener Marienstiftes. (4)
Ein Walhorner Gudungsbuch von 1472 nennt die ”pryss mo-
len”. Diese gehört zum Besitz des Johann Parys. (5) )
1508-1509 ist Jan Vleminck im Besitz einer ”kalmijnsmolen”
(Galmeimühle), die vordem dem Wynchen Pastart gehört hat.
1521-1522 betreibt Gerart Parys diese Mühle, bei der es sich aller
Wahrscheinlichkeit nach um die Preismühle handelt. (6)
Die Preismühle geht (wann, ist ungewiß) im Laufe des 16. Jh.
an die auf Gut Mützhof sitzende Familie van den Sande gen. Mütz-
hagen über.
Von den Erben des Johann van den Sande gen. Mützhagen er-
steht sie 1579 der Aachener Christian an den Zuyn, überläßt sie je-
doch 1582 in einem Erbwechsel dem Johann von Jülich und dessen
Frau Catharina. Einen neuen Besitzerwechsel erleben wir nach Ab-
leben des Joh. von Jülich. Im Jahre 1596 verkaufen dessen Erben
die Mühle an Wynand Hensen von Astenet, Besitzer des Stockle-
hens Astenet (Burg, Reulenhaus). (7)
Die vorliegenden Lehnsprotokolle erlauben es uns nicht, die
Geschichte der Preismühle im einzelnen nachzuzeichnen, war es
doch häufig so, daß bei Erbteilung oder Verkäufen die Mühle
anteilsmäßig je nach der Zahl der Erbberechtigten oder der Käufer
aufgeteilt wurde. Wir vermuten jedoch, daß die Preismühle, die zu
Beginn des 17. Jh. als Kupfermühle betrieben wurde (8), beim Mütz-
hof geblieben und mit diesem an die Familie Lamberts, dann Mees
und Heyendal gefallen ist.
Das Theresianische Kataster von 1787 (9) führt als Besitzer der
Preismühle Hermen Schoemecker und die Kinder und Erben des
verstorbenen Jacobus Lamberts an. Schoemecker und Lamberts
besaßen die Mühle je zur Hälfte.
Das französische Kataster nennt nur noch ”Jean Lamberts,
cultivateur, demeurant a Prijsmeulen, section d’Astenet.” (10)
75
Von dem ”Müller und Grundeigentümer zu Astenet” Ludwig
Lamberts und dessen Ehefrau Maria Angela Delcour ging die Preis-
mühle am 21.6.1817 durch Kauf in den Besitz des Thomas Salm aus
Eupen über. In dem vor Notar Mennicken getätigten Kaufakt wird
die Mühle als ”Wasser-Mühle, jetzt zum Früchte Mahlen geeignet”,
bezeichnet.
Der neue Besitzer, ein Tuchfärber, der 1834 in Eupen unter der
Haas die sog. Kreutzer Kornmühle besaß, erwarb neben der Müh-
le auch den Pachthof (”Meierhof”) bestehend aus zwei Woh-
nungen samt Stallungen und Zubehör sowie ungefähr 2.600 Ruten
oder 566 ar Wiesen und Ackerland. Die Mühle war belastet mit
zwei Kapitalien von 5.220, bzw. 1.000 Lütticher Gulden (nach da-
maliger Frankenwährung 6.345, bzw. 1215 F)., beide zugunsten der
in Eynatten verstorbenen Anna Catharina Römer errichtet und nun
an Heinrich Wilhelm Birven rückzahlbar.
Der Kaufpreis betrug 12.000 F, bzw. 3.150 Taler. (11)
Thomas Salm wendet sich am 25. Okt. 1817 an den Landrat
mit der Bitte, seine Getreidemühle durch Anlage einer Farbholz-
mühle verändern zu dürfen. Letztere sollte durch dasselbe Wasser-
rad wie die Getreidemühle angetrieben werden. (12) Am 2. Mai des
folgenden Jahres benachrichtigt derselbe Thomas Salm den Bürger-
meister von Walhorn, daß er seine Mühle nebst Weiher und Meier-
hofe dem Müller Cornelius Esser aus Eupen verpachtet habe. Als
Mahllohn behielt der Mühller 1/24 der gemahlenen Frucht.
In einem am 8. Dezember 1820 angelegten "Verzeichnis der in
der Bürgermeisterei Walhorn sich befindlichen Mühlen, und
Machinen-Werke, welche durch Wasser, Wind oder Dampf getrie-
ben werden”, heißt es zur Mühle des Herrn Salm: ”Es wird darauf
getreide aller art für Menschen und Vihe mehl gemahlen ist noch in
mittelmäßigem gedriebe”.
Zur Farbholzmühle lesen wir: ”das farbholz wird darauf ge-
schnitten und gemahlen ist im guten bedriebe. Die mahlmühlen und
farbmühlen wird zu gleicher zeit von einem Raht gedrieben.”
Die Preismühle hatte das ganze Jahr über Wasser genug, da
oberhalb der Mühle ein ”Wasserbehältnis”, also ein Mühlenteich,
angelegt worden war, sehr zum Verdruß des Müllers von Lontzen,
der seinen eigenen Mühlenbetrieb durch das Aufstauen des Wassers
in Walhorn gefährdet sah. (13)
Eine Aufstellung der Mühlenetablissements des Kreises Eupen
aus dem Jahre 1822 erwähnt die Preismühle als Mahl- und Farb-
holzmühle. Der Müller Wernerus Esser betreibe sie. Er sei Pächter
Ad
der Mühle und habe mit dem Eigentümer hinsichtlich der Farbholz-
mühle eine Übereinkunft getroffen, für diesen allein zu mahlen. Be-
treffs der Getreidemühle habe Esser wenig Zuspruch. Die Mühle be-
sitze einen Mahlgang zum Frucht- und einen zum Farbholzmahlen.
Wenn ”das eine benutzt wird, muß das andere stille stehen”. Wenn
der Sommer nicht ”durchaus trocken” sei, könne die Mühle täglich
betrieben werden. (14)
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Ein Bildstock auf Kirchbusch mit der Inschrift:
”AD MAR (iae) GLOR (iam) HN EDIF (icavit) ME 1855” |
(Zur Ehre Marias errichtete mich Heinr. Nütten 1855) erinnert an den damaligen
Besitzer der Preismühle, der Amalia Birven geheiratet hatte,
(Foto A. Bertha)
78
1838 stand die Preismühle aus freier Hand zu verkaufen, Der
Eigentümer, Herr Salm, wohnhaft in Aachen, beauftragte damit
den Eupener Notar Schüller, der das Objekt im Korrespondenzblatt
des Kreises Eupen vom 21.9.1838 wie folgt vorstellte:
”Preismühle in Astenet, bestehend in zwei Wohnhäusern,
Wirtschaftsgebäude, mehreren Wiesen, Gärten, einer Viehweide
und Ackerparzelle, 55 Morgen, 3 Ruten, 70 Fuß und einer dazuge-
hörigen Mahlmühle genannt Preismühle, mit zwei Gängen f. Ge-
treide und einem Gang f. Farbholz- und Raspelmaschine, beabsich-
tigt der Eigentümer... zu verkaufen.”
Für die Preismühle fand sich vorerst kein Käufer. Erst 1847
wechselte die alte Mühle erneut den Besitzer. Der in Aachen woh-
nende Rentner Heinrich Nütten (verh. mit Amalia Birven) kaufte p
Mühle und Hof, die damals von Johann Adam Schyns als Pächter
bewirtschaftet wurden. (15)
Nütten behielt die Preismühle bis 1884. Am 26. September
1884 verkaufte er das Anwesen seinem Pächter Mathias Joseph
Keutgen. (16) Vom Kauf ausgeschlossen blieb die an der Mühle be-
findliche Dampfmaschine mit Kessel und Kamin; diese Objekte blie-
ben Eigentum des Heinrich Nütten. Dieser starb kurz nach dem
Verkauf, noch ehe die neuen Besitzer den Kaufpreis von 40.000
Mark entrichtet hatten. Hatten die Eheleute Mathias Jos. Keutgen
und Maria Franziska Eva Schneider sich finanziell übernommen?
Es ist anzunehmen, denn schon am 11. Dez. 1884 trennten sie sich
wieder von der Preismühle, die nun durch Kauf an den Aachener
Rentner (und Bauunternehmer) Gerhard Rehm überging. (17) Der
Kaufpreis betrug 40.000 Mark, zahlbar zu denselben Bedingungen
wie beim Ankauf durch Fam. Keutgen, d.h. 27.000 Mark sofort und
die restlichen 13.000 Mark, zu 4 !/2 % verzinst, nach Ablauf von 9
Jahren.
Gemeinsam mit dem in Aachen wohnenden Tuchfabrikanten,
dem Kommerzienrat Robert Kesselkaul, (verh. mit Anna Hartung),
erwarb Rehm, der ja auch durch die ”Stiftung Rehm”, das Astene-
ter Katharinenstift, bekannt ist, das Gut ”Boutique” (Pottiks). Am
3. Juni 1892 verkaufte er gen. Kesselkaul die Preismühle, die 1904
durch Kauf an den Schwiegersohn Kesselkauls, den in Düsselsorf
wohnenden Regierungsrat Heinr. Lutterbeck, überging.
Dieser Verkauf wurde 1908 wieder rückgängig gemacht.
In all diesen Jahren betrieb Fam. Keutgen die Mühle und be-
wirtschaftete den Pachthof. Als das jüngste von 13 Kindern zehn
Jahre alt war (1898), starb Mathias Joseph Keutgen. Die ältesten
79
Kinder hatten inzwischen das Haus verlassen. Die Witwe führte
nun den Betrieb weiter, zuletzt mit den Söhnen Mathias, Hubert
und Joseph sowie der Tochter Antoinette. Der erste Pachtvertrag
wurde am 25. August 1892 abgeschlossen; Ende April 1920 lief ein
weiterer, 1909 abgeschlossener Pachtvertrag aus.
Von der gesamten Pachtsumme von 2.800 Mk entfielen. 850
Mk auf die Mühle. Als die Räder wegen des Krieges und der Be-
schlagnahme des Getreides stillstehen mußten, stundete Landrat
Kesselkaul als Testamentsvollstrecker diesen Teil der Pacht, forder-
te jedoch dessen Nachzahlung innerhalb eines Jahres nach Beendi-
gung des Krieges. (18)
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Das heutige Aussehen der Preismühle in Astenet
(Foto A. Jansen)
1921, - das Gebiet war inzwischen belgisch geworden -, ver-
kaufte die Familie Kesselkaul die Preismühle an die Gebrüder Ma-
thias und Josef Keutgen, von denen der Erstgenannte die Mühle,
der zweite das landwirschaftliche Anwesen weiterführte.
Gemahlen wurde weiterhin nur mit Wasserkraft und zu tun
gab es genug. Oft drehten die Räder Tag und Nacht im klappernden
80
Takt. In der Hauptsache wurde Gerste für die Schweinemast ge-
mahlen; in geringeren Mengen auch Roggen, den die Bäcker dem
Brot beimischten.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg und bis in die siebziger Jah-
re wurde noch regelmäßig Getreide gemahlen. Doch nach und nach
kamen die großen Futtermittelproduzenten aus Flandern auch bei
uns zum Zuge. Das Mahlen wurde unrentabel. So blieb die Preis-
mühle in den siebziger Jahren immer länger stehen, bis eines Tages
das Räderwerk ganz angehalten wurde.
Technisch ist die Mühle nach wie vor in einwandfreiem Zu-
stand; der Mahlbetrieb könnte notfalls sofort wieder aufgenommen
werden. Doch daß dies je wieder geschehen wird, daran glaubt nie-
mand, &
Quellen und Anmerkungen
(1) M. Meerman, De Geul, zij-rivier van de Maas, Kerkrade 1976, Eigenverlag
(2) G. Grondal, Walhorn, Notices Historiques, Sonderdruck des Bulletin de la So-
ciete Vervietoise d’Archeologie et d’Histoire, Bd. XLV, 1958, S. 90, ohne Quel-
lenangabe
(3) L. Coels von der Brüggen, Die Lehensregister der propsteilichen Mannkammer
des Aachener Marienstifts, Bonn, 1952, S. 125, N' 29: "an der Mühle des Wil-
lem von Walhoren...”
(4) EbdS. 118, N' 21
(5) Dr. M. Kohnemann, Die Flurnamen des Walhorner Landes, s.v. Preismühle
(6) F. Pauquet, Die Besiedlung im Gebiet der ehemaligen Herrschaft Kelmis, in
”Im Göhltal”, N" 5, (1969), S. 26, Anm. 7
(7) Coels, op. cit. S. 124, Nr. 26
(8) Grondal, op. cit. S. 90
(9) Staatsarchiv Lüttich, Fonds du Limbourg, 561
(10) Ebd., Fonds Francais, Walhorn, N" 727
(11) Notariatsakten, Privatbesitz Fam. Keutgen
(12) Archiv der Göhltalvereinigung
(13) Von einem Stauweiher in der Nähe der Mühle ist nichts bekannt. Wohl fließt
dem Groetbach kurz vor der Mühle ein kleiner Bach zu, der eventuell gestaut
werden konnte.
(14) s. (12)
(15) s. (11)
(16) Die Fam. Keutgen ist eine typische Müllerfamilie, in der sich der Beruf des
Müllers über viele Generationen gehalten hat. (Ähnlich ist es bei den Familien
Wertz und Schyns). Im Theresianischen Kataster (N' 659, S. 34) nennt man
”Jan Küttgen, vulgo (= genannt) Müllejan tot Walhorn”. 1826 ist Johann Wil-
helm Keutgen Müller auf der Mühle zu Lontzen-Busch, die dem Grafen von
Auxy gehörte. Auch auf der Hergenrather Mühle treffen wir schon 1725 als
Müller einen Lambert Keutgen,
(17) ss. (11)
(18) s. (11)
81
Das Franziskanerkloster
in Völkerich (Gemmenich)
von Alfred Jansen
Etwa einen Kilometer westlich von Gemmenich liegt der alte
Ortsteil Völkerich. Es ist ein kleiner, wie wahllos in die Landschaft
gesetzter Häuserhaufen, der mit seinen Fachwerk- und Kalkstein-
bauten viel vom Charme früherer Jahrhunderte bewahrt hat.
Die kleine Kapelle in der Mitte der Ansiedlung macht den Ein-
druck, sie suche Schutz inmitten der Häuser.
Der durch den Weiler von Gemmenich nach Bleiberg führende
Karrenweg - er war Teil der Verbindung Aachen-Homburg - ist zur
Straße ausgebaut worden. Dabei wurde die Trasse von Völkerich bis
Gemmenich gradlinig weitergezogen, während das unbegradigte
Teilstück im Weiler Völkerich selbst sich zwischen die Häuser hin-
durchschlängelt. Die früheren Karrenwege verloren durch diese
Straße ihre Bedeutung.
Während sich in neuerer Zeit auf Westen zu moderne Häuser
den alten angegliedert haben, steht am Ortseingang das zu Beginn
unseres Jahrhunderts erbaute Klostergebäude, das den Weiler be-
herrscht.
Von der Eisenbahnstrecke Aachen-Gemmenich-Bleiberg-
Montzen, die 1871 gebaut wurde und Völkerich im Halbkreis um-
rundete, ist noch der Streckenverlauf zu erkennen. Alles andere ist
Vergangenheit...
Doch die Vergangenheit reicht hier in Völkerich viel weiter zu-
rück. Schon 1363 wird ein Gombert de Fulkerich erwähnt und die
”Bank von Völkerich”, in der Burgunderzeit mit derjenigen von Sin-
nich (Teuven) zur ”Bank von Sinnich und Völkerich” vereint,
macht erst im 16. Jh. der Bezeichnung ”Bank von Montzen und
Homburg” Platz.
Wir können uns heute nur schwer das Leben der minderbemit-
telten Menschen unserer Gegend im vorigen Jahrhundert vorstel-
len. Für die meisten Bewohner abgelegener Landstriche galt nur: be-
ten, arbeiten und die Sorge um das tägliche Brot. Vor allem Letztere
führte dazu, daß viele Kinder der Schule fernblieben (1) und frühzei-
tig in den Arbeitsprozeß eingegliedert wurden mit dem Ergebnis,
daß sie das eventuell Erlernte zum großen Teil wieder rasch
vergaßen.
82
Dieses Problem beschäftigte stark den in der zweiten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts in Gemmenich lebenden Schulmeister Johan-
nes Höfer, der sogar den damaligen amtierenden Bischof von Lu-
xemburg und ehemaligen Pfarrer von Gemmenich, Joh. Theodor
Laurent, um Rat fragte, wie man die Lernfreudigkeit und den Wis-
sensdrang der Kinder steuern könne.
Es bedurfte aber noch einer langen Zeit, ehe eine Lösung dieser
Frage gefunden wurde.
Pfarrer G. Franck, der Gründer des Hauses, * 20.5.1827, +7 28.10.1905
83
Den Anstoß gab der am 20. Mai 1827 in Gemmenich geborene
Gaspard Joseph Franck, der am 19.2.1853 in Lüttich zum Priester
geweiht wurde. Nach Kaplansjahren in Noblehaye, Baelen und Lüt-
tich, wurde G. Franck 1861 Pfarrer von Bois-de-Breux; hier blieb er
bis zu seiner Verzetzung nach Baelen, wo er die Pfarrstelle von
1870-1885 innehatte.
Nachdem er aus dem aktiven Pfarrleben ausgeschieden war,
zog sich G. Franck nach Völkerich in sein Elternhaus zurück, wo er
seinen Lebensabend verbrachte; er starb am 28. Oktober 1905.
Auch im Ruhestande hat Pfr. Franck noch vielfache Gemein-
dedienste geleistet. Durch Zufall oder Fügung traf er eines Tages bei
einem Spaziergang zum Vierländerblick (- damals bestand noch das
neutrale Gebiet von Moresnet, dessen äußerster Zipfel an Belgien,
die Niederlande und Deutschland grenzte -) zwei Franziskanerbrü-
der aus Bleyerheide (Kerkrade), die, wie er, einen erholsamen Spa-
ziergang machen wollten. Im Gespräch: wies Pfr. Franck auf die
Notsituation des Unterrichtswesens in seiner Gemeinde hin. Es
blieb nicht bei dieser ersten Begegnung. Nach und nach nahm das
Projekt einer Lehranstalt in Völkerich konkretere Formen an. Der
Pfarrer stellte das Grundstück als Geschenk in Aussicht. (2)
Es galt zuerst, die behördlichen Genehmigungen einzuholen.
Dann war die Zustimmung der geistlichen Instanzen notwendig. Ei-
ne Abordnung der niederländischen Klostergemeinschaft begab sich
am 23. Sept. 1898 nach Lüttich zu Mgre Victor-Joseph Doutreloux,
dem sie den Plan einer Schule in Völkerich unterbreiteten. Bischof
Doutreloux gab prompt seine Zustimmung.
Der Weg zum Notar war frei. Doch es wurde kein Schen-
kungsakt.
Am 20. Dezember 1898 erschienen in der Kanzlei des Aubeler
Notars Jos. Nols der Pfarrer i.R. Gaspard Jos. Franck sowie die
Herren Wiedman (Bruder Athanase) und Dellenbroich (Br. Sylve-
stre), die beiden Letztgenannten, wohnhaft in Bleyerheide, Kerkra-
de (Süd-Limburg), um einen Verkaufsakt zu unterzeichnen. Na-
mens ihres Klosters erwarben die beiden Brüder vom Pfarrer
Franck eine Wiesenparzelle von ungefähr 2 ha, 71 a und 49 ca für
die Summe von 12.000 Franken. Der Kaufpreis wurde teils in belgi-
scher Währung, teils in Goldstücken und Mark bezahlt, wobei die
Mark zu 1,25 F gerechnet wurde.
Die Franziskanergemeinschaft war nun im Besitz eines Grund-
stückes und konnte ihr Versprechen, ein Kloster zu bauen, einlösen.
Da in der damaligen Zeit der Zustrom zu den diversen Orden noch
84
sehr groß war, konnte das Mutterhaus in Bleyerheide eine beachtli-
che Anzahl Arbeitskräfte nach Völkerich abkommandieren, um in
erster Linie die für das Gebäude abgesteckte Fläche auszuschach-
ten. Man stieß auf Lehmboden und schlug mit einem Schlage zwei
Fliegen: dieses Material eignete sich vorzuglich zum Brennen von
Ziegeln, was sich die neuen Eigentümer nicht zweimal sagen ließen.
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Das Elternhaus von Pfr. G.J. Franck.
Hier verbrachte er seinen Lebensabend 1885-1905,
Am 26. April 1899 wurde der Grundstein gelegt und am Feste
Mariä Geburt, dem 8. September 1900, wurde das stattliche Gebäu-
de durch den Bischof von Lüttich unter dem Namen ”Mariae Visi-
tae, Institut St. Marie des Freres Franciscains”, seiner Bestimmung
übergeben.
Es braucht wohl nicht hervorgehoben zu werden, daß der Pfar-
rer Franck sehr stolz auf sein Werk sein konnte, denn schließlich
war es ja seiner Initiative zu verdanken, daß es zustande gekommen
war, und es ist nur recht und billig, daß der jetzige Name ”Home
Franck” seit 1982 zu seiner Ehre und zu seinem Andenken beiträgt.
85
Das Haus
Das Haus, das sich die Genossenschaft dort errichtete, ist ein
siebenachsiger, doppelgeschossiger Bau, der ein nach Westen hin im
Winkel angegliedertes zweites Gebäude aufweist, das zur
Straßenseite vierachsig gehalten ist, über den Haupttrakt vorspringt
und so eine eigene Form besitzt. e
In baulicher Hinsicht zwar imposant, aber doch einfach gehal-
ten, trägt der ganze Komplex ein Mansardendach, das zur
Straßenseite durch giebelförmige Gaupen Licht einfallen läßt. Als
ornamentalen Schmuck verstehen sich die als Arkaden verbunde-
nen Kragsteine, die das Gesimse tragen.
Die Mittelachse bildet ein Pseudo-Risalit dessen vorgezogenes
Unterteil den Eingang bildet.
Es ist diese aufwendig gehaltene Eingangspforte, die dem Hau-
se zu dem klösterlichen Aussehen verhilft.
Sechs Stufen führen zu der reich geschnitzten Doppeltür, die,
spitzbogenförmig anschließend, gotische Bauornamente aufweist.
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Das Haus in Völkerich, von Nordwesten gesehen
Im Giebeldreieck ist eine Nische eingelassen, die eine Mutter-
gottesstatue birgt. Zwei schmale Pfeiler rahmen den ganzen Ein-
gang ein. Das Risalit endet in Dachhöhe als Giebel, dessen uniforme
Fläche von drei schmalen Fensterchen unterbrochen wird. Ein
Kreuz ziert die Spitze. Als Dekoration und auflockernd auf die
86
dunkle Farbe des Hauses wirkt das an den Ecken aus Blausteinqua-
dern hochgezogene Mauerwerk; auch die treppenförmig gehaltenen
Giebel der Ost- und Südseite lockern das Bild auf. Die eingangs er-
wähnte westliche Front besticht durch unregelmäßige Doppelfen-
ster, verliert aber bedeutend an Aussehen durch den im Laufe des
Jahre gewachsenen Baumbestand, der diese Seite verdeckt.
Durchforstet man die Bevölkerungsregister der Gemeinde
Gemmenich, und zwar die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, so
stößt man auch auf die Bewohner des neuen Franziskanerklosters in
Völkerich. Die erste Gemeinschaft, die im Jahre 1900 dort eingetra-
gen wurde, umfaßte eine Gruppe von zehn Brüdern, deren vorheri-
ge Residenz das Kloster von Bleyerheide in Kerkrade (Niederlande)
gewesen war. Der Älteste war 53 Jahre, der Jüngste 22. Sie hatten
unterschiedliche Nationalitäten und hießen mit bürgerlichen Na-
men wie folgt: Quadflieg Pierre; Vashage Jos; Frohn Hub.; Pohl
Paul; Stembert Ivan; Manteuffel Florian; Beckers Jacques; Leber
Jos.; Stenstrass Jos. und Stüver Francois.
Es fällt auf, daß im Laufe der Zeit eine unwahrscheinlich große
Anzahl von Franziskanerbrüdern vorübergehend in Völkerich wa-
ren. Der Aufenthalt überstieg niemals eine gewisse Zeitspanne. Das
war darauf zurückzuführen, daß in den Statuten des Ordens ein Pas-
sus besagte, daß eine Erneuerung der Klostergemeinschaft und ganz
besonders des Lehrpersonals einer latenten Abgestumpftheit und
Abnutzungserscheinung vorzubeugen habe.
Wenn zu Beginn der Gedanke einer Grundschulausbildung
vorgeherrscht hatte, so müssen sich doch frühzeitig andere Überle-
gungen durchgesetzt haben, denn die Dimensionen des Hauses spre-
chen dafür, daß diesem Lehrinstitut eine andere Entwicklung vor-
behalten war. Internat war es auf alle Fälle; und wenn man zu Be-
ginn 33 Schüler zählte, denen das Einmaleins beigebracht wurde, so
entstand bald danach eine Mittelschule, so daß beim Tode des Pfar-
rers Franck i.J. 1905 85 Zöglinge vorhanden waren, deren Zahl spä-
ter auf 120 anstieg.
Es ist belegt, daß das Haus nach und nach zu internationalem Anse-
hen gelangte. Schüler aus halb Europa holten sich hier ihr Wissen.
In der Geschichte des Klosters sind die letzten 10 Jahre vor dem 1.
Weltkrieg die Glanzzeit und hätte diese Periode noch länger ange-
halten, so wäre dem Haus eine sorgenfreie Zukunft sicher gewesen,
zumal handwerkliche Kräfte jedwelcher Art immer zur Verfügung
standen und auch die Ernährungsfrage durch Selbstversorgung ge-
löst war.
87
Leider brach der Erste Weltkrieg aus und damit auch die Wi-
derwärtigkeiten, die so ein Konflikt mit sich bringt. Die Pensionäre
blieben aus, und nun mußte die Klostergemeinschaft einige magere
Jahre durchstehen.
Das wurde den Klosterinsassen bewußt, als der Krieg 1918 zu
Ende ging. Zum ersten Mal seit Bestehen des Hauses wurden dessen
Bewohner mit der absoluten Existenzfrage konfrontiert.
Als Retter in der Not erwies sich der damalige belgische Kardi-
nal Mercier, der den Brüdern riet, sich der Erziehung von Waisen-
knaben zu widmen, was auch erfolgte. 30 bis 70 Jungen durch-
schnittlich fanden in Völkerich ein neues Zuhause.
Es war aber letzten Endes dem Durchhaltevermögen der Brü-
der im allgemeinen und besonders dem selbstlosen Einsatz des Bru-
ders Fidelis zu verdanken, daß man durch diese Notlösung über die
Runden kam. Bruder Fidelis klapperte, es verdient hervorgehoben
zu werden, Tag um Tag die Dörfer bis hoch in die Eifel ab, um, wie
man so sagt, ”milde Gaben zu sammeln” und so zum Erhalt des
Klosters beizutragen. Daraus geht deutlich die wirtschaftliche Lage
des Hauses hervor.
Am 27.6.1921 wurde in Belgien ein Gesetz erlassen, das jegli-
che karitative Einrichtung, Lehranstalt oder dergleichen verpflichte-
te, eine ”Gesellschaft ohne Erwerbszweck”, kurz G.o.E. genannt, zu
bilden, d.h. eine Institution mit Verwaltungsrat, der Verantwortung
und Verbindlichkeiten zu tragen hatte.
Der erste dementsprechend gebildete Verwaltungsrat erschien
am 8. September 1923 in der Amtsstube des Notars J. Nols in Au-
bel, um den gesetzlichen Bestimmungen Genüge zu leisten. Es wa-
ren die Herren Jean Brandt, Klein, Jean Biver, Schlebusch, Haen-
raets und Johann Jungblut: zwei Deutsche, zwei Belgier und zwei
Niederländer. So hat sich dann das Klosterleben im Laufe der Zeit
wieder eingependelt, doch ließ es keinen Vergleich mehr mit der
Lehranstalt der Gründerzeit zu.
Nach einer Vereinbarung mit der Zentrale der J.O.C. (Jeunesse
ouvriere chretienne) beherbergte das Haus 1930 kranke Jungarbei-
ter. Es wird sich wahrscheinlich um Gruppen gehandelt haben, die
einer Rekonvaleszenz bedurften. Ebenso kamen alljährlich seit
1936 Kinder der ”Colonies scolaires catholiques de Liege” nach Völ-
kerich.
1940 brach der Krieg über das Land herein und warf das fried-
liche Klosterleben aus seinen Bahnen. Da die Platt sprechende Ge-
gend hier dem Deutschen Reich ”auf Widerruf” angegliedert wor-
88
den war, war zwar einerseits die Versorgung relativ sicher, anderer-
seits machte die Weltanschauung der neuen Herren den geistlichen
Ständen jedoch viel zu schaffen.
Zivile Einquartierungen im Kloster waren nur eine Seite der
behördlich getroffenen Maßnahmen, denen andere auf dem Fuße
folgten.
Im Jahre 1942 wurde bei einem Bombenangriff auf Aachen
das dortige Franziskanerkloster in Mitleidenschaft gezogen und so
war es ja selbstverständlich, daß sämtliche Insassen -es waren
Waisenknaben - ins Kloster Völkerich übersiedelten. Es wurde eng
im Haus.
In den Bevölkerungsregistern der Gemeinde wurden seit 1940
die Eintragungen in deutscher Sprache gemacht. Das Kloster im .
Weiler lag nun an der ”Cäsar-Franckstraße” und die Personen aus
Deutschland standen unter dem Kürzel ”R.D.” (= Reichs-
Deutsche) vermerkt.
Wurde ein Ortswechsel während des Krieges noch mit ”Hein-
richskapelle” eingetragen, so stand am 27.10.1945 ein Wegzug
nach ”Henri-Chapelle, Chateau de Ruyff” an.
Der Krieg war zu Ende.
Was aber nicht besagen will, daß das klösterliche Leben so-
gleich wieder zu seinem gewohnten Rhythmus fand.
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Die Kapelle im Kloster
89
1946 ermöglichte, wohl in Anbetracht der schlimmen Kriegs-
jahre, das Hüttenwerk ”Vieille Montagne” in Angleur (Lüttich)
Kindern dort beschäftigter Arbeiter einen Erholungsurlaub hier im
Hause,
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In unmittelbarer Nähe des Hauses wurde eine Lourdes-Grotte errichtet, die in den
fünfziger Jahren abgerissen wurde.
Die Jugendlichen übten hier ihre Kletterkünste.
Im Jahre 1948 wurde dem Kloster ein Mann zugeteilt, der über
außergewöhnliche Führungs- und Organisationsfähigkeiten verfüg-
te. Es war Bruder Martin. Er hat bis 1974 die Geschicke des Hauses
geleitet. Als Niederländer, von Kerkrade kommend, wußte er sich
viele Freunde zu schaffen, kannte einflußreiche, im öffentlichen Le-
ben stehende Persönlichkeiten, und dies wirkte sich positiv auf das
Kloster aus. Es war ein Verlust für die Gemeinschaft, als er
beschloß, zu den Franzikanerpatres überzuwechseln. Er verzog
nach Bertrix (Luxemburg), wo er als Provinzial dem Orden weiter
dient. Ein seltenes Fest feierten die Klosterleute nach dem Kriege:
zwei ihrer Mitbrüder konnten auf ein fünfzigjähriges Jubilä-
um im geistlichen Stande zurückblicken, und zwar der schon er-
wähnte Bruder Fidelis, der unermüdliche Sammler, sowie Bruder
Dionysius, der die Gärtnerei führte.
90
Auf Waisenknaben sozusagen abgestimmt, führten die Erzie-
her des Hauses auch in den fünfziger Jahren ihre verantwortungs-
volle Aufgabe weiter. Sie erhielten im Jahre 1954 eine wertvolle Un-
terstützung in der Person des Abbe Hubert Hacken. Dieser Mann
stammte aus Sittard (Niederlande). Selbst Waise, war er im Ersten
Weltkrieg als Journalist im mittleren Orient tätig gewesen und hatte
sich nach seiner Rückkehr dem geistlichen Stande zugewandt. 1930
war er in Lüttich zum Priester geweiht worden. Professor, Gefäng-
nisgeistlicher, Dorfkaplan: er hatte alle Stationen, die diesem Berufe
eigen sind, durchlaufen. Als Emeritus kam er zum Kloster, um hier
seine seelsorgerische Tätigkeit fortzusetzen.
Sein prekärer Gesundheitszustand hat dem aber schon nach
vier Jahren ein Ende gesetzt. Er starb am 16. Mai 1958. -
Wirft man einen Rückblick auf die Geschichte des Hauses,
dann kann man sich vorstellen, daß dessen Gründer, Pastor Franck,
sich die Entwicklung desselben nicht so vorgestellt hatte, wie sie ver-
lief. Wenn man auch nicht von einem direkten Hinsiechen sprechen
konnte, so mußte sich doch eines Tages die Frage nach der Rentabi-
lität des Klosters stellen. —
Und so kam, was kommen mußte. Im Jahre 1962 beschloß die
Genossenschaft eine grundlegende Veränderung um das Weiterbe-
stehen des Klosters zu gewährleisten. Die Verantwortlichen spra-
chen sich dafür aus, jungen Leuten die Möglichkeit zu bieten, einen
Beruf zu erlernen.
Dies konnte aber nur durchgeführt werden, wenn neue Anbau-
ten dem Hause angegliedert würden; man beschloß also, langge-
streckte, der Zweckmäßigkeit halber erdgeschossige Pavillons zu
bauen.
Das bedingte nicht nur einen großen Aufwand an Arbeit; auch
eine Menge Geld war erforderlich, um dieses Ziel zu erreichen.
Für den ersten Teil des Vorhabens hatte die Klostergemein-
schaft eine durchgreifende Unterstützung in Gestalt einer Pionier-
truppe aus Namür erhalten, die mit ihrem Baggermaterial anrück-
ten, die Ausschachtungen vornahmen und mit ihren Lastkraftwa-
gen den Abraum hinter das Kloster schafften, wo er zu einem
Fußballfeld plattgewalzt wurde.
Für den zweiten Teil, das Finanzielle, wurde ein ”Fond de con-
struction” ein Baufonds gebildet, mit dessen Hilfe der Plan verwirk-
licht werden konnte.
Die Zurückzahlung des Geldes erfolgte durch Kollektieren,
Schulfeste und ähnliche Veranstaltungen; man erhoffte sich Erträge
91
auch von der erweiterten Gärtnerei, die nun auf kommerzieller Ba-
sis arbeiten sollte.
Geplant waren Ausbildungsangebote in gängigen Berufen, wie
Schreiner, Maurer, Anstreicher u.s.w. So entstanden dann zur
Straße hin die langgestreckten Bauten, die im Hintergrund miteinan-
der verbunden sind. Ein Jahr zuvor war aber schon etwa 200 m
vom Kloster entfernt ein ”Prototyp” errichtet worden. Einen Beruf
zu erlernen setzte voraus, daß eine Menge Maschinen und Hand-
werkszeug angeschafft wurde.
Hier bewies sich das Kollektivverhalten der Gemeinschaft.
Aus anderen Häusern, die mit ähnlichen Aufgaben betraut waren,
wurde Material herbeigeschafft, so daß letzten Endes das Vorhaben
in Gang gesetzt werden konnte.
Zu erwähnen wäre vielleicht, daß nicht nur geistliche Herren
als Lehrmeister fungierten, sondern beispielsweise auch zwei Herren
aus Gemmenich, nämlich Leon Pauquet und Laurent Briart, von
denen Ersterer für die Schreinerei und Letzterer für die Druckerei
zuständig war.
Kaum hatte man sich auf die neuen Aufgaben eingestellt, als
im Jahre 1965 eine etwas zwiespältige Zeitspanne auf das Kloster
zukam. Durch richterlichen Beschluß wurden junge Leute im Alter
von 15 bis 20 Jahren, die auf Grund zerrütteter Familienverhältnis-
se kein Zuhause hatten, in Völkerich eingewiesen, wo sie einem ge-
ordneten Leben mit Berufsausbildung zugeführt werden sollten.
Es war eine sehr schwere Aufgabe für die Brüder. Meistens aus
den Städten kommend, waren diese jungen Leute alles andere als
brave Chorknaben !
Und da man sie ja nun wirklich nicht auf den Zimmern
einschließen konnte, arteten deren Streifzüge im Dorf mitunter in
sogenannte Bubenstreiche aus.
Anfänglich gab es dann auch Proteste seitens der Gemmeni-
cher Bevölkerung, aber in der Folge sind die ”Ausrutscher” doch
einigermaßen gelassen hingenommen worden.
Die finanzielle Lage der Klostergemeinschaft bereitete weiter-
hin Sorgen. Der Staat überwies für jeden der im Durchschnitt 110
Jugendliche umfassenden Gruppe die lächerliche Summe von
250 F täglich. Das galt für Nahrung, Kleidung und alles, was da an-
fiel. Eine völlig unzureichende Summe, wie die Verwaltung sorgen-
voll feststellte.
Als Abhilfe blieb den Brüdern keine andere Wahl als in
der ganzen Gegend, besonders an den Kirchtüren, Sonntags mor-
92
gens um Spenden zu bitten. Nicht nur die Klosterinsassen, sondern
ebenfalls im öffentlichen Leben stehende Personen haben mit dazu
beigetragen, den Notstand zu überbrücken.
Im Jahre 1975 kam ein neues Problem auf das Haus zu; es be-
deutete praktisch das Aus für das Kloster als solches.
Der Gesetzgeber erließ rigurose Maßnahmen in bezug auf Si-
cherheit, Hygiene und Komfort für öffentliche Anstalten jeglicher
Art, wovon auch Völkerich betroffen war. Das Gebäude aus dem
Jahre 1900 entsprach in keiner Weise den vom Gesetz gestellten An-
forderungen. Zwar hatte man beim Bau für die damaligen Verhält-
nisse die Sicherheitsbestimmungen beachtet; aber in unserer Zeit
waren dieselben völlig unzureichend.
Mit dem besten Willen konnte die Genossenschaft den stren-
gen Vorschriften nicht nachkommen, und es war bestimmt ein sehr
schwerer Entschluß, auf eine weitere Tätigkeit in Völkerich zu ver-
zichten.
Die von der Obrigkeit hier eingewiesenen Jugendlichen wur-
den nach Dolhain verlegt. Das Haus stand leer und die Klosterge-
meinschaft stand ohne Broterwerb da. Die Gruppe wurde auf vier
Mann reduziert.
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Das Franziskanerkloster Völkerich in den frühen sechziger Jahren
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Was nun die Pavillons betrifft, so ging das ganze Inventar samt
Maschinen an Häuser, die dafür eine Verwendung hatten.
Es war aber nicht im Sinne der Verwaltung, das Kloster seinem
Schicksal zu überlassen. Man beschloß, das Gebäude zu verkaufen.
Dazu ließen sich aber nur Interessenten finden, wenn mit dem Haus
auch Grundfläche zu erwerben war. Im Jahre 1982 erstand ein Ehe-
paar aus Kelmis für die Summe von 1.100.000 F. ein Areal von
6998 m?. Im Nachhinein wurde das Eigentum an die Ehefrau allein
übertragen, die das Haus mit etlichen Mietern bewohnt. Auf einem
Teil der Bodenfläche ist eine Kleintierzucht angelegt worden.
Was nun die übriggebliebene kleine Gruppe anging (- es waren
Bruder Gregorius, Bruder Eustasius, Bruder Gerlach und Bruder Al-
fons, der aber später zu den andern kam,-) so war es sinnlos, den
großen Trakt in deren Obhut zu lassen. Den Unterhalt des Hauses
hätten sie auf lange Sicht niemals tragen können. Man suchte einen
Ausweg.
Eine Lösung bot sich an, als eine Dame gegen Leibrente ein in
Völkerich gelegenes leerstehendes Haus anbot. Es war dies dem
Aussehen nach ein massiver Kalksteinbau aus dem Jahre 1733 auf
der Flur ”Op ene Stewig” (Steinweg, Trottoir). Er umfaßte 14 Räu-
me und schien für die Pläne der Genossenschaft geeignet. Man griff
zu und merkte ein wenig spät, daß sich das Haus in einem desolaten
Zustand befand, verdeckte Mängel, die erst beim Einzug der Brüder
sichtbar wurden. Da galt nur eins: zupacken, um das Haus vom
Dach bis zum Keller wieder in Ordnung zu bringen. Dafür benötig-
ten sie einige Jahre, die mehr schlecht als recht überbrückt wurden,
war es doch Bruder Gregorius, der als Gärtner allein für den Le-
bensunterhalt der vier ‚sowie für die monatliche Leibrente in Höhe
von 8000 F. aufzukommen hatte. .
Als das Haus wieder in Ordnung war, errichteten die Brüder ei-
nige Meter von demselben entfernt und wohl in der Absicht, dem
Ganzen ein klösterliches Aussehen zu geben, ein viereckiges koni-
sches Eisengerüst mit abschließendem Zeltdach, das einer Glocke
Schutz bietet. Sie tauften den ganzen Komplex ”Le Campanile Pen-
sion”. Endziel war, das Haus als Heim für in den Ruhestand gehen-
de geistliche Herren einzurichten, was jedoch nicht verwirklicht
wurde.
Parallel zu diesem Vorhaben waren schon Pläne entstanden,
die leerstehenden Pavillons wieder gewinnbringend zu nutzen.
Es galt, dieselben so einzurichten, daß Jungendgruppen, Schü-
ler oder ähnliche Gruppen zeitweilig sich dort aufhalten konnten.
94
Küche, Aufenthaltsräume, Badezimmer, Schlafsäle: alles, was zu ei-
ner komfortablen Erholung nötig war, wurde verwirklicht. Zudem
stattete man Säle aus, um Hochzeitsgesellschaften oder Kommu-
nionfeiern abzuhalten.
Kurz gefaßt, das Unternehmen hat sich einen Namen gemacht;
es bietet an die 150 Schlafgelegenheiten und entspricht in jeder Hin-
sicht den Sicherheitsverordnungen. Den Umbau leitete Bruder Al-
fons. Er ist auch für die Verwaltung zuständig. Die bis auf den heu-
tigen Tag erfolgreiche Bilanz läßt uns hoffen, daß das Unterneh-
men nach all den Gegenschlägen, die die Klosterleute bisher in Völ-
kerich haben einstecken müssen, nun endgültig in eine positive Ent-
wicklungsphase eingetreten ist.
Das Haus ”Op ene Stewich”, wo die Brüder 1975 eingezogen *
waren, hatten sie mittlerweile aufgegeben und vermietet.
Bruder Gregorius fand 1984 eine Bleibe in dem als Prototyp er-
richteten Pavillon und Bruder Alfons bezog eine Wohnung im ”Ho-
me Franck” selbst. Es sind die letzten Brüder hier in Völkerich. Die
übrigen sind in andere Klöster umgezogen.
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Nach der Aufgabe des großen Klostergebäudes zogen sich die vier verbliebenen Fra-
tres in dieses Haus zurück,
95
Im September des Jahres 1986 schlug für das ”Home Franck”
eine große Stunde. Anläßlich des Katholikentages in Aachen organi-
sierte das Missio-Jugendreferat aus Aachen in Zusammenarbeit mit
18 Ordensgemeinschaften ein missionarisches Jugendzeltlager, für
dessen Ausrichtung das Gelände des vormaligen Klosters sich gera-
dezu anbot. Doch die Organisatoren wollten eine Großver-
anstaltung und so kam auf den Verantwortlichen des ”Home”,
Bruder Alfons, allerhand zu. Da weit über 1000 Personen zu Gast
sein würden, stellte sich primär die Frage nach der Unterkunft.
Man wandte sich an den wallonischen Minister Wathelet, der
auch prompt die 120 angefragten Zelte zu je 10 Personen zur Verfü-
gung stellte; auf das Gelände verteilt boten sie ein malerisches Bild.
Die Nahrungsversorgung, Punkt zwei, bereitete hier in unse-
rem Lande keine besonderen Schwierigkeiten.
Am 10. September rückten die ersten Teilnehmer an; weitere
Busse folgten, so daß im Nu nicht nur die Zelte belegt waren, son-
dern auch noch 200 Personen im ”Home” selbst Unterkunft fanden.
Da die Veranstalter missionierende Ordensgemeinschaften waren,
handelte es sich um Jugendabordnungen aus aller Herren Länder,
die in Völkerich im Geiste des Katholikentages einige schöne Tage
in Freundschaft und Harmonie verbringen wollten.
Jede Gruppe hatte für sich einen Lagerplatz, so daß man von
einem asiatischen, einem afrikanischen und einem lateinamerikani-
schen Dorf sprechen konnte.
Es war der brasilianische Kardinal Lohrscheider, der die Fest-
lichkeiten mit einer Andacht einleitete. Dann bot in der Folge das
große Zelt in der Mitte des Lagerplatzes eine Vielzahl von Unterhal-
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Jugendzeltlager in Völkerich anläßlich des Katholikentages in Aachen
(Foto Bruder Alfons, 10.09.1986)
96
tungen. Das ging von Musikvorträgen und gemeinschaftlichem Sin-
gen, von koreanischen Folkloregruppen und Tanz bis zu Vorträgen
und Gebet.
Am Samstag starteten die Bewohner des Zeltlagers zu einer
Wallfahrt nach Aachen. Sie führte über Moresnet durch den Aache-
ner Wald zum Katholikentag. Es war die einzige organisierte Teil-
nahme der Gruppe an den dortigen Festlichkeiten, die, ebenso wie
der Aufenthalt im Lager, bei den Beteiligten unvergeßliche Ein-
drücke hinterlassen hat. Am Morgen des 14. Sept. war die
Schlußfeier, die dieses Mal von dem koreanischen Kardinal Kim ze-
lebriert wurde, dem Dechant van Melsen aus Montzen und der im
Ruhestand lebende ehemalige Pfarrer von Gemmenich, E. Nyssen,
assistierten. |
Um anzuzeigen, auf welchem Niveau diese Veranstaltung
durchgeführt wurde, seien zum Schluß noch diejenigen Würdenträ-
ger erwähnt, die zeitweilig zu Gast im Lager waren oder an der
Wallfahrt von dort nach Aachen teilnahmen. Hier ihre Namen:
1. Herve Itoua, Bischof von Ouesso, Kongo ;
2. James Toppo, Bischof von Jalpaiguri, Indien
3. Cornelius Fontem Essua, Bischof von Kumbo, Kamerun
4. Isaak Doera, Bischof von Sintang, Indonesien
5. Angelo Kim, Bischof von Suwon, Korea
6. Luciano M. Metzinger, Bischof von Lima, Peru
7. Emil L. Stehle, Weihbischof, Leiter der Geschäftsstelle
Adveniat, Essen
8. Father Buti Thlagale, OMI, Kliptown, Südafrika
9. Bischof Orlando Quevedo, OMI, Kidapawan, Philippinen
10. Bischof Castrillon Hoyos, Kolumbien
11. Bischof John Joseph, Faisalabad, Pakistan
12. Bischof Jose Ivo Lohrscheider, Brasilien
Nachdem die letzte Gruppe abgereist, das letzte Zelt abgebro-
chen war, kehrte der Alltag wieder in das Home Franck ein. Für alle
Beteiligten werden diese Tage in Völkerich jedoch eine
unvergeßliche Erinnerung bleiben.
9
Quellennachweis
Die Brüder Gregorius und Alfons, Kloster Völkerich
Jos. Leclerc, Grünebempt, Gemmenich
Frau Tychon, Völkerich
Fotos und Reproduktionen vom Verfasser
(1) Es bestand noch kein Schulzwang.
(2) Etienne Flas stellt die Situation etwas anders dar. In ”Quelques siecles de vie pa-
roissiale” (Gemmenich, 1975, S. 90) schreibt er, G. Franck habe Kontakte zu den
Franziskanerbrüdern in Aachen gehabt. Der Superior der Franziskaner habe den
Wunsch geäußert, eine neue Niederlassung zu gründen, wozu Pfr. Franck das
notwendige Grundstück in Völkerich angeboten habe.
Diese Verschiedenartigkeit der Darstellung mag sich daraus erklären, daß die lim-
burgische Niederlassung der Franziskaner damals noch zur deutschen Provinz
gehörte, somit von Aachen abhängig war.
98
Am Bach
von M. Th. Weinert
Zeitvergessen, traumverloren
waren wir dem Bach verschworen,
um zu schauen und zu lauschen,
wo die dunklen Wasser rauschen.
Wie sie glitzernd hell aufklingen,
wenn sie Steine überspringen,
wie sie stürzen, kreisend klopfen,
schäumen, glucksen, murmeln, klopfen, ö
wie die Blätter taumelnd fliegen,
um sich dann im Bach zu wiegen,
wie an stillen, tiefen Stellen
die Forellen silbern schwänzeln,
zwischen Hell und Dunkel tänzeln.
Ach, der Bach hat viele Lieder,
sang sie schon vor Menschenzeit.
Und sie schenken immer wieder
heitere Gelassenheit.
99
Eine Eisenbahnfahrt von Köln
nach Brüssel i.J. 1859
von Alfred Bertha
Bei Brockhaus in Leipzig erschien vor nunmehr 130 Jahren
wohl einer der ersten ausführlichen Reiseberichte von einer Eisen-
bahnfahrt auf der 1843 eröffneten Rheinischen Eisenbahn Köln-
Antwerpen. Der Autor, Nikolaus Hocker, verfaßt seinen Bericht im
Stil eines kulturhistorischen Reiseführers, in dem Geschichte und
Sagen, Menschen, Landschaften, Baudenkmäler und Erwerbsquel-
len ein buntes Fresko ergeben.
Im 4. Kapitel, ”Von Aachen nach Eupen”, geht Hocker erst
auf die Geschichte und die Sehenswürdigkeiten der alten Kaiser-
stadt ein. Alsdann beginnt die Fahrt nach Verviers, wozu er
schreibt: ”Wir werfen Aachen und seinen freundlichen Umgebun-
gen einen Scheideblick zu und besteigen in dem geschmackvoll ge-
bauten Bahnhofe den Zug, der uns nach Belgien führen soll.
Die Szenerie ist ebenso wechselnd als anziehend. Eine stehende
Dampfmaschine auf der sogenannten Ronheide bringt die Züge mit-
tels eines Drahtseiles die geneigte Ebene hinauf, wo der Aachener
Wald beginnt, in dem zwei Tunnel liegen. Der erste ist 185 Ruten
lang (1) und durchschneidet das Gebirge in einer Tiefe von 250 Fuß
(2). Der zweite hat eine Länge von 42 Ruten (3) und mußte, der Bie-
gung wegen, durch einen Bergvorsprung geführt werden.
Bald taucht rechts von der Bahn der Weiler Herchenrath (4)
auf und in seiner Nähe das vom Geuelbach (5) durchflossene Tal.
Aller Blicke wenden sich dem großartigen Viaduct zu, über den das
Dampfroß dahinbraust. Dieses kolossale Bauwerk ist nach einem
Plane des Oberbaudirectors Moller aus Darmstadt aus Backsteinen
errichtet. Die größte Höhe beträgt 120 Fuß (6), die Länge 658 Fuß
(7). An seinen Enden befinden sich 68 Fuß hohe Dammschüttungen
(8). Der Viaduct besteht aus zwei Bogenstellungen übereinander,
von denen jede 17 Bogen zählt. Die unteren Bogen haben 30 Fuß
(9) lichte Weite und 46 Fuß Höhe (10); die oberen 30 1/2 Fuß Weite
(11), 48 Fuß Höhe (12) und 27 !/z2 Fuß Breite (13) in den Stirnflä-
chen. Die beiden Flügel, von denen jeder vier Doppelbogen und drei
Mittelpfeiler hat, stecken teilweise in der Dammschüttung. Die Ko-
sten dieses interessanten Bauwerks beliefen sich auf 2.500.000 Thlr.
Nicht weit von Herchenrath, seitwärts des Dammes, liegt in
100
malerischer Umgebung auf einem Felsen an der Geuel die Eyne-
burg, (Emmaburg), häufig besucht von den Fremden in Aachen und
Burtscheid. Diese Burg stammt wahrscheinlich aus dem 13. Jahr-
hundert und war ein Sitz der Ritter von Eyneburg, deren Ge-
schlecht im 15. Jahrhundert im Urstamm ausstarb. Die Sage verlegt
hierhin die hübsche Entführungsgeschichte, in der Karl’s Tochter
Emma und sein Geheimschreiber Einhard oder Eginhard eine Rolle
spielen. Das Chronicon des Klosters Lorsch, das über 350 Jahre
nach Eginhard geschrieben wurde, erwähnt ihrer zuerst.
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Die Hammerbrücke bei Hergenrath
(Lithographie aus dem ”Rheinwerk”” von Louis Bleuler)
Freher erzählt Folgendes:
”Eginhard, aus Neigung zu Emma, des Kaisers Tochter, stahl sich
bei nächtlicher Zeit in das Gemach der Geliebten. Der grauende
Morgen eilte heran, und mittlerweile war Schnee gefallen. Eginhard
wagte es nicht, auf dem Rückweg die neue Bahn, welche ihn sonst
verraten würde, mit eigenen Fußstapfen zu bezeichnen, und deshalb
101
entschloß sich Emma, ihren Geliebten auf dem Rücken zu seiner
Wohnung zurückzutragen. Karl, der seine Nacht schlaflos zuge-
bracht hatte, sah, wie seine Tochter, Eginhard auf dem Rücken tra-
gend, durch den Schloßhof ging. Dieser, der befürchtete, seinem
Kaiser könne dieser Vorfall und das Liebesverhältnis mit Emma
nicht unbekannt bleiben, gestand ihm offen seine Liebe: zu der
Tochter und den begangenen Fehler. Er bat ihn fußfällig um Scho-
nung, Karl schwieg, endlich gab er ihm die Versicherung, auf seine
Bitte zu antworten. In dem von Karl versammelten Rate seiner
Großen trugen viele auf harte Bestrafung Eginhards an, doch war
einer unter ihnen, welcher riet, alles der Weisheit Karl’s des Großen
zu überlassen. Und nun erhielt Eginhard Verzeihung und Emma’s
Hand.
Nach andern knüpft sich die Sage an den Palast zu Ingelheim.
Die Bewohner Seligenstadts erzählen aber, Eginhard habe seine ge-
liebte Emma nach Obermühlheim entführt und sich dort mit ihr
versteckt. Lange habe Karl nichts mehr von seiner Tochter gehört,
bis er auf der Jagd in Eginhard’s Haus einkehrte und in der Wirtin
seine Tochter Emma dadurch erkannte, daß sie ihm unaufgefordert
seine Lieblingsspeise bereitete. Voll Freude habe Karl gerufen: ”Se-
lig ist die Stadt, wo ich meine Tochtr wiedergefunden!” Nach wel-
chem Ausrufe Obermühlheim seinen Namen in Seligenstadt umge-
wandelt habe. Daß dieser Kiltganggeschichte etwas Wahres zu
Grunde liege, daran ist bei dem leichtfertigen Leben der Töchter
Karl’s, denen er selbst mit schlechtem Beispiel voranging, kaum zu
zweifeln.
(Anm.: In der Schweiz bezeichnet man mit ”Kiltgang” den nächtlichen Besuch eines
Jünglings bei einem Mädchen).
Die Eyneburg scheint ihres Namens und der Nähe Aachens
halber die Sage lokalisiert zu haben. Im Odenwald war Eginhard be-
gütert; im Jahre 815 schenkte ihm Ludwig der Fromme den Ort Mi-
chelstadt mit einem Gebiet von zwei Meilen in der Runde, eine Be-
sitzung, die später an das Kloster Lorsch kam, dessen Chronik die
Sage berichtet. Eginhard stiftete im Jahre 828 das Kloster Seligen-
stadt, in das er selbst als Mönch eintrat, nachdem er mit seiner Ge-
mahlin das Abkommen getroffen hatte, sie nur als Schwester zu be-
trachten. Er starb am 25. Juli 844 und wurde nebst seiner Gattin,
die schon 839 gestorben war, in dem von ihm begründeten Kloster
beigesetzt. Die Grafen von Erbach leiten ihr Geschlecht von ihm ab
und bewahren die Särge der beiden Gatten in ihrer Schloßkapelle...”
102
Links der Bahn liegt Astenet, auf einer Anhöhe zwischen den
Tälern des Walhorner, Lonzener und Geuelbaches, von Obstbäu-
men und Fruchtfeldern umgeben. Dann folgt Eynatten, wo die
Landstraße nach Eupen sich hinzieht, der Stammsitz eines alten Ge-
schlechts, das noch heute blüht. Tillman von Eynatten erscheint
1226 als Zeuge bei einem Vergleiche, den das Münsterstift zu Aa-
chen mit der Abtei Cornelymünster abschloß. In der Schlacht bei
Baesweiler standen mehrere Herren von Eynatten auf Seiten des
Herzogs Wenzel von Brabant. Mathillon von Eynatten, der das Ge-
werbe eines Wegelagerers trieb, wurde am Ende des 14. Jahrhun-
derts von einem Mönche zu Brauweiler, Hermann von Gimmenich,
gefangen genommen. Das alte Schloß lag lange in Trümmern und
wurde dann abgebrochen; das neue, Rauschenberger’s Haus ge-
nannt (17), ist in den Besitz einer anderen Familie übergegangen.
Lonzen bildete ehemals eine deutsche Reichsherrschaft, die
Heinrich IV. dem Propste des Aachener Münsterstifts schenkte.
Auf dem nahe gelegenen Hause Koekelberg (15) wurde der im Jahre
1805 zu Köln verstorbene Archäologe von Hübsch geboren, dessen
großartige, für Naturgeschichte, Ethnographie und Altertumskunde
äußerst wichtige Sammlung nach Darmstadt kam. Als die Franzo-
sen Köln besetzten, wurde dem Baron von Hübsch in Anerkennung
seiner Verdienste um die Wissenschaft durch Beschluß des Volks-
vertreters Gillet vom 17 Vendemiaire III von der Regierung eine
Schutztafel mit Einquartierungsfreiheit zugestellt und zwar, wie es
darin heißt, ”weil sein Haus zur Erleichterung der Unglücklichen
und zum öffentlichen Unterricht gewidmet ist”. In Lonzen wird viel
Butter und Käse bereitet; die üppigen Wiesen und das treffliche
Vieh sagen uns, daß wir uns dem limburgischen Lande nähern.
Herbesthal bildet die Grenzstation, wo sich ein Zollamt befin-
det. Von hier gelangt man zu Wagen nach der eine halbe Meile links
von der Bahn entfernten gewerbreichen Stadt Eupen, wo schon viel
französisch gesprochen wird. Seitwärts von der Chaussee liegt das
sogenannte neutrale Gebiet, das Preußen und Belgien gemeinsam
gehört mit dem reichhaltigen Galmeiwerke Altenberg, das von einer
Actiengesellschaft betrieben wird. Die Wagen der Rheinisehen Ei-
senbahn gehen noch bis Verviers. Hier beginnt der Dienst der belgi-
schen Beamten, und die Reisenden sind genötigt, andere Waggons
zu besteigen...”
103
Anmerkungen:
(1) 185 Ruten = 696 m.
(2) 250 Fuß = 78,50 m.
(3) 42 Ruten = 13,20 m.
(4) In der preußischen Zeit war die gängigste Schreibweise Hergenraed.
(5) Die übliche Schreibweise im 19. Jh. war Geul bzw. Geulbach.
(6) 120 Fuß = 37,60 m.
(7) 658 Fuß = 206,50 m.
(8) 68 Fuß = 21,30 m.
(9) 30 Fuß = 9,40 m.
(10) 46 Fuß = 14,40 m.
(11) 30 !/2 Fuß = 9,50 m.
(12) 48 Fuß = 15 m.
(13) 27 !/2 Fuß = 8,60 m.
(14) Gemeint ist das Reuschenberger oder Amstenrather Haus,
(15) Bekannt unter dem Namen Kleinhaus oder Krickelshausen.
104
Auf dem Büchermarkt
von Alfred Bertha
In "Arbeit, Kampf und Glaube”, einem zum 100-jährigen Be-
stehen der christlichen Arbeiterbewegung 1986 erschienenen Sam-
melband (1), hatte Mitherausgeber Herbert Ruland (2) eine umfas-
sendere Veröffentlichung zur Geschichte der Arbeiterbewegung im
deutsch-belgischen Grenzgebiet angekündigt. (3) Diese wird voraus-
sichtlich noch in diesem Jahr erscheinen. Zunächst aber legt Ruland
mit
”Gott segne die christliche Arbeit”
das Ergebnis seiner langjährigen Forschungen zur Eupener Sozial- -
geschichte vor. Er nennt sein Werk im Untertitel ”ein Lesebuch zur
Geschichte der Eupener Arbeiterschaft in französischer und
preußischer Zeit” (4). Ein Lesebuch ist es im wahrsten Sinne des
Wortes, ist der 209 Seiten starke Ausgabe doch in zwei fast gleichge-
wichtige Abschnitte gegliedert, und zwar einen Text- und einen Do-
kumententeil. Zahlreiche Fotos und Faksimiles lockern die Lektüre
auf und illustrieren den Text.
Umfangreiches Quellenstudium in den Archiven, wobei vor al-
lem das Eupener Stadtarchiv sich als eine wahre Fundgrube erwies,
zeigte, daß Eupen trotz seiner Randlage im Westen Preußens den-
selben starken sozialen Spannungen ausgesetzt war wie das übrige
Rheinland bzw. Reichsgebiet. Die Sozialgeschichte Eupens im 19.
und frühen 20. Jh. unterscheidet sich kaum von derjenigen anderer
Industriestädte. Es ist die Geschichte des kleinen Mannes; der all
den Auswüchsen des Frühkapitalismus hilflos ausgesetzt war. Die
unmenschlich langen Arbeitstage, die Hungerlöhne, Wohnungsnot,
Frauen- und Kinderarbeit, gesundheitliche Unterversorgung, Ver-
nachlässigung der schulischen Ausbildung: die Industrialisierung
hat den Arbeitern schwerste Opfer abverlangt.
Die Sozialgeschichte Eupens im 19. Jh. ist auch die Geschichte
eines langsam zunehmenden Klassenbewußtseins seitens der Arbei-
terschaft, die zu begreifen beginnt, daß sie nur gewerkschaftlich (in
Eupen bedeutete dies in der christlichen Gewerkschaft) organisiert
ihre Rechte verteidigen kann. ”Gott segne die christliche Arbeit” ist
ein hervorragender Beitrag zu der bis dato sehr wenig beachteten
Sozialgeschichte unserer Heimat. Dem Autor gebührt dafür beson-
deres Lob und Anerkennung.
*
105
1936 nannte P. Friedrich Muckermann SJ die katholische
Presse im Dritten Reich ”ein widerliches Instrument der Lüge”. Der
Jesuitenpater sah die Dinge schon 1946 viel nüancierter, doch wur-
de seine Behauptung von 1936 in den sechziger Jahren von anderen
Autoren aufgegriffen und es häuften sich die Angriffe gegen die Kir-
che, der man vorwarf, nicht klar genug zu den Vorgängen im Drit-
ten Reich Stellung bezogen zu haben.
Bei der Erörterung der Frage, ob die katholische Presse in je-
nen Jahren versagt habe, ist für uns im Grenzland der Fall der Aa-
chener Kirchenzeitung von besonderem Interesse, hatte sie doch in
der Person des Eupener Dechanten H. Keufgen einen aus unserem
Gebiet stammenden Mitarbeiter und bei Kriegsausbruch allein in
Eupen nicht weniger als 1800 Abonnenten. Ende 1940 wurde die
Zeitung auch in Malmedy und St. Vith eingeführt, wo die Bezieher-
zahl innerhalb von 5 Monaten, d.h. bis zum Verbot der Kirchenzei-
tung, auf 5.329 anstieg! Insgesamt zählte die Aachener Kirchenzei-
tung bei ihrer letzten Ausgabe im Mai 1941 die stolze Zahl von
8.834 Beziehern in den ostbelgischen Pfarren.
Der oben gestellten Frage ist Dr. August Brecher in
”Kirchenpresse unter der NS-Diktatur
Die Katholische Kirchenzeitung für das Bistum Aachen im Dritten
Reich”
nachgegangen.
Schon der ”Sonntag”, ein traditionsreiches Kirchenblatt, das
1933 vom Bistum übernommen und zur Diözesankirchenzeitung
ausgebaut wurde, hatte vor dem Neuheidentum des Nationalsozia-
lismus gewarnt. Die ”Katholische Kirchenzeitung für das Bistum
Aachen” (so der Titel des Blattes seit September 1933) führte unter
Schriftleiter Dr. Selung von Anfang an einen zähen Kampf gegen
die neuen Machthaber. Doch dieser Kampf, der von Jahr zu Jahr
härter und zermürbender wurde, verlangte um des Überlebens wil-
len von der gesamten katholischen Presse Opfer, Einschränkungen
und Anpassungen, die manchmal bis an den Rand der Selbstaufgabe
gingen. Konnte Dr. Selung in den beiden ersten Jahren nach Hitlers
Machtübernahme noch einigermaßen ungeschminkt kirchliche Po-
sitionen in wichtigen Glaubens- und Erziehungsfragen verteidigen,
so wurde nach und nach der Freiraum der Kirchenzeitung so ein-
geengt, daß die Redaktionsarbeit ein ständiges Jonglieren verlangte,
wollte man der Zensur und der Beschlagnahmung entgehen.
106
Die von Dr. Brecher vorgenommene Inhaltsanalyse der Aache-
ner Kirchenzeitung in der Zeit des Nationalsozialismus zeigt bei-
spielhaft, wie schwer es war, zwischen Widerstand und Anpassung
einen gangbaren Weg zu finden.
Man kann dem Autor nach der Lektüre dieses Buches nur bei-
pflichten, wenn er schreibt, daß, wer das Verhalten der Redaktion
”aus dem sicheren Unterstand heutiger demokratischer Verhältnis-
se” sieht, ihren Schwierigkeiten und Nöten von damals nicht ge-
recht wird.
”Kirchenpresse unter der NS-Diktatur” ist ein lesenswerter Bei-
trag zur Zeitgeschichte. Das Buch zählt 154 Seiten, ist erschienen im
Aachener Einhard-Verlag, 1988, und kostet DM 19,80. .
Anmerkungen:
1) S. ”Im Göhltal”, Nr. 42, S. 101 ff.
2) Ruland ist Leiter des Lehr- und Forschungsgebietes Arbeits- und Sozialgeschichte
an der Volkshochschule der Ostkantone.
3) "Arbeit, Kampf und Glaube”, S. 121, Fußnote 1
4) Erschienen in ALANO-Verlag, Aachen, 1988, 212 S,
107
..x. ° °
Tätigkeitsbericht 1989
von Freddy Nijns
Im Tätigkeitsbericht 1989 werfen wir gemeinsam einen Rückblick auf die Akti-
vitäten des verflossenen Jahres und können zu unserer Freude feststellen, daß es
nicht weniger erfolgreich war als die vorhergegangenen; dies ist der Beweis dafür,
daß wir wieder die Heimatkunde, Kultur und Geschichte gut gepflegt und gefördert
haben.
Das 23. Jahr des Bestehens unserer Vereinigung begann wie üblich mit der am
22. Januar 1989 abgehaltenen Jahreshauptversammlung.
Nach dem offiziellen Teil mit den durch die Statuten vorgeschriebenen Berich-
ten folgte ein Dia-Vortrag über die im August stattgefundene Prag-Reise 1988 durch
A. Bertha für den Kommentar und J. Bouwens für die Lichtbilder, die die verschiede-
nen Stationen der Studienfahrt durch Eindrücke und Erinnerungen nochmals Revue
passieren ließen. Frau Wahl gab anschließend einen Vorgeschmack auf die Reise
1989.
Thematisch gegliedert wurden folgende 20 Veranstaltungen im Jahre 1989 durchge-
führt:
Ausstellungen:
a) ”Holz- und Linoldrucke - Lithographien und Radierungen; exotische Expressio-
nen der afrikanischen Lebenskultur” von Jacques Thannen vom 29. Januar bis 19.
Februar 1989,
b) Eine Biedermeier-Ausstellung, illustrierte Zeitgeschichte; österreichischer Kunst-
stil der 1. Hälfte des 19. Jh. mit 65 Schautafeln des österreichischen Konsulats
Brüssel, organisiert vom kulturellen Komitee und von der Göhltalvereinigung
vom 11. bis 25. März 1989.
c) 4 Hobbykünstler unserer Gegend zeigten ihre Bastel-, Mal-, Töpfer-, Häkel- und
Schnitzwerke vom 20. bis 25. Mai auf Initiative des Kelmiser Verkehrsvereins.
d) Antwerpener Schlösser, Lustgärten und Landsitze: Ausstellung organisiert durch
das flämische Gemeinschaftsministerium für Raumordnung und Wohnungswesen
mit dem BSK-Kelmis vom 9. bis 24. September 1989.
€) Erstmalig wurde eine Ausstellung mit Musik eröffnet (Cello und Harfe); gezeigt
wurden Aquarelle von Gisela Roy€ und Ölbilder, Mosaiken und Puppen von The-
rese Gulpen-Roye vom 12. bis 26. November.
f) Auch bei der Vernissage der Ausstellung von Ingrid Schella gab es eine musikali-
sche Umrahmung mit Gitarren- und Flötenspiel. Gezeigt wurden vom 1. bis
17. Dezember 1989 Porträts, Landschaften und Träumereien.
Besichtigungen:
a) ein Großstadtpostbetrieb in Tätigkeit wurde am 22. Februar in der Zollamtstraße
Aachen besucht.
b) Am 24. April gingen 80 Teilnehmer zur ”Chocolaterie Jacques” in Eupen.
c) Eine zweite Besichtigung mußte noch am 6. November organisiert werden, weil
50 Nachzügler darauf zu warten standen.
d) Die Papierfabrik ”Intermills” Malmedy mit Verwendung der Produkte aus der
Filzfabrik Bruch (Neu-Moresnet) war am 7. Juni an der Reihe und ...
e) das regionale Unternehmen ”Hydro-Raeren” (4. Oktober), wo unser Vorstands-
mitglied Helmut Heydasch noch kurz vor seinem Tode die Gruppe durch die
Werkshallen führte.
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Vorträge:
a) "Treffpunkt Kaukasus”: Dia-Vortrag von Frau M. Wahl über die 3 kaukasischen
Republiken: Georgien, Armenien und Azerbaidschan am 23. Februar.
b) A. Bertha referierte am 23. November 1989 über die Französische Revolution.
c) Unser Präsident Herbert Lennertz hielt am 14. Dezember einen Vortrag über "die
Entstehungsgeschichte der 3 Gemeinschaften im Belgien von heute”.
Studienfahrten:
a) Am 25. Mai 1989 fuhren wir im Rahmen des Studienthemas "Industrie und Na-
tur” zu den Renault-Automobilwerken und den Königlichen Gewächshäusern
und botanischen Gärten in Brüssel.
b) Nach vorheriger Informationsversammlung für die Teilnehmer kam dann die
große Sommerreise vom 7. bis 13. August 1989 als mehrtägige Studienfahrt zur
oberschwäbischen, vom Barock geprägten Kulturlandschaft zwischen Donau und
Bodensee mit den Inseln Lindau und Mainau.
c) Am 2. September wurde eine kulturelle Fahrt zur Erdfunkstelle der RTT in Lessi-
ve organisiert sowie die Besichtigung des Schlosses V&ves und der kleinsten Stadt a
Belgiens: Durbuy.
Wanderungen:
a) Die Studienwanderung mit dem Thema ”Fauna und Flora unserer Heimat, beson-
ders in Raeren-Vennbusch”, startete am 21. Mai 1989.
b) Eine Ganztagswanderung unter dem Motto ”Naturreservate im Venn” (ab Sour-
brodt), fand am 15. Oktober 1989 statt.
Internationale Treffen:
Am 5. Juni fand das schon traditionelle ”Internationale Treffen der Geschichts-
vereine” des deutsch-belgisch-luxemburgischen Grenzraumes statt. Der ”Verein der
Geschichts- und Heimatfreunde des Kreises Euskirchen” hatte eingeladen und das
Treffen unter das Thema ”der Burgenring um Euskirchen” gestellt. Diavorträge und
Exkursionen gaben Beispiele zur Geschichte und Typologie der rheinischen Adelssit-
ze. Bei der Gelegenheit konnten unsere Euskirchener Freunde auch einen hervorra-
genden Bildband zu diesem Thema vorstellen. e
Mit Vorstandsmitgliedern des Geschichtsvereins Valkenburg trafen wir uns am
17. November 1989 in Holset (Vaals), um über eine engere Zusammenarbeit zu bera-
ten. Nach regem Gedankenaustausch wurde beschlossen, die eine oder andere Ver-
anstaltung gemeinsam durchzuführen. Ein Anfang soll schon am 26. April 1990 in
Vaalsbroek gemacht werden. Das Thema ”De Historie van de Limburgse dialecten”
dürfte diesseits und jenseits der Grenze gleichermaßen interessieren.
Erstmals fand im vergangenen Jahr auch ein Geschichtstreffen in Aachen statt. In
den Räumen der Volkshochschule hatten die im Aachener Raum tätigen Geschichts-
vereine die Möglichkeit, ihren Verein und ihre Arbeit in einem größeren Rahmen
vorzustellen und Kontakte zu den Nachbarvereinen zu knüpfen. Auch dies war eine
sehr erfolgreiche Veranstaltung.
Publikationen:
Es wurden 2 Zeitschriften herausgegeben und verteilt, bzw. verschickt, und zwar die
Nummern 44 und 45 mit heimatlichen Streifzügen, Erinnerungen, Berichten, Bü-
cherbesprechungen, Gedichten. Bildern, usw.