Im Göhltal
ZEITSCHRIFT der
VEREINIGUNG
für
Kultur, Heimatkunde und Geschichte
im Göhltal
Nr 33
August 1983
Veröffentlicht mit der Unterstützung des Kulturamtes der
deutschsprachigen Gemeinschaft
Vorsitzender: Herbert Lennertz, Stadionstr. 3, 4721 Neu-Moresnet.
Sekretariat: Lütticher Str. 56, 4721 Tülje, Neu-Moresnet.
Lektor: Alfred Bertha, Bahnhofstraße 33, Hergenrath.
Kassierer: Fritz Steinbeck, Hasardstraße 13, 4721 Neu-Moresnet.
Postscheckkonto N" 000-0191053-60
Die Beiträge verpflichten nur die Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten.
Entwurf des Titelblattes: Frau Pauquet-Dorr, Kelmis.
Diese Skizze zeigt den Moresneter Göhlviadukt sowie die Hergenrather
Hammerbrücke in ihrer ursprünglichen Form.
Druck. Jacques Aldenhoff, Gemmenich.
3
Inhaltsverzeichnis
H. Beckers, Eilendorf Angriffsziel: Montzen
Der Bombenangriff vom 28.4.1944 4
A. Bertha, Hergenrath Die Hergenrather Kalkwerke i
(Forts. u. Schluß) 16
P. Zimmer, Astenet Bergmannslos (3. Forts.) 38
E. Barth, Eynatten Adress-Buch Eynatten 1927-28 56
W. Meven, Hergenrath Eine Gemeinde feiert 73
A. Bertha, Hergenrath Die Spielbank Altenberg 74
M.-Th. Weinert, Aachen Das Mobile 88
M. Komoth, Raeren Zum 100. Geburtstag des Raerener
Schriftstellers Josef Ponten 89
L. Homburg, Fossei Vor 30 Jahren 96
L. Wichert-Schmetz, Schlehen 9
Bad-Driburg
P. Zimmer, Astenet In Memoriam Leonard Kohl, gen. Nades 100
F. Nijns, Walhorn Gemmenich, mein Heimatdorf im Göhltal 104
A. Bertha, Hergenrath Die Kulturschande 109
4
Angriffsziel : Montzen
Der Bombenangriff auf den Bahnhof Montzen
am 28. April 1944
von Hubert Beckers
So schmerzlich es ist, die furchtbare Zeit des Zweiten Weltkrie-
ges noch einmal vor Augen zu führen, so wäre es doch nicht zu
verantworten, einen dicken Strich unter diese Vergangenheit zu zie- .
hen und sich damit zu begnügen, ”noch einmal davongekommen zu
sein”. Die leidvolle Geschichte der Jahre 1939 bis 1945 sollte viel-
mehr - gerade in unserer heutigen Zeit - als nie mehr zu übersehen-
des Warnmal der jüngeren Generation, aber auch den heutigen
Politikern, vor Augen führen, wohin politische Urteilslosigkeit
unsere Völker bringen kann.
1. Die allgemeine Entwicklung des Luftkrieges in den Jahren
1940 bis 1944
Nach dem Scheitern der ”Luftschlacht um England” durch die
Deutsche Luftwaffe, war diese von der erhofften Luftüberlegenheit
in die Verteidigung gedrängt worden. Eine weitere entscheidende
Verschärfung der luftstrategischen Lage brachte der Eintritt der
USA in den Krieg Ende des Jahres 1941. Mit dem Jahre 1942
beginnt nunmehr der massierte Bombereinsatz gegen das deutsche
Heimatkriegsgebiet. Die Stadt Lübeck ist das erste große Ziel in der
Nacht vom 28. auf den 29. März. Es folgen Köln am 30./31. Mai
1942 - als erster ”1000-Bomber-Angriff” bekannt. Diese Angriffe
zeigen, daß es sich jetzt nicht mehr nur um einzelne militärische
Ziele oder Anlagen, sondern um die systematische Zerstörung von
Flächenzielen handelt. Entsprechend hoch sind von nun an auch
die Verluste der Zivilbevölkerung.
Das Jahr 1943 sieht einen neuen Aufmarsch der beiden gegne-
rischen Luftflotten, wobei die Alliierten, jetzt jedoch besser gerüs-
tet, ihre konzentrierten Angriffe fortsetzen. Sie haben inzwischen
Langstreckenjäger entwickelt, die einen besseren Geleitschutz über
deutschem Boden bieten. Außerdem setzen sie jetzt vorzugsweise
viermotorige Bomber ein. Damit beginnt die Zeit der schweren
Nachtangriffe auf deutsche Städte.
5
Die entscheidende Wende im Luftkrieg über Deutschland
bringt jedoch das Jahr 1944 (1). Hatte sich bisher gezeigt, daß die all-
gemein gegen die Bevölkerungs- und Wirtschaftszentren geführten
Luftangriffe nicht die von den Alliierten erhoffte Wirkung brach-
ten, so traten jetzt klar überdachte strategische Gesichtspunkte in
den Vordergrund. Neben den teilweise weitergeführten Terroran-
griffen schälten sich nun zwei weitere Gruppen von Angriffszielen
heraus: das Verkehrsnetz und die Betriebsstoffproduktion. In
Nordfrankreich erreichten die planmäßigen Zerstörungen des Ver-
kehrsnetzes einen Rückgang auf 13% des Eisenbahnverkehrs und
bilden damit - und der dadurch bedingten Lähmung der deutschen
Führung - eine wirksame Vorbereitung der Invasion. Wie sich die-
selbe dann unter dem Schutz der alliierten Luftüberlegenheit vollzo-
gen und durch die wirksame Unterstützung der gelandeten alliierten
Verbände durch deren Luftwaffe zum Durchbruch ausweitete, ist
genügend bekannt.
2. Der Bombenangriff auf den Bahnhof Montzen
Daß bei diesen Luftangriffen auf das Gesamt-Verkehrsnetz
-speziell im Westen - auch die damals deutsch-besetzten Gebiete
nicht verschont blieben, zeigt u.a. der schwere Bombenangriff in der
Nacht vom 27. zum 28. April des Jahres 1944, als gegen 1.00 Uhr
die Bewohner von Montzen und Umgebung aus ihrem Schlaf ge-
schreckt wurden. Alliierte Bomber schickten sich an, Viadukt und
Bahnhof mit Bomben zu belegen.
Da die Anflugrichtung jedoch nicht exakt durchgeführt wur-
de, fiel die Mehrzahl der geworfenen Bomben außerhalb der eigent-
lichen Verkehrsanlagen und innerhalb der Ortsbebauung Mont-
zens. Dadurch blieb der Viadukt soweit unbeschädigt. Der Bahnhof
selbst wies jedoch nach dem Angriff erhebliche Schäden auf. Aber
(1) Am Sonnabend, dem 1. April 1944, beginnt eine neue Phase des Bombenkrieges :
Der Einsatz der RAF-Bomber wird voll mit der Operation ”Overlord”, der für An-
fang Juni geplanten Landung in Frankreich, koordiniert.
An diesem Tage kommt das Bomberkommando unter den Befehl vom S.H.A.E.F.
(Supreme Headquarters Allied Expeditionary Forces - Oberstes Hauptquartier der
Alliierten Expeditionsstreitkräfte), und für die nächsten fünf Monate wird Sir
Arthur Harris (bekannt als ”Bomber-Harris”) nominell General Dwight D. Eisen-
hower unterstellt. Während dieser Zeit kann der Air Marshall die Offensive gegen
deutsche Städte nur dann weiterführen, wenn seine Bomber nicht für Angriffe im
Zusammenhang mit ”Overlord” gebraucht werden.
Daher stellt man die Groß-Nachteinsätze der RAF gegen das Reichsgebiet - abge-
sehen von den laufenden Mosquito-Störangriffen - für einige Wochen fast völlig
ein. Dagegen steigern sich die USAAF-Tagesangriffe.
6
auch im Ort Montzen selbst waren rund hundert Wohnhäuser ge-
troffen worden. Totalschaden entstand an ca. vierzig Gebäuden.
Schlimmer als alle materiellen Schäden waren jedoch die Verluste
an Menschenleben. Insgesamt sechsundzwanzig Zivilpersonen im
Ort selbst sowie rund fünfzig deutsche Wehrmachtsangehörige und
Bahnbedienstete fanden bei diesem Angriff den Tod. Doch lassen
wir die amtlichen Angaben sprechen.
3. Der Ablauf des Angriffs
Es war eine kalte, trockene und klare Nacht zum Freitag, dem
28. April des Jahres 1944, mit leichter Bewölkung und einem schwa-
chen Wind, als man genau um 1.02 Uhr ”Öffentliche Luftwarnung” >
gab. Bereits wenige Minuten später, so berichten auch private Auf-
zeichnungen, war der Himmel im Raum Eupen - Montzen - Mores-
net durch zahlreiche Leuchtschirme taghell erleuchtet. Alliierte
Bomberverbände griffen, mehrfach anfliegend (2), den Bahnhof
Montzen konzentrisch und, infolge ungenügender Warnbefehle
und Luftlagemeldungen, überraschend an. Flakabwehr war soweit
nicht vorhanden. Die Stärke der feindlichen Verbände betrug etwa
hundertzwanzig Flugzeuge. Die Anzahl der auf den Bahnhof und
‚die Gemeinden Montzen und Homburg abgeworfenen Bomben be-
trug rund 1200 Sprengbomben schweren Kalibers mit Verzöge-
rungszünder, zahlreiche Leuchtbomben sowie eine geringe Menge
Stabbrandbomben. Hiervon wurden alleine auf Bahngebiet abge-
worfen : 315 Sprengbomben, 22 Blindgänger und 30 Brandbomben.
Zusätzlich schlugen etwa 150 Sprengbomben in unmittelbarer Um-
gebung der Bahnanlagen ein.
Das Ausmaß der Sprengbombenschäden entsprach dann auch
der ungeheuren Wucht und Massierung dieses Angriffs. Trotz der
aufgelockerten, in der Gegend üblichen ländlichen Bebauung, wur-
den aufgrund der bereits erwähnten falschen Angriffsrichtung ins-
besondere in dem Ortsteil Montzen-Cite die meisten Häuser zerstört
oder beschädigt.
In einem abschließenden Bericht der Deutschen Reichsbahn
vom 13. Mai 1944 werden folgende Gebäudeschäden angeführt : 57
Totalschäden, 71 schwere Schäden und 277 leichte Schäden. Als
(2) Es handelte sich nicht, wie oft fälschlich berichtet, um sogenannte Bombenteppi-
che, sondern um ein viermaliges Überfliegen der Bahnanlagen durch die feindli-
chen Bomberverbände.
7
Verluste an Menschen zählte man 66 Gefallene sowie 150 Verwun-
dete. Unter den Betroffenen befanden sich viele belgische Eisenbah-
ner mit ihren Angehörigen, die 1940, nach dem Einmarsch der deut-
schen Truppen, von der Deutschen Reichsbahn übernommen wor-
den waren. Die Zahl der Obdachlosen betrug insgesamt 410 Perso-
nen. Von den obenangeführten Personenverlusten waren nach dem
Stand vom 13. Mai alleine vierzehn Eisenbahner in Ausübung ihres
Dienstes gefallen. Außerdem wurden zu diesem Zeitpunkt noch
zehn Eisenbahner vermißt, mit deren Tod man jedoch nach Lage
der Dinge rechnen mußte. Unter den Verwundeten zählte man
zweiundzwanzig Eisenbahner. Die feierliche Beisetzung der getöte-
ten Zivilpersonen fand am Sonntag, dem 7. Mai, auf dem Ehren-
friedhof Montzen statt. Es waren :
Duyckaerts Florent Otten Jean
Duyckaerts Ernest Otten Lucie
Duyckaerts Alberte Otten Rosalie
Duyckaerts Joseph Franck Marie-Jose
Vanderheyden Philomene Heusch Catherine
Lemmens Rosalie Micheels Henri
Cormann Marie Micheels Irma
Bouche Eugenie Chantrain Marie
Jaquemin Pierre Laixhay Hubert
Kreuz Paul Laixhay Elisabeth
Kreuz Yvonne Kettmus Marie
Roufosse Marie Verteurve Jacob
Cool Elisabeth Hamers Maria.
Die in Ausübung ihres Dienstes gefallenen und sofort als tot erkann-
ten 14 Eisenbahner waren :
Bleilevens Wilhelm Kohnen Hilde
Bruckmann Johann Michels Heinrich
Counotte Emil Rütten Julius
Gielen Nikolaus Scheen Johann
Hagelstein Johann Strerath Heinrich
Harperscheidt Josef Vertreurve Jakob
Jacquemin Peter von Royen Emil.
Als zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgefunden bzw. vermißt gal-
ten:
Belleflamme Johann Gülikers Hubert
Bettenhausen Laurenz Hartmann Anton
Conrads Ludwig Heindrichs Leonhard
Engel Stefan Pons Heinrich
Franssen Johann Schnitzler Wilhelm.
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Die beiden Ehrenmale auf dem Friedhof in Montzen, Sie halten die Erinnerung wach
an die bei dem Bombenangriff auf den Bahnhof in der Nacht vom 27. zum 28. April
1944 getöteten Zivilpersonen.
9
4. Die Auswirkungen des Angriffs auf den Bahnbetrieb
Infolge der massierten Bombenabwürfe entstanden durch Voll-
treffer und Blindgänger schwerste Zerstörungen an den gesamten
Bahnanlagen. Die Bombentrichter, mit einem durchschnittlichen
Durchmesser von 10 - 15 m und einer Tiefe von 5 - 7 m, waren über
das Gesamtgleisnetz verteilt. Sämtliche Gleise des östlichen Bahn-
hofsteils waren daher unbefahrbar geworden. Auch alle anderen
Gleisgruppen wiesen schwerste Schäden auf. Dies traf besonders auf
die Umspanngruppe für die Wehrmachtszüge Deutschland - Belgien
bzw. umgekehrt sowie auf die durchgehenden Hauptgleise am west-
lichen Bahnhofsende zu.
In den betroffenen Teilen des Bahnhofs waren sämtliche
Hochbauten, mit Ausnahme zweier Stellwerke, zerstört oder
schwerstens beschädigt. Insbesondere wurden sämtliche
vorschriftsmäßig ausgebaute Splitterschutzräume zerstört. dagegen
waren die Fahrzeugverluste und -schäden, trotz der vielen Fahrzeu-
ge im Bahnhofsbereich, gering, da die Wagen sehr gut aufgelockert
standen. Außerdem waren drei vollständige Güterzüge mit je 120
Achsen, die infolge einer Annahmesperre in Belgien in den schwer-
stens getroffenen Einfahrgleisen abgestellt waren, drei Tage vor
dem Angriff auf Anordnung höherer Stellen nach dem Anschluß
Wesertalsperre beim Bahnhof Eupen abgefahren worden und ent-
gingen somit ihrer Vernichtung. Ein 48 Achsen starker Zug mit
Flugbenzin erhielt jedoch einen Volltreffer und geriet in Brand. Die-
ser konnte jedoch mit Erfolg bekämpft werden, so daß nur zwei Wa-
gen verloren gingen. Die Fahrzeugschäden betrugen insgesamt :
2 Loks schwer beschädigt :
17 Loks leicht beschädigt
23 Güterwagen durch Sprengbomben zerstört
47 Güterwagen durch Sprengbomben schwer beschädigt
62 Güterwagen durch Sprengbomben leicht beschädigt
2 Güterwagen durch Brandbomben zerstört sowie
9 Güterwagen durch Brandbomben beschädigt.
Durch die schweren Zerstörungen im östlichen Bahnhofsteil
war nun der gesamte Zugverkehr von und nach Belgien unterbro-
chen. Die erforderliche Güterzugbildung mußte daher nach den
Bahnhöfen Aachen-West, Aachen-Rothe Erde, Stolberg und Herzo-
genrath verlegt werden. Zur Sicherstellung des Nachschubs für den
Westen mußten ebenfalls vielerlei Maßnahmen getroffen werden.
Hierhin wurden außer den schon vorgenannten Bahnhöfen u.a. die
deutschen Bahnhöfe Rheydt, Dalheim, Hohenbudberg, Gremberg,
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Montzen - Belgien
Bahnhof Montzen nach dem Angriff vom 27./28.4.1944
1
Düren und Kaldenkirchen mit einbezogen. Am 10. Mai 1944 konn-
ten, da die Instandsetzungsarbeiten soweit fortgeschritten waren,
diese Maßnahmen wieder aufgehoben werden, so daß der Bahnhof
Montzen seine Zugbildungsaufgaben nun wieder voll übernehmen
konnte.
5. Der Arbeitseinsatz bei der Schadensbeseitigung
Die Schadensbeseitigung sowie der Wiederaufbau des bei dem
Angriff schwer zerstörten Bahnhofs Montzen konnte, wie man
sieht, in verhältnismäßig sehr kurzer Zeit durchgeführt werden,
dank der Einsatzbereitschaft der Eisenbahner sowie der hervorra-
genden Unterstützung der Gauleitung Köln, der Kreisleitung Eu-
pen (DAF-Einsatz und Verpflegung), der Kreisleitung Aachen (Ver-
pflegung), der Wehrmachtskommandanturen Aachen und Eupen
(Hilfskommandos), des Polizeipräsidenten Aachen (Spezialtrupps,
TN und SHD) und nicht zuletzt durch den ausgezeichneten Arbeits-
einsatz der OT. In unermüdlichem Einsatz und ohne die sonst bei je-
der Gelegenheit üblichen Kompetenzquerelen hatten alle Beteilig-
ten nur das eine Ziel vor Augen : die Wiederinbetriebnahme dieser
so überaus wichtigen Nachschubstrecke zur Westfront mit allen
Mitteln zu fördern. Im Einzelnen waren nach dem Angriff folgende
Kontingente an Arbeitskräften zur Schadensbehebung eingesetzt :
am 28. April 450 Einsatzkräfte
u.a. Besichtigung der Schadensstellen durch den
Staatssekretär und den Reichsbahnpräsidenten
am 29. April 1097 Einsatzkräfte
nach 40 Stunden bereits Richtungsverkehr durch den
Bahnhof auf zwei Gleisen mit Lokwechsel möglich
und damit Fahrten in Richtung Westen wieder mög-
lich, so daß die Alliierten hiermit zu diesem Zeit-
punkt bereits um ihren Haupterfolg gebracht waren
am 30. April 3986 Einsatzkräfte
davon 1000 DAF-Einsatz Eupen, 1070 Wehrmacht
und 1220 OT, 60% der Bombentrichter in den be-
triebswichtigsten Gleisen verfüllt, Gauleiter besich-
tigt in Begleitung des Reichsbahnpräsidenten die
Schadensstellen
am 1. Mai 3965 Einsatzkräfte
90% der Bombentrichter in den betriebswichtigsten
Gleisen verfüllt, 4 Güterzüge verlassen bereits den
Bahnhof in Richtung Westen und Deutschland
12
am 2. Mai 2200 Einsatzkräfte
u.a. Instandsetzung der wichtigsten Fernsprechver-
bindungen
am 3. Mai 2065 Einsatzkräfte
mehrere Gleisdurchfahrten, Lokstände, Drehschei-
ben, Bekohlungs- und Schlackenanlagen wieder ein-
satzfähig, Lokreparaturen durch Werkstattzug
am 4. Mai 2105 Einsatzkräfte
im Stellwerk Mo alle Weichen und Signale wieder
angeschlossen
am 5. Mai 2275 Einsatzkräfte P
weitere Gleise befahrbar, mehrere Dienstposten von
Aachen-Rothe Erde wieder nach Montzen verlegt
am 6. Mai 2189 Einsatzkräfte
drei weitere Gleise wieder befahrbar
am 7.Mai 2022 Einsatzkräfte
zwei weitere Gleise befahrbar, Ablaufberg betriebsfä-
hig
am 8. Mai 2092 Einsatzkräfte
weiteres Einfahrgleis befahrbar, Ablaufbetrieb wie-
der aufgenommen, Arbeiten in der Umladehalle auf-
genommen
am 9.Mai 2104 Einsatzkräfte
Besichtigung der Wiederaufbauarbeiten durch den
Staatssekretär und den Reichsbahnpräsidenten, Wie-
deraufbauprogramm zur Ausführung der Hochbau-
arbeiten wird genehmigt, mit den Arbeiten ist bereits
begonnen worden
am 10. Mai 2034 Einsatzkräfte
weitere Gleise befahrbar, zweiter Ablaufberg in Be-
trieb genommen, der Bahnhof Montzen kann somit
seine Zugbildungs- und Umspannaufgaben der
Wehrmachtszüge wieder im alten Umfang überneh-
men
am 11. Mai 1026 Einsatzkräfte
650 OT-Leute und 320 Wehrmachtskräfte rücken
ab; Belgien weigert sämtliche Züge, mit Ausnahme
der Wehrmachtszüge; acht Züge für Belgien in
Montzen abgestellt, sämtliche L- und Sf-Züge wer-
den infolge Feindeinwirkung im Raume Lüttich über
Montzen umgeleitet
13
am 12. Mai 994 Einsatzkräfte
Gleis 11 wieder befahrbar
am 13. Mai 957 Einsatzkräfte
(16. Tag) Gleis 15 wieder befahrbar, Reisezugverkehr Aachen
Hbf-Montzen-Homburg wieder in vollem Umfang
aufgenommen.
Listet man jedoch die Anzahl der bei dem Wiederaufbau eingesetz-
ten Arbeitskräfte auf, so stellt sich heraus, daß die Anzahl der ver-
muteten, eingesetzten Kriegsgefangenen (Serben und Franzosen)
sehr gering war. Einige Beispiele mögen dies belegen :
am 1.Mai 1256 OT + 979 Wehrmacht + 482 Rotte und Bau-
zug + 812 DAF Eupen + 166 Kriegsgefangene =
3695 Einsatzkräfte
am 3.Mai 1270 OT + 280 Wehrmacht + 416 Rotte und Bau-
zug + 45 TN Aachen + 56 Kriegsgefangene =
2065 Einsatzkräfte.
Dies klingt umso unglaubwürdiger, wenn man bedenkt, daß
sich im Raum Aachen zu dieser Zeit 28 Kriegsgefangenenlager mit
insgesamt 6506 Kriegsgefangenen sowie 31 Lager für ausländische
Arbeitskräfte mit insgesamt 7430 Verpflichteten befanden.
Ein schweres Unglück ereignete sich jedoch noch am 3. Mai
durch die Explosion von Gasen bei der Bergung von Toten aus dem
Hauptsplitterschutzraum, der von einem Volltreffer getroffen war.
Bei dieser Explosion, vermutlich handelte es sich hier um Benzinga-
se von dem 1000 m weiter weg entfernt stehenden getroffenen Ben-
zinzug, wurden zwei deutsche Soldaten von der Marschkompanie
473, Eschweiler, schwer und drei leicht verletzt.
Infolge des schweren Angriffs, der fast ohne jede Flakabwehr
erfolgte, waren einige Tage später mehrere Flakeinheiten in den
Raum Montzen verlegt worden. Am 15. Mai, nach Abschluß der
Instandsetzungsarbeiten, besichtigte der General der Flak, Burg-
hardt, gemeinsam mit dem Kommandeur der Flakgruppe Aachen,
Oberstleutnant Werth, die Eisenbahnflakstellungen im Raum
Montzen-Herbesthal. Um jedoch bei den jetzt im Bahnhof Montzen
stehenden Eisenbahnflakbatterien Verluste zu vermeiden und auch
eine weitere zusätzliche Gefährdung der Bahnanlagen
auszuschließen, wurde befohlen, diese beiden Batterien außerhalb
des Bahnhofsbereichs aufzustellen.
15
Bereits am 18. Mai 1944 sind die beiden Batterien dann aus
dem Bahnhof Montzen abgezogen worden. Durch die neuen Auf-
stellungsorte lagen die beiden wichtigen Bahnhöfe Montzen und
Herbesthal sowie die Göhltal- und Hammerbrücke nun alle inner-
halb des Wirkungskreises dieser schweren Batterien.
Außer den 16 schweren Eisenbahnflakgeschützen mit einem
Kaliber von 12,8 cm standen zu dieser Zeit noch 12 Vierlingsge-
schütze zur Verfügung, die so eingesetzt werden sollten, daß für bei-
de Brücken Sperrfeuer gegeben werden konnte. Weiterhin waren
der Flugabwehr im Raum Montzen-Herbesthal vier Stellungen mit
je zwei 60 cm-Scheinwerfern zugeteilt. Wie wir jedoch wissen, ist es
in der Folgezeit außer kleineren Tieffliegerangriffen (3) nicht mehr
zu größeren Aktionen seitens der Alliierten gekommen.
(3) Siehe auch : Hubert Beckers, Über den Einsatz der deutschen Reichsbahn im Sep-
tember 1944 im Raum Eupen-Moresnet, Im Göhltal Nr. 30, S. 5 ff
16
Die Hergenrather Kalkwerke
(Forts. und Schluß*)
von Alfred Bertha
Schon im ersten Jahre nach der Übernahme des Steinbruchs
durch die Westdeutschen Kalkwerke konnte eine beachtliche För-
dermenge erreicht werden. Wie aus einer detaillierten Aufstellung
hervorgeht, wurden vom 1.12.1911 bis zum 30.11.1912 nicht weni-
ger als 4.098 Waggons versandt, und zwar waren es (jeder Waggon
zu 10 To) : 4.036 Waggons Steine
47 Waggons Kleinschlag für Bahnmeisterei Herbesthal ;
3 Waggons Kleinschlag für Stadtbauamt Würselen
9 Waggons Packlagesteine
3 Waggons Packlagesteine f. Lauffs, Aachen.
Da die Steine zu 1,65 M, Klein- und Großschlag zu 1 M verrechnet
wurden, erzielte die Gemeinde Walhorn schon in diesem einen Jahr
eine Einnahme von 6.721,40 M.
Der größte Abnehmer für die Kalksteine waren die Deutschen
Solvay-Werke in Würselen. Diese Firma war jedoch über das aus
Hergenrath angelieferte Material nicht immer glücklich, denn der
Hergenrather Stein war sehr mit Kohlensandstein, sog. Feuerstein,
verunreinigt. ”Mit den Deutschen Solvay-Werken-Würselen, so
schreiben die Kalkwerke am 17. Januar 1914 an die Gemeinde, ”ha-
ben wir fortwährend Differenzen, auch über die Qualität der Steine,
gehabt, weil der Kalkstein vielfach mit Kohlensandstein durchsetzt
ist, welcher sich für Hüttenwerke u. chemische Fabriken nicht eig-
net.”
Gleichzeitig teilten die Kalkwerke mit, daß ihnen das
Anschlußgleis zum 1.3.1914 gekündigt worden sei und sie deshalb
genötigt seien, ein neues Anschlußgleis zu bauen oder den Betrieb
einzustellen. Die Fa rechnete mit 30.000 M Unkosten für den neu-
en Bahnanschluß. Bis dahin hätte sie noch keinen Gewinn aus dem
Betrieb erzielt, sondern nur fortwährend Neu-Anlagen und Auf-
schlüsse gemacht.
Der Wunsch der Fa wäre es nun gewesen, die Abgabe - Ermäs-
sigung für Kleinschlag und Packlage, die für die Dauer von 5 Jahren
* S. ”Im Göhltal” Nr. 32, S, 39-53.
NH
bewilligt worden war, auf die gesamte Dauer des Pachtvertrages
auszudehnen, damit die maschinellen Einrichtungen zur Zerkleine-
rung des Wegebaumaterials gleichzeitig mit dem neuen
Gleisanschluß angelegt werden konnten. Diese Brecheranlage woll-
te die Fa jedoch nur bauen, wenn dieselbe auch, auf Dauer gesehen
Gewinn verspreche.
Da die Gemeinde einer Verlängerung dieser verbilligten Abga-
besätze nicht zustimmen wollte, richtete die Gesellschaft am 22.
April 1914 ein längeres Schreiben an den Landrat des Kreises Eu-
pen, in dem sie u.a. ausführte, daß es ihr nicht gelungen sei, nen-
nenswerte Mengen Material für Packlage und Kleinschlag abzuset-
zen, da bekanntlich in hiesiger Gegend zu Wegebaumaterialien vor-
zugsweise Basalt und Grauwacke benutzt würden. ”’Wir müssen jetzt
eine Ermäßigung sämtlicher Abgabesätze erbitten”, heißt es dann.
Und weiter : ”Der Hergenrather Betrieb hat uns bis heute keinen
Gewinn gebracht, weil noch fortwährend Transport- und
Aufschließungsarbeiten in Betracht gekommen sind. Nachdem wir
nun 2 Bruchstellen aufgeschlossen und eine Förderstrecke zum
Bahnhof sowie eine kostspielige Überbrückung der Staatsbahn und
einen Eisenbahn-Anschluß gebaut haben, wird uns von der Königl.
Eisenbahn-Verwaltung das Anschlußgleis wegen Erweiterung des
Bahnhofes Hergenrath gekündigt. In entgegenkommender Weise
hat uns die Eisenbahnverwaltung gestattet, die bisherigen Verlade-
vorrichtungen auch nach dem 1. April ds. Js. noch zu benutzen, sich
jedoch die jederzeitige Schließung des Anschlußgleises vorbehalten.
Voraussichtlich wird der jetzige Anschluß noch höchstens 8-10 Wo-
chen erhalten bleiben können.
Wir werden nun gezwungen, einen neuen Eisenbahnanschluß
sowie eine neue Überbrückung über die Staatsbahn zu bauen. Die
® Überbrückung muß über 5 Staatsbahngleise hinweggeführt werden
und eine lichte Weite von 28 Meter erhalten. Außerdem sind große
Bodenmassen zur Dammerweiterung für das neue Anschlußgleis er-
1 forderlich.
Ferner wird unsere ganze angelegte Transportlinie bzw. För-
dereinrichtung und dann auch die jetzige Überführung hinfällig und
damit fast vollständig wertlos, und wir müssen daher eine ganz neue
Fördereinrichtung nach dem neuen Anschlußgleis herstellen, wenn
wir den Betrieb weiter aufrecht erhalten wollen.
Mit Rücksicht auf die bisherigen ungünstigen Ergebnisse des
Hergenrather Betriebes und auf die sehr hohen, jetzt in Betracht
18
kommenden neuen Anlagekosten, mindestens 60/70.000 Mk, hat
unser Aufsichtsrat nunmehr die Stillegung des Betriebs in Erwä-
gung gezogen, wenn nicht die Gemeinde Walhorn eine Ermäßigung
der Abgaben eintreten läßt. Wir werden vom Vertrage nicht
zurücktreten, sondern der Gemeinde Walhorn die für die ersten 15
Jahre festgelegte Mindestrate von 900,00 Mk zahlen; für die weite-
ren 15 Jahre je 1200 M und für die restlichen 20 Vertragsjahre je
2000 M. Im Höchstfalle würde die Gemeinde also 71.500 M erhal-
ten.”
Da die Kalkwerke im Jahre 1912 6.900 M und 1913 7.800 M
an Bruchabgaben an Walhorn gezahlt hatten, hätte sich bei einem
Durchschnittsbetrag von 7.800 M für 30 Jahre eine Summe von z
234.000 M ergeben und für 50 Jahre gar 390.000 M.
Die Kalkwerke machen in ihrem Schreiben auch darauf auf-
merksam, daß die sehr wohl ihre Kundschaft von den drei Stolber-
ger Werken aus bedienen könnten, die alle mit Gleisanschluß verse-
hen seien und auch günstigere Frachtsätze hätten als Hergenrath.
Die geringen Abgaben, die die Fa nach der Stillegung an Walhorn
zu zahlen hätte, würden durch die geringeren Frachtsätze von Stol-
berg aus mehrfach aufgewogen. Das Hauptinteresse des Werks be-
stehe übrigens darin, zu verhindern, daß in Hergenrath ein Konkur-
renzbetrieb entstehe! Es müsse auch bedacht werden, daß die
Rheinisch-Westfälischen Kalkwerke A.G.-Dornap, das größte deut-
sche Kalkwerksunternehmen, naturgemäß darauf sehe, daß die
Westdeutschen Kalkwerke nur solche Werke betreiben, die auch
mit Bestimmtheit wenigstens eine mäßige Verzinsung der erforderli-
chen Kapitalien in Aussicht stellten.
Sowohl Hergenrath wie Walhorn hätten ein berechtigtes Inte-
resse an der Weiterführung- des Betriebes, der in den Jahren
1911/12/13 101.205,88 M an Löhnen und Gehältern gezahlt habe.
Die Kalkwerke schließen ihren Brief an den Landrat mit den
Worten : ”Für den Fall, daß der Antrag von der Kgl. Eisenbahn-
Direktion genehmigt wird (- ein Antrag auf Frachtermäßigung-) und
die Gemeinde Walhorn uns eine angemessene Ermäßigung der Ab-
gaben bewilligt, werden wir in die Lage versetzt, den Hergenra-
ther Betrieb erheblich zu vergrößern und vielen Arbeitern eine loh-
nende Beschäftigung zu geben und auch der Gemeinde Walhorn bei
ermäßigten Abgaben größere Einnahmen zuzuführen und der Ge-
meinde Hergenrath eine größere Steuerquelle zu erschließen.”
19
Der Gemeinderat von Walhorn diskutierte die Lage eingehend
am 13.5.1914; an der Sitzung nahm ein Vertreter der Kalkwerke
teil. Derselbe kam zu dem Eindruck, daß die Stimmung im Gemein-
derat gegen die Kalkwerke angeheizt worden sei.
In einem weiteren vom 19. Juni 1914 datierten Schreiben an
den Landrat wiederholen die Kalkwerke ihre Argumente für eine
Ermäßigung der Bruchabgaben und führen u.a. einige interessante
Zahlenangaben hinzu. So erfahren wir, daß das Hergenrather Werk
für 1911 einen Verlust von 7.215,40 M und für 1912 einen Verlust
von 1.772,07 M ausgewiesen habe. 1913 schloß mit einem Gewinn
von 8.775,37 M ab. Die Neuanlagekosten von 60-70.000 M ließen
das Hergenrather Unternehmen für viele Jahre wirtschaftlich un-
rentabel erscheinen. Wenn aber die Gemeinde einer Ermäßigung
der Pachtabgaben zustimme, versprachen die Kalkwerke, eine
größere Anlage zu bauen und auch gebrannten Kalk herzustellen.
In den Monaten August und September 1914 lag der Stein-
bruch still. Die Truppentransporte machten die Wiederaufnahme
der Arbeiten und des Versands erst im Oktober wieder möglich.
Die vorliegenden Zahlen über geförderte Mengen Kalkstein
und Kleinschlag zeigen, daß der Hergenrather Betrieb in den
Kriesgsjahren recht flott betrieben wurde. Anfang 1915 klagt das
Werk über ”einen Arbeitermangel wie nie zuvor”, da die meisten
Stammarbeiter im Felde stünden.
Die Kalkwerke hatten Lieferungen für chemische Fabriken
und Stahlwerke, welche Kriegsmaterial herstellten, auszuführen.
Auch belieferten sie Zuckerfabriken, welche Kalksteine für die
Rübenaufbereitung benötigten.
Im Januar 1915 beschäftigten die Hergenrather Anlagen rund
zwei Dutzend ausländische Arbeiter, vor allem aus Gemmenich, Mo-
resnet und Kelmis. Diese Arbeiter, "über deren Gesinnung und Ruf
die diesseitige Verwaltung nicht unterrichtet ist” (Bgm. Kyll) waren
im Besitz von belgischen Personalausweisen mit einem Sonderver-
merk des Landsturmbataillons.
Der durchschnittliche Tageslohn betrug über 5 M, manche ver-
dienten 6-7 M, jüngere oder ältere Arbeitnehmer” entsprechend we-
niger”. Auch ungeschulte Arbeiter konnten zum Entladen und Bela-
den der Waggons eingestellt werden.
20
Hier einige Zahlen über gefördertes Material :
3. Quartal 1915 : 14.065,67 Tonnen Kalksteine und 89,2 T Kleinschlag
4. Quartal 1915 : 13,133,85 Tonnen Kalksteine und 46,75 T Kleinschlag
1. Quartal 1916 : 15,677,9 Tonnen Kalksteine und 227,5 T Kleinschlag
2. Quartal 1916 : 19.367,90 Tonnen Kalksteine und 120,64 T Kleinschlag
3. Quartal 1916 : 21.239,47 Tonnen Kalksteine und 414,61 T Packlage
4. Quartal 1916 : 16.934,4 Tonnen Kalksteine und 15,06 T Packlage
1. Quartal 1917 : 19.575,96 Tonnen Kalksteine und 506,24 T Packlage
Im 2. Quartal 1917 wurden erstmals Abgaben für gebrannten
Kalk berechnet, wofür die Kalkwerke fast das Doppelte der norma-
len Bruchabgaben zahlten, nämlich 3,20 M pro 10 T. Der Großteil
des gebrannten Kalks ging in die Stahlproduktion, wo er zur Bin- .
dung der Schlacke benötigt wird. Diese Schlacke, (die sog. Thomas-
schlacke) findet in der Landwirtschaft als Düngemittel Absatz. Im
April 1917 wurden 47 Tonnen Kalk gewonnen, im Mai waren es
962 T und im Juni 1.422 Tonnen, was für das erste Quartal 1917 ei-
ne Gesamtmenge von rund 2.432 Tonnen Kalk ergab. Die in der
gleichen Zeitspanne versandten Kalkstein erreichten ein Gewicht
von 15.448 Tonnen.
4. Quartal 1917 : 5.000 T Kalk und 15.313 T Kalksteine
1. Quartal 1918 : 5.247 T Kalk und 15.435 T Kalksteine
2. Quartal 1918 : 6.260 T Kalk und 15.831 T Kalksteine
2. Halbjahr 1918 : 10.292 T Kalk und 19.976 T Kalksteine
Da, wie wir schon vernahmen, die meisten Stammarbeiter in
den Kriegsjahren im Felde standen, wurden viele Fremdarbeiter im
Hergenrather Bruch eingesetzt. Russische, italienische und engli-
sche Kriegsgefangene ersetzten das Stammpersonal. Neben dem
Bauernhof Schrouff stand ein heute abgerissenes Fabrikgebäude, in
dem diese Kriegsgefangenen untergebracht waren. Eine Grippeepi-
demie raffte 1918 eine große Anzahl von ihnen hinweg. Besonders
hart war auch der ”Steckrübenwinter” 1917/18. Wasser wurde in
Fässern dem Wasserhahn am Bahnhof entnommen. Die Pumpsta-
tion befand sich in der Nähe der Hammerbrücke.
Nach Kriegsschluß ging der Steinbruch erheblich zurück, Im
Januar 1919 teilten die Kalkwerke dem Bürgermeister von Walhorn
mit, das Werk habe den Hergenrather Betrieb fast um die Hälfte ein-
schränken müssen, die Gemeinde könne also in Zukunft nicht mehr
mit den hohen Abgaben rechnen, es sei, denn, die Gemeinde zeige
21
sich in der Frage der Abgaben entgegenkommend. Die Kalkwer-
ke befürchteten, die belgische Konkurrenz werde in kurzer Zeit
schon den gesamten rheinischen Kalkmarkt wiedererobert haben.
Sie müsse mit so hohen Brennstoffpreisen und Arbeiterlöhnen rech-
nen, daß die Verkaufspreise mit den belgischen Gestehungskosten
nicht mehr konkurrieren könnten.
Trotz wenig versprechender Zukunftsaussichten zeigten sich
die Kalkwerke an der Anpachtung einiger an das Kalksteinvorkom-
men angrenzender Parzellen interessiert, waren jedoch sehr erbost, als
sie erfuhren, daß die Gemeinde mit August Vandenesch einen
Pachtvertrag abgeschlossen hatte.
Im September 1919 klagt das Werk erneut über Mangel an }
tüchtigen Steinbruch- und Kalkofenarbeitern. Die Hergenrather Be-
triebsleitung wurde von Köln angewiesen, alle aus der Kriegsgefan-
genschaft heimkehrenden ehemaligen Arbeiter sofort wieder einzu-
stellen und sie in jeder Beziehung, auch bei der Beschaffung von
Wintervorräten und Bekleidung, zu unterstützen.
Im Jahre 1919 wurden 17.880 T Kalk und 33.405 T Kalksteine
versandt, was für die Gemeinde Walhorn eine Einnahme von 11.233
M bedeutete.
Im 1. Quartal 1920 betrugen die Mengen 54.206 T Kalk und
10.459 T Kalksteine.
In das HGandelszegifter B,,
Nr. 44 murde bei der Firma
Hergenrather Nalkfteinus
brüße SefeNlfdhaft mit bes
Jhränkter Dajns in Supen
eingetragen, daß die Gefell-
{haft durch GefeNihaftSbefluß
wom 18 Juni 1920 aufgelöft
‚worden ift, Die BertretungS-
Befugnis des Kaufmann? Uırr
‚guit a a 8
TRUE SOCCER Auflösung der Fa ”Hergenrather Kalkstein-
in Gergenrath ernannt. brüche G.m.b.H.” (Korrespondenzblatt vom
4260) Gupen, Amtsgericht, 16. August 1920)
23
Mit dem 1. April 1920 traten die Westdeutschen Kalkwerke al-
le Rechte und Pflichten des mit Walhorn getätigten Ausbeutungver-
trages an die ”Kalkwerke Hergenrath G.m.b.H.” ab. Die Gesell-
schaft ”Hergenrather Kalksteinbrüche” wurde am 18. Juni 1920 aus
dem Handelsregister gelöscht. Damit entgingen die Hergenrather
Anlagen der Sequestrierung. Die Kölner Firma blieb aber eng mit
Hergenrath verbunden und Generaldirektor Schnuch aus Köln
blieb die maßgebende Persönlichkeit.
Die neue Fa, deren Kapital zu 100% in den Händen der West-
deutschen Kalkwerke lag, führte die Arbeiten in der Brennhag in
unvermindertem Ausmaß weiter und förderte von April 1920 bis
zum Jahresende 16.504 T Kalk und 45.336 T Kalksteine. Große
Differenzen zwischen der neuen Gesellschaft und der Gemeinde
gab es hinsichtlich der Verrechnung der Bruchabgaben. Sollte wei-
terhin, wie es die Gesellschaft forderte, in Mark abgerechnet wer-
den, oder war die Gemeinde im Recht, wenn sie auf einer Zahlung
in Franken bestand? Die Gemeinde hatte nicht das geringste Inter-
esse daran, ihr Material zu Schleuderpreisen abzugeben gegen eine
mehr und mehr wertlose Markwährung. Sie vertrat den Stand-
punkt, daß die Kalkwerke Hergenrath gemäß Dekret des Gouver-
neurs Baltia vom 23.3.1921 verpflichtet seien, in Franken zu zah-
len. Aus den vorhandenen Unterlagen geht hervor, daß sich die
a g VE s
Ele Horgenwralh
KALKWERKE HERGENRATH Facltchufl mit beschränkter Haftung AN GUE DE ENGER
Fernspracher: Amt Hergenrath 20 DL SENSE Alpen
Hergenralk dn 88, Februar 1982
ea Pat EOE MA Cana
An den SZ
Herrn Bürgermeister der G&meinde AR abe,
Walhorn,
Briefkopf aus dem Jahre 1922
24
Kalkwerke nach längerem Sträuben dem Dekret unterworfen ha-
ben. Die Hergenrather Kalkwerke zahlten nun 3,20 Fr pro Waggon
Kalk und 1,65 Fr pro Waggon Kalksteine. Hauptabnehmer blieben
die Deutschen Solvaywerke in Würselen. 1929 kamen 44.316 T ge-
brannter Kalk und 11.238 T Kalksteine zum Versand. Man kann
sagen, daß durchschnittlich pro Jahr etwa 4.000 Waggons Kalk und
2000 Waggons Kalksteine die Station Hergenrath verließen.
Bis zum 1. Mai 1925 konnten die neubelgischen Gebiete ihre
Produkte zollfrei nach Deutschland einführen und auch Waren von
dort zollfrei beziehen.‘
Nach dem Ende der Übergangsperiode unter General Baltia k
machte der Absatz der ostbelgischen. Produkte jedoch erhebliche
Schwierigkeiten. Marc Somerhausen, damaliger sozialistischer Ab-
geordneter, wies am 30. November 1925 den Minister für Eisen-
bahn, Marine, Post- und Telegraphenwesen, Anseele, auf die Kkriti-
sche Lage der Industrie in Eupen-Malmedy hin und auf die Gefahr,
daß die Kalkwerke, ein Betrieb mit 180 Beschäftigten, möglicher-
weise ihre Produktion einstellen müßten.
Dazu ist es dann doch nicht gekommen, wie die vorstehenden
Absatzmengen zeigen.
Zu ernsten Meinungsverschiedenheiten zwischen den Kalk-
werken und der Gemeinde Walhorn kam es erneut 1931. Die Ge-
meinde erhielt nämlich trotz stark gestiegener Preise für Kalkpro-
dukte weiterhin nur die im Pachtvertrag vorgesehenen Abgaben,
d.h. 1,65 Fr pro 10 T Kalksteine und 3,20 Fro pro 10 T Kalk. Bei
den für Kalk erzielten Preisen, - 950 Fr pro Waggon zu 10 Tonnen -,
waren dies kaum 3 von Tausend. So war Walhorn, wohl zu Recht,
der Ansicht, sein wertvoller Industriebesitz werde durch eine mäch-
tige Industriegesellschaft für ein Almosen ausgebeutet.
Nachdem schon juristische Schritte gegen die Kalkwerke ein-
geleitet worden waren, kam es dank dem Einlenken der beklagten
Firma, d’e ein für die Gemeinde günstiges Angebot machte, am 19.
Mai 1921 zu einer gütlichen Einigung.
Nachdem wir den Werdegang des Unternehmens skizziert ha-
ben, wollen wir nun etwas näher auf die verschiedenen Arbeitsgän-
ge eingehen. Die Förderer im Bruch arbeiteten in Akkord. Sternför-
mig liefen die Gleise von der Bruchwand zu den Hauptschienensträn-
gen, die zu einer Drehbühne führten, wo die vollen Loren an das
Förderseil angehakt wurden, um nach oben, zu den jenseits der Ei-
25
senbahnstrecke gelegenen Öfen geschafft zu werden. Die dazu not-
wendige Seilbahn war 1916 durch die Fa Adolf Bleicher aus Leipzig
gebaut worden, und zwar mit hölzernen Stützen, die später (1928)
durch solche aus Metall ersetzt wurden.
Im Bruch führte etwa alle vier Meter ein Gleis von der Bruch-
wand ab. Jeder Arbeiter hatte somit beiderseits seiner Lore 2 Meter
Abbaufläche. Die Steine wurden mit der Hand in die Loren geladen,
der Abraum mit der Gabel. Für jede Lore Steine, die der Förderer
zur Drehbühne brachte, erhielt er ein rundes Metallplättchen mit
dem Aufdruck ”Kalkwerke Hergenrath”. Für jede Lore Abraum
gab es ein viereckiges Plättchen. Bei der Wochenabrechnung hatte
letzteres einen höheren Wert als das runde, denn der Zeitaufwand
zum Laden des Abraums war größer als der zum Beladen der Loren
mit festem Stein. Jeden Abend gab der Arbeiter seine Plättchen ab
und am Ende der Woche wurde er nach der geleisteten Arbeit ent-
lohnt. Manchmal war es im Interesse der Männer, nicht alle Plätt-
chen abzugeben, sondern einige für weniger gute Tage aufzuheben.
So konnte die Betriebsleitung bei überdurchschnittlich guter Schicht
nicht behaupten, der Arbeiter verdiene zuviel. Die Plättchenausga-
be beschäftigte ständig einen Mann. ILöhnung war, wie gesagt, am
Wochenende, und zwar in der ”Meisterbude”, wo jeder seine Lohn-
tüte vom Meister in Empfang nahm.
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Eine Lore im Bruch
26
Um 1930 arbeiteten etwa 40 Mann im Bruch. Das Gleisnetz
umfaßte rund 2.500 m. Da man gut verdiente, kam es nur selten zu
Sozialkonflikten. Ältere Arbeiter erinneren sich, daß die Betriebslei-
tung einmal, um einen Streik in Hergenrath zu brechen, unter Poli-
zeischutz Arbeiter aus dem Stolberger Zweigwerk nach Hergenrath
gebracht hat. Auf keinen Fall durften die Öfen ausgehen. Im Not-
stand mußten sogar die Angestellten Kohle schaufeln, um die Öfen
warm zu halten.
international par chemins de fer. --- Internationaler Eisenbahntransport.
{ETTRE DE VOITURE — Frachtbrief Zzra
an A rt tie Grm ma TO Tg
KA utsche Solvaywerke
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Frachtbrief über 54.000 Kg Kalkstein für die Solvay-Werke in Würselen (10.1.1928)
28
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Die Hergenrather Anlage (1934). In der Mitte der Motorenstand d. Seilbahn,
Foto M. Gronsfeld
Die Arbeit an den Öfen
Die ersten Öfen waren technisch noch nicht ausgereift. Sie
setzten viele schädliche Gase frei. Nach und nach verbesserte man
sie und brachte Vorrichtungen zum Regulieren der Gasabgabe an.
Den Kalkstaub trug der Wind in alle Richtungen. Der Wald war in
der ganzen Umgebung mit einem weißen Schleier bedeckt. Es gab
jedoch keine typische Berufskrankheit, die auf diesen Kalkstaub zu-
rückzuführen gewesen wäre. Es ist nie gelungen, die Gase richtig in
den Griff zu bekommen. Bei Ostwind mußte man mit den vollen Lo-
ren durch sie hindurch, was öfters zu Ohnmachtsanfällen geführt
hat. Versuche mit Gasmasken und Frischluftzufuhr durch Schläu-
che schlugen fehl. Anfangs standen nur zwei Öfen. Es waren runde
Ziegelsteinöfen mit einem Durchmesser von etwa 4 Meter; innen
waren sie mit Schamottstein bekleidet. Hohe Schlote sah man keine.
Während des Krieges 40-45 hatte man, um die Anlagen vor feindli-
chen Bombenangriffen zu schützen, eine Vorrichtung ersonnen, um
den Glutschein abzudecken.
Das im Bruch geförderte Material kam, wie schon erwähnt,
mit der Seilbahn zu den Öfer. Durch die Fliehkraft wurden die Lo-
ren vom Seil ausgeklinkt, liefen auf den Ofen zu und wurden auf ei-
ne Art Bühne, die vor dem Ofen war, gekippt. Im Ofen war zuun-
29
terst eine Lage Koks, dann folgte eine Lage Kohle und darüber wur-
den dann etwa 35 Wagen Kalksteine gleichmäßig verteilt. Anfangs
geschah dies mit der Hand, später führten die Gleise direkt bis an
den Ofen, in die die Loren dann gekippt wurden.
Im Ofen lagen unten vier Roste, über die der Kalk mit Haken
herausgezogen wurde. Der Ofen war unten von 4 Seiten aus zu-
gänglich. Die Kalkasche fiel durch besagte Roste hindurch in einen
mit einem Schieber versehenen Trichter, Unter den Öfen befanden
sich etwa 8 Meter tiefe Keller, in die man mit den Loren bis unter
die Trichteröffnung fahren konnte. Öffnete man den Schieber, so
fiel die Kalkasche in die darunter stehende Lore und wurde auf die
Abraumhalden gebracht. Der Stückkalk kam ebenfalls in eine Lore,
wurde dann per Aufzug eine Etage höher befördert, gewogen und
anschließend zu den bereitstehenden Kalkwaggons, die 15-17 Ton-
nen faßten gefahren.
An alle Landwirte
u. Bauunternehmer !
Landwirte, vergeßt nicht eure Wie-
sen und Äcker mit unserm gemahlenen
ERANNTKALK in prima Qualität zu
düngen, Der Erfolg wird sich im näch-
sten Jahr zeigen,
An die Bauunternehmer geben wir
unser WEISSXALKHYDRAT für Bau-
und Verpuizzwecke ab,
Das Material kann ejden Tag von 8
bis 13 Uhr von unserm Werk in Her- Anzeige in der ”Fliegenden
gernratlı abgeholt werden, 105 Taube” vom 23.12.1944
KALKWERKE HERGENRRATH A.G.
Gegen Ende der zwanziger Jahre wurde die Hydrat- oder
Löschanlage gebaut. Der aus den Öfen gewonnene Stückkaik und
die Kalkasche kamen in einen Brecher, wo der Kalk mehr oder we-
niger klein gemahlen wurde. Über ein 18 Meter hohes Becherwerk
(ein Förderband mit Bechern) ging es dann in zwei Silos, von denen
jeder etwa 60 Tonnen faßte. Aus diesen großen Silos kam das Mate-
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Schema des Hergenrather Kalkofens
(nicht maßstabgerecht)
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Die Öfen. Der Bau hat am Fuß eine Länge von 48 u. eine Breite von 18 m. Die Höhe
beträgt etwa 13 m. Die Dicke der Außenmauern beträgt 2 m; die Öfen haben einen
Durchmesser von 5 m.
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Die Ofenanlage in den dreißiger Jahren
32
rial über eine Transportschnecke in ein zweites Becherwerk, ging
über verschiedenmaschige Siebe und landete schließlich in 4 kleine-
ren Silos von ca. 30 Tonnen.
Die eigentliche Löschmaschine bestand aus einer schweren
Förderschnecke, in der dem Kalk Wasser zugeführt wurde. Das be-
nötigte Wasser pumpte man aus einem Brunnen in einer nahegele-
genen Wiese. (Der Pumpenstand ist heute noch in der Wiese hinter
der Hammerbrücke zu sehen). Der so gelöschte Kalk kam
anschließend über ein weiteres Becherwerk zur Sichtmaschine, wo
das gute Material, der Kalkstaub, vom tauben Gestein getrennt
wurde. Eine weitere Schnecke beförderte den Kalkstaub zu zwei X
kleineren Silos von 15 Tonnen. In einen dritten Silo kamen die
Rückstände. Aus einer Packmaschine, die mit zwei Abfüllstutzen
; versehen war, kam der Kalk in Säcke, welche zu den Waggons ge-
tragen wurden. Gearbeitet wurde an den Öfen in zwei Schichten.
Noch vor dem 2. Weltkrieg war der Bau eines vierten Ofens ge-
plant worden. Wegen der Devisenbewirtschaftung konnte dieser
Plan jedoch erst während des Krieges ausgeführt werden. Unterneh-
mer war Cornel Bauens aus Hergenrath.
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Ofenarbeiter 1947 - Der 4. von links ist Hubert Laschet, Hergenrath
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Meister Jos. Wirtz aus Sötenich führte die Aufsicht über den Steinbruch und
die Ofenanlage.
Nach dem 2. Weltkrieg kamen die Kalkwerke unter Sequester-
verwaltung. Mit den noch vorhandenen Koksvorräten nahmen sie
die Arbeit bald nach Kriegsende wieder auf, allerdings vorerst nur
an einem einzigen Ofen.
1952 wurde eine neue Firma gegründet, die ”Chauffourneries |
Hergenrath” die die Anlagen 1953 oder 54 rückwirkend zum |
1.1.1952 aufkaufte, und zwar unter Kapitalbeteiligung einer Lütti- |
cher Gruppe. |
Pro Tag und Ofen wurden bis zu 45 Tonnen Kalk hergestellt. |
Für eine Tonne Kalk brauchte man die doppelte Menge Kalkstein. |
Mit den Steinen wurden auch noch 30-40% Abraum gefördert. |
Wenn man bedenkt, daß dies alles in Handarbeit, ohne moderne |
Abbaumaschinen, geschah, kann man die Leistung des Hergenra- |
ther Werks erst richtig ermessen. |
Doch trotz hoher Produktion blieb das Hergenrather Kalk- |
werk zu klein, das Kalkvorkommen auch zu gering, um eine Mecha- |
nisierung großen Stils durchzuführen. So kam es 1955 zur |
Schließung des Betriebes, der in Spitzenjahren bis zu 100 Mann Ar- |
I
|
34
beit und Brot gegeben hatte und damit das größte Industrieunter-
nehmen des gesamten Eupener Hinterlandes gewesen war. Das
Pachtverhältnis lief 1960 aus.
Die Firmenbelegschaft war vorwiegend in Hergenrath, Kelmis,
Hauset und Raeren zuhause. Neben den Steinbruch- und den Ofen-
arbeitern beschäftigten die Kalkwerke zwei Schlosser mit je einem
Gehilfen, einen Elektriker, einen Sprengmeister und Bohrer. Chri-
stian Reneriken (+ 1981), der als ”Kaffeejunge” (Laufjunge) 1910
oder 1911 im Bruch begonnen hatte und dort zum Sprengmeister
avancierte, erzählte, in der Südwand des Steinbruchs habe sich eine
Steinlage mit vielen Fossilien befunden. Er habe Muscheln,
Schnecken und Eidechsen gesehen. Ein besonders schönes Exem- ä
plar einer Eidechse sei ins Hauptbüro nach Köln gegangen.
Die Hydrat- oder Löschanlage mit Sackabfüllvorrichtung.
Aufnahme um 1950 (?)
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G Eine schöne Aufnahme der Ofenanlage (um 1950?)
Bei der Schließung des Betriebes (1955) zählte die Belegschaft
noch etwa 50 Mann, davon 25-30 im Bruch, die übrigen arbeiteten
an den Öfen.
Etwa 10 Mann gingen auf das Angebot der Firmenleitung ein,
im Stolberger Kalkwerk weiter zu arbeiten. 7 blieben bis zur
Schließung auch dieses Werkes in Stolberg tätig.
37
“Wer heute das als Mülldeponie genutzte Gelände neben den
Kalköfen aufsucht, hat fast den Eindruck, vor einer Festung zu ste-
hen : so wuchtig ragt dieser Bau empor. Inzwischen wachsen Bäume
auf der Mauerkrone, haben Altmaterial- und (in jüngster Zeit) auch
Schamottsteinsammler manches zerstört, doch der vielzitierte Zahn
der Zeit wird noch lange an den Hergenrather Kalköfen zu nagen
haben ...
Der ehemalige Kalksteinbruch liegt heute als stiller Waldsee da. Bis
vor etlichen Jahren konnte man hier bei warmer Sommerzeit reges
Treiben von Kindern und Jugendlichen beobachten, die trotz Ver-
bot in den klaren Wassern badeten.
Auf Holzflößen und Schlauchbooten trieben die Kinder auf
den See hinaus, einige Mutige erstiegen gar den in der Mitte des Sees
aus dem Wasser emporragenden Eisenmast (die letzte noch stehen-
de Stütze der Seilbahn) und benutzten denselben als Sprungbrett.
Nach dem tragischen Tod eines 12-jährigen Jungen (Wolfgang
Schuddert), der am 3. November 1973 mit herabrutschendem Ge-
stein in den See fiel und erst nach Tagen durch Taucher tot gebor-
gen werden konnte, wurde der Zugang zum Steinbruch strengstens
untersagt.
Halbverfallene niedrige Gebäudereste (Mannschaftsraum,
Werkstatt, Munitionslager, Motorenstand) deuten darauf hin, daß
früher einmal eine rege wirtschaftliche Tätigkeit in der Brennhag ge-
herrscht hat.
Der alte Steinbruch, der schon als Mülldeponie im Gespräch
war, ist wieder eine Oase der Stille.
Da der Pachtvertrag mit der Gemeinde Walhorn vorsah, daß
der Pächter das ausgebeutete Gelände in den ursprünglichen Zu-
stand zurückzuversetzen habe, einigten sich die ”Chauffourneries”
und Walhorn dahingehend, daß der Pächter das ihm gehörende Hal-
dengelände, das Gelände der Ofenanlage und eine Wiesenparzelle
an Walhorn abtrat. Später haben die Kalkwerke den Bruch und das
umliegende Gelände gekauft.
Da in heutigen Kalksteinbrüchen die Steine gewaschen wer-
den, würde der Hergenrather Bruch bei einer Wiederaufnahme des
industriellen Kalkabbaus in Hergenrath ein ideales Fülloch für den
bei der Wäsche anfallenden Schlamm darstellen ..,
38
Bergmannslos &. Forts)*
von Peter Zimmer
Unter welchen Verhältnissen haben die Bergleute im Göhltal gelebt
und gearbeitet?
In den heutigen Großgemeinden Bleyberg und Kelmis sowie
einigen Randgemeinden, wo vom 13. Jahrhundert bis nach dem 1.
Weltkrieg Erzbergbau betrieben wurde, haben die in diesem Indu-
striezweig beschäftigten Berg- und Hüttenleute nicht immer rosige
Zeiten gekannt.
Schon im Jahre 1682 wurde das in englischer Sprache erschie- ,
nene Buch, in welchem die Reiseerlebnisse des englischen Arztes
Dr. Edward Brown geschildert werden, ins Holländische und drei
Jahre später ins Deutsche übersetzt. Dieser Arzt hat während der
Jahre 1668 bis 1673 Studienfahrten durch Deutschland, die Nieder-
lande und die Donauländer gemacht. Interessant ist für unsere Ge-
gend, daß er bei seiner Durchreise durch das Limburger Land auch
die Galmeigrube ”Altenberg” (Kelmis) besucht und besichtigt hat.
Über dieses Bergwerk und die Arbeit der Bergleute schrieb er unter
anderem, die Grube habe überall wie ein Steinbruch offen gelegen
und sei länglich rund, ähnlich wie die Form eines Eies gewesen. Die
Bergleute hätten an verschiedenen Stellen sitzend den Galmei stu-
fenweise zwischen den Felsen mit einer Haue abgebaut. Dabei hät-
ten sie oft wie auf einer großen Treppe sitzend und übereinander ar-
beiten müssen.
Der von einem Arbeiter abgebaute Galmei sei von einem an-
deren in die Höhe befördert worden. Auch hat er betont, daß dieses
Erz außergewöhnlich hart gewesen sei und nur mit großer Mühe
und Kraftanstrengung in der Grube abgebaut und aus derselben
hervorgeholt werden konnte. Bezüglich der Farbe dieses Boden-
schatzes sagte er, daß das dortige Galmei zum Teil dunkelgelb,
rötlich/schwarz und dunkelbraun ausgesehen habe. Als besonders
merkwürdig wurde von ihm das Rösten und Kalzinieren des Gal-
meis an Ort und Stelle bezeichnet. Zu diesem Zwecke habe man zu-
erst auf dem Boden über eine Fläche von 40 bis 50 Ruten Reisig
oder Büschel ausgebreitet und dasselbe mit einer Lage von Steinkoh-
len bedeckt, bis das Ganze vom Boden aus eine Elle’und mehr hoch
gewesen sei. Dann habe man auf dieser Anhäufung zunächst in Rei-
S hen die großen Galmeibrocken gelegt und darüber in der gleichen
* S. ”Im Göhltal” Nr. 30 S. 59-73, Nr. 31, S. 5-26, Nr. 32, S. 18-34.
39
Art und Weise die kleineren Stücke. Anschließend seien dann das
Reisig und die Büschel rundherum am Boden in Brand gesteckt wor-
den. Kurze Zeit danach hätten dann auch die Kohlen langsam zu
brennen und glühen begonnen, wodurch schließlich der Galmei ge-
röstet und kalziniert wurde.
Nach ihm hat auch der vielgereiste Freiherr von Poellnitz um
das Jahr 1736 die Galmeigrube im Weiler Kelmis besucht. Sein Be-
richt, der im Jahre 1736 in französischer Sprache erschien, schildert
uns ausführlich, wie es damals in der Nähe des Bergwerks ausgese-
hen hat und unter welchen Verhältnissen damals unsere Vorfahren
als Bergleute dort gelebt und gearbeitet haben. Aus diesem Bericht
geht nämlich kurz zusammengefaßt hervor, daß die nächste Umge-
bung der Grube Altenberg zu dieser Zeit wie eine Wüste aussah, ei-
ne unfruchtbare Gegend war, auf deren trockenem Boden faßt nur
verbranntes Gras stand. Dieser Zustand sei vor allem durch die
Diese Ansicht vom Altenberg zeigt die Lütticher Straße in Richtung Henri-Chapelle.
Links der Straße das Haus ”Am Penning”, rechts die ”Wäsche”, die Hütte und
Werksanlagen sowie ein Teil des Bergwerksgeländes.
Schärfe der Minerale und der metallischen Dämpfe, die davon aus-
gingen, verursacht worden. Er nannte die Arbeiter, die das Erz aus |
dem Innern der Erde hervorholten, ”bedauernswert”. Ihnen hätten
|
40
während der Nacht als Schlupfwinkel nur einige elende Hütten zur
Verfügung gestanden. Diese Zustände, so berichtet er weiter, und
die mühsame Arbeit, welche die Arbeiter unter Gefahren sowie mit
großen Anstrengungen verrichtet hätten, um ihr tägliches Brot zu
verdienen, habe so großes Mitleid bei ihm und seinen Begleitern her-
vorgerufen, daß sie diesen armen Menschen, die die Not dazu ver-
dammt habe, diesen schweren Beruf auszuführen, aus Mitgefühl ei-
nige kleine Geschenke gemacht hätten. Danach habe ihnen dann
der Schöffe den Weg nach Stolberg gezeigt.
Diese ungünstigen Lebens- und Arbeitsbedingungen am Alten-
berg scheinen sich erst dann gewaltig gebessert zu haben, nachdem
die Erben des Dominicus Mosselmann die Actien-Gesellschaft des
Altenbergs (Vieille-Montagne) gegründet und neun Jahre nach der
Gründung, im Jahre 1846, Louis Saint Paul de Sincay die Gesamt-
leitung der Gesellschaft übernommen hatte. Er war ein großherziger
Mann und Sproß eines alten französischen Adelsgeschlechtes.
Durch ihn ging die Tätigkeit der Gesellschaft weit über das damalige
Neutral-Moresnet und die belgische Grenze hinaus, wodurch sie ei-
ne Blütezeit erreichte und ihre Arbeiter angenehme Arbeitsplätze.
Infolgedessen entstanden im Göhltal und der Umgebung neue
Erzbergwerke, und der Gesellschaft gelang es, zahlreiche Zink- und
Bleierzlagerstätten in mehreren Ländern zu erwerben. Diese günsti-
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Im Jubiläumsjahr 1937 ließ die ”Vieille Montagne” eine Erinnerungsmedaille mit
dem Bildnis von Louis und Gaston Saint Paul de Sincay prägen.
Repr. A. Jansen
41
ge Entwicklung brachte es aber auch mit sich, daß die Arbeiter in der
damaligen Zeit schon außergewöhnlich große soziale Vorteile erhiel-
ten.
Bemerkenswert sind die Wohlfahrtseinrichtungen, Kranken-,
Spar- und Fürsorgekassen, welche die Gesellschaft für ihre Arbeiter
und Angestellte schuf. Diese erfüllten den Zweck, kranken und ver-
letzten Arbeitern sowie deren Familienangehörigen kostenlose ärzt-
liche Betreuung zu gewähren und ihnen unentgeltlich Medikamente
zur Verfügung zu stellen. Außerdem ermöglichten sie es, den Arbei-
tern, die vorübergehend ihre Arbeit einstellen mußten, eine Lohn-
entschädigung zu zahlen. Auch dienten sie dazu, den Arbeitern, die
durch Alter oder Invalidität arbeitsunfähig geworden waren, eine le-
benslängliche Rente zu gewähren.
Erwähnenswert ist ebenfalls, daß dem Arbeiter und seinen Fa-
milienmitgliedern außer einem Unkostenbeitrag zur Deckung der
Begräbniskosten auch der Sarg zur Verfügung gestellt wurde.
Auch leisteten die Kassen einen Zuschuß zu den Entbindungsko-
sten der Arbeiterfrauen. Für fast alle Kassen wurden von der Gesell-
schaft selbst die erforderlichen Geldmittel zur Verfügung gestellt.
Heute wird man diese Vorteile als völlig normal bezeichnen; man
darf dabei aber nicht vergessen, daß es damals noch keine Sozialge-
setzgebung in unserem Lande gab und daß dieselbe zum Teil erst
nach dem I. und 2. Weltkrieg geschaffen wurde.
Ferner erbaute die Gesellschaft Arbeiterwohnungen, Schulen,
Kirchen und Vergnügungslokale und spornte ihre Arbeiter zum
Sparen sowie zum Erwerb eines Eigenheims an. Sie sorgte auch auf
der Lütticher Hochebene in ”Cointe” für den Bau und die innere
Ausstattung eines Altenheims und Waisenhauses, wo alte, pensio-
nierte Arbeiter der verschiedenen Werke sorgenlos ihren Lebensa-
bend verbringen konnten und Waisenmädchen eine angemessene
Erziehung fanden. Dort haben damals auch ältere Alleinstehende
und Ehepaare sowie Waisenmädchen aus dem Göhltal Aufnahme
gefunden und sind von Schwestern des Ordens vom hl. Vincenz von
Paul betreut und erzogen worden. Andere Einrichtungen, wie Erho-
lungsvereine, die von der Gesellschaft geschaffen wurden, trugen
zur Hebung der geistigen und sittlichen Lage der Arbeiter bei, weil
ihnen durch dieselben Gelegenheiten geboten wurde, sich während
ihrer Freizeit anständig und passend zu erholen. Die moralische
Tragweite all dieser Einrichtungen führte dazu, daß die Arbeiter
sich bei der Gesellschaft heimisch fühlten, gefallen an ihrer Be-
43
schäftigung fanden und glücklich und stolz waren, wenn sie bei ihr
einen Arbeitsplatz erhielten. Dadurch erhielt aber auch die Gesell-
schaft einen Stamm von guten und treuen Arbeitern, deren Beschäf-
tigung vom Vater auf den Sohn überging.
Wie uns die Geschichte über den Bleyberger Erzbergbau über-
liefert hat, haben auch dort sowohl die Gesellschaften wie die Berg-
und Hüttenleute schwere und böse Zeiten erlebt. Die erste Grube in
diesem Raum wird erstmalig unter dem Namen ”Bradersbergh” im
Jahre 1365 erwähnt. 1437 erteilte Herzog Philipp der Gute von
Burgund drei Aachener Bürgern die Erlaubnis, dort Bergbau zu be-
treiben. Diese mußten schon bald wegen Überschwemmungen ihre
Tätigkeit einstellen. Später verlieh der Herzog dann wieder drei an-
deren Herren das Recht, die Abbautätigkeit aufzunehmen. Auch sie
blieben nicht vom Schicksal verschont und mußten aus demselben
Grunde wie ihre Vorgänger aufgeben. Neben dem Wasser führten
aber auch die Plünderungen, die während dieses Zeitalters stattfan-
den, zu einer Verwahrlosung der Grube, die so unheilvoll war, daß
die Förderstrecken und Stollen zusammenbrachen. Aus diesen
Gründen mußte man im Jahre 1468 einen neuen Schacht teufen,
aus dem aber nur sehr wenig gefördert werden konnte, weil schon
10 Jahre später erneut die Förderwege und Stollen zu Bruch gingen.
Im Verlaufe der folgenden Jahrhunderte erlebte der Bleyberg ab-
wechselnd schlechte und gute Zeiten.
1828 erhielten Ch. J. Cockerill, E. Peters, J.H. Jehenne, Lisette
und Gertrude Peters sowie D. Lepomme die Genehmigung, im Bley-
berger Grubenfeld Bergbau zu betreiben. Nachdem am 8. Mai 1837
der Leiter des Betriebes, Charles-James Cockerill, in Aachen verstor-
ben war, wurde 1841 die Gesellschaft vom Bleyberg in Belgien, (So-
ciete du Bleyberg en Belgique) gegründet. Durch diese Gesellschaft
entwickelte sich die Tätigkeit am Bleyberg dermaßen, daß schon 5
Jahre später eine neue Gesellschaft, mit Namen ”Gruben und Hüt-
tenwerke von Bleyberg”, (Compagnie des mines et Fonderies du Bley-
berg) ins Leben gerufen werden konnte. Sie wurde aber schon 6 Jah-
re später aufgelöst und eine neue ”Anonyme Gesellschaft von Bley-
berg und Montzen”, (Societe Anonyme de Bleyberg et Montzen) ge-
gründet. Im Verlaufe der Jahre verursachte aber der Göhlbach wie
in früheren Zeiten immer wieder auf’s neue große Überschwem-
mungen der Bleyberger Stollen. Im Jahre 1855 ertranken sogar 7
Bergleute in der Grube. Daraufhin stellte die Gesellschaft an die zu-
ständige Behörde den Antrag, den Lauf der Göhl in der Nähe des
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Die Konzession des Bleyberger Grubenfeldes aus dem Jahre 1828
Repr. A. Jansen
46
Bergwerksgeländes umleiten zu dürfen. Hierzu erhielt sie schließlich
im Jahre 1861 von der Gemeindeverwaltung in Montzen die Er-
laubnis. Höchstwahrscheinlich fließt seit dieser Zeit in Bleyberg der
Göhlbach durch einen Tunnel. Zwei Jahre zuvor hatte aber schon
Remy Paquot das Amt als Direktor am Bleyberg übernommen; wie
seine Vorgänger hat er manche Schwierigkeiten überwinden müs-
sen, wie z.B. die sozialen Unruhen, die sich zu Beginn des Jahres
1886, wie überall, so auch am Bleyberg, bemerkbar machten. Wie
im Wochenblatt der Pfarre Bleyberg vom 8. Oktober 1966 zu lesen stand,
soll sich diesbezüglich der Bürgermeister von Montzen am 30. März
1886 an die höheren Behörden gewandt haben, um Gewehre und
Munition zu erhalten, um den Streik der in der Bleyberger Grube
auszubrechen drohte, verhindern zu können.
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Remy Paquot
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Zwei Ansichten der Gruben und Hüttenbetriebe Bleyberg i.J. 1862
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Kasinos und die Gründung von Hilfs- und Unterstützungskassen so-
wie der Erholungs- und Vergnügungsvereine waren ebenfalls Ini-
tiativen Remy Paquots.
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Arbeiterwohnungen gegenüber der Bahn in Bleyberg
Foto A. Jansen
Zweierlei muß bezüglich dieser Einrichtungen besonders
betont und hervorgehoben werden. Erstens, daß die Aufrechterhal-
tung ihrer Tätigkeiten zum Teil durch Spenden der Gesellschaft und
z.T. durch freiwillige Beiträge der Bevölkerung ermöglicht wurden.
Zweitens, daß die Arbeiter und die Mitglieder ihrer Familien vor je-
der Not bewahrt blieben und Sittlichkeit und Würde dadurch geho-
ben wurden. Unter dem Motto ”Bete und Arbeite” (Ora et Labora)
versuchten Remy Paquot und seine Nachfolger, die Tätigkeit im
Weiler Bleyberg zum Wohlergehen der gesamten Bevölkerung auf-
recht zu erhalten. Als nämlich während der Jahre 1878/79 Wasser-
mengen bis zu 45 Kubikmeter pro Minute aus der Grube gepumpt
werden mußten und die Abbautätigkeit dadurch immer schwieriger
wurde, befürchtete Remy Paquot, daß dieselbe eines Tages einge-
stellt werden müsse.
51
Aus diesem Grunde unternahm er damals schon die erforderlichen
Schritte, um die Tätigkeit der Schmelzhütten in Bleyberg erweitern
zu können. Er versuchte, Teilhaber spanischer Grubenbetriebe zu
werden. Nachdem ihm dieses Vorhaben gelungen war, wurde die
Bleyberger und Montzener Gesellschaft im Jahre 1881 aufgelöst; ih-
re Güter wurden Eigentum der ”Compagnie Francaise des Mines et
Usines d’Escombrera-Bleyberg” und Remy Paquot Verwaltungsde-
legierter dieser Gesellschaft. Sein Sohn Paul, der sich zu dieser Zeit
hauptsächlich als Grubeningenieur mit Gruben in Spanien beschäf-
tigte, half seinem Vater, die schwere Bürde, die ihm 1892 als Verwal-
tungsdelegierter auferlegt worden war, erfolgreich weiter zu tragen.
Als Remy Paquot Anfang 1909 verstarb, übernahm der Sohn das
Amt seines Vaters, bis die Gesellschaft im Jahre 1912 mit der
”Societe Miniere et Metallurgique de Pennaroya” fusionierte. Paul
Paquot wurde dann Verwaltungsdelegierter dieser Gesellschaft für
Belgien und Generaldirektor der Metallhütten von Bleyberg.
Bezüglich der Erzgewinnung im Bleyberger Grubenfeld ist
noch erwähnenswert, daß in dem Bleyberger Pfarrblatt vom 15. Ok-
tober 1966 mitgeteilt wurde, man habe im Jahre 1896 in der Bley-
berger Grube noch während 300 Tagen gearbeitet. Jacques Paquot
schrieb dagegen in seiner Brochüre über die Geschichte des Bley-
bergs von 1816 bis 1968, die er am 12. Oktober 1967 dem Herrn
Andre Colin, Präsident und Generaldirektor des Handelshauses
Gantois S.A. in Saint-Die (Frankreich), als Erinnerung widmete, in
dieser Grube sei die Abbautätigkeit schon 1882 eingestellt worden
und aus der Grube Terbruggen, in der Nähe der Ortschaft Sippenae-
ken, habe man nur bis 1884 einheimisches Erz gefördert. Ferner
gibt er an, daß seit dieser Zeit in den Bleyberger Hütten nur noch
ausländisches Erz verarbeitet worden sei.
Wie dem auch sein mag, diese Tätigkeit scheint schon anfäng-
lich der Gesellschaft sowie den Bewohnern der Umgegend Schwie-
rigkeiten bereitet zu haben, denn in dem schon zitierten Wochen-
blatt vom 8. Oktober 1966 wurde berichtet, daß zu Beginn des Jah-
res 1885 zahlreiche Bewohner und Eigentümer von Bauernhöfen
Klagen bei der Regierung eingereicht hätten über große Schäden,
die durch die oberirdischen Betriebe am Grasaufwuchs und an Obst-
bäumen entstanden waren. Aus diesen Werksanlagen wären näm-
lich mettalische Staubmassen und Dämpfe, die Arsenik, Antimoni-
um, Schwefel und quecksilberhaltige Gase enthielten, in den Luft-
kreis gelangt. Dadurch soll eine übermäßige Sterblichkeit des Vieh-
s3
Nach dem Weltkrieg sind dann auch die Hüttenwerke wieder teil-
weise in Betrieb genommen worden, bis 1922 die letzten Öfen für
immer erloschen, wodurch die Berg- und Hüttenleute ihren heimi-
schen Arbeitsplatz verloren.
So erging es auch zu dieser Zeit anderen Bergleuten des Göhl-
tales, die vor und während des Ersten Weltkrieges im Aachener
Steinkohlenrevier ihr tägliches Brot verdienten. Die Korrekturen
der Staatsgrenzen zwischen Belgien und Deutschland führten u.a.
zur Auflösung des Gebietes von Neutral-Moresnet, das zu Belgien
kam. Infolgedessen mußten die vordem in Deutschland tätig gewe-
senen Göhltal-Bergleute zusammen im Lütticher Becken, in den
Kohlenzechen des Herver Landes, nach einer Beschäftigung suchen.
Das gleiche geschah auch, als Anfang der dreißiger Jahre die Erz-
bergwerke im Altenberger Grubenfeld ihre Tore zu schließen began-
nen. Dies brachte für die älteren und jugendlichen Arbeiter vielfa-
che Schwierigkeiten mit sich, denn sie mußten sich in eine zu dieser
Zeit dem Christentum entfremdete Gegend begeben, eine zum Teil
ungewohnte Arbeit ausführen und auf viele soziale Vorteile, die sie
zuvor gekannt hatten, verzichten. Ebenso verstanden sie die Um-
gangssprache der Arbeitskollegen, das Wallonische, schlecht oder
gar nicht und wurden wegen ihrer heimischen Mundart von ihnen
”Flamen” (les flaminds) genannt. Bezüglich des Letzteren muß aber
ausdrücklich betont werden, daß diese Benennung keineswegs als ei-
ne Beschimpfung oder Verspottung angesehen werden darf. Im Ge-
genteil, die wallonischen Bergleute waren alle sympathische, guther-
zige und hilfsbereite Menschen, die unsere Nöten und Anliegen ver-
standen und uns brüderlich behandelten. Zahlreiche Beispiele könn-
ten diesbezüglich angegeben werden, wie zum Beispiel, daß sie uns
am Arbeitsplatz, je nach Alter, entweder ”Bruder” oder ”Sohn”
nannten und uns manchen guten Rat erteilten. Deshalb konnte man
sich auch schnell in ihrer Mitte heimisch fühlen und Freude an die-
sem harten und gefahrvollen Beruf finden.
Deshalb sah man dann auch Ende der zwanziger und Anfang
der dreißiger Jahre täglich frühmorgens gegen 4 Uhr zahlreiche Er-
wachsene und jugendliche Arbeiter, ab 14 Jahre, aus den heutigen
Großgemeinden Bleyberg und Kelmis mit einem durch ein großes
blaues Handtuch zusammengeschnürten Bündel am Rücken zu den
Bahnhöfen nach Moresnet, Bleyberg, Gemmenich und einige Jahre
später nach Kelmis eilen, um den sogenannten Köhlerzug zu bestei-
gen. Mit diesem Zug erreichten sie dann nach einer langen Fahrt
54
von ca. 1 1/2 Stunden und einem anschließenden Fußmarsch von
10 bis 15 Minuten ihren Arbeitsplatz. Nach Beendigung der Schicht
mußten sie dann in verschiedenen Bahnhöfen der Herver Gegend ei-
ne halbe Stunde und mehr auf den Zug zur Heimfahrt warten, was
zur Folge hatte, daß sie erst gegen 18 Uhr und später todmüde zu
Hause ankamen. Heute kann man sich diese Strapazen kaum noch
vorstellen und noch weniger glauben, daß sogar Hergenrather und
Kelmiser ”Köhler” zeitweise das Fahrrad benutzt haben, um ihren
Arbeitsplatz zu erreichen, der rund 25 Km von ihrem Wohnort ent-
fernt lag. Trotzdem sind sie ihrem Beruf jahrzehntelang treu geblie-
ben und haben während dieser Zeit Seite an Seite mit ihren walloni-
schen Arbeitskollegen gekämpft, um mehr soziale Vorteile zu erlan- .
gen, die ihnen schließlich auch einige Jahre nach dem Zweiten Welt-
krieg gewährt wurden. Auch sind sie stets gläubige Menschen ge-
blieben und haben die christlichen Sitten und Bräuche ihrer Vorfah-
ren als ”Köhler” hochgehalten und bis zum heutigen Tage gepflegt.
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4 Der Bahnhof Gemmenich. Von hier aus fuhren die dortigen ”Köhler” nach Bleyberg,
wo sie umsteigen mußten, um mit den anderen Bergleuten aus dem Göhltal die Gru-
ben des Herver Landes zu erreichen.
55
Entmutigend und unverständlich war jedoch für die ”Köhler”,
daß sie im Vergleich zu den ehemaligen Bergleuten der Altenberger
und Bleyberger Gesellschaft in der Öffentlichkeit im allgemeinen als
minderwertige Menschen angesehen und auch dementsprechend be-
handelt wurden. Jederman liebte und schätzte zwar die Kohlen,
aber denjenigen, die diesen Bodenschatz im Schoße der Erde abbau-
ten und schon als 14-jährige dafür sorgten, daß er mit ihrer Hilfe aus
den niedrigsten Streben ans Tageslicht gefördert werden konnte,
blieb selbst die geringste Achtung versagt. Aus welchem Grunde
dies geschah, hat bis heute noch niemand erklären können und wird
auch durch diesen Beitrag nicht gelingen. Trotzdem können even-
tuell die nun folgenden Andeutungen und Fragen dazu beitragen,
das Verhalten der Mitmenschen dem ”Köhler” gegenüber zu erklä-
ren. Könnte nicht etwa die unsaubare Arbeit der ”Köhler” zu ihrer
Mißachtung geführt haben? Oder ihre vom Kohlenstaub schwarz
umrandeten Augen? Ihr bleiches Aussehen, welches durch man-
gelnde frische Luft sowie die entbehrten Sonnenstrahlen entstand?
Sind es die von der Kohle eingeätzten Merkmale gewesen, wel-
che die ”Köhler” vielfach an den Händen trugen und die auch ihr
Antlitz entstellten?
Vielleicht waren es auch die blauen Streifen und Narben, die das
Antlitz des ”Köhlers” bedeckten und Zeugen von Verletzungen wa-
ren, die sie bei der Arbeit erlitten hatten. Ebenfalls könnte der Koh-
lenstaub, der tief in den Poren der Haut festsaß und trotz allem Wa-
schen immer auf’s neue zum Vorschein kam, ein Grund dafür gewe-
sen sein, die Gesellschaft der ”Köhler” zu meiden. Ebenso kann
auch die Unkenntniß über ihre Arbeit, die sie täglich im Reich der
Finsternis ausführten, die Geringschätzung dieser Arbeit verursacht
haben. Niemand wird dies mit Sicherheit bejahen oder verneinen
können. Eines ist aber sicher : daß die Köhler zu Unrecht von den
Mitmenschen als die minderwertigsten Arbeiter betrachtet worden +
sind, was leider auch im Göhltal seit 1920 verschiedene jahrzehnte-
lang der Fall gewesen ist und sich auch heute noch vereinzelt be-
merkbar macht. Dies ist die geschichtliche Wahrheit und um dieser
Wahrheit Willen ist es angebracht, da viele ”Köhler” nicht mehr zu
den Lebenden zählen und andere im wohlverdienten Ruhestand le-
ben oder als ”Köhler” keine Existenzmöglichkeit mehr haben, ver-
schiedene Geschehnisse aus jener Zeit für die jetzige und kommen-
de Generation zu schildern.
56
der Cantone
Eupen : Malmedy : St. Vith
1 9 2 Nach amtlichem Material zusammengestellt 1 928
Bürgermeisterei Eynatten.
Telephon Hergenrath 26.
Gesamteinwohnerzahl 1171 Einwohner.
Bürgermeistereidorf, Postagentur, Telefon, Gendarmeriestation Tel. Raeren 45,
Bürgermeister : Esser Christian Gendarmerie: *
Genen SS Sn an Junque Alfred, Oberwachtmeister,
Allgemeine Ortskrankenkasse, Tel. Raeren 45
Tel. Raeren 42 1 Coomanns Alfred
Direktor Esser Christian VelgEmank AA |
Lehrpersonal : Weicker P.
Franck Jean, Hauptlehrer Pfarrer:
Arend Marie, Lehrerin
Klein Barbara, Lehrerin Lassaulx Hubert
Piana Arn., Lehrer (Schule Lichtenbusch)
Zur Beachtung : Die heutige Aachener Straße trug um die Zeit der
Herausgabe des Adreßbuches 1927/1928 ebenfalls die Bezeichnung
”Eupener Straße”. Die damalige Eupener Straße begann also am
Ortseingang Merols (von Eupen.kommend) und endete am Ortsaus-
gang in Richtung Aachen an der ”Eynattener Heide”, Hier und da
taucht auch für die gleiche Straße die Bezeichnung
”Provinzialstraße” auf. Der Ortsteil Stangs ist ein Teil der heutigen
Hauseter Straße.
E. Barth
62
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Men spreekt flaamsch. — On parle francais.
=== === =-O
71
Eine Gemeinde feiert ......
von Walter Meven
Ein Jubiläum, das sich fast unbeachtet über Zeiten und Genera-
tionen herangenähert hat. Dabei beinhaltet der Bogen, den es über-
spannt, für den Lebensweg der Menschen sehr viel, reicht er doch
vom Eintritt des Menschen ins Leben über dessen Höhepunkt bis zu
Tod und Trennung.
Gemeint ist das, was sich um die Seele des Menschen rankt, das,
was Glauben, Gewissen und damit seine Kirche berührt. Sie ist
nicht nur Mittelpunkt des Gemeinwesens in geographischer Hin-
sicht, sondern auch Angelpunkt menschlichen Verhaltens. Nicht als
steinernes Zeugnis, sondern als ein festes Gefüge der Nächstenliebe
und der Hilfsbereitschaft einer Glaubensgemeinschaft.
125 Jahre Pfarrgemeinde Kelmis : ein geringes Alter gegenüber
den altehrwürdigen Kirchen, die sie umgeben, deren Ursprung im
Dunkeln liegt. Entstand sie doch einst aus einem kirchlich dreige-
teilten Raum, der, von den Schätzen des Bodens begünstigt, die der
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Ansicht vom Altenberg. Am oberen Bildrand erkennt man die ehemalige Kapelle in
der Kapellstraße. Rechts die Hütte, links Werksanlagen; davor einige Wohnhäuser
im Bruch und der zum Krickelstein führende Weg.
72
Mensch zu schürfen und zu nutzen lernte, sich eben dadurch all-
mählich über Jahrhunderte zu einem Hort menschlicher Ansiedlung
entwickelte. Es entstand eine Schicksalsgemeinschaft, ein Miteinan-
derleben, das auch bald den Wunsch reifen ließ, an ihrer Heimstatt
einen Ort des Gebetes und der Andacht zu besitzen. Aus eigener
Kraft wurde der Wunsch Wirklichkeit. War es zunächst auch nur
eine kleine Andachtsstätte, in der nur an bestimmten Feiertagen ein
Gottesdienst gehalten wurde, so blieb ihnen für die übrige Zeit des
Jahres der weite und beschwerliche Weg zu ihrer angestammten
Pfarrkirche immer noch nicht erspart. Ihre Sonntagspflicht erforder-
te es, je nach Pfarrzugehörigkeit, nach Montzen, Moresnet oder
Hergenrath in die Kirche zu gehen. g
Die frühen Bestrebungen und die bescheidenen Ansätze, eine
eigene Kirchengemeinde mit einem für sie zuständigen Priester zu
besitzen, erscheinen bei den erwähnten Umständen recht einleuch-
tend.
100 Jahre und vielleicht noch mehr sollte es dauern, bis in der Ge-
meinde Kelmis diese eigene Pfarrgemeinde, deren 125. Jubiläum wir
in diesen Tagen begehen, Wirklichkeit wurde: ;
Im Bereiche des Galmeiberges sind uns drei Kapellen bekannt ge-
worden :
Die heute noch bestehende Rochuskapelle, die vor 1646 erbaut wur-
de;
die kleine Kapelle im Hause des königlichen Kontrolleurs des Gal-
meiberges, der sie aber nur zur Bequemlichkeit der ”Offiziellen” er-
richten ließ. Sie hat neben den übrigen Bauten der Herrschaft ihren
Standort in der Nähe des heutigen Parkcafes gehabt.
Der Grundstein zu einer dritten Kapelle, die man jedoch noch drei-
mal vergrößerte, wurde am 29. April 1845 feierlich gelegt. Ihr Stan-
dort war in der unteren Kapellstraße. Noch heute erinnert dieser
Straßenname an ihr einstiges Vorhandensein.
Die ständig wachsende Zuwanderung von Arbeitskräften, die ihr
Brot mit der Arbeit am Galmeiberg suchten und fanden, erforderte
bald ein neues, größeres Gotteshaus, das schließlich mit der
großherzigen Hilfe der beiden Herrscherhäuser Belgiens und
Preußens sowie der Vieille Montagne gebaut wurde.
Am 3. Oktober 1865 erfolgte die Einsegnung und damit die Überga-
be an die sicherlich glückliche Bevölkerung. Die eigentliche Pfarrer-
hebung war bereits einige Jahre zuvor erfolgt, nämlich am 25. Au-
€ gust des Jahres 1858. Diesem Tage wollen wir in diesem Jahre ein
besonders Gedenken schenken.
BB
Möge sich der diesen relativ geringen Zeitraum überspannende Bo-
gen noch unzählige Jahre in Frieden über Generationen ausweiten
und fernerhin den Lebensweg der Menschen begleiten und überdau-
ern.
Literatur : Firmin Pauquet, Hundert Jahre Pfarre Kelmis
Walter Meven, Eine königliche Ordonnanz des Jahres 1786, in ”Im Göhltal”, Heft
31, Seite 40 ff.
74
Die Spielbank Altenberg
Eine Episode aus dem neutralen Gebiet von Moresnet
von Alfred Bertha
Das um die Jahrhundertwende in einer Morgen- und einer
Abendausgabe erscheinende Aachener ”Echo der Gegenwart”
konnte sich rühmen, die älteste Zeitung Aachens zu sein. In einer
Annonce in dem in Dolhain erscheinenden Blatt ”Das Freie Wort”
schrieb das ”Echo” von sich, es unterrichte seine Leser rasch und zu-
verlässig über alle wichtigen und interessanten Tagesereignisse und
widme den Vorgängen in Holländisch-Limburg und den belgischen *
Grenzbezirken besondere Beachtung.
Besondere Beachtung fanden in dem Aachener Blatt auch die
Ereignisse im nahen Neutral-Moresnet, und wir können das ”Echo”
als eine aufschlußreiche und durchaus zuverlässige Quelle zur Ge-
schichte des neutralen Gebietes betrachten.
Als vor nunmehr rund 80 Jahren, am Samstag, dem 15. Au-
gust 1903, eine Spielbank im damaligen Neutral-Moresnet (Alten-
berg, Kelmis) ihre Tore öffnete, berichtete ”Das Freie Wort” (1)
vom darauffolgenden Mittwoch über das Ereignis unter Berufung
auf das ”Echo”, welches wörtlich zitiert wurde :
”Mit dem heutigen Tage (Samstag) wurde hier in den oberen
Räumen des Hotels Bergerhoff eine Spielbank (Roulette usw.) eröff-
net. Die Spielbanken von Ostende und Spa scheinen, da ja Belgien sei-
ne Banken aufgehoben hat, sich hier (das Hotel Bergerhoff liegt auf
neutralem Gebiet) sicher zu fühlen. Der Besuch der Bank war am
Eröffnungstage sehr stark, namentlich Belgier waren vertreten. Von
Aachen aus langten über Hergenrath mit den Morgenzügen bereits
60 Herren an. Auch bemerkte man viele Großgrundbesitzer aus der
Aachener Umgebung. Herr Bergerhoff erhält für den Spielsalon mo-
natlich 500 Frs Miete. Daß die ganze Sache von Belgien aus herüber
gekommen ist, beweisen die genau wie in Spa gekleideten gallonier-
ten Jeu-Diener. In Altenberg und Umgebung ist der Spielsalon ein
offenes Geheimnis.”
(1) Es war dies eine in Dolhain bei Willems gedruckte deutschsprachige halbwöchent-
lich erscheinende Zeitung, die auch im Kelmiser Raum viele Abonnenten hatte.
75
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* Original adressiert an ”Fräulein Katharina Aussems in Walhorn Gut Grütbach” mit
Ankunftsstempel Astenet 5.11.02. 12.14.
Karte trägt den Vermerk : N° 1353. Verlag : Hubert Grümmer. Aachen.
Die ”Spielbank in Altenberg” war dann für das ”Echo der Ge-
genwart” die Gelegenheit, den Rechtsstatus des neutralen Gebietes
etwas näher zu untersuchen und demselben einen längeren, sehr le-
senswerten Aufsatz zu widmen. Der Grenzvertrag von 1816 zwi-
schen Preußen und den Niederlanden hatte sich darauf beschränkt,
zu sagen, das Gebiet von Kelmis werde einer gemeinsamen Verwal-
tung der vertragschließenden Parteien unterworfen. ”Weder das
Grundgesetz der Niederlande, noch die belgische oder preußische
Verfassung sind auf dem neutralen Gebiet verkündet worden. Kein
organisches Gesetz des einen oder anderen Königreiches ist dort in
Kraft getreten; Wahlgesetz, Provinzialgesetz, belgisches oder preus-
sisches Gemeindegesetz sind dort gleichermaßen fremd ... In Wirk-
lichkeit hört für das neutrale Gebiet die Gesetzgebung mit dem 26.
Juni 1816 auf. ”So umschrieb die ”Revue de l’Administration” die
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Rechtslage in Neutral-Moresnet. (1) Und die Zeitschrift bemerkte
zutreffend, daß in dem neutralen Gebiet die Verfassung und die Ge-
setze des nicht mehr bestehenden französischen Kaiserreichs weiter
in Kraft waren.
Diese ”merkwürdigen staatsrechtlichen Verhältnisse ”waren es
auch, die die Initiatoren der Spielbank auf neutralem Gebiet bewo-
gen hatten, dort ihr Glück zu versuchen. Das ”Echo der Gegen-
wart” befürchtete, daß die Spielbank, wenn sie geduldet würde, bald
das Ziel aller der Glücksritter werde, die in Spa und Ostende, nach
der Schließung der dortigen Kasinos, ihrer Spielwut nicht mehr
fröhnen konnten. In dem vom Strome der Kulturwelt bisher kaum
berührten Ländchen würden dann auch die üblen Begleiterschei- ,
nungen einer Spielhölle nicht ausbleiben. Es dürfe bezweifelt wer-
den, ob der materielle Vorteil, den sich gewisse Kreise in Moresnet
von der Spielbank versprächen, diese wenig angenehmen Beigaben
aufwögen.
Um die Rechtslage zu verdeutlichen, holt der Schreiber dann
etwas weiter aus. Er umreißt kurz die Entstehungsgeschichte
Neutral-Moresnets und bemerkt zutreffend, daß diese Bezeichnung
eigentlich nicht das Wesentliche treffe, denn unabhängig im völker-
rechtlichen Sinn sei Moresnet nicht, da das Gebiet nach einer Eini-
gung zwischen Preußen und Belgien bzgl. der Grenzfrage an eines
der beiden Länder falle.
Die Bewohner Neutral-Moresnets fanden sich, so das ”Echo”
ganz gut mit diesen problematischen Verhältnissen ab. Man nehme
teil an den Vorteilen, die jeder der beiden Staaten biete, ohne jedoch
zu allen Verpflichtungen herangezogen zu werden. Wörtlich fährt
der Schreiber fort :
”Da ist zunächst das Privilegium der Militärbefreiung. Ur-
sprünglich waren alle Bewohner von Neutral-Moresnet von der
Heerespflicht befreit. Seit 1848 sind jedoch die Einwohner belgi-
scher Nationalität in Belgien und seit 1854 die Einwohner deutscher
Nationalität in Preußen militärisch dienstbar. Nur die eigentlichen
Neutralen, d.h. die Nachkommen der 1815 ansässigen Bevölkerung
sind vollständig militärfrei. Es handelt sich hierbei um 439 Personen
(1815 waren es 250), die übrigen 3000 Einwohner sind zur Hälfte
(1470) Preußen, 1169 sind Belgier, 353 Holländer.
(1) Revue de l’Administration de la Belgique, XI, 1864-1865, S. 198, zitiert von L.
Maltoz, ”Le territoire Neutre de Moresnet (1816-1919)” im Bulletin des ”Credit
Communal de Belgique”, Nr. 144, April 1983, S. 72-73.
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Das Hotel Bergerhoff um 1903
(Foto Stadtarchiv Aachen)
Daneben gibt es noch eine Reihe weiterer Annehmlichkeiten
in Moresnet, die aber nicht nur für die ”Ur”-neutralen, sondern für
sämtliche Einwohner Moresnets in Betracht kommen. Die Steuer-
verhältnisse halten mit unseren Verhältnissen keinen Vergleich aus.
Das ist begründet darin, daß die Verwaltungskosten gering, und die
Öffentlichen Bedürfnisse unerheblich sind. Die staatliche Verwal-
tung wird gemeinsam von einem preußischen und einem belgischen
Immediatkommissar besorgt; preußischerseits ist die Verwaltung
dem Landrat des Kreises Eupen unter Aufsicht der kgl. Regierung
in Aachen übertragen. Die Gemeindeverwaltung wird seit 1858 (1)
von dem jeweiligen Bürgermeister des benachbarten Preußisch-
Moresnet ausgeübt, dem ein Gemeinderat aus zehn von den Imme-
diatkommissaren ernannten Einwohnern des Ortes zur Seite steht.
Sie werden nur gutachtlich vernommen. Früher lösten die Bürger-
meister von Preußisch-Moresnet und dem etwas entfernter liegen-
den Belgisch-Moresnet einander in der Verwaltung ab. (2)
(1) Nach dem Tode von Bürgermeister Arnold van Lasaulx (1859) wurde der Berg-
werksdirektor Adolphe van Scherpenzeel-Thim zum neuen Bürgermeister des
neutralen Gebietes ernannt. Ihm-folgte nach einigen Monaten Joseph Kohl, Bür-
germeister von Preußisch-Moresnet.
(2) Eine etwas ungenaue Formulierung. In Wirklichkeit handelten beide Bürgermei-
ster gemeinsam.
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Die Steuern sind noch die, welche schon unter der französi-
schen Herrschaft erhoben wurden, mit Ausnahme der später einge-
führten Gemeindeeinkommensteuer, welche 8.410 Frs einbringt.
Außerdem werden erhoben an Grund- und Gebäudesteuer 1461
Frs, an Patentsteuer 893 Frs, an Personalsteuer 235 Frs, insgesamt
also 10.999 Fr, was auf den Kopf der Bevölkerung ungefähr 3,25
Frs ausmacht.
Zölle werden von Waren, die aus Preußen oder Belgien in
Neutral-Moresnet eingeführt werden, nicht erhoben, dagegen sind
die ausgeführten Waren zollpflichtig.
Postalisch gilt Moresnet zu Preußen wie zu Belgien als Inland. E
Schulzwang besteht in Wirklichkeit nicht, wenn auch das Bei-
spiel Preußens die gute Wirkung gehabt hat, daß kaum ein Kind an
dem Schulunterricht nicht teilnimmt. Doch gestattet der nur fakul-
tative Unterricht größere Freiheit in der Auswahl der Erziehungsin-
stitute.
Schließlich herrscht in Moresnet noch ein weitherziges Konzes-
sionswesen. Wer fünf Francs zu zahlen in der Lage ist, hat es ohne
weitere Schwierigkeiten in der Hand, sich Herr Wirt nennen zu las-
sen.
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”Bergerhoff” war auch Haltestelle der Postkutsche.
Aufnahme um 1903
(Foto Stadtarchiv Aachen)
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In kirchlicher Beziehung bildet Moresnet eine zur Diözese Lüt-
tich gehörende Pfarre, die Kirchensteuern betragen 1107 Fres.
Die Rechtspflege in Neutral-Moresnet ist die aller merkwürdig-
ste in ihrer Unsicherheit und in ihrer Härte. Einen eigenen Gerichts-
bezirk bildet das kleine Gebiet nicht, und so können Zivilstreitigkei-
ten, den staatsrechtlichen Verhältnissen des Gebietes entsprechend,
nach Wahl des Klägers in Preußen sowohl wie in Belgien anhängig
gemacht werden. Ebenso ist es in Strafsachen, doch hat sich die
Übung herausgebildet, diese fast ausschließlich in Preußen anzu-
bringen. Die preußischen Gerichte verfahren nach den deutschen
Prozeßgesetzen, urteilen aber nach dem code penal Napoleons, der,
was insbesondere das drakonische Strafmaß bei Vergehen gegen das
Eigentum anlangt, der heutigen Rechtsauffassung in keiner Weise
mehr entspricht. Als Regel gilt allerdings die Herabminderung der
Strafen im Gnadenwege auf ein den Bestimmungen des deutschen
Reichsstrafgesetzbuches entsprechendes Maß.
Immer scheint die Anwendung des code penal nicht unbeding-
te Regel gewesen zu sein. Es wird uns von kundiger Seite berichtet,
daß im Jahre 1859 oder 60 zwei junge Leute aus Neutral-Moresnet
wegen Mißhandlung vor das Aachener Landgericht gezogen wur-
den. Sie waren mit ihren Eltern zu Neutral-Moresnet ansässig, von
Nationalität aber Belgier. Nach der Verhandlung wurde von dem
damaligen Kammerpräsidenten Salm hervorgehoben, daß zwar der
französische code penal für das neutrale Gebiet gelte, es aber Usus
sei, den Angeklagten die Wohltaten der preußischen Strafgesetze
zuteil werden zu lassen, wenn diese, wie im vorliegenden Falle, für
den Angeklagten günstiger lauteten. So wurde jeder der beiden Brü-
der zu 14 Tagen Gefängnis verurteilt. Der ältere trat aber frech vor
und erklärte, daß er Belgier sei und nicht nach dem preußischen Ge-
setz, sondern nach dem französischen code penal verurteilt werden
wolle. Ruhig erklärte ihm der Präsident Salm, daß diesem Wunsche
willfahren werden könne. Er wurde also nach dem einschlägigen Pa-
ragr. des code penal zur geringsten Strafe von 4 Wochen Gefängnis
verurteilt, während es bei seinem Bruder bei 14 Tagen verblieb.
Neuerdings stützt sich die Rechtsprechung auf eine Entschei-
dung des Reichsgerichts vom 10. August 1898, welche ausführte,
daß in dem Grenzbezirk das Strafgesetzbuch für das deut-
sche Reich ebensowenig wie das preußische Strafgesetz-
buch vom 14. April 1851 Gesetzeskraft erlangt habe, da
das bestehende Kondominat diesen Landesteil der einseiti-
gen Gesetzgebung eines der beteiligten Staaten entzogen
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habe, was auf Grund des Artikels 17 des zwischen Preußen
und den Niederlanden abgeschlossenen Grenzvertrages
vom 26. Juni 1816, von der älteren preußischen Recht-
sprechung anerkannt worden sei, daß demnach das durch
die frühere französische Staatsgewalt eingeführte Strafge-
setzbuch, der code penal, noch als das zur Zeit örtlich gel-
tende Strafgesetzbuch anzusehen sei.
Das Reichsgericht beruft sich in seiner Entscheidung auf eine Ver-
fügung des preußischen Justizministers vom 31. Dezember 1852 in
der es heißt :
”Die Ansicht, daß das Strafgesetzbuch für die preußischen
Staaten in dem an den Regierungsbezirk Aachen angren-
zenden sog. neutralen Gebiete keine Gesetzeskraft habe,
ist nach dem gegenwärtigen staatsrechtlichen Verhältnisse
dieses Landesteiles als richtig anzuerkennen; es folgt dar-
aus aber auch, daß in Untersuchungen, welche sich auf
strafbare, im neutralen Gebiete begangene Handlungen
beziehen, die Formulierung der Anklagen und Beschuldi-
gungen nach Maßgabe der Bestimmungen des früheren
Rheinischen Strafgesetzbuches erfolgen muß.”
Gegen diese rechtliche Auffassung wandte sich der Aachener Land-
gerichtsdirektor Ferdinand Schroeder, welcher in einer i.J. 1902 er-
schienenen Schrift (”Das grenzstreitige Gebiet von Moresnet, sog.
Neutral-Moresnet”, Aachen, 1902) den Standpunkt vertrat, die
Deutschen im neutralen Gebiete sollten - abgesehen von den für das
streitige Gebiet erlassenen Verordnungen - in strafrechtlicher Bezie-
hung dem deutschen Strafgesetzbuch, die Belgier dem belgischen
Strafgesetzbuch unterstehen. Im Rechts- und Geschäftsverkehr mit
Deutschen sollten die in Neutral-Moresnet wohnenden Deutschen
unter das deutsche bürgerliche und Handelsrecht fallen, während
im Sachrecht, namentlich dem Eigentumserwerb, der dinglichen
Belastung von Grundstücken und der Immobilienzwangsvoll-
streckung nach dem alten französischen Gesetz geurteilt werden
sollte. Bei den Ur-Neutralen kämen sowohl das französische Zivil-
recht wie der code penal zur Anwendung.
Schroeder begründete seinen Standpunkt damit, daß, von
preußischer Warte aus gesehen, das grenzstreitige Gebiet durch die
Verträge zu einem Teil des preußichen Territoriums geworden Sei,
lediglich belastet mit dem Anspruch Belgiens (Hollands), das das Ge-
biet als zum belgischen Territorium gehörend betrachte; Preußen sei
in der Anwendung seiner Gesetze nur durch die völkerrechtlichen
Rücksichten auf Belgien beschränkt.
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Das Hotel Select in den 60°" Jahren
Mit dieser Meinung folgte Landgerichtsdirektor Schroeder der
Auffassung des deutschen auswärtigen Amtes, das am 28. Oktober
1875 die‘ rechtliche Lage Neutral-Moresnet wie folgt beurteilt hat-
te:
”... daß von Preußen sowohl wie von Belgien (Holland) von
Anfang an der Anspruch auf das ganze Gebiet mit völliger
Ausschließung jeder Berechtigung des anderen Teiles geltend ge-
macht und auf diesen Anspruch zu keiner Zeit verzichtet, noch der
Anspruch des anderen Teiles auch nur neben dem eigenen als recht-
lich begründet anerkannt worden ist; daß die Ausübung des Ho-
heitsrechts völkerrechtlich von Seiten Preußens nur beschränkt ist
durch die Rücksicht auf den anerkannten faktischen Mitbesitz Bel-
giens und nur durch diese Rücksicht; daß, wo die letztere fortfällt,
Preußen für befugt angesehen werden muß, das gedachte Gebiet
staatsrechtlich als Inland zu behandeln, und daß dieses Gebiet , so-
bald Belgien seine Ansprüche aufgebe, von selbst ein hinfort unbe-
strittener Bestandteil der preußischen Monarchie werde, ohne daß
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es eines, auf Grund des Art. 3 der Verfassungsurkunde zu erlassen-
den Gesetzes wegen Vereinigung dieses Gebietes mit der
preußischen Monarchie bedürfe.”
So betrachtete also Preußen das Moresneter Gebiet als durch
die Verträge vom 30. Mai 1814 und die Wiener Schlußakte vom 9.
Juli 1815 als zu Preußen gefallen an, demnach auch für Preußen in
Besitz genommen. Die Niederlande und deren Rechtsnachfolger
Belgien erhoben den gleichen Anspruch. Beide Staaten nahmen je-
doch gegenseitig auf den Anspruch des anderen Rücksicht, indem
sie es nicht als einen Eingriff in die Hoheitsrechte ansahen, wenn
der andere Staat seine in Neutral-Moresnet wohnenden Untertanen
verpflichtete, ihren Militärdienst in Preußen bzw. Belgien zu absol- %
vieren.
Daraus folgt, so meinte das ”Echo der Gegenwart”, daß ein
Eingriff in die Hoheitsrechte des anderen auch dann nicht vorliege,
wenn Preußen seine im streitigen Gebiet wohnenden Untertanen als
seinen Gesetzen unterworfen ansehe. ”Es ist ja auch”, so die Zei-
tung, ”eine geradezu ungeheuerliche Erscheinung, daß die Preußen,
obwohl sie in Moresnet den staatsbürgerlichen Pflichten gegenüber
ihrem Mutterstaate unterworfen bleiben, in ihren Rechtsverhältnis-
sen nach einem gänzlich veralteten Strafgesetzbuch abgeurteilt wer-
den.”
Den Leitern der neuen Spielbank bot aber gerade dieses veral-
tete Strafgesetzbuch, der code penal, die Rechtsgrundlage für ihr
Unternehmen. Dieser code penal verbietet in Art. 410 Spielbanken
nur dann, wenn die Öffentlichkeit zugelassen wird. Nun hatte man
in Kelmis von vornherein sich dadurch abgesichert, daß von den
Spiellustigen ein Beitrag von 30 Fr erhoben wurde, wodurch sie zu
Mitgliedern der Spielgesellschaft wurden. Ein allgemeines Verbot
der Spielbanken wurde in Frankreich erst im Jahre 1839 ausgespro-
chen, kam deshalb für das schon 1815 abgetrennte Gebiet von
Neutral-Moresnet nicht in Frage.
Preußen und Belgien hatten beide das Glücksspiel verboten;
solange jedoch der von Landgerichtsdirektor Schroeder verfochtene
Grundsatz, nach dem die preußischen Neutralen nach deutschem
und die belgischen Neutralen nach belgischem Recht abzuurteilen
wären, in der Rechtssprechung keine Anwendung fand, war es un-
möglich, strafrechtlich gegen die Mitglieder der Spielgesellschaft
vorzugehen.
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Die einzige Möglichkeit, dem Rollen der roten und schwarzen
Kugeln in Neutral-Moresnet Einhalt zu gebieten, schien der Ver-
waltungsweg zu sein. Den beiden Regierungskommissaren stand das
Recht zu, Polizeiverordnungen zu erlassen. Zu den Gegenständen
solcher Verordnungen gehörte ”alles, was im besonderen Interesse
der Gemeinden und ihrer Angehörigen” polizeilich geordnet werden
mußte. Jede öffentliche Tanzlustbarkeit bedurfte in Preußen einer
polizeilichen Genehmigung, da sollte doch sicherlich ein Spielsalon
zu schließen sein - auch in Neutral-Moresnet.
Dazu bedurfte es allerdings eines gemeinsamen Vorgehens der
beiden Regierungen, die bei anderer Gelegenheit, z.b. bei Einfüh-
rung der Einkommensteuer gegen Ende der 50er Jahre, schon ein-
mal ein gemeinsam beschlossenes Gesetz in Neutral-Moresnet zur
Anwendung gebracht hatten.
In seiner Ausgabe vom 26. August 1903 brachte das ”Freie
Wort” unter der "Überschrift "Aus dem Altenberger Monte-Carlo”
einen im ”Echo der Gegenwart” wenige Tage zuvor erschienenen
Beitrag zur Vorgeschichte der Gründung eines Spielkasinos in
Neutral-Moresnet. Darin wird nachgewiesen, daß die Bestrebungen
zur Errichtung einer Spielbank im neutralen Gebiet bis in die siebzi-
ger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückgehen. So soll im Jahre
1871 am Tage der Siegesfeier für die aus dem Feldzuge heimkehren-
den Soldaten ein reicher Berliner Bürger den Bürgermeister von
Neutral-Moresnet gebeten haben, ihm bei der Errichtung einer
Spielbank in Kelmis behilflich zu sein. Dieses Ansinnen habe der
Bürgermeister aber zurückgewiesen mit dem Bemerken, dies liege
nicht in seiner Macht und er könne auch die Verantwortung für ei-
ne solche Entscheidung nicht übernehmen, da notorisch der finan-
zielle und moralische Ruin von Tausenden durch die Spielbanken
herbeigeführt würde. Der Fremde habe daraufhin mit engen Bezie-
hungen zu Personen fürstlichen Geblüts geprahlt und dem Bürger-
meister versprochen, er werde in kürzester Zeit ein steinreicher
Mann, wenn er das Unternehmen unterstütze. Da der Bürgermei-
ster jedoch bei seiner ablehnenden Haltung verharrt habe, sei der
Fremde wieder abgereist.
1898 ließ sich ein Franzose mit Namen Hector Lahousse in Al-
tenberg nieder. Er ging mit dem Plan um, in dem neutralen Länd-
chen Bäder und eine Spielbank zu errichten. Verschiedene Persön-
lichkeiten des Orts interessierten sich für das Unternehmen und es
soll sogar zu Spekulationskäufen gekommen sein. Zum Ärger der
Spekulanten zerschlug sich der Plan aber wieder. Wie das ”Echo” zu
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berichten wußte, hatten noch andere Bestrebungen zur Errichtung
einer Spielbank in Neutral-Moresnet stattgefunden; die Freimaurer-
loge stehe hinter diesem Projekt.
Der "Frankfurter Zeitung” ging am 25. August 1903 eine
Nachricht aus Köln zu, wonach zwischen Preußen und Belgien eine
Einigung bzgl. des Gebietes von Neutral-Moresnet erzielt worden
sei. Das Gebiet komme integral an Belgien, und zwar gegen eine an
Deutschland zu zahlende Geldentschädigung. Damit würde wohl
auch, so bemerkte das Frankfurter Blatt, die Altenberger Spielbank-
herrlichkeit ihr Ende erreichen.
Der ”Germania” ging eine ähnliche Nachricht zu. Ein Privat-
Telegramm aus Köln wußte vom nahen Abschluß der Verhandlun-
gen über die endgültige Regelung der politischen Zugehörigkeit
Neutral-Moresnets zu berichten.
Die Altenberger Spielhölle verursachte einigen Wirbel. Am 25.
August 1903 kam es zu einem regen Depeschenwechsel zwischen
Deutschland und Belgien. Eine Zusammenkunft der beiderseitigen
Regierungsvertreter wurde auf den 28. August anberaumt, wozu
deutscherseits der Landrat von Eupen, Geheimrat Gülcher, und Re-
gierungsassessor Graf von der Goltz den Auftrag erhielten, ener-
gisch bei den belgischen Vertretern auf eine Einwilligung zur
Schließung der Spielbank zu drängen. Belgischerseits war der Be-
zirkskommissar Fernand Bleyfuesz mit dem Problem befaßt. Dieser
hatte kurz zuvor auf die Frage, welche Stellung die belgische Regie-
rung zu dem Spielclub nehmen werde, erklärt : ”Es ist überhaupt
keine Maßnahme zu treffen, da das neue belgische Spielgesetz auf
das neutrale Gebiet nicht anwendbar ist. Für dieses gilt in dieser
Hinsicht der alte Code Napoleon. Danach ist das Spiel in der Öffent-
lichkeit verboten, aber gestattet, soweit es in einem Privatverein
stattfindet. Wenn das neue Unternehmen sich den Vorschriften des
Code Napoleon anpaßt, haben wir keine Veranlassung, in irgendei-
ner Weise einzuschreiten. Ich habe noch keine Anzeige erhalten
und es wird dies wahrscheinlich auch nicht der Fall sein, wenn keine
Übertretung stattfindet.” (1)
Die Unterredung zwischen den Regierungskommissaren fand
in Herbesthal statt. Das Resultat derselben wurde diplomatisch als
kein solches bezeichnet, ”daß auf Grund desselben die Aufhebung
der Spielbank geraten erschien bzw. verfügt werden konnte”,
(1) Correspondenzblatt des Kreises Eupen, 26. Aug. 1903
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Unterdessen beschäftigten sich in- und ausländische Zeitungen
weiterhin mit dem Problem Neutral-Moresnets im allgemeinen und
der Spielbank im besonderen. Der Pariser ”Figaro” erhielt eine
Nachricht aus Berlin, wonach die Verhandlungen über Neutral-
Moresnet kurz vor dem Abschluß stünden; es sei jedoch falsch, daß
das Gebiet gegen eine Entschädigung ganz an Belgien fallen solle.
Jeder der beiden Staaten, die sich über die Teilung einig seien, erhal-
te die Hälfte des Gebietes und es bleibe nur noch die Grenzlinie fest-
zusetzen, was in Kürze geschehen werde. Der ”Figaro” schrieb
auch, Belgien und Deutschland hätten gemeinsam die Aufhebung
des Kelmiser Spielkasinos beschlossen, was wiederum von belgi-
schen Blättern als völlig aus der Luft gegriffen dargestellt wurde.
Die ”Kölnische Zeitung” widmete in ihrer Sonntagsausgabe
vom 30. August der Rechtslage Neutral-Moresnets einen langen
Aufsatz. Darin wurde die Regelung des Neutral Moresneter Pro-
blems als eine Ehrenpflicht gefordert. Abschließend meinte der
Schreiber : ”Wenn es unserer Zeit gelungen ist, im tiefsten Afrika
den Interessensphären der einzelnen Staaten bestimmte Grenzen zu
geben, wenn Helgoland und Samoa eine im deutschen Sinne glückli-
che und günstige Besitzregelung erfahren konnten, so dürfte es
nicht schwer fallen, auch den hundertjährigen Streit über Moresnet
aus der Welt zu schaffen, zumal die Schwierigkeit der Regelung, die
zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in dem unermeßlich wertvollen
Galmeibergwerk gegeben war, heute nicht mehr vorhanden ist.”
In Altenberg wurde inzwischen flott weiter gespielt. Der Spiel-
club ließ äußerste Vorsicht walten, um nicht mit dem bestehenden
Gesetz in Konflikt zu kommen. Laut Prospekt zählte die Spielge-
meinschaft Ende August 1903 schon 4000 Mitglieder und der Spiel-
betrieb blieb nicht ohne Einfluß auf das Wirtschaftsleben im Ort.
Der Landrat von Eupen legte die Polizeistunde für die auf
preußischer Seite der Landstraße gelegenen Lokale auf 11 Uhr
abends fest. Dadurch waren diese Wirtshäuser im Vergleich zu den
auf neutralem Gebiet gelegenen im Nachteil. Die Zahl der Hotelgä-
ste wuchs täglich. In manchen kleinen Gasthöfen waren mehr als 10
Fremde untergebracht. Dieser Zuzug an Fremden und die Spiel-
bank wurden als eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ange-
sehen. Der Vorstand der Spielbankgesellschaft versuchte mittlerwei-
len, ein günstiges Klima für seine Aktivitäten zu schaffen. Man sah
die Herren bei der Vorstandssitzung eines Altenberger Karnevalsve-
reins, wo sie für die Kasse desselben und zur Verschönerung des in
Aussicht genommenen großen Karnevalsballes 250 Fr spendeten.
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Doch die Ortspolizei hatte das Treiben im Hotel Bergerhoff im Au-
ge und stattete dem Club fast täglich einen Besuch ab, ohne jedoch
gegen die Spieler vorgehen zu können.
Nach 17 Tagen kam dann doch das ”Aus” für die Spielbank.
Nachdem am Vormittag des 3. September 1903 die beiden Kommis-
sare eine neuerliche Besprechung in Herbesthal gehabt hatten, wur-
de am Nachmittag desselben Tages die Bank durch die Ortsbehörde
von Neutral-Moresnet geschlossen. Die Aufhebung erfolgte auf-
grund des Par. 291 des Napoleonischen Strafgesetzbuches, welcher
lautet : ”Eine gesellschaftliche Vereinigung von mehr als 20 Perso-
nen, die zum Zweck hat, sich alle Tage oder an gewissen bestimm-
ten Tagen zu versammeln, um sich mit religiösen, literarischen, poli- .
tischen oder anderen Gegenständen zu beschäftigen, darf sich nur
mit Genehmigung der Regierung und unter den Bedingungen bil-
den, welche die Behörde der Gesellschaft vorzuschreiben für gut fin-
det.”
Nach deutschen Blättern erfolgte die Schließung der Bank
durch den zuständigen Bürgermeister von Neutral-Moresnet in so
unauffälliger Weise, daß die Bewohner des Ortes kaum etwas davon
merkten. Dagegen schrieben belgische Zeitungen, die Schließung sei
vom Polizeipräsidenten von Aachen in Begleitung von Schutzleuten
vorgenommen worden. Der Polizeipräsident habe den von etwa 20
belgischen und deutschen Gendarmen besetzten Gasthof Berger-
hoff besucht und den Anwesenden die Verfügung der beiden Regie-
rungen mitgeteilt. Wie verlautet, hielten sich in Altenberg bereits
150 ”feste” Spieler auf, darunter Russen, Italiener und Amerikaner.
Am letzten ”offenen” Sonntag standen in der Nähe des Spielhauses
ungefähr 60 Wagen und Automobile. Der von den Unternehmern
des Kasinos während des kurzen Bestehens des Clubs erzielte Rein-
gewinn soll sich auf 25. - 30.000 Fr belaufen haben.
Nach der Schließung, die gegen 13 Uhr verhängt wurde,
verließen die Spielbankdirektoren Neutral-Moresnet in Richtung
Verviers, ließen jedoch verbreiten, am nächsten Tage werde weiter
gespielt werden. Sie wollten es offensichtlich auf eine Protokollie-
rung und anschließende Gerichtsverhandlung ankommen lassen,
wobei sie erhebliche Schadenersatzansprüche geltend machen konn-
ten.
Wie dem ”Freien Wort” aus dem neutralen Gebiet gemeldet
wurde, .nahm die Bevölkerung im allgemeinen die Nachricht von
der Schließung des Spielkasinos mit Befriedigung auf. Nur die Gast-
wirte und Wohnungsvermieter waren eher gedrückter Stimmung,
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da sie z.T. große Anschaffungen gemacht hatten, die nun abzuzah-
len sie Schwierigkeiten hatten. Die Mieter ihrerseits waren befrie-
digt über das Ende des Spuks, denn die Mietpreise waren in den we-
nigen Tagen seit der Eröffnung der Spielbank sprunghaft angestie-
gen. Einem Arbeiter, der bisher für 10 Fr monatlich zur Miete ge- z
wohnt hatte, wurden nun plötzlich 50 Fr abverlangt!
Die Gebietspresse, ”Das Freie Wort” meinte, Altenberg werde
nun wohl wieder nach kurzer Zeit in seine beschauliche Ruhe zu-
rückversinken, in der seine Bewohner dann den entschwundenen
Träumen vom mühelosen Erwerb großer Reichtümer nachhängen
könnten. Die Zeitung schloß ihren Kommentar zur Spielbankaffäre
mit dem Hinweis, daß eine Wiedereröffnung des Spielclubs unter Ver-
letzung des ausgesprochenen Verbots für Neutral-Moresnet unbere-
chenbare Folgen nach sich ziehen würde, da der Widerstand gegen
das behördliche Verbot nach dem code penal als Aufruhr angesehen
und die belgisch-preußische Besetzung des Gebietes zur Folge haben
würde. Dazu ist es jedoch nicht gekommen, da die Spielbankdirekto-
ren klein beigegeben haben.
Das ”Correspondenzblatt des Kreises Eupen” vom 16.3. und
23.3.1904 berichtet kurz über das gerichtliche Nachspiel des
Neutral-Moresneter Spielclubs. Drei der Gründer des ”Cercle prive
des Etrangers de Calamine ä Moresnet-Neutre”, ein Kohlenhändler,
ein Makler und ein Handlungsreisender, sämtlich aus Lüttich, wur-
den wegen Verstoßes gegen die Art. 291 und 292 (Vereinsgesetz)
des code penal von der Aachener Strafkammer zu je 100 Fr Geld-
buße verurteilt, während der Hotelbesitzer Jak. Bergerhoff, dem
man vorwarf, er habe seine Räume für eine nicht behördlich geneh-
migte Vereinigung zur Verfügung gestellt, zur Zahlung von 50 Fr
verurteilt wurde.
Vor gut 5 Jahren ging das Hotel Select, der frühere Gasthof
Bergerhoff, durch Kauf in den Besitz der Gemeinde über. Nach
umfassenden Um- und Erweiterungsbauten konnte das Gebäude am
11. Juni d.J. seiner zukünftigen Bestimmung als Kulturhaus und Be-
gegnungsstätte der Kelmiser Vereine übergeben werden. An die
Episode Altenberger Spielbank erinnern nur noch einige vergilbte
Zeitungsnotizen.
88
Das Mobile
von M. Th. Weinert
Vier Fische, stumm und schön wie Schollen,
tun so, als ob sie etwas wollen ...
sie schweben leicht im Raum und streichen
im Kreis um sich und ihresgleichen,
Zuweilen stößt der Kopf des einen
den Schwanz des andern leise an,
ein Großer wendet sich zum Kleinen
und schiebt ihn in die neue Bahn.
„Doch bleibt ihr Kreis in sich geschlossen,
kein Fischlein kann aus seiner Spur,
sie hängen alle mit den Flossen
an einer fadendünnen Schnur.
Dies - scheint mir - ist ein wahres Zeichen,
zuweilen möchte man entweichen ...
und hängt doch schon, seit eh’ und je
am Faden, wie ein Mobile.
89
Zum 100. Geburtstag des Raerener
Schriftstellers Josef Ponten
von Marc Komoth
”Ponten Josef : Schriftsteller, geboren in Raeren bei Eupen am
3. Juni 1883, gestorben in München am 3. April 1940. Schrieb Rei-
sebücher (u.a. über griechische Landschaften), Erzählungen (”Die
Insel”, 1918), Romane (”Der babylonische Turm”, 1918; ”Die Bock-
reiter”, 1919). Stellte in dem Romanzyklus ”Volk auf dem Weg” (un-
vollendet, 6 Bände erschienen, 1931-42) die Schicksale der Aus-
landsdeutschen dar” (1)
Mit diesen knappen Worten beschreibt das Lexikon eine der
wohl größten Dichterpersönlichkeiten unserer engeren Heimat, die
vor nunmehr genau hundert Jahren geboren wurde. Heute ist es um
Josef Ponten zweifellos recht still geworden. Dennoch muß man ihn
wohl zu den bedeutendsten rheinischen Dichtern der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts rechnen. Ponten war Rheinländer und blieb
dies auch auf seinen zahlreichen Reisen oder an seinen diversen
Wohnorten von München bis Berlin. Natur und Landschaft sind
für Ponten in all seinen Romanen, Gedichten oder Erzählungen
stets mehr als der neutrale Hintergrund für das Geschehene, sie sind
vielmehr Teil der Handlung. Wie tief Ponten besonders von der
rheinischen Landschaft beeindruckt war, mag aus folgendem kur-
zem Auszug ersichtlich sein :
”... Also stehen wir hier auf einem Gebirge aus harten Schie-
fern mit viel Quarz, einem ungeheuer alten Gebirge, auf dem Stum-
mel eines Gebirges, eines Berglandes, das sehr lange ziemlich still lie-
genblieb, um während der endlosen Zeit fast bis zu seinem Fuße von
Gerinnen, Bächen, Flüssen und Strom ab- und fortgetragen zu wer-
den, und zwar von immer sich verlegenden Gruppen dieser unge-
heuren Wasserspülung, wie wenn man den Hof mit einem reiser-
und blättervollen Baumast bald in dieser, bald in jener Richtung
Segt ...”. (2)
(1) TO Brockhaus in zwölf Bänden, 18. Auflage, F.A. Brockhaus, Wiesbaden,
(2) Josef Ponten, Die rheinische Landschaft (aus einem Sonderdruck ohne nähere
Quellenangaben, vermutlich 1933).
90
Ein wunderschönes Gedicht sei als ein weiterer Beweis für
Pontens tiefes Naturverständnis angeführt : (3)
Frühling
Vater ist wie Maienwind
Mutter aber wie blühender Baum.
Vater verstreut seine Gaben geschwind,
Mutter steht wie ein Traum.
Vater ist eifrig, launig beseelt,
Mutter aber ist Natur.
Vater wird nicht von Schmerzen gequält,
Mutter nur. X
Noch im Geburtsjahr des Dichters verzog die Familie Ponten
aus Raeren nach Lontzen, wo sie bis 1890 im sog. Bürgerhaus an
der Straße nach Lontzen-Busch wohnte, um dann nach Aachen um-
zusiedeln. Doch immer wieder kam der kleine Josef nach Raeren
zur Großmutter und Raeren hat die Kinderjahre des Dichters stär-
ker als jede andere Landschaft geprägt.
Gerhart Lohse schreibt hierzu : ”Das liebliche und unberührte
Hügelland zwischen Aachener Wald und Hohem Venn mit seinen
weiten Wiesen und wohlhabenden Höfen hat Josef Ponten stark
beeindruckt. Ihm wohl verdankt er sein besonderes Verhältnis zur
Landschaft, das ihn immer begleitet hat und das seine ganze Dich-
tung durchzieht ...” (4)
Ponten selbst schreibt in einem Rückblick auf die Zeit, die er in Aa-
chen verbrachte : ”Wenn ich an diese ersten bis zum Ende der Kind-
heit in Aachen verbrachten Jahre zurückdenke, so denke ich fast
nur - an Raeren. Denn in Raeren verlebte ich alle und die ganzen
Ferien, die vielen schulfreien Festtage des katholischen Kalenders
und auch oft die Sonntage ... Ich lebte die Werktage und die Schul-
zeiten in der Stadt fast nur im Hinblick auf die Sonntage und die
langen Schulferien, die ich in dieser mir selig erscheinenden Land-
schaft verbringen durfte.”
In einem anderen, etwas längeren Auszug beschreibt Ponten eben
(3) Josef Ponten, in Aachener Leben (Kur- und Verkehrszeitung) Nr. 6 vom 4. Fe-
bruar 1934.
(4) Gerhart Lohse, Josef Ponten, in Rheinische Lebensbilder (Bd 2), Düsseldorf,
1966.
91
diese Raerener Landschaft, die ihn so sehr prägte :
»Raeren ist ein großes Streudorf, das aus vielen Einzeldörfern
und Weilern besteht. Die Großmutter wohnte in einem der klein-
sten Weiler, der Blaar hieß; im Tale des Iterbaches. In der Erzählung
’Unteroffiziersposten Bethanien legt die Waffen nieder’ ist diese
Wiesentallandschaft ziemlich getreu gemalt. Die Großmutter be-
wohnte ein vom Großvater erbautes schönes festes Steinhaus, das
von Blumengärten umgeben und über und über mit Rosen und
Kletterpflanzen bedeckt war.
Die Treppe war vergoldet. Im Vorflur über altmodisch wurm-
stichigen roten Möbeln aus der Biedermeierzeit hing gerahmt die
lange Folge schöner bunter Bilder, welche die Geschichte der heili-
gen Genoveva und des Schurken Golo erzählten - von dieser epi-
schen Bilderfolge habe ich erste und tiefste Eindrücke erfahren, und
für erzählerische Folgen oder wie man sagt : Zyklenwerke habe ich
noch heute eine Vorliebe. Im Tale waren rauschende Tannen, to-
sende Wasserfälle, eine schwindelhohe Brücke. Auch jene unheimli-
che Gracht (»Unteroffizierposten«) war da. Zum Besitztum der
Großmutter gehörte ein geheimnisvolles Wäldchen, das über star-
renden Blausteinfelsen stand (von denen einmal - o Graus! - eine
verstiegene Kuh der Großmutter sich zu Tode stürzte). Im Keller
des großmütterlichen Hauses war jener fürchterliche Brunnen, der
das Ende eines sehr langen unterirdischen Wasserkanals ausmachte,
von dem in der Erzählung desselben vorgenannten Buches »Wasser-
mann der Mörder«, berichtet wird. Da war eine aufgelassene Mühle
mit einem tiefen schaurigen Brunnenschachte, da lag auch ein Spital
(von einem reichen Verwandten der Familie gestiftet, von jener
herrlichen großen lebensvollen Schwester Helmtrudis als Oberin ge-
leitet, der sich einige Leser aus meinen »Bockreitern« erinnern wer-
den. Und im Spitalsgarten am rauschenden Wehr des Iterbaches
war die mit feinem, unter den Tritten knirschendem Kiese bestreute
offene Sommer- und Naturkapelle mit einer Grotte aus Stalaktiten,
in der die weiße Madonna von Lourdes, das blaue fliegende Ausgabe
um den Leib, stand und vor der die engelhafte kleine Französin aus
den Pyrenäen, Bernadette Soubirous, kniete. Und wie oft kniete ich
selbst da und betete mit Helmtrudis und den anderen braunen Non-
nen des Spitals den Marienrosenkranz!«
x
(5) Josef Ponten, Erinnerung und Bekenntnis, in Aachener Leben (Kur- und Ver-
kehrszeitung) Nr. 6 vom 4. Februar 1934.
93
»In dem kleinen heiligen Raum, im Spital und im Spitalgarten
war eine himmlische Stille, Vielleicht kehre ich als alter Mann da-
hin zurück und werde Altpensionär im Spital«. (6)
"Auch was seinen Lebenslauf angeht, lassen wir Ponten selbst
zu Wort kommen :
”Ich bin geboren am 3. Juni 1883 aus einer maasfränkischen Fami-
lie in dem einst durch seine Kunsttöpferei bekannten Dorfe Raeren
im Lande Eupen im heutigen Zwangsbelgien. Mein Jugendwerk
"”Siebenquellen”, ein nur mangelhaft geratenes, aber zeugnishaft ge-
wordenes Buch, schildert dieses Land in einer Zeit, als es von ihm
noch nicht zu zeugen galt. Die Vorfahren waren Bauern und Hand-
werker, in der Mutterreihe erscheint das waldrodende Bauerntum
der Vordereifel, in der Vaterreihe das Kunsttöpfertum und der Klein-
adel, der sich im Mittelalter mit dem Großadel des Landes zwi-
schen Rhein und Maas verknüpft. In den Reichsstädten Aachen
und Köln treten in dieser Zeit regierende Bürgermeister aus der
Blutsreihe auf. Man sieht eine landschaftlich sehr geschlossene und
die Lebensstände kräftig durchgliedernde Vorfahrenschaft.
Zusammen mit vier Brüdern und drei Schwestern wuchs Josef
Ponten als Ältester auf, verließ aber schon wenige Monate nach der
Geburt Raeren und zog in das nahe Lontzen. Hier machte sein Va-
ter sich als Schreinermeister selbständig und unterhielt daneben ein
kleines Geschäft.
”Ich besuchte das Gymnasium in Aachen, die Universität und
Hochschule in Genf, Bonn und Aachen und erwarb in Bonn den
Doktorgrad. Das halbe Jahrzehnt vor dem Kriege lebte ich zum gu-
ten Teil in den Mittelmeerländern, der Krieg überraschte mich auf
Spitzbergen. Nach Deutschland gekommen, trat ich ungedient ins
Heer. Ich erlebte den Krieg vorwiegend in den weiten Räumen des
Ostens, was für mich insofern von Schicksalsbedeutung war, als ich
dort den Riesenfächer der deutschen Auswanderung früherer Jahr-
hunderte kennenlernte. Im Jahre 1920 nahm die belgische Besat-
zung das Haus in Aachen an sich, in dem ich wohnte, was für mich
wieder den Wanderstab ergreifen hieß, ich wurde nach einiger Zeit
in München, zuerst unter engen Verhältnissen, seßhaft. Auf dieser
Wanderschaft kam ich 1920 zum erstenmal mit flüchtigen
Rußlanddeutschen zusammen. 1925 führte mich der Weg ins östli-
che Rußland, ich begegnete auf der Wolga im Lebensraume der Wol-
gadeutschen meinem Thema "Volk auf dem Weg’, das, lange geahnt
und vorbereitet, nun klar erkannt und aufgenommen wurde, mein
(6) Ebda
85
Hauptarbeits- und vielleicht Hauptlebensthema. Von da ab war und
bin ich im Dienste des weitläufigen Romanwerkes viel auf dem We-
ge‘, 1928/29 in Nordamerika, 1931 in Nordafrika, 1932, 33 und 34
wieder in den Balkanländern, 1936, in Südamerika. Das Leben und
die Arbeit sind für zwei Jahrzehnte bestimmt, das Wandern ist nicht Ss
abgeschlossen”. (7)
Die erste öffentliche Anerkennung für sein dichterisches Werk er-
hielt Ponten im Jahre 1936, als ihm der rheinische Literaturpreis
verliehen wurde. Nur ein Jahr später erhielt er auch den Literatur-
preis der Stadt München.
Am 3. April 1940 erlag der Dichter in seiner Münchener Woh-
nung kampflos und ohne akute Krankheit einem Herzschlag. Wahr- A
scheinlich hatte ihn das viele Reisen körperlich zu stark bean-
sprucht.
*
* *
Die Gemeinde Raeren hat vor 13 Jahren eine Straße nach Jo-
sef Ponten benannt und damit wohl erreicht, daß der Name des
Dichters in seinem Geburtsort nicht völlig in Vergessenheit geraten
ist.
Auch wurde vor wenigen Wochen am Geburtshaus Pontens
(Hauptstraße 89) eine Gedenkplakette angebracht. Am 22. Oktober
findet ein vom Museumsverein veranstalteter Josef-Ponten-
Gedenkabend in der Schule Driesch statt, bei dem der Aachener
Professor Gerhart Lohse das Festreferat halten wird. Außerdem soll
vom 13, bis 21. August eine Ausstellung mit Fotos, Schriftstücken
und Manuskripten des Dichters stattfinden.
Schlußbemerkung
Bei einer Betrachtung Josef Pontens muß man sicherlich auch er-
wähnen, daß der Dichter ”gewissen Versuchungen der nationalso-
zialistischen Zeit nicht widerstehen” (8) konnte. Mehrere Ponten-
Kenner vertreten aber die Ansicht, daß Ponten im Nachhinein weit
über Gebühr mit dieser Epoche identifiziert wurde.
Eine eingehende Diskussion dieser Behauptungen liegt jedoch
außerhalb unserer Kompetenz.
(7) Josef Ponten, Kleiner Lebensbericht
(8) Gerhart Lohse : cf. oben
96
Vor 30 Jahren
von Leo Homburg
Bis vor 30 Jahren waren die Wiesen und Weiden im Eupener
Land noch mit hohen Hecken umgeben. Mein Pachtgut auf der
Fossey hatte rund 800 m solcher Hecken, vor allem Weißdorn, und
im Pachtvertrag stand, der Pächter habe alle 6 Jahre, ehe der Saft
ins Holz kam, die Hecken auf 1,70 m Höhe zurückzuschneiden. In
den meisten Pachtverträgen jener Zeit war der Unterhalt der
Hecken vorgesehen.
Das Zurückschneiden geschah mit einem Beil mit langem Stil;
dabei wurde von unten nach oben glatt abgeschlagen. Es war nicht
üblich, die Hecken auf die vorgesehene Höhe abzusägen, und das an-
fallende Holz durfte nur zum Ausbessern der Hecke verwendet wer-
den. So stand es noch in meinem Pachtvertrag vom 19. September
1928. Das Schlagen der Hecken fand meist bei Neumond (”jungem
Licht”) statt, weil dann die Jungtriebe schlanker wachsen sollten.
Bevor mit dem Heckenschlagen begonnen werden konnte,
mußten die Drähte, die die Hecke von beiden Seiten zusammenhiel-
ten - je zwei - abgenommen und zur Seite gelegt werden. War die
Hecke auf die vorgesehene Höhe zurückgestutzt, wurden die dicken
Äste auf 1,70 m gekürzt und unten zugespitzt. Man nannte sie
”Streckrieser”; die dünneren Zweige wurden mit dem Handbeil ab-
geschlagen und zur weiteren Verwertung bereitgelegt. Man nannte
dieses dünne Reisig ”Tüngsel”.
Noch konnte jedoch nicht mit der Neueinzäunung begonnen
werden. Erst hieß es, die Hecke von altem und abgestorbenen Holz
säubern, den Kern der Hecke reinigen und da, wo es nötig war,
Jungdornpflanzen einsetzen. Diese und andere Jungtriebe wurden
duch das ”Tüngsel” geschützt, dann wurden alle 30 cm die ”Steck-
rieser” in ein mit dem Steckeisen vorbereitetes Loch gesteckt und
festgerammt.
Nun kam als letztes der Drahtschutz. Die abgenommenen
Drähte wurden wenn möglich wieder verwendet, sonst durch neue
ersetzt. Sie wurden beiderseits der Hecke vorbeigezogen und alle 80
cm mit einem dünnen fest angezogenen Draht verbunden. Für das
Binden waren 2 Personen erforderlich; doch die Mithilfe eines Kin-
des genügte schon; es war nämlich keine schwere Arbeit, den durch-
gereichten Draht an der anderen Heckenseite mit dem dicken Draht
zu verbinden und ihn wieder durch die Hecke zurückzuführen.
9%
In jeder Hecke befanden sich eine oder mehrere durch Pfähle
und Holzstangen gesicherte Lücken, sogenannte ”Sprecksel”, wo
sich das Vieh der angrenzenden Weiden gegenseitig beschnuppern
konnte. Fehlte solch ein ”Sprecksel”, so wühlten die Tiere mit ihren
Hörnern in der Hecke herum und zerstörten dieselbe.
War man mit der Neueinzäunung fertig, so wurden alle Reste
verbrannt oder fortgefahren. Um auf die beschriebene Weise 100 m
Hecke zu erneuern, waren 3 Wochen intensiver Arbeit nötig. Wenn
nun auch der Bauer trotz der vielen Arbeit ”kein Pfund Butter in
der Hecke” gefunden hatte, so erfreute er sich doch, nachdem er die
Zaunhandschuhe und die Lederschürze an den Nagel gehängt bzw.
bis zum nächsten Jahre im Schrank untergebracht hatte, an den grü-
nen Wänden der Hecken, an den dazwischen stehenden hohen Ei-
chenbäumen, dem Blühen des Weißdorns, den Kätzchen der Salwei-
de, den Blütendolden der Nußhecke, an Tausenden von Nüssen, die
er im Herbst unter der Hecke fand, an Heckenrosen, an Blütenstaub
und nicht zuletzt am Honig, den die Bienen in einer solchen Hecke
sammelten. Auch freute es ihn zu sehen, wie das Vieh bei Regen
98
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und Kälte hinter der hohen Hecke Schutz fand, die im Sommer bei
Hitze und grellem Sonnenschein Schatten spendete und in der zahl-
reiche Vögel ihre Nester bauten.
Wehmütig denkt man an diese Zeit zurück, wenn man sieht,
was von den schönen Hecken allenthalben übriggeblieben ist. Mit
Motorsägen werden sie abrasiert und selbst die Pächter, durch das
heutige Pachtgesetz geschützt, halten sich nicht mehr an ihre Pacht-
verträge, sondern ersetzen die-Hecken durch Zäune.Die wenigen
Hecken, die man heute noch in unserer Gegend sieht, sind auf 1 m
Höhe zurückgeschnitten, von vielen Lücken durchbrochen und die-
nen nur noch als Halter für zwei Stacheldrähte. So haben die Bau-
ern weniger Arbeit mit ihren Hecken und sparen auch noch
Draht ...
99
Schlehen
von Leonie Wichert-Schmetz
Blütensterne auf schwarzem Dorn,
Reich gesät.
Ach, ein Schleier, der verweht
In den Born,
Früh und spät.
Bildet hier im Wellenspiel
Mustertausch.
Weiß auf Grün, rasch und viel,
Formenrausch.
Fremde Muster, zart und fein,
Japandruck.
Kann es hier denn möglich sein :
Eastern look ?
100
In Memoriam Leonard Kohl
gen. Nades
von Peter Zimmer
Am Mittwoch, dem 30. März 1983, verstarb in der Klinik zu
Moresnet-Kapelle der am 20. April 1889 in Neutral-Moresnet gebo-
rene und weit über die Grenzen seines Heimatortes hinaus bekannte
Humorist und Komiker Leonard Kohl.
Unter seinem in der Kelmiser Mundart verkürzten Vornamen
”NADES” war er bei Alt und Jung gern gesehen und beliebt. So ein-
fach und bescheiden wie er gelebt hatte, wurde er im Beisein von
zahlreichen Freunden und Bekannten am Samstag, dem 2. April
1983, auf dem Kelmiser Friedhof beerdigt. Im Land der drei Gren-
zen war er ein viel gefragter und bewunderter, ein einmaliger Vor-
tragskünstler.
Während beinahe 8 Jahrzehnten "hat er an unzähligen Wochen-
enden seinen Mitmenschen im Göhltal und darüber hinaus von
Aachen bis Köln, von Vaals bis Maastricht, von Eupen bis Verviers
unermüdlich mit besinnlichen sowie urkomischen Prosa- und Ge-
sangvorträgen, mit Büttenreden und witzigen Erzählungen über
Geschehnisse aus Vergangenheit und Gegenwart, mitunter auch
durch seine Mitwirkung in Theaterstücken, fröhliche und erbauen-
de Stunden bereitet.
Während all dieser Jahre ist er aber nicht nur ein unübertreffli-
cher Komiker gewesen, der besonders in Mundart und Mimik eine
außergewöhnlich große Begabung besaß, sondern hat auch ver-
dienstvolle Pionierarbeit geleistet, um in seinem Heimarort das kul-
turelle Leben fördern und erhalten zu helfen. Bereitwillig stand er
zu diesem Zwecke jederzeit dem ehemaligen Theaterverein ”Fidele
Freunde”, der Karnevalsgesellschaft ”ULK” und dem Karnevalsko-
mitee zur Mitarbeit zur Verfügung.
Auch nachdem im Göhltal die ”Vereinigung für Kultur, Hei-
matkunde und Geschichte” gegründet worden war, unterstützte er
deren Tätigkeit durch seine sofortige Mitgliedschaft und erklärte
den Verantwortlichen : ”Jonge, wänn där mech nüdech hat, bruk-
der et märr te saje!” (Jungens, wenn ihr mich benötigt, braucht Ihr
es nur zu sagen!”) Wie oft er anderen Personen und Vereinen mit
denselben Worten seine Mithilfe angeboten hat, ist schwer festzu-
stellen; mit Sicherheit kann man aber sagen, daß dieser im Privatle-
101
ben äußerst stille und bescheidene Mensch immer, wenn man ihn
benötigte, ob bei Hochzeiten, Familienfesten oder anderen Feier-
lichkeiten, zur Stelle war. Manchmal sogar, wenn es sein mußte, an
mehreren Stellen am gleichen Tag oder Abend. Er betrachtete es als
eine Pflicht, jeder Einladung zu folgen und zum Gelingen volkstüm-
licher Veranstaltungen beizutragen.
:
zugunsten des Soldaten Hilfswerk der Gemeinde
Neu-Morganet am
Sonntag den &. März 1940
im Saale des Herju Otfo REINARTZ.
Veranstsliet anter dem Schatze der. verwaltung von den In der Gemeinde
N a
Männer-Gesahgrereins «St. Josef- und derliumoristen
Nades und Peter Zimmer
; S
Es wird auch
Kasseneröffnung 7,30 Uhr. mm Anfang 8 Uhr,
Einfrift 4 Franken je Person.
Zu dieser Veranstaltung Inden ergebenst ef
Der Arbfilsausschuss des Hilfswerks.
‚Die Voralande der In Neu-Mersamet Ia:rnden Vereine,
Die Gemeindeverweitung
m
Besonders aber freute es ihn, wein jemand bereit war, mit ihm
ein Zwiegespräch oder einen Duo-Vortrag, die aus der Zeit von
”Pitt en Nades” stammten, vorzutragen. Dies war besonders bei
Wohltätigkeitsveranstaltungen, Betagtenabenden oder
-nachmittagen, monatlichen Zusammenkünften der Pensionierten
oder sonstigen Festlichkeiten der Fall. Bei all diesen Gelegenheiten
102
war er es, der hauptsächlich dafür sorgte, daß die Lachmuskeln der
Anwesenden, besonders der Kranken und behinderten Mitmen-
schen, derart in Bewegung gerieten, daß anhaltende Lachstürme die
Sorgen und Nöten des Alltags hinwegfegten.
Meisterhaft hat dieser sonst ruhige und unauffällige Mensch es
verstanden, als Humorist vornehm aufzutreten und mit beein-
druckenden Worten Mahnungen und gute Ratschläge zu erteilen,
sich aber auch so zu verwandeln, daß er im Nu, ”ohne Wort, mit
wechselhaften, ulkigen Blicken und Gebärden” beim Publikum un-
aufhaltsames Lachen hervorrufen konnte.
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Leonard Kohl war ein begnadeter Vortragskünstler
(Foto A. Jansen)
298
All sein diesbezügliches Können ist bereits zu seinen Lebzeiten
in den Göhltalzeitschriften Nr. 4 und 25 beschrieben und gewürdigt
worden; doch soll heute, nach seinem Ableben, noch erwähnt wer-
den, daß der Altmeister Nades trotz seiner Erfolge als Vortrags-
künstler stets ein pflichtbewußter treuer Arbeiter und Berufskollege
war, der unermüdlich als guter Familienvater für das Wohlergehen
der Seinigen sorgte, seine Heimat und vor allem sein trautes Heim
so sehr liebte, daß er nur den einen Wunsch hegte, dort bis zu sei-
nem letzten Atemzuge schaffen und verbleiben zu können. Ferner,
daß er von Jugend auf ein gläubiger Christ gewesen ist, allzeit als
solcher gelebt hat und selbst im hohen Alter vor keinen Anstren-
gungen zurückscheute, um den Gottesdiensten in der Kelmiser
Pfarrkirche beizuwohnen. Als gläubiger Mensch hat er auch alle
Schicksalsschläge beispielhaft, geduldig und gottergeben getragen
sowie trotz derselben nie seinen ”goldigen Humor” verloren.
Darum wird auch der Herr über Leben und Tod ihm das hohe
Alter beschert haben, damit er den Mitmenschen viele, viele Jahre
als Vorbild dienen konnte, wofür er jetzt nach seinem irdischen Le-
ben den wohlverdienten Lohn empfangen wird.
Seine Freunde und Mitarbeiter aber, mit denen er jahrzehnte-
lang zusammen gearbeitet hat, um das kulturelle Leben sowie die
guten alten Sitten und Bräuche in unserer Heimat zu erhalten, wer-
den sicherlich versuchen, getreu nach seinem Beispiel weiterhin die-
se edle und noble Tätigkeit fortzusetzen. Von dieser Hoffnung be-
seelt wird auch die Göhltalvereinigung des ”UNVERGESSLI-
CHEN NADES” stets dankbar und ehrend Gedenken.
104
Gemmenich, mein Heimatdorf im
Göhltal
von Freddy Nijns
Obwohl ich in meinem Leben mancherorts gewohnt habe, ist
Gemmenich doch mein eigentliches Heimatdorf geblieben. Unser
Haus stand an der Verbindungsstraße nach Moresnet, am Fuße des
massiven Klosters ”Maria Hilf” der Ehrw. Schwestern vom Armen
Kinde Jesu und am Rande des gepflegten großen Parks, der das Klo-
ster umgab ... S
Ich kehrte jedes Jahr nach Gemmenich zurück, wenigstens so-
lange, wie das Grab meines kleinen Bruders auf dem Kinderfriedhof
erhalten war. Eine tückische Diphterie hatte den Kleinen im Alter
von 3 Jahren dahingerafft und mehr als 40 Jahre hatte er auf dem
Friedhof hinter der Kirche geruht.
Auch heute noch mache ich von Zeit zu Zeit auf dem Wege
nach Vaals in Gemmenich Halt und spüre, daß Bilder meiner Kind- ‘
heit und Jugend in Gemmenich verankert sind, Bilder, die im
Rhythmus des modernen Lebens unterzugehen drohen. Es bleiben
noch einige Anhaltspunkte: Laute, Töne, Gerüche, Gassen,
Straßenecken, Hügel, Namen, Kreuze, Denkmäler, die heute, nach
50 Jahren, die Brücke zu damals schlagen ...
Gemmenich ist diese reizende Gemeinde, die zwar anderen
gleicht, aber doch etwas Besonderes an sich hat. Im äußersten Osten
des Landes gelegen, im Osten an Deutschland und im Norden an
Holland angrenzend, bildet Gemmenich einen Ausläufer des sog.
Herver Plateaus. Grüne Wiesen und blühende Obstgärten bestim-
men das Bild des langgestreckten Straßendorfes. Ringsum bewalde-
ter Horizont. Weidelandschaft, Herden von schwarzbuntem Milch-
vieh, viel Geflügel überall. Auf weniger fruchtbaren Parzellen deh-
nen sich Heide und Brombeere aus.
Die Enge des Tales führte zu dichter Bebauung. Mittelpunkt
ist die romanisch-gotische Kreuzkirche St-Hubertus, aus Ziegelstei-
nen gebaut, mit dem Chronogramm der Errichtung 1774 und Tür-
und Fenstergewänden aus heimischem Blaustein.
Gegenüber wurden früher einige Wohnhäuser auf dem
trockengelegten ehem. Weiher gebaut. Gut befahrbare Wege erset-
zen die früheren steinigen Pfade und einige Stege führen noch steil
105
hinauf zu isolierten Weilern von verstreut im Gelände liegenden Ar-
beiterwohnungen und Bauernhöfen. Diese alten Bauten bestehen
aus grauen Kalksteinen der Gegend, Ziegelsteinen, Holz und Lehm.
Dachpfannen und Schieferplättchen haben das Stroh der Dächer
verdrängt.
Die für ein Dorf recht kosmopolitische Bevölkerung zählt ca.
3000 Seelen. Nur die Landwirte finden im Ort selber ihr Auskom-
men, die Arbeiter und Angestellten hingegen müssen ihren Broter-
werb auswärts suchen.
Die meisten Leute sprechen Plattdeutsch, einen gemischten
Dialekt mit niederländischen, deutschen und französischen Voka-
beln und Ausdrücken. Einige Familien haben das Französische bei-
behalten. Die ”offizielle” Sprache ist Französisch. Es sei daran erin-
nert, daß Gemmenich und 9 andere belgische Dörfer ab Juni 1940
ohne Vertrag noch Konvention durch das III. Reich annektiert wa-
ren, um als Hinterland von Aachen zu dienen. Unter den ”tragi-
schen” Daten gibt es noch den 4. August 1914. Gemmenich war da-
mals das erste belgische Dorf, das durch die deutschen Soldaten be-
setzt wurde, wobei das 1. belg. Zivilopfer des 1. Weltkrieges den
Tod fand und eine Reihe von Häusern am Gemeindeplatz Opfer der
Flammen wurden. Sie waren in Brand gesteckt worden als Repressa-
lie für den Zwischenfall, der sich in der Morgendämmerung am
Dreiländerpunkt abgespielt hatte : zwei belgische Gendarmen hat-
ten preußischen Husaren verboten, die Grenze zu überschreiten.
Die Gendarmerie zog sich damals nach Vise zurück und unterrich-
tete das Ministerium der Verteidigung über das Geschehene; kurz
danach begann die Invasion. Die Bevölkerung ist immer sehr patrio-
tisch gewesen und geblieben; sie mag keine Einmischung von Frem-
den noch Drohung, gleich von welcher Seite sie auch kommen mag!
Gemmenich a toujours €te un petit bourg peu connu des Belges
et du monde. Il vivait dans un univers presque ferme. J’en ai garde
maints souvenirs: par exemple; ces attroupements de femmes
autour de la pompe ä eau, avant que ne soit installee l’eau courante.
La gent feminine se retrouvait aussi dans les petits magasins ou bou-
tiques, especes de ”drugstores”, olı on trouvait un peu de tout . En
ce temps-lä tout n’etait pas tarifie ou pretexte a pourboire; la servia-
bilite& entre voisins operait parfois des miracles pour trouver une
solution a quelque probleme que ce soit. La solidarite avait encore
un sens r6el! Il y avait de nombreux cafes ä Gemmenich. C’est 1ä
que les hommes se reunissaient pour boire leur chope de biere ou
106
leur verre de ”Schnaps” ou de ”pecket”. La frequentation etait deter-
minee par l’appartenance ä l’une ou l’autre societe patronnee par les
”Noirs” ou les ”Rouges” (harmonies). On y jouait aux cartes, fumait
la pipe ou des cigarettes ”roulees”, racontait des histoires de fraude,
braconnage ou tenderie, ou des blagues, tournant en derision l’un ou
V’autre poltron du village.
Les soirs d’ete les gens se reunissaient sur le pas de la porte, cha-
cun apportant sa chaise; on y bavardait jusqu’ä la tombee de la nuit
de tout et de rien. La vie dependait de la lumiere du jour: on se
levait tous ensemble tres töt et se couchait avec le soleil.
Le dimanche matin la plupart des gens allaient a la messe, un -
gros missel sous le bras ou dans la main : les femmes presque toutes
habillees de ”sombre” ou en deuil, les hommes en veston et cravate,
les petits garcons en costume ”marin” et bas longs, les filles en lon-
gues robes et avec ”tresses”. Apres l’office les hommes s’attardaient
d’abord autour de l’eglise puis dans les cafes en commentant les meil-
leurs ”resultats” de leurs pigeons!
La population de Gemmenich &tait separee en 2 groupes, qui
vivaient chacun leur vie : les femmes d’un cöte et les hommes de
V’autre. Le groupe feminin ne se melait que tres peu aux travaux des
hommes et ä leurs jeux; jamais les femmes n’entraient dans un cafe,
par exemple. Et les hommes ne penetraient que rarement dans les
boutiques ou dans l’eglise (sauf pour les enterrements, et encore ...
car beaucoup attendaient sur le parvis qu’on sorte le cercueil pour
V’emporter au cimetiere.)
Les garcons et les filles cependant se frequentaient bien : il y
avait la rue, l’&cole, le cate&chisme; ils jouaient au soldat, au mariage,
ä la poupee, au maitre d’&cole. Les plus grand(e)s se promenaient le
dimanche souvent en groupes, les un(e)s taquinant les autres de leurs
plaisanteries.
La vie suivait le rythme des saisons. Le calendrier gardait son
importance : kermesse, f@tes religieuses et votives s’accompagnaient
de rites d’antan. Le dimanche apres le 15 aoüt c’etait la f&te locale
avec maneges de chevaux de bois, baraques de tir, friteries, bals, etc.
La procession sortait aussi a cette occasion, par les vieux chemins,
traversant hameaux et prairies, avec la participation de toute la
population croyante et m&me mecreante. Pour la St. Nicolas l’ingenio-
site des parents faisait vivre les petits dans un climat merveilleux fait
d’impatience, de curiosite, de ”peur” et de joie. A No&l on mangeait
de grandes tartes au riz, aux fruits et au sucre, fabrication maison.
107
Dans chaque ”bonne chambre” se dressait la cr&che bricolee artisa-
nalement, au pied d’un sapin charge de ”boules” et de ”Wunderker-
zen”, Et les jouets s’amoncelaient tout autour, emballes dans du
papier colore. A la f&te de l’Epiphanie les ”rois mäges” faisaient le
tour du village en chantant et en mendiant. A 1a Chandeleur on
mangeait des beignets ”Boules de Berlin”. Et le Carnaval ramenait
chaque annee sa mascarade et ses bals ... Au jour des Rameaux les
arbustes de ”buis” etaient ”devalises” et a Päques on colorait les
ceufs que rapportaient, disait-on, mysterieusement dans les jardins
les cloches revenues de Rome ... Au mois de mai se suivaient les
rogations, les communions solennelles, les pelerinages a ”Marie”.
Mais au fond, qu’est-ce qui a change ä Gemmenich? ... Est-ce
que j’ai &voque avec ces souvenirs d’il y a un demi-siecle un passe tel-
lement lointain? ... Ce n’est pas le paysage, a part quelques villas et
les villages de vacances ”prefabriques” dans la verdure; ce n’est pas
le village m&me aux anciennes bätisses conservees intactes; certes, il
n’y a plus de gare, ni de gendarmerie, ni de poste de douanes! Les
rues et les places ont €te macadamisees et bien €clairees. On y sort
moins en fin de soiree : la famille se retrouve pour le programme du
soir devant le petit &cran de la TV.
Mais ce qui a surtout change, je pense, c’est la mentalite des
gens et le rythme de leur vie. Le passage des touristes, l’ete, l’installa-
tion de riches etrangers, la societe de consommation, le progres des
techniques nouvelles ont tout modifie. On est confronte a des modes
d’existence diff&rents. Qu’on adopte ou rejette les moeurs des autres,
des perspectives sur le monde se sont ouvertes. Gräce a l’usage de
V’auto, le village se deploie vers l’exterieur. La petite epicerie du coin
en souffre; la concurrence des supermarches est un fait reel. Avec le
goüt des denrees, celui de la vie a change : le four du boulanger fonc-
tionne au mazout et les menageres ont besoin d’appareils Electriques
qui, dit-on, ”liberent” la femme; mais pour cela elles vont travailler
dans les villas neuves des quartiers de residence, tandis que les maris,
apres journee, entretiennent jardins et pelouses ou jouent au bou-
chon ou aux boules ...
Tout cela, et bien d’autres choses font que le Gemmenich de
mon enfance existe encore, mais plutöt sous la forme d’un decor!
Est-ce un mal? ...
... Wenn ich mich diesen nostalgischen Gedanken so hingebe,
dann sage ich mir, daß es nicht das Gemmenich von damals ist, das
ich bedauere mit seinem weder besseren noch schlechteren Leben
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als heute, sondern die Tage, die Jahre, die dahin sind, meine Jugend-
zeit! Damals gab es kaum Autos, kaum Villen, kaum Touristen ...
damals konnte ich noch herumstrolchen in kurzen Hosen durch
hohle Gassen und weite Wiesen, Beeren und Pilze suchend, Blumen
pflückend, ja sogar dürres Holz sammelnd für den nächsten Winter!
Diese Klischees gehören der Vergangenheit an : ein buntes Bil-
derbuch mit fahlen Farben bemalt!
Und das Leben geht weiter! Wenn man Gewohnheiten, Tradition,
Strukturen ein für allemal festlegte, hieße das Entwicklungsstill-
stand, mithin Tod!
Gemmenich hat sich dem modernen Trend des Lebens angepaßt;
Gemmenich hat sich gewandelt seit 50 Jahren;
Gemmenich hat das Leben gewählt! ...
Desto besser ... für alle!
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.
Die Kulturschande
von Alfred Bertha
Der Grenzbahnhof Herbesthal, die letzte Station vor der Ein-
fahrt in Belgien, sollte ein Prestigeobjekt werden. Die 1843 in Be-
trieb genommene Eisenbahnstrecke Köln-Aachen-Herbesthal-
Antwerpen hatte dem kleinen Weiler Herbesthal, der 1850 erst 272
Einwohner zählte, zwar kein schnelles, aber doch ein stetiges Anwachsen
der Bevölkerungszahl in Bahnhofsnähe gebracht, so daß man
1878 auf eine Bevölkerung von 369 Seelen kam. Eine rasante Auf-
wärtsentwicklung gab es dann in den letzten Jahrzehnten des vori-
gen Jahrhunderts, Als man sich 1901 mit dem Gedanken trug, Her-
besthal zur selbständigen Pfarre zu erheben, ergab die durchgeführ-
te Zählung allein 832 Katholiken. Die Volkszählung von 1910 wies
eine Einwohnerzahl von 990 Katholiken und über 100 Angehöri-
gen anderer Konfessionen nach. Die weite Entfernung von der
Pfarrkirche Lontzen und die steigenden Bevölkerungszahlen führ-
ten 1902 zum Bau einer Kapelle; im folgenden Jahre wurde Her-
besthal zur selbständigen Kapellengemeinde erhoben und 1912 er-
hielt der Ort den Status einer selbständigen Pfarre.
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Der Bahnhof Herbesthal
Aufnahme vor 1920. Das große Vordach verdeckt den Bau zum größten Teil.
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Die Entwicklung Herbesthals ist nicht von der Eisenbahn und
dem Grenzbahnhof zu trennen. Der erste Bahnhof, von dem unse-
res Wissens keine Abbildung besteht, wurde 1889 auf den Abbruch
verkauft. Inzwischen stand jedoch ein imposanter Neubau, der am
1. April 1889 begonnen und am 1. Oktober desselben Jahres seiner
Bestimmung übergeben wurde. An reinen Baukosten ergaben sich
290.000 Mark, während der gesamte Umbau der Bahnhofsanlagen,
die Verlegung der Gleise, die Herrichtung von Zoll- und Güter-
schuppen u.s.w. etwa 1,25 Millionen Mark verschlangen. Das im
klassizistischen Stil nach Plänen von Regierungsbaumeister Stöckich
aus Köln ausgeführte Bauwerk enthielt neben Dienst- und Wirt-
schaftsräumen eine Zollhalle von 30 m Länge und 17 m Breite, jeei- *
nen Wartesaal erster und dritter Klasse, einen Nichtrauchersaal und
ein Fürstenzimmer. Sämtliche Räume waren reich verziert, beson-
ders die Wartesäle durch Ausmalung und Stuckarbeiten. In den
Fenstern und Türen der Wartesäle und des sog. Fürstenzimmers
trugen kreisförmige Scheiben in farbenprächtiger Bleiverglasung die
Wappen deutscher Staaten und verschiedener rheinischer Städte,
Die hier gegebene Raumnutzung ist in der Folgezeit verschiedent-
lich geändert worden. So gibt es eine Ansichtskarte aus den zwanzi-
ger Jahren, die das Innere des Bahnhofsrestaurants mit Speisesaal
und Buffet zeigt. Als ”salle 4 manger” fungierte damals der Warte-
saal 1. Klasse mit der Spiegelgewölbedecke; und als ”salle de restau-
rant” der als Buffet bekannte Säulensaal. Es gibt leider keine Plan-
zeichnungen mehr mit der ursprünglichen Bestimmung der Räume.
So ist das genannte Nichtraucherzimmer wohl mit dem zuletzt als
Gepäckraum verwendeten Raum identisch.
Wenn man von dem vorgelagerten Verwaltungsteil mit zweige-
schossigem Wohntrakt absieht, bestand der eigentliche Bahnhof aus
einem symetrisch angeordneten Baukomplex, dessen erhöhter Mittelbau
von zwei nur stockwerkhohen Seitenflügeln flankiert wurde. Die
aus hellen Klinkern bestehende Fassade wurde durch Zieglfriese ho-
rizontal gegliedert und durch 14 Tür- und Fensteröffnungen zum
Bahnsteig hin aufgelockert. Tür- und Fenstergewände waren aus
braunem Sandstein. Der Schlußstein der rundbogigen Öffnungen
bestand aus Köpfen, deren Vorlage in der griechischen Götter-und
Sagenwelt zu suchen ist, so das Schlangenhaupt der Medusa oder
der Meergott Neptun. Alle diese Köpfe waren kunstvoll herausgear-
beitet und sehr aussagestark.
Im Innern des Bahnhofs waren klassizistische und romantische
Elemente miteinander verbunden. Der Wartesaal 1. Klasse war mit
Bahnsteig, Buffet und Flur (an der Hinterfront) verbunden. Er
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besaß eine außergewöhnliche Holzdecke (eine sog. Spiegelwölbe-
decke) aus dunkel gebeiztem Holz in Kassettenform. Durch Schnit-
zereien und kunstvolle Intarsien machte diese Decke einen prunk-
vollen Eindruck, den ein großes bleiverglastes Mittelfenster, das von
der Decke durch ein Balustertriforium abgehoben wurde, noch er- ?
heblich steigerte.
Das Buffet fiel ebenfalls durch seine Decke auf. Sie bestand aus
bemalten Stuckkassetten, die von Stucksäulen gestützt wurden, wo-
bei zu bemerken ist, daß diese Säulen rein dekorativen Charakter
besaßen und keine tragende Funktion ausübten. Die Kapitelle die-
ser Säulen waren reich dekoriert (Kompositkapitelle).
Der Wartesaal 2. Klasse war weniger prunkvoll ausgebaut. Die
monumentale Holzkonstruktion der Decke war jedoch beein-
druckend.
Das Fürstenzimmer, auch Kaiser-Wilhelm-Saal genannt, hatte
eine bemalte Kassettendecke aus Stuck. Zwei Marmorsäulen waren
durch einen Kassettenbogen verbunden. Dieser Raum war Re-
präsentationsraum und entsprechend kunstvoll ausgemalt.
Auch nach dem Anschluß an Belgien i.J. 1920 behielt Herbest-
hal seine Rolle als Grenzbahnhof, bis dann nach dem Zweiten Welt-
krieg ein allmählicher Abbau in Herbesthal mit gleichzeitiger Verle-
gung der Schwerpunkte auf Welkenraedt und Montzen begann.
Schließlich entschied man sich Anfang der sechziger Jahre, Herbest-
hal ganz fallenzulassen.
Offizieller Grund : Herbesthal bot keine Wendemöglichkeiten
bzw. nicht genügend Raum für den ständig wachsenden Busver-
kehr. Doch hinter vorgehaltener Hand wurden die wahren Gründe
genannt : Wenn Herbesthal weiterhin Grenzbahnhof mit Zollabfer-
tigung etc. blieb, dann mußte die Eisenbahnverwaltung dort zwei-
sprachiges Personal beschäftigen, während im offiziell einsprachi-
gen Welkenraedt das Problem der Deutschkenntnisse der Beamten
sich nicht stellte. Welche (unrühmliche) Rolle dabei gewisse Perso-
nen gespielt haben, möchte man aus Rücksicht auf persönliche
Empfindlichkeiten (noch) nicht aufzeigen. Das Intrigenspiel wird so
schnell nicht vergessen sein. Auf der Strecke blieben die deutsch-
sprachigen Kunden der Nationalen Eisenbahngesellschaft und der
Bahnhof Herbesthal.
Nach dem Bau des ”Barackenlagers” Welkenraedt (1964) ließ
man den Bahnhof Herbesthal, der noch gar nicht lange zuvor reno-
viert worden war, langsam verkommen. Zwar hat es Überlegungen
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seitens. der Gemeinde Lontzen-Herbesthal gegeben, den Bau zu
übernehmen und für kulturelle oder auch administrative Zwecke zu
nutzen, doch war die Haltung der Gemeindeväter von Zögern und
Zurückhaltung geprägt, auch nicht immer eindeutig genug für den
Erhalt des Bahnhofs.
Obwohl auch von höchster Stelle dem Herbesthaler Bahnhof
ein unbestreitbarer Kunstwert bescheinigt wurde und sowohl Archi-
tekten wie Kunsthistoriker darauf drängten, diesen Bau unter Denk-
malschutz zu stellen, geschah nichts. Obwohl das kunsthistorische
Gutachten, das der wallonischen Regionalverwaltung vorgelegt
wurde, mit dem Satz schloß : ”Hier befinden wir uns vor einem
wirklichen Kunstwerk, das man unbedingt zu erhalten versuchen '
muß”, stehen wir heute vor der Tatsache, daß die Räummaschinen
einer Abbruchfirma den Bahnhof dem Erdboden gleich gemacht ha-
ben.
Wer hat versagt? Diese Frage wird man sich wohl noch oft
stellen, und jede der angesprochenen Stellen wird die Schuld weiter-
zuschieben versuchen. Auf die Gemeinde, auf die Eisenbahnverwal- |
tung, die wallonische Region, den Staat, das Landesamt für Denk-
malpflege ... Se
Im Laufe der Jahre war manches Kunstliebhabern und Vanda-
len zum Opfer gefallen : Die Vertäfelungen der Warteräume waren
entfernt, der Parkettfußboden herausgerissen, Stuckmedaillons her-
ausgelöst, Türen und Fenster eingeschlagen worden. Kurzum : es
sah aus wie nach einer Plünderung. Nur Dach und Mauerwerk wa-
ren intakt geblieben.
Am 15. Mai 1983 war ein ständiges Kommen und Gehen auf
dem Bahnhofsgelände zu beobachten. Viele der Besucher waren mit
Fotoapparat oder Filmkamera ”bewaffnet”. Jetzt, wo der alte Bahn-
hof, der in 6 Jahren seinen 100. ”Geburtstag” hätte feiern können,
endgültig zum Verschwinden verurteilt war, wollten viele ihn noch
ein letztes Mal im Bild festhalten. Am 16. Mai begann die Fa Rut-
ten u. Sohn aus Dilsen (Limburg) mit dem Abbruch,
Auch wir wollen in einer kleinen Bildnachlese die Erinnerung
an Herbesthal und an die unrühmliche Kulturschande festhalten,
doch nicht ohne eine kleine Notiz aus der im vorigen Jahrhundert in
Dolhain erschienen Zeitung ”Das Freie Wort” wiederzugeben, wel-
ches am 10.5.1890 schrieb :
”Bei Gelegenheit der Besprechung des Büdgets der öffentlichen Ar-
beiten in der Kammer kam es auch zur Sprache über die mangelhaf-
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ten Verhältnisse der Bahnhöfe auf der Strecke Welkenraedt - Ver-
viers hervor, Thatsächlich bestehen in dieser Beziehung Einrichtun-
gen, die dem Sparsystem des Eisenbahnministeriums nicht ganz zur
Ehre gereichen und in Anbetracht des gerade herrschenden
großartigen Verkehrs dringende Abhilfe erheischen. Kein Bahnhof
von der Bedeutung des hiesigen dürfte wohl so beschränkte, unzu-
längliche Gebäulichkeiten aufzuweisen haben wie dieser ... Nament-
lich jetzt, wo der Welkenraedt gegenüberliegende deutsche Grenz-
bahnhof Herbesthal eine prachtvolle bauliche Umgestaltung erfah-
ren, macht die dürftige Ausstattung der oben angegebenen Bahn-
hofsanlagen auf den von Deutschland kommenden Reisenden einen
schlechten Eindruck ...” Wie gesagt, diese Zeilen stammen aus dem
Jahre 1890. Ein Kommentar erübrigt sich.
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Die Fassade des Hauptgebäudes
(Foto A. Bertha)
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Das (abgeschlagene) Schlangenhaupt der Medusa
(Fotos A. Bertha)