Im Göhltal
ZEITSCHRIFT der
VEREINIGUNG
für
Kultur, Heimatkunde und Geschichte
im Göhltal
Nr 37
August 1985
Veröffentlicht mit der Unterstützung des Kulturamtes der
deutschsprachigen Gemeinschaft
Vorsitzender : Herbert Lennertz, Stadionstr. 3, 4721 Neu-Moresnet.
Sekretariat : Maxstr. 9, 4721 Neu-Moresnet.
Lektor : Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, 4728 Hergenrath.
Kassierer : Fritz Steinbeck, Hasardstraße 13, 4721 Neu-Moresnet.
Postscheckkonto N" 000-0191053-60
Die Beiträge verpflichten nur die Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten,
Entwurf des Titelblattes : Frau Pauquet-Dorr, Kelmis.
Diese Skizze zeigt den Moresneter Göhlviadukt sowie die Hergenrather
Hammerbrücke in ihrer ursprünglichen Form.
Druck. Hubert Aldenhoff, Gemmenich.
Inhaltsverzeichnis
H. Beckers, Eilendorf Die Landes-Grenzpfähle zwischen Belgien
und den Niederlanden 5
W. Meven, Hergenrath Heimat im Krieg - Wie es war ... 14
P. Zimmer, Astenet Das Katharinenstift von Astenet Ed
A. Bertha, Hergenrath Vor rund 300 Jahren 45
M.Th. Weinert, Aachen Anemone 59
A. Jansen,
Moresnet-Kapelle ”Die Göhl ist biologisch tot!” 60
A. Bertha, Hergenrath ”Kennen Sie Jacques Urlus?” 68
P. Zimmer, Astenet Bergmannslos (7. Forts.) 74
F. Pauquet, Kelmis Der Preusbosch in der ehemaligen Bank
Montzen 86
A. Bertha, Hergenrath Ein Pachtvertrag über den Gutshof der
Eyneburg 5 93
W. Meven, Hergenrath Leo Hombourg (7) 96
A. Bertha, Hergenrath Auf dem Büchermarkt 98
5
Die Landes-Grenzpfähle zwischen
Belgien und den Niederlanden
von Hubert Beckers
Unter den vielerlei Arten und Formen von Grenzsteinen, die
wir im Bereich des Dreiländerecks kennen, stellen die Landes-
Grenzsteine zwischen den beiden Staaten Belgien und den Nieder-
landen zweifellos schon fast eine Kuriosität dar. Kennen und stellen
wir uns Grenzsteine im allgemeinen als ”steinerne” Zeugen der Ge-
schichte vor, so sehen wir uns hier gußeisernen Grenzsäulen gegen-
über. Seit dem Jahre 1843 bestimmen sie nunmehr den genauen
Grenzverlauf beider Staaten, die einst einmal gemeinsam ein Staats-
gebilde unter einem Souverän darstellten. Doch wie kam es zu die-
ser Grenzziehung ? Dazu vielleicht ein kurzer geschichtlicher Rück-
blick in die Anfänge des vorigen Jahrhunderts.
Hatte Napoleon 1795 noch die in langen Jahren zusammenge-
wachsene Einheit des Herzogtums Limburg respektiert, indem die
im Bereich unserer Göhltal-Vereinigung liegenden Orte zum Ourthe
-Departement, das jenseits der Höhen gelegene Aachen jedoch zum
Roer-Departement gehörte, so wurde bereits 1815 durch den Wie-
ner Vertrag eine erste Zäsur geschaffen. Als Folge dieser sogenann-
ten ”ersten Neuordnung Europas”, bei der sich u.a. die beiden Kö-
nigsreiche Holland und Preußen auf eine Grenze einigten, die bei-
den Staaten etwa die gleiche Bevölkerung überließ, wurden jahr-
hundertalte Bindungen auseinander gerissen(*).
Glaubte Wilhelm 1. von Oranien, der seit 1815 den Thron als
König der Vereinigten Niederlande innehatte, an eine ruhige Regie-
rungszeit, so hatte er sich nun nach nur 15-jähriger Regierungszeit
getäuscht. Nach fast 2000-jähriger Fremdherrschaft und Unter-
drückung übten die Belgier am Abend des 25. August 1830 den
Aufstand. Allzusehr war ihnen das Joch der calvinistischen Nieder-
länder verhaßt, das sie endlich abschütteln wollten.
Es war im ”Theätre de la Monnaie”, der heutigen Staatsoper in
(*) Über die wirtschaftlich bedingten Grenzstreitigkeiten um den Altenberg, d.h. das
spätere Neutral-Moresnet, soll hier nicht berichtet werden.
6
Brüssel, wo am Ende des vierten Aktes der neapolitanische Volks-
held in Auberts Oper ”Die Stumme von Portici” die Arie vom Tod
der Fremdherrschaft und Tyrannei, von der Sehnsucht nach Frei-
heit und eigenem Vaterland sang. Jeder im vollbesetzten Saal kann-
te den Inhalt der Oper : die Rebellion der Neapolitaner gegen die
spanische Tyrannei, die zum Schluß für den Helden jedoch tragisch
endet.
An jenem warmen Augustabend in Brüssel nun sollte das
Schicksal der Belgier eine bedeutsame Wende nehmen. Wie elektri-
siert sprangen die jungen Bürgersöhne im Theatersaal von ihren
Stühlen und stürzten ins Freie. Schon viel zu lange hatteri sie ihrer
Meinung nach die Bevormundung durch die Niederländer erduldet,
ihre Benachteiligung im politischen Leben, die hohen Steuern und .
Lebenskosten, die Pressezensur. Die außerdem gesetzlich vorge-
schriebene Landessprache Niederländisch hatte den Haß noch
verstärkt.
So brach vor 155 Jahren der bereits vorprogrammierte Auf-
stand der Belgier gegen die Holländer los. Die Ereignisse am Abend
des 25. August waren das langersehnte Signal für die Masse der ar-
beitslosen und hungernden Arbeiter, die bisher unendliches Leid er-
dulden mußten und sich nach Freiheit und menschlicher Würde
sehnten. Nun war der Funke übergesprungen, der Augenblick gekom-
men, die Ohnmacht und Stumpfheit abzuschütteln. Plündernd zo-
gen sie durch die Straßen Brüssels, brannten das Haus des verhaßten
Justizministers van Maanen nieder und brachen in Geschäfte ein,
um sich mit Waffen zu versorgen.
War der Aufstand ursprünglich als spontane Reaktion aus
dem Unmut des Bürgertums heraus geboren, so wurde es nun
schnell zu einem allgemeinen nationalen Anliegen. Freiwillige aus
den belgischen Provinzen im Süden des Königreiches eilten nach
Brüssel, als sie hörten, daß königliche Truppen vor den Toren Brüs-
sels aufmarschierten, um den Aufstand niederzuschlagen. Der ei-
gentliche Freiheitskampf dauerte jedoch nur drei Tage, vom 23. bis
zum 26. September 1830. Fast widerstandslos zogen sich die Trup-
pen König Wilhelms 1. aus Brüssel zurück. Die Bilanz dieses Auf-
standes : rund 500 Tote und die doppelte Anzahl an Verletzten auf
seiten der Belgier.
Bereits am 25. September 1830 konstituierte sich eine provi-
sorische Regierung, die ihrerseits am 4. Oktober gleichen Jahres die
Unabhängigkeit proklamierte. Schon vier Monate später erhielt Bel-
3
gien seine erste Verfassung, die den Bürgern u.a. die persönliche
Freiheit garantierte und die Standesunterschiede abschaffte. Als
Abschluß des Ganzen holte der National-Kongreß einen deutschen
Prinzen aus England, Leopold 1. aus dem Hause Sachsen-Coburg
und Gotha, als ersten König der Belgier auf den Thron der nun kon-
stitutionellen Monarchie. e
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Rund 50m südlich des Grenzübergangs Wolfhaag steht auf der östlichen
Straßenböschung der Grenzpfahl Nr. 3.
Foto : Hubert Beckers, Aachen-Eilendorf
8 Was von den Großmächten auf dem Wiener Kongreß 1815
am grünen Tisch geschaffen worden war, existierte nun nicht mehr.
Die Belgier hatten ihr Schicksal jetzt in ihre eigenen Hände genom-
men - ein Schicksal, das ihnen in der Folgezeit - bis in die Gegenwart
hinein - nicht nur immer eitel Freude gebracht hat. Doch ”Einigkeit
gibt Stärke”, so lautet das nationale Motto der Belgier.
”Ich schwöre, die Verfassung und die Gesetze des belgischen
Volkes zu achten, die nationale Unabhängigkeit und die Unver-
sehrtheit des Staatsgebietes zu bewahren” : diesen Eid sprach Prinz
Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha unmittelbar bevor er am
21. Juli 1831 in Brüssel als erster König der Belgier den, Thron be-
stieg.
Um jedoch die Unversehrtheit der Staatsgrenzen bzw. des .
Staatsgebietes zu gewährleisten, mußten diese zuerst einmal festge-
legt und bezeichnet werden. Dies war insbesondere gegenüber den
Rest-Niederlanden der Fall, da hier ja eine völlig neue Grenze ge-
schaffen worden war. Ein erstes Grenz-Traktat zwischen den beiden
Königreichen Belgien und den Niederlanden wurde am 19. April
1839 in London von beiden Staaten unterzeichnet. Dabei wurde
u.a. festgelegt, daß die Niederlanden fortan aus elf und Belgien aus
acht Provinzen bestehen sollten.
Am 8. August 1834 wurde in der Konvention zu Maastricht -
die künftige Grenze beider Staaten präzise festgelegt. Gleichzeitig
wurde beschlossen, diese Grenze mit 388 gußeisernen und zusätz-
lich 356 steinernen Grenzpfählen zu bezeichnen. In einer öffentli-
chen Ausschreibung vom 30. Oktober 1843 wurde das Liefern und
Setzen der eisernen und steinernen Grenzmale zur Kenntnis ge-
bracht. Entsprechende Angebote sollten bis zum 2. Dezember glei-
chen Jahres, um 11 Uhr, in Maastricht vorliegen.
Die auf einer achteckigen Basis ruhenden runden gußeisernen
Grenzpfähle sind obeliskenförmig gestaltet und mit dem Wappen
der beiden Königreiche sowie der Jahreszahl 1843 versehen. Be-
zeichnet bzw. durchnumeriert wurde der Grenzverlauf dabei vom
Dreiländereck, das damals ja noch ein Vierländereck war, ausge-
hend in Richtung Küste. Somit können wir den gußeisernen
Grenzpfahl mit der Nummer 1 am höchsten Punkt der Niederlande
am Dreiländereck und den Pfahl mit der Nummer 388 einige Kilo-
meter nordöstlich vom Seebad Knocke, nahe bei dem niederländi-
schen Seebad Cadzand-Bad an der Küste finden. Weniger wichtige
Grenzpunkte wurden dagegen mit den steinernen Grenzmalen be-
zeichnet.
10
Am 14. Dezember 1849 erschien dann im niederländischen
Staatsblatt ein Reglement, in welchem der Unterhalt und die even-
tuelle Instandsetzung der Grenzpfähle geregelt wurde. Das bereits
am 28. Juni 1847 in Antwerpen entworfene Reglement enthält die
elf folgenden Artikel :
Art. 1: Die örtlichen Behörden der angrenzenden Gemein-
den sollen im Frühjahr eines jeden Jahres die auf der
Grenze stehenden Pfähle nachgehen, um sich zu
überzeugen, daß sie sich in gutem Zustand. befinden.
Falls sie beschädigt sind oder sich nicht mehr an der
richtigen Stelle befinden, soll ein zweifaches Proto-
koll angefertigt werden.
Art. 2: Die entsprechenden Unterlagen sollen ohne Verzöge- .
rung an die zuständigen Gouverneure geschickt wer-
den, die die nötigen Maßnahmen anordnen um,
wenn nötig, die Täter zu bestrafen.
Art. 3: Die Gouverneure der Provinzen, in deren Gemein-
den die Vorfälle stattgefunden haben, werden ge-
meinsam über den Inhalt der Protokolle informiert.
Art. 4: Wenn die Beschädigungen nicht ernsthaft sind und
nicht unmittelbar repariert werden müssen, soll man
sie alle drei Jahre gemeinsam beheben lassen, falls
dies nötig ist.
Sind Reparaturen an den Grenzpfählen jedoch drin-
gend notwendig, so werden die Gouverneure gemein-
sam Maßnahmen ergreifen, daß so schnell wie mög-
lich gehandelt wird. Sofortige Reparaturen werden
nur unternommen, wenn die Beschädigungen so
schwer sind, daß die Grenzpfähle kein Merkmal
mehr haben, oder ihre gänzliche Zerstörung voraus-
zusehen ist.
Art. 5: Die Gouverneure werden jeweils beurteilen ob es nö-
tig ist, eine öffentliche Verdingung vorzunehmen. In
diesem Falle sollen sie gemeinsam Überlegungen an-
stellen, welches Material zu nehmen ist, was geliefert
und was zu reparieren ist.
Falls die Kosten der anstehenden Reparartur nicht
hoch genug sind, um eine öffentliche Verdinggabe
anzuordnen, sollen sie gemeinsam überlegen, wie die
Reparatur auszuführen ist.
11
Ministerie van Buitenlandsche Zaken.
re
OPENBARE
Aanbesledingen
WEGENS HET LEVEREN EN PLAATSEN VAN
rg x
IJZEREN EN HARDSTEENEN
PALEN,
BENOODIGD OP DE GRENSLIJN
welke Nederland van Belgie afscheidt.
De SrTAATSRAAD, GOUVERNEUR van net Mertogdom Limburg,
brenzt ter kennis van de belanghebbenden, dat door hem op Zaturdag den 2* December au,
saande, ten elf uren, in bet Hotel vnn het Gouvernement te Maastricht, in tegenwosrdigheis
Jan ccnen Nederlandschen en van conen Beigischen Commissaris , in het openhaar zul würden
TE N
Er zullen vier afzonderlijke aanbestedingen plants hebben,
welke zullen bestaan , te weten:
De 1‘ in het leveren van 388 Grenspalen van gegoten ijzer.
De 2‘ in het leveren van 356 hardsteenen Grenspalen.
De 3° in het naar de respective plaatsen vervoceren en stellen
van 218 ijzeren en 137 steenen Palen , en
De 4‘ in het naar de respective plaatsen vervoeren en stellen
van 170 ijzeren en 219 steenen Palen.
Deze aanbestedingen zullen pluats hebben bij inschrijving , Instelling en ophod.
Exemplaren der bestekken en voorwanrden zullen ter lezing liggen , zoo in de Nederlanden uls
im Belgie, aan de Ministerien van Buitenlandsche Zaken, aan de provinciale Gouvernementen ,
en bij Meeren Burgemecsters von Kocrnond , Eindhoven , Turnhout , Kreda , Bergen-op-Zoom eu
Sas van Gent,
Nadere inlichtingen zijn te bekomen aan de bureaux van de Nederlandsche en Belgische Com-
missarissen te Masstricht, belast mel het behecr wegens het leveren en stellen der grenspulen.
Maastricht , den 30 October 1843.
De Staalsraad , Gourerneur voornoemd,
GERICKE VAN HERWIJNEN.
Öffentliche Bekanntmachung bzw. Ausschreibung zur Lieferung und Setzung der
Grenzpfähle auf der Grenze zwischen den beiden Staaten Belgien und den Nie-
derlanden
13
Der Zeitpunkt der Zusammenkunft der genannten
Beamten wird von den zuständigen Gouverneuren
bestimmt.
Art. 8: Die ersten Reparaturen und Neuaufstellungen sollen
im Laufe des Jahres 1848.stattfinden.
Art. 9: Die ersten öffentlichen Ausschreibungen zur Repa-
ratur oder Neuaufrichtung von Grenzpfählen sollen
in Maastricht und ’s-Hertogenbosch für den Teil der
Landesgrenze zwischen Preußen und der Schelde,
und in Gent und Brügge für den Teil der Grenze
zwischen der Schelde und dem Meer erfolgen.
Art. 10: Falls ein Übereinkommen getroffen wird, daß bezüg-
lich einer Lücke im Grenzverlauf beider Staaten eine
X zusätzliche Errichtung weiterer Grenzpfähle not-
wendig sein sollte, so sollen die ersten Setzungen die-
ser Grenzpfähle durch die hierfür verantwortlichen
Beamten geschehen. Der Zeitpunkt einer ersten Aus-
schreibung soll, wie in Art. 8 und 9 dieses Regle-
ments gesagt, bis in das Jahr 1851 verlegt werden.
Art.11: Die Gouverneure der angrenzenden Provinzen der
beiden Staaten werden ohne Umwege miteinander
befinden, über alles, was die Vorschriften des vorlie-
genden Reglements betrifft.
Aachen-Eilendorf, im Januar 1985
14
Heimat im Krieg - Wie es war ...
von Walter Meven
Am 8. Mai jährte sich zum 40. Male der Tag, an dem mit der
Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands
der 2. Weltkrieg in Europa zu Ende ging. In Ost und West - auch bei
uns - wurde dieses Tages besonders gedacht.
Viele unserer Zeitgenossen sind nach den schlimmen Kriegs-
ereignissen geboren, Kenntniss über diese Vorgänge besitzen sie al-
lenfalls aus den Medien oder aus der mündlichen Überlieferung der
authentischen Zeitzeugen, wenn auch die Trümmerstätten als trau- €
rige Hinterlassenschaft noch lange sichtbar blieben.
Vielfach erfuhren sie auch erst später davon, daß der Krieg
manchen Angehörigen oder Verwandten als Opfer forderte.
Während die Bewohner der Städte über mehrere Jahre den
Bombenkrieg mit seiner ganzen Härte erleben mußten, blieben die
Landgemeinden bis zur Annäherung der Front von dieser Geißel
weitgehend verschont. Bedingt durch das schnelle Vorrücken der al-
liierten Heere, hegte man die stille Hoffnung, alsbald von allen mit
dem Krieg verbundenen Drangsalen und dem System, das ihn an-
zettelte, erlöst zu werden.
Der nach der Landung an der französischen Kanalküste am 31.
Juli 1944 bei Avranches erfolgte Durchbruch der Alliierten hatte
diese bald in unser Heimatgebiet geführt. Diese Tatsache bestärkte
den Wunsch und die Hoffnung, baldmöglichst von der Front über-
rollt zu werden. Eine lange Planung war dieser Invasion vorausge-
gangen, forderten doch die Russen seit Jahr und Tag die Errichtung
einer zweiten Front, um endgültig vom deutschen Druck befreit zu
werden.
Am 6. Juni 1944 - dem sogenannten D-Day - landete eine Ar-
mada an der französischen Kanalküste, deren Ausmaß in der Ge-
schichte ihr Beispiel sucht. Zu den vorbereitenden Maßnahmen ge-
hörte, daß man seit Monaten schwere systematische Bombarde-
ments aller Verkehrswege durchführte. Mit den sogenannten Jagd-
bombern beherrschten die Alliierten von nun an den gesamten Luft-
raum und unterbanden bei Tage jeglichen Nachschubverkehr bis
zur einbrechenden Dämmerung. Die von den Deutschen vorzugs-
weise bei Nacht durchgeführten Transporte führten infolgedessen
15
zu einer chaotischen Verstopfung ihrer für den Nachschub so drin-
gend benötigten Verkehrswege.
Alles, was nicht bei Tagesanbruch gut getarnt den Blicken der
Jagdbomber entzogen wurde, fiel der Vernichtung anheim.
Nach vorsichtigen Schätzungen der alliierten Stabschefs soll-
ten ihre Armeen in 330 Tagen die deutsche Westgrenze erreichen.
In Wirklichkeit benötigten sie jedoch weniger als 94 Tage. Für die
betroffene, militärisch meist unkundige Bevölkerung, war dies eine
höchst willkommene Zeitunterschreitung. Die Logistiker der Alliier-
ten allerdings beobachteten die schnellen Vorstöße mit zunehmen-
der Sorge. Es traten nähmlich bereits Nachschubschwierigkeiten
auf, obschon sie, im Gegensatz zu ihren Gegnern, ihre Verkehrswe-
ge ungehindert passieren konnten. Die Terminunterschreitung hatte
die gesamte Planung durcheinander gebracht. So war bei den im
Vorfeld des Westwalles eintreffenden Truppen im Schnitt nur noch
eine Bestückung von siebzig Schuß Artilleriemunition pro Geschütz
vorhanden. Um dem akuten Mangel abzuhelfen, richtete man von
der Kanalküste bis in den Frontbereich eine Einbahnstraße ein. Die
Leerfahrzeuge sollten dann nach diesem Plan die Nebenstraßen zur
Rückkehr benutzen. Die stets vorsichtigen Erwägungen der alliier-
ten Planer veranlaßten sie weiterhin, eine für unsere Gegend ver-
hängnisvolle Entscheidung zu treffen. Indem sie ihren Verbänden
den weiteren ungestümen Vormarsch untersagten, war das Schick-
sal, Kriegsschauplatz zu werden, besiegelt. Mit ausschlaggebend
war übrigens auch, daß sie den militärischen Wert des Westwalles
völlig überschätzten, der eigentlich für sie nur noch ein moralisches
Hindernis darstellen konnte. Seine längst veralteten und zu einem
Teil unbrauchbar gewordenen Befestigungsanlagen eigneten sich
kaum noch zu einer wirksamen Verteidigung. Die zu diesem Zeit-
punkt erforderlich gewordenen Panzerabwehrwaffen ließen sich
kaum noch in die vorhandenen Kampfstände einbauen. Zu allem
Überfluß hatte man wichtige Armierungsstücke ausgebaut, um sie
in Wiederverwendung am Atlantikwall einzubauen. Als die deut-
schen Kampftruppen am Westwall eingetroffen waren, fand man
weder Pläne noch Schlüssel dieser Anlagen vor. Teilweise standen
sie sogar unter Wasser. Die Telefonverbindungen der Kampfstände
untereinander fielen durch die damit verbundene Feuchtigkeit völ-
lig aus. In den ruhigen Zeiten hatten sie der Bevölkerung als Luft-
schutzkeller gedient oder man lagerte Erntegüter und andere Dinge
dort ein. Deutscherseits versuchte man durch groß angelegte
16
Schanzmaßnahmen im Vorfeld des Westwalles, die Verteidigungs-
kraft zu erhöhen. Jugendliche und ältere Männer wurden durch ei-
nen Aufruf des Reichsverteidigungskommissars und Gauleiters Jo-
sepf Grohe zu diesen Arbeiten zwangsverpflichtet.
Die zu Hunderten mit diesen Schanzarbeiten beschäftigten Männer
waren ebenfalls nicht selten das Ziel der Jagdbomber. Tote und Ver-
letzte hat es dabei in großer Zahl gegeben. Mit einer ähnlichen An-
weisung verpflichtete man nach dem 20. September 1944 diese Be-
völkerungsgruppe zum letzten Aufgebot, dem sogenannten ”Volks-
sturm.”
Die SA-Angehörigen dieses Personenkreises zog man wenig
später von den Schanzarbeiten zurück, um die an sich räumungsun- Ö
willige Bevölkerung mit vorgehaltener Waffe aus ihren Unterkünf-
ten zu treiben und mit Lastwagen oder Omnibussen bei schwerem
Beschuß aus der Stadt herauszubringen. Ein ungewisses Evakuie-
rungsschicksal hinderte die Menschen immer wieder daran, die
Stadt freiwillig zu verlassen. Die Parteiführung wertete das Verhal-
ten der Aachener als eine politische Entscheidung, indem man ih-
nen vorwarf, mit dem Feinde gemeinsame Sache mache zu wollen.
Durch Lautsprecher und mit Plakatanschlägen erklärte man sie zu
Volksverrätern und drohte ihnen entsprechende Strafen an. Nach
einer anfänglichen Weisung sollten sie sogar abgesondert und in ein
Lager überführt werden. In der Tat ist es vorgekommen, daß man
einige von ihnen in Mariadorf in einen Eisenbahnzug sperrte und sie
erst am Bestimmungsort in Mitteldeutschland wieder herausließ.
Selbst der Gang zur Toilette wurde überwacht. Bei dieser
Zwangsmaßnahme hatte man es ganz besonders auf den Personen-
kreis der Aachener Notverwaltung um Dr. Felix Kuetgens abgese-
hen. Den wenigen Aachenern, denen es gelang, sich zu verstecken -
nach der Überlieferung sollen es 4 - 5 Tausend gewesen sein - waren
schwere Wochen beschieden. Hunger, Durst und Beschuß sollen je-
doch nach den Aussagen der Zeitzeugen lange nicht so schlimm ge-
wesen sein, als der Terror der SA, Polizei-, und Gestapohäscher.
Die in den ersten Septembertagen von der Reichsführung an
die Gestapo gegebene Weisung, im frontnahen Raum alle politisch
Unzuverlässigen festzunehmen, wurde rigoros durchgeführt. In Eu-
pen und in Aachen verhaftete man eine Anzahl von Personen und
verbrachte sie in die als Gestapogefängnis umfunktionierten Kölner
Messehallen, wo unter anderem durch Bombenangriffe und plötz-
lich auftretende Seuchen eine Reihe von Toten zu beklagen waren.
17
Um der Verhaftung zu entgehen, gingen einige in den Untergrund
oder flohen in die nahegelegenen Wälder. Dabei stieß man auch auf
deutsche Volkssturmmänner, die sich keineswegs zum Kampfe stel-
le wollten, sondern die Ankunft der Amerikaner sehnlichst erwarte-
ten. Wer als deutscher Soldat das Glück hatte, einen zu dieser Zeit
selten gewordenen Urlaub in der frontnahen Heimat zu erhalten,
nutzte nicht selten die Gelegenheit, sich vom Feinde überrollen zu
lassen.
Für die im Kessel von Aachen versteckten Soldaten ein recht
gefährliches Unterfangen. Noch am 29. September 1944 sandte die
Gestapo ein sogenanntes Nachräumkommando in die Stadt, um
auch dieser Deserteure habhaft zu werden. Eine weitere Aufgabe
bestand darin, die Zusammenarbeit der Bevölkerung mit dem Fein-
de zu unterbinden. Es ist wiederholt vorgekommen, daß Zivilisten
die deutschen Soldaten zur Aufgabe animierten und ebenso den
Amerikanern den Weg in die Stadt wiesen.
Urlaubswünsche deutscher Soldaten in den Aachener Raum
wurden nicht selten aus dem Grunde abgelehnt, weil man eine
Flucht in den durch verwandtschaftliche Bindungen durchsetzten
belgischen Grenzraum befürchtete.
Nach einem Bericht des Generalfeldmarschalls von
Rundstedt,der am 5.September 1944 erneut den Oberbefehl über
das deutsche Westheer übernommen hatte, war die militärische La-
ge für die Deutschen mehr als bedenklich. Sein Auftrag bestand dar-
in, das feindliche Vorgehen soweit wie möglich westlich zum Stehen
zu bringen, Nordbelgien und Holland zu verteidigen und aus dem
Raum Metz in Richtung Reims offensiv zu werden : eine im Hin-
blick auf die militärische Gesamtsituation recht naiv anmutende
und den wahren Sachverhalt ignorierende Forderung des deutschen
Oberkommandos, die eigentlich das ganze Chaos an der Westfront
kennzeichnete.
Lagebeurteilung durch Generalfeldmarschall von Rundstedt
vom 7. September 1944 :
”An der deutschen Westfront sind sämtliche eigenen Kräfte
kampfgebunden, stark angeschlagen,zum Teil ausgebrannt. Ihnen
fehlen Artillerie und Panzerabwehrwaffen, Panzer und Sturmge-
schütze. Reserven sind kaum vorhanden. Das Übergewicht an Pan-
zerzahlen des Feindes zu den eigenen ist zahlmäßig eindeutig. An-
fang September waren bei der Heeresgruppe B etwa nur insgesamt
18
100 Panzer einsatzbereit. Die feindliche Luftwaffe beherrscht ein-
deutig den Luftraum und die rückwärtigen Verbindungen bis tief in
das rückwärtige Gebiet hinein. Der Feinddruck Richtung Lüttich
(Maas-Tal) mit deutlicher Stoßrichtung über Aachen auf das
rheinisch-westfälische Industriegebiet hat sich zu einer schweren
Gefahr entwickelt.
Die sofortige, mehrfach bereits beantragte Zuführung starker.
Kräfte - mindestens 5, besser 10 Divisionen mit Sturmgeschützabtei-
lungen und ausreichenden panzerbrechenden Mitteln sowie
außerdem eine Anzahl Panzerdivisionen - erscheinen in diesen stür-
mischen Septembertagen als zwingende Notwendigkeit.
Alle noch verfügbaren eigenen Kräfte, nähmlich die schwache 9. .
Panzer-Division, 1 schwache Sturm-Panzerabteilung, 2
Sturmgeschütz-Brigaden mit unterwegs zugeführten Sturmgeschüt-
zen - sind vom Oberbefehlshaber West Richtung Aachen in Marsch
gesetzt. Die 12. Grenadier-Division ist noch nicht heran. Oberbe-
fehlshaber West erblickt im Raum Aachen die akute, auch den süd-
lichen anschließenden Westwall im Rücken bedrohende Gefahr.”
In einer operativen Anweisung aus dem Obersten Hauptquartier
der Alliierten vom 26. August 1944 heißt es: ”Auf der ganzen
Front mehren sich die Anzeichen, daß der Widerstand des Feindes
vor dem Zusammenbruch steht... Der Feind wird uns am Vordrin-
gen nach Deutschland nur hindern können, wenn er seine zurück-
flutenden Streitkräfte durch frische Divisionen aus Deutschland
oder anderen Fronten verstärkt und mit ihnen die wichtigsten Sek-
toren der Siegfriedlinie besetzt. Es ist jedoch zweifelhaft, ob ihm das
noch rechtzeitig und in der nötigen Stärke gelingt.”
Die erste intakte deutsche Einheit, die den Kampfraum Aa-
chen erreichte, war die des bekannten Generalleutnants Graf von
Schwerin mit seiner 116. Panzer-Division. In einer Niederschrift des
Generals aus diesen Tagen heißt es ; ”In den folgenden drei Tagen
entwickelte sich im Raum Battice-Eupen-Aubel eine Reihe zum Teil
heftiger Gefechte, in deren Verlauf, bald hier, bald da, Feindeinbrü-
che erfolgten, die immer wieder zum Absetzen in rückwartige Li-
nien nötigten, um den Zusammenhang der Front nicht zu verlieren.
Der heftigste Kampf entwickelte sich am 11. September 1944 um
Heinrichskapelle, das Dank einer über Aachen herankommenden
neuen Sturmgeschütz-Brigade gegen vielfach überlegenen Panzer-
feind gehalten werden konnte. Ostwärts dagegen, bei Eupen-
19
Welkenrath, brach die 9. Panzer-Division unter dem Druck starker
feindlicher Panzerkräfte, die von heftig und pausenlos angreifenden
Schlachtfliegerstaffeln unterstützt wurden, zusammen. Der Feind
stieß hier in Richtung Aachen. Auch bei Regiment 156 entwickelte
sich am Westflügel eine kritische Situation. Hier brachen überlegene
feindliche Panzerkräfte auf Aubel durch.”
Bei seiner Ankunft in Aachen stellte Graf von Schwerin fest,
daß die Aachener SS, mit dem Polizeipräsidenten SS-Oberführer
Flasche an der Spitze, abgerückt war. Sämtliche Aachener Behör-
den, Stadtverwaltung, Polizeipräsidium, Regierung und Finanzbe-
hörden hatten am 12. September 1944 gegen 22.00 Uhr die Stadt
fluchtartig verlassen. Diese Tatsache veranlaßte von Schwerin die
Räumung der Stadt zu stoppen, weil die Bevölkerung führerlos und
völlig verlassen in der Stadt umherrirrte. Es sollte für ihn persönlich
eine höchst folgenschwere Entscheidung sein. Die Partei suchte
nämlich später einen Schuldigen für ihr Versagen und das damit
verbundene Räumungsdebakel, das nur durch die starken Worte
Heinrich Himmlers am Bunker Frankenberg und die wenig später
übereilte Flucht der Funktionäre ausgelöst worden war.
Der Graf wurde beschuldigt, in die vom Führer persönlich an-
geordnete Räumung eingegriffen zu haben. Man stellte ihn sogar
vor ein Kriegsgericht, wo er sich jedoch mit dem Hinweis auf die
Flucht der für die Räumung verantwortlichen Parteifunktionäre
unter Zurücklassung der hilflosen Bevölkerung erfolgreich verteidi-
gen konnte. General von Schwerin erhielt einen Verweis und wurde
von seinem Kommando abgelöst. Hier war wohl auch seine auf
Schloß Sinnich getane Äußerung, die Kampfhandlungen nunmehr
einstellen zu wollen und seine Soldaten nach Hause zu führen, bei
der Urteilsfindung mitentscheidend.
Ein Bericht der Reichsbankdirektion Aachen vermittelt einen
lebendigen Eindruck über diese kritischen Septembertage in einer
vom Feinde bedrohten Stadt, deren Bevölkerung von einer
außergewöhnlichen Sorge um die Zukunft geprägt ist : ;
..... ”04. September 1944 (Montag). Ein die nächsten Tage bis
11. September anhaltender Sturm auf unsere Kassen setzt ein. Trup-
penkassen, Einheiten und Einzelwehrmachtsangehörige wollten ihre
Bestände in französischer und belgischer Währung bei uns in
Reichsmark umgetauscht erhalten. Die dienstliche Beanspruchung
steigt auf ein Vielfaches des Normalen. Alles wird noch erschwert
durch die Zerstörungen in unserem Hause, durch die ständigen
20
Alarme und Tieffliegerangriffe, durch die wechselnden Ein- und
Rückberufungen der Gefolgschaftsmitglieder zum Westwallbau,
schließlich durch die Überlastung des Hauses mit den fremden Gä-
sten - dabei nur ein Telefon im Hause ! Im Laufe des Vormittags
kommt der Befehl des Aachener Kommandanten, sämtliche Einzel-
wehrmachtspersonen nicht mehr bei uns abzufertigen, sondern in
einer Auffangstelle in der Gelben Kaserne. In aller Eile werden dort
provisorische Wechselkassen von uns eingerichtet. Große Arbeit
auch durch das Devisenschutzkommando Belgien, das umfangrei-
che Beträge in Gold, engl. Dollars und Wertpapieren bei uns ablie-
fert. Starke Abhebungen in Reichsmark; im Laufe des Tages tritt be-
reits Mangel an einzelnen Geldsorten ein. - Die Wechselkasse Her-
besthal räumt überstürzt und fällt auf uns zurück. Einsatz der Be-
amten in der Gelben Kaserne.
- Abschluß der Bank gegen 22 Uhr, was jetzt üblich wird. Das Ge-
rücht entsteht, daß Großangriff feindlicher Flieger auf Aachen er-
wartet werde. Die Nacht bleibt jedoch ruhig. Immer stärkeres Zu-
rückfluten der Truppen bei Tage und Nacht, ”Parole Heimat”
taucht auf. Der Eindruck eines totalen Zusammenbruches verstärkt
sich. Zahlreiche Panzer rollen in der Nacht Richtung Osten zurück.
5. September. am Nachtmittag trifft endlich der lange erwarte-
te Großgeldtransport aus Köln ein.
6. September, Ordnung im Betrieb, auch schon in der Buchhal-
tung, ist kaum noch aufrecht zu erhalten. Am Nachmittag wird von
uns der erste Transport nach Gummersbach gesandt (Wagen von
Garbe-Laymeyer).
7. September, (Donnerstag) Das nach Gummersbach gesandte
Begleitpersonal (Kelpin und Milatz) kommt wieder zurück. Eupen
erhält den Räumungsbefehl und wird am 8. September nach Stol-
berg verlegt. Die Hauptverwaltung der Reichskreditkassen und die
Reichskreditkasse Brüssel fahren mit Bahntransport nach Koblenz
ab. Wir verladen umfangreiche Wertsendungen für Berlin mit die-
sem Transport. Von der Reichskreditkassen-Organisation bleibt nur
noch eine Wechselkasse da, die uns bei der Abfertigung von Trup-
penkassen behilflich ist.
Das Straßenbild ist in den letzten Tagen ruhiger geworden. An-
scheinend hat das Zurückfluten der Truppen aufgehört.
Umfangreiche Guldenabhebungen bei uns für nach Holland
gehende Truppenverbände.- Auch in der Gelben Kaserne ist etwas
21
mehr Ordnung eingekehrt. Es scheint gelungen zu sein, große Men-
gen versprengter Heeresteile wieder zu sammeln und zu ordnen.
-Über das Schicksal Aachens jagen sich die Gerüchte : es werde ge-
räumt, es werde nicht geräumt, es sei schon zu spät, Aachen solle
zur offenen Stadt erklärt werden usw. Besonders heftige Luftangrif-
fe.
9. September, (Sonnabend). Unverändert stürmischer Kassen-
betrieb. Schon zahlreiche Ausfälle infolge Erschöpfung und Krank-
heit. Das Nachkommando Brüssel beschließt abzurücken. Geldtran-
sport nach Jülich. Auf den Straßen wieder verstärktes Zurückfluten
von Truppen.
10. September (Sonntag). Alle Gefolgschaftsmitglieder in der
Bank zur Lagebesprechung. Am Nachtmittag Besprechungen mit
der Kommandantur und Präsident Croon. Da sich immer deutlicher
zeigt, daß Aachen Kampfgebiet werden wird, kommt am späten
Nachmittag der Entschluß zustande, sofort einen Transport als Vor-
kommando nach Gummersbach zu schicken Herr Reichsbankdirek-
tor Brodtmann mit Isolde, Frau E. und Fritz fahren mit. Frl. Bey-
fuss bleibt tapfer in Aachen. - Trotz Bankschluß werden noch ve-
schiedene Truppenkassen abgefertigt.
- Am Nachmittag beginnt die Beschießung des Aachener Westwal-
les durch feindliche Artillerie.
11. September (Montag) Gleich früh setzt der Kassenbetrieb in
der gewohnten übermässigen Stärke ein. Wir senden noch einen
Transport nach Gummersbach (geliehener Wagen, Wolfram mit
Sohn, Frau Bredohl). Auf Bitten von Dr. F. fährt ein Beamter des
Versorgungsamtes mit, der die bereits nach Köln gebrachten Akten
des Versorgungsamtes wieder zurückholen soll ! Trotz aller Gegen-
vorstellungen bleibt Dr. F. bei seiner Bitte. - Am Nachmittag
kommt der am 10. September nach Gummersbach gefahrene Bank-
wagen mit den Herren Kelpin und Herrmann wieder an. - Es wird
bekannt, daß der Reichsführer SS Himmler am Sonnabend in Aa-
chen (sic; wohl am Sonntag) war und im Bunker an der Franken-
burg öffentlich erklärt hat : Räumung Aachens kommt nicht in Fra-
ge. - Seit dem 1. September sind über 62 Millionen Reichsmark in
deutscher Währung von uns bar ausgezahlt worden. Es wird stark
geschossen, der Dienst läuft aber etwas ruhiger, zumal die Fremden
aus unserem Hause zum größten Teil fort sind.
12. September, (Dienstag) Nach leidlich ruhiger Nacht weckte
um 1/2 5 Uhr früh Herr Vogels mit der ersten Nachricht, daß der
22
Räumungsbefehl für Aachen da sei. Die Räumung solle 6 Tage dau-
ern, zunächst nur Frauen und Kinder fortgebracht werden. Als wir
früh 8 Uhr den Dienst beginnen wollten, ist die städtische Sparkas-
se, in deren Räumen wir unsere Kassenschalter haben, schon abge-
rückt. Die Post, die uns am Abend vorher keine Sendungen mehr
abnahm, stellt ihren Betrieb ein. Fortlaufende Besprechungen den
ganzen Tag über mit den Banken, dem Regierungspräsidenten und
Präsident Croon. Der gesamte Bankverkehr wird eingestellt, nur
noch Barauszahlungen ausgeführt. Schlagartig ist an den Schaltern
Ruhe eingetreten, nur noch geringe Beträge werden bei uns geholt.
In den nächsten Tagen soll der Auszahlungsverkehr noch aufrecht
erhalten werden. - In größerem Kreise spricht sich Präsident Croon
sehr lobend über die Hilfe aus, die die Reichsbank in den letzten Ta-
gen der Wirtschaft geleistet hat. - Am Vormittag verbrennen
wir zusammen mit dem Rest der Geheimakten unsere Dienstflagge.
- Der uns für den Räumungsfall vom NSKK zugesagte Lastwagen ist
nicht zu erhalten. Durch Vermittlung der Wirtschaftskammer
kommt schließlich gegen 19 Uhr ein Transport von 3 kleinen LKW
nach Gummersbach zustande, auf dem der Großteil unserer
Reichsmark-Bestände, das zahlreiche sonstige Bergungsgut und ein
grosser Teil der Gefolgschaft verladen werden. Als die Wagen abrol-
len (unter Führung von Herrn Vehlber und Herrn Kelpin), fällt uns
ein Stein vom Herzen. Wir behalten noch circa 45 Millionen Reichs-
mark da, die Regierung rechnete noch mit circa 3 Millionen Bedarf
an Lohngeldern für den Westwallbau. - Die Straßen der Stadt sind
verlassen. - Am Abend tritt bei uns trotz des immer stärker werden-
den Artilleriefeuers eine Art Entspannung ein. Man will bis zum
Morgen ruhig warten.
Gegen 22,30 Uhr erreicht uns dann plötzlich ein Anruf von
Oberstleutnant Saal (Wehrbezirkskommando), sofortige Räumung
sei befohlen, Feind sei bei Pelzerturm und Ronheide durchgebro-
chen. Ich versuche, eine Bestätigung durch Regierung, Kreisleitung,
Ortsgruppe, Wirtschaftskammer, Oberbürgermeister, Post zu errei-
chen, alles vergeblich. Ausgesandte Boten melden, daß die Stellen
bereits abgerückt seien. Man hat uns also vergessen. Endlich gelingt
eine telefonische Verbindung mit dem Adjutanten des Standortälte-
sten, der den Befehl bestätigt : ”nun sei es aber Zeit”. - Daraufhin
lasse ich verladen. Es steht nur der Bankwagen zur Verfügung.
Trotz meiner Warnung hatten sich am Abend noch zahlreiche
Frauen von Gefolgschaftsmitgliedern in der Bank eingefunden und
in unserem Keller Schutz gesucht. Sie waren mit den anderen Trans-
23
portmitteln, mit denen sie fahren sollten, (Bahn usw.), nicht mehr
'fortgekommen und in den nächtlichen Großalarm hineingeraten. In
dem kleinen Laderaum des Wagens stehen und hocken nun ein Dut-
zend Menschen in drangvoll fürchterlicher Enge. Um die Menschen
zu retten, muß der schwere Entschluß gefaßt werden, circa 400.000
Reichsmark in kleinen Noten und Hartgeld zurückzulassen. Eine
mühsame Fahrt mit dem überlasteten Wagen beginnt. Kurz nach
Mitternacht fahren wir von der Bank ab und verlassen Aachen ge-
gen 1 Uhr. Wir sind wohl die letzte Behörde, die abrückt. Unterwegs
überholen wir endlose Züge von Flüchtlingen aller Art, zu Fuß, mit
Pferdewagen und auf Automobilen. Es gelingt aber, trotz aller
Schwierigkeiten, den Wagen heil nach Gummersbach durchzubrin-
gen.” :
Verhängnisvolle Irrtümer, verursacht durch Fehleinschätzun-
gen der Lage und mangelnde Aufklärung, passierten selbst umsich-
tigsten Strategen auf beiden Seiten, auch, wie die Erfahrung uns
lehrte, bei den Alliierten, die hochgerüstet den Gegner eigentlich
nur noch vor sich her zu treiben brauchten. So hätten, zum Beispiel,
die Alliierten bei Unterbleiben des für uns verhängnisvollen ”Stoppbe-
fehls” an der deutschen Grenze in einem Zuge bis vor die Tore der
Stadt Köln vordringen können. Wir hörten bereits, daß die deut-
schen Streitkräfte zu diesem Zeitpunkt in einem Zustand der völli-
gen Auflösung begriffen waren und sich die daraus resultierende
Verwirrung bis in die höchsten Stäbe ausgebreitet hatte. Gerade in
diesen verhängnisvollen Tagen erschien am 10. September 1944
kein geringerer als der allseits gefürchtete Heinrich Himmler als Lei-
ter des Ersatzheeres in Aachen. Seine starken Worte an die veräng-
stigte Bevölkerung sind Geschichte geworden. Er sagte, Aachen
werde nicht geräumt, es werde vor den Toren der Stadt eine Auffang-
linie errichtet. Wir wissen bereits, daß diese aus so berufenem
Munde getane Aussage, bereits am nächsten Tage durch die von der
Partei verkündete Räumung der Stadt entkräftet wurde. Die zu-
rückflutenden Truppen rieten nun der Bevölkerung zum unbeding-
ten Bleiben, da man sich irgendwo doch von der Front überrollen
lassen müsse. Die Soldaten selbst, die nichts anders mehr im Sinn
hatten, als auf dem schnellsten Wege in ihre Heimat zurückzukeh-
ren, wurden von der Feldgendamerie zusammengerafft und an die
vom Zusammenbruch bedrohte Front gebracht. Militärisch hatten
sie, wie sich später zeigte, nur einen geringen Kampfwert. Nach gu-
ten und schnellen Ansätzen durchbrachen die alliierten Soldaten die
24
im Aachener Wald gelegenen Stellungen des Westwalles und kamen
in den Besitz der beherrschenden Höhenstellungen, die ihnen die
Verfolgung des nun geschlagenen Gegners ermöglicht hätte. Die
nun von den Alliierten anberaumte Pause kam den Deutschen ge-
nau zum richtigen Augenblick. Die Zeit arbeitete nun für sie, und es
gelang ihnen, etwa 5000 Soldaten, die sich aus den verschiedensten
Waffengattungen zusamensetzten, zu formieren. Oft waren Fliege-
roffiziere der Luftwaffe, die selbst keinerlei infanteristische Erfah-
rung hatten, ihre Vorgesetzten. Immerhin gelang es ihnen, in dieser
Zeit eine hinhaltende Verteidigung aufzubauen, die unter hohen
Verlusten für beide Seiten ebenfalls das Kriegsende hinäuszögerte.
Gelegentliche Vorstöße in den von den Amerikanern besetzten Teil
des Aachener Waldes zeigten nur mäßigen Erfolg, weil es ganz ein-
fach an schweren Waffen mangelte.
Eine ebenso verhängnisvolle Entscheidung war es wenig spä-
ter, den von den Deutschen in die Ardennen hinein geführten
Vorstoß frontal zu stoppen. Hätte man alliierterseits die weit hinten
liegenden Flanken des deutschen Angriffskeils attakiert, so wäre ge-
gebenenfalls durch eine systematische Einkesselung der deutschen
Verbände ein schnelles Ende der Kampfhandlungen, wenn nicht
sogar des Krieges, möglich geworden. Monatelange verlustreiche
Kämpfe bis zum Rhein verzögerten auch hier den Vormarsch der
Alliierten. Es gab auf dem Wege dorthin kein Eifeldorf, das nicht
schwerste Schäden hinnehmen mußte.
Die Stadt Eupen hatte im Gegensatz zu Aachen das große
Glück, am 11. September 1944 von einem Vorkommando der Ame-
rikaner nach kurzem Gefecht besetzt zu werden. Noch am Sonntag,
dem 10. September, hatte sich der Eupener Kreisleiter mit einem
Herrn Bredohl noch einmal in die Stadt zurückgewagt, um den Eu-
penern zu verkünden : ”Morgen sind wir wieder hier !” In einer ähn-
lichen Situation fanden sich die Aachener Parteigewaltigen noch
einmal in Aachen ein. Sie erschienen, nachdem sich die militärische
Lage etwas gefestigt hatte und sie keine Gefahr für ihr Leben zu
fürchten brauchten, lautstark und martialisch im Aachener Quellen-
hof, um die dort unter dem Vorsitz von Museumsdirektor Dr. Felix
Kuetgens tagende Notverwaltung auszuheben und der Gestapo in
Würselen zu überstellen. Eine fanatische Nationalsozialistin aus den
Reihen der Notverwaltung hatte sie schimpflich verraten. Man warf
ihnen vor, mit dem Feinde gemeinsame Sache machen zu wollen.
Mit scharfen Drohungen wurden sie dann später in das Innere des
Reiches abgeschoben.
25
Die Redaktion des Grenz-Echo hat dankenswerterweise in den
letzten Jahrzehnten in einer Folge von Aufsätzen über die Krieg-
sereignisse unserer Heimat berichtet. Sie wurden aufgrund von
Aussagen und Tagebüchern authentischer Zeitzeugen niederge-
schrieben. Ihr hoher dokumentarischer Wert veranlaßte uns, sie
zu einem Teil im Wortlaut zu übernehmen. Vordergründig soll hier
das Schicksal der einzelnen Ortschaften in den verhängnisvollen
Tagen Beachtung finden.
....! ”Selbstbedienung bei der Post: Am Montag war ein
von Aachen kommender Postwagen, der über Rötgen gefahren
war, in Nispert mit zerschossenen Reifen liegengeblieben. Der
Fahrer hatte sich geflüchtet und der Wagen wurde mit seinem In-
halt auf einen Hof geschafft, wo er zwei Wochen lang liegen blieb,
Eupener, die davon Nachricht erhalten hatten, durchsuchten die
Briefsäcke, die tatsächlich auch eine ganze Anzahl von Meldun-
gen über Gefallene enthielten. Die durcheinandergewühlte Post
wurde dann später den Adressaten ordnungsgemäß zugestellt.
Kettenis: .....: Eine von Eynatten kommende Gruppe deut-
scher Soldaten, die sich im Straßengraben längs der Hecken
vorschlichen (sollten sie ohne schwere Waffen den Vormarsch
der Amerikaner aufhalten ?) wurde durch einige an der ”Schönen
Aussicht” stehende amerikanische Kampfwagen sofort unter
Feuer genommen. Dabei wurden 5 - 6 Deutsche getötet und
mehrere andere verwundet. Hochwürden Pfarrer Kerres brachte
den tödlich Verletzten Sterbesakramente, notierte ihre Namen
und sorgte dafür, daß die Verwundeten in die umliegenden Häu-
ser gebracht wurden. Die übrigen suchten ihr Heil in einer schleu-
nigen Flucht in Richtung Merols. Kurz nachher geriet die Restau-
ration Klein an der Aachener Straße durch Bordwaffenbeschuß
amerikanischer Flugzeuge in Brand und wurde vollständig zer-
stört.
Am Sonntag zog eine Einheit ausgemergelter Soldaten in
Richtung Aachen durch Kettenis. Sie stürzten sich förmlich auf die
ihnen gereichten Stücke Brot und die Tassen ”Kaffee”. Ihre Uni-
formen waren verstaubt und zerrissen, unter ihnen befanden sich
ganz junge und alte Männer. Man hatte hier eine Einzelheit aus
dem trostlosen Bilde einer geschlagenen und völlig aufgeriebe-
nen Armee.
Gegen 5-6 Uhr nachmittags trafen die Befreier auch aus der
Richtung Herbesthal-Gemehret am anderen Ortsende von Kette-
26
nis ein, dort fanden keine erwähnenswerten Kampfhandlungen
statt. Anders war es auf dem Walhorner Feld, aber davon soll spä-
ter die Rede sein. Während der nächsten Tage schlugen hier und
da deutsche Artilleriegeschosse in Kettenis ein, die jedoch nur
leichten Sachschaden an einigen Häusern verursachten. Einige
Einwohner wurden leicht verletzt.
.....! ”am Nachmittag des 11. September 1944 fühlten die
ersten Panzerspitzen der Amerikaner bereits weiter bis Kettenis
und Schloß Liberme vor, indem sie der nach Aachen führenden
Landstraße folgten. Sie trafen dort noch auf die rauchenden
Trümmer deutscher Wagen, deren Kolonne kurz zuvor durch
Tiefflieger angegriffen wurde. Eine kleinkalibrige Bombe, die in ei-.
nem H of bei Liberme genau in einen Silo einschlug, verwundete
einen Einwohner so schwer, daß er einige Tage später seinen
Wunden erlag. Die Deutschen hielten noch eine Stellung am Joh-
berg in der Richtung auf Wahlhorn und bei Eynatten ein und be-
gannen von dort aus auf größere Entfernung ein Geschützduell
mit den Amerikanern, das sich mehre Stunden hinzog.”
Walhorn: .....: ”Am 11. September stießen die Amerikaner
auch noch bis Walhorn vor. Im Dorf selbst zeigten sich nur verein-
zelte Panzer und Spähwagen, die kamen vom Walhorner Feld
und aus Lontzen. Dagegen zog an Gut Lindchen eine lang Pan-
zerkolonne vorbei, die in Richtung Merols und vermutlich Eynat-
ten fuhr. Die Deutschen waren am Sonntag und noch am Montag
zurückgeflutet, so daß beim Einmarsch der Amerikaner keine
Kampfhandlungen stattfanden. Am Sonntag waren die deutschen
Kolonnen, besonders auf dem Walhorner Feld und in der Nähe
von Waldenburgshaus, fast dauernd durch amerikanische Tieflie-
ger angegriffen worden und hatten schwere Verluste erlitten.
Zahlreiche Tanks lagen zertrümmert und ausgebrannt auf den
Wegen und in den Straßengräben. Ein Leutnant und 8 Soldaten
wurden getötet und fanden auf dem Friedhof von Walhorn eine
vorläufige Ruhestätte. Verschiedene Leichen waren unerkennt-
lich. In einem zertörten Wagen fand man einen ganz neuen Herd,
es war wohl eine ”private Kriegsbeute”, die ihre Endbestimmung
nicht mehr erreichte. Auf dem dem Einmarsch folgenden Dienstag
wurde Walhorn durch deutsche Artillerie beschossen, wobei an
vielen Häusern Dachschaden verursacht wurde. Die Kirche und
das Pfarrhaus wurden besonders stark beschädigt. Ein alter Ein-
wohner der Gemeinde, Herr Gerhard Aussems, wurde bei einem
Gang ins Dorf durch einen Granatsplitter tödlich verletzt. Auch
27
verschiedene Tiere wurden getötet. Alle elektrischen Leitungen
waren zerstört sodaß die ganze Gemeinde ohne Licht und Strom
war.
Einige Tage später wurde Walhorn praktisch vollständig iso-
liert. In dem Wäldchen am Johberg richteten die Amerikaner, ver-
mutlich für den Angriff auf Aachen, eine große Artilleriestellung -
und ein Sammellager für Panzerfahrzeuge ein.
Das Walhorner Feld war in ein riesiges Benzinlager umgewandelt
worden. Am Emmaburger Wald befand sich ein Landeplatz für
Aufklärungsflugzeuge. Alle Zugangswege waren gesperrt. In
Walhorn befand sich ein Büro der Civil-Affairs und eine Spionage-
abwehrstelle. (CIC)
Anmerkung des Verfassers: Der Beschuß am 12. Septem-
ber entstammte den Aachener Flakbatterien, die für den
Erdbeschuß herangezogen worden waren. Am nächsten Tage
verließen sie ohne besonderen Befehl ihre Stellungen und sam-
melten sich auf dem bei Weiden gelegenen Flugplatz Merzbrück.
Hauset : ....: ”Die Gemeinde Hauset war bereits seit 2-3 Ta-
gen eine Art Niemandsland gewesen. Die Deutschen hatten die
Ortschaft verlassen und die Amerikaner trafen nicht ein. Im Dorf
war es totenstill, die Bewohnen wagten sich kaum aus ihren Häu-
sern, man war ziemlich kopflos. Ein deutsches Geschütz schoß
an diesem Tag wiederholt ins leere Dorf, durch die Granaten wur-
den Sachschäden an mehreren Häusern verursacht und einige
Stück Vieh getötet. Personen kamen nicht zu Schaden. Man at-
mete auf, als endlich am 12. September vom Hauseter Feld her
und an der Kapelle vorbei die Amerikaner erschienen. Mehrere
deutsche Soldaten hatten sich von ihrer Einheit abgesetzt und
hielten sich auf Bauernhöfen versteckt. Beim Eintreffen der Ameri-
kaner ergaben sie sich.
Hergenrath :..... : ”Auch in Hergenrath vollzog sich der Ein-
marsch am 12. September kampflos. Um 13.30 Uhr, so erzählte
man uns, verließ der letzte Deutsche (ein Leutnant) den Ort und
um 13.45 Uhr erschien der erste amerikanische Panzerwagen.
Die Amerikaner kamen aus Richtung Astenet und Walhorn.
An der Kirche wurde ein deutscher Soldat durch die Ameri-
kaner verwundet. Es war ein junger Mann aus der näheren Um-
gebung, der seine Einheit verlassen hatte und sich nach Hause
begeben wollte. Er befand sich auf einem Fahrrad und beachtete
28
nicht die Haltrufe der Amerikaner, die daraufhin auf ihn schossen
und ihn am Bein verletzten. Etwa 14 Tage nach der Befreiung
schoß vermutlich in der Nähe des ehemaligen Pelzerturmes
aufgestellter deutscher Panzer während mehrerer Nächte in das
Dorf, glücklicherweise wurde nur Sachschaden an einigen Häu-
sern verursacht.
Anmerkung des Verfassers : Der Pelzerturm und der Aache-
ner Wald - etwa bis zu seinem Ostrand - waren in festem Besitz
der Amerikaner. Die Aufstellung eines deutschen Panzers scheint
daher ausgeschlossen. f
Raeren: .....: ”In dem mehr abseits von der Hauptstraße
Eupen-Aachen gelegenen Raeren zogen die Amerikaner am 12.
September 1944 ebenfalls kampflos ein. Eine Panzerkolonne
drang gegen 13.00 Uhr über die Mähheide und den Katharinen-
pley zur Dorfmitte vor. Im späten Nachmittag gegen 6 Uhr traf ei-
ne weitere Kolonne aus Merols über Ravenhaus ein. Die Amerika-
ner fuhren bereits über Rott zum Bahnhof auf Rötgen zu und teils
über Marienthal nach Sief. Die letzten Deutschen hatte man am
Morgen des gleichen Tages gesehen. Einige Panzerspähwagen
fuhren über Katharinenpley in Richtung Kettenis, kehrten aber be-
reits eine halbe Stunde später wieder zurück.
Am Abend vorher hatten die Amerikaner vermutlich von Eu-
pen aus mit etwa 20 Granaten den Bahnhof von Raeren beschos-
sen; einige andere Granaten pfiffen von der Ketteniser
Landstraße über die Mähheide, richteten aben keinen besonde-
ren Schaden an. Ein oder zwei Tage vorher war am Bahnhof ein
deutscher Zug mit Schanzarbeitern durch zwei amerikanische
Flugzeuge beschossen worden. Die Maschine wurde zerstört,
der Maschinist und der Heizer getötet. Von den Arbeitern wurde
keiner verletzt. V
Eynatten: .....: ” Am 10. September erteilte Pfarrer Joseph
Becker, in Anbetracht der drohenden Gefahr, seinen Gläubigen
nach dem Gottesdienst den Apostolischen Segen.
.....! ”Eynatten ist wohl die Gemeinde des Kantones Eupen,
wenn nicht der drei Ostkantone, die am schwersten unter den Be-
freiungskämpfen gelitten hat. Wir lassen nachstehend eine
Eynattener-Einwohnerin zu Wort kommen, die uns diesen
Schreckenstag schilderte.
29
”Es begann am Dienstag, dem 12. September, um 5 Uhr
morgens, als amerikanische Tiefflieger die zurückflutenden Deut-
schen mit Bordwaffen und Bomben angriffen. Bald griff auch die
amerikanische Artillerie ein, sodaß ein Einschlag dem anderen
folgte. Die amerikanischen Maschinen flogen sehr tief, oft selbst
unter die Telefonleitungen durch.
Die Deutschen waren noch in der Gemeinde, man hatte den
Eindruck, daß sie sich in Eynatten festsetzen wollten.
Am Vortage waren an der Eupener Straße, in der Nähe des
ehemaligen Straßenbahndepots, einige deutsche Panzerwagen
in Stellung gegangen; sie versuchten, den Einmarsch der Ameri-
kaner aufzuhalten.
Eynatten war scheinbar die letzte Station vor Aachen. Die
Einwohnerschaft war bereits einige Tage vor dem 12. September
aufgefordert worden, die Gemeinde zu evakuieren, aber niemand
kümmerte sich um den Befehl, man zog es vor, zur Hause zu blei-
ben. )
Bereits mehrere Tage vor dem 12. war es in Eynatten sehr
unruhig gewesen; die in Richtung Aachen fliehenden Kolonnen
wurden ständig durch amerikanische Kampfflugzeuge angegrif-
Während es sich vorher mehr um sporadische Angriffe gehandelt
hatte, hörte der Beschuß am 12. fast während des ganzen Tages
nicht auf, bis endlich gegen 17.00 Uhr nachmittags von der Hau-
seter Straße her die ersten amerikanischen Tanks in Eynatten ein-
fuhren. Die Deutschen schienen sich endgültig zurückgezogen
zu haben, hier und da schoß noch ein vereinzelter Infanterist auf
die amerikanichen Flugzeuge, einer selbst aus der Kellertreppe
heraus. Langsam kamen die Bewohner aus ihren Häusern und
besahen sich den durch den Beschuß angerichteten Schaden.
Gegen Mittag war das ”Vlattenhaus” an der Hauseter Straße
durch eine Bombe vollständig zestört und auch sonst an zahlrei-
chen Häusern erheblicher Schaden verursacht worden. Aber das
Schlimmste sollte noch kommen. Gegen 21.00 Uhr abends setzte
plötzlich von beiden Seiten ein heftiger Artilleriebeschuß auf Ey-
natten ein. Von der Aachener Seite schossen die Deutschen und
von der gegenüberliegenden Seite die Amerikaner in das Dorf;
sie glaubten scheinbar, die Ortschaft sei vom Feind besetzt, wäh-
rend in Wirklichkeit ihre eigenen Truppen bereits in dieselbe ein-
gezogen waren. Glücklicherweise dauerte der Angriff nur 10 - 15
Minuten, aber welcher Schaden war in der kurzen Zeit angerichtet
30
worden. Kein einziges Haus in ganz Eynatten war unbeschädigt
geblieben, kein Dach und keine einzige Fensterscheibe waren
ganz geblieben, die ganze Lichtleitung war zerstört. Das große
landwirtschaftliche Anwesen Keller an der Eupener Straße war in
Brand geschossen worden und brannte nieder. Die Bäckerei
Mennicken an der Lichtenbuscher Straße und das Anwesen Thy-
wissen auf Berlotte wurden schwer beschädigt. Das Gemeinde-
haus und die Schule wurden ebenfalls schwer mitgenommen, an
vielen Häusern wurden die Mauern durchlöchert usw.
Zahlreiche Tiere wurden getötet oder verletzt. Bei der Zivil-
bevölkerung waren glücklicherweise keine Verluste zu beklagen.
Dagegen erlitten die Amerikaner bei dem abendlichen Artillerie- -
duell ansehnliche Verluste, sie wurden teils durche deutsche, teils
durch eigene Granaten‘ getroffen. Während des Tages hatten -
auch die Deutschen schwere Verluste erlitten. Einige Tage nach
der Befreiung fand man in einer Wiese noch die Leichen von 5
deutschen Soldaten. Später hatte Eynatten nicht mehr unter dem
Kriegsgeschehen zu leiden, wenn man von einigen vereinzelten
Bomben .absieht, die keinen besonderen Schaden verursachten.
Die Amerikaner stießen von Eynatten aus bis hinter Köpfchen vor,
um den Angriff auf Aachen vorzubereiten. Als einziges Zivilopfer
von Eynatten ist der Briefträger zu melden, der sich am 11. Sep-
tember noch nach Eupen auf den Weg machte, um die Post ab-
zuholen, er wurde durch eine amerikanische Kugel getötet.”
”Plündernde Horden, die den Amerikanern folgten, hofften,
wertvolles Diebesgut abtransportieren zu können, doch wußten
amerikanische Offiziere diesem Ansinnen schnell Einhalt zu ge-
" Dieten.?
Für die bereits vor der Belagerung zu 65% zerstörte Stadt
Aachen sollte es noch 6 Wochen dauern, bis der letzte Kampf-
kommandant, Oberst Gerhard Wilck, nach schweren Häuser-
kämpfen, am 21. Oktober 1944, die Waffen streckte. Seine späte
Einsicht, den Kampf aufzugeben, paßte einer noch am 15. Okto-
ber nach Aachen eingeschleusten SS-Einheit nicht. Eine Gruppe
richtete, wie erst heute bekannt wurde, ihre Waffen gegen die zum
Abmarsth in, die Gefangenschaft bereitstehenden Kameraden
der 246. Volksgrenadier-Division.
Für die den Häschern der Partei und Gestapo entgangenen
Aachener endete die Zeit der Verfolgung. Sie wagten sich erst
ans Tagenslicht, als die Amerikaner auftauchten. Leider wurden
31
sie von diesen in ein Lager nach Brand oder in ein solches nach
Homburg gebracht, um dort bei Hunger und Kälte das Ende der
Kämpfe abzuwarten. Besonders schlimm für sie war, daß sie spä-
ter festellen mußten, daß den Amerikanern plündernde und maro-
dierende Haufen folgten, die sich in den von ihnen verlassenen
Häusern an dem dort vorfindlichen Hab und Gut bereicherten.
Gottlob duldeten die Amerikaner so etwas nicht. Indem sie die
Stadt nach allen Seiten abriegelten, setzten sie diesem Treiben ein
Ende.
Deutscherseits versuchte die Gestapo von der Nebenstelle
Schleiden aus, Frontläufer zur Erkundung in den Raum Eupen-
Malmedy einzuschleusen. Der ehemalige Eupener Gestapochef
Schneider setzte vorzugsweise ortskundige Kriminal- und Zollbe-
amte ein, die ihre Erkundigungen über amerikanische Truppen-
bewegungen entweder persönlich oder durch eine im Raum Ey-
natten installierte Funkstelle weiterleiteten. Das Verhalten der Be-
völkerung unter der amerikanischen Herrschaft wurde ebenfalls
streng beobachtet, wie die heute vorliegenden Protokolle bewei-
sen. An dem Kommandounternehmen zur Ermordung des ersten
Aachener Oberbürgermeisters Oppenhoff waren ebenfalls ‘orts-.
kundige Beamte beteiligt.
Quellen :
Tagebuch der Deutschen Reichsbank Aachen
Fritz Memminger, Aachen im September 1944
Grenz-Echo v. 11.09.1954, Nr. 210, 5.3 ff.
32
Das Katharinenstift von Astenet
von Peter Zimmer
In der rund 400 Einwohner zählenden Ortschaft Astenet liegt
auf einer Anhöhe, umrahmt von Wiesen mit saftigem Gras, ein
ziemlich großer Gebäudekomplex mit Namen KATHARINEN-
STIFT, der auch heute noch von der Asteneter Bevölkerung viel-
fach, genau wie früher, ”Kloster” genannt wird.
Kirchlich gehört Astenet zur Pfarre Walhorn, seit der Zusam-
menlegung der Gemeinden vor einigen Jahren sind die Einwohner
jedoch Bürger der Großgemeinde Lontzen geworden. .
Von der Bergstraße und dem Königsweg aus ist die Hinteran-
sicht vom Stift auf der Anhöhe sehr gut sichtbar; von Walhorn oder
Astenet aus erblickt man nur den Turm der Kapelle und einen Teil
des Gebäudes.
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Das Stift, von der Hochstraße aus gesehen. Rechts der landwirtschaftliche Betrieb; in
der Mitte der Turm der Johannis-Kapelle u. das Schwesternhaus; links der ehemalige
Wasserturm und Notausgänge.
(Foto A. Jansen)
33
Wenn man sich aber von ”Neuhaus” über die Hochstraße nach
Astenet begibt, ist das Stift rechter Hand, wie auf vorstehendem
Foto zu sehen.
Biegt man gegenüber dem Mützhof von der Hochstraße in die
Nierstraße ein, so befindet man sich gleich im eigentlichen Ortskern
Astenets. Chäteau Thor, früher Besitz der Familie Heyendal und
heute von den Nachkommen der Heyendals (Fam. Lambertz) als
Hotel geführt, liegt zur Linken, das kleine Johanniskapellchen zur
Rechten.
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Eine Aufnahme von Chäteau Thor aus längst vergangenen Zeiten. Am vorderen rech-
ten Bildrand die Johanniskapelle, im Hintergrund das Katharinenstift,
{(Repr. A. Jansen)
Uns entgegen kommt der sogenannte Groetbach, der in der
Nähe der Walhorner Molkerei entspringt und von Astenet aus in
Richtung Lontzen fließt, wo er dann Lontzener Bach genannt wird.
In Neu-Moresnet fließt dieser Bach in die Göhl, Er ist vielfach auch
als Hornbach oder Hohnbach bekannt.
35
Folgen wir der Nierstraße. Eine kleine Brücke führt nach etwa
150 m über den Groetbach zu einem großen landwirtschaftlichen
Anwesen, dem sog. Reule(n)haus (17. Jh.); an der Ecke die ”alte
Schmiede” mit Fachwerk und der Jahreszahl 1585 im Türsturz.
Rund 50 m weiter liegt das Gut ”Stump”, erb. 1695. Es folgt
als letzter Hof an der Nierstraße das sog. Panhaus, auch Asteneter
Hof genannt, ursprünglich wohl das Brauhaus der Herren von Aste-
net. (Pan = Pfanne = Braukessel, vgl. Pannes v. Pan-Haus in Her-
genrath).
Zur rechten haben wir nun die ausgedehnte Parkanlage des
Katharinenstifts, zu dem ein befestigter Weg, die ”Stiftstraße”,
führt.
ENT. BD
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Ein Teil der Parkanlage, in der das Katharinenstift verborgen liegt.
(Foto A. Jansen)
36
Entstehung des Katharinenstifts
Vor rund 100 Jahren lag an der Stelle, wo sich heute das Kat-
harinenstift befindet, ein Gutshof mit Namen Weide. Ein Aachener
Rentnerehepaar, Gerhard Rehm und Katharina Ervens, hatte die-
sen Hof käuflich erworben. Das Ehepaar hatte keine Kinder. Eines
Tages erkrankte Frau Rehm ernstlich und mußte in ein Kranken-
haus aufgenommen werden. Sie kam nach Neuß zu den Barmherzi-
gen Schwestern vom hl. Augustinus, kurz Augustinerinnen ge-
nannt. Die Schwestern pflegten die Patientin mit außergewöhlicher
Hingabe. Dennoch erlag Frau Rehm am 23. April 1887 ihrer
Krankheit. Kurz vor ihrem Tode hatte sie aus Dankbarkeit für die
liebevolle Pflege, die sie seitens der Schwestern erhalten hatte, testa-
mentarisch festgelegt, daß ein beachtlicher Teil ihres Vermögens 4
den Augustinerinnen für wohltätige Zwecke zur Verfügung gestellt
werden solle.
Daraufhin faßte Herr Rehm den Entschluß, auf seinem in
Astenet gelegenen Gut ”Weide” eine Wohltätigkeitsanstalt zu er-
richten und das dazu noch fehlende Geld aus seinen eigenen Mitteln
zur Verfügung zu stellen. In einem persönlichen Schreiben vom 26.
September 1888 beschrieb der edelmütige Gerhard Rehm, zu wel-
chen Zwecken die Anstalt erbaut werden solle, und zwar hauptsäch-
lich, um in den umliegenden Ortschaften eine ambulante Kranken-
pflege einzuführen. Dazu kamen noch drei Nebenzwecke :
1. Die Aufnahme und Unterweisung von schulentlassenen katholi-
schen Mädchen, zur Erlernung von Haushalt und Küche;
2. Die Aufnahme von Damen beider Konfessionen als Pensionärin-
nen oder um dieselben mit der Krankenpflege vertraut zu machen;
3. Die Aufnahme und Verpflegung katholischer Waisenkinder,
Knaben und Mädchen.
Schon am 17. Oktober 1888 erhielten die Barmherzigen
Schwestern die kirchliche Erlaubnis vom Erzbistum Köln, sich in
der ihnen angebotenen Anstalt in Astenet niederzulassen und die-
sen noblen Aufgaben zu widmen. Drei Monate später, am 14. Ja-
nuar 1889, wurde ihnen hierzu auch die erforderliche Genehmigung
seitens der Regierung erteilt. Dadurch konnten die Schwestern, de-
ren Mutterhaus in Neuss stand, in Astenet die 13. Niederlassung ih-
rer Genossenschaft gründen und die Verantwortung für die ”Stif-
tung Rehm” übernehmen.
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Dieses Foto aus den Jahren 1887-1888 zeigt das Gut ””Weide”” während der Umbau-
arbeiten zum Katharinenstift,
Unter dem 17. Juni 1889 schrieb die Oberin des Mutterhauses
dem Walhorner Bürgermeister : ”Ich habe verflossenen Sonnabend
eine Schwester und eine Postulantin nach Astenet geschickt, zur
Vorbereitung der Einziehung unserer Schwestern in die Anstalt auf
dem Gute des Herrn Rehm. Ich beehre mich Euer Wohlgeboren
hiervon Anzeige zu machen und werde Ihnen auch den Einzug der
Schwestern daselbst mitteilen. Ich erlaube mir schon jetzt, dieselben
bzw. ihre Wirksamkeit Euer Wohlgeboren Wohlwollen zu empfeh-
len, nicht zweifelnd, daß die Thätigkeit der Niederlassung dem Hau-
se so wie der Gemeinde und Umgegend zum Heil gereichen werde.”
Am 2. Juli 1889 ließen sich die drei ersten Schwestern in Aste-
net nieder, am 2. September des gleichen Jahres folgte eine vierte.
Es waren noch junge Schwestern, die mit dem Aufbau von Astenet
betraut wurden : Ursula Rodenkirchen (Sw. Ludovica), 35 J., Ka-
tharina Esser (Sw. Martha), 27 J., Sibilla Bienefeld (Sw. ...), 20 J. und
Margaretha Sustern, 23 J.
38
Die Schwestern begannen gleich mit ihrer Arbeit, d.h. sie eröff-
neten als erstes eine Haushaltungsschule. Die Mehrzahl der jungen
schulentlassenen Mädchen, die in Astenet während drei Jahren in
der Führung eines Haushaltes unterrichtet wurden, kamen von aus-
wärts.
Die Schwestern hatten auch keine Mühe, ihr Pensionat für äl-
tere Damen zu belegen. Als Dauerpensionäre wurden diese Damen
von den Schwestern, bei denen sie sich sozusagen eingekauft hatten,
liebevoll betreut.
Nur die Errichtung einer Waisenanstalt für Knaben und Mäd-
chen blieb vorerst ein Fernziel und konnte bis Kriegsausbruch 1914
nie verwirklicht werden. i
Die alljährlich von der Gemeindeverwaltung der Regierung zu
übermittelnde ”Nachweisung des Personal-Bestandes” der in der
Gemeinde bestehenden Ordensniederlassungen erlaubt es uns, von
der Gründerzeit bis 1914 die Entwicklung des Stiftes zu verfolgen.
Wir stellen fest, daß die Zahl der Ordensschwestern in Astenet in
den ersten 25 Jahren nie höher als 9 gelegen hat. Meist waren es 6
oder 7 Schwestern, die recht häufig wechselten.
Die ständige Anwesenheit der Schwestern veranlaßte den Eu-
pener Pfarrer und Dechanten Richartz am 27. Juli 1889 dazu, ein
Schreiben an das Erzbischöfliche Generalvikariat in Köln zu richten
mit der Bitte um die Genehmigung, im Katharinenstift zu Astenet
ein Betzimmer (Oratorium), in dem auch das hl. Meßopfer gefeiert
werden könne, einrichten zu dürfen.
Schon am darauffolgenden 2. August erhielt der Dechant fol-
gendes Schreiben vom Generalvikariat :
”Auf Ew. Hochwürden Gesuch vom 27.v.M. gestatten wir hiermit,
daß in dem Oratorium der Anstalt für Kranke zu Astenet, nachdem
Herr Pfarrer Labaye oder ein anderer von ihm zu substituierender
Priester dem genannten Oratorium die Benedictio erteilt hat, die
heilige Messe gehalten werden kann.”
Noch im gleichen Monat, am 20. August 1889, fand in diesem
Oratorium, das man in einem Raum über dem großen Speisesaal auf
der 1. Etage eingerichtet hatte, die feierliche Einweihung des Stiftes
durch den Eupener Dechanten statt. Es erhielt den Namen der Stif-
terin und wird auch heute noch Katharinenstift genannt. Während
der Meßfeier gedachte der Walhorner Pfarrer Labeye der Stifterin
mit ehrenden Worten und Dankesbezeugungen.
39,
Die am 8. August 1889 vom Erzbistum erteilte Erlaubnis, das
Allerheiligste im Oratorium aufzubewahren, war an die Bedingung
geknüpft, daß wenigstens einmal in der Woche in diesem Raum die
Messe gefeiert werde.
Fast zwei Jahre später, am 21. Januar 1891, erteilte Köln die
Genehmigung, im Oratorium 14 Kreuzwegbilder anzubringen, de-
ren Segnung am 21. Februar 1891 erfolgte.
Nun war die Kapelle des Asteneter Klosters zwar ein ”Oratori-
um publicum”, ein öffentliches Bethaus also, aber dennoch erinner-
te die Kölner Behörde den Walhorner Pfarrer am 17. März 1891
daran, daß es nicht jedem freistehe, an Sonn- und Feiertagen der
Messe daselbst beizuwohnen. Wörtlich schrieb das Vikariat :
”Schulpflichtige Kinder, gesunde junge Leute (Eisenbahnbeamte
ausgenommen), können an Sonn- und Feiertagen nicht zur Kapelle
zugelassen werden!”
Das Testament von Gerhard Rehm
Am 4. April 1892, etwa sechs Monate vor seinem Tode, der am
1. Oktober 1892 eintrat, erschien der in Aachen wohnhafte Rentner
Gerhard Rehm in Begleitung zweier Zeugen vor dem königlichen
Notar Hubert Adams in dessen Amtsstube zu Aachen und erklärte,
daß er seinen Schwager Joseph Ervens sowie die nachbezeichneten
Schwestern von der Regel des hl. Augustinus aus dem Mutterhaus
zu Neuss zu Universalerben seines gesamten Nachlasses einsetze.
Die Genannten sollten denselben gleichmäßig unter sich teilen.
Bei den Schwestern handelte es sich um Sibilla Düring (Sw.
Franziska), die seit dem 12.12.1890 Vorsteherin der Asteneter Nie-
derlassung war, Gertrud Jansen (Sw. Waldburga) und Christina
Orths (Sw. Juliana). Die beiden Letztgenannten waren im Mutter-
haus in Neuss ansässig. In Art. 15 und 16 seines Testamentes be-
stimmte Gerhard Rehm wörtlich :
”Den drei Schwestern Franziska, Waldburga und Juliana vermache
ich hiermit zur Erweiterung und zur besseren Durchführung der
Zwecke des zu Astenet bestehenden Katharinenstiftes das teils in
der Gemeinde Walhorn und teils in der Gemeinde Lontzen gelegene
Gut ”Gypenhag” auch ”Geppenhag” genannt, mit allem An- und
Zubehör, in der Ausdehnung wie sich solche aus der vor dem
Kataster-Kontrolleur Dreyhus zu Eupen im November 1887 ange-
fertigten Karte ergibt und wie die jetzige Anpächterin desselben,
Frau Witwe Kalff, es zur Zeit bewirtschaftet.
40
An das Vermächtnis knüpfe ich jedoch folgende Bedingungen,
welche von den jeweiligen Inhabern des Katharinenstifts zu Astenet
zu erfüllen sind :
Meine und meiner verlebten Ehegattin Verwandte weiblichen Ge-
schlechts bis zum 6. Grade einschließlich, sollen auf Verlangen der
betreffenden Berechtigten im besagten Katharinenstifte zu Astenet
oder dessen Zubehör freie Wohnung, ärztliche Behandlung und
Verpflegung in der Art, wie sie Fremde gegen Entgelt gewährt wird
und allen dort gebotenen Unterricht, sowie die sonst Fremde gegen
Bezahlung gebotenen Vorteile und Wohltaten unentgeltlich erhal-
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Anspruch auf Verabreichung geistiger Getränke haben die Be-
rechtigten jedoch nicht, es sei denn, daß der Arzt solche verordnet. 5
Auch dürfen die Verwandten niemals eine Sicherheitsleistung we-
gen Erfüllung dieser Verplfichtungen, sowie auch keine Eintragung
ihres Rechtes im Grundbuche beanspruchen und es darf die Zahl
der Verwandten, die im Katharinenstifte diese Wohltaten in An-
spruch nehmen, zur nämlichen Zeit niemals mehr als 3 betragen.
Tritt eine größere Konkurrenz ein, so soll vor allem der größere
Grad der Bedürftigkeit für die Aufnahme bestimmend sein.
Den besagten drei Schwestern vermache ich hiermit das gesam-
te Mobilar, welches sich zur Zeit meines Todes in der mir und mei-
ner Dienerschaft vorbehaltenen Wohnung in Astenet befindet.”
Gerhard Rehm starb am 1. Oktober 1892 in seiner Asteneter Woh-
nung; den Barmherzigen Schwestern hinterließ er noch einen be-
achtlichen Teil seines Barvermögens.
Der Kapellenbau
Zum Nachlaß des verstorbenen Gerhard Rehm gehörten auch
mehrere Häuser in Aachen, die nun den Schwestern zufielen. 1897
faßte man den Entschluß, zwei dieser Häuser zu verkaufen und den
Erlös zum Ausbau des Asteneter Stiftes, vor allem zum Bau einer
Kapelle, zu verwenden. Der Umstand, daß das Katharinenstift 1897
einen ständigen Hausgeistlichen erhielt, mag die Bauentscheidung
mit beeinflußt haben. Rektor Heinrich Fischerswooring aus Steele
b. Essen war 1866 zum Priester geweiht worden. Nach Kaplansjah-
ren in Breinig hatte er als Rektor im Stolberger Hospital gearbeitet,
ehe er nach Astenet kam. 1899 heißt es von ihm, er sei ”wegen sei-
nes leidenden Zustandes” - Nervosität - nicht imstande, andere seel-
sorgliche Pflichten zu übernehmen.
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Das Gut Gyppenhag in Lontzen, das G. Rehm der Schwestern testamentarisch ver-
machte,
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Das Katharinenstift von Gyppenhag aus gesehen. Im Vordergrund die Umzäunung
des ehemaligen Sportplatzes.
(Fotos A. Jansen)
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Ansicht der Stiftskapelle und des gleichzeitig erbauten Rektorhauses.
Foto A. Jansen
Der Rektor war ein eifriger, kluger und frommer Mann. Er hat
sich in Astenet vor allem um die Jugend verdient gemacht und hat
manchen Jugendlichen auf ein höheres Studium vorbereitet. Zwei
weitere Häuser mußten die Schwestern in Aachen verkaufen, um
den Kapellenbau zu finanzieren. Am 8. August 1899 erfolgte die
Grundsteinlegung; gleichzeitig wurde der Bau des Rektoratshauses
in Angriff genommen. Am 22. August des folgenden Jahres konnte
der Hergenrather Pfarrer Rainer Aloysius Mertz die Kapelle einwei-
hen.
In den folgenden Jahren konnte dank vielen großzügigen Spen-
den die Inneneinrichtung der Kapelle angeschafft werden. Franz
Müllenbruck aus Rheinbach fertigte 1901 den Hauptaltar und den
Beichtstuhl. Zwei sinnvolle Hochreliefs, Abraham und Isaak einer-
seits und das Opfer des Melchisedechs andererseits, darstellend, prä-
gen den Altar. Die Kommunionbank stammt ebenfalls aus der
Werkstatt des Franz Müllenbruck. Sie trennt das Chor der dem hl.
Johannes dem Täufer geweihten Kapelle vom Kirchenschiff.
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| Am 19.10.1890 starb im Kloster zu Astenet die Generaloberin der Augustinerinnen.
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Vorderansicht des Katharinenstiftes.
(Fotos A. Jansen)
Die drei Chorfenster sowie die Orgelbühne sind durch die Be-
sitzer von Mützhof, Robert Kesselkaul und dessen Ehefrau Anna
geb. Hartung, in den Jahren 1901 und 1903 gestiftet und von W.H.
Jansen aus Trier geliefert worden.
Die Umbauarbeiten am rechten Langbau des Stiftes wurden
1906-1907 durchgeführt, wie aus den Aufschriften über dem Tor-
eingang zum Innenhof und am Schwesternhaus hervorgeht.
Der schöne Sinnspruch, der über einem Fenster der Vorder-
front zu lesen steht : ”Ohn’ Gottes Gunst All’ Bau’ umsunst” hat
sich beim Umbau des Katharinenstiftes bewahrheitet.
1907 wurde die Inneneinrichtung der Kapelle durch zwei Seiten-
altäre (F. Müllenbruck) vervollständigt. Im folgenden Jahre
schenkte Frl. Lülsdorf der Kapelle neue Stationsbilder, die durch
den Franziskanerpater Dorotheus am 15.3.1908 gesegnet wurden.
Nachdem Rektor Fischersworring die Reliquien für den Haup-
- taltar, für deren Anschaffung er selbst gesorgt hatte, am 26. Mai
1910 erhalten hatte, konnte die feierliche Weihe des neuen Gottes-
hauses durch den Kölner Weihbischof Müller am 3. Juni 1910 vor-
genommen werden.
z (Fortsetzung folgt)
45
Vor rund 300 Jahren
von Alfred Bertha
Von den Kriegswirren und Verwüstungen des ausgehenden
17. Jh. blieb kein Dorf der Bank Walhorn verschont, wenn auch
einzelne mehr als andere darunter zu leiden hatten. 1656-59, 1668,
1675-77 und 1683-84 waren besonders harte Kriegsjahre. In einer
Bittschrift der Bank Walhorn vom 12.12.1683 an ”Monsieur de Ma-
hieu, Intendant du Comte de Chiny” heißt es, durch die vorherge-
gangenen Kriege seien die Menschen in so große Not geraten, daß in
einigen Dörfern die Hälfte, in anderen 2/3 der Bewohner weggezo-
gen seien. Die Häuser stünden leer und die Güter lägen brach, da die
wenigen noch verbliebenen Bewohner trotz größter Mühe sogar ih-
re eigenen Güter nicht mehr halten könnten. ”Sie haben”, so heißt
es wörtlich, ”um ihren Anteil an den Abgaben zu entrichten, ihre
Frucht verkaufen und ihr Vieh verpfänden müssen, wovon sie doch
dieses Jahr leben müßten.” (1) Eine andere, an ”Seine Exzellenz” ge-
richtete Bittschrift aus dem Jahre 1685 weist auf die traurige Lage
der Landbevölkerung hin, die den französischen Forderungen nicht
nachkommen habe können. Die Franzosen hätten fast die Hälfte
der Bank Walhorn eingeäschert als Vergeltung der durch die Trup-
pen Seiner Majestät in Frankreich verübten Verwüstungen. Die
Bankbevölkerung habe die brandschatzenden Franzosen nicht ab-
wehren und sie habe ihnen nicht wie manche andere Geld anbieten
können. So hätten sie im vergangenen Sommer während zwei bis
drei Monaten ihre Habe verlassen und in den Wäldern wie Verbre-
cher sich verstecken müssen, während die Truppen des Marquis de
Joyeuse in der Bank ihrer Willkür freien Lauf ließen.
Und da die Bittsteller im vergangenen Winter wegen Futter-
mangels den größten Teil ihres Viehbestandes verloren haben, be-
finden sie sich in einem solchen Zustand der Armut und Not, daß
sie sich und ihre Familien nicht zu ernähren wissen; die Felder blei-
ben brach liegen, da weder Pferde noch Saatgut vorhanden sind. Da
sie jedoch den Beschluß der Stände achten wollen, haben sie für die
Abgaben an Seine Majestät gestimmt, in der festen Hoffnung, daß
ein Großteil derselben ihnen angesichts der erlittenen Verluste und
ihrer Armut erlassen werde ...” (2)
(1) Staatsarchiv Lüttich, Gerichtsakten Walhorn Nr. 216 b.
(2) Ibid. Auf diese Eingabe hin wurde der Bank die Hälfte ihrer Quote an den 40.000
dem König bewilligten ”Aydes” erlassen.
46
Kaum hatten die französischen Truppen Mitte Juli 1684 das
Land geräumt, da ging man in den einzelnen Dörfern daran, eine
Bestandsaufnahme der erlittenen Schäden vorzunehmen. In den
Akten der ehemaligen Hochbank Walhorn finden wir solche Scha-
denslisten der Orte Hergenrath, Kettenis und Raeren.
Unter dem 16. Juli und 20. Oktober 1684 wurden die Erklä-
rungen der Hergenrather Geschädigten von den Schöffen Gulpen
und Moresnet in Anwesenheit vereidigter Zimmerleute entgegen ge-
nommen (3). Sie gaben an, was sie durch Einquartierungen und
Plünderungen, durch Brandschatzung u. anderes durch die französi-
schen Truppen unter dem Kommando von Milas und dem des Mar-
quis de Joyeuse verloren hatten. .
Der ”Ehrwürdige Herr Pastor” gab an, durch Milas Truppen ge-
plündert worden zu sein und an Hafer, Heu und Stroh einen Verlust
von insgesamt 100 Gulden erlitten zu haben.
Jacob Simons hatten die Truppen von Milas für 268 Gl, die des
Marquis de Joyeuse für 160 Gl geschädigt. Darüber hinaus war sein
Haus in Flammen aufgegangen, was mit 800 Gulden. zu Buche
schlug.
Laber Moresnet gab 814 Gulden an Verlust durch Einquartie-
rungen und Plünderung an. Sein abgebranntes Panhaus (d.h. Brau-
haus) bedeutete für ihn einen Schaden von 350 Gl.
Jan Kerff verlor Haus mit Stallung im Werte von 700 Gulden; die
Soldaten von Milas und de Joyeuse fügten ihm überdies noch für
340 Gl Schaden zu.
Die Wwe Joris Becker gab einen Schaden von 144 Gl an.
Dierich Laschet hatte einen Verlust in Höhe von 400 Gulden.
Wwe Jan Meutter kam auf 172 Gulden;
Jan Dansen auf 120 Gulden;
Petter Becker auf 52 Gulden.
Bei Willem Friderichs wurden Haus und Stallungen zerstört (1000
Gulden) und die durch die Soldaten verursachten sonstigen Schäden
beliefen sich auf 260 Gulden.
(3) Zwei verschiedene Truppeneinheiten suchten 1683/84 das Walhorner Land heim.
Die Soldaten unter dem Kommando von Milas rückten am 12. Oktober 1683 in
Hergenrath ein. Die dadurch und bis Juli 1684 erlittenen Schäden wurden am
16.7.1684 aufgenommen. Ende Juli 1684 kamen die Truppen des Marquis de Joy-
euse, die ganz fürchterlich plünderten und brandschatzten. So erklärt sich wohl,
daß die Schadenserklärungen ein 2. Datum, das des 20. Oktober 1684, tragen.
47
Herman Moresnet verlor Haus und Stallung im Werte von 1200
Gulden. Milas’ Soldaten schädigten ihn für 500 Gulden, die des
Marquis de Joyeuse für 300. Seine Scheune auf der Gillisheide wur-
de ebenfalls zerstört (300 Gl).
Wwe Jan Stickelman verlor durch die Truppen des Obersten Milas
250 Gulden; die Armee des Marquis de Joyeuse nahm ihr für 260
Gulden. Scheune und Stallungen wurden zerstört : 700 Gulden.
Arnolt Peil hatte einen Verlust von insgesamt 316 Gulden;
Pier Bonny von 287 Gulden;
Palm Straet verlor durch die Truppen von Milas 750 Gulden, durch
die des Marquis de Joyeuse 800 Gulden. Sein Wohnhaus und Stal-
lungen brannten ab, was einen Schaden von 1800 Gulden bedeute-
te. Ein zweites ihm gehörendes Haus auf der ”Gillisheide” wurde
ebenfalls ein Raub der Flammen. Es wurde zu 400 Gulden abge-
schätzt.
Der Wwe Louwys Fobriaen wurden Scheune und Stallungen zer-
stört; sie hatten einen Wert von 800 Gulden. Die Soldaten fügten
ihr darüber hinaus einen Schaden von insgesamt 1550 Gulden zu.
Bei Gillis Francois wurde der Schaden an Haus, Scheune und Stal-
lungen mit 800 Gulden angegeben. 200 Gulden betrug der Schaden
am Anteil des abgebrannten Hauses von Aret Johannes und 580
Gulden verlor Francois durch Einquartierung etc.
Lambert Schins bezeichnete den Schaden an Haus und Stallungen
mit 700 Gulden. Milas’ Truppen und die des Marquis de Joyeuse
richteten weiteren Schaden für 100 bzw. 320 Gulden an.
Gerhardt Clöcker verlor Haus und Stall, die zu 320 Gulden abge-
schätzt wurden. Seine weiteren Verluste durch die Truppen betru-
gen 232 Gulden.
Jacob Schrul gab einen Verlust von 195 Gulden an.
Claes Simons rechnete für Haus und Stallungen 550 Gulden. Die
weiteren Verluste betrugen 185 Gulden.
Treis Stickelman der Junge hatte den Verlust von Haus und Stall zu
beklagen, was er mit 500 Gulden angab. Ein weiteres ihm gehören-
des Haus auf ”Schmitzberg” im Werte von 350 Gulden wurde eben-
falls zerstört. 200 Gulden betrug der Schaden, den die Soldaten un-
ter dem Kommando von Milas ihm zugefügt hatten und 120 Gul-
den gingen auf das Konto der Truppen des Marquis de Joyeuse.
Haus, Scheune und Stallungen des Heinrich Ganser im Werte von
1000 Gulden wurden zerstört. 400 Gulden betrug der sonst ange-
richtete Schaden.
48
Gillis Capuin verlor Haus und Stallungen : 1200 Gl.
Dreiss Ganser gab seinen Schaden mit 160 GI an.
Bei Gillis Doven brannten Haus und Stallungen ab; der Schaden
wurde mit 350 Gulden beziffert. Durch Einquartierungen und Plün-
dern kamen noch 172 Gulden hinzu.
Willem Rademecker erklärte 72, Tonnis Gillissen 160, Jan Parques
320 und Nellis Schrul 93 Gulden an Schaden gehabt zu haben.
Bei Petter Becker dem Alten nahmen die Soldaten an Frucht, Four-
rage und anderem für 144 Gulden, bei Tonnis Breuwer an Fourrage
und Möbeln für 12 Gulden.
Heinrich Doerlender brannte das Haus ab. Der Schaden betrug 180
Gl.
Die Wwe Jan Froon (Name unsicher) verlor an Mobilien für 362 %
Gulden; Haus und Stallungen wurden zerstört. (664 Gulden).
Gillis Lamberts verlor ebenfalls Haus und Stallung im Werte von
200 Gulden. Die Truppen von Milas und de Joyeuse fügten ihm
weiteren Schaden in Höhe von 306 Gulden zu.
Dreissen Stickelman am ”Falder” (das heutige Gut Barth am ”Vau-
er”) hatte durch Einquartierungen und Plünderung einen Schaden
von 1260 Gl. Mit 3.200 Gulden gab er den Schaden für das abge-
brannte Haus mit Stallung, Scheune und Backhaus an.
Jan Cloet gab 80 Gulden an Schaden an.
Merten Temmerman bezeichnete den Schaden am Haus mit 500,
die sonstigen Verluste mit 100 Gulden.
Das Haus des Schein Graff wurde zerstört : 1200 Gulden. Der Päch-
ter Tilman Cockelman verlor an Fourrage und Mobilien für 100
Gulden.
Dem Meier Beelen brannten Haus und Stallungen und Scheune
und andere Gebäulichkeiten ab. Er bezifferte den erlittenen Scha-
den auf 7.050 Gulden. (Meier Beelen wohnte auf Gut Bertholf).
Der Pächter des Schöffen Hermen Moresnet verlor Vieh, Fourrage
und Ernte im Werte von 548 Gulden. Das Haus des Schöffen (der
nicht in Hergenrath wohnte) wurde zerstört.
Wwe Merten Breuwer verlor an Mobilien für 50 Gulden.
Der Pächter des Herrn Beelen gab seinen Schaden durch Salveguar-
den, Fourrage, Plündern ”und andere Mobilien, die im Hause ver-
brannt sind” mit 1.056 Gulden an.
”Des weiteren erklären die Bewohner Hergenraths, der Armee
unter dem Kommando des Marquis de Joyeuse Hafer und Früchte
und Gegenstände abgeliefert zu haben sowie auch ihren Anteil an
49
den Kühen, die sie durch Exekution an Milas und anderswo liefern
mußten, erbracht zu haben, was zusammen 684 Gulden ausmacht.”
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Von den etwa 40 Häusern, die Hergenrath damals zählte, wa-
ren 25 von den Franzosen niedergebrannt worden. Bei zwei weite-
ren waren nur Scheune und Stallungen ein Raub der Flammen ge-
worden. Bei der damaligen Bauweise (Fachwerkhäuser mit Stroh-
dach) blieben nicht mal die Grundmauern stehen. Nur einige wenige
der angegebenen Häuser können wir bisher lokalisieren.
OO OR OR all
In Kettenis kampierten die Franzosen ein erstes Mal am 12. Ja-
nuar und ein weiteres Mal am 13. Februar 1684. Am 19. Juli 1684
wurde ein Verzeichnis der dadurch erlittenen Schäden angelegt. (4)
Es zeigt, daß die Franzosen vor allem Vieh und Futter requiriert ha-
ben. Häufig verlangten sie ein ”Lösegeld” für das Vieh, das sie bei
Nichtzahlung der geforderten Summe mitzunehmen drohten. Den
Verlust an ”mobelen”, d.h. Mobilien, wozu der gesamte Hausrat bis
hin zu Woll- und Bettdecken zu rechnen ist, beklagen ausnahmslos
alle Geschädigten. Die Soldaten handelten nach dem damals gelten-
den Grundsatz, daß der Krieg den Krieg zu ernähren habe.
Im folgenden beschränken wir uns auf die Namen der Geschä-
digten. Es sind : Bartholomees Leiberts (heute Liberts), Peter Schlu-
pers, Lentz Carnoel, Jan Geilen d. Alte, Hendrich Eidem, Jan Born,
Jan Eidem, Jan Smits, Willem Cardoel, Dreis Cnops, Wwe Peter
Lamberts, Frans Leiberts, Willem Morgenbroet, Wwe Lennert
Heun (= Höhn, Hoen), die Hausfrau des Joncker Kessel, Kerst Ra-
demecker, Jan Eidem, Derich Welter, Cornellis Franck, Wwe Lei-
bert Leiberts, Jacob Cardoel, Nicolaes Meuth, die Hausfrau des Jo-
hannes Wernier, Thonnis Schreur, Jan Lambert, Matthis Kreins,
Mercken Geilen, Michil Geilen, Wwe Peter Klein, Jan Strangh,
Claes Carnoel, Wwe Hein Carnoel, Hoppert Strangh, Merx Teller,
Jan Bart, Krein Flam (für Tom Scheul), Claes Claessen, Cornellis
Fet, Jan Hausman, Cornellis Schonck, Jan Havenith, Lennart
Kerst, Krein Fey, Willem Cardoel, Emont Cartzillis, Jan van Geth,
Lens Hausman, Claes Hagelstein, Ketlen Schol, Hendrich Schonck,
(4) Staatsarchiv Lüttich, Gerichtsakten Walhorn, 216 a.
50
Jan Carnoel, Wwe Krein Neus, Wwe Claes Heyendal, Jan Lamberts
Michil, Servaes Davids, Jan Hamel, Jan Heren, Matthis Neus, Wwe
Hendrich Hamel, Wwe Willem Scheven, Lennart Momber, Jan
Geilen d. Junge, Derich Cardoel, Hein Henkelman, Wwe Arnold
Misero, Krein Flam (für Anneken Smits), Wwe Peter Smits, Peter
Scheven und Jan Janssen.
Die Gesamtschadenssumme belief sich auf 6.091 Gulden. Da
eine Milchkuh einen Wert von etwa 20 Gulden hatte, entspricht
dies mehr oder weniger dem Wert einer Kuhherde von 300 Stück!
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Eine weitere, am 3. (?) Oktober 1684 vor den Walhorner Schöf-
fen abgegebene Schadenserklärung für Kettenis bezieht sich auf den X
”schaeden so habben geleden van de troubben van die Franssen ge-
daen tzeder (= seit) den 29 July onder de Commanden van Marquis
de Joyeuse”. Das Originaldokument umfaßt 8 Seiten, die wir hier
auf das Wesentliche gekürzt wiedergeben. (5)
Kerres Kersten, Pächter des Hauses Liberme, erklärt an Heu, Stroh,
Früchten und allen anderen Mobilien für 870 Gulden 11 St geschä-
digt worden zu sein.
Wwe Willem Secheven : Heu, Stroh, Früchte und andere Mobilien :
100 GI
Die Hausfrau des Hendrich Eidem : Heu, Stroh, Früchte und ande-
res: 220 GI
Jan Heren : Heu und anderes : 50 GI
Lennaert Cull : Früchte und anderes : 32 Gl
Jan Schoff : Heu und andere Mobilien : 24 Gl
Hendrich Lambert : Früchte, Heu, Stroh und andere Mobilien : 100
GI
Hoppert Stelgen : Heu, Früchte, Stroh und anderes : 320 GI
Peter Thyl: Heu, Früchte und Stroh u. anderes : 150 G1
Gill Geilen : Heu und Mobilien : 69 Gl
Krein Flam : Heu, Stroh, Früchte und andere Mobilien : 84 Gl
Jan Bart : idem : 40 GI
Cornellis Schonck : Früchte und Stroh : 20 GI
Wwe Toenis Gillens : Heu und andere Mobilien : 32 GI
Jan Heusch : idem 40 GI
Thonis Schreur : idem : 100 Gl
(5) Staatsarchiv Lüttich, Gerichtsakten Walhorn, 216 a
51
Willem Cardoel : Früchte und anderes : 100 Gl .
Jan Janssen : Heu, Stroh, Früchte und andere Mobilien : 200 Gl
Wwe Hendrich Hamel: Heu, Früchte und andere Mobilien : 250°
Gl
Jan Havenith : Heu, Früchte, Stroh und andere Mobilien : 200 Gl
Wwe Jan Eidem : Früchte, Stroh und andere Fourrage und Mobi-
lien: 127 GI
Wwe Lennart Hoen: Heu, Früchte und anderes : 64 Gl
Cornellis Fet : Heu, Stroh und anderes : 100 Gl
Jan Hausman : Heu, Früchte, Stroh und andere ”Mittel” : 80 Gl
Wwe Peter Clein : Heu, Stroh, Früchte und anderes : 332 Gl
Merx Teller : Heu, Früchte, Stroh und anderes : 200 Gl
Jan Geilen : Heu, Früchte, Stroh und anderes 332 Gl
Derich Welter : idem : 80 GI
Hendrich Schonck : Früchte und Fourrage : 30 GI
Emont Carcillis : Früchte, Fourrage, Mobilien : 53 G1
Lentz Hausman : Fourrage und Mobilien : 44 GI
Jacob Cardoel : idem 56 GI’
Die Hausfrau des Jan Carnoel : Fourrage und Früchte : 48 GI
Frans Liberts : idem : 298 Gl
Kerst Radermecher : Früchte, Fourrage und Mobilien : 576 Gl
Lentz Carnoel : Fourrage und Früchte : 56 GI
Jan Eidem : Früchte und Fourrage und Mobilien : 332 GI
Peter Schlupers : Früchte und Fourrage : 600 Gl
Die Hausfrau des Lennart Kerst : Fourrage und Mobilien : 112 GI
Wwe Claes Heyendall : Fourrage und Früchte und Mobilien : 154
GI
Die Hausfrau des Cornel Joes Wernier : Früchte und Fourrage :
148 GI
Cornellis Franck : Heu, Früchte und Stroh : 168 G1
Bartholomees Liberts : idem : 114 Gl
Peter Nickel : 20 GI
Claes Cull : Fourrage und Früchte : 50 G1
Andreis Cnops : Mobilien : 16 GI
Jan Strangh : Früchte, Fourrage und Mobilien : 800 GI
Krein Fey : Fourrage und Mobilien : 40 GI
Die Hausfrau des Claes Hagelstein : Früchte und Fourrage : 32 Gl
Der Schöffe Smits : Früchte, Fourrage und andere Mobilien : 580
GI
52
”Desgleichen hat derselbe Smits in seiner Eigenschaft als Ein-
nehmer der Gemeinde Kettenis ”om bestens wil ende meer aenderen
verderffelijcken Schaeden vortecoemen” ( - um die Franzosen besser
gesinnt zu machen und größeren Schaden abzuwenden -) den Fran-
zosen 95 Gulden bezahlt. Auch hat derselbe Smits als Anteil der
Kühe, die die Ortschaft Kettenis an die französischen Truppen in
Baelen liefern mußten, für 21 Kühe 443 Gulden ausgegeben.”
Desgleichen hat derselbe als Ketteniser Anteil an dem Hafer,
der an die französische Armee in Aisneux (= Esneux) geliefert
wurde einschließlich der Fracht und der Säcke. die die Franzosen
zurückbehalten haben, 529 Gulden ausgelegt. &
Auch hat derselbe dem Fuhrmann Lennart Connart, um 5 Ta- .
ge mit 3 Pferden ins französische Lager nach Baelen zu fahren 37
Gulden bezahlt und dem Lens Hausman, der ihn begleiten mußte, 5
Gulden.”
Willem Lambertz : Früchte und Fourrage : 20 Gulden
Hoppert Strangh : Fourrage : Früchte und Mobilien : 500 GI
Derich Cour, Pächter von Weims : Früchte, Fourrage und Mobi-
lien: 500 Gl. Auch ist der Vorhof total abgebrannt und dafür an
Lohn für die Zimmerleute, das Dachwerk und das Decken des
größten Teils mit Schiefer, macht zusammen (wie getrennt angege-
ben)
Claes Claessen : Heu und anderes : mindestens 56 Gulden
Jan Lambert : Heu, Früchte und andere Fourrage : 56 Gl
Jan Kever : Fourrage : 20 Gl
Claes Hennen : Fourrage : 36 Gl
Jan Lamberts Michil : Fourrage : 32 Gl
Claes Meuth : Fourrage : 332 GI
Lennart Momber : Fourrage und Mobilien : 32 Gl
Willem Morgenbroet : Fourrage : 136 Gl
Jan Hamel : Fourrage, Mobilien, Vieh : 314 GI
Servaes David : Fourrage : 20 Gl
Die Hausfrau des Junkers Kessel: Fourrage und Mobilien : 56 Gl.
”Auch sind die Franzosen am 17. September zur Exekution in
die Bank Walhorn gekommen und sind dort 6 Tage geblieben, um
sich das zu nehmen, was das Land ihnen noch schuldete, und Kette-
nis hat für die Exekution 221 Gl geben müssen.”
53
Die für Schloß Weims angekündigte getrennte Erklärung hat
folgenden Wortlaut :
”Die Wwe des gewesenen Herrn Bürgermeisters van Wijers, ”vrou-
we tot Weyms”, erklärt, daß die Franzosen im vergangenen Februar
das adlige Haus Weyms sehr beschädigt haben. Den Vorhof dessel-
ben in der Bank Walhorn gelegenen Hauses mit Stallungen und
Scheunen haben sie total niedergebrannt, sowie auch ihren gesam-
ten Pachthof in Astenet in derselben Bank gelegen und gleich groß,
mit Scheunen, Stallungen etc. Auch haben sie das gesamte Heu und
die Sommer- und Winterfrüchte dieses Jahres mitgenommen, wel-
cher Schaden wohl auf ungefähr 3.000 Pattacons zu schätzen ist,
was ich notfalls zu beeiden bereit bin.”
Antoinette von Merode d’Hoffalise
Witwe von Wylre.
OO a RO OlOIOROR RO R-
Ein noch umfangreicheres Dokument liegt uns aus Raeren vor.
Es umfaßt 16 Seiten, ist aber leider stark beschädigt und nur noch
unvollständig zu entziffern. Aufgenommen wurde die Erklärung am
19. Oktober 1684. Da viele bodenständige Raerener Namen da-
rin auftauchen, wollen wir es im Wesentlichen wiedergeben.
Die Franzosen ließen auf ihrem Durchzug durch Raeren, - das
genaue Datum ist leider nicht angegeben -, ziemlich alles mitgehen,
was nicht niet- und nagelfest war. Auch zerstörten sie hier manches
mutwillig. Da die Aufstellung auch die Namen derjenigen gibt, die
keinen Schaden erlitten haben, erlaubt sie uns auch, uns ein Bild
von der Größe des Ortes Raeren um 1684 zu machen.
Hier die Namen der in der Liste Angegebenen mit den durch
dieselben erklärten Verlusten :
Die Hausfrau des Jan Emonts
Gerard Timmerman : Heu und Stroh, 16 Hühner, Butter und Haus-
rat
Baldem Emonts der Alte : Fourrage, Plündern, Geld
Peter Emonts Born d. Junge : Heu, Stroh und Salz (6)
Jan Pesch : 72 Morgen Hafer abgemäht, geplündert und Glasschei-
ben zerschlagen
Jan Emonts Born
(6) Die Raerener Töpfer hatten einen großen Bedarf an Salz, das sie von weither (Un-
na in Westfalen) holen mußten.
54
Baltus Mennecken : Fourrage für 4 Gulden und Töpfe für 12 Gul-
den genommen.
Baldem ... Geplündert
Wwe Claes Blutgen : Heu und Stroh
Wwe Jan Michiels : Wolle und Leinen und 1 Paar Schuhe
Willem Emonts Botz : Heu, Stroh und Hafer
Die Hausfrau des Lennert Kittel Jonck : Heu, Hausrat, unter ande-
rem eine ”Zartz” (d.h. eine Wolldecke).
Willem Emonts alt : nichts
Krijn Pesch : eine Wolldecke, 5 Pfund Butter, 3 Brote, 4 Käse, 3
Gilasscheiben, Leinenzeug und Hemden, Loskauf der Kühe.
Hubert Haffniet : Heu und Stroh, Plündern, das Hausdach beschä- N
digt.
Emont Emonts gast : Heu, Korn, Hafer, Haus beschädigt
Theves Pitz : Heu und Stroh; auch Töpfe zerschlagen und ein
Leimfaß genommen.
Henrick Emponts Botz : Hafer, Erbsen und Gerste
Emont Emonts Dreisch (= Driesch) : Stroh und anderes
Emonts ...: Geld und 1 1/2 Faß Korn
Crein Emonts Born : Fourrage
Willem Emonts’ Hausfrau : Hafer und Plündern
Die Hausfrau des Jan Bongart: 3 Faß ”boetzen”, 4 Faß Korn,
Hemden, Schlaflaken und anderes Zeug.
Die Hausfrau des Johannes Kersten : Heu um 3 Kühe und ein Kalb
den Winter über zu füttern.
Armus (?) Flukerich : 4 Doppelkarren seines besten Heus, 1 Stück
Hafer von ungef. 4 Müdden abgemäht, Stroh, Spelz mit dem Stroh,
Butter, Käse, Hühner, 1 Hahn, eine Axt ”und andere Hausmöbel”.
Die Hausfrau des Jan Cupper : Heu, Stroh und Linnen.
Paulus ... : 10 Brote, 5 Hühner, Hemden und anderes Leinen, Fen-
sterscheiben
Jengen Meider : Bett und Bettkleid und anderes Linnen
Willem Will ... Schoenmecker : 2 Gulden
Die Hausfrau des Jacob Boedem : Butter, Käse und Hühner
Die Hausfrau des Thijs Pitters : Plünderung und ”Loskauf” von 5
Stück Vieh.
Die Hausfrau des Willem Mol : Fourrage, Hemden, Brot, Käse und
Hühner.
Merten Roderborgh : Käse, Hühner, Heu und Stroh.
Jan Koemath : 2 Karren Heu und drei Karren Erbsen sowie 6 Hüh-
ner.
55
Die Hausfrau des Willem Leut : Heu
Die Hausfrau des Willem Paque : 4 Faß Hafer mit dem Sack, 3 Faß
Korn, 12 Hemden, 2 Pfund Garn, 5 Hühner und 4 Brote.
Die Hausfrau des Joris Crutz : Heu, zwei Hühner und Butter
Jan Schoenmecker : 3 Müdden Hafer, Stroh, 2 Faß Erbsen, ”ende
andere plundereyen”.
Die Hausfrau des Lennert Breul : Hafer, Stroh und Möbel.
Die Hausfrau des Vaes Roederborgh : ”Loskauf” ihrer Kühe und
Plünderung
Willem Reuffir : 7 Hühner
Wwe Nelles Pitz : 2 Karren ungedroschenen Hafer, 1 Karren Heu,
”Loskauf” der Kühe, 3 Hühner und 1 Hahn.
Die Hausfrau des Lambert Schmit : 4 Hühner, 2 Pfund Butter,
Hemden, Bettlaken und ”Weißmehl”.
Wwe Matthijs Pitz : Plünderung ”ende aen potten in stucken ges-
laeghen” (- Töpfe zerschlagen -) für 28 Gulden
Wwe Thijs Scheffer : Lösegeld für ihre Kühe.
Die Hausfrau des Jan Paqu€ : Schuhe, Butter, Eier, 4 Brote und
Korn.
Jan Paque der Junge :‘Heu, Stroh, 2 1/2 Faß Erbsen, Hemden und
anderes Leinen
Claes Hermans erklärt Schaden erlitten zu haben durch das Zer-
schlagen seines Haustores, Lösegeld für die Kühe und 4 Hühner.
Lennert Dommen : geplündert.
Die Hausfrau des Nellis Roderborgh : Erbsen, Stroh, Korn, Hüh-
ner, 1 Korb;
Mergen Rouck : nichts
Wwe Frederich Mol: nichts
Die Hausfrau des Merten Arnolt : 9 Faß Hafer, 40 Bündel Stroh,
1/2 Faß Korn, 5 Pfund Butter, 8 Hühner und anderen Hausrat;
Die Hausfrau des Houbert Haffnyet : Korn, Stroh, Hemden und
Hühner.
Michel Hompers : 2 Faß Erbsen, 2 Faß Korn, Roggenstroh, Butter
und andere Sachen.
Krein Kohemaet : Fourrage für 7 Pferde und zwar Heu, Hafer und
Weizen; dazu Kleider und ein Türschloß.
Wwe Jan Schoemecker : 2 Faß Korn und 2 Faß Spelz
Gillis Emonts Botz : 3 Karren Heu und Loskauf der Kühe.
Wwe Evert Feulkerigh : 2 Karren Heu, Weizen und Stroh; 7 Hüh-
ner, 4 Pfund Butter, 3 Brote, 2 Stücke Fleisch, eine Wolldecke,
Hemden und Kleinzeug
56
Herman Laschet : 6 Hühner, Korn, Stroh, Lösegeld für 6 Kühe
Die Hausfrau des Baldem ... artz : 8 Hühner und Hausrat
Die Hausfrau des Geilles Claes : Heu, Geld, Brot und Eisenware
Die Hausfrau des Jan Winrichs : 3 Karren Heu und Stroh
Die Hausfrau des Mathijs Scharis : Geplündert
Dederich van ..., Schoenmecker : Heu.
Ewald Kroppenbergh : Heu und Hafer, Plünderung von Hausrat
Die Hausfrau des Merten Crot : Heu, Stroh und 4 Hühner
Houbert Mol: Erbsen und ”Bernen” / (= Brennen?) an seinem
Haus”
Die Tochter von Jan der Wal: Heu MM
Adam Kannebecker : Heu, Hafer, Erbsen und Stroh
Merten Laschet : geplündert |
Jan Emonts Breuwer : Heu
Lennert Dommen: 1 Kalb, 1 Huhn und 1 Brot.
Die Hausfrau des Peter Laschet : 6 Faß Korn, 7 Hühner und Lei-
nen für 2 Gulden.
Willem Schlender : Hausrat und 2 Hühner
Herr Born: 12 Karren Heu, 6 Malter Korn mit den Säcken, 6 Müd-
den Hafer, 300 Bündel Stroh, 3 Betten mit Decken und Laken, Pfer-
degeschirr, 30 Pfund Butter, 40 Hühner und Hähne, 200 Eier, 8 Aa-
chener Gulden, 5 Schafe, 1 Kuh totgeschlagen, für 80 Gulden Lei-
nen, Eisenwaren, 18 Brote, Karrenketten. Alles zusammen für 873
Gulden.
Jan Pitz : Möbel geplündert.
Der Sohn der Wwe Peter Emonts Dreisch : Möbel und Heu
Jan Menneken für die Hausfrau des Peter Menneken : nichts
Jan Crutz, Pächter des Herrn Broeck : Butter, Brot, Käse, eine
Kuh totgeschlagen, 4 Rinder verloren, Loskauf von 6 Kühen, Holz
verbrannt.
Merten Roederbourgh : Fourrage für 28 Gulden.
Lennart Mennecken : Heu und Stroh
Die ”Naeberen” (d.h. Einwohner) des ”Quartiers” (Ort) Raeren
erklären durch die Franzosen i.J. 1684 1651 Gulden Schaden erlit-
ten zu haben.”
OO all Ok
Die Schadenserklärungen von Hauset nehmen sich neben dem
Vorhergehenden gering aus (7). Die ”specificatie van den Schade
(7) Staatsarchiv Lüttich, Gerichtsakten Walhorn, 216 a
87
soo einige particuliere von Hossent geleden van de Frantze Ao 1683
ende Ao 1684” enthält 11 Namen, und zwar :
Clas Gilles : verlor Vieh und Pferd und Leinen für 124 Gulden; *
Lenert Cossa (?) gibt 12 Gulden an.
Frans Schomacher 20 Gulden.
Petter Flibisch 18 Gulden
Jan Boschof 35 Gulden
Willem Koffersleger nahmen die Franzosen 3 Kühe, Schweine und
anderes für 192 Gulden
Phlip Kittel wurde geplündert für 24 Gulden.
Mathijs Hellebrants Witwe genannt Trein Colringen hatte 54 Gul-
den Schaden.
Arnolt Roetheudt 24 Gulden;
Die Wwe des ehemaligen Meiers Peter Mees erklärt 89 Gulden
Schaden gehabt zu haben.
Gillis Lamberts hat Heu und Stroh für 12 Gulden verloren.
Diese Aufstellung wurde am 19. Juli 1684 gemacht. Es handelt
sich auf jeden Fall um eine unvollständige Erklärung, denn wir wis-
sen aus anderer Quelle, daß die Franzosen im Januar 1684 sämtli-
che 22 Häuser Hausets angezündet haben.
CO al ala al RR all
Aus Hauset liegt auch eine Erklärung vom 18. Juli 1684 vor.
Sie ist z.T. durch die vereidigten Zimmerleute Willem Timmerman,
Lennart Claes und Claes Temmerman, zum Teil durch die direkt In-
teressierten abgegeben worden.
Claes Temmerman gibt an, in Astenet Haus, Scheune und Stallung
des Mees Meessen und Jan Wilt besichtigt zu haben und den durch
die Franzosen durch Brandlegung verursachten Schaden auf minde-
stens 382 Pattacons zu schätzen.
Auch in Hauset besichtigten die oben genannten Zimmerleute
das durch die Franzosen niedergebrannte Haus mit Scheune und
; Stallungen von Mees Meessen und Jan Wilt, wo der Schaden sich
auf 380 Pattacons belief.
Dieselben visitierten auch die durch die Franzosen niederge-
brannten Häuser von Mees Lamberts, Claes Timmerman und Pet-
ter Franck.
Willem Timmerman erklärt unter Eid, daß die Franzosen ihm an
Geld und Möbeln für 37 1/2 Pattacons genommen haben.
Claes Timmermann erklärt unter Eid, daß die Franzosen ihm einen
58
Schaden von 10 Pattacons zugefügt haben.
Mees Lamberts erklärt unter Eid, daß die Franzosen ihm an Heu
und Stroh für 7 Pattacons verbrannt haben.
Arret Osseman erklärt unter Eid, daß die Franzosen ihm an Bier
und sonstwie für 4 1/2 Pattacons Schaden zugefügt haben.
aa al ll al ala al al ala alla RR
Wie sich die unruhigen Jahrzehnte des ausgehenden 17. Jh. auf
die Bevölkerungszahlen in der Bank Walhorn ausgewirkt haben,
wäre eine Untersuchung wert. ®
Nach 1684 setzte für die Dörfer an Iter und Göhl eine lange ‚,
Friedenszeit ein; vor allem die österreichische Zeit (ab 1714) brachte
für die österreichischen Niederlande, zu denen unser Gebiet gehör-
te, wirtschaftlichen Aufschwung und einen Wohlstand, von dem
heute noch viele Bauten Zeugnis ablegen.
>
Anemone
von M. Th. Weinert
In dem alten Laub der Buchen
blüht der sechsgezackte Stern.
Stieg er aus den dunklen Gründen,
eine neue Welt zu suchen?
Daß es wieder Frühling werde,
wahr wird, was die Meisen künden,
schimmert über Wintererde
helles Blumenangesicht,
zittert zart in kühlen Winden,
aufgetan dem neuen Licht.
60 d
73: es ° ° ° 99
Die Göhl ist biologisch tot!
von Alfred Jansen
Unter obigem Titel erschien am 8. März d.J. ein Artikel im
Grenz-Echo, der sich mit der Verschmutzung der Göhl und den
möglichen Sanierungsmaßnahmen auseinandersetzte. Wir nehmen
dies zum Anlaß, die Probleme der Wasserverschmutzung, besonders
derjenigen des Göhlbachs, etwas eingehender zu analysieren. Wir
stützen uns dabei auf eine vom Wallonischen Staatssekretariat für
Umweltfragen, Raumnutzung und Wasserwirtschaft im Jahre 1981
herausgegebene Broschüre. (1)
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Es hört sich jedesmal wie ein Aufschrei an, wenn Schreckens-
meldungen über Fischsterben und Wasserverseuchung durch die
Presse gehen. Man sollte sich jedoch einmal Gedanken machen
über das Woher und Wieso.
1) ”La qualite des eaux courantes en wallonie””, Bassin de la Meuse.
Verfasser sind Prof. J. Lambinon vom Botanischen Institut der Universität Lüt-
tich und seine Mitarbeiter J.-P. Descy und Alain Empain.
61
Die älteren Generationen, die die Göhl noch von früher ken-
nen, werden sich bestimmt erinnern, daß zumindest bis Kelmis der
Bach glasklar war. Kein Wunder : zur damaligen Zeit standen wir ja
auch noch vor der gewaltigen Bevölkerungszunahme der letzten
Jahrzehnte und vor allen Dingen kannte man noch nicht unsere mo-
dernen Errungenschaften, wie Bad oder Wasserspülung sowie per-
fekte Abflußkanalisation. Leute, die sich damals so etwas leisten
konnten, gehörten der gehobenen Gesellschaft an und waren rasch
gezählt. Man verfügte im allgemeinen über ein ”Plumpsklo”, dessen
Inhalt dem Garten zukam, und der Waschzuber diente am Wochen-
ende als Badewanne, die dann vor oder hinter dem Haus ausgekippt
wurde. Alle anderen Abwässer zogen durch offene Rinnen oder
Gräben ab, so daß ein Teil wieder in der Erde versickerte.
Mit dem gewaltigen Bevölkerungszuwachs und unserer moder-
nen Wohnkultur haben sich die Zeiten geändert, hat sich der Was-
serverbrauch vervielfacht. Man hat demzufolge die Abwässer in Ka-
nalisationsrohre verlegt, die, einem Naturgesetz folgend, immer dem
am tiefsten gelegenen Anlaufpunkt zuströmen; das ist in diesem Fall
der Göhlbach. So wundert es einen nicht, wenn etwas unterhalb des
Quellgebiets die Göhl trotz Kläranlagen schon nicht mehr einwand-
frei ist. (2)
Trägt die Autobahn auch ihren Teil zur Verschmutzung des
Baches bei? Wer möchte das bestreiten? Einen analogen Fall ken-
nen wir ja in Spa mit dem Lac de Warfaaz und der Autobahn in Tie-
ge.
Wir haben in Hergenrath an der Hammerbrücke die gewaltige
Mülldeponie hart am Wasserlauf; da sickert an Regen- und
Schmelzwasser eine ganze Menge in den Bach. Was diese Flüssigkei-
ten auf ihrem Weg durch den Müllberg an Schadstoffen mit sich
führen und welche Zeitbombe solch eine Deponie darstellt, kann
sich jeder selbst ausmalen.
Campings haben sich an den Ufern der Göhl breit gemacht
und trotz allen erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen in bezug auf
2) Bei einer kürzlich stattgefundenen Ortsbesichtigung konnten wir feststellen, daß
die auf der Flur Totleger entspringende Hauptquelle der Göhl, die unter die Straße
Eynatten-Lichtenbusch durch das Neubaugebiet am Landwehring führt und ver-
rohrt ist, nach etwa 500 m als stinkende Kloake wieder zutage tritt.
62
Hygiene und Sauberkeit ist eines nicht zu vermeiden : wo Menschen
wohnen und leben, fallen Abfall und Unrat an, und davon be-
kommt der Bach seinen Teil ab. Aber was nützt das Aufzählen aller
möglichen Verunreinigungen? Der Bach ist stellenweise im höch-
sten Grade verschmutzt und mehr noch : das Grenz-Echo vom Frei-
tag, dem 8. März dieses Jahres, betitelt wie eingangs erwähnt einen
Aufsatz : ”Die Göhl ist biologisch tot!” Es saßen da in Kelmis Ang-
lervereine und Vertreter der verschiedenen Gemeindebehörden zu-
sammen und beratschlagten, wie der Verschmutzung der Göhl bei-
zukommen wäre. Seitens der Angler wurde ein Untersuchungsbe-
richt von Professor Philipaert aus Lüttich vorgelegt, der den Zu-
stand des Baches geradezu als katastrophal bezeichnete. Von seiten
der Gemeindevertreter wurde unterstrichen, was zu der ganzen
Abwässer-Infrastruktur schon gemacht worden und was noch zu
machen sei.
Aber sehen wir uns doch einmal die allgemeine Lage an. Ste-
hen wir da nicht ohnmächtig vor Problemen, die uns über den Kopf
gewachsen sind? Mülldeponien von erschreckenden Ausmaßen, wo
man nur hinschaut. Ist eine Deponie voll, wird Erdreich darüber ge-
kippt; Gras und Sträucher wachsen darauf und ”aus den Augen, aus
dem Sinn”. Aber die Bombe tickt im Untergrund weiter, und diese
Giftkonzentrationen machen sich früher oder später bemerkbar.
Die Luft, das Wasser, die Erde, ist das alles nicht schon auf dem be-
sten Wege, uns eines Tages das Überleben unmöglich zu machen?
Werden wir nicht trotz aller erdenklichen Gegenmaßnahmen doch
eines Tages den kürzeren ziehen?
Versuchen wir doch einmal, uns in groben Zügen einen Ein-
blick in die Materie, die uns interessiert, zu verschaffen, in das Öko-
logiesystem eines Flußlaufes und, da es brennende Aktualität ist,
dessen Verschmutzung.
Um das Ökologiesystem eines Fluß- oder Bachlaufes zu verste-
hen, muß man es, da es aus verschiedenen sich ergänzenden Ele-
menten besteht, aus drei hauptsächlichen Blickwinkeln betrachten.
Da wäre zuerst der physische Aspekt.
Abhängig vom Bodenrelief, der Breite und Tiefe des Flußbettes so-
wie der Geschwindigkeit der Strömung und seiner Turbulenz und
somit auch der Bodenstruktur, hat ein schnell dahinfließendes Was-
ser meistens einen felsigen oder steinigen Untergrund, wogegen
langsam fließende Gewässer gewöhnlich einen sandigen oder moori-
gen Boden aufweisen. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist der Tem-
63
peraturunterschied zwischen einem langsamen und einem schnell
dahinfließenden Wasserlauf. Dann ist letztlich noch die Sonnen-
energie zu erwähnen, die dazu beiträgt, das ganze System zu erhal-
ten.
Das sind im großen und ganzen die physischen Eigenschaften,
die das tierische und pflanzliche Leben eines Flußlaufes bestimmen.
Der chemische Aspekt ist zum großen Teil an die Art des felsigen
Flußbettes gebunden. Durch ihre Auswirkungen auf den Mineral-
stoffwechsel der Pflanzen und die Photosynthese beeinflußt die che-
mische Beschaffenheit des Wassers sehr stark die pflanzliche ”Be-
siedlung”.
Im Wasser finden wir zahlreiche chemische Stoffe, die für das
Leben in diesem Element unentbehrlich sind. Dazu gehören z.B.
Sauerstoff und Phosphor. Während manche mineralische Substan-
zen, z.B. Eisen und Mangan, überall vorkommen, sind andere nur in
begrenzten Mengen vorrätig. Dazu gehören Nitrate und Phosphate.
Die Konzentration dieser Stoffe ist für das Gleichgewicht und die
Entwicklung der Organismen ausschlaggebend. Eine Anreicherung
des Wassers durch Phosphate kann zur Folge haben, daß sich die
Wasserflora stärker entwickelt. Wenn dies auch auf den ersten Blick
vorteilhaft zu sein scheint, so kann es doch den Nährhaushalt be-
denklich stören.
Zwei Gase sind für das ökologische Gleichgewicht des Wassers
von besonderer Bedeutung : Sauerstoff (02) und Kohlendioxyd
(CO2). Ersterer wird durch die Atmung aller tierischen und pflanzli-
chen Organismen verbraucht; er entsteht durch die Photosynthese
der Blattpflanzen. Kohlendioxyd, das für den Aufbau der organi-
schen Materie eben dieser Pflanzen notwendig ist, wird beim Ausat-
men freigesetzt.
Unter normalen Bedingungen hat das Wasser ständig Kontakt
mit der Atmosphäre und ist die Zufuhr des Sauerstoffs an das Was-
ser gewährleistet. Durch Verschmutzungen kann das Gleichgewicht
jedoch gestört werden.
Kohlendioxyd ist im allgemeinen in ausreichender Menge vor-
handen, um das Leben und die pflanzliche Entwicklung zu sichern.
Es ist wasserlöslich und kann chemisch in Form von Bikarbonaten
gespeichert werden.
Für das Gleichgewicht des Fluß-Ökosystems sind letzten En-
des vor allem die Schwankungen des Sauerstoffgehalts ausschlagge-
bend.
64
Der biologische Aspekt
Alle im Wasser lebenden Organismen sind von einander abhängig.
Über die Erzeugung organischer Materie, von CO2 und minerali-
schen Substanzen, über die Vertilgung der Materie durch Pflanzen-
fresser, die ihrerseits wiederum den Fleischfressern als Nahrung die-
nen, bis hin zur vollständigen Zersetzung der toten Materie bildet
sich ein Kreis, in dem die letzte Stufe (Zersetzung) eine fundamenta-
le Rolle spielt. Bakterien und mikroskopische Pilzkulturen sowie ge-
wisse Abfall fressende Tierarten sorgen dafür, daß der Kreis ge-
schlossen bleibt. Jede Veränderung des Lebensmilieus wirkt sich
nachteilig auf biologischer Ebene aus, was wiederum tiefgreifende
Veränderungen der physischen und chemischen Eigenschaften des ,
Wassers nach sich zieht.
Die Verschmutzung unserer Wasserlaüfe mit organischen Stof-
fen geht in der Hauptsache auf die Haushalte, die Landwirtschaft
und die Industrie zurück. Der Großteil der organischen Abfallstoffe
wird im Wasser von Mikroorganismen zersetzt. Man spricht hier
vom Prozeß der Selbstreinigung des Wassers durch den Verbrauch
von im Wasser aufgelöstem Sauerstoff.
Unter normalen Bedingungen ist der zur Selbstreinigung un-
entbehrliche Sauerstoff durch die Atmosphäre und die Photosyn-
these der Wasserpflanzen gesichert. Nimmt jedoch die Verschmut-
zung derart überhand, daß auf natürlichem Wege keine Reinigung
mehr erfolgt, dann kann es in schweren Fällen zum fast vollständi-
gen Verschwinden des Sauerstoffs und zur Bildung giftiger Substan-
zen (Ammoniak, Nitrit, Schwefelwasserstoff) führen.
Lebewesen, die auf besonders viel Sauerstoff im Wasser ange-
wiesen sind, z.B. Forellen, Larven von Eintagsfliegen usw., ver-
schwinden als erste. Nach und nach verarmen Fauna und Flora, bis
schließlich nur noch wenige anspruchslose Arten übrigbleiben.
Viele der widerstandsfähigen Arten ernähren sich von organi-
scher Materie und beteiligen sich so am Zersetzungsprozeß der Ab-
fälle, die, in Mineralsalze umgewandelt, Nahrung für Algen, Was-
sermoose und Wasserblumen sind. Das Wachstum der Wasservege-
tation hat eine verstärkte Photosynthese zur Folge, so daß die
Grünpflanzen durch Aufnahme von Abbauprodukten und Produk-
tion von Sauerstoff zur Selbstreinigung des Wassers beitragen.
Die Selbstreinigung hat jedoch ihre Grenzen in der Menge der
abzubauenden Schadstoffe und der Wassermenge, die ein Bach oder
Fluß führt.
65
Andererseits kann ein zu großes Angebot an Stickstoff und
Phosphaten im Wasser zum Phänomen der Überdüngung führen; in
dem Falle nimmt die Wasserflora derart überhand, daß abgestor-
bene Algen und Wasserpflanzen im Wasser verfaulen. Der Sauer-
stoffgehalt sinkt und damit ist die Tierwelt des Gewässers zum Ster-
ben verurteilt. Zur Überdüngung tragen in nicht unerheblichem
Maße die Landwirtschaft (Einsatz von Stickstoff) und die Haushalte
(Phosphatzusätze der Waschmittel) bei.
Reinigungsmittel und Kohlenwasserstoffe sind insofern schäd-
lich, als sie einen Film über die Wasseroberfläche legen und so den
Kontakt mit dem Sauerstoff verhindern.
Ein starker Temperaturanstieg des Wassers (etwa durch Einlas-
sen von warmen Abwässern) führt zur sog. thermischen Verschmut-
zung; diese verringert vor allen Dingen den Sauerstoffgehalt, hat ei-
nen direkten Einfluß auf die Organismen im Wasser und kann bei
Fischen parasitäre Krankheitssymptome hervorrufen.
Für die Verschmutzung durch Mineralien kommen besonders
die industriellen Abwässer in Frage. Meistens sind die giftigen
Schwermetalle, wie Quecksilber, Cadmium, Chrom, Kupfer, Blei
oder Zink nur in geringen Konzentrationen im Wasser vorhanden,
doch können sie durch die im Wasser lebenden Organismen in kon-
zentrierter Form gespeichert werden und sich dann am Ende der
Nahrungskette (- der Mensch verzehrt den Fisch -) nachteilig auf die
menschliche Gesundheit auswirken.
Aber der Mensch tut noch ein Übriges : Er baut Staudämme,
zieht Kanäle, baggert die Flußbette aus, begradigt Bachläufe, beto-
niert Ufer zum Schutz vor Überschwemmungen und zerstört da-
durch lebenswichtige Biotope.
Doch zurück zu unserer Göhl. Die von den Lütticher Wissen-
schaftlern durchgeführte Untersuchung aller Wasserläufe.des Maas-
beckens weist auch für unseren Bach einige alarmierende Werte auf.
1. Sauerstoffgehalt, organische Verschmutzung und Überdüngung :
An aufgelöstem Sauerstoff hat der Bach eine Sättigung von 50-70%
(Unterlauf) bzw. 90-100% (Oberlauf).
Ammoniak (NH4+), der bei ausreichender Sauerstoffmenge abge-
baut wird, ist für viele im Wasser lebenden Organismen giftig. Kon-
zentrationen von mehr als 0,5 mg/l deuten auf eine schlimme orga-
nische Verschmutzung hin. Die Göhl liegt im Unterlauf bei Werten
zwischen 0,1 und 0,25 mg/l und im Oberlauf (bei Bleyberg) bei Wer-
ten zwischen 0,5 und 1 mg/l.
66
An Phosphaten bietet sich ein ähnliches Bild : die Anreicherung des
Wassers mit diesen Stoffen führt zu verstärktem Pflanzenwuchs mit
den schon beschriebenen Folgen. Auch hier ist die Göhl bei Bley-
berg mit mehr als 0,5 mg/l aufs schwerste belastet; doch schon am
Oberlauf des Baches, in der Nähe von Hauset, errechnet man Werte
von 0,25-0,5 mg/l.
2. Verseuchung durch Mineralien
Chlorverbindungen : normal
Sulfate (Salze der Schwefelsäure) : normaler bis leicht anormaler Zu-
stand.
Cadmium ist in unterschiedlichen Konzentrationen vorhanden, je
nachdem, ob man das Wasser oder die Moose analysiert. Während N
am Unterlauf bedenkliche Werte gemessen wurden, ist die Lage am
Oberlauf nur leicht anormal. Untersucht man jedoch die Moose, die
das Schwermetall speichern, so ergibt sich für den gesamten Bach-
lauf eine als sehr ernst anzusehende Lage.
Chrom ist in geringen Mengen in den Moosen vorhanden, Kupfer
nur in der Bleyberger Gegend, Blei in sehr starken Konzentrationen
(in Bleyberg), während der Zinkgehalt in den Moosen bachabwärts
ständig zunimmt und durch ”starke Abweichung von der Norma-
len” bis ”sehr ernste Lage” beschrieben wird.
Zusammenfassend kommen die Lütticher Wissenschaftler zu
dem Schluß, daß die Göhl im Gebiet von Bleyberg eine starke orga-
nische Verschmutzung aufweist. Der Bach ist von Hauset bis Bley-
berg extrem schwermetallverseucht und leidet auf seiner gesamten
Länge unter einer starken Überdüngung.
Das sind Feststellungen, die uns nachdenklich stimmen
müßten. Ein schwacher Trost ist es, daß die Göhl nicht das einzige
Gewässer ist, das solche Werte aufweist. Das gesamte Flußnetz des
wallonischen Beckens ist mehr oder weniger verseucht. 5
Die Verschmutzung bekämpfen? Gewiß, mit allen zu Gebote
stehenden Mitteln, aber einen sauberen Bach wieder hervorzuzau-
bern, grenzt ans Unmögliche, es sei denn, wir schafften unsere
Industrie- und Chemiewerke ab und versetzten uns zurück ins Mit-
telalter.
Wir stehen aber fast schon mit einem Bein im 21. Jh. und können
das Rad der Geschichte und des ”Fortschritts” nicht zurückdrehen.
> Fassungslos stehen wir vor dem sterbenden Wald. Doch wann wer-
67
den wir uns bewußt, daß die Flußtäler sich wie Giftwürmer winden,
die ebenfalls ein Alarmzeichen der allgemeinen Umweltverschmut-
zung sind?
Quellennachweis :
Secretariat d’Etat a l’environnement,
A l’amenagement du territoire
et a l’eau pour la Wallonie.
68
”Kennen Sie Jacques Urlus ?”
von Alfred Bertha
So lautete die Frage, die mir vor etwa zwei Jahren unvermittelt
gestellt wurde. ”Urlus ? Kein Begriff.”
Doch nun war die Neugierde geweckt. Jacques Urlus, so sagte
der Fragesteller, sei in Hergenrath geboren und habe als Opernsän-
ger große Karriere gemacht. In den größten Opernhäusern sei er als
Tenor gefeiert worden und auch heute, 50 Jahre nach seinem Tode,
stehe der Name Urlus für einen gewissen Vortragsstil, besonders in
Wagner-Opern.
Mag der Name Jacques Urlus in den großen Opern und Kon-
zerthäusern auch heute noch einen guten Klang haben, in seinem
Geburtsort Hergenrath aber ist er vergessen. Außer der Geburtsur-
kunde und der Eintragung im Taufregister hat die Familie Urlus
hier in Hergenrath keine Spuren hinterlassen. Und doch lohnt es
sich, diesen großen Sohn unseres Ortes etwas näher kennenzuler-
nen.
Aus der genannten Geburtsurkunde erfahren wir, daß dem zu
Hergenrath wohnhaften Ehepaar Franz Joseph Urlus und seiner
Ehefrau Anna Maria Smarius am 9. Januar 1867, nachts ein Uhr,
ein Kind männlichen Geschlechts geboren wurde, dem der Name
Jakob gegeben wurde. Der Vater war 26 Jahre alt und von Beruf
Eisengießer. Er stammte aus Bocholtz, die Mutter aus Tilburg.
Von Hergenrath kommend wird die Familie Urlus am
21.9.1868 ins Bevölkerungsregister der Stadt Tilburg eingetragen.
Sie wohnte in der Karrestraat (damals Donkerstraat), im Haus Nr.
22. In Tilburg wurden den Urlus in den Jahren 1869-1881 noch 7
Kinder geboren, von denen drei im frühesten Kindesalter starben.
Am 22. Juli 1884 zog die Familie von Tilburg nach Utrecht
um, wo sie in den nächsten Jahren noch fünfmal die Wohnung
wechselte und zuletzt im Heerenweg 71 ansässig war. Der Vater
hatte in der Maschinenfabrik Smulders Arbeit gefunden und auch
der nun 17-jährige Jakob begann in dieser Fabrik als Metallarbeiter.
In Utrecht sollte denn auch die Künstlerkarriere des begabten
Sängers beginnen. Wie er selber in ”Mijn loopbaan”, 1929, schreibt,
wurde er bald Mitglied des Kirchenchores in der Franziskanerkirche.
”Dort sangen wir”, so schreibt er, ”gregorianische Musik, die mir
nicht so sehr gefiel, da man nie einen einigermaßen bedeutenden
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Jacques Urlus (1867-1935);
eine Aufnahme aus dem Jahre 1919 _
Solo-Vortrag hat. Deshalb ging ich als Zuhörer in die Augustinerkir-
che, dessen Chor die alten Messen von Verhulst und van Bree auf-
führte sowie die für den Chor bearbeiteten Messen von Haydn, Mo-
zart und Beethoven”.
Stolz erzählt Urlus, wie er bald schon eingeladen wurde, als So-
list dort zu singen, wozu er mit einer Stimmgabel probte, ”denn ein
Klavier hatte ich nicht”. Nachdem er das Solo gesungen hatte, bat
man ihn, doch Mitglied des Chores zu werden. In der Stadt hatte
sich bald herumgesprochen, daß im ”Chor op de gracht” im sonntäg-
lichen Hochamt ”so eine Pracht von Tenor” sang, der ”doch nur ein
gewöhnlicher Fabrikjunge” war. B
71
In Utrecht bestanden damals mehrere Gesangvereine, u.a. ”Fi-
delio” und ”Cantemus Domino”. In diesen beiden und noch drei an-
deren war Jakob Urlus aktives Mitglied. Langsam wurde er be-
kannt. Man engagierte ihn als Solisten bei der ”Vereeniging voor
Kerkgezang” unter der Leitung von v.d. Blij in ”Lobgesang” und bei
einem großen Treffen ehemaliger Zuaven nahm er den Solo-Part an,
obwohl drei Tage vor dem Treffen die Noten der Komposition noch
nicht vorlagen.
Am 7. Juni 1893 heiratete der Sänger die aus Utrecht stam-
mende Hendrica Johanna Jacobs und noch im selben Jahre wurde
das einzige Kind der Eheleute Urlus-Jacobs geboren, dem man die
Namen Franciscus Joseph Emanuel gab.
1894 kam für den jungen Jacques Urlus die Wende : der Am-
sterdamer Operndirektor C. van der Linden suchte talentierte Sän-
ger für die Nederlandsche Opera. Er engagierte Urlus für eine Mo-
natsgage von 150 Gulden unter der Bedingung, daß der Sänger Ge-
sangunterricht nehme ! So bewarb sich Urlus bei der renommierten
Gesanglehrerin Catharina van Rennes, die ihm jedoch mitteilte, sie
gebe Männern keinen Unterricht. Jahre später trafen beide sich bei
einem Konzert und Urlus erinnerte die berühmte Lehrerin an ihre
frühere Absage. Darauf antwortete sie : ”Ich mochte schon, aber ich
durfte nicht ! Meine Mutter ...”.
Als Gesanglehrer hatte Urlus erst den renommierten Hugo
Nolthenius und anschließend Anton Averkamp. Erst 1912, als der
Sänger international berühmt war, konnte er Averkamp die Unter-
richtsstunden bezahlen.
Doch vorerst stand Urlus weiterhin in der Fabrik, und zwar
von morgens sechs bis abends halb acht. Danach war er ”zu müde,
um aus dem Unterricht Nutzen zu ziehen”. So blieb praktisch nur
der Sonntagmorgen für den Unterricht. Den jungen Eheleuten ging
es finanziell nicht gerade gut; die junge Mutter mußte vorüberge-
hend sogar ihren Beruf als Näherin wieder aufnehmen, ”um über
die schwierigen Monate zu kommen”.
Urlus blieb nicht viel Zeit, sich auf die zukünftige Aufgabe als
Opernsänger vorzubereiten. Schon wenige Wochen nach Saisonbe-
ginn 1894 stand er im neuen Amsterdamer Opernhaus am ”Leid-
sche plein” als Fischer in ”Wilhelm Tell” auf der Bühne und sofort
fand die frische, helle Stimme des jungen Sängers große Beachtung.
Noch in derselben Saison sang er die Titelrolle in Mehul’s ”Joseph”
72
und den Beppo im ”Bajazzo” von Leoncavallo. In Utrecht trat er als
Tenor in den ”Jahreszeiten” auf, unter der Leitung von Richard
Hol.
Mit der Rolle des Max im ”Freischütz” und des Florestan im
”Fidelio” errang Urlus 1895 große Erfolge.
Doch der eigentliche Durchbruch kam mit Wagner-Rollen. Ur-
lus’ Lehrer Anton Averkamp erinnert in einer Festschrift für den
Sänger im Jahre 1919 daran, wie Urlus, der im ”Tannhäuser” die
Rolle des Walter von der Vogelweide sang, plötzlich, ohne vorher-
gehende Proben, für den krank gewordenen Pauwels die Titelrolle
übernehmen mußte und diese Aufgabe mit Bravour meisterte. Mit
”Lohengrin” feierte Urlus die größten Triumphe in seiner Frühzeit
an der Oper, aber auch im Konzertsaal machte er von sich reden. Er
sang gleich gut Englisch, Französisch und Deutsch und bald wurde
das Ausland auf ihn aufmerksam. Ein Gastspiel in Hannover führte
jedoch nicht zu einem Engagement, vor allem, weil der Sänger sich
nicht von der Heimat trennen konnte. Dem Direktor des Leipziger
Stadttheaters gelang es dennoch, Urlus für lange Jahre zu verpflich-
ten.
Leipzig bildet nach Amsterdam eine entscheidende Etappe im
Leben des Künstlers. Nach und nach singt er hier von 1910 bis 1914
alle großen Wagner-Rollen, Siegfried, Tristan, Parzifal, denen er sei-
nen Stempel aufdrückt. Hatte man bis dahin unter dem Einfluß des
Musikpädagogen Julius Kniese den ”Sprechgesang” als die Wagner
konforme Vortragsart betrachtet, so sang Urlus sein Leben lang
nach den Prinzipien des italienischen Bel Canto. Das war, vergleicht
man seine Wagnerinterpretation mit denen seiner Zeitgenossen
Schmedes, Kraus oder Knote, fast eine Sensation. Doch Urlus be-
hielt recht. Erstaunt stellten die Wagner-Anhänger fest, daß man
Wagner auch mit wohlklingender Stimme singen konnte, daß er
musikalisch-ästhetisch ein Kunstgenuß war, daß das Deklamieren
den Absichten des großen Komponisten nicht entsprach.
Für Urlus war es eine große Genugtuung, als er 1912 nach
Bayreuth geholt wurde, um die Rolle des Siegmund in der Walküre
zu singen. Im selben Jahre kam die Einladung an die Metropolitan
Opera in New-York, wo er bis 1917 der erste Wagner-Tenor blieb.
In den Jahren 1910-1914 sang er auch alljährlich Wagner-Partien in
London an Covent Garden. Er war der erste Wagner-Tenor, der
1914 in‘ Paris das ”Theatre des Champs Elysees” einweihte und
auch in Brüssel trug man ihn auf den Händen.
73
Nach 1917 nahm Urlus keine festen Engagements mehr an,
feierte aber bei seiner weltweiten Gastspiel- und Konzerttätigkeit in
Europa und Amerika triumphale Erfolge. Seinen 60. Geburtstag fei-
erte der Sänger in Berlin mit einer Reihe von Auftritten an der
Staatsoper. Noch mit 65 Jahren sang er vor der Wagnervereinigung
den Tristan, und seine Stimme hatte nichts von ihrer Reinheit
eingebüßt.
Wenn Urlus auch vor allem als Wagner-Sänger bekannt wurde
und diese Rollen seinen Ruhm begründeten, so beschränkte sich
sein Repertoire doch keineswegs auf Wagner. Er beherrschte das ge-
samte Opernrepertoire, von Mozart bis Saint-Saens. So sang er in
New-York den Tamino in der ”Zauberflöte”, den Othello von Verdi
aber auch den Evangelisten in der Matthäuspassion. Und Mahlers
”Lied von der Erde” hat nie einen besseren Interpreten gefunden.
Urlus’ Stimme ist in etwa 100 Aufnahmen erhalten, die älte-
sten davon aus dem Jahre 1909. Einen guten Querschnitt aus den
Jahren 1909-1912 bietet die Langspielplatte ”Jacques Urlus, Court
Opera Classics”, CO 350, während ein Doppelalbum der Firma Ru-
bini mit den schönsten Aufnahmen von J. Urlus ebenfalls zu emp-
fehlen ist.
Jacques Urlus starb vor 50 Jahren, am 6.07.1935 in Noordwijk
(Holl.). Utrecht hat eine Straße im Viertel Ook en Al nach dem Sän-
ger benannt. Leo Riemens würdigte Leben und Werk des Künstlers
im niederländischen Rundfunk kurz nach dem Tode des Sängers
und er schloß damals mit den Worten, die Urlus als Lohengrin rund
tausendmal auf der Bühne gesungen hatte : ”Ruhmreich und groß,
dein Name soll auf dieser Erde nie vergehen.”
Ist es nicht schade, daß in Urlus’ Geburtsort Hergenrath der
Name dieses großen Sängers gänzlich vergessen ist ?
Quellen :
Gemeindearchiv Hergenrath, Standesamtsregister
Archiefdienst Gemeente Tilburg
Gemeentelijke Archiefdienst Utrecht
Maandblad Oud-Utrecht, 1935, S. 63-64
Winkler-Prins Encyclopedie s.v. Urlus
ie Riemens, ”Uren der Zangkunst”, J.M. Meulenhoft-Amsterdam, 1955 (?), S. 91-
Festschrift zu Ehren J. Urlus’, Utrecht 1919.
74
Bergmannslos 47. Forts.)
von Peter Zimmer
(Vorbemerkung : In der Nr. 35 dieser Zeitschrift, S. 45-60, berichte-
te einer der Überlebenden über die Grubenkatastrophe von Courrie-
res i.J. 1906. 13 Bergleute standen nach tagelangem Umherirren in
den Stollen vor einer Tür. Die Rettung ?)
Der Erlösung entgegen
Tatsächlich war es so! - Blindlings fanden wir eine Möglichkeit,
sie zu öffnen. Im gleichen Augenblick wurden wir aber gezwungen,
die Augen zu schließen und unsere Blicke zu senken, weil sie plötz-
lich von einem Lichtstrahl geblendet wurden. Während wir uns
langsam, die Hände als Schutz vor unseren Augen haltend, vor-
wärtz bewegten, sahen wir nicht weit von uns entfernt einen Stall-
knecht. Durch unser Herannahen wurde dieser in eine unbeschreib-
liche Angst versetzt. Unbeweglich und stumm starrte.er uns an.
Auch als wir ihm die Fragen stellten : ”Wie spät ist es? Welchen Tag
haben wir heute?” blieb er wie ein Besessener taub und sprachlos. Er
war total verwirrt, schlug das Glas seiner Sicherheitslampe entzwei,
wollte davonlaufen, blieb aber wie gelähmt stehen. Jede Bewegung,
die wir machten, nahe an ihn heranzukommen, erschreckte ihn der-
art, daß er glaubte, Tote aus einem unheilvollen Grabe wären auf
ihn zugekommen. Tote, deren Herz in fieberhafter Freude zu schla-
gen schienen. Letzteres war wirklich der Fall, denn wir fühlten uns
wie erlöst, weil wir glaubten, endlich den langersehnten Ausgang ge-
funden zu haben, um wieder an das Tageslicht zu gelangen.
Kurz danach standen wir vor dem Aufseher Charles Surmont.
Er begleitete uns zum Schacht, wo uns eine Mannschaft, die mit
Aufräumungsarbeiten beschäftigt war, entgegen eilte. Victor Stieve-
nard erkannte mich als erster. Er rief mir zu : ”Bis Du es, armer
Freund Cesaer? Welches Glück, daß Du dieses Unheil überlebt
hast!” Er umarmte mich und gab mir zu trinken, sowie ein Stück
von seinem Butterbrot zu essen. Die anderen taten das gleiche ge-
genüber meinen Kameraden. Während der folgenden Unterredung
erfuhren wir, daß uns die Grube während 20 Tagen und Nächten
gefangen gehalten hatte und wir nun endlich, am 30. März gegen
7.30 Uhr morgens, das finstere Verlies verlassen konnten.
We
Bald stand dazu der Förderkorb bereit. Da aber nur die Hälfte
unserer Gruppe mit dem ersten Korb ausfahren konnte, äußerte ich
den Wunsch, im zweiten Förderkorb zusammen mit meinem
Freund Stievenard an das Tageslicht befördert zu werden. Gerne er-
füllte man mir diesen Wunsch.
Endlich wieder oben unter freiem Himmel
Unser Erscheinen an der Erdoberfläche brachte alle dort Ver-
sammelten außer Fassung und uns in einen solchen Zustand, daß
wir nur wenige Worte sagen konnten. Die frische Luft, die wir so-
lange entbehrt hatten, griff uns derart an, daß wir immer schwächer
wurden. Man brachte uns sofort in einen Krankensaal, wo wir herz-
lich empfangen und vom guten Doktor Lourties wie verwahrloste
Kinder gepflegt wurden. In der Tat, das Ausharren in der unsiche-
ren Lage hatte unser Äußeres wirklich so verändert, daß wir wie
Kinder aussahen. Aber, wie die schwärzesten aller Kinder, die man
sich nur im Geiste, angesichts folgender Ereignisse, vorstellen kann :
ZWANZIG TAGE UND NÄCHTE in der finsteren Erde, auf
das Glück hoffend, den erstickenden Gasen, die uns überall verfolg-
ten, entkommen zu können.
ZWANZIG TAGE UND NÄCHTE in der Grube, die sich in
eine übelriechende Fleischkammer verwandelt hatte, wo wir nur
Leichen unserer Arbeitskameraden sowie einige nützliche Hilfsmit-
tel fanden.
ZWANZIG TAGE UND NÄCHTE andauernde Anstrengun-
gen, ohne gesunde Nahrung, Licht und Zuflucht, um menschen-
würdig ruhen zu können.
ZWANZIG TAGE UND NÄCHTE Kampf mit dem Hunger,
den wir mit Holzsplittern vom zerschlagenen Streckenausbau, Fet-
zen von Gewebestücken unserer Arbeitskleidung, rohem, verdorbe-
nem Pferdefleisch, sowie an einem einzigen Tage, in einer günstige-
ren Lage, durch ein Nachgericht mit ein wenig Hafer und Spreu zu
stillen versuchten.
ZWANZIG TAGE UND NÄCHTE unerträglicher Durst, oh-
ne Getränke, die diesen Namen verdienen.
ZWANZIG TAGE UND NÄCHTE, in denen wir zur Erfri-
schung nur vergiftetes Wasser und unseren eignen Urin tranken,
den wir auch, zur Hilfe in der Not, in Trinkblechen aufbewahrten.
76
ZWANZIG TAGE UND NÄCHTE voller Zweifel,
Ungewißheit, Todesangst und in absoluter Unwissenheit über die
Ereignisse, welche unsere Einkerkerung in der Hölle verursacht hat-
ten.
Niemals haben Henker, um Missetäter und die größten Verbre-
cher zu bestrafen, solche Folter erfunden, wie wir sie erdulden
mußten!” di
Mit diesen vielsagenden Worten endet die Erzählung von
Cesaer Danglot. Trotz aller im Schoße der Erde erduldeten Qualen
nahm er, als er dazu gesundheitlich wieder in der Lage war, die Ar-
beit in der Grube wieder auf, bis er 45 Dienstjahre aufweisen und in
den wohlverdienten Ruhestand treten konnte. .
Auch Anselm Pruvost, der bei dieser furchtbaren Katastrophe
eine schwere Verletzung am Auge erlitten hatte, blieb seinem Beruf
bis 1956 in der Grube treu. Als er seine Rente beanspruchen konn-
te, war auch er 42 Jahre lang in der Grube tätig gewesen.
Diese beiden mutigen Bergleute erhielten anläßlich der Ge-
denkfeiern im Jahre 1956 von der französischen Regierung das Rit-
terkreuz der Ehrenlegion.
Andrerseits verdient auch noch hervorgehoben zu werden, daß
50 Jahre nach der Katastrophe, am 10. März 1956, in Courrieres ei-
ne Abordnung der Ruhrkumpel unter Führung des Bürgermeisters
von Herne und des Direktors der Grube Chamrock an den Gedenk-
feierlichkeiten teilgenommen haben. Unter ihnen befanden sich
auch 2 Söhne der deutschen Retter aus dem Jahre 1906. Durch die-
se Teilnahme kam die internationale Solidarität, welche den europä-
ischen Berg- und Hüttenleuten besonders am Herzen liegt, in aller
Öffentlichkeit zum Ausdruck. Zwei Jahre später erlebte sie dann in
Kelmis, im Göhltal, wie schon erwähnt wurde, einen neuen gewalti-
gen Aufschwung. So kam es, daß einige Zeit später auch Göhltal-
bergleute in Herne die französischen Berufskameraden aus Courri@-
res kennen lernten. Durch diese Begegnung gelang es einem der Kel-
miser Bergleute, mit der Grube in Frankreich schriftlich in Verbin-
dung zu treten und diese stellte ihm freundlicherweise das Journal
”Lumieres sur la Mine”, mit der Erzählung von C. Danglot zur Ver-
fügung. Er hat sie sorgsam aufbewahrt, um eines Tages eine Kurz-
fassung dieser Erzählung in deutscher Sprache, so wortgetreu wie
möglich, für die Geschichtsfreunde im Dreiländereck in der Göhltal-
zeitschrift nacherzählen zu können.
77
Zwanzig Monate und 6 Tage später
Am 12. November 1908 gerieten in Nordrhein/Westfalen,
Deutschland, zahlreiche Bergleute sowie Frauen, Mütter und Kin-
der in große Angst. Dort hatte, wie zuvor in Frankreich, in einem
Steinkohlenbergwerk der Tot brutal Einzug gehalten. Die Unglücks-
zeche lag in der Ortschaft Bockum-Hövel bei Hamm und trug den
Namen RADBOD.
Dort hatte man am 13.3.1905 mit den Vorarbeiten zum Kohle-
abbau begonnen. Die Vorbereitungsarbeiten gingen so zügig voran,
daß bereits am 16. November 1906 der erste mit erstklassiger Gas-
und Gasflamm- Kohle beladene Wagen gefördert werden konnte.
Diese Zeche hatte anfänglich eine Belegschaft von 600 Mann. Sie
war aber bis zum 11. November 1908 bereits auf rund 1.800 Mann
gestiegen. Wie an jedem anderen Tage, so waren auch an diesem
Abend 400 Bergleute in die Grube hinabgestiegen, um dort unten in
Nachtschicht das tägliche Brot zu verdienen.
Kein einziger unter diesen 400 Menschen dachte daran, daß ih-
nen gerade in dieser Nacht ein großes Unheil widerfahren würde.
Warum auch? Für eine Kohlenstaubexplosion bestand während der
Nacht so gut wie keine Gefahr, denn während dieser Schicht wurde
meistens keine Kohle abgebaut. Und Schlagwetter? Auch daß war
fast unmöglich, weil die Bewetterung der Grube dermassen gut war,
daß jede Minute rund 10.000 Kubikmeter Frischluft hinein gelang-
ten, so daß dort - mit etwa 25 cbm Frischluft pro Mann - mehr als
vorgeschrieben vorhanden war. Trotzdem geschah während dieser
Nacht, bevor das Ende der Schicht herangenaht war, etwas Entsetz-
liches. Drei Bergmänner, die Reparaturen im Schacht I an der Was-
serpumpe ausführen mußten, hatten gegen 4 Uhr morgens diese Ar-
beiten beendet und beschlossen, ans Tageslicht hinaufzufahren, um
dort ihre nasse und schmutzige Kleidung gegen trockene zu wech-
seln. Weil aber zu dieser Zeit im Schacht I in einer Tiefe von 625
Metern noch Reparaturhauer damit beschäftigt waren, Träger für
eine Wasserleitung zu verlegen, konnten die drei den Förderkorb
dieses Schachtes nicht zur Ausfahrt benutzen.
Deshalb begaben sie sich zu dem in 80 m Entfernung gelegenen
Schacht II. Als sie dann, etwa gegen 4.20 Uhr, im Förderkorb dieses
Schachtes Platz genommen hatten und derselbe sich zur Ausfahrt in
Bewegung setzte, wurden sie durch einen gewaltigen, donnerartigen
Knall überrascht und im Förderkorb von einer Seite zur anderen ge-
schleudert. Sie bekamen das Gefühl, als ob die Schachtwände beb-
78
ten und der Förderkorb ruckartig den Schacht hinaufgezogen wür-
de. Von Sekunde zu Sekunde glaubten sie, der Korb würde sich zwi-
schen den verbogenen Spurlatten festklemmen, das Förderseil wür-
de zerreißen und der Förderkorb mit ihnen in die scheußliche Tiefe
hinabstürzen. Während der bangen Minuten, die folgten, geschah
aber glücklicherweise das Befürchtete nicht. Nur die dichten Rauch-
schwaden, die aus dem Untergrund mit ihnen den Schacht empor-
stiegen, machten den Dreien das Atmen schwer; fast wären sie ohn-
mächtig geworden.
Als sie dann endlich nach den qualvollen Minuten, die ihnen
wie eine Ewigkeit vorkamen, das Tageslicht erreicht hatten und den
Förderkorb völlig erschöpft und schwankend verlassen konnten, ;
stöhnten sie tief erschüttert die erschreckenden, verhängnisvollen,
niederschmetternden Worte : ”UNTEN IST DIE HÖLLE LOS!”
Inzwischen hatten die zuständigen Stellen alle erforderlichen
Maßnahmen ergriffen, um den anderen Bergleuten der Nacht-
schicht Hilfe zu leisten und die Naturgewalten, die in der Grube
großes Unheil anrichteten, wirksam zu bekämpfen. Dabei begegne-
ten aber den Rettern soviele Schwierigkeiten, daß sie ständig in
großer Lebensgefahr schwebten.
Bis gegen 10 Uhr vormittags, am 12. November, gelang es
noch 47 Bergleuten, der Hölle zu entkommen. Sechzehn von ihnen
waren unversehrt und die anderen 31 verletzt. Auf dem Fluchtweg,
den sie in 870 Meter Tiefe in der Grube angetreten hatten, waren sie
durch die Finsternis, von Rauch und Flammen umgeben, über
menschliche Körper gestolpert, ohne zu wissen, ob es tote oder ver-
wundete Arbeitskollegen waren. Erbarmungslos hörten sie
herzzerreißende Schreie verletzter Kameraden, die mit dem Tode
rangen, denen sie aber keine Hilfe leisten konnten, weil sie ja selbst
auf der Flucht vor dem Tode waren. All dieses Schreckliche und
Grausame kann nicht mit Worten beschrieben werden.
350 Menschen starben
Unter diesem Titel hat Wolfgang Pabst ein Buch über die Ka-
tastrophe der Steinkohlenzeche Radbod/Hamm verfaßt, welches im
Jahre 1982 durch den MC Wolf Verlag in Herne herausgegeben
wurde.
Es enthält, außer Bildern, auf 153 Seiten lesenswerte Einzelhei-
ten über die Zeche Radbod im Jahre 1908, die Katastrophe und de-
79
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Die Unglückszeche Radbod i.J. 1979
(Foto Hermann Rusch)
ren Folgen, die Rettungsarbeiten, Untersuchungen sowie vieles an-
dere, das sich zur Zeit des Unglücks und danach zugetragen hat.
Zum Beispiel, daß am 12. November nach 10 Uhr vormittags nur
noch Leichen aus der Grube geborgen wurden und welche Gefah-
ren den Rettungsmannschaften in der Grube drohten : neue Explo-
sionen durch ausströmendes Gas aus den Gebirgsspaltungen, durch
gewaltige Flammen, die aus dem heftig wütenden Feuer unaufhalt-
sam hervorstießen, so daß sogar die geschulten Retter machtlos wa-
ren und an den Rand der Verzweiflung gerieten.
Angesichts dieser und anderer Hindernisse kann man auch
leicht verstehen, daß sich damals die Verantwortlichen der Gruben-
direktion sowie des Oberbergamtes die Frage stellten, ob man noch
länger das Leben der Retter aufs Spiel setzen dürfe und ob über-
haupt noch ein Überlebender in der Grube sein könne.
Da die Antwort auf die letzte Frage ”unmöglich” lautete, wur-
de etwa 15 Stunden nach dem Ausbruch der Katastrophe beschlos-
sen, die Bergungsversuche einzustellen und die Ausfahrt der Ret-
tungsmannschaften in die Wege zu leiten.
80
Auch die anderen Anordnungen, die diesen Maßnahmen folg-
ten, sind in dem Buch ausführlich beschrieben. So mußten sofort
sämtliche Ventilatoren außer Betrieb gesetzt und die Schächte luft-
dicht abgedichtet werden. Dadurch wurde das Eindringen von Sau-
erstoff in das Bergwerk verhindert und dem Feuer die Nahrung ent-
zogen.
Ferner ließ man zur gleichen Zeit alle Wasserleitungsventilen
völlig öffnen, so daß pro Minute über 30 Kubikmeter Wasser in die
Grube hineinströmten und die Grubenbaue bald bis zu einer Tiefe
von 500 m mit 300.000 Kubikmeter Wasser gefüllt waren.
Bemerkenswert ist ebenfalls in diesem Buch die Erwähnung,
daß trotz dieser Maßnahmen, zwei Stunden nachdem man sie ergrif- .
fen hatte, eine Nachexplosion und eine Stunde später eine zweite er-
folgte, was durch den Zeiger im Depressionsmesser festgestellt wer-
den konnte. Auch wird auf eine dritte Explosion hingewiesen, die
sich 10 Tage nach dem Unglückstag ereignete. Sie hatte zur Folge,
daß über Tage die eiserne Bedeckung von Schacht I sowie die Holz-
bedeckung von Schacht II gänzlich zertrümmert wurden. Teile die-
ser Schachtbedeckungen seien sogar, so wird berichtet, bis zu 50 m
weit vom Schacht entfernt geschleudert worden und anschließend
seien aus dem Untergrund Feuersäulen an das Tageslicht geschos-
sen.
Ebenso lesenswert ist, was der Verfasser über die Arbeiten
schreibt, die zirka 6 Wochen nach dem Ausbruch der Katastrophe
begannen, um das in die Grube hineingeströmte Wasser wieder her-
auszuholen und zunächst die erste Sohle trockenzulegen.
Als dies bis zum 21. Januar 1909 geschehen war, ließ man
weiße Mäuse bis zu dieser Sohle hinab und konnte sie eine Weile da-
nach wieder lebend heraufziehen. Durch dieses nicht erwartete Er-
eignis ermutigt unternahmen anschließend auch Verantwortliche
des Bergwerks sowie des Bergamtes den Versuch, bis zur ersten Soh-
le der Grube hinabzufahren. Dort angekommen, konnten sie die
Feststellung machen, daß genügend Frischluft vorhanden war, um
eine Besichtigung derselben durchzuführen. Da dieselbe den Ver-
hältnissen entsprechend ein zufriedenstellendes Ergebnis brachte,
wurde auch durch eine Mammutpumpe die zweite Sohle trocken ge-
legt und nach und nach mit den Wiederherstellungsarbeiten begon-
nen. Diese Arbeiten sowie das Bergen der Leichen mußten unter
ständiger Lebensgefahr ausgeführt werden. Das Zusammentragen
83
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Bergmann mit Pickel und Lampe
(Foto Hermann Rusch)
Das führte dazu, daß die Belegschaft, die 1910 aus knapp 1.700
Personen bestand, bis 1913 auf rund 3.900 Mann anstieg. Auch er-
reichte das Bergwerk im Laufe der Jahre eine Teufe von 1.100 m so-
wie eine jährliche Kohlenförderung von 1,14 Millionen Tonnen.
Durch die Gedenkstätte in Bockum-Hövel und das bereits er-
wähnte Buch werden viele Menschen auch heute noch an das
schreckliche Ereignis von Radbod erinnert. Das Buch enthält
außerdem zahlreiche Angaben bezüglich der Unterstützung und
Spenden für die Hinterbliebenen, der Ergebnisse der Untersuchun-
gen sowie des Alltagslebens der im Steinkohlenbergbau beschäftig-
ten Arbeiter und deren Familien.
„Der zur Zeit der Katastrophe noch lebende Kohlengräber und
Bergsmannsdichter aus dem Ruhrgebiet, Heinrich Kämpchen, hat
uns und der Nachwelt mehrere Dichtungen über das grauenhafte
Geschehen von Radbod hinterlassen. Dieser brave und mutige
Ruhrkumpel war, als das Unglück geschah, 61 Jahre alt. Wegen des
von ihm geführten friedlichen Sozialkampfes stand er auf der soge-
nannten schwarzen Liste und war dadurch ein bedauernswerter
84
Mann geworden. Denn vielfach mußte er von einer Zeche zur ande-
ren gehen, um Arbeit zu finden, was nicht immer gelang. Mit ein-
drucksvollen Worten, die tief aus seinem Herzen kamen, hat er die
Unglücksgrube und die Umstände, wie die Bergleute dort ums
Leben kamen, sowie deren Klagen und Mahnungen geschildert.
Einige dieser Gedichte verdienen es, an dieser Stelle wiedergegeben
zu werden.
”RADBOD” (Ein Nachtstück)
Dräuend, ein Ungetüm, reckt der Schachtturm seine Eisenstirn zum
Nachthimmel. 8
Um ihn, von ihm glimmt’s wie Totenlicht, wie Phosphorgefunkel,
wie Dunst der Verwesung.
Ein Beinhaus- riesig, ungeheuer (Sarkophag und Mausoleum) liegt
der Schacht da und die Nacht hockt darauf.
Sie, die Nacht, wittert den Leichenduft, der daraus emporsteigt,
feucht, nebelhaft, wie die Hyäne den Grabesodem,
und schlürft ihn mit Wollust.
Radbod und Nacht! Grauen zu Grauen sie gatten sich.
Und die Fäule im Erdbauch, als Genossin sich zugesellend, speit ih-
ren Gifthauch aus Kluft und Spalt - Odeur für Gespenster,
Aber das ist es nicht, was die Nacht birgt mit ihrem Mantel, dem
dichten. Sie die da unten liegen, unter Trümmer und Schutt, die To-
ten von Radbod, sind doch nicht tot!
Wenn der Tag schläft, wenn die Nacht brütet, bei Schweigen und
Öde werden die Stimmen der Tiefe wach, leben die TOTEN.
DIE KLAGE DER TOTEN
”Wir sind verbrannt, erschlagen im Schachte wir erlagen
der Elemente Wut. Ihr aber habts verschuldet, habt die
Gefahr geduldet, auf euch kommt unser Blut!
Wir liegen tief im Grunde noch bis zu dieser Stunde, wie uns ent-
rafft der Strahl. Von Weib und Kind gerissen,
in öden Finsternissen, DREIHUNDERT an der Zahl.”
So röchelt’s aus den Schächten, so wimmert’s aus den Nächten,
tief aus der Erde Bann. Wir hören ihre Stimme,
entstellt von Gram und Grimme- ”die Toten klagen an”.
85
Sie, die zu früh gestorben, gestorben und verdorben
in unversöhntem Groll. Die der Vernichtung Krallen
zum Opfer sind gefallen, so qual- und jammervoll.
Sie röcheln aus den Schächten, sie wimmern aus den Nächten,
tief aus der Erde Bann. Es ist der Ruf nach Sühne
herauf zur Richterbühnte - die Toten klagen an.
DIE MAHNUNG DER TOTEN !
Aus der Tiefe, aus den Schächten hör ich’s wimmern bang in Näch-
ten. Klagen sind’s der armen Toten, die die Gruft zu früh entboten,
die durch Wasserluft verdarben, die vom Wetterschlage starben,
die durch Kohlensturz Erdrückten, die Verbrannten, die Erstick-
ten -
alle, alle hör ich klagen und aus ihren Grüften fragen :
Wann, O wann ihr Brüder oben wird der finstre Bann gehoben,
der euch schon so lang bedrücket, der die beste Kraft zerstücket und
euch immer, immer wieder zwingt ins alte Joch danieder?
WIR, die unter Bergeslasten unten in der Tiefe rasten,
wo die Totenlampen brennen - WIR, die nicht mehr kämpfen kön-
nen, V
mahnen euch im Licht dort oben, laßt das Hadern, laßt das Toben,
ätzt nicht neu die alten Wunden, einigt euch und seid verbunden -
BRÜDER LASST DIE ZWIETRACHT SCHWINDEN,
DASS AUCH WIR DIE RUHE FINDEN.
86
° °
Der Preusbosch in der ehemaligen
Bank Montzen
von PAUQUET Firmin
Preus oder Preusbosch heißt der nordwestliche Teil der Wal-
dungen an der belgisch-deutschen Grenze bei Aachen. Er liegt im
Gebiet der ehemaligen Bank Montzen, d.h. der jetzigen Gemeinden
Neu-Moresnet, Kelmis, Moresnet und Gemmenich. .
Zuerst gilt diese Bezeichnung wohl nur für einen Teil dieses .
Walddistrikts und zwar für die sich nördlich vom jetzigen Aachener
Stadtteil Bildchen erhebende Anhöhe. Dieselbe wird durch den ural-
ten Weg Aachen-Moresnet überquert; dieser Weg heißt noch heute
in Aachen ”Preusweg”. Die älteste Erwähnung des Namens ”Proi-
sen” ist wohl in einem um 1390 vom Aachener Fortsmeister Syche
van Lybermye redigierten Schreiben enthalten (2). Im Jahre 1536
gilt der Name für einen größeren Walddistrikt : ”daer men reyst van
Lymborch nae Aken, gaen de selve strate duer een bosch, die van
Lymborch seggen te heeten de preuse”. Die Walhorner Schöffen be-
zeugen damals, daß der gesamte Wald nördlich des Tüljebaches bis
zur Vaalser Kirche hin diesen Namen trägt. Die Montzener behaup-
ten, daß dieser Walddistrikt nicht ”Rycxwalt” sondern ”die
preusch” oder ”dye bosch van der preusen” heißt (3). Um 1469
scheint der Name noch nicht die übliche Bezeichnung des Waldes
zu sein. Eine damalige Beschreibung der Waldungen läßt erkennen,
daß die spätere ”Preus” der Montzener Teil des limburgischen
Reichswaldes ist. Der größere Teil desselben liegt in der Bank Wal-
horn und dehnt sich bis zum Raerener Stuhl südlich der Weser un-
weit Reinartzhof aus (4). Die limburgischen Hoheitsrechte über die-
sen Wald werden in diesem Jahr vom herzoglichen Rentmeister in
Anspruch genommen. Kurz davor hat eine herzogliche Untersu-
chungskommission im Limburgischen verweilt, um die herzoglichen
Rechte genauer festzustellen und Mißbräuche abzuschaffen (5).
Karl der Kühne ist auf dem Gipfel seiner Macht nach der Unterwer-
fung von Lüttich und der Unterzeichnung eines Schutzvertrages
durch Aachen. Der Name Reichswald verrät, daß der Wald früher
von der Aachener Pfalz aus verwaltet wurde. Er gehörte zum Wild-
bann um. Aachen, einem der Forstbezirke der Waldgrafschaft der
Grafen von Jülich (6). Die faktische Übernahme vieler kaiserlichen
87
Rechte durch die Stadt Aachen, die Ausübung der Nutzungsrechte
der Anwohner - Aachener, Walhorner, Montzener - und die Lage
an dem schon 1431 bestrittenen Grenzverlauf zwischen Aachen
und Limburg (7) ergeben dauernde Streitigkeiten über Besitz und
Gerechtsame im Reichswald, von den Aachenern meistens ”Ge-
meinde von Aachen” genannt (8). £
Am 2. Dezember 1318 befiehlt der Herzog Johannes von
Brabant-Limburg seinen Beamten die Rechtsame der Aachener an
ihrem gemeinsamen Nutzungsbereich, den Waldungen bei Wal-
horn, festzustellen. Am 9. November 1321 entscheidet er sogar, daß
die Aachener seit Menschengedenken das Recht haben, zwei För-
ster zu bestimmen, um den Wald zu schützen (9). Unter den vom
Rat der Stadt eingesetzten Förstern findet man öfter limburgische
Adlige, so 1338 Udoni de Hergenrath und 1344-1346 Gisoni de
Schympir (10). Auffallend ist, daß dieselben ihren Wohnsitz an der
Göhl haben, der westlichen Grenze der ”Gemeinde von Aachen”.
Die älteste Beschreibung dieser Grenze stammt vom 18. April 1391
(11). Der Preusbosch, der hier allein in Betracht kommende Teil des
Reichswaldes, wird im Westen vom Göhlbach und vom Gemmeni-
cher Bach begrenzt.
Streitigkeiten, die sich speziell auf den Walddistrikt Preus be-
ziehen, werden erstmalig 1344 erwähnt. Damals verhandeln die
Aachener mit Brabant-Limburg über den Besitz am Galmeizerzlager
Altenberg, das sich in der südwestlichen Ecke der Preus befindet
(12). Der Abbau des Erzes wird doch weiter durch die Stadt betrie-
ben, bis Herzog Philipp der Gute von Burgund das Bergwerk im
Jahre 1439 beschlagnahmt (13). nr
Kurz danach, im Jahre 1444, wird Pierchon ALART, Diener 5
des Herrn von Croy, mit dem ”overste Vorstmeesterampt van den
walde ende bosschen gelegen bynen den wysdom van den scepenen
van Walhoren, Synich, Fulkerich ende Moresnoyt metten toebe-
hoerten” bekleidet (14). Dies ist die erste Einmischung der herzogli-
chen Verwaltung, um die Nutzungsrechte der limburgischen An-
wohner gegenüber Aachen zu sichern. Auf Betreiben einer Aache-
ner Deputation macht Herzog Philipp der Gute die Ernennung am
26. Juli 1459 wieder rückgängig (15).
Um die Jahrhundertwende finden erneut Streitigkeiten über
den Verlauf der Landesgrenze in der Preuse statt. Eine herzogliche
Kommission, die der Brabanter Kanzler Guillaume de Stradio
88
höchstpersönlich leitet, untersucht die Lage an Ort und Stelle am 2.
September 1500 (6). In den Jahren 1529 und 1530 finden längere
Verhandlungen in Brüssel zwischen brabantischen und reichsstädti-
schen Deputationen statt (17). Zwistigkeiten bestehen, da die Aa-
chener im Jahre 1526 Einwohner der Pfarre Moresnet und Gemme-
nich in ihren Nutzungsrechten geschmälert haben und im Jahre
1527 zwei Kupferne Adler als Grenzpfähle auf der Moresneter
Göhlbrücke aufgestellt haben. Am 5. Juni 1530 einigt man sich dar-
über, den durch die Schöffen von Walhorn und Limburg gewiese-
nen Grenzverlauf provisorisch anzunehmen. Vom damals verabre-
deten Termin zur endgültigen Festlegung der Grenze findet man
später keine Spur. .
Nachdem die Montzener, um ihre Nutzungsrechte zu sichern,
im Jahre 1533 erneut die Ernennung herzoglicher Förster durchge-
setzt haben, klägt die Stadt Aachen sie beim Souveränen Rat von
Brabant am 11. November 1534 an (18). Eine Untersuchungskom-
mission besichtigt wiederum die strittigen Waldungen und Grenz-
steine. Die Montzener erklären sich am 18. März 1546 bereit, die
Teilung des Waldes als Kompromißlösung anzuerkennen. Der Rat
von Brabant fällt ein provisorisches Urteil am darauffolgenden 7.
April : um weitere Streitigkeiten im gemeinsamen Nutzungsbereich
zu verhüten, sollen die Waldungen unter Montzen und Aachen ge-
teilt werden. Montzen erhält aber nur ein Viertel des gesamten Wal-
des innerhalb des limburgischen Hoheitsgebiets (19). Die mit der
Teilung beauftragte Kommission tagt vom 13. August bis zum 7.
Oktober im Limburgischen und der Brüsseler Landmesser Peter van
Wyenshoven ist hierzulande vom 21. August bis zum 28. Oktober
beschäftigt (20).
Am 24. Dezember 1554 bestätigt der Souveräne Rat endgültig
sein Urteil von 1546; nur sollen doch die ”heyden, weyden ende wa-
teren binnen dertich jaeren herwerts egheen bosch geweest hebben”
gemeinsam von Aachenern und Montzenern benutzt werden. Dies
öffnet das Tor zu weiteren Streitigkeiten, da diese Heiden zum Teil
im Walde zerstreut liegen (21). Das Urteil wird am 10. Februar 1556
durch eine Verordnung König Philipps II. feierlich bestätigt (22).
Die Montzener erklären sich mit dem Ergebnis überhaupt
nicht einverstanden und beantragen am 8. Mai 1557 die Revision
des Prozesses. Nach langjährigen gerichtlichen Verhandlungen wird
der sogenannte Kompromiß von 1554 rückgängig gemacht und
durch Urteil des Souveränen Rates von Brabant vom 23. Februar
89
1577 sollen die Waldungen wieder wie vorhin gemeinsam von Aa-
chen und Montzen benutzt werden (23). Jetzt streuben sich die Aa-
chener dagegen : sie haben ihren Anteil schon durch Gräben und
Hecken eingefriedet. Laut Bericht der zugesandten Kommissare
vom 17. Dezember 1577 sind Gräben und Hecken auf limburgi-
schen Hoheitsgebiet schnell beseitigt (24), aber im östlichen Teil des
gemeinsamen Waldes, der unter Aachener Hoheit liegt, verweigern
die Aachener den Montzenern den Zugang trotz mehrerer Mahnun-
gen der Brüsseler Regierung in den Jahren 1583 bis 1585 (25).
Ende der achtziger Jahre unternehmen die Montzener dann
Verhandlungen mit der Brüsseler Regierung, um die Aachener aus
der Nutznießung im Limburgischen auszuschließen und die Wal-
dungen unter die fürstliche Domäne und die Pfarrgemeinden zu tei-
len (26). Am 15. Juni 1589 protestiert die Reichsstadt beim General-
gouverneur Alexander Farnese gegen die Anstellung von Forsthü-
tern seitens der Montzener (27).
Endlich kommt es am 20. April 1611 zu einem endgültigen
Vertrag zwischen der Brüsseler Regierung und der Reichsstadt Aa-
chen, um die gemeinsamen Waldungen zu teilen : Aachen soll ein
Drittel des auf limburgischen Hoheitsgebiet liegenden Waldes erhal-
ten (28). Den Montzenern gelingt es am 20. Juli 1615, zu verhin-
dern, daß ein Teil des den Aachenern zugesprochenen Waldes inner-
halb ihrer Bank abgemessen wird (29). Am 17. September wird der
Preusbosch unter die Domäne und die Pfarreien der Bank Montzen
vertraglich geteilt. Der Vertrag wird am 16. Februar 1618 durch die
Brüsseler Regierung bestätigt (30): der Fürst erhält 700 Morgen
längs der Aachener Grenze; dieser Domänenwald heißt heute noch
im Volksmund ”der König”. Die ältesten Grenzsteine des königli-
chen Forstes Preus tragen das goldene Vlies und die Jahreszahl
1615. Der Gemeinde-Preuswald dehnt sich auf 1491 Morgen aus,
darunter befindet sich aber viel Heideland.
Am 17. November 1615 wird eine Verordnung zur Verwal-
tung des Gemeinde-Preuswaldes von der Regierung erlassen (1). Ein
Forstmeister ist durch die Ritterschaft der Bank zu wählen und die
gemeinsamen Insassen der Pfarreien Montzen, Moresnet und Gem-
menich haben auch jeweils einen Forstmeister zu bestimmen. Jede
Pfarre hat Anrecht auf ein Drittel des Ertrages (32). Da bei der
Gründung der Herrschaft Kelmis im Jahre 1650 dieselbe ca. ein
Drittel der Steuern innerhalb der Pfarre Moresnet entrichtete (33),
wird ihr ein Neuntel der Gesamterträge aus den Waldungen zuge-
sprochen; der Herrschaft Moresnet dagegen zwei Neuntel.
90
Auf dieser Grundlage werden dann auch die Waldungen im
19. Jh. unter die Gemeinden geteilt, nachdem die alte Bank Mont-
zen durch den Aachener Grenzvertrag vom 26. Juni 1816 zwischen
Preußen und den Niederlanden - ab 1830, Belgien - geteilt worden
war. Nach langjährigen Verhandlungen (1851-1864) stellt Notar
Verdbois, Montzen, die Teilungsurkunde am 26. Juli 1873 in
Neutral-Moresnet auf (34). Die Gemeinde Lontzen, zu welcher der
ehemalige Montzener Weiler Eselbach, heute Grünstraße, 1816 zu-
geschlagen worden ist, hat ihre Anrechte im Jahre 1855 an Mont-
zen veräußert (35). Da nur unwesentliche Unterschiede bestanden
und um die Teilung zu vereinfachen, haben sich die Gemeinden
Belgisch-Moresnet einerseits, Preußisch- und Neutral-Moresnet an- )
dererseits damit einverstanden erklärt, als Rechtsnachfolger der ehe-
maligen Gemeinden und Herrschaften Moresnet bzw. Kelmis auf-
zutreten (36). Montzen erhält ein Drittel des Gesamtwertes des Wal-
des, das sind 179,0896 ha; Gemmenich ebenfalls ein Drittel, aber
nur 133,20 ha, da Boden und heranwachsendes Holz nicht überall
gleichwertig ist. Belgisch-Moresnet wird 97,0142 ha zugemessen;
Neutral- und Preußisch-Moresnet (heute Kelmis und Neu-
Moresnet) gemeinsam 28,4762 ha. Die Erträge des zwischen
Neutral- und Preußisch-Moresnet gemeinsam gebliebenen Walddi-
strikts sind den Bestimmungen des Aachener Grenzvertrages von
1816 (Artikel 32) nach zu verteilen, d.h. im Verhältnis zu den zu-
sammengezählten Grund- und Personalsteuern aus dem Jahre 1815
(37). So entfielen noch bis zur Gemeindereform von 1977 diesen Er-
trägen auf Kelmis und 8/13 auf Neu-Moresnet. Seit 1977 gehört
Neu-Moresnet zur Gemeinde Kelmis. Damit ist diese Aufteilung der
Erträge hinfällig geworden.
91
(1) Der Preusbosch liegt genau südlich vom Dreiländereck Niederlande-Deutsch-
land-Belgien. Er bildet den mittleren Teil auf der Waldwanderkarte, die gemein-
sam vom niederländischen Staatsbosbeheer, vom Gemeindeforstamt Aachen
und von der belgischen Forstverwaltung herausgegeben worden ist.
(2) Stadtarchiv Aachen, Urkunden III, 2
(3) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel. Fiskalamt Brabant 554/4914, Protokoll der
herzoglichen Untersuchungskommission über die Waldstreitigkeiten zwischen
Aachen und Montzen.
(4) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel. Rechnungskammer Brabant 2447, A° 1469,
f° 138v°
(5) Ibidem, 14, f° 213, 213 v°
(6) KASPERS (Heinrich), Comitatus nemoris. Düren u. Aachen, 1957, 265 S. be-
sonders S. 170-195
(7) PELTZER (Rudolf Arthur), Verhandlungen zur Festlegung der Grenze zwi-
schen dem Limburger Land und dem Aachener Reich; in Zeitschrift des Aache-
ner Geschichtsvereins, 33; Aachen, 1914, S. 71
Allgemeines Reichsarchiv Brüssel, Rechnungskammer Brabant, 13, f° 195 v°
-f° 199 v° und f° 332 - 334; 132, f° 29 v° - 30
(8) WILLEMS (Bernhard), Zum Wälderstreit zwischen Aachen und Limburg, in
Ostbelgische Chronik, 2. Malmedy, 1929, S. 102-11
(9) Stadtarchiv Aachen. Urkunden, A. VI/9; A VI/10; XVIIV9
(10) LAURENT (Josef), Stadtrechnungen aus dem 14. Jh. Aachen, 1366, S. 129, Z.
6; S. 157, Z. 30; S. 187, Z. 7
(11) WILLEMS (Bernhard), Anhang 2 in Ostbelgische Chronik I. Ixelles, 1948. S.
216-217 - Staatsarchiv Lüttich, Herzogtum Limburg, 1042, Nr. 5, Abschrift
(12) LAURENT (Josef), a.a.O., S. 152, Z. 2, 5, 6, 7, 25; S. 153, Z. 5
(13) PELTZER (Rudolf Arthur), Geschichte der Messingundistrie und der künstleri-
schen Arbeiten in Messing (Dinanderies) in Aachen und den Ländern zwischen
Maas und Rhein von der Römerzeit bis zur Gegenwart. In Zeitschrift des Aa-
chener Geschichtsvereins, 30. Aachen, 1911. YANS (Maurice), Histoire &cono-
mique du duche€ de Limbourg sous la maison de Bourgogne. Les Foröts et les Mi-
nes. Bruxelles, Academie, 1938, 278 p. S. 140-149
(14) YANS (Maurice), ibidem S. 88, Fußnote II
Allgemeines Reichsarchiv Brüssel. Rechnungskammer Brabant 20781 A° 1444-
1445, f° 9v°
(15) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel, Jointe des Terres contestees 637/14 Nr. 19
-Fiskalamt Brabant 705 (6802), 8°
(16) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel. Rechnungskammer Brabant 136, F° 143 v°
bis 148 besonders 146 v°
(17) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel. Rechnungskammer Brabant 138, f° 296 v°
305 v°
(18) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel. Fiskalamt Brabant, 554 (4914); 1054
(19) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel. Souveräner Rat von Brabant, 591, Nr. II
(20) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel. Fiskalamt Brabant, 1054
(21) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel. Souveräner Rat von Brabant, 602, Nr. 71
92
(22) Staatsarchiv Lüttich. Herzogtum Limburg, Urkunde 67
(23) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel. Souveräner Rat von Brabant, 655, f° 6647
(24) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel. Jointe des Terres contestees, 637/14 Nr. 30
(25) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel. Fiskalamt Brabant, 554 (914)
(26) Gemeindearchiv Moresnet. Waldbuch.
(27) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel. Secretairerie d’Etat allemande, 264, 249-250
(28) Stadtarchiv Aachen, Urkunden, AIX/3
Staatsarchiv Lüttich. Herzogtum Limburg, 1042
(29) Gemeindearchiv Moresnet. Waldbuch 4
(30) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel. Rechnungskammer Brabant, 143, f° 2 v°
(31) Allgemeines Reichsarchiv Brüssel. Rechnungskammer Brabant, 144, f° 279 v° .
(32) Gemeindearchiv Moresnet. Waldbuch
Staatsarchiv Lüttich. Kreis Eupen, 286
(33) PAUQUET (Firmin), Die Besiedlung im Gebiet der ehemaligen Herrschaft Kel-
mis (II); in Im Göhltal, Nr. 5, S. 19. Gemmenich, Aldenhoff, 1969
(34) Hauptstaatsarchiv Düsseldorf. Regierung Aachen, 6487 f° 64-69
(35) Staatsarchiv Lüttich. Kreis Eupen, 230
(36) Beschluß - des Gemeinderates von Preußisch-Moresnet vom 19. Mai 1853;
- der Meistbeerbten von Neutral-Moresnet vom 25. Mai 1853;
- des Gemeinderates von Belgisch-Moresnet vom 26. Mai 1853
- des Gemeinderates von Neutral-Moresnet vom 19. Mai 1856
(37) Staatsarchiv Lüttich. Kreis Eupen, 286
93
Ein Pachtvertrag über den Gutshof
der Eyneburg (1)
von Alfred Bertha
Pachtvertrag zwischen dem hochwohledel geborenen Herrn
Baron von Dobbelstein, Herr zu Eyneburg, Moresnet usw. einer-
seits und dem ehrbaren Niclas Neulens, Schöffen zu Moresnet ande-
rerseits, abgeschlossen am 24. November 1725.
Zwischen dem hochwohlgeborenen Herrn Baron Carl Joseph
von Dobbelstein, Herr zu Eyneburg und Moresnet, und Niclas Neu-
elens, Schöffen zu Moresnet, ist am heutigen Tage über den Alten
Hof des Kastells Eyneburg zu folgenden Bedingungen ein Pachtver-
trag abgeschlossen worden :
1/ Das Pachtjahr beginnt am 1. Mai 1726. Die Dauer des
Pachtvertrages soll 12 aufeinanderfolgende Jahre betragen, doch
sollen beide Parteien frei sein, nach Ablauf der ersten.sechs Jahre
den Vertrag zu kündigen. Diese Kündigung muß ein halbes Jahr vor
Ablauf der genannten Frist stattfinden. Auch ist ausdrücklich fest-
gelegt, daß der Verpächter zu jeder Zeit, auch schon nach dem er-
sten Jahre, kündigen darf, wenn der Pächter seine jährliche Pacht
nicht bezahlt oder wenn er zahlungsunfähig sein sollte.
2/ Der Pächter verspricht als Pacht jährlich die Summe von
1250 Brabanter Gulden, ein jeder Gulden zu 2 Schillingen, zu zah-
len.
Zudem soll der Pächter dem Verpächter jährlich 300 Pfund be-
ster ungesalzener Butter liefern.
3/ Außerdem soll der Pächter dem Herrn vier Wagen Heu aus
dem großen Bend liefern und 200 Bürden Stroh und 100 Bürden
Erbsen- oder Spelzenstroh. Dieses Heu und das Stroh muß der Päch-
ter auf seine Kosten auf das Schloß Eyneburg oder in die Stadt Aa-
chen liefern. Falls der Verpächter an Heu und Stroh keinen Bedarf
hat oder dasselbe nicht will, muß der Pächter die Summe von 100
Brabanter Gulden, ein jeder zu 2 Schillingen, zahlen. Es steht dem
Pächter dann frei, das Heu und das Stroh nach seinem Gutdünken
zu verkaufen.
(1) Stadtarchiv Aachen, Notariatsakten M. Jungbluth, Nr. 129
94
4/ Die Pachtsumme wird zur Hälfte am 1. Februar 1727, zu an-
deren Hälfte am 1. August 1727 fällig. Die Lieferungen an Butter,
Heu usw. erfolgen, zum vom Herrn Verpächter gewünschten zeit-
punkt.
5/ Der Pächter soll die Pachtgüter frei von allen Zehntabgaben
besitzen. Sollte er gehalten werden, solche Abgaben zu leisten, so
werden ihm dieselben vom Verpächter auf die Pachtsumme ange-
rechnet.
6/ Der Pächter soll den Vorhof des Kastells Eyneburg mit allen
dazugehörenden Gütern bewirtschaften, so wie dies der augenblick-
liche Pächter Willem Beuven tut, nichts ausgenommen. Der Ver- .
pächter behält jedoch für sich selbst den großen alten Garten unter-
halb des Kalkofens; zur Besserung dieses Gartens muß der Pächter
alljährlich 25 gut gefüllte Karren Mist zu Verfügung stellen.
7l Der Verpächter reserviert sich ebenfalls 6 Obstbäume, die
bei Ankunft des Pächters gekennzeichnet werden sollen.
8/ Der Pächter wird alle Gebäulichkeiten der ”basse cours” zur
Verfügung haben, außer dem Kutschenhaus (oder Remise), dem da-
nebenliegenden Stall und dem Bau zwischen Schloß und Pferdestall,
genannt beim Stevenhäuschen. Der Verpächter reserviert sich eben-
falls das Brauhaus und das Backhaus; der Pächter darf dieselben je-
doch zu seinem eigenen Gebrauch benutzen, unter der Bedingung,
daß er Braukessel und alles Gerät nach Gebrauch wäscht und rei-
nigt.
9/ Der Verpächter reserviert sich auch die alte Kupfermühle
mit dem dazugehörenden Weiher; der Pächter darf das Gras in die-
sem Weiher mähen, solange der Verpächter kein Wasser darin kau-
fen läßt.
10/ Der Pächter darf soviel Holz fällen und gebrauchen, wie er
für Zäune und Brand benötigt; er muß jedoch sowenig Schaden wie
möglich anrichten und darf kein Holz verkaufen oder vom Gut des
Herrn wegtransportieren; andernfalls müßte er eine Strafe von 100
Gulden zahlen sowie den Wert des Holzes ersetzen.
11/ Der Pächter darf keinen Mißwuchs oder Hagelschlag höhe-
rer Gewalt zuschreiben und deswegen vom Verpächter Entschädi-
gung verlangen.
12/ Der Pächter muß zulassen, daß das Holz, daß aus den Wäl-
dern des Verpächters verkauft wird, über die verpachteten Lände-
95
reien weggefahren wird, dies selbstverständlich nicht über besätes
Ackerland, es sei denn in der toten Jahreszeit.
13/ Der Pächter ist gehalten, die Gebäulichkeiten nach Päch-
ters und Landesbrauch zu unterhalten; dieselben werden vor seinem
Einzug repariert und in Stand gesetzt.
14/ Der Pächter muß das Land in dem Zustand hinterlassen, in
dem er es vorgefunden hat. Darüber wird nach vorhergehender In-
spektion ein Protokoll abgefaßt. Er muß auch beim Wegzug soviele
”harte Früchte” (= Getreide) zurücklassen wie er vorgefunden hat.
15/ Der Pächter muß alle Abgaben und Steuern usw. bezahlen.
Gegen Vorlage der Quittungen werden diese Ausgaben auf die jähr-
liche Pachtsumme angerechnet.
16/ Der Pächter hat bei Abschluß dieses Pachtvertrages dem
Verpächter die Summe von 25 Pattacons als Laihkauf gezahlt. Da-
von wird ihm die Hälfte zurückerstattet, wenn er nach Ablauf der
ersten sechs Jahre vom Hofe wegziehen sollte.
17/ Es wird auch ausdrücklich festgelegt, daß der Pächter keine
Schafe oder Kühe in den Wälderen des Herrn Verpächters treiben
darf. Er würde sich jedesmal einer Strafe von 1 Pattacon aussetzen.
Er darf Schafe und Kühe jedoch in den ”Lideeken” und im
”Heidgen” weiden lassen und dort auch Streu mähen.
18/ Wenn durch die Unachtsamkeit des Pächters oder der
Knechte ein Brand entstehen sollte, so muß der Pächter den ent-
standenen Schaden reparieren lassen.
Folgen die Schlußformel und die Unterschriften der
vertragschließenden Parteien und der Zeugen sowie des Notars Mi-
chael Jungbluth.
96
Leo Homburg (}
ER BR Wir erfüllen hiermit die trau-
RL * __ rige Pflicht, unseren Mitgliedern
A N = und Freunden den Tod von Leo
A A DL Homburg anzuzeigen, der am 21.
& a ___ April 1985 im Alter von 82 Jah-
u ren verstarb.
Der Verstorbene gehörte
\ {8 schon seit den frühen Anfängen
) 74 unserer Vereinigung an’und wur-
37 de bald als aktives Mitglied inden
. i Me Vorstand berufen, dem er bis zu
X seinem Tode angehörte und den
« er durch tatkräftige Mitarbeit un-
terstützte.
Sein Interesse galt in hohem Maße der Geschichte der ange-
stammten Heimat. Angeregt durch seinen Vater, beobachtete er mit
wachem Blick alles, was sich an lebendigen Zeugnissen seiner ge-
schichtsträchtigen Heimat darbot.
Die über viele Jahrzehnte gemachten Beobachtungen und die
Ergebnisse seiner mit den Zeitgenossen geführten Gespräche ver-
mittelte er stets bereitwillig den Ratsuchenden, die ihm immer wie-
der zu einer heimatgeschichtlichen Plauderstunde willkommen wa-
ren. In vielen Bänden unserer Zeitschrift können wir ebenfalls die
Früchte seiner Arbeit finden, die uns ein lebendiges Zeugnis aus
dem Leben unserer Voreltern bleiben.
Gerne erinnere auch ich mich an die unzähligen Begegnungen
mit ihm, bei denen ich seinen Erzählungen, die in einer heute leider
selten gewordenen Weise erfolgten, lauschen durfte. Ebenso
unvergeßlich sind mir die Sommertage des Jahres 1982, an denen
ich mit ihm eine Bestandsaufnahme der Kapellen und Wegekreuze
unserer engeren Heimat machen durfte.
Mit ihm ist leider einer der letzten Vertreter einer Generation
von uns gegangen, die in der Geschichte unserer Heimat eine Erfül-
lung suchten und fanden. Vielleicht werden sie auch seltener, weil
die jüngere Generation das Hinhören und das Interesse für diese
Dinge überhaupt verloren hat.
97
Leo Homburg ist nicht mehr unter uns. Sein Tod hat bei seinen
Angehörigen und bei uns eine tiefe Lücke gerissen, die nur schwer
geschlossen werden kann. Obwohl er bereits vom Tode gezeichnet |
war, bekundete er mir noch bei meinem letzten Besuch sein Interes-
se an den Geschicken der Vereinigung.
Er war uns allen ein väterlicher Freund.
Wir werden Leo Homburg nicht vergessen.
Für den Vorstand
der
Vereinigung für Kultur, Heimatkunde und
Geschichte im Göhltal,
Walter Meven
98 .
Auf dem Büchermarkt
von Alfred Bertha .
Es gehört viel Unbefangenheit dazu, sich an eine ganzheitliche
Erfassung des deutschen Sprachgebietes mit seinen ökonomischen,
kulturellen und sozialen Strukturen sowie dem politischen Kräfte-
spiel heranzuwagen. Die reichhaltige Nachkriegsbibliographie hei-
matkundlicher Werke zeigt zwar manche Ansätze zu einer Aufar-
beitung unserer jüngeren Vergangenheit, doch fehlte bisher die Ge-
samtschau, die es auch dem Fremden ermöglicht hätte, sich ein um-
fassendes Bild über das Land zwischen Kelmis und Ouren zu ma-
chen. .
Es ist das Verdienst des an der Pädagogischen Fakultät der
RWTH Aachen lehrenden Soziologen Prof. Dr. Heinrich Rösen-
sträter, mit einer ausführlichen, 670 S. umfassenden Studie mit dem
Titel
Deutschsprachige Belgier, Geschichte und Gegenwart. der deut-
schen Sprachgruppe in Belgien, Aachen 1985,
die bisher bestehende Lücke weitgehend geschlossen zu haben. Die
Untersuchung gliedert sich in zwei große Teile : der erste behandelt
in 5 Zeitabschnitten die geschichtliche Zugehörigkeit der ”Ostkan-
tone” und endet mit der Einsetzung des Rates der deutschen Kultur-
gemeinschaft (1973). In Teil II untersucht der Autor die demogra-
phischen und ökonomischen Strukturen, die Kontinuität im Gesell-
schaftlichen und Kulturellen, die Bewahrung der Muttersprache
und die Probleme der Zweisprachigkeit sowie schließlich den Wan-
del des politischen Bewußtseins und das Streben nach Autonomie.
Prof. Rosensträter kommt zu folgendem Ergebnis :
”Dem starken Wandel im ökonomischen sowie im schulischen und
beruflichen Feld steht ein deutlich konservatives Verhalten im reli-
giösen, sprachlichen und kulturellen Bereich gegenüber. Trotz be-
achtlicher beruflicher Chancen außerhalb des Sprachgebietes - ins-
besondere wegen der Beherrschung von zwei Sprachen - bleiben die
meisten Menschen in ihrem Heimatort wohnen und nehmen oft
weite Pendlerwege auf sich. Das dörfliche und kleinstädtische Le-
ben zeigt ein hohes Maß an kirchlicher und vereinsmäßiger Aktivi-
tät.”
Der Verfasser ist der Ansicht, daß die Erhaltung der deutschen
Sprache und Kultur nicht so ungefährdet sei, wie es auf den ersten
99
Blick erscheine. Er weist auch auf die mit der Zuordnung des unter-
suchten Gebietes zur Region Wallonien entstandene neue Proble-
matik hin.
Als Fazit der soziologischen und zeitgeschichtlichen Untersu-
chung kommt Prof. Rosensträter zu dem Schluß, daß es sich bei den
63.000 deutschsprachigen Belgiern um eine echte kulturelle Minder-
heit handelt und daß trotz der Nähe zur Bundesrepublik Deutsch-
land die Probleme dieser Minderheit sich eher noch verstärken wer-
den. Er sieht auch die Anbindung an die Region Wallonie als mögli-
che Quelle neuer Konflikte, die jedoch nicht zu einer Radikalisie-
rung der Minderheit führen dürften.
Die vorliegende Untersuchung bringt viel interessantes statisti-
sches Material (leider, das muß hinzugefügt werden, manchmal auf
dem Stand von 1974), tiefgehende Analysen der Wahlergebnisse in
Ostbelgien, eine ausführliche Darstellung der Parteienlandschaft
u.v.a.m. Die klaren Aussagen zur Frage der ostbelgischen Identität
und des Namens (Wer sind wir?) verdienen gleichfalls besondere Be-
achtung.
Wir können hier nicht auf weitere Einzelheiten eingehen. Die
Lektüre dieser wichtigen Neuerscheinung sei jedem Interessierten
wärmstens empfohlen! (Erhältlich im Buchhandel und im Grenz-
Echo Verlag, Eupen, 780 F).
Der Vorsitzende des Geschichtsvereins Zwischen Venn und
Schneifel, Kurt Fagnoul, hat sich in den letzten Jahren ausführlich
mit der Geschichte des Krieges im St. Vither Land beschäftigt und
seine Forschungsergebnisse in zahlreichen Publikationen vorgelegt.
In seinem neuesten Werk geht es nun nicht um den Krieg, sondern
um die ersten Friedensjahre, in denen die nach dem Krieg manch-
mal wilkürlich gezogenen Grenzen durch bindende zwischenstaatli-
che Abkommen zwischen der Bundesrepublik und ihren westlichen
Nachbarn mehr oder weniger einschneidende Korrekturen erfuhren.
”Die Annullierte Annexion” (1) ist ”ein Beitrag zur Grenzge-
schichte von Eupen-Malmedy-St. Vith unter Berücksichtigung der
belgischen Forderungen nach dem 2. Weltkrieg”.
(1) Untertitel : "Vom Wiener Kongreß bis zum Ende Bolleniens”, Aktuell-Verlag, St.
Vith, 228 S., 1250 F.
100
Materialien, Dokumente und Quellen zur Grenzgeschichte
von Aachen-Bildchen, Leykaul, Losheim und Hemmeres legt Kurt
Fagnoul in diesem Buch vor.
Von dem nach dem Ersten Weltkrieg an Belgien abgetretenen
Gebiet von Eupen-Malmedy kamen durch spätere Grenzregulierun-
gen nur die Gemeinde Losheim sowie Bildchen, Sief und ein Teil
Lichtenbuschs wieder zum Reich. Bis 1926 gab es zwar noch Rück-
gabeverhandlungen bzgl. Eupen-Malmedy, die dann aber am fran-
zösischen Widerstand scheiterten. So kam erst durch den deutschen
Einmarsch im Mai 1940 die Grenze wieder in Bewegung, wobei
nicht nur die früheren deutschen Kreise, sondern auch die plattdeut-
schen Gemeinden des Montzener Raumes und die Gemeinde Bo-
choltz betroffen waren. |
Kurt Fagnoul geht in seinem Buch, das vor allem eine Doku-
mentensammlung ist, dem wechselvollen Schicksal der Grenzregio-
nen nach. Er untersucht die Haltung Roms - (sollten die kirchlichen
Grenzen den politischen Gegebenheiten angepaßt werden?) - erläu-
tert, wie es zur Schaffung des Bistums Eupen-Malmedy kam und
wie sich Aachen und Lüttich in den Kriegsjahren verständigten.
Die nach dem Zweiten Weltkrieg erhobenen belgischen Ge-
bietsansprüche an Deutschland, die große Teile des Rheinlandes be-
trafen, mußten schließlich auf ein Minimum zurückgenommen wer-
den. Das am 16. April 1949 vom Brüsseler Außenministerium veröf-
fentlichte Communique zeigte, daß die Grenzberichtigung nur etwa
4.700 Einwohner betreffen würde. Doch auch diese Mini-Annexion
von etwa 25 km? konnte nicht im vollen Umfang durchgeführt wer-
den. Die europäische Haltung Spaaks und die Reaktionen in
Deutschland führten am 17.4.1949 zu einem Verzicht Belgiens auf
die Orte Münster-Bildchen, Rötgen, Lammersdorf, Kontzen und
Mützenich. In Bildchen, Losheim und Hemmeres kam es jedoch zu
Grenzverschiebungen nach Osten, von denen etwa 500 Personen
betroffen waren. Das Gebiet wurde dem General Bolle unterstellt.
Damit war ”Bollenien” geboren.
In der internationalen Presse mußte Belgien laute Schelte hin-
nehmen und sich den: Vorwurf gefallen lassen, gegen den Grundsatz
der Selbstbestimmung der Völker verstoßen zu haben. Im Laufe der
folgenden Jahre verdichteten sich die Kontakte zwischen der jun-
gen Bundesrepublik und ihren westlichen Nachbarn. Eine Rückga-
be der von Bolle regierten Gebiete konnte nur eine Frage der Zeit
101
sein ... Am 28. August 1958 gingen 1350 ha Land und 640 Perso-
nen durch die Rückgliederung an Deutschland zurück.
K. Fagnoul konnte für seine Untersuchungen auf zahlreiche
bisher nicht veröffentlichte Dokumente zurückgreifen. Eine umfas-
sende Bibliographie und ein reichhaltiger Quellenanhang machen
das Buch auch für weitere Forschungen zu einer Fundgrube.
Für die meisten unserer Leser ist Hubert Beckers kein Unbe-
kannter. In zahlreichen Beiträgen in unserer Zeitschrift hat er sich
mit unser Gebiet betreffenden Themen, vor allem zeitgeschichtli-
chen, befaßt.
Als Ausgabe drei der ”Beiträge zur Geschichte Eilendorfs” legt
Hubert Beckers nun ”Eilendorf am 8. September 1944” vor. (1)
Dieser 8. September war ”kein Tag wie jeder andere”. Immer
stärker machte sich im Laufe des Jahres 1944 die Luftüberlegenheit
der Alliierten bemerkbar. Bei Tag und bei Nacht wurden Bomben-
angriffe auf deutsche Städte, Rüstungsanlagen, Bahnhöfe und Ver-
kehrsziele geflogen. Am 5. September 1944 wurde ein Personenzug
der Vennbahn im Bahnhof Roetgen beschossen, am 7. September
folgte ein Angriff auf einen Munitionszug im Bahnhof Herbes-
thal, am Spätnachmittag des 8. September 1944 wurde der Perso-
nenzug Aachen-St. Vith auf der Strecke zwischen Rothe-Erde und
Brand angegriffen. Es gab viele Tote, darunter sieben Zivilisten, ei-
nen russischen Kriegsgefangenen und eine unbestimmte Anzahl
Wehrmachtsangehöriger. Auch in der Stadt Aachen gab es durch
diesen Angriff 5, möglicherweise sogar 8 Tote.
Es war dies der zweite Tieffliegerangriff auf die Vennbahn an
jenem 8. September 1944. Schon nachmittags gegen 14.30 war ein
Zug der Linie Aachen-St. Vith in Raeren unter Beschuß genommen
worden. Hubert Beckers versucht, anhand von Zeugenaussagen die
Ereignisse in und um Eilendorf genauestens zu rekonstruieren. Aus
den Aussagen der heute noch lebenden Zeugen geht hervor, daß der
Zug überfüllt war mit Berufstätigen und auch mit Aachenern, die
zum Übernachten in die Eifel fuhren. An jenem 8. September 1944
wurde auch der Bahnhofsbereich Eilendorf Ziel eines Tieffliegeran-
griffs; ebenso in Aachen der Bereich Elsaßstraße / Stolberger Straße
und St. Barbara (Rothe Erde).
(1) Eigenverlag des Verfassers, 116 S.
102
Da es sich um den fahrplanmäßigen Zug Aachen-St. Vith (Ab-
fahrt Aachen - Hauptbahnhof um 17.36) handelte, dürften auch
Raerener und St. Vither den Angriff miterlebt haben. Leider sind
dem Autor keine Zeugen aus diesen Orten bekannt geworden. Hu-
bert Beckers stellt die Eilendorfer Ereignisse in den größeren kriegs-
geschichtlichen Zusammenhang und bringt interessante Details zur
Luftlage im Westen, den Flugzeugtypen, dem Luftschutz etc. Dazu
viele Fotos und Karten sowie Wehrmachtsberichte.