Im Söhltal
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Landschaft im Grenzraum Nordostbelgiens
29
3
Im Göhltal
ZEITSCHRIFT der
VEREINIGUNG
für
Kultur, Heimatkunde und Geschichte
im Göhltal
N° 29
1981
Vorsitzender : Peter Zimmer, Sandweg 8 - 3, Kelmis
Sekretariat : Kirchplatz, 6 - 4720 Kelmis - Tel. 087/65.99.62
Lektor : Alfred Bertha, Hergenrath, Bahnhofstraße, 33
Kassierer : Fritz Steinbeck, Kirchstraße, 35, Kelmis
Postscheckkonto N° 000-0191053-60
Die Beiträge verpflichten nur die Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten.
Entwurf des Titelblattes : Frau Pauquet-Dorr, Kelmis
Diese Skizze zeigt den Moresneter Göhltalviadukt sowie die Hergenrather
Hammerbrücke in ihrer ursprünglichen Form.
Druck. Jacques Aldenhoff, Gemmenich.
Inhaltsverzeichnis
Dr. Alfred Minke, Eupen Die Neuordnung der kirchlichen
Verhältnisse im Göhltal nach dem
Konkordat von 1801 4
Franz-Xaver Schultheis, Die Grenzbezeichnung des
Aachen neutralen Gebietes von Moresnet
und ihre geschichtliche Ent-
wicklung (Forts.) vl
Walter Meven, Hergenrath Die ”Herrlichkeit” Eynatten 39
Dr. Leonie Wichert-Schmetz, Erkennen 45
Bad-Driburg
Alfred Bertha, Hergenrath Die Notlage der Bank Walhorn
sowie‘ der Orte Lontzen und
Gemmenich gegen Ende des 17.
Jh. 46
Maria-Theresia Weinert, Baum vor einem grünen Haus 65
Aachen-Forst
Dr. Klaus Pabst, Kerpen Von Fußgendarmen und leichten
Mädchen 66
Gerard Tatas (+), Et Beispiel 1
Gemmenich
Leo Homburg, Fossey In Walhorn stand die Zeit still... 7
Alfred Bertha, Hergenrath Hergenrather Schulchronik
(2. Fortsetzung) 76
Peter Emonts-pohl, Raeren De Botz 88
Alfred Bertha, Hergenrath Aus dem Hauseter Gemeinderats-
protokollbuch 90
Walter Meven, Hergenrath Aus dem Arzneischatz der Volks-
medizin 94
Alfred Bertha, Hergenrath Auf dem Büchermarkt 98
4
Die Neuordnung der kirchlichen
Verhältnisse im Göhltal nach dem
Konkordat von 1801
von Dr. Alfred Minke
Der folgende Beitrag behandelt sowohl die Pfarren des
Göhltals, als auch deren Nachbarpfarreien, insofern diese mit
jenen zu gemeinsamen Verwaltungs- oder Kirchenbezirken gehört
haben. Dabei beschränke ich mich auf die heute belgischen .
Gebiete und besonders auf die zum Kanton Eupen gehörenden
Gemeinden, lasse also die in den Niederlanden liegenden Pfarren,
bzw. Gemeinden außer acht.
I. Die Lage zu Ende des 18. Jahrhunderts
Wer die Pfarrstrukturen im Göhltal gegen Ende des ”Ancien
Regime” näher betrachtet, wird in erster Linie die Vielfalt
derselben bemerken. Zwar gehören die Pfarreien alle zur Diözese
Lüttich; innerhalb dieser jedoch hängen sie von verschiedenen
Instanzen ab. So unterstehen die Pfarren von Hergenrath,
Lontzen, Eynatten, Walhorn, Kettenis und Raeren dem Erz-
diakon (1) des Condroz und dem Dechanten des Dekanats Saint-
Remacle-au-Pont in Lüttich; die Pfarren von Moresnet, Montzen,
Gemmenich, Homburg, Sippenaeken und Teuven hingegen
gehören zum Erzdiakonat Hespengau und zum Dekanat
Maastricht (2).
Im Jahre 1789 sollen in Limburg und Herve neue Dekanate
für den österreichischen Ostteil der Diözese Lüttich errichtet
worden sein; letzte Klarheit gibt es in dieser Angelegenheit
nicht (3). Laut des ”’Calendrier de Herve’”’ für das Jahr 1794 sollen
die zum Dekanat Saint-Remacle-au-Pont gehörenden Pfarren bei
dieser Gelegenheit dem Dekanat Limburg einverleibt worden
(1) Der Erzdiakon gehört dem Kathedralskapitel an. Ihm obliegen u.a. die
jährliche Visitation der Pfarren, sowie der Erlaß kirchlicher Disziplinarvorschrif-
ten. S. DARIS, J., Histoire du diocese et de la principaute de Liege (1724-1852),
Bd I, Liege, 1868, S. 2.
(2). Ibid., S. 14-15 und 9-11.
(3) Generalstaatsarchiv Brüssel, Privatrat, Nr. 788-789,
&
sein, während die Pfarren des Dekanats Maastricht dem Dekanat
Herve zugesprochen wurden (4).
Auch was die Ernennung der Pfarrer angeht, kann - wie
nachstehende Tafel zeigt - von einem einheitlichen Modus keine
Rede sein :
Pfarre Verantwortlich für die Ernennung (5)
Eynatten Abwechselnd die Besitzer des ”Großen’”” und
des ”Kleinen Hauses”
Hergenrath Die Einwohner
Kettenis Der Pfarrer von Walhorn
Lontzen Der Propst des Aachener Marienstifts oder
die Universität Löwen
Raeren Die Einwohner
Walhorn Der Propst des Aachener Marienstifts
oder die Universität Löwen
Gemmenich Der Scholarch des Aachener Marienstifts
Homburg Der Marquis de Traiznes
Montzen Das Aachener Stiftskapitel
Moresnet Der Dekan des Aachener Marienstifts
Sippenaeken Der Herr des Ortes
Teuven Der Herr des Ortes
In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß der
Bischof nur in 27 von fast 1000 Pfarren der Diözese Lüttich den
Pfarrer ernennt.
Der Pfarrklerus wird im allgemeinen nicht von staatlichen
oder kirchlichen Instanzen besoldet. Haupteinnahmequellen sind
der sogenannte Zehnte - die Abgabe des zehnten Teils der Ernte
in Naturalien oder in Geldform -, die Stiftungen und die
Stolgebühren, d.h. Gebühren für die Verrichtung pfarramtlicher
Handlungen.
Ende des 18. Jh. sind in den oben erwähnten 12 Pfarren
insgesamt 38 Weltpriester tätig. Dies ist, angesichts der geringen
(4) Le Grand Calendrier de Herve pour l’annee 1794, Herve, chez F.J. Vieillevoye,
MDCCXCIV, S. 106 u. 125
(5) DARIS, J., op. cit., Bd. I. S. 14-15 und 9-11.
6
Einwohnerzahl, viel. Nachstehende Tafel gibt Namen, Vornamen
und Ämter der einzelnen Priester nach Pfarren geordnet wieder :
Pfarre Name u. Vornamen “ Amt
Eynatten Mols, Peter Marcellus . Pfarrer
Schmitz, Johann Kaplan
Vecqueray, Johann Franz Residierender Priester
Hergenraiıh (6) Schillings, Johann Josef Pfarrer
Kettenis Steinfelt, Wilhelm Josef Pfarrer
Labarbe, Martin Kaplan
Haemel, Kornelius Residierender Priester
Lontizen Ernst, Hubert Johann Pfarrverwalter (7) Ü
«Yserentanı, Peter Josef Kaplan 7
Raeren Vinken, Johann Anton Pfarrer
Reuter, Johann Georg Ö Kaplan
Schmeiz, Arnold Benefiziat
S Adeneuer, Heinrich Josef Residierender Priester
Walhorn Van der Heyden, Wilhelm Pfarrer
-Yserentanı, Johann Andreas; Kaplan
Deliege, Anton Josef Schloßgeistlicher
Becker, Heinrich Benefiziat ;
Gemmenich Cormann, Johann Heinrich Pfarrer
Franck, Stephan Josef Kaplan
5 Franck, Lambert Residierender Priester
Homburg Mambour, Noel Josef Pfarrer
Molitor, Dominikus Vizepastor
‚ Winimeulen, Nikolaus Anton Kaplan
! Bertrand, Thomas Residierender Priester
Heuschen, Johann Nikolaus Residierender Priester
Wintmeulen, Wilhelm Josef Residierender Priester
Monizen Heyendal, Johann Hadrian Pfarrer
Steinfelt, M. Residierender Priester
Moresnet Schoumackers, N. Pfarrer
Schlotmeker, Johann P. Kaplan
Schmidt, C.F. Residierender Priester
Sippenaekeri Mertens, Johann Mathias Pfarrer
Schyns, Johann Kaspar Kaplan
Teuven Van Colen, Gerhard Pfarrer
Dautzenberg, Simon Pfarrverwalter (8)
Huthmakers, Servatius Kaplan
Burgers, Lambert Schloßgeistlicher
Gerkens, Johann Peter Kaplan
(6) In einigen Berichten wird Heinrich Vecqueray für die Zeit um 1800 als Kaplan
in Hergenrath angegeben; aber seit wann war er dort tätig?
(7) Anstelle des dem Wahnsinn verfallenen Pfarrers Voss.
(8) Pfarrer Van Colen kann krankheitshalber sein Amt nicht mehr ausüben.
7
Bei der Aufstellung dieser Tafel habe ich mich auf heimat-
geschichtliche Veröffentlichungen, zeitgenössische Dokumente
und Druckwerke gestützt (9). Diese Quellen stimmen nicht immer
überein, sodaß Irrtümer nicht ausgeschlossen werden können.
Ihre Anzahl dürfte jedoch gering sein.
Wenn wir uns an die später, während der Franzosenzeit,
durch die Bürgermeister abgegebenen Beurteilungen dieser Pries-
ter halten, so scheint ihre seelsorgliche und moralische Qualifika-
tion im Großen und Ganzen zufriedenstellend gewesen zu sein.
Hier einige Beispiele :
— J.H. Heyendal : ”...siebzigjähriger Greis, tadellos in
seinem moralischen und sonstigen Verhalten ...”;
— J.P. Schlotmeker : ”... allgemein geachtet, sehr ruhig,
verfügt allerdings nur über die notwendigen Fähigkei-
ten 40
— J.K. Schyns :”... in seiner Pfarre allgemein geachtet, sein
moralisches Verhalten ist über jeden Zweifel erhaben ...
aufgrund seiner Fähigkeiten könnte man ihn an die zweite
Stelle (der Geistlichen) des Kantons stellen ...”
— J.G. Reuter : ”’... verfügt über ziemliche Kenntnisse, er ist
in seiner Pfarre allgemein beliebt ...”
— W.J. Steinfelt : ”’... tadelloses Verhalten und er verfügt
über die nötigen Fähigkeiten, er ist allgemein geachtet ...”
— N.A, Wintmeulen : ”... sehr gutes Verhalten; empfiehlt
sich durch seine Intelligenz und seine umfassende Bildung.
Er ist der gebildetste Priester dieses Kantons und einer der
angesehensten...”’
— D. Molitor : ”’... ziemlich intelligent und angesehen, seine
Prinzipien sind sehr friedfertig und sein Verhalten (ist)
tadellos ...’”
(9) Bistumsarchiv Lüttich (BAL), Register der Erzdiakonate Condroz und Hes-
pengau, 18. Jhr.; Le Grand Calendrier de Herve ... op. cit.; GRONDAL, G.,
Walhorn. Notices historiques, in Bulletin de la Societ& vervietoise d’Archeologie et
d’Histoire (BSVAH), Bd 45, Verviers, 1958; ID., Eynatten. Notices historiques, in
BSVAH, Bd 49, Dison, 1962; ID., Kettenis. Notices historiques, Dison 1966; ID.,
Lontzen. Notices historiques, Verviers, 1954; BERTHA, A., Aus der Pfarrge-
schichte Hergenraths, in Im Göhltal, Bd. 18, Gemmenich, 1975, S. 29-31; FLAS,
E., Quelques Si&cles de Vie Paroissiale, Gemmenich, 1975...
8
Den Kaplänen von Walhorn, Lontzen, Gemmenich und
Teuyen wird ein tadelloses Verhalten bescheinigt, außergewöhn-
liche Fähigkeiten besitzen sie nicht. Dem Pfarrer von Hergenrath
ist seine Trunksucht anzulasten; im übrigen wird er jedoch als
sanftmütig und nächstenliebend geschildert. Über den Pfarrer von
Homburg heißt es : ”... Sonderling; wunderliche Gemütsverfas-
sung. Benehmen eines Mannes, der den Kopf verloren hat ...”
Von den 29 in den erwähnten Beurteilungen vorkommenden
Geistlichen wird nur einer - der Walhorner Benefiziat Becker - als
”charakterlos und unmoralisch”” verurteilt; die Bevölkerung ver-
achtet ihn (10). R
]I. Das Konkordat von 1801
Nachdem die Franzosen 1794 die österreichischen Niederlande
und das Fürstbistum Lüttich endgültig erobert und ein Jahr später
der französischen Republik einverleibt haben, kommt ihre kir-
chenfeindliche Gesetzgebung auch bei uns schon bald zur Anwen-
dung.
Es erübrigt sich, deren Auswirkungen hier näher zu beleuch-
ten; sie sind allgemein bekannt. Erwähnt sei lediglich, daß die
Priester in den 12 erwähnten Pfarreien nahezu geschlossen gegen
die Franzosen Front machen. Von 29 leisten nur drei die von der
Republik geforderten Treueerklärungen und Eide. Die übrigen
ziehen es vor, ihr Amt im Verborgenen auszuüben (11). Daß
einige in ihrer Haltung gegenüber den Priestern, die den Eid
geleistet haben, jegliche Toleranz vermissen lassen, muß um der
geschichtlichen Wahrheit willen ebenfalls gesagt werden.
Mancher ”ungeschworene’” Priester, dessen aufopferungsvoller
Einsatz unter anderen Begleitumständen uneingeschränkte Be-
wunderung verdient hätte, verleumdet seine ”’geschworenen””
Mitbrüder auf jede nur mögliche Art und Weise. So wird den
(10) Die zitierten Beurteilungen enisıammen dem Sıaatsarchiv Lüttich (SAL),
Franz. Zeit, Präfektur, n° 495. Das beireffende Dokument ist von CLERCQ, C.
de, Pr&ires assermeni&s ei insermentes dans les cantons d’Eupen, de Limbourg, de
Walhorn eı d’Aubel, in Zeitschrift des Eupener Geschichtsvereins, Bd 1, 2, 3,
Eupen, 1954, S. 1-7 und 29-34, veröffentlicht worden.
(11).Den Priestern, die den Eid verweigert haben, wird die Ausübung ihres Amtes
verboten ; ihre Kirchen werden geschlossen. 3
9
Gläubigen verboten, bei geschworenen Priestern zur Beichte zu
gehen, da diese ungültig sei. Der geschworene Pfarrverwalter von
Montzen beklagt sich in bitteren Worten über die Eidverwei-
gerer :
”... Es ist bekannt, daß ich diese Stelle angenommen
habe, um die Kirche und die Geräte, das Pfarrhaus und
die Einkünfte (vor der Beschlagnahmung) zu bewahren;
bis heute habe ich dem (ungeschworenen) Pfarrer alles
überlassen ..., aber mir gibt man nichts ..., von nichts
kann ich nicht leben ...” (12)
Diese Einstellung verschiedener Eidverweigerer muß getadelt
werden; die ungeschworenen Priester haben den Eid ja auch nicht
aus republikanischer Begeisterung, sondern aus seelsorgerischen
Erwägungen heraus geleistet. Sie haben gehofft, durch die Eides-
leistung die Einheit ihrer Pfarre und die Freiheit der Religions-
ausübung gewährleisten zu können. Dies zumindest hätte die
Gegenpartei ihnen zugestehen sollen. So aber ist das Klima in
vielen Pfarrgemeinden durch die Meinungsverschiedenheiten und
Streitereien zwischen geschworenem und ungeschworenem Kle-
rus regelrecht vergiftet worden. Auch hat das mehrere Jahre
andauernde Untergrunddasein bei manchen Priestern und vielen
Gläubigen den Sinn für die hierarchische Ordnung empfindlich
gestört.
Am 9. November 1799 bringt ein Staatsstreich in Paris den
General Napoleon Bonaparte (13) an die Macht. Die französische
Republik erhält eine neue Verfassung; als erster Konsul ist
Bonaparte der starke Mann der neuen Regierung, seine beiden
Kollegen führen nur ein Schattendasein (14). Schon bald zeigt
sich, daß die neue Regierung um eine Besserung des Verhältnis-
ses zwischen Kirche und Staat in Frankreich bemüht ist. Am 5.
Juni 1800 erklärt Napoleon in einer Rede in Mailand, daß er der
katholischen Religion zu neuer Blüte verhelfen und diesbezüglich
(12) SAL, Franz. Zeit, Präfektur, N° 474
(13) Geb. 1769, Offizier am 12. September 1785, Brigadegeneral am 22.
Dezember 1793, Oberbefehlshaber der Armee des Innern am 26. Oktober 1795,
Oberbefehlshaber der Italienarmee am 23. Februar 1976. Le dossier Napoleon,
Verviers; 1962, S. 419. 2
(14) GODECHOT, J., Les institutions de la France sous la revolution et l’empire,
2. Aufl., Paris, 1968, S. 549-550.
10
mit dem Papst Gespräche anknüpfen will. Am 5. Oktober treffen
zwei päpstliche Gesandte in Paris ein. Nach zähen und langwieri-
gen Verhandlungen wird am 5. Juli 1801 ein Konkordat zwischen
dem Heiligen Stuhl und der französischen Republik unterzeich-
net. Die Vergangenheit soll ausgelöscht .werden und einem
Aufschwung des kirchlichen Lebens scheint nichts mehr im Wege
zu stehen. Allerdings hängt die französische Regierung dem
Kondordat 77 sogenannte ”Organische Artikel” an, die eine
einseitige, vom Papst nicht anerkannte Interpretation der konkor-
. datären Bestimmungen darstellen. Trotzdem werden sie in Frank-
reich Gesetzeskraft erhalten (15).
Was besagen nun das Konkordat und die Organischen "
Artikel im einzelnen (16)? Der verhältnismäßig kurze Text des
Konkordats wird durch ein Vorwort eingeleitet, in dem die
katholische Religion als die Religion der großen Mehrheit der
Franzosen - aber nicht mehr als Staatsreligion - anerkannt wird.
Artikel 1 erklärt den katholischen Kult für öffentlich und frei,
jedoch mit einer Einschränkung : ”wenn er sich nach den
Polizeiverordnungen richtet, deren Erlaß die Regierung zur
Aufrechthaltung der öffentlichen Ruhe für notwendig erachten
wird.’ In den übrigen Artikeln heißt es, daß der Papst alle noch
lebenden französischen Bischöfe zum Rücktritt auffordern wird,
daß der Heilige Stuhl berechtigt ist, eine Neueinteilung der
Diözesen vorzunehmen, daß die Bischöfe durch das Staatsober-
haupt ernannt und durch den Papst eingesetzt werden. Die
Bischöfe werden ermächtigt, eine Neugliederung der Pfarreien
vorzunehmen, und ihnen allein obliegt die Ernennung der Pfarrer,
die jedoch von der Regierung ”agreiert”, d.h. genehmigt werden
muß. Als Entschädigung für die Verstaatlichung des Kirchenguts
verpflichtet die Regierung sich zur Zahlung eines ”angemesse-
nen” Gehalts an die Bischöfe und Pfarrer. Schließlich werden die
Gläubigen ermächtigt, Stiftungen zugunsten der Kirchen zu
tätigen. 5
(15) AUBERT, R., Napoleon und Pius VII, in Handbuch der Kirchengeschichte,
Bd VI 1, Freiburg / Br., 1971, S, 59-99.
(16) Text in MARTENS, C. de, Receuil des principaux trait&s d’Alliance, de
Paix, de Treve, de Neutralite, de Commerce, de Limites, d’Echange etc. conclus
par les puissances de 1’Europe tant entre elles qu’avec les puissances et &tats dans
d’autres parties du monde depuis 1761 jusqu’a present, Göttingen, 1831, Bd 7
(1800-1803), S. 355-364.
11
In den Organischen Artikeln hingegen nimmt die französi-
sche Regierung wieder ein Teil dessen zurück, was im Konkordat
zugestanden worden ist. So bedarf der Klerus der ausdrücklichen
Erlaubnis der Regierung zur Veröffentlichung päpstlicher Doku-
mente, zur Veranstaltung eines National- oder Provinzialkonzils
und zur Schaffung neuer Pfarreien; die alten Diözesankatechis-
men müssen durch einen Einheitskatechismus ersetzt werden; den
Priestern wird außerdem verboten, Eheschließungen vor der
zivilen Trauung vorzunehmen. )
Zusammenfassend sei festgestellt, daß das Konkordat und
die Organischen Artikel die Grundlage für die Neuordnung der
Kirche in Frankreich bilden. Durchgeführt wird die Umstruktu-
rierung durch die neu ernannten Bischöfe, die zwar vom Kult-
ministerium streng kontrolliert werden, über ihre Priester aber
eine praktisch nur ihrem eigenen Ermessen überlassene Amts-
gewalt besitzen, wie sie das 18. Jahrhundert nie gekannt hatte.
Napoleon verleiht den Bischöfen diese fast unumschränkte
Machtfülle, weil er der französischen Nation durch die Religion
neuen Zusammenhalt verleihen will und dies nur auf autoritärem
Wege glaubt verwirklichen zu können. Die Bischöfe, aber auch
das Heer der Priester, werden so zu Beamten, vom Staat besoldet
und in vielen Bereichen den staatlichen Behörden Hilfestellung
leistend.
Zum neuen Bischof von Lüttich ernennt Napoleon, anstelle
des zurückgetretenen Franz-Anton von Mean (17), den Straßbur-
ger Kanonikus Johann Evangelist Zaepffel (18). Dieser veröffent-
licht am 30. September 1803 die neue Pfarrumschreibung für das
Ourthe-Departement, zu dem auch die Pfarren des Göhltals
gehören (19). K
III. Die Auswirkung der konkordatären Bestimmungen auf die
Pfarrgemeinden des Göhltals
Die von Bischof Zaepffel veröffentlichte Pfarrumschreibung
paßt sich - wie von der Regierung verordnet - den Zivilgrenzen an,
(17) Geb. 1757, gest. 1831. DEMARTEAU, J., Francois-Antoine de Mean,
dernier Prince-Ev&que de Liege, premier primat de Belgique, Brüssel, 1944.
(18) Geb. 1735, Bischof seit 1802. MINKE, A., Mgr Zaepffel et la TEorganisation
concordataire du diocese de Liege (1802-1808), unveröffentlichte Doktorarbeit,
Löwen, 1979.
(19) Die Diözese Lüttich bestand aus den Departements Ourthe und Niedermaas
12
d.h. daß die Gemeinde die kleinste kirchliche Einheit bildet. Hier
muß kurz auf eine List der französischen Regierung eingegangen
werden. Laut Konkordat hat sich diese verpflichtet - wir sahen es
bereits - den Pfarrern ein Gehalt auszubezahlen; da es deren aber
über 30.000 in Frankreich gibt und die Regierung an chroni-
schem Geldmangel leidet, wird in den Organischen Artikeln |
kurzerhand beschlossen, daß pro Kanton nur ein Geistlicher den
Titel ”’Pfarrer”” (cure€) tragen darf; die übrigen rund 24.000
Pfarrherrn erhalten den Titel ”’desservant’””, ihre Pfarreien werden
”succursales’” genannt. Für die Kirche sind zwar auch die
””desservants”” vollwertige, mit allen Rechten ihres Amtes ausge-
stattete Pfarrer; aber vom Staat erhalten sie vorerst kein Gehalt. "
Dem Geistlichen, der den Titel Pfarrer trägt - auch Kantonal-
.pfarrer oder Oberpfarrer genannt - kommt in etwa die gleiche
Rolle zu, wie einem Dechanten heutzutage (20).
Doch zurück zu den Gemeinden des Göhltals. Die Pfarren
Gemmenich, Homburg, Montzen, Moresnet, Sippenaeken und
Teuven werden Sukkursalkirchen von Aubel. Der Pfarrer dieses
Ortes ist Kantonalpfarrer. Die Pfarren Eynatten, Hergenrath,
Kettenis, Lontzen, Raeren und Walhorn gehören zum Kanton
Eupen; sie sind Sukkursalkirchen, der Pfarrer von Eupen wird
Oberpfarrer (21).
Bevölkerungsmäßig ergibt sich folgendes Bild (22) :
Pfarre Einwohner Pfarre Einwohner
4 Gemmenich 1010 Eynatten 804
Homburg 1876 Hergenrath . 800
Montzen 1020 Kettenis 1237
Moresnet 1107 Lontzen 522
Sippenaeken } 895 Raeren 2301
Teuven Walhorn 756
5908 6420
(20) Kirchenlexikon oder Encyklopädie der katholischen Theologie und ihrer
Hilfswissenschaften, Freiburg/Br., Bd 3, 1849, S. 117
(21) SAL, Franz. Zeit, Präfektur, N° 495
(22) Ibid.
13
Größere personelle Veränderungen finden nicht statt, wie die
folgenden Tafeln zeigen (23) :
Pfarren des Kantons Aubel
Pfarre Pfarrer Geburtsdatum Alter am
30.1X.1803
Gemmenich Lamberi Franck, 20. Juni 1757 46
anstelle des am
15. April 1798
verstorbenen Johann
Heinrich Cormann
Homburg No6&l Josef Mambour, 10. April 1752 51
Pfarrer seit 1788
Monizen Johann Hadrian Heyendal, 22. Dezember 1729 ZA
Pfarrer seit 1771
Moresnet Johann Palmatius 10. Juli 1750 53
Schloimeker,
Pfarrer seit 1787
Sippenaeken | Johann Mathias Mertens 12. Februar 1746 87
Pfarrer seit 1783
Teuven Johann Josef Nicolai 13. Juli 1762 41
Pfarren des Kantons Eupen
Eynatıen Johann Kaspar Schyns, 11. März 1757 46
Pfarrer seit 1793
Hergenraih Peter Jakob Knops, 11. November 1745 57
von 1794 bis 1799
Pfarrverwalter von
Lontzen, Pfarrer anstelle
des zurückgeireienen
Johann Josef Schillings
Kettenis Wilhelm Josef Steinfelt, 15. Februar 1748 S5
Pfarrer seit 1790
Lonizen Huberi Johann Ernst, 24. August 1741 62
bereits zwischen 1789
und 1794, Pfarrverwalter
in Lonizen,
Raeren Johann Georg Reuter, 1762 41
Pfarrer seit 1796
Walhorn Franz Josef Klausener, 14. Januar 1767 36
Pfarrer seit 1794
23) BAL, Fonds Zaepffe:
14
Das Durchschnittsalter der Pfarrer liegt bei 51 Jahren, eine
angesichts der damaligen Lebenserwartung ziemlich hohe Zahl.
Ältester Pfarrer ist J.H. Heyendal von Montzen, jüngster Pfarrer
ist F.J. Klausener von Walhorn.
Auf den ersten Blick gibt es also keine größeren Probleme.
Die Kontinuität ist gewahrt geblieben; Umwälzungen innerhalb
des kirchlichen Lebens haben nicht stattgefunden. Eine nähere
Untersuchung jedoch zeigt, daß bei weitem nicht alles so rei-
bungslos über die Bühne gegangen ist, wie es den Anschein hat.
Da wäre zuerst einmal das vor Veröffentlichung der neuen
Pfarrumschreibung eingeleitete Tauziehen um den Rang einer ‚,
Kantonalpfarre zu erwähnen. Am 7. August 1802 richtet der
”maire”, d.h. der Bürgermeister von Walhorn ein Schreiben an
den Unterpräfekten in Malmedy, in dem er. ganz entschieden auf
die Erhebung Walhorns zur Kantonalpfarre drängt. Seine Argu-
mente sind folgende :
”... 1. Unsere Pfarrkirche ist eine der geräumigsten und
gepflegtesten dieser Gegend; sie liegt inmitten von 10 Dör-
fern, die die vormalige Bank Walhorn bildeten.
2. Die Pfarre Walhorn hat über drei Jahrhunderte nicht
nur unsere Gemeinde selbst, sondern auch die Gemeinden
Raeren, Eynatten, Hergenrath und Kettenis umfaßt.
3. Die Kirchen besagter Gemeinden sind erst vor
ungefähr einem Jahrhundert zu Pfarren erhoben worden,
wurden aber auch weiterhin als Filialkirchen von Walhorn
bezeichnet.
4. Darüber hinaus stand dem Pfarrer von Walhorn das
Recht zu, die Pfarrer der übrigen Gemeinden zu ernennen, -
und der jetzige Pfarrer von Kettenis ist dies nur dank der
Ernennung durch unseren Pfarrer.
Demzufolge, da unsere Pfarre während so vieler
Jahrhunderte Mutterkirche von so vielen anderen gewesen
ist, da unser Pfarrer die Ernennungen in den umliegenden
Pfarren vornahm, da unser Ort immer Hauptort der vorma-
ligen, aus zehn Gemeinden bestehenden Bank und, seit dem
Einmarsch der Franzosen, des Kantons gewesen ist, urteilen
Sie selbst, Bürger Präfekt, wie schmerzlich es für uns sein
würde andern untergeordnet zu werden ...’ (24).
(24) Gemeindearchiv Walhorn (GAW), Korrespondenz
15
* Da die vorgesetzten Behörden nicht reagieren, wendet sich
der ”’maire”” von Walhorn am 9. September 1802 erneut an den
Unterpräfekten, aber sicherheitshalber auch gleich an den
Bischof. Ihm ist nämlich zu Ohren gekommen, daß die Bürger-
meister von Kettenis und Raeren sich ebenfalls große Mühe
geben, um die Erhebung ihrer jeweiligen Pfarrkirche in den Rang
einer Kantonalkirche zu erreichen. Derartige Demarchen bezeich-
net das Walhorner Gemeindeoberhaupt als ”...lächerlich, bar
jeden gesunden Menschenverstands und bar jeder Logik ...’’ (25).
Wie aus diesen Briefen unschwer zu erkennen ist, hat es also
zwischen mehreren Pfarren Auseinandersetzungen bezüglich der
begehrten Stellung einer Kantonalpfarre gegeben; vor allem
Walhorn will seine jahrhundertealte Vormachtstellung behaup-
ten. Die Regierung entscheidet schließlich ganz anders : der
Kanton Walhorn wird aufgehoben; seine Gemeinden werden teils
dem Kanton Aubel, teils dem Kanton Eupen einverleibt und diese
beiden Ortschaften zu Kantonalpfarren erhoben.
Einen zweiten Problemkreis bilden die mitunter fast uner-
träglichen Spannungen zwischen Priestern oder zwischen
Priestern und den ihnen anvertrauten Gläubigen.
Am 6. April 1804 bittet der Präfekt des Ourthe-
Departements den Unterpräfekten in Malmedy um nähere Aus-
künfte betreffend eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem
”maire” von Raeren und dem dort ansässigen Priester Schmetz
(26). Am 9. Mai erläutert der Unterpräfekt den Vorfall wie folgt :
Schmetz hat in der Sonntagsmesse die kirchlichen Bestimmungen
zur Osterzeit verkündet, worauf der Bürgermeister ihm zugerufen
hat : Was Sie sagen, ist falsch!’” Schmetz hat geantwortet, der
Bürgermeister zurückgerufen, und im Handumdrehen ist zwischen
beiden Herrn in der Kirche, vor allen Leuten, während der Messe,
ein Streit entbrannt. Weiter führt der Unterpräfekt aus; dieser
Zwischenfall habe die Kirchenbesucher nicht übermäßig schok-
kiert, da es schon seit längerer Zeit in Raeren üblich sei, daß der
Bürgermeister nach der Messe in der Kirche die neuesten Gesetze
verlese und erkläre. Dies habe zur Folge, daß der ”maire” die
Kirche als eine Art Gemeindehaus und die Priester als seins
(25) Ibid.
(26) Geb. am 30. August 1746 in Eynatten, seit 1789 in Raeren.
Eine Kopie des Schreibens befindet sich im SAL, Franz. Zeit, Präfektur, N° 538.
16
Untergebenen betrachte (27). Am 8. Juni 1804 urteilt der Präfekt
wie folgt : der Bürgermeister hätte den Priester Schmetz nicht
unterbrechen dürfen; da er aber ein gewissenhafter und eifriger
Mann sei, wölle man es bei einer Ermahnung belassen (28).
Dieser Vorfall zeigt, wie sich in manchen Pfarren in den
unruhigen Jahren der Verfolgung die Grenzen zwischen kirchli-
chem und weltlichem Bereich verwischt haben und dabei der
Respekt vor der geistlichen Autorität verlorengegangen ist.
Letzteres macht auch die folgende Begebenheit deutlich. In
den ersten Wochen des Jahres 1808 kommt es zwischen Pfarrer
Hartmann (29) von Raeren und seinem Kaplan Johann Gross (30) .
zu schweren Mißhelligkeiten, derentwegen sich das ganze Dorf in
Aufruhr befindet. Es hat den Anschein, als sei das Verhältnis
zwischen beiden Priestern von Anfang an nicht besonders gut
gewesen. Der Bischof von Lüttich schildert Hartmann als eifrigen,
in jeder Hinsicht tadelsfreien Hirten, der es mit seiner Pfarre
nicht leicht habe. Gross hingegen, so der Bischof, sei ein Stein
des Anstoßes, ein Wirtshausläufer, ein unruhiger und brutaler
Mensch. Demzufolge habe er den Kaplan suspendiert (31). Was
daraufhin geschehen ist, liest sich in einem Brief des Raerener
Bürgermeisters wie folgt :
”... nachdem ich einem Brief, den Gross am Freitag dem
Herrn Pfarrer geschrieben hatte, entnehmen konnte, daß er
seinen Fall zum Gegenstand einer Predigt machen . wollte,
schrieb ich ihm am Samstag einen Brief, in dem ich ihn bat,
solche Dinge nicht öffentlich zu behandeln und ihn darauf
hinwies, daß ich gezwungen sein würde, ihn anzuklagen,
falls er auch nur den geringsten Tumult verursachen würde;
nichtsdestoweniger erlaubte er sich, in seiner Predigt Verglei-
che anzustellen zwischen Kain, der seinen Bruder Abel
getötet hat, von den Gefühlen Absalons gegenüber David zu
sprechen, von Joseph, wie er von seinen Brüdern verkauft
(27) Ibid,
(28) Ibid.
(29) Geb. am 20. Januar 1761, Pfarrer in Raeren seit dem 17. März 1805.
(30) Wahrscheinlich identisch mit dem, bei JANSEN-LOHMANN, Der Klerus in
den Weiheprotokollen der Erzdiözese Köln, Bd. 1, Col. 503 angegebenen Johann
Gross, geb. am 26. Februar 1773 in Langerwehe.
(31) Brief vom 25. Februar 1808. Nationalarchiv von Frankreich Paris (NAFP),
Polizeiministerium, F 7 8067 B.
17
wird und schließlich von unserem Herrn, wie er von den
Juden gekreuzigt wird, zu reden ...; dabei schlägt er sich mit
der einen Hand an die Brust und während er mit der anderen
Hand auf das Kreuz weist, ruft er aus ECCE HOMO;
zusammenfassend sei gesagt, daß sowohl der Inhalt dieser
Predigt, als auch die Art sie vorzutragen jeden gleich merken
ließ, daß Gross den Pfarrer treffen wollte : letzterer hat
einige Worte zum Volk hin sagen wollen; als er dabei am
Kaplan vorbeigegangen ist, hat dieser ihm gesagt NEHMEN
SIE SICH IN ACHT; und der Pfarrer ist niedergeschrien
worden; da ich solches nicht erwartete, war ich leider nicht in
der Kirche, sonst hätte ich vielleicht einige von den Schrei-
hälsen erkennen können; der Tumult war jedenfalls so
schlimm, daß die Frauen auf die Bänke stiegen, um zu
fragen, was los sei ...”’ (32).
Soweit dieser Bericht vom 16. Februar 1808. In den darauf-
folgenden Tagen ist ganz Raeren in Aufruhr. In den Wirtschaften
wird der Vorfall heftig diskutiert. Im Gemeinderat kommt es zur
Spaltung; neun Mitglieder ergreifen offen für den Kaplan Partei.
Jetzt handeln Bischof und Präfekt Hand in Hand : am 25.
Februar bittet Bischof Zaepffel den Präfekten, Kaplan Gross
binnen achtundvierzig Stunden aus dem Ourthe-Departement
auszuweisen; am 26. Februar teilt der Präfekt dem Unterpräfekten
von Malmedy mit, daß Gross das Departement zu verlassen habe;
außerdem beauftragt er den Unterpräfekten, Erkundigungen über
diejenigen Raerener Gemeindevertreter einzuziehen, die sich
besonders unangenehm hervorgetan haben, damit sie durch
”klügere Leute’ ersetzt werden können (33).
Im April 1808 hat Gross das Ourthe-Departement zwar
verlassen, sich aber an der Grenze desselben, in Walheim,
niedergelassen. Diese Gemeinde liegt so nahe bei Raeren, daß
seine dortigen Anhänger weiterhin mit ihm in Verbindung bleiben
und Zwietracht in der Pfarre säen. Am 30. April weist die
Polizeiabteilung in Paris den Präfekten des Ourthe-Departements
darauf hin, daß Gross unverzüglich einen Wohnsitz zu erwählen
habe, der mindestens zehn Meilen von Raeren entfernt sei. Bis
(32) Ibid.
(33) Ibid.
18
auf weiteres sei er unter besondere Aufsicht zu stellen. Sollte
Gross nochmals im Ourthe-Departement auftauchen, sei er sofort
zu verhaften (34)!
Auch hier tritt die Zersetzung der Hierarchie klar zutage. In
der Zeit zwischen 1794 und 1802, als der Klerus weitgehend auf
sich selbst gestellt war, hat die kirchliche Disziplin schwer
gelitten. Manchem Priester ist es kaum noch möglich, sich wieder
in die durch das Konkordat von 1801 neu geschaffene Ordnung
einzufügen. Allerdings zeigt sich hier auch überdeutlich, wie weit
die Zusammenarbeit zwischen den weltlichen und geistlichen
Behörden im Frankreich Napoleons gehen konnte ... &
Viele Fragen wirft auch die Besoldung der Pfarrer und die
materielle Lage der Pfarrgemeinden auf. Man erkennt dies
besonders, nachdem die französische Regierung im April 1803 die
Gemeinderäte aufgefordert hat, über die aus der Gemeindekasse
abzuzweigenden Gehälter für die Pfarrer zu beraten.
Der Gemeinderat von Kettenis ist bereit, dem Pfarrer 729 Fr.
im Jahr zu zahlen; diese Summe soll durch Erhebung einer Steuer
auf Personen, Mobilien und Immobilien aufgebracht werden (35).
In Lontzen kann man. dem Pfarrer nur 400 Fr. zur Verfügung
stellen; das Geld soll über eine Grundsteuer beschafft werden
(36). In Hergenrath legt man sich nicht auf eine Summe fest;
vielmehr bittet man die Regierung, den aufgehobenen Zehnten
wieder einzuführen (37). Die Walhorner Gemeindevertreter
würden ihrem Pfarrer gerne 1.600 Fr jährlich zahlen; dazu muß
% aber die Grundsteuer erhöht werden (38). In Eynatten ist man
bereit, dem Pfarrer ein Jahresgehalt von 900 Fr. zu zahlen;
allerdings müßte dieser dann auf eine Sammlung in Kirche und
Pfarre verzichten (39). In Raeren schließlich einigt sich der
Gemeinderat auf ein Gehalt von 967 Fr. 30 Cent., das von den
Eigentümern im Dorf aufgebracht werden soll. Außerdem legen
die Raerener Gemeindevertreter die Stolgebühren auf das ge-
naueste fest (40) :
(34) Ibid.
(35) SAL, Franz. Zeit, Präfektur, N° 538.
(36) Ibid.
(37) Ibid.
(38) Ibid.
(39) Ibid.
(40) Ibid.
19
Für den Pfarrer Fr. Cen‘.
Pro Kindtaufe 75
Pro Beerdigung eines Kindes 75
Pro Beerdigung einer Person, die ihre
Erstkommunion gemacht hat se
Pro stilles Requiem 1, SO
Pro gesungenes Requiem 230
Pro gesungene Messe mit drei oder ” A
mehr Herrn N
Pro Segnung und Abholen einer
Leiche am Sterbehaus x 3. 1650
Pro 1. Jahrgedächtnis, Bezahlung
wie oben
Pro 2., 3. und weiteres Jahrgedächtnis, wenn
es eine stille Messe ist ;
Pro gesungenes Jahrgedächtnis, wie
oben
Pro Trauung KEN!
Pro Hochzeitsmesse gelten die gleichen
Tarife wie bei einem Requiem
Pro Erwähnung des Namens eines
Verstorbenen während aller Sonntage
eines Jahres. In 0
Für den Kaplan oder einen anderen Priester
Pro stilles Requiem DE
Pro Dienst bei einem feierlichen Requiem,
sei es als Diakon, Subdiakon oder
Assistent ß 75
Pro Assistenz beim Abholen einer Leiche te A
Pro Assistenz beim Gesang an der Tumba 25
Die Gemeinden stellen zwar ihren guten Willen unter
Beweis, aber ihre Einnahmen entsprechen nur in den seltensten
Fällen‘ ihren guten Vorsätzen. Demzufolge ist die Übernahme der
Pfarrergehälter letztlich für die Gläubigen mit neuen steuerlichen
Belastungen verbunden. Und dies hatte die Französische Revolu-
tion ja gerade verhindern wollen, als sie den Zehnten abschaffte.
Wie so oft, hat auch hier die Theorie der Praxis geopfert werden
müssen. Die französische Regierung wird schließlich im Mai 1804
die Gehälter auch der ”desservants’” übernehmen, um dem
leidigen Hin und Her in den Gemeinderäten ein Ende zu bereiten.
Jeder ”’desservant”” erhält 500 Fr im Jahr (41).
(41) Dekrete vom 5. Nivöse Jahr XIII (26. Dezember 1804) und vom 11. Prairial
Jahr XII (31. Mai 1804).
20
Wie groß auch die Armut der Kirchenfabrikräte ist, geht aus
einem Schreiben des Kirchenvorstands von Walhorn vom 6. April
1807 hervor. Es heißt dort, daß Pfarrer Klausener in den
vergangenen Jahren nicht nur den Unterhalt_der Altarwäsche aus
eigener Tasche bestritten, sondern auch den Messwein, die
Kerzen, den Weihrauch und die Hostien selbst bezahlt hat, da
der Kirchenfabrik keine nennenswerten Mittel zur Verfügung
standen (42).
Werfen wir zum Schluß noch einen Blick auf den Priester-
nachwuchs. Hier sei daran erinnert, daß die Priesterseminare
nach dem Einmarsch der Franzosen geschlossen worden sind.
Erst nach dem Konkordat von 1801 kann der Priesternachwuchs
wieder gefördert werden. Dies ist bitter nötig, da der Klerus
mittlerweile stark überaltert ist. Im Jahre 1809 beispielsweise sind
33% der Priester in Frankreich älter als 60 Jahre; 2.454
Pfarrstellen bleiben unbesetzt (43). Da fast zehn Jahre lang keine
Neupriester mehr geweiht worden sind, darüber hinaus nur wenige
junge Menschen sich von einem Leben in Armut, wie der Priester
es aufgrund seines geringen Einkommens zu führen gezwungen
ist, angezogen fühlen, gestalten sich die Zukunftsaussichten
düster. Auch in den Pfarren des Göhltals ist die Lage alles andere
als günstig. Die Überalterung des Klerus ist offensichtlich. Im
. Jahre 1812 sind von 12 Pfarrern sieben älter als 60 Jahre; Pfarrer
Heyendal bekleidet sogar noch mit 82 Jahren sein Amt. Dem-
gegenüber ist zwischen 1802 und 1815 nur eine einzige Priester-
weihe - die des Johann Frank aus Gemmenich (44) - zu
verzeichnen (45).
(42) Pfarrarchiv Walhorn, Franz. Zeit.
(43) NAFP, AF IV 1046,
(44) Geb. um 1769 in Gemmenich, am 7. April 1810 in Namür zum Priester
geweiht. BAL, Fonds Zaepffel.
(45) Ibid.
21
Die Grenzbezeichnung des neutralen
Gebietes von Moresnet und ihre
geschichtliche Entwicklung (Forts.)*
von F.-X. Schultheis
3.6 Ein Einwohner von Neutral-Moresnet hat ”geschmuggelt.”
Hier sei eine interessante Begebenheit festgehalten, welche
Folgen der nicht korrekte Standort des Pfahls 193 haben konnte.
Die beiden Grenzaufseher Grund und Eve machen am 7. März
1859 wie gewohnt ihren Kontrollgang. Um 5 1/2 Uhr nachmittags
haben sie ”’in Ausübung ihres Dienstes den Hubert Hunger aus
Neutral-Moresnet mit 8 Pfund Rohkaffee und 1/2 Pfund Tabak
(92) ohne Zollausweis im Grenzgebiet, 30 Schritte von ‚der
Grenzlinie entfernt, nebst Waren in Beschlagnahme genommen
und dem Hauptzollamt zur weiteren Veranlassung übergeben.”
Etwa 8 Tage später (93) begibt sich der Grenzaufseher
Köppen mit dem Förster Nabert, zu dessen Revier das fragliche
Gebiet gehört, den Grenzaufsehern Grund und Brendel - ihm ist
der Landstrich wegen seines langen Dienstes in der Gegend genau
bekannt - in den Wald, um den Punkt festzustellen, wo Grund
und Eve den Hunger ergriffen haben. Grund wird aufgefordert,
die Stelle genau zu zeigen, wo er den Hunger ”’geschnappt””
hat. (94)
Er zeigt den in der Skizze mit D bezeichneten Punkt. Er liegt
vier Schritte in das neutrale Gebiet hinein, dort, wo der Fußweg
D B von der Straße Aachen - Gemmenich E D C abzweigt und
das neutrale Gebiet durchschneidet. Grund behauptet, dieser
Fußweg liege auf preußischem Gebiet, weil er diesseits der
preußischen Pfähle 193 - siehe F und C - verlaufe. Soviel er wisse,
sei F C die jetzt erst durch den Wald gehauene Grenzlinie, die
Preußen von dem neutralen Gebiet trennt. (95) Er habe die
zweite, ebenfalls vor kurzem gehauene Linie F E A für irrtümlich
ausgehauen angesehen, weil sonst der Grenzpfahl bei C auf dem
Punkt E stehen müsse.
Der Förster Nabert wird aufgefordert, sich gewissenhaft zu
äußern. Er erklärt, daß die Linie A E F H die Grenze des neutral.
Gebietes gegen Preußen und die Linie F C die Grenze des neutral.
Gebietes gegen Belgien darstellt. Die Linien A E F und F C sind
* Den 1. Teil dieses Aufsaizes brachten wir in der vorigen Nummer dieser
Zeitschrift, S. 8 - 42
22
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23
erst neuerdings durch den Wald gehauen und dadurch die Grenze
kenntlich gemacht worden. Bei der Gelegenheit hat der Baurat
Cremer angeordnet, an den Punkt F einen preußischen Grenz-
stein zu setzen. Von einem zweiten Stein bei C habe er gar nicht
gesprochen. Er sei ohne sein Wissen dahin gesetzt worden.
Andernfalls hätte Cremer darauf aufmerksam gemacht, daß der
zweite Stein nicht bei C sondern bei E hätte gesetzt werden
müssen.
Ergebnis der Untersuchung : Der Grenzaufseher hat sich
geirrt. Er ist aber zu entschuldigen und seine Handlungsweise zu
rechtfertigen, da er sich nach den Grenzpfählen gerichtet hat.
Weil aber einer der Pfähle falsch steht, hat er sich ohne seine
Schuld geirrt. Der Grenzaufseher Köppen bittet dringend, den
Grenzpfahl von der falschen Stelle bei C an die richtige bei E zu
setzen, damit ähnliche Irrtümer künftig nicht mehr vorkommen.
Der Vollständigkeit halber sei noch vermeldet, daß Hunger
aus dem Hauptzollamt entlassen wurde und mit seiner ”’ge-
schmuggelten”” Ware heimgehen konnte.
3.7 An der Grenze des neutralen Gebietes stehen 1861 immer
noch hölzerne Pfähle
Am 14. März 1861 (96) macht der Landrat von Eupen der
Regierung eine Mitteilung, die uns in Erstaunen setzen muß. Der
Bürgermeister von Preußisch-Moresnet hat ihm mitgeteilt, daß
ein hölzerner Grenzpfahl zwischen seiner Gemeinde und dem
neutral. Gebiet angefault und entwendet worden ist. Er überläßt
der Regierung die Entscheidung, den Pfahl zu erneuern oder zu
warten, bis die Teilung des neutral. Gebietes vollzogen ist. Und
dann kommt der letzte Satz des Schreibens, der kaum zu glauben
ist. ”’Sämtliche Pfähle, die das neutrale Gebiet eingrenzen, sind
noch aus Holz, alle andern der Grenze entlang aber aus Stein.”
24
Der Landrat überzeugt sich selbst. Er hat den Standort des
abgefaulten Pfahles persönlich eingesehen und schreibt der Re-
gierung am 29. Mai 1861, (97) daß es sich um den Pfahl Nr. 188
handelt.
Belguen 7
N Presbunhe w
($ Noch. Ay!
Wir entsinnen uns : Im Oktober 1853 (98) haben die beiden
Experten sich geeinigt, den drei Gemeinden Montzen, Moresnet
und Gemmenich für das Aufhauen der Schneise zwischen dem
neutralen und preußischen Gebiet den Betrag von 76 Talern 0 Sgr
10 Pf zu zahlen, zuzüglich 3 T 13 Sgr 9 Pf für die Zeit, solange
die Schneise besteht. Am 14. Dez. 1861 (99) unterrichtet der
Landrat die Regierung, daß der Bürgermeister Klynens von
Montzen ihm mitgeteilt hat : weder die Entschädigung noch die
Rente sind bis heute bezahlt. Er nimmt an, daß die Angelegen-
heit vergessen wurde und erinnert an die baldige Erledigung, ”’da
die Gemeinden unzufrieden geworden sind.”
Anschließend folgt noch einmal eine ausführliche Berech-
nung der Entschädigung, die den drei Gemeinden zu zahlen ist.
Da vieles uns schon bekannt ist, darf es hier übergangen werden.
Die zu leistende Entschädigung sieht jetzt so aus :
1. für den durchschnittlich acht Jahre alten Aufwuchs zwi-
schen den Pfählen 192 und 193 „13T 14 Sgr 5 Pf
25
2. für eingegangene Stöcke auf einer Fläche von 2
Morgen 26T 0Sgr 5 Pf
3. Jährl. Rente von 3 T 13 Sgr 9 Pf für 8
Jahre 27 T 20 Sgr 0 Pf
68 T 14 Sgr
Zuletzt macht der Landrat darauf aufmerksam, daß die
Schneise wieder aufgehauen werden muß, wenn sie kenntlich
bleiben soll.
Der letzte Hinweis des Landrates in seinem Schreiben an die
Regierung veranlaßt sie, den Oberförster Coomans am 7. April
1862 (100) zu bitten, sich von dem Zustand der Schneise zu
überzeugen. Falls sie wieder ausgelichtet werden muß, möge er
sich über die ungefähren Kosten äußern.
Wenige Tage später (101) scheint die Regierung in finanzielle
Schwierigkeiten geraten zu sein. Wie sonst könnten wir uns
erklären, daß sie zur Zeit nicht in der Lage ist, ”’den drei
Gemeinden die beanspruchte Entschädigung wegen der aufge-
hauenen Schneise zu zahlen.”
Am 12. Aug. 1862 (102) benachrichtigt Coomans die Regie-
rung, daß die Schneise wieder frei ist. Drei Arbeiter haben zwei
Tage daran gearbeitet. Die Kosten betragen 3 Taler.
Die Regierung unterrichtet den Minister für Auswärtige
Angelegenheiten über den neuesten Stand der Verhandlungen. In
ihrem Schreiben vom 27. Dez. 1862 (103) bezieht sie sich noch
einmal auf das Grenzprotokoll von 1816. Demzufolge wird der
nördliche Teil der einstweilen neutral erklärten Gemeinde Mores-
net von einem Wald gebildet, den die drei Gemeinden Montzen,
Moresnet und Gemmenich ungeteilt besitzen. 1818 hat man sich
darauf beschränkt, die vorläufig anerkannten Gebiete durch
Intermediärpfähle (104) zu kenntzeichnen, von denen auf der
Grenzlinie zu den Niederlanden acht und zur preußischen Seite
hin vier aufgestellt wurden. Die Pfähle standen zum größten Teil
versteckt. Sie genügten nicht, das neutrale Gebiet kenntlich zu
machen. Bereits 1844 war von belgischer Seite veranlaßt worden,
eine Schneise aufzuhauen. Auch auf preußischer Seite war man
längst zu der Erkenntnis gekommen, den genauen Verlauf der
Grenze durch eine Schneise anzuzeigen.
26
Dem Schreiben wird die am 17. Okt. 1853 zwischen den bei-
den Experten Ernst und Coomans geführte Verhandlung über die
Vergütung der drei Gemeinden urschriftlich beigefügt. Uns ist
bekannt, daß sie für das Auflichten der Schneise 76 T 0 Sgr 10 Pf
bekommen sollen. Dabei sind allerdings 7 Eichenstämme im
Werte von 35 T 6 Sgr 0 Pf in der Schneise stehen geblieben bzw.
zur diesseitigen Disposition gestellt worden. Wir wissen ebenfalls,
daß den drei Gemeinden für die Zeit, in der die Schneise bestehen
bleibı, jährlich 3 T 13 Sgr 0 Pf als Entschädigung gezahlt werden
sollen. Das sind für die verflossenen neun Jahre von 1854-1862
neun mal 3 T 13 Sgr 9 Pf = 31T2Sgr 9Pf. Insgesamt be-
trägt die Forderung der 76 T 0 Sgr 10 Pf >
Gemeinden also TS TE
107 T 3 Sgr 7 Pf
Der Betrag ist aber bis jetzt noch nicht bezahlt worden, weil
die endgültige Entscheidung über das neutrale Gebiet noch aus-
steht und die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß das be-
sagte Waldgebiet den drei Gemeinden hätte zurückgegeben wer-
den müssen. Das schließt aber nicht aus, daß vor einiger Zeit die
Berechtigung der drei Gemeinden dringend anerkannt worden ist.
Die Regierung bittet den Minister, den Gemeinden die Ent-
schädigung von 107 T 3 Sgr 7 Pf zahlen zu dürfen. Gleichzeitig
bittet sie um die Ermächtigung, ihnen auch die Rente künftig so
lange zahlen zu dürfen, wie die Schneise besteht.
3.8 Meinungsverschiedenheiten wegen sieben Eichen
Einen Monat später (105) antworten die Minister der Finan-
zen und des Auswärtigen. Mit Nachdruck weisen sie darauf hin,
daß die Regierung zur Zahlung der Entschädigung nicht berech-
tigt war. Sie hätte vorher die Genehmigung einholen müssen, da
im Etat keine Mittel dafür zur Verfügung standen. Im nachhinein
erteilt sie dazu die Erlaubnis, macht aber darauf aufmerksam,
daß es 1853 bei der Berechnung der Entschädigung besser gewe-
sen wäre, ’’den Gemeinden die Nutznießung der Bäume wie deren
Eigentum zu überlassen.” Dadurch hätte sich der Betrag um 35 T
6 Sgr verringert.
Sollte dagegen die vorgesehene Lösung bleiben, d.h. die Ei-
chen in den Besitz des preußischen Staates übergehen, halten die
27
Minister das baldige Fällen und den Verkauf für ratsam, um dem
Holzdiebstahl vorzubeugen.
Abschließend erteilen die Minister die Genehmigung für die
Zahlung der Entschädigung und die auf neun Jahre aufgelaufene
Rente. Ebenso sind sie mit dem Weiterzahlen der Rente von 3 T
13 Sgr 9 Pf zunächst für fünf Jahre einverstanden, vorausgesetzt,
daß die Schneise noch so lange besteht.
Die Regierung unterrichtet den Oberförster Coomans von
dem Inhalt des Schreibens. Nach ihrer Meinung können die 7
Eichen den Gemeinden nicht mehr zurückgegeben werden. Coo-
mans möge überlegen, ob es zweckmäßig sei, die Eichen schon
jetzt zu fällen und der Betrag von 35 T 6 Sgr als gesichert angese-
hen werden kann.
Darauf antwortet Coomans, (106) daß die fraglichen Eichen
jetzt nicht gefällt werden können, da sie zwischen haubarem
Schlagholz stehen, das dadurch einen zu großen Schaden erleiden
würde. Der Wert der Eichen hat sich nicht verringert. Coomans
bemerkt noch, daß sie dem Kenntlichmachen der Schneise nicht
schaden. Sie ist so deutlich wie nur möglich. Nach seiner Mei-
nung kann der Zustand ohne Kosten aufrecht erhalten werden,
wenn die Zollbeamten bei ihren Kontrollgängen verpflichtet wer-
den, mit den Seitengewehren die Schneise sauber zu halten. Sie
braucht nur 3-4 Fuß breit zu sein, was zum Erkennen der Grenze
vollkommen genügt.
Endlich, am 8. März 1863 (107) - also nach 10 Jahren (!) -
kann die Regierung dem Gouverneur der Provinz Lüttich, Herrn
de Macar, mitteilen, daß die Steuerkasse in Eupen angewiesen
wurde, den Gemeinden Montzen, Moresnet und Gemmenich den
Betrag von 107 T 4 Sgr 7 Pf zu zahlen. Außerdem erwähnt sie
noch, daß die Jahresrente von 3 T 17 Sgr 9 Pf am Ende eines
jeden Jahres so lange gezahlt wird, wie die Schneise besteht.
Anfang des Jahres 1864 (108) schreibt Coomans der Regie-
rung, daß noch keine Eiche gefällt ist. Es ist nicht einmal vorge-
sehen, eine zu fällen.
Wieder schweigen die Akten über das neutrale Gebiet länger
als ein Jahr. Am 31. März 1865 (109) unterrichtet Coomans die
Regierung, daß der Gemeindewald ”’Preus’”” unter die drei Ge-
meinden Montzen, Moresnet und Gemmenich geteilt worden und
”damit der diesseitigen Aufsicht entzogen ist.” s
28
Die wiederholt genannten 7 Eichen sind der Anlaß zu Mei-
nungsverschiedenheiten, die aber vor Ablauf des Jahres beigelegt
werden können. Der Bürgermeister von Gemmenich hat verlangt,
den durch den Verkauf der Eichen erlangten Betrag ihm zu ge-
ben. Dem widerspricht der Landrat von Harenne in Eupen. (110)
Nach seiner Meinung ist die Forderung unbillig, da die Eichen
noch 12 Jahre stehen blieben. Durch ihren Schatten hat das um-
stehende Gehölz empfindlich gelitten.
Die Regierung sieht die Angelegenheit anders. Sie be-
hauptet :
1. Die 7 Eichen sind Eigentum des preußischen Staates. .
2. Es ist nicht zu rechtfertigen, daß die Gemeinde Gemme-
nich sich ohne weiteres fiskalisches Eigentum aneignet,
bzw. sich des Holzdiebstahls schuldig macht.
3. Der Gemeinde wird der Zuwachsverlust von Holz mit
einer Jahresrente von 3 T 13 Sgr 9 Pf vergütet.
In dem Sinne wird der Bürgermeister von Gemmenich unter-
richtet. Mit Erfolg! Er erklärt sich bereit, das Geld für die um-
strittenen 7 Eichen zurückzuzahlen. Ende Dezember schreibt der
Landrat : ”’Die Gemeinde Gemmenich hat den Betrag zurückge-
geben.”
Landrat von der Heydt in Eupen hat mit dem Oberförster
Coomans den Teil der Grenze seines Kreises mit dem neutralen
Gebiet untersucht. Darüber berichtet er der Regierung am 23.
Febr. 1867 : (111) ”’Er ist der deutlicheren Bezeichnung dringend
erforderlich.” Die Grenze vom Dreiherrenstein (112) bis zur Lüt-
ticher Str. ist ungefähr 1380 Ruten = 5,19708 km lang. Solange -
sie durch den preußischen und Gemmenicher Preuswald führt, ist
sie deutlich zu erkennen. Das inzwischen gewachsene Unterholz
stört nicht. Vom Moresneter Bittweg an wird sie mehr oder weni-
ger unkenntlich, stellenweise so sehr, daß sie trotz aller Mühe
nicht festzustellen ist. Am südlichen Ende ist sie durch drei
Pfähle, die ungefähr 250 Ruten von einander entfernt stehen,
markiert. Der letzte steht arı der Straße Aachen-Kelmis.”
4. Die Grenze des neutralen Gebietes soll mit Steinen und Stich-
gräben kenntlich gemacht werden.
In dem Bericht heißt es weiter : ’”’Die deutliche Wiederher-
stellung ist dringend erforderlich. Sie darf auch nicht länger ver- ı
29
schoben werden.’” Nach Ansicht des Landrates ist es sehr frag-
lich, ob eine einfache Auslichtung genügt. Das Gebiet ist sehr hü-
gelig. Die Grenze verläuft hier bergauf und bergab. Mit Grenz-
zeichen auf weite Entfernung ist nicht viel erreicht. Die Grenze
muß an jedem Punkt erkennbar sein. Nach seiner Auffassung ist
es viel zweckmäßiger, die Grenze mit Steinen und Stichgräben zu
versehen. Dadurch würde die erste Anlage zwar teuer, auf die
Dauer gesehen aber sparsamer, vor allem immer erkennbar und
dadurch auch sicherer.
Oberförster Coomans ist der Meinung, daß 30 quadratische
Steine zu 2 Fuß Höhe und ein Fuß Seitenlänge sowie 30 Stichgrä-
ben von je 1 Rute Länge genügen. Die Kosten für einen Stein be-
tragen 2 1/2 Taler, für einen Graben 6 Sgr.
Die Regierung möehte wissen, ob die Schneise 1866 noch be-
standen hat. Darauf antwortet Coomans am 8. Januar 1867, (113)
daß sie in den“ jungen Schlägen wieder verwachsen ist. An-
schließend beauftragt die Regierung den Landrat, (114) er möge
sich mit Coomans persönlich von dem augenblicklichen Zustand
der Schneise überzeugen und darüber berichten, ob das Auflich-
ten der Schneise zur Sicherung der Landesgrenze nötig sei und
wie hoch die Kosten etwa sein werden. Die Regierung ist mit dem
Vorschlag der Auslichtung einverstanden, möchte aber noch die
Zusage des belg. Kommissars einholen.
In einem weiteren Schreiben vom 16. März 1867 (115) be-
merkt die Regierung, daß vor 14 Jahren der Antrag von unserer
Seite gestellt wurde, und wir die Kosten allein bezahlt haben. Da
durch das Aufstellen der Steine und die Anlage der Stichgräben
die Grenze für alle Zukunft deutlich bleibt, woran beide Staaten
gleichermaßen interessiert sind, ist es recht und billig, wenn beide
Staaten sich an den Kosten beteiligen.
Wir erinnern uns : Der Landrat von der Heydt von Eupen
machte der Regierung den Vorschlag, (116) die Grenze des neu-
tralen Gebietes mit Steinen zu versehen. Darüber berichtet die
Regierung am 26. Juni 1867 dem Ministerpräsidenten von Bis-
marck - Schönhausen und dem Finanzminister Frh. von der
Heydt in Berlin. Sie schildert noch einmal die Verhandlungen seit
1853. Trotz aller Bemühungen bleibt die Grenze unübersichtlich,
da die ausgelichteten Schläge immer schnell nachwachsen.
Deshalb habe der preußische Verwalter des neutral. Gebietes,
30
Landrat Freiherr von der Heydt in Eupen, den Antrag gestellt,
zur dauernden Bezeichnung der Grenze steinerne Grenzzeichen
mit Stichgräben errichten zu lassen.
Wenige Tage später (118) teilt der Verw.-Kommissar der
Regierung mit, daß auf neutralem Gebiet eine Konferenz stattge-
funden hat. In ihr wurde festgestellt, daß dieselben Übelstände,
wie sie an der Grenze zwischen Preußen und dem neutral. Gebiet
auch an der Grenze des Gebietes gegen Belgien bestehen, wenn
auch nicht in so starkem Maße. Der Landrat hat sich mit dem
belg. Kollegen geeinigt, die gleichzeitige Regulierung beider
Grenzen auf gemeinsame Kosten zu beanträgen. Er bittet die Re-
gierung, beim Finanzminister die Genehmigung der Kosten der *
bisher nur an der diesseitigen Grenze vorgesehenen Arbeiten zu
erwirken. Die Grenze gegen Belgien ist etwas länger als die gegen
Preußen. Dadurch werden die Kosten um 1/4 höher. Die Ge-
samtkosten betragen 180 Taler. Darauf erwidert die Regierung,
daß sie bereits am 26. Juni nach Berlin geschrieben hat.
Wie aus dem Schreiben des Ministers für auswärtige Angele-
genheiten im Einvernehmen mit den Ministern der Finanzen und
des Innern hervorgeht, (119) bestehen gegen die Versteinung der
Grenze des neutral. Gebietes und die dadurch entstehenden Kos-
ten keine Bedenken.
Der Landrat muß mehrere Male an den Bericht über die
° Versteinung der Grenze erinnert werden. Darauf antwortet er am
26. Okt. 1867, (120) daß er trotz mehrfacher schriftl. und mündl.
Mahnung noch keine Antwort erhalten hat. Die erbetene Aus-
kunft kann er schließlich am 15. November (121) der Regierung
mitteilen. Das belg. Gouvernement hat zur Aussteinung der zwei-
seitigen Grenze des neutralen Gebietes seine Zustimmung erteilt.
Der belg. Verwalter .des neutral. Gebietes, Richter Cremer, ist
beauftragt, mit ihm die gemeinschaftl. Ausführung durchzufüh-
ren. Vorerst myß er noch die Zustimmung des Ministers in Brüs-
sel erwirken. Mit dem Oberförster Coomans hat der Landrat sich
davon überzeugt, daß zur Bezeichnung der Grenze gegen Belgien
ebenfalls 30 Steine und 30 Gräben erforderlich sind.
Darauf kann die Regierung dem Minister für auswärtige An-
gelegenheiten mitteilen, daß das belg. Gouvernement nachträg-
lich mit der Versteinung der Grenze zwischen dem neutral. Ge-
biet und Preußen einverstanden ist und die Kosten gemeinsam ge
tragen werden.
31
Die Regierung möchte wissen, ob die bezeichnete Grenze im
Jahre 1867 noch bestanden hat. Darüber fragt sie den Landrat
am 11. Januar 1868. (122) Vierzehn Tage später bejaht er die
Frage und fügt hinzu, daß infolgedessen den drei Gemeinden
auch für 1867 der Betrag von 3 T 13 Sgr 9 Pf noch zusteht.
Inzwischen hat die Verdingung für das Aussteinen der Gren-
ze des neutralen Gebietes stattgefunden. Da aber nur ein Unter-
nehmer anwesend und seine Forderung ”’bedeutend überstiegen”
war, bittet der Landrat um einen neuen Termin in drei Wochen.
Am 10. März 1868 (123) schlägt er der Regierung vor, dem
Mindestfordernden,Franz Schönauen aus Moresnet.die Genehmi-
gung zu erteilen, den Zuschlag aber ihm und seinem belg. Kolle-
gen zu überlassen.
Nun ist es endlich soweit. Nachdem der Minister für Auswär-
tiges zum zweiten Male seine Genehmigung erteilt hat, unterrich-
tet die Regierung den Landrat am 14. März, (124) er möge Liefe-
rung und Aufstellen der 60 Grenzsteine und das Auswerfen der 60
Stichgräben veranlassen. Drei Tage später wird ihm noch einmal
mitgeteilt, daß der Unternehmer Schönauen die Arbeiten zu dem
geforderten Betrag von 184 Talern ausführen soll. In Verbindung
mit dem belg. Kommissar möge er den Zuschlag erteilen.
Ein halbes Jahr später teilt der Landrat der Regierung mit,
(125) daß sich vor kurzem die Kommissare des neutralen Gebietes
mit dem Baumeister Klee wegen der Grenzabsteckung und des
Aufstellens der Steine zusammengesetzt haben. Mit den Arbeiten
wurde sofort begonnen und in einigen Tagen werden sie beendet
sein. Allerdings weist Klee darauf hin, daß die ganze Arbeit keine
bautechnische sondern die eines Geometers sei. Damit ist die Re-
gierung einverstanden.
Kurz danach (126) macht die Regierung den Landrat darauf
aufmerksam, daß in den dem Minister eingereichten Kostenan-
schlägen die Vermessungsarbeiten nicht berücksichtigt sind. Da es
sich nach seiner eigenen Angabe nur noch ”um einige Tage”
handelt, werden die Vermessungsarbeiten nicht so wichtig sein, als
daß sie nicht von dem Kreisbaumeister erledigt werden könnten.
Die Arbeiten sind nahezu beendet, da stirbt der Baumeister.
Der Landrat teilt der Regierung mit, (127) daß er die Vermes-
sungsarbeiten dem belg. Geometer- überlassen mußte. Dadurch
verzögern sie sich. Er befürwortet die Bitte des Schönauen auf
32
Zahlung eines Abschlages. Alle Steine sind fertig. Sie brauchen
nur noch an Ort und Stelle gebracht und aufgestellt zu werden, so
daß ein Vorschuß von 47 Talern ohne Bedenken gezahlt werden
kann. Das belg. Gouvernement hat einen Abschlag in gleicher
Höhe bereits bewilligt.
Die Regierung lehnt den Vorschlag ab. Am 27. Nov. 1868
antwortet sie dem Landrat, ”daß es nicht möglich ist, da die Stei-
ne noch in der Werkstatt des Schönauen liegen, demselben gehö-
ren und zu seiner Disposition bleiben.”
Das Jahr geht zu Ende, ohne daß die Arbeiten fortgeführt
werden. Mit Bedauern muß der Landrat der Regierung am 18.
Jan. 1869 (128) mitteilen, daß die Arbeiten schon seit dem 21.
November ruhen. ”’Die schwerbeweglichen Steine liegen noch bei
dem Schönauen, da das Aufsuchen und Feststellen der Grenzlinie
durch den belg. Geometer, auf den allein ich unter den obwalten-
den Umständen angewiesen bin, bis heute noch nicht erfolgt ist,
obschon die belg. Verwaltung mir mehrfach die Inangriffnahme
zusicherte.””
Der Landrat bezweifelt, ob ohne neue Vermessung die
Grenzlinie genau bestimmt werden kann. Um das zu entscheiden,
hat er mit dem neuen Kreisbaumeister Koppen eine Begehung
der Grenze vereinbart.
Da wieder ein Jahr vorbei ist, bittet die Regierung am 22.
Jan. 1869 (129) den Landrat um Mitteilung, ob die Schneise wäh-
rend des vergangenen Jahres noch bestanden hat, was der Land-
rat am 15. März bestätigt.
Damit steht den drei Gemeinden auch für 1868 die Rente zu.
Die zuständigen Minister in Berlin haben die Zahlung zunächst
auf fünf Jahre befristet. (130) Da sie 1867 abgelaufen ist, bittet
die Regierung am 3. April die Minister, (131) die Zahlung auch
für 1868 zu genehmigen. Mit Schreiben vom 3. Mai wird die Re-
gierung dazu ermächtigt.
Eine erfreuliche Mitteilung kann der Landrat der Regierung
am 23. April 1869 (132) machen. Die Grenze zwischen Preußen
und dem neutral. Gebiet ist ganz ausgesteint. Gerne hätte er das
auch von der Grenze gegen Belgien berichtet. Das ist aber nicht
möglich, weil man dort erst vor einigen Tagen mit dem Abstecken
fertig geworden ist. Dazu teilt der Bürgermeister von Neutral-
Moresnet ihm mit, daß die belg. Geometer sich nach den alten
33
Grenzpfählen, die hier und da noch stehen, aber nicht sehr genau
sind, gerichtet haben. Dadurch ist ein von der geraden Linie
mehrfach abweichender Grenzverlauf entstanden. (132a) Die
westliche und östliche Grenze des neutralen Gebietes müssen
aber gerade Linien sein. Die Arbeiten sind demnach un-
brauchbar. Der Landrat hat seinen belg. Kollegen gebeten, eine
neue Vermessung zu veranlassen.
Die Regierung drängt auf die Erledigung der Arbeit. Darauf
erwidert der Landrat am 13. Juli 1969. (133) Die Arbeiten an der
Grenze des neutral. Gebietes gegen Belgien sind ins Stocken gera-
ten. Die Begradigung ist bis jetzt nicht erfolgt. Ein Versuch blieb
erfolglos, da erst die Entlaubung des Waldes abgewartet werden
muß. Die Bezeichnung der Grenze gegen Preußen ist unter Hin-
zuziehen des belg. Kollegen von der Verwaltung des neutral. Ge-
bietes, dem Richter Cremer, dem Kreisbaumeister Koppen und
ihm abgenommen worden.
Die Regierung möchte wissen, (134) ob durch die Beendi-
gung der Arbeiten an der preußischen Seite die Schneise durch
den Preuswald überflüssig geworden ist und die Zahlung der bis-
her den drei Gemeinden gewährten Rente eingestellt werden
kann. Darauf antwortet der Landrat, daß durch die Versteinung
der Grenze die Schneise nicht mehr beibehalten zu werden
braucht und die Zahlung eingestellt werden kann.
Am 14. Mai 1870 (135) muß Landrat Gülcher von Eupen die
Regierung erneut um Verschieben des Meldetermins bitten. Die
belg. Geometer haben erst jetzt den genauen Verlauf der Grenze
festgestellt. Sofort wurde mit dem Aufstellen der Steine begon-
nen. Immerhin wird es noch 3-4 Wochen dauern, ehe die Arbei-
ten beendet sein werden.
Nach weiteren 7 Wochen - am 4. Juli 1870 kann der Landrat
endlich berichten
”daß die Aussteinungsarbeiten an der Grenze des neutra-
len Gebietes von Moresnet gegen Belgien nunmehr auch
vollendet, am 30. Juni von meinem belg. Kollegen und mir
besichtigt und abgenommen worden sind.”
5. Schlußbetrachtung
Damit ist ein Werk vollendet, daß jahrzentelang die Behör-
den diesseits und jenseits der Grenze beschäftigt hat. Immerhin
hat es seit dem Wiener Kongreß über 50 Jahre gedauert, ehe die
34
deutliche Kennzeichnung des neutralen Gebietes beendet war.
Sicherlich werden alle Beteiligten froh gewesen sein, daß eine gute
und dauerhafte Lösung gefunden wurde. Dauerhaft deshalb, weil
die breite Schneise, in deren Mitte einmal die Grenze verlief,
heute - nach 110 Jahren - im Wald fast auf der ganzen Länge
noch deutlich erhalten ist.
Wie schon eingangs erwähnt, hat das neutrale Gebiet am Ende
des Ersten Weltkrieges aufgehört zu bestehen. Durch den Vertrag
von Versailles vom 28. Juni 1919 (Art. 32) kam Neutral-Moresnet an
Belgien. Erfreulich ist, daß heute noch - nach 60 Jahren - durch die
Schneise und die zum größten Teil noch bestehenden Grenzsteine
die Erinnerung an ein Kuriosum wachgehalten wird, wie es in
Europa kein zweites mehr gegeben hat!
Mögen die kommenden Generationen bei ihren Spaziergän-
gen durch den Wald sich der Bedeutung, die Neutral-Moresnet in
der Geschichte einmal gehabt hat wie auch der geschichtlichen
Entwicklung seiner Grenzbezeichnung immer bewußt bleiben!
Die ganze Anlage ist dem Schutz der Bevölkerung dringend
empfohlen!
6. Der heutige Zustand
Mit der Eingliederung des neutralen Gebietes in das belgische
Königreich hatte die Grenze ihre Bedeutung und die Aufgabe, die
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Der Stein Nr. 1 steht rechts der Aachen-Lütticher Straße, in der Nähe der neuen
Siedlung ”Hof”.
37
Verlauf der Grenze nicht zu erkennen ist. Hier stehen versteckt
die Steine XXXXIII und XXXXII. Anschließend kommt wieder
eine deutlıch sichtbare Schneise, die bis zur Ruhrbrücke reicht.
In ihrer Mitte verläuft ebenfalls ein Pfad, an dem die Steine ste-
hen. Hier finden wir die Steine XXXXV - LI. Jenseits der Ruhr-
brücke steht am Waldrand der Stein LIII. Dann schließt sich
Weideland an. Eta 325 m vom letzten entfernt steht der Stein LV.
Die Steine LVI - LVIIII fehlen. Der letzte Stein LX steht am
Ortseingang in Kelmis, allerdings von Aachen aus gesehen an der
linken Seite der Straße.
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Links der Lütticher Straße steht der Stein Nr. 60.
Dank
schuldet der Verfasser
Frl. Elisabeth Jansen, Dipl. Bibliothekarin im Stadtarchiv
Aachen, für stete Hilfsbereitschaft.
Herrn A. Bertha, Hergenrath, der ihm mit Rat und Tat zur Seite
stand.
Herrn H.J. Spicher, Aachen, der die Fotos der Grenzsteine
besorgte.
38
Quellen und Anmerkungen
92) Hunger hatie die Sachen in Vaals eingekauft und auch Waren bei sich, die
zollfrei waren.
93) HS1ıAD 6678, fol 272
94) Siehe die beigefügte Skizze!
95) Hier irrt Grund. Die Grenzlinie ırenni das neutral. Gebiet nicht von
Preußen, sondern von Belgien.
Zur Sache : Die Wareneinfuhr von Belgien und Preußen in das Neutrale
Gebiet war zollfrei, nicht aber aus den Niederlanden.
96) HSıAD 6679, fol 60
97) Ebenda „fol 76
98) Siehe Anmerkung 75 zu 6676/91
99) HSıAD 6679, fol 191
100) Ebenda ; 401231 .
101) Ebenda fol 242
102) HSıAD 6680, fol 26
103) Ebenda 5, 160159
104) Zwischenpfähle
105) HStAD 6680, fol 77
106) Ebenda „fol 86
107) Ebenda „fol 89
108) Ebenda „fol 152
109) HSıAD 6681, fol 41
110) Ebenda „fol 105
111) Ebenda 4.01 315
112) Heute verschwunden
113) HStAD 6681, fol 301
114) Ebenda „fol 302
115) Ebenda „fol 317
116) Siehe Anmerkung 111 zu 6680/315
118) Ebenda A orSE
119) Ebenda "fol 60
120) Ebenda „20197.
121) Ebenda „fol 120
122) Ebenda ‚ 101 135
123) Ebenda ‚fol 143
124) Ebenda „fol 144
125) Ebenda ol 212
126) Ebenda „fol 213
127) Ebenda „fol 218
128) Ebenda „fol 226
129) Ebenda 3108232
130) Siehe Anmerkung 105 zu 6680/77
131) SıAD 6683 ‚, fol 234
132) Ebenda ‚fol 235/36
132a) Siehe dazu Abschnitt 3.5
133) HStAD 6683, fol 259
134) Ebenda ‚fol 261
135) Ebenda „fol 297
136) Siehe : F. Pauquet : ”Grenzsteine mir Burgunderkreuz im Preuswald” in
"Im Göhltal”, Nr. 22, S. 12
137) Ebenda ‚8. 3
39
. ° .
Die ”’Herrlichkeit”” Eynatten
von Walter Meven
Die Zeit, in der Eynatten als selbständige Herrschaft bestand,
war, wie wir bereits gesehen haben, geradezu von Kriegen über-
schattet. Sie war gleichsam ein schlechtes Omen für ihren Fortbe-
stand, aus der Not der Kriege entstanden. Die Machtpolitik der
großen Monarchen führte in Europa zwischen 1670 und 1720 zu
einer Reihe großer Kriege, in denen Entscheidungen fielen, die über
Jahrhunderte hinaus gewirkt haben : Frankreich versuchte eine europäi-
sche Hegemonie zu entfalten, scheiterte aber an der Haltung Englands,
das sich auf die Seite des ”Zweitstärksten” stellte, um damit eine
französische Vorherrschaft zu verhindern und das ”europäische
Gleichgewicht” herzustellen. Die Engländer entwickelten in dieser
Zeit die Grundsätze ihrer europäischen Politik. Frankreich verleibte
sich das alte Reichsland Elsaß ein; Lothringen kam 1666 an Frank-
reich, was 1871 das neue deutsche Reich bewog, diese Länder dem
Reich wieder einzugliedern. Alle diese Ereignisse wirkten bis ins 20.
Jh. verhängnisvoll nach.
Rußland wurde in diesen Kriegen eine europäische
Großmacht, indem es sich bis an die Ostsee ausdehnte.
Österreich gewann ebenfalls im Osten eine Vormachtstel-
lung, die im 20. Jh. zum ersten Weltkrieg führte.
Ludwig XIV. erhebt bei der Thronbesteigung seines unmündi-
gen Schwagers Karls II. Ansprüche auf das spanische Belgien und
marschiert in Belgien ein. Er muß vor den verbündeten Heeren der
Engländer, Holländer und Schweden zurückweichen, erhält aber
beim ”Aachener Frieden” von 1668 eine Anzahl flandrischer Fe-
stungen zugesprochen.
1673 bringt der holländische Statthalter Wilhelm von Oranien
eine Koalition gegen Ludwig XIV. zustande, der Holland, das Reich
und Spanien angehören. Frankreich erreicht dennoch im Frieden
von Nymwegen im Jahre 1678 die Abtretung Freiburgs und der
Freigrafschaft Burgund.
Am Oberrhein sind die Unternehmungen Ludwigs ebenfalls
erfolgreich. Nach der Inbesitznahme von Teilen Lothringens im
40
Jahre 1670 läßt er durch sogenannte Reunionskammern, die mit
französischen Richtern besetzt sind, im Auftrage des Königs ent-
scheiden. Sie erklären das Elsaß als französisches Gebiet. Straßburg
wird im Jahre 1681 durch einen Gewaltakt französisch.
Der im Jahre 1688 begonnene Krieg wurde von Ludwig zum
Erwerb der Pfalz geführt. Dieser sogenannte ”Pfälzische Erbfolge-
krieg” endet mit einem Mißerfolg für Ludwig. England, Holland,
das Reich, Spanien, Schweden und Savoyen vereinigen sich und
verlangen beim Frieden von Rijswijk im Jahre 1697, daß der franzö-
sische König seine Unternehmungen abbricht.
Die französischen Übergriffe im Westen bleiben infolge der
Türkenkriege, in denen sich Kaiser Leopold I. mit seinen Heeren befin-
det, zunächst ohne wirksame Gegenwehr. Zwangsläufig wurde
unsere engere Heimat ein Heerlager vieler Kriegsvölker. Einquartie-
rungen, Kontributionen, Hilfsdienstverpflichtungen, wie Vorspann-
dienste und Befestigungsarbeiten, sollten ein hartes Los unserer
Vorfahren werden. Stellvertretend für alle anderen Quartiere soll
hier einmal eine Aufstellung von Kriegslasten der Ortschaft Eynat-
ten abgedruckt werden, die wir unter vielen anderen diesbezügli-
chen Akten im Staatsarchiv Lüttich fanden.
Die Schadensliste enthält eine Zusammenstellung der Schäden,
die den Einwohnern durch Lüneburger Truppen unter der Führung
des Obersten Noyelle vom 17. auf den 18. August 1695 entstanden
sind :
Am 22. August 1695 gaben die geschädigten Eynattener Bürger vor
den Bürgermeistern, Jan Hafenit und Herman Kessel folgende Er-
klärung ab :
Erstens erklärt Petter Wilt durch den Obersten und 15
Knechte und 39 Pferde an Wein, fetten Schafen, Heu, Gerste,
Essen und Trinken, abgemähten Wicken und anderem einen Schaden
erlitten zu haben von 40 Pattacons ..........................4.0.04+.., 160-0-0 (1)
Lambert Lamberts erklärt durch den Leutnant mit 12 Knechten,
einer Frau und 19 Pferden an Essen, Trinken, Heu, Wicken und
abgeschnittenem Korn sowie einem fetten Hammel, Butter und
Käse einen Schaden erlitten zu haben von 25 Pattacons ........ 100-0-0
Lambert Scheffer erklärt durch den Kornett (d.i. der jüngste Offi-
zier einer Schwadron, der die Fahne trug) mit 3 Knechten und 6
(1) 1 Pattacon = 4 Gulden Limburger Währung
41
Pferden des Herrn Majors an Essen und Trinken und Heu und Wik-
ken, zwei fetten Schafen, zwei Hühnern, Speck und Butter und Bier, sowie
einer ”Scharts” (= Wolldecke) einen Schaden von insgesamt 33 Gulden, 3
Stüber und 2 Ort erlitten zu haben................4.4...0ereer 440 33-3-2
Die Wwe Franckeir erklärt durch einen Major mit 6 Knechten und
zwölf Pferden einen Schaden erlitten zu haben von 66 Gl, 3 St, 3
Ort. Sie beklagte den Verlust von Heu und Kleie und Korn. Einen
fetten Hämmel, 2 Kücken, 2 Pfund Butter und Käse und 26 Kan-
nen Bier hatten die Soldaten ”mitgehen” lassen.
Bei (...) Thomma quartierte sich ein Rittmeister mit 8 Knechten und
12 Pferden ein. An Essen und Trinken, Heu, Wicken und Kleie
ergab sich ein Schaden von 62 Gl.
Geill Keutgen erklärt durch einen Rittmeister mit 5 Knechten und
10 Pferden an Essen, Trinken und Butter für die Pferde sowie einem
Schweinskopf, 2 Hühnern, 2 Pfund Butter, 5 Käsen, 1 Brot und 3
Pattacons in bar einen Schaden erlitten zu haben von..............54-9-3
Frederick Lamberts erklärt durch einen Leutnant, den Feldgeistli-
chen, einen Feldscher, 4 Knechte und 6 Pferde an Essen und
Trinken, Heu und Kleie, einem Pfund Butter, 2 Käsen und 1 Huhn
einen Schaden von insgesamt 23 Gl, 12 St erlitten zu haben . 23-12
Steffen Elssen erklärt durch einen Rittmeister, einen Quartiermei-
ster mit 7 Knechten, eine Frau und eine Magd mit einem Kind desRitt-
meisters sowie 11 Pferden einen Schaden von 54 Gl und 18’St erlitten zu
haben; außer Essen und Trinken und Pferdefutter kostete ihn die Ein-
quartierung einen fetten Hammel, drei Käse und 1 Pattacon in bar.
Simmont Gubbell erklärt einen Leutnant, einen Kornett, 5 Knechte
und 8 Pferde aufgenommen zu haben, die bei ihm für Essen und
Trinken und Pferdefutter sowie 2 Schinken und für eine Fahrt nach
Eilendorf mit zwei Pferden mit dem Kornett eine offene Rechnung
von 49 Gl, 9 St und 3 Ort hinterließen................00..4000000044444000149-9-3
Hendrich Radermecker erklärt durch einen Kornett mit Frau und
Magd und 4 Knechten und 9 Pferden an Essen und Trinken und
Pferdefutter sowie einem Schinken und 8 Käsen für 18 Gl, 14 St
geschädigtworden Zuseim. Adaskl. 5b. be tat N8:14
Jan Haffeneit erklärt Schaden erlitten zu haben durch den Regi-
mentsquartiermeister mit drei Knechten und dem Adjutanten und 8
Pferden an Essen und Trinken und an dem, was die Kompanie be-
schädigt Baterabern nun. AO
Willem Voegell erklärt durch einen Quartiermeister mit drei Rei-
tern und 4 Pferden an Essen und Trinken und Heu für die Kompa-
nie Schaden erlitten zu haben in Höhe von 12 Gl.....................12-0-0
42
Labe Franckeir erklärt durch einen Leutnant mit 8 Mann und 8
Pferden an Essen und Trinken und Futter für die Pferde sowie son-
stiges geschädigt worden ZU SEiN..............400.0000000000000000000004400424-0-0
Die Witwe Haussman erklärt Futter für 6 Pferde gegeben zu haben.
Aus dem Haus habe man ihr für 6 Gulden mindestens mitgenom-
men und sie habe noch ein Huhn und 1 1/2 Pf Butter mitgegeben.
Derrich Schreur und Willem Raedermecker erklären Schaden erlit-
ten zu haben in Höhe von 14 Gl und 10 Stübern. Einem bei der
Wwe Haussman einquartierten Leutnant mit drei Knechten hatte
er Essen und Trinken und zwei Pattacons an Geld geben HA00
... erklärt durch den Wachtposten an Essen und Trinken geschädigt
worden zu sein. Dem Rittmeister, der bei Geill Keutgen logierte, hat
er'S Gulden geben Müssen Leere AEELN8-O-0
Nellis Offermann erklärt, der Wache vier Bunde Heu, zwei Pfund
Butter, einen Käse und 1 1/2 Brot geliefert zu haben..................3-9-0
Außerdem ist er zwei Tage weggewesen, um die Kuh zu leiten, die
die von Hauset geliefert haben... 20-0
Hermann Haussman erklärt durch einen Kornett mit einem Quar-
tiermeister und 7 Knechten und 8 Pferden an Essen und Trinken
und Pferdefutter und anderem einen Schaden von insgesamt 22 Gul-
den ieh ZU Habe RAU ERAT ME R 2RO0
Jan Haussman erklärt einen Schaden für Essen und Fourrage von 4
Conne Deris war zwei Tage mit, die Schafe zu leiten .................. 2-0-0
Der Herr Pastor erklärt durch eine Kompanie, die auf seinem Hof
gelagert hat, einen Schaden von insgesamt 16 Gl erlitten zu haben.
Die Wwe Geill Scheffer erklärt einen Schaden von 2-0-0.
Willem Gubbel der Schmied erklärt in der Schmiede an Eisen und
Kohle für 20 Gulden Schaden gehabt zu haben........................20-0-0
Holpert Lamberts erklärt zweimal nach Münster
(=Kornelimünster) und in der Nacht nach Aachen und Cappell
(=Henri-Chapelle) gewesen zu sein, macht zusammen........4 Gulden
Frans Franssen erklärt an Heu und anderem für 12 Gl geschädigt
WOrAENTZU SCHERER DD 8 A200
Gillis Keursgen erklärt an Heu und Essen und anderem einen Scha-
den in Höhe von 16 GE DR NER. HR 0-00
Jan Momber erklärt den Schaden an Essen und weggenommenen
Hühnern,. zusammen... 027.20 RN
43
Simmont Scheif wurden acht Bunde Heu und anderes genommen.
Sein Schaden belief sich auf... 410-0
Hermann Kessell rechnet für Heu und Essen........................... 10-0-0
Jacob Keutgen lieferte Heu und Stroh und war zwei Tage nach
Cappell; macht zusanimenz2. lack. aab. DAMEN -O
Petter Haussman erklärt einen Schaden von 16 Gulden erlitten zu
haben für 3/4 ”Schoff” und anderes #123. ZEN. 160-0
Hobpert Keutgens Schwester erklärt für Essen und anderes einen
SCAN A te el
Hobpert Keutgen der Alte erklärt an Stroh geschädigt worden zu
Mattheis Becker machte eine Fahrt nach Aachen für die Soldaten
und lieferte Holz. Macht zusammen 1 Gulden. Außerdem nahmen
sie ihm einen ”Schom” (?) im Werte von 3 Gulden. Macht.........4-0-0
Dommis Panckert erklärt an Essen geschädigt worden zu sein für 1
Willem Kerris lieferte an den Obersten 3 Faß Korn.................3-10-0
Die Wwe Temmerman erklärt an Essen einen Schaden von 1 Gl
und. 7 Stübern erlitten zu Babe 170
Jan Kersten erklärt einen Schaden von (nicht angegeben)
Dommis Pelser erklärt Schaden erlitten zu haben durch den Tot-
schlag eines Rindes, eine neue ”Saldecken” und anderes. Zu-
AD A TON
Derrigh Pelser mußte zwei Tage lang die Soldaten begleiten, um die
SCHATE ZU TEE erg EL Li MER ÄRA TEL ANESETRFEET ES NEN
Mattheis Lamberts gibt für Essen und Bargeld einen Schaden von 4
Gen 3 SEEN A ee
Steffen Born hat die Soldaten nach Raeren und anderswohin beglei-
LESER ı VERTRETEN
Frederick Lamberts mußte einmal für die Soldaten nach Raeren.
Weinand, Eidam von Derrigh Pelser, mußte mit seinem Pferd und
einem Reiter nach Beaufays. Für ihn rechnet man 1 Gulden, für das
PIE MC ON
Labee Franckeir mußte drei Tonnen (Fässer) Bier im Brauhaus
(”Panheuss”) holen und sie der Kompanie bringen . 0-10-0
Außerdem verlange Jan Janssen für eine Fahrt nach Aachen in der
ZT ET at AM EI Fee EIER EAHE BEER ALU
Peter Haussman begleitete einen Soldaten nach Kornelimünster,
um ein Pferd, das verloren war, zurückzuholen........................0-10-0
Claes Wein (?) hat Schaden an Essen erlitten und mußte in der
Necht zu Pferd nach Wales tree re er EERAEN ERSTER EEE LU
44
Desgleichen hat er 15 mal Vorspann geleistet und ist nachts ausge-
blieben;
Rennert Tomma hat den Karren, den man ihm weggenommen
hatte zurückgeht bee NO
Willem Kerris machte in der Nacht einen Ritt zu Pferd nach Wal-
horni‘Hauset und‘Raeren de RA 0-0
Die Wwe Joh. Baeyer erklärt an Schaden für Essen und für das,
was man ihr aus dem Haus mitgenommen hat, 2 Gulden.
Ob die Verluste und Schäden den Eynattenern ersetzt worden
sind, ist nicht bekannt. Vermutlich sind sie bei der Steuereintrei-
bung berücksichtigt worden.
50 Schadenserklärungen bzw. Ersatzansprüche wurden abge- |
geben. Wir können davon ausgehen, daß damit fast die gesamte
Ortschaft betroffen war und daß höchstens einige wenige weit ablie-
gende Höfe von Einquartierungen verschont blieben. Für den
Eynattener Geschichtsfreund ist darüber hinaus die Namenliste von
einigem genealogischem Interesse. ‘
45
Erkennen
von Leonie Wichert-Schmetz
Im Gasthof in der Heimat
Kommt ein kleines Kind
Zwischen den Gästen her
Und nickt mir zu.
Die lieben Züge seines Angesichts
Sind mir wohlbekannt,
Als wäre es mein eignes Enkelkind.
Doch sah ich’s nie.
Es reicht mir gar die Hand.
Ich bin zu Haus nach langer Zeit,
Ich bin daheim in meinem Heimatland,
Wo meine Wurzeln sind.
Entsproß aus gleichen Wurzeln dieses Kind ?
Ich frage, wer es ist,
Und bin nicht sehr erstaunt :
Des Vaters Schwester war Urahne diesem Kind.
Es trägt die Züge dieser schönen Frau
Und ruft vergang’ne Zeiten mir zurück.
Sie starb, eh’ ich geboren war.
Im Album fand ich dann ihr Bild.
Und sah es oft und meinem Geist
Prägt ich die Züge ein
Und ich behielt sie ganz genau.
Und fand sie in dem Kind verkörpert nun.
So bin ich heut’ zu Haus.
In früher Zeit erleb’ im Geist das Glück
Das damals mein
Im Elternhaus, in Elternhut,
Im schönen Park im reichen Gut,
Das damals noch ihr Eigen war.
46
Die Notlage der Bank Walhorn sowie
der Orte Lontzen und Gemmenich
gegen Ende des 17. Jh.
von Alfred Bertha
In belgischen Geschichtsbüchern wird das 17. Jh. häufig als
das ”siecle de malheur”, das ”Unglücksjahrhundert’” bezeichnet. N
Und zu Recht. Die geographische Lage unserer Provinzen machte
sie zum bevorzugten Schlachtfeld Europas. Landwirtschaft, Han-
del und Industrie lagen darnieder, die Bevölkerungszahl ging
zurück. Bettler und Räuberbanden durchzogen das Land, das
von den eigenen Truppen genau so ausgeplündert und drangsaliert
wurde wie von denen der Feinde. Franzosen, Holländer, Spanier,
Deutsche : sie alle preßten aus der Bevölkerung heraus, was nur
herauszupressen war.
Der Dreißigjährige Krieg (1618-48) hatte für die südlichen
Niederlande erhebliche Gebietsverluste zu Gunsten der Vereinig-
ten Nordprovinzen zur Folge. Die Schließung des Antwerpener
Hafens war für die ”’belgische”” Industrie soviel wie der Todes-
stoß.
Spanien und Frankreich blieben auch nach dem Westfäli-
schen Frieden im Krieg. Und die französischen Garnisonen von
Luxemburg und Thionville (Diedenhofen) überzogen mehrmals
auch das Walhorner Land mit Krieg und Verwüstung. Steuern
und Kriegsabgaben führten zu immer höher werdender Verschul-
dung der Dorfgemeinschaften.
Als die Walhorner, Lontzener und Gemmenicher keinen
Ausweg mehr aus ihrer Misere sahen, wandten sie sich direkt an
König Karl II. (1661-1700) mit der Bitte, ihnen einen Zahlungs-
aufschub ihrer Schulden zu gewähren.
Sie berufen sich dabei auf einen zu ihren Gunsten i.J. 1687
getroffenen königlichen Entscheid. Dieser ”’Reglement’” genannte
Entscheid liegt uns in einer Abschrift des Walhorner Notars W.
Meessen vor. Auch die Antwort des Königs auf die genannte
Bittschrift ist abschriftlich erhalten geblieben. (1)
47
Die Eingabe der Bittsteller, die Antwort König Karls II.
und das Reglement von 1687 sind wertvolle Zeitdokumente, die
ein grelles Licht auf jene dunklen Jahrzehnte des ausgehenden 17
Jh. werfen.
Einige Archivdokumente mögen abschließend die Lage noch
zusätzlich illustrieren.
1. Die Bittschrift an den König
”Die verbleibenden armen und bedauernswerten Einwohner
der Bank Walhorn im Lande von Limburg sowie ihre Nachbarn,
die Einwohner von Gemmenich und Lontzen, weisen untertänigst
auf ihre mißliche Lage hin : das Land ist kalt, der Boden
unfruchtbar und undankbar, wie sehr man ihn auch bearbeitet.
Darüber hinaus ist das Gebiet sozusagen ein Korridor nach
Deutschland. So kommt es, daß die vön dort in Richtung Maas
ziehenden Hilfstruppen beim Durchgang durch die Provinz
Limburg angesichts der großen Ausdehnung selbiger dort lagern
müssen. Seit Menschengedenken ist dies so und während dieses
Krieges, als die Stadt und das Herzogtum Limburg dem Herzog
von Lothringen für 500.000 Florins verpfändet waren, ist das
Gebiet vollständig durch die Truppen ruiniert worden, so daß, als
die Stände dieser Provinz beschlossen hatten, das genannte
Kapital von 500.000 Florins zurückzuzahlen, die Rentmeister aus
den genannten Dörfern, wo sie normalerweise ein sechstel des
Geldes hätten aufbringen sollen, keinen einzigen Heller haben
ziehen können. So waren die Dörfer gezwungen, die gesamte
Summe zu doppelt hohen Zinsen zu leihen. ®
Die Dörfer (der Bank Walhorn + Gemmenich + Lontzen)
glaubten anschließend doch, aus dem Labyrinth, in dem sie sich
befanden, herauszufinden, als in den Jahren 1656-1659 so
schwere Wintereinquartierungen und so gewaltige Abgaben an
die Garnison von Thionville (Diedenhofen/Lothringen) ihnen
auferlegt wurden und Brände ihr Land verheerten, daß sie, um
die Zinsen der vorher geliehenen‘ Gelder zu zahlen, neue große
Summen aufnehmen mußten. Der eine oder andere hat ihnen
dieses Geld geliehen in der Hoffnung, daß es ihnen wieder besser
gehen würde, aber weit davon entfernt, kam i.J. 1668 der Herzog
von Luxemburg mit 24.000 Mann in die Bank Walhorn, wo er
sein Heerlager aufschlug. Er blieb solange, bis die ganze Provinz
48
Limburg mit den Gebieten von Valkenburg und Klosterrath sowie
dem Lande von Gueldern ihre Kontribution entrichtet hatte. Die
bedauernswerte Bank Walhorn blieb von dieser Kontribution
nicht verschont, sondern mußte sich zur Zahlung von 1000
Pistolen verpflichten. Als die genannte Armee sich zurückzog,
ließ sie die gesamte Bank in einem Zustand erbarmenswerter
Verwüstung und von der Seuche (= der Pest?) infiziert. (2)
2/3 aller Einwohner verließen daraufhin ihre Heimat. Wäh-
rend mehrerer Jahre blieb das Land unbebaut, .die noch verblei-
benden Gebäude fielen in Trümmer. Erdrückt von einem riesigen
Schuldenberg und ohne Kredit, sahen sich die Einwohner der
Willkür der Gläubiger ausgesetzt, deren Exekutoren (= Gerichts- ;
vollzieher, Pfändungsbeamte) alles Geld, das die Dörfer aufbrin-
gen konnten, an sich rissen. Die Zinsen blieben noch immer zu
zahlen. Als dann der Krieg i.J. 1673 wieder auflebte (3) und bis
etwa 1685 dauerte, waren die genannten Dörfer nicht imstande,
die ihnen auferlegten Kontributionen zu zahlen. Sie hatten
nirgends Kredit. So wurden sie zum großen Teil von den Feinden
in Brand gesteckt (4). Die wenigen Einwohner, die noch zurück-
geblieben waren, lebten kümmerlich weiter bis gegen 1687,
immer der Willkür der Exekutoren ausgesetzt, die alles, was die
Einwohner besaßen, an Einzugskosten ausgaben. Die Pfändungs-
beamten drangsalierten die Menschen.in Friedenszeiten genauso
schlimm wie die Feinde im Kriege. So kam es, daß die Einnehmer
der königlichen Steuern (”aydes ä Sa Majeste””) diese nicht
erheben konnten. Um diesem Mißstand abzuhelfen, entsandten
Ihre Majestät Ende 1686 den Hrn. van Dijck, Mitglied des Rates
von Brabant, der, nachdem er sich an Ort und Stelle gehörig
umgesehen und informiert hatte, feststellen mußte, daß es den
Leuten unmöglich war, gleich wem auch nur einen Heller zu
zahlen, wenn man sie weiterhin wie bisher den Exekutionen der
Gläubiger ausgesetzt ließ. Auf seinen Bericht hin ordneten Ihre
Majestät persönlich, von Mitleid gerührt, an, daß die genannte
Bank für sechs Jahre von der Hälfte der Steuern befreit bleibe.
Gleichzeitig wurden die Gläubiger gehalten, sich mit der Zahlung
der Hälfte der Rente alle neun Monate (5) zufriedenzugeben.
Alle Exekutionen für rückständige Zahlungen wurden aufgescho-
ben bis zum Ende der genannten Frist. Danach wurde diese
Vergünstigung bis auf den heutigen Tag verlängert; im nächsten
Monat Juli geht die letzte Frist zu Ende. (6) Da nun aber infolge
49
der unglücklichen Kriegsereignisse die Leute durch das Hin und
Her der Truppen Jahr um Jahr ruiniert worden sind, so z.B. im
Jahre 1690, als der General Flodorp mit seiner Armee durch die
Bank zog, dort mehrere Tage lagerte und sie ganz und gar
verheerte; 1692 wurden während 10-12 Tagen sämtliche Soldaten
der gleichen Armee, die in unserer Provinz den Winter verbrach-
ten, in die Bank Walhorn in die Etappe geschickt : es waren 4
Brandenburger Regimenter, und zwar 2 Infanterieregimenter, ein
Kavallerieregiment und ein Regiment Dragoner mit ihren Gene-
ralstäben. Daraufhin warfen sich die Einwohner der Bank Ihrer
Hoheit zu Füßen und flehten um Gnade und Hilfe. Sie zweifeln
nicht, daß Ihre Hoheit noch in Erinnerung hat, daß die Truppen
aus Hessen, Hannover und andere in Stärke von ungefähr 24.000
Mann, zum größten Teil Reiterei, im letzten Monat August in der
Bank Walhorn gelagert und fouragiert haben und alles, was die
Einwohner für ihren Unterhalt gesammelt hatten, mitgenommen
haben (7). So sind letztere noch weniger als vorher in der Lage,
ihren Gläubigern die rückständigen Renten zu zahlen. Sie müssen
unweigerlich alle das Land verlassen, wenn nicht vorgebeugt wird,
umso mehr, als gewisse Gläubiger sich rühmen, Mittel gefunden
zu haben, um die genannte Bank zu drangsalieren und die Leute
zum Unmöglichen zu zwingen. Es ist nicht gerecht, daß der eine
mehr begünstigt werde als der andere; die Leute sind bereit,
jedem das gleiche zu zahlen und bitten Ihre Hoheit untertänigst,
aufgrund der obenstehenden Erklärungen und der Erklärungen
der Ständeversammlung, sich durch einen Kommissar des Rates
von Brabant über die Lage der Bank Walhorn informieren zu
lassen und anschließend die Höhe der Steuern und Abgaben für
die Bank neu festzusetzen sowie die Zahlung der den Gläubigern
geschuldeten Gelder neu zu regeln.
Im Falle, wo weitere Erkundigungen eingeholt würden,
bitten sie (= Bewohner der Bank Walhorn, Gemmenich und
Lontzen) alle Exekutionen bei ihnen und bei ihren Bürgen
auszusetzen ... 3
2. Die Antwort König Karls II. Dieselbe ist uns in einer
Abschrift des Walhorner Gerichtsschreibers J. Heyendael erhal-
ten. (8)
50
Der König erinnert daran, daß er im März 1687 nach dem
Bericht seines inzwischen verstorbenen Beraters Van Dijk ange-
ordnet habe, die notleidende Bevölkerung von Walhorn, Lontzen
und Gemmenich 6 Jahre lang bevorzugt zu behandeln, um
diejenigen, die ihre Heimat verlassen hatten, zur Rückkehr zu
bewegen. Kaum aber hätten die Bewohner besagter Orte die
Auswirkungen dieses Erlasses gespürt, als sie aufs neue durch
außerordentliche Kriegsabgaben und Belastungen ins alte Elend
zurückgeworfen worden seien, so daß sie nun noch mehr außer
Stande waren, die in gen. Anordnung auferlegten passiven Renten
zu zahlen. ”’’Man sah schließlich,” so heißt es wörtlich, ”’ein kleines
Dorf nicht nur von Brand, sondern auch von 10 bis 12 Pfändern E
mit ihren Gehilfen bedroht. Dadurch wären Wir selber um den
noch verbleibenden Ertrag der Renten gekommen und auch die
Gläubiger hätten durch die Verwüstung der Häuser und Güter
ihre Renten eingebüßt, wenn Wir nicht am 1. August 1690 einen
dreimonatigen Aufschub aller Exekutionen in der Bank Walhorn
angeordnet hätten ...”
Nach Ablauf der Dreimonatsfrist sei die Bevölkerung jedoch
weit davon entfernt gewesen, ihre Schulden begleichen zu können
und habe erneut um Aufschub bitten müssen. Da ein Großteil der
Einwohner von Walhorn, Lontzen und Gemmenich das Gebiet
seit mehreren Jahren schon verlassen habe, die leerstehenden
Güter infolge des Krieges brachlägen und darüber hinaus die
Franzosen ungefähr die Hälfte der Bank Walhorn sowie das
gesamte Dorf Gemmenich eingeäschert hätten, habe er regel-
mäßig Zahlungsaufschub gewährt; dies auch in Erwägung der
Tatsache, daß durch das Hin und Her der Truppen, die
Einquartierungen, das Fourragieren, die Pionierarbeiten, die
Lieferungen von Wagen und anderen Lasten wiederum eine große
Anzahl von Einwohnern das Land verlassen habe und daß das
Dorf Rabotrath, das ein Zehntel der Bevölkerung der Bank
Walhorn stellte, vollständig verlassen daliege, wodurch die Lasten
der übrigen Dörfer über Gebühr angestiegen seien.
König Karl schreibt, um zu verhindern, daß die gesamte
Bevölkerung das Gebiet verlasse, habe die Regierung regelmäßig
Zahlungsaufschub gewähren müssen, zuletzt für eine Dauer von 2
Jahren am 17. Juli 1693. Die Schuldner mußten alle 3 Monate die
Hälfte des Kanons (8a) zahlen. Doch das Elend wuchs, der Krieg
verheerte das Land, die Bauern ernteten nicht mehr selber, Geld
51
besaßen sie keines. Die noch stehenden Gebäulichkeiten mußten
im Interesse des Königs und der Gläubiger vor Brand geschützt
werden. Wenn die noch verbleibenden Bewohner ebenfalls zum
Wegzug gezwungen würden, heißt es im königlichen Antwort-
schreiben, bedeute dies für den König den Verlust der ”’aides””
und anderer Abgaben; und auch die Gläubiger kämen um ihr
Geld.
Auf die Bitte der Bewohner von Walhorn, Lontzen und
Gemmenich, bis zum Ende des Krieges oder wenigstens für die
Dauer von 12 Jahren von jeglicher Zahlung verschont zu bleiben,
sowie auf ihr Versprechen, jedes Jahr den halben Kanon zu
j zahlen, sieht sich der König bewogen, der Bitte für eine Dauer
von weiteren 2 Jahren stattzugeben. Alle neun Monate jedoch
sollen die Bittsteller die Hälfte des Rückstandes eines Jahres
zahlen.
(Gegeben zu Brüssel, am 19. Juli 1695)
3. Das Reglement von 1687 (9)
Ende 1687 entsandte König Karl II. einen seiner Berater,
den Herrn van Dijk, Mitglied des Rates von Brabant, ins
Walhorner Land, damit dieser sich an Ort und Stelle über die
Notlage unseres Gebiets informiere und dem Könige dann Bericht
erstatte. Auf diesen Bericht hin erließ die Regierung am 11. März
1687 ein 16 Punkte umfassendes ”’Reglement’”’, wodurch eine
regelmäßige Einziehung der Steuern gewährleistet werden sollte.
Einleitend (Punkt 1) heißt es in dem ”Bij den Coninck”
betitelten Dokument, daß die ”guten Einwohner der Hochbank
Walhorn, des Dorfes von Gemmenich und der Herrschaft
Lontzen” in den jüngsten Kriegen durch den Feind besonders
hart behandelt worden seien. Durch Brand, unerhört schwere
Exekutionen und exzessive Kontributionen seien die Menschen
soweit gebracht worden, daß es ihnen unmöglich sei, sowohl ihre
Schulden, wie die ”’Bede” und Abgaben pünktlich zu bezahlen
bzw. abzuliefern. Diese Unmöglichkeit nehme durch die Exeku-
tionen der privaten Gläubiger noch ständig zu. Dadurch würden
die Untertanen zum Verlassen des Landes getrieben. So habe er
sich auf den Rat seines sehr lieben und getreuen Statthalters
Francisco de Agurto bewogen gefühlt, zum Schutz der vorgenann-
ten Untertanen folgendes Reglement zu erlassen :
&2
2/ In jedem Dorf der Bank Walhorn sowie in der Herrschaft
Lontzen und in dem Dorf Gemmenich sollen mit Stimmenmehr-
heit 2 Männer unter den geeignetsten und begütertsten gewählt
werden; während zwei Jahren sollen diese Männer sich um alle
aufkommenden Lasten kümmern und die Interessen der Dörfer
wahrnehmen. Sie sollen bei der Festsetzung aller Steuern sowie
bei der Rechnungsführung behilflich sein.
Einer der beiden soll in der allgemeinen Bankversammlung
sein Dorf vertreten und dort Stimmrecht haben; bei Abwesenheit
eines Dorfvertreters dürfen die Anwesenden abstimmen, ohne
sich um die Meinung des Abwesenden zu kümmern. Die beiden
gewählten Männer sollen den geforderten Eid in die Hände des
örtlichen ”Offiziers’’ ablegen. Nach zwei Jahren werden zwei neue
Männer als Dorfvertreter gewählt.
3/ Von nun an soll jährlich in jedem Dorf ein getrenntes
”Seibveck’”” (Schatzbuch, Steuerbuch) angelegt werden zwecks
Eintragung der zur Zahlung der Renten notwendigen Gelder.
4/ Die Einnehmer des Schatzes, d.h. der Steuern, sollen diese
zeitig eintreiben, und zwar sollen sie allwöchentlich dienstags und
freitags’ von Haus zu Haus gehen und die fälligen Steuern
kassieren. Zahlungen müssen innerhalb der festgesetzten Frist
geschehen; alle Unkosten einer Zwangseinziehung und alle durch
die Nachlässigkeit des Einnehmers entstehenden Kosten sollen zu
Lasten des Letzteren gehen.
5/ In jedem Dorf soll auch alljährlich ein ”’Setboeck’” der
Quoten an ”Beden” und Abgaben für den König angelegt
werden. Die Einnehmer sind gehalten, diese Abgaben gleichzeitig
mit den anderen Steuern einzuziehen. Zwangseinziehung geht zu
Lasten des Einnehmers.,
6/ Die Kosten einer Exekution sollen nicht mehr wie bisher auf
die gesamte Dorfgemeinschaft abgewälzt werden, sondern nur
den säumigen Zahler treffen.
7/ Die Einnehmer sind verpflichtet, einmal jährlich den Behör-
den und den beiden gewählten Dorfvertretern öffentlich Rechen-
schaft über ihre Einnahmen zu geben, nachdem dies vorher an
einem Sonntag, nach Ausgang des Hochamtes, öffentlich be-
kanntgemacht wurde. Der Drossart, der Statthalter oder die
Offiziere der Bank Walhorn, des Dorfes Gemmenich und der
s3
Herrschaft Lontzen sind befugt, den Einnehmer, der diese
vorgeschriebene Rechnungsablage nicht freiwillig vornimmt, dazu
zu zwingen, es binnen sechs Wochen zu tun. Bei Weigerung des
Einnehmers dürfen sie ihn zu einer Strafe von 300 Gulden
zugunsten der königlichen Kasse verurteilen.
8/ Die Wahl der Einnehmer geschieht mit Stimmenmehrheit
der eigens dazu zusammengerufenen Geschworenen und Meist-
begüterten. Das Amt des Einnehmers soll demjenigen zukom-
men, der die beste Eignung dazu ‘hat und die geringste Entloh-
nung dafür fordert. Die Einnehmer müssen für die kassierten
Gelder Bürgen stellen.
9/ Die Schatzungen (Steuern) sollen durch ”’die van de wet” (=
Drossart u. Schöffen) unter Mithilfe der beiden vereidigten
Dorfvertreter festgesetzt werden. Die Steuerbücher sind durch
den Gerichtsschreiber (greffier) abzuzeichnen. Die Rechnungen
dürfen ausschließlich in diese abgezeichneten Bücher eingetragen
werden. S
10/ Wir verbieten alle außergewöhnliche Mühewaltung, z.B.
Prozesse zu führen, die die Dörfer schwer belasten. Alle Schritte
dieser Art sind aus den Rechnungsbüchern zu streichen. Die
Anliegen der Bank und der Dörfer sollen in Brüssel dem Vertreter
der Provinz oder anderen Advokaten und Procureurs überlassen
werden.
11/ Die zwei zu wählenden Dorfvertreter sollen ihr Amt ohne
Besoldung ausüben. Bei der allgemeinen Bankversammlung soll
jeder pro Tag eine Aufwandsentschädigung von 12 Stübern
erhalten.
12/ "Die van de Wet” (Drossart u. Schöffen) sollen sich auf den
gewöhnlichen Gerichtstagen mit vorgenannten Sachen befassen
und außer den gewöhnlichen Gerichtskosten sollen sie für die
Prüfung der Rechnungen sowie für das Festsetzen der Steuern
und deren Verteilung täglich 12 Stüber erhalten. Der Drossart
oder Offizier soll 24 Stüber erhalten.
Haben sie nur einen halben Tag damit zu tun, so sollen sie
außer den gewöhnlichen Gerichtskosten einen Schilling erhalten,
der Drossart zwei Schillinge, die Abwesenden nichts.
13/ Wie verbieten denen von Walhorn, Lontzen und Gemme-
nich, ohne besondere Genehmigung des Rates von Brabant
54
Steuern zu Lasten der Bank oder der vorgenannten Dörfer zu
erheben. Alle ohne diese Genehmigung ausgestellten Steuerbe-
scheide sind null und nichtig. Auch dürfen namens der Gemeinde
keine Prozesse angestrengt werden.
14/ In Zukunft müssen alle zu Lasten der Bank oder eines
einzelnen Bankdorfes sowie alle zu Lasten der Herrschaft
Lontzen und des Dorfes Gemmenich wie auch alle zu Lasten eines
einzelnen Bewohners der Bank oder eines dieser Dörfer gehenden
Mitteilungen, Zahlungsaufforderungen und Pfändungsbescheide
dem Offizier oder Statthalter bzw. dem Greffier oder den
Schöffen zugehen. Den Gerichtsvollziehern, Pfändern, Sergean- A
ten oder ”Comptoirboten’’ ist es verboten, von Dorf zu Dorf zu
gehen und auf die arme Bevölkerung Druck auszuüben.
Obengenannte Amtspersonen sind gehalten, diesbezügliche
Klagen prompt zu melden, andernfalls sie selbst für eventuell in
den ”Quartieren’’” angerichtete Schäden haftbar wären.
15/ Die leerstehenden Güter sollen im Monat Februar für eine
Dauer von 3,6 oder 9 Jahren verpachtet werden, ohne daß die
Eigentümer das Recht haben, dieselben wieder in Besitz zu
nehmen, es sei denn nach vorhergehender Entschädigung der
Pächter (laut Schätzung von Sachverständigen) sowie nach Zah-
lung der auf dem Gute lastenden Gemeindesteuern. (10)
16/ Wir hoffen, daß durch diese Maßnahmen die Bank, das
Dorf Gemmenich und die Herrschaft Lontzen in wenigen Jahren
wieder aufleben werden und daß sie ihre Quoten zu den Beden
und Aides sowie ihre Schulden werden bezahlen können. Als
besondere Gunst gewähren Wir für die nächsten 6 Jahre Zah-
lungsaufschub aller Schulden; alle neun Monate sollen Walhorn,
Gemmenich und Lontzen ”een half jaer crois’’ bezahlen und
erster Termin soll sein ”’St. Janssmisse toecomende’’.
Dieses recht interessante Dokument trägt das Datum des 11.
März 1687. Ein zusätzlicher königlicher Beschluß vom 9. Mai
1687 schützte auf die gleiche Weise auch die Bürgen der
zahlungsunfähigen Schuldner.
ok RR
Die Notlage Lontzens wird auch noch durch ein Dokument
des Lontzener Schöffengerichts illustriert. Es heißt darin, der
Einnehmer Straeten habe vor einem Jahre (d.h. 1694) Lontzen
55
wegen Nichtbezahlung der Sr Majestät geschuldeten Bede und
der französischen Kontribution, wovon noch mehr als 1.660
Brabanter Gulden zu zahlen blieben, hart exekutiert. Das Dorf
habe in den vorhergehenden Kriegen 12.000 Pattacons Kapital
aufnehmen müssen, da man dieses ”arme Quartier von ungefähr
329 Bunder Güter” in den Beden, Aides und allen anderen
Lasten um mehr als die Hälfte zu stark belastet habe. Im
laufenden Jahr (1695) hätten die Gläubiger sie wegen Nicht-
zahlung ihrer Raten jämmerlich (?) exekutiert. Dazu komme, daß
Lontzen mitten im Land an einer Durchgangsroute zwischen
Aachen und Limburg liege und deshalb oft von den verschiedenen
Truppen überfallen, beschädigt und ruiniert worden sei. Allein
im laufenden Jahr 1695 betrage der so angerichtete Schaden über
1200 Brabanter Gulden. Aus all diesen Gründen erklären Meier
und Schöffen von Lontzen, der Ort sei nicht in der Lage, seinen
Anteil an der Bede, den Aides oder anderen Abgaben zu zahlen,
viel weniger noch die Zinsen der Gläubiger, es sei denn, man
versehe ihn von höherer Stelle oder .durch eine besondere Gunst
Sr. Majestät mit den dazu erforderlichen Mitteln.
oo
So große wirtschaftliche Not wie zu Ende des 17. Jh. hat
das Dorf Walhorn Land in der Folgezeit nie mehr ertragen
müssen. Das 18. Jh. war, insgesamt gesehen, eine Zeit des
Friedens und des wachsenden Wohlstandes. Besonders unter
Maria Theresias kluger Staatsführung ging es den Menschen
wohl. Diese lange Friedenszeit - auch das 19. Jh. kannte nur
einige begrenzte Konflikte - hat die Erinnerung an das durchge-
standene Elend in die Archive und Geschichtsbücher verbannt ...
Die hiernach folgenden Zeitdokumente mögen die Lage
unserer Heimat im ausgehenden 17. Jh. zusätzlich veranschau-
lichen.
56
Zeitdokument 1
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hrien, es % Danlih Ghaltfiys Yrrat san wach om
"Der Unterzeichnete bescheinigt hiermit, daß die Franzo-
sen der Garnison Maastricht, als sie im vergangenen Jahr in
Walhorn die Häuser von Claes Hoffens, Jan Loslever sel.
und die Scheune der Erben des Heinrich Heyendael [jetzi-
ger Besitzer : Willem Looslever] in Brand gesteckt haben,
auf die Kirchtüre einen Zettel geheftet haben mit inhaltlich
folgenden Worten : ”Vous avez ete brüle pource que n’avez
satisfaict oft paye vre [= votre] contribution a Maestrech”
[= Ihre Häuser sind in Brand gesteckt worden, weil Sie die
Kriegsabgaben an Maastricht nicht bezahlt haben]. Das
Papier trug die Unterschrift "von Moreau”.
Die Einwohner haben dasselbe abgenommen und es dem
Jan Wilt gegeben, der es in Limburg dem Prinzen von
Nassau zeigen und übergeben soll.”
Walhorn, den 18. April 1675
Paulus Walthys, Vikar in Walhorn.
57
Zeitdokument 2
Französische Überläufer
Die Soldaten der französischen Armee waren so unbeliebt,
daß sogar Deserteure von den kaiserlichen Soldaten und der
Bevölkerung geplündert, mißhandelt und auf unmenschliche
Weise getötet wurden. Die Regierung erließ deshalb am 25.
Mai 1675 den Befehl, alle französischen Deserteure nicht
nur unbehelligt durchziehen zu lassen, sondern ihnen sogar
behilflich zu sein.
Zeitdokument 3
Einquartierungen 1691
Am 31. Januar 1691 logierten in Hauset :
1 Rittmeister mit Knecht u. 3 Pferden
1 Kornett mit Knecht und 2 Pferden
1 Wachtmeister mit Knecht und 2 Pferden
1 Quartiermeister mit Knecht und 2 Pferden
1 Korporal mit Knecht und 2 Pferden
1 Korporal mit 1 Pferd
30 Reiter mit 30 Pferden
Für Hafer und Bier bezahlte die Einheit 5 Gulden. Wo der
Quartiermeister Logis genommen hatte, wurden 2 Bocks-
felle im Werte von 6 Pattacons gestohlen.
In der Bank Walhorn lagerten insgesamt 4-500 Branden-
burgische Reiter und zwar :
in Eynatten 32 Dragoner und 49 Pferde
in Merols 18 Dragoner und 21 Pferde
in Walhorn 16 Dragoner und 24 Pferde
in Kettenis 106 Dragoner und 113 Pferde
in Astenet 24 Dragoner und 28 Pferde
in Hauset [siehe oben] 35 Dragoner und 42 Pferde
in Hergenrath 37 Dragoner und 42 Pferde
in Raeren 74 Dragoner und 86 Pferde
in Neudorf 50 Dragoner und 56 Pferde
Dazu kamen 6 Korporäle, 6 Leutnants, 6 Kornetts, 6
Wachtmeister, 4 Quartiermeister etc.
60
Königsschutz für Hauset
”Weilen daß Dorff Hauset im Limburger Landt zu Conser-
virung Ihrer Hauser, Gerten, Habe, Viehs undt Korn einen
Salveguarden verlanget als hat man darein willfahren
wollen, Undt wirdt dan hirdurch allen unter meinem
Commando stehenden hirdurch ernstlich angedeutet undt
befohlen diesem Salveguarden gebührenden Respect zu
geben sich bed ... [?]
Den 23. aug. 1692
Ihrer Hochfürstl. Gnade zu Münster bestalter Brigadier
Obrister über dero Artillerie undt Commendant dero ®
trouppen.
Zeitdokument 6
"Der Krieg ernährt den Krieg.”
”Item den 18 Dito [= 18. Februar 1695] als der marsch is
doer de kelmiser Heide gegangen, hebben deselve [= die
Lüneburger Truppen] drey Heuser onder Hergenraet gantz
uyt geplundet ... te wetten bij Gillis Stickelman sein Heus
geplundert, den man mit het weiff de schon vuyt de voeten
gedaen ... Item Thonis Breuwer ... Item Willem
Ramecker ...” ?
Zeitdokument 7
Wer kommt für die erlittenen Kriegsschäden” auf?
”Um das Jahr 1668 haben die armen und bedauernswerten
Bewohner der Bank Walhorn den damaligen Gouverneur
der Niederlande, den Marquis de Castel Roderigo, auf ihr
Unvermögen hingewiesen, die französischen Kontributionen
zu umgehen. Sie haben ihn gebeten, seine Zustimmung zu
Verhandlungen mit den Franzosen zu geben. Statt dessen
hat der Marquis es ihnen strengstens untersagt, mit den
Franzosen zu verhandeln; im Gegenteil : die Bankbewohner
müßten, falls die Franzosen kämen, um die Kontributionen
einzutreiben, zu den Waffen greifen, die Sturmglocken
läuten und dem Feind entgegen gehen.
61
Der Marquis versicherte, daß, wenn einige Häuser angezün-
det würden, die Besitzer durch die gesamte Gemeinschaft
entschädigt würden ...
Dann sind die Franzosen aber mit einer so starken Armee
gekommen, daß es unmöglich war, ihnen Widerstand zu
leisten. Sie sind in die Bank eingedrungen und dort 11 Tage
geblieben, während deren‘ sie alles verwüstet, geplündert
und ruiniert haben.
Als die Bankbewohner dies dem Nachfolger des Marquis de
Roderigo, dem Connestable von Kastilien, meldeten, erklär-
te dieser am 30. Oktober 1668, er habe die Absicht, die
genannten Schäden durch die gesamte Provinz tragen zu
lassen.
Dazu ist es jedoch bis heute nicht gekommen, und zwar
hauptsächlich wegen des Widerstandes der Geistlichen und
Adligen ...” &
(Die Kriegsschädenfrage war 1710 noch immer nicht gere-
gelt!)
Zeitdokument 8
Evakuierung vor 300 Jahren
”Don Juan De Zuniga et Fonsea, Comte de Monte Rey et
de Fuentes, Marquis de Taracona, Gentilhomme de la
Chambre du Roy Nostre Sire, Lieutenant Gouverneur et
Capitaine General des Pays-Bas de Bougogne etc. ;
”... befehlen im Namen Seiner Majestät allen Landbewoh-
nern, die in Grenznähe wohnen, sich mit ihren Familien,
Möbeln, Tieren, Getreide - und Heuvorräten in die befestig-
ten Städte Seiner Majestät zurückzuziehen ...” Gegeben zu
Antwerpen am 7. Oktober 1673.
[Der Erlaß trägt den Handschriftlichen Vermerk : ”Be-
kanntgegeben und ausgehangen in Walhorn nach der
Frühmesse am 15. Oktober 1673. Quoitbach.’]
62
Zeitdokument 9 : Strafandrohung
TAN
OR A
KO
OS
LPELMAROUTS DHARCOURT,
Marcchal des Camps & Armecs du Roy,
Colonel du Regiment de Picardie ,& Com-
mandant pour Sa Majefte dans les Ville &
Forts de Luxembourg , dans la Province & h
Duche dudit Luxembourg ,Comte de Chiny
&# dans tous les Lienx & Places ci-devant
dependans de ladite Province.
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Ibeheuer de yager Cor con bel One, Gil VE En
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"Es ergeht der Befehl an die Bank Walhorn, die dem König noch
geschuldeten Abgaben zu leisten, soviel Geld sie auftreiben können
in unser Lager zu bringen und den einzelnen Dorfgemeinschaften zu
befehlen, unverzüglich Abgesandte nach Luxemburg zu schicken,
um ihre Zahlungen mit Herrn Limendam zu regeln, andernfalls
werden sie die Härten des Krieges zu spüren bekommen ...”
63
Anmerkungen
1) SıA Lüttich, Gerichtsakten Walhorn, 7.
2) Vgl. H.”Wiriz, Eupener Land, S. 25 : ”1668 kampierten die Truppen des
Herzogs von Luxemburg in unserer Heima|, die, nach einem zeitgenössischen
Aufzeichnung,” das Land verließen, nachdem die Häuser abgebrochen, die
Felder geplündert, das Vieh geraubt und das Land völlig ruiniert war. "Nach
Abzug dieser Truppen suchte die Pest ('”’de pest en andere contagieuse
siekten’”) die Bewohner heim ...”
Vgl. dazu auch die folgende Eintragung im Walhorner Kirchenbuch : ”’20 may
1668 is hei frans leger in dit Landı gevallen ende hebben alle kercken
geplundert ende alle het coren afgesneden dat niets overbleeft in de velden van
Walhorn, Kettenis, Meroels ende Rabotiraedi.”
Diese Verwüstungen sind Folgen des Devolutionskrieges (1667-68), des ersten
der Eroberungskriege Ludwigs XIV., der Anspruch auf einige Provinzen der
spanischen Niederlande erhob. Ludwig scheiterte an dem Widerstand der
Tripelallianz (Holland, England, Schweden).
3) Der zweite der Eroberungskriege Ludwigs XIV., der sog. Holländische Krieg,
brach 1672 aus und wurde 1678-79 im Frieden von Nimwegen beigelegt.
Holland koalierie mit Spanien und dem Deutschen Reich. In den Holländi-
schen Krieg fiel 1675 die Zerstörung der Feste Limburg durch die Franzosen.
"Die Franzosen plünderten und zerstörten alles und hinterließen im Frieden zu
Nymwegen 1677 nur Ruinen ... Die Truppen des Obersten Francquenbergh
plünderten noch 1677 kurz vor Friedensschluß die Dörfer der Bank Wal-
horn ... ” (H. Wirtz, op. cit. S. 25 ff).
Im Begleitschreiben, das der Limburger Dritte Stand der Petition der
Walhorner beifügt, heißt es, die Franzosen hätten von 1673 bis 1678 unserem
Land unerhört hohe Kriegsabgaben aufgebürdet, desgl. 1683 und 1684.
Während dieser Zeit seien sehr harte Exekutionen vorgenommen und viele
Häuser in Brand gesteckı worden. Bis dato seien diese Häuser noch nicht
wieder errichtet ...
4) Daß in der Zwischenzeit von 1678-79 bis 1682 "Friede" herrschte, scheinen die
Bewohner unseres Gebiets nicht gespürt zu haben. Der Spanisch-Französische
Krieg von 1683-84 brachte für die Bank Walhorn wiederum viel Not und
Elend. 1683 wurde die Bank mit zwei Kontributionen von 30.000 bzw. 22.000
Ecus belegt, eine Summe, die die dahinvegetierenden Orte unmöglich aufbrin-
gen konnten. Am 12. Januar 1684 kamen 600 Franzosen übers Venn und
drangen in die Bank Walhorn ein : in Astenet zündeten sie 13 Häuser an, in
Hergenrath 4, Eynatten wurde fast vollständig niedergebranni, in Raeren
waren es 36 Häuser, in Hauset sämtliche 22. Am 13. Januar vernichteten die
Franzosen die Einrichtungen der ”’Vieille Montagne” in Kelmis und legten in
Gemmenich 57 Häuser in Schutt und Asche. Noch 1688 lag Rabotrath voll-
ständig verlassen. (Vgl. H. Wirtz, op. cit. S. 28 und F. Pauquet : ”La Vieille
Montagne”, Publ. de la Societ€ d’Art et d’Archeologie du Plateau de Herve, 2e
serie, 1970, S. 47)
5) Die Rente ist eine regelmäßig zu zahlende, auf einem Grundstück lastende
Abgabe. .
6) Aus der Antwort des Königs ersehen wir, daß die zweijährige Stundung aller
Schulden am 17, Juli 1693 bewilligt wurde. Die gen. Antwort ist datiert vom
19. Juli 1695. Das Begleitschreiben der Abgeordneten des Dritten Standes zur
Bittschrift der Walhorner, Lonizener und Gemmenicher, in dem die Angaben
der Bittsteller bestätigt. werden, trägt das Datum’ des 4. Juni 1694. Die
Bittschrift dürfte also kurz vor diesem Datum verfaßt worden sein.
7) Im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-97), dem dritten der Raubkriege Ludwigs
64
XIV., standen sich auf der einen Seite Frankreich, auf der anderen Kaiser
Leopold I., England, Holland, Spanien, Savoyen und Schweden gegenüber.
Die Niederlande wurden wieder einmal Kriegsschauplatz und Truppendurch-
zugsgebiet. Der Friede von Rijswijk (1697) brachte für einige kurze Jahre Ruhe
ins Land,
8) SıA Lüttich, Cours de Jusıice, Walhorn, 7.
8a) Kanon = Erbpacht
9) SıA Lüttich, Cours de Jusiice, Walhorn, 7.
10) In Rabothrath standen noch 1733 eine Reihe Gehöfte leer; laut Beschluß des
Brabanter Oberhofs v. 19.2.1733 durften sie zur Abtragung der Gemeinde-
schulden öffentlich verkauft werden. (Conseil de Brabant 2993).
11) SıA Lüttich, Gerichtsakten Lontzen, ohne Az.
65
Baum vor einem grünen Haus
von M.Th. Weinert
Im Herbst wollten sie ihn schlagen.
Er aber reckte sich doch bis zum Dach,
breitete seine kahlen Äste
wie Arme aus
vor den Fenstern,
ließ goldbraune, dünne Zweige
hinabhängen,
die wehten im Wind
und streiften bisweilen
sanft das Haus.
Er warf seine Schatten aus
unter Sonne und Mond,
mit wechselnden Baumbildern
das Haus zu verzaubern,
sich selbst .zu bannen
ans grüne Haus.
Plötzlich wollte niemand
den Baum mehr missen,
und seine Knospen sprangen auf
im nächsten Frühjahr.
66
Von Fußgendarmen und leichten
Mädchen
Eine preußische Polizeiaktion und ihre Folgen
von Dr. Klaus Pabst
In der ”’neutralen’”” Zeit vor 1914, als Preußen und Belgien
das heutige Kelmis durch je einen Kommissar gemeinsam verwal-
ten ließen, entstand dort ‚so manche Einrichtung, die den
Gesetzen des einen oder anderen Nachbarlandes nicht entsprach.
Aber nur, wenn die beiden Kommissare gemeinsam handelten, ®
ließ sich dagegen etwas unternehmen; und das kam bei den
unterschiedlichen Interessen, die beide Staaten im neutralen
Moresnet verfolgten, nicht allzu häufig vor.
Neben der Spielbank und einer eigenen Ortspostanstalt, die
beide bald geschlossen wurden, gab es im damaligen neutralen
Gebiet noch eine weniger bekannte Einrichtung, die man sonst
ebenfalls eher in großen Städten vermuten würde. Auch sie
entsprach nicht den deutschen Gesetzen und wurde deshalb
letztlich auf preußischen Druck mit sanfter Polizeigewalt be-
seitigt - und das sicherlich zur Befriedigung des auf einen guten
Ruf des Ortes bedachten Teils der Einwohnerschaft, aber nicht
des Gemeinderats, der mit ihr eine interessante Steuerquelle
verlor. Aus den Akten des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf soll
diese eigentlich recht harmlose Geschichte, die fast den Stoff zu
einer Dorfkomödie bieten könnte, hier kurz berichtet werden.
Nach der Zinkindustrie war das Gastwirtsgewerbe der um-
fangreichste Wirtschaftszweig des alten Neutral-Moresnet. Von
den 4.000 Einwohnern allein konnten die rund 80 Wirtschaften,
die es dort um 1910 gab, freilich nicht leben; entfiel doch auf
jeweils 50 Bewohner eine eigene, wenn auch oft nur nebenamtlich
betriebene Theke. Die meisten Wirte brannten auch nebenbei
selber Schnaps, der aber nur zum kleineren Teil in die einheimi-
schen Bergmannskehlen, zum größeren auf stillen Wegen nach
Deutschland oder Holland floß. Aber auch das reichte bei der
Überbesetzung des Gewerbes nicht aus, den Wirten stets den
erhofften Verdienst zu sichern. Einige Gastwirte - nach Mittei-
lung von Bürgermeister Schmetz vom Dezember 1907 waren es
genau drei, ein Holländer, ein Belgier und ein Preuße - kamen
67
deshalb auf die Idee, ihren Gästen nicht nur Schnaps und Bier,
sondern auf Wunsch auch die Gesellschaft mehr oder weniger
attraktiver Damen anzubieten. Der nur wenig schockierte Ge-
meinderat nahm das nun keineswegs zum Anlaß eines Verbots ; er
fand es viel nützlicher, die Einkommensteuer der betreffenden
Wirte kräftig zu erhöhen. Nüchtern teilte die Aachener Allge-
meine Zeitung ihren Lesern am 11. Dezember 1907 mit, der
Gemeinderat von Neutral-Moresnet habe ”im Einvernehmen mit
dem preußischen und dem belgischen Verwaltungskommissar des
Gebietes beschlossen, die seit einiger Zeit dort bestehenden
Häuser, die der Unsittlichkeit Vorschub leisten, mit einer Steuer
von 250 Mark zu belasten”. Wenn dies schon nicht reichte, die
Inhaber solcher Etablissements auf den Weg der Tugend zurück-
zuführen, so sollte wenigstens auch die Gemeindekasse an den
Erträgen beteiligt sein.
Freilich erhoben die sittenstrengeren unter den Bürgern
dagegen sofort Protest. ’’Das Mittel der Besteuerung nutzt hier
nichts. Mit eisernem Besen muß dazwischengefahren und diese
Lasterhöhlen geräumt werden ... Hinaus mit diesem sittenlosen
Treiben aus unserem braven Orte!” schrieb einer von ihnen am
18. Dezember 1907 im Aachener ”Volksfreund”” und verlangte,
daß man ”reine Bahn machen und nicht auch noch das Schand-
gewerbe für die Gemeindekasse ausnutzen”’ solle.
Das war aber leichter gesagt als getan, denn nach dem
Strafrecht des Code Napolton, das in Neutral-Moresnet immer
noch galt, war Kuppelei ebensowenig strafbar wie etwa Trunken-
heit. Überdies erhoben die von der Steuer betroffenen Wirte sofort
Protest; der Aachener Regierungspräsident, der darüber amtlich
an den Innen- und den Finanzminister nach Berlin berichtete,
gab ihnen sogar recht; da es nach preußischer Auffassung nicht
zulässig sei, ein Einkommen, welches aus ”unsittlichen Quellen
fließt”, auch noch zu besteuern. Der preußische Kommissar sollte
deshalb ”im Reklamationsverfahren auf eine Ermäßigung für die
betroffenen Wirte drängen’’, was er wohl auch getan hat, denn
von weiteren Protesten ist in den Akten nicht mehr die Rede.
Natürlich sollten die lockeren Sitten dadurch aber nicht
begünstigt, sondern nur der allzeit nach neuen Geldquellen
suchende Gemeinderat auf das Unmoralische seines Beschlusses
hingewiesen werden. Um den Stein des Anstoßes, der übrigens
68
nur eine der vielen Klagen über die damalige ”’öffentliche
Unsicherheit’” in Neutral-Moresnet darstellte, zu beseitigen,
schlug der Eupener Landrat Alfred Gülcher als preußischer
Verwaltungskommissar nun eine Schließung der betreffenden
Wirtschaften von Amts wegen vor. Sein belgischer Kollege
Bleyfuess, schon seit 1884 im Amt, wollte davon aber nichts
wissen, da jedermann in Neutral-Moresnet ohne besondere Er-
laubnis eine Wirtschaft führen und man eine Konzession, die gar
nicht erteilt worden sei, auch nicht entziehen könne. Stattdessen
schlug Bleyfuess vor, die Beschäftigung gewisser Damen in den
Wirtshäusern des Ortes von der Genehmigung des Bürgermeisters
abhängig zu machen, wobei er sicher auch an die Zahlung von
Gebühren für die Gemeindekasse gedacht hat. Schließlich einig-
ten sich beide Kommissare auf eine Polizeiverordnung zur
Überwachung der Wirtshäuser und Schankbetriebe, die am 26.
Oktober 1908 erschien. Gang kategorisch hieß es darin :
”In Erwägung, daß nach den uns erstatteten Berichten des
Bürgermeisters von Neutral-Moresnet die Ausübung der
Unzucht in mehreren Schank- und Gastwirtschaften
Beunruhigung und Ärgernis hervorruft und daß diesem
Treiben entgegengetreten werden muß, ... sind alle Beam-
ten und Beauftragten der örtlichen Polizei berechtigt, zu
jeder Zeit und zu jeder Stunde, bei Tag und Nacht, in alle
Räumlichkeiten der dem Gebrauch der Kaffeehäuser,
Wirtshäuser, Hotels, Schenkwirtschaften und Schankstel-
len dienenden Gebäude, sowie in alle Zimmer (!) von
Häusern einzudringen, hinsichtlich deren Verdacht be-
DE
Die Polizei durfte in solchen Häusern ”alle Ermittlungen
treffen, die sie für angebracht hält”’, und sollte dort keine Dame
von zweifelhaftem Ruf mehr dulden. Um ganz sicherzugehen,
daß dies nicht umgangen wurde, erlaubte die Verordnung jedem
Wirt nur noch die Anstellung einer einzigen Kellnerin, die zudem
"binnen 24 Stunden beim Bürgermeister angemeldet werden”
mußte.
So drakonisch diese Verordnung klang, so wenig scheint sie
zunächst bewirkt zu haben, denn es tauchten auch weiterhin
Klagen auf. Fast zwei Jahre nach ihrem Erlaß entschloß sich der
69
”Fußgendarmerie-Wachtmeister”” Hanauer deshalb, in Neutral-
Moresnet auf preußische Art ein Exempel zu statuieren, und legte
sich zusammen mit dem Feldhüter Urlings am Abend des 28. Juli
1910 vor einer verdächtigen Wirtschaft auf die Lauer. Doch hören
wir darüber seinen eigenen, bisweilen mit unfreiwilliger Komik
abgefaßten dienstlichen Bericht :
”Gegen 11 1/4 Uhr, also nach Polizeistunde, wurde es in
der Wirtschaft dunkel, aber vorhandene Gäste hatten das
Haus nicht verlassen. Ich sah darauf Licht in der ersten
Etage, auch hörte ich lautes Gelächter von Frauen- und
Männerstimmen, und mußte ich nach dem ganzen Ge-
bahren annehmen, daß daselbst Unzucht getrieben wurde.
Um die strafbare Handlung durch Augenscheinnahme
selbst feststellen zu können (!), stellte ich eine Leiter an.
Weil aber das Fenster zu dicht verhangen war, wollte ich
die Leiter an’ein anderes Fenster anlehnen. Dieses Vor-
haben wurde aber ... von einem anderen Fenster aus
bemerkt, worauf sich alles ruhig verhielt und das Licht
sofort gelöscht worden ist. Da nun der Verdacht noch
dringender geworder war, klopfte ich an der Haustür ...
und schickte gleichzeitig den p. Urlings an den hinteren
Ausgang, um evtl. Flüchtlinge anzuhalten ... Gleichzeitig
hörte ich, daß in den dunklen Räumen von davoneilenden
Personen Bänke und Stühle umgeworfen wurden. Dem
Geräusche folgend (ich war mit einer elektrischen Laterne
versehen) traf ich eine Frauensperson mit ausgezogenen
Schuhen in der Hand an einer Wand angelehnt an. Einige
Personen hatten einen Ausgang unerkannt erreicht und
konnte p. Urlings nur noch eine an der Hintertür anhal-
ten, in welcher der Friseur ... erkannt wurde ...”
Zum Schluß erschien auch noch der Schenkwirt mit einem
Brett bewaffnet und bemerkte drohend ”’Hier wird eingebro-
chen”, worauf der wackere Ordnungshüter alle Mühe hatte, ihn
vom dienstlichen Zweck seiner Ruhestörung zu überzeugen.
Schließlich nahmen Hanauer und Urlings die einzige ”’Frauens-
person”, die sie bei ihrer Aktion ”’erwischt’” hatten, eine Hollän-
derin aus Vaals, zum Verhör auf die Wache mit.
Was die beiden nicht ahnen konnten, war das internationale
Echo, das ihr Versuch zur Wiederherstellung der Ordnung in
Neutral-Moresnet heraufbeschwor. Die ”’Gazette de Liege” (Nr.
70
151 vom 11.8.1910) nämlich sah in der ”nächtlichen Invasion”,
die sie voller Mitleid mit den Betroffenen schilderte, ein ”’allzu
preußisches’” Vorgehen (”une invasion nocturne par trop prus-
sienne’”’) und eine Bedrohung der Neutralität Moresnets :
”Moresnet est qualifie territoire neutre et non Empire du Tsar”’.
Prompt beeilte sich das ”’Echo der Gegenwart” in Aachen, den
Wachtmeister in Schutz zu nehmen, und wies zum Ausgleich gar
auf angebliche Greueltaten hin, die belgische Kolonialsoldaten im
fernen Kongo begangen haben sollten. Das hatte nun wirklich
nichts mehr mit dem nächtlichen Vorfall in Moresnet zu tun.
Ob dieses Abenteuer des wackeren Gendarmen auch noch X
einen diplomatischen Protest Belgiens in Berlin zur Folge hatte,
entzieht sich unserer Kenntnis ebenso wie die Frage, ob den
unsittlichen Lockungen Neutral-Moresnets dadurch wirklich ein
Ende bereitet wurde. Viel Zeit blieb den‘ Moresnetern jedenfalls
nicht mehr zum Genuß ihrer Neutralität, denn vier Jahre später
brach der Weltkrieg aus und machte ihr für immer ein Ende. Der
hier geschilderte kleine Vorfall zeigt aber nicht nur die im
Grunde noch recht idyllischen Verhältnisse im neutralen Gebiet;
er macht auch deutlich, wie empfindlich man in den beiden
Nachbarländern schon Jahre vor Ausbruch des Krieges auf jeden
noch so banalen Vorfall reagierte, der als Übergriff der einen
Schutzmacht in die Rechte der anderen gedeutet werden konnte.
A
Et Beispiel
von Gerard Tatas
Ejjen Dörpsschuel hant de Kenger
Hüj es kotzesatt en dick,
Denn de Vröle deet se quäle
Werrem met Arithmetik.
”Wenn ech now, ech well ens sage,
Dinge Pap lien dusend Frang,”
Sätt se an et Fritzke plötzlech
En besitt em zemlech sträng,
”En der Pap mott tröck mech jäve,
Ohne Zense, dat es klor,
Vovteg Frang der Mond, now sag ens,
Wievöl blitt da no e Johr ?”
”Dusend Frang noch - sätt et Fritze -
Dusend Frang noch op der Kopp!”
”Nee, dow has et net verstande,
”Esel!” sätt de Vröle drop.
”Wennste dat noch net kenns telle,
beste wal e Räck’ne schlapp!”
”Ech kenn telle, - jrinst et Fritzke
Äl där kennt net minge Pap!”
72
Aus meinem Familienarchiv :
In Walhorn stand die Zeit still ...
von Leo Homburg
Als ob sie gegen die Gemeindefusion mit Lontzen habe
protestieren wollen, blieb die Walhorner Kirchenuhr kurz nach
dieser folgenschweren Verwaltungsreform im Jahre 1977 stehen. }
Am 15. Januar 1981 veranstaltete die Gemeinde Lontzen einen
außergewöhnlichen Holzverkauf zur Finanzierung der Arbeiten
an den Walhorner Kirchenglocken und zur Reparatur der Kir-
chenuhr. Er erbrachte die Summe von 544.000 Fr.
Im Jahre 1830 befand sich die Kirchenuhr in einem ähn-
lichen Zustand wie heute. Dazu aus meinem Familienarchiv
einige Dokumente.
Der damals auf Marzelheide wohnende Tilmann Homburg
erklärte 1844 in einem an den Landrat von Scheibler gerichteten
Schreiben wie er 1830 die Uhr repariert und wie wenig man es
ihm gedankt habe. Lassen wir ihn erzählen :
”Der Herr Landrat Schibeler.
las ich sie Ser begrüsen. ich mus auch klagen wie es mir in
diese Gemeinde geht. im Jahr 1830 Johan Tilman Humburg
hat die Kirch Uhr gemacht da hat sie 2 und Einhalb Jahr
gegangen. ich habe Sie gar nicht wollen magen, da sachte
Sie, ichkönte sie nicht magen, da habe ich sie gemacht. Matias
Pons uter Bürgermeister von Walhorn, auf den Tag das der
Herrn Osen die erste Messe getan hat, nun sind die auf die
malzeit beim Herrn pastor biesamen gewesen in Walhorn,
da hat die Ur anfangen zu schlagen, das wahr mitas, da hat
der pastor gefracht, wer die Ur gemacht häte, da hat puns
gesaht, Humburg hat die Ur gemacht. Da sagte pastor, ich
wäre kein mensch davor; puns hat es mir selbst gesacht, ich
wäre kein mensch davor. Das tut mir sehr Leid, das ich
diese ur gemacht habe und habe nichts davor bekommen.
73
ich habe gehoft das ich sollte bekommen was Lämburg
bekommen hat aufs Jahr. nun haben sie mir nichts gegeben
und noch dabie ausgelacht das ist vür der dank? ich bin bei
der Bürgermeister gewesen und habe ihm geklagt, das das
Kind noch zu Jung wäre und hat er mir Gröblich ange-
schprogen; ich habe gesprogen, sie sollten mir noch ein Jahr
lasen der Bürgermeister wies, das ich ihm 4 Jahre Lam
gewesen bin; da hat er sich nicht angekert: wir haben
Grund, das ist an mein vatter, ich habe nichts daranzusa-
gen.
nun tut er mir bezahlen, er weis, das ich nichts habe, als
wen ich mir etwas verdiene; ich tät es gerne, wen ich es häte
vor zu bezalen. €
Lambert Keutgen hat zwie Kinder, die sind im 9ten Jahr,
und mein Nachbar Bäcker hat eins, das ist ihm 8ten Jahr;
nun haben wir zusammen die Schulbriefger bekomen; nun
tät ich wünschen das der Herr Landrat mir wie eingedenk sei.
Tilmen homborg
Landrat von Scheibler mag bei der Lektür der Eingabe des
Tilmann Homburg geschmunzelt haben. Er nahm die Sache
dennoch ernst, ging es doch in erster Linie um das zu zahlende
Schulgeld. So fragte er denn beim Walhorner Bürgermeister Van
den Daele um ausführlichen Bericht an. Der Bürgermeister
führt nun u.a. folgendes aus :
”Aus der Eingabe des Bittstellers geht schon hervor, daß
weder ich noch der Kirchen-Vorstand ihn zur Bewirkung der
Reparatur an der hiesigen Kirchen-Uhr in Anspruch genommen
und wir vielmehr Bedenken getragen, ihn solche ausführen zu
lassen; was auch ganz richtig, weil er die Uhrmacher-Kunst nicht
schulgerecht erlernt und wir besorgen mußten, daß er die Uhr
verderbe. Derselbe hat zur Zeit, so viel mir von der Sache
bekannt ist, aus eigenem Antrieb - sogar ohne mein Wissen -
etwas an der quest. Uhr gereinigt, jedoch hat solche damals nie
gut gegangen und kann er demnach keinen Anspruch auf
Entschädigung machen. Daß er zum Dank für seine angebliche
Bemühung ausgelacht worden - weiß ich nicht nicht - doch wer
könnte sich dessen erwehren, wenn man um Reparaturkosten
einer Uhr angegangen wird, ohne daß die Reparatur gehörig
bewirkt, und dazu kein Auftrag gegeben worden ist.
74
Der gen. Homburg sagt, daß ich ihn gröblich angegangen.
Derselbe kam zu mir, vorgebend, sein Kind sei noch nicht
schulpflichtig und als ich ihm dieses zu verständlichen suchte,
gab er vor, es sei nicht so, er auch die Gesetze kenne und daß
man ihn zu einer ungerechten Zahlung anhalten wollte.
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Die Walhorner Turmuhr
Die vorgesehene Reparatur ist inzwischen ausgeführt.
Was blieb mir bei solchem ungegründeten Vorwurf übrig, als
ihm seine Unschicklichkeit zu verweisen und zu sagen, daß,
wenn er die Gesetze so gut kenne und glaube, es geschehe ihm
fi
Unrecht, so möge er sein Recht geltend zu machen suchen. Er
bemerkt endlich, das Schulgeld nicht bezahlen zu können, indem
er kein Vermögen besitze. Diese Angabe ist ungegründet, indem
er Grundeigentum ererbt und seine Verhältnisse überhaupt
derart sind, daß er höheren Vorschriften gemäß das Schulgeld
bezahlen muß und der Schulvorstand ihn nicht davon dispensie-
ren kann. Demnach trage ich hiermit gehorsamst darauf an, daß
der Bittsteller mit seiner Klage abgewiesen und ihm wegen
derselben ein Verweis gegeben werden möge.
Der Bürgermeister
Van den Daele
Ob Tilmann Homburg mit seiner Eingabe etwas erreicht hat,
mag man wohl bezweifeln. Die von Homburg 1830 für kurze Zeit
wieder gangbar gemachte Uhr wurde Mitte der achziger Jahre des
vorigen Jahrhunderts durch die jetzt noch vorhandene Uhr mit
vier Zifferblättern ersetzt. Dafür, daß diese bald wieder in
Walhorn die richtige Zeit anzeigen, wird wohl in Kürze jemand
sorgen, der ”’die Uhrmacher-Kunst schulgerecht erlernt hat”.
Berichtigung
Zu dem Foto der Walhorner Feuerwehr, das wir auf Seite 75
der vorigen Nummer unserer Zeitschrift veröffentlicht haben, ist
statt Joseph Sartenar Joseph Klinkenberg zu lesen.
Er war einer der sieben Wehrmänner, die am 14. Mai 1940
aus der Wehr ausgeschlossen wurden.
76
Hergenrather Schulchronik |
(2. Foriseizung)
von Alfred Bertha
Kriegsjahre 14-18 und Neubeginn
Der Krieg brachte manche Umwälzung im Schulbetrieb.
Lehrer Stommen wurde einberufen. Josef Mennicken starb 1916.
Das Geschehen an der Front - besonders in den Jahren 1917 und
18 - blieb nicht ohne Einfluß auf den Unterricht, der noch mehr
als vorhin das Deutschnationale in den Vordergrund stellte.
Auch wurde die Schuljugend angespornt, durch Sammeln von
Obstkernen und Laub (-heu) der kämpfenden Truppe zu helfen.
Im ”Amtlichen Schulblatt’” für den Reg. Bez. Aachen vom
15.7.1917 schreibt der ”’Minister der geistlichen und Unterrichts-
angelegenheiten’’, er habe das Vertrauen, daß dem immer wieder
anzuregenden Sammeleifer der Schuljugend ein möglichst rest-
loses Erfassen der in diesem Jahre anfallenden Obstkerne für den
bedeutsamen Zweck gelingen werde. ”’In jeder städtischen und
ländlichen Gemeinde”’, so der Minister, ”’sowie in jedem Gutsbe-
zirk werden Obstkernsammelstellen errichtet werden, an welche
die gesammelten Kerne bis spätestens zum 1. Dezember 1917 ab-
zuliefern sind.”
Die Sammler erhielten pro Kilogramm Steinobstkerne 10
Pfennig, ein Kilo Kürbiskerne wurde mit 15 Pfennig abgegolten
und für ein Kilo Zitronen oder Apfelsinenkerne gab es gar 35
Pfennig. In Hergenrath war die Sammelstelle in der Knabenschu-
le bei Schulleiter Christian Kranz. Auch die Hauseter Schul-
jugend war aufgefordert, ihre gesammelten Kerne in Hergenrath
abzuliefern.
Im Juni 1918 teilt der Königliche Kreisschulinspektor Andree
in Malmedy den Lehrpersonen durch die Ortsschulinspektoren
folgendes mit : ’’Die Knappheit an Futtermitteln läßt es notwen-
dig erscheinen, daß Laubheu in möglichst großem Umfange ge-
wonnen wird. Drei Tage der Woche dürfen unter Ausfall des
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Die Schulkinder bei der Laubsammlung mit den Lehrpersonen Kaplan Houben,
Lehrer Hoster, Lehrerin Koep, Lehrer Kranz und Lehrerin Krückel,
Die gesammelten Obstkerne wurden zur Ölgewinnung ver-
wandt; das Laubheu wurde in den Fabriken zu Futterkuchen ver-
arbeitet. Diese dienten dann als Ersatz und zur Streckung des
Hafers. Y
Doch auch der Einsatz der Schulkinder und Lehrpersonen
konnte den Kriegsverlauf nicht ändern. Der Zusammenbruch des
Deutschen Reiches war unabwendbar, Versailles brachte für
unser Gebiet eine entscheidende Wende. Die Kreise Eupen und
Malmedy wurden vom Reich abgetrennt und nach einer mehr-
jährigen Übergangszeit unter General Baltia (10. Jan. 1920 -
1. Juni 192S) den altbelgischen Gebieten gleichgestellt.
Doch bevor wir diese Periode ins Auge fassen, sei ein kurzer
Rückblick auf die Entwicklung der Schulbevölkerung in preu-
Rischer Zeit gestattet. Auch auf einige andern Aspekte des Schul-
lebens möchten wir noch kurz zurückkommen.
79
Zunächst einige Zahlen :
Jahr Anzahl Kinder Anzahl Lehrpersonen
1827 89 1
1829 148 1
1836 178 x
1870 240 - 3
1877 296 * 3
1890 239 Zu
1895 236 3
1905 A 4
1910 262 4
* Davon gehen 235 in Hergenrath und 61 in Neutral-Moresnet
zur Schule.
** Die untere gemischte Klasse mit 100 Schülern ist vorüber-
gehend ohne Lehrer.
*** Davon sind 207 in Hergenrath, die Restlichen in Neutral-
Moresnet in der Schule. Von den 207 sind 60 aus Preußisch-
Moresnet; manche von ihnen haben mehr als 1 Stunde Schulweg!
Schulinspektionen in preußischer Zeit
Bis zum sog. Kulturkampf, der 1871 durch Bismarks anti-
klerikale Gesetzgebung (Kanzelparagraph, Schulaufsichtsgesetz,
Zivilehe, Verbot der Jesuiten und anderer Orden) ausgelöst wur-
de, lag die Schulinspektion in den Händen der Geistlichkeit. Als
Kreisschulinspektor fungierte meist der Landdechant, als Lokal-
schulinspektor der Ortspfarrer. So war in Hergenrath Pfarrer
Lambertz (1834-1875) lange Jahre hindurch Ortsschulinspektor.
1873 wurde Landdechant Sünn von seinen Funktionen ent-
bunden - eine Kulturkampfmaßnahme -; der Tod von Pfarrer
Lambertz (1875) bot der Regierung Gelegenheit, das Amt des
Ortsschulinspektors dem antiklerikal eingestellten Bürgermeister
Cornelius Hubert Mostert anzuvertrauen.
Medizinische Untersuchungen
Schulärztliche Untersuchungen fanden, wie es scheint, von
1908 an alljährlich statt. Der erste erwähnte Schularzt ist Dr.
Müller aus Preußisch-Moresnet (Neu-Moresnet), dem im Jahre
1909 der Geheime Sanitätsrat Dr. Molly, welcher als Arzt bei der
Grubengesellschaft der ”’Vieille Montagne” arbeitete, folgte. Er-
krankungen der Schulkinder werden häufig erwähnt, wobei die
Masern eine große Rolle spielten.
81
Leider ist das Programm dieser Abendschulen nicht bekannt.
Man darf aber annehmen, daß es mit dem reichhaltigen Angebot
heutiger Abendschulen nicht verglichen werden konnte und wohl
im wesentlichen eine Vertiefung und Weiterführung des Volks-
schulunterrichts bezweckte.
Hygiene in der Schule
Katastrophale Zustände herrschten noch 1888 an der Her-
genrather Schule. In einem Brief des Landrates’an den Bürger-
meister wird bemängelt, daß ”’die an der westlichen Seite des
Schulplatzes angebrachte, unmittelbar an der Dorfstraße zu
Hergenrath gelegene Abtritts- und Düngegrube”” sich in einem
solchen Zustande befinde, ”’daß auf eine Beseitigung der Mängel
unbedingt hingewirkt werden muß’. Die Jauche aus derselben
fließe naclı dem öffentlichen Wege und die Grube stelle in ihrem
unverdeckten Zustand eine Gefahr für Schulkinder und Passan-
ten dar. €
Wenn wir bedenken, daß Wasserleitung und Wasserspülung
damals noch in ferner Zukunft lagen, können wir uns leicht ein
Bild der schwierigen hygienischen Verhältnisse ausmalen ...
Die belgische Zeit - Das Gouvernement Baltia
Unter dem Titel ”’L’enseignement en Belgique redimee” (Das
Unterrichtswesen in Neu-Belgien) veröffentlichte die Tageszeitung
”’La Libre Belgique’’ am 6. und 7. Mai 1922 zwei längere, nicht
signierte Aufsätze, die sich eingehend mit der schulischen Situa-
tion in den neubelgischen Gebieten von Eupen-Malmedy be-
faßten.
Der Verfasser stellt eingangs die Verschiedenheit der päda-
gogischen Methoden und Praktiken des preußischen und des bel-
gischen Schulsystems heraus, wobei er dem belgischen System,
das auf die Körperstrafe verzichtet und eine ”weniger strenge,
weniger kleinliche und weniger mechanistische Disziplin’”” verlan-
ge, ganz klar den Vorzug gibt, untersucht dann das Mittelschul-
wesen in Eupen und Malmedy und kommt dabei zu dem Schluß,
daß dasselbe ”in einem ausgezeichneten Zustand ist und daß das
Werk des Hohen Kommissars großes Lob verdient”’. Vor allem
das didaktische Material des Eupener Realgymnasiums, das vom
82
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General-Leutnant BARON BALTIA, Gouverneur von Eupen und Malmedy
College Patronne€ übernommen wurde, erregte Staunen und Be-
wunderung. ”’Man steht sprachlos vor diesem Material, das viele
Räume füllt”’, schreibt die ”’Libre Belgique”. Sie findet sogar, das
sei übertrieben und die Absicht, ”kolossal’” zu wirken, trete klar
zutage.
Der Volksschulunterricht befinde sich leider in einem viel
weniger befriedigenden Zustande, was vor allem auf die Schwie-
rigkeiten bei der Einstellung neuer Lehrpersonen zurückzuführen
sei. Und gewisse Praktiken der Baltia-Regierung verschärften
noch die Lage.
Es war nicht leicht, nach dem Wegzug der deutschen Lehrer
neue Lehrkräfte mit genügenden Deutschkenntnissen zu finden.
In Belgien selber herrschte keineswegs Überfluß an Lehrkräften.
Zudem waren nur wenige Lehrer gewillt, in der schwierigen Über-
gangszeit nach Eupen-Malmedy zu gehen, wo sie vielfach mit
Mißtrauen empfangen wurden. Auch waren die Lebenskosten
dort höher als im Inneren Belgiens, so daß man einen Zuschlag
83
zum Gehalte versprechen mußte. Dieser Zuschlag belief sich auf
10 Fr pro Tag, die bis zum 30. Juni 1921 gezahlt wurden. Wegen
Budgetschwierigkeiten wurde die Summe dann um die Hälfte ge-
kürzt, was bei vielen Lehrern große Verärgerung hervorrief.
Einige verließen ihren Posten in Eupen-Malmedy wieder und gin-
gen ins Landesinnere zurück.
An der Misere im Schulwesen war die deutsche Seite auch
nicht ganz unschuldig. Im Sommer 1920 waren an den Volks-
schulen Eupen-Malmedys 106 reichsdeutsche, 8 einheimische und
76 altbelgische Lehrer beschäftigt. Nur 12 reichsdeutsche Lehr-
kräfte waren bereit, auch nach dem Anschluß des Gebietes an
Belgien dort im Dienst zu bleiben. Die übrigen wurden im Sep-
tember 1920 von Kommissar Baltia entlassen und kehrten ”auf
Empfehlung der Reichsregierung”” ins Reichsgebiet zurück. Die
belgische Regierung war bereit gewesen, die Lehrpersonen im
Amt zu belassen, doch unter der Bedingung, daß dieselben eine
Loyalitätserklärung für Belgien abgäben.
Der Versuch, aus Eupen-Malmedy stammende, aber im
übrigen Rheinland unterrichtende Lehrpersonen zurückzuwer-
ben, schlug fehl. Es meldeten sich nur 7 Volksschullehrer, die
bereit waren, dem neuen Regime zu dienen. (1)
Die Schwierigkeiten zogen sich über lange Monate hin.
So waren im Mai 1922 noch immer einzelne Klassen ohne
Lehrer. Etwa 20 Klassen zählten mehr als 50 und bis zu 72 Schü-
ler, während das Gesetz eine Höchstzahl von 40 zuließ. Aber, was
in den Augen des Berichterstatters noch schlimmer war : eine
große Anzahl der Lehrerstellen waren mit Fremden, darunter
Preußen! besetzt.
Ende März 1922 waren in Eupen-Malmedy 211 Lehrer und
Lehrerinnen im Amt. Davon waren 124 belgischer Nationalität.
20 waren Deutsche (keine Eupener oder Malmedyer, sondern
(1) Siehe dazu Klaus Pabst : — ”Eupen-Malmedy in der belgischen Regierungs-
und Parieienpolitik 1914-1940” ZAGV, Bd. 76, Aachen 1964, S. 299-306.
— "50 Jahre Geschichte der Ostkantone”, Veröffent-
lichung des BHF, 1972, S. 15-16.
— "”Eupen-Malmedy und sein Gouverneur”, Denk:
schrift zu Ehren des General-Leutnants Baltia v. 28.Okt. 1923, S. 85-92.
84
”wahrhaftige Boches’”’). 16 Lehrer kamen aus dem Großherzog-
tum Luxemburg; einer war Pole, einer Holländer und ”über die
Staatsangehörigkeit der 49 anderen sei das Volk nicht erbaut”.
Die meisten davon stammten aus der Gegend, seien aber vordem
in Deutschland im Schuldienst gewesen. Einer der 49 sei preußi-
scher Offizier gewesen, habe den Krieg mitgemacht und gegen
den Anschluß Eupen-Malmedys an Belgien protestiert. Dieser
Mann habe eine Schulleiterstelle und habe das Sagen über drei
belgische Amtskollegen!
Von den 211 Lehrern und Lehrerinnen besaßen 56 deutsche
Diplome, 15 hatten ein luxemburgisches Zeugnis, zumeist noch
nicht abgeschlossener Studien; 19, darunter 3 Belgier, besaßen
kein Diplom.
In Hergenrath hatten die Übergangsschwierigkeiten relativ
schnell überwunden werden können. Ü
Schon im Frühjahr 1920 konnten die ersten belgischen Lehr-
kräfte nach Hergenrath verpflichtet werden.
Für Emile-Hubert-Joseph Generet und seine Frau Augusta
kam der Wechsel ins deutsche Sprachgebiet nicht ungelegen. Der
1892 in Henri-Chapelle geborene Lehrer hatte 1911 sein Lehrer-
diplom in St. Roch erworben und unterrichtete in Herstal. Frau
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Emile Generet und die Jungen des 5.-8. Schuljahres stellten sich dem
Photographen 1931 bei einem Schulausflug [an der Gileppe-Talsperre?].
86
Die deutschen Lehrpersonen waren alle bis auf eine aus Her-
genrath verzogen. Diese eine, ein Frl. Delhey aus Aachen, blieb
unter dem Gouvernement Baltia und bis zum 1.12.1926 im
Dienst. Mit diesem Tage mußte sie ihre Stelle aufgeben, da sie
sich weigerte, die belgische Staatsangehörigkeit anzunehmen.
Ihre Stelle nahm nun die aus Hergenrath stammende
Johanna Schoenauen ein. Diese hatte ihr Diplom in Bastogne er-
worben.
Nur ein kurzes ”’Gastspiel”” in Hergenrath gaben die Lehre-
rinnen Armande Bastien aus Verviers, die am 24. März 1921 rück-
wirkend zum 19. April 1920 ernannt wurde und Frau Talmasse- .
Tafinez aus Welkenraedt, die zum 15.3.1920 ernannt wurde, aber
schon am 30.4. desselben Jahres ihr Amt niederlegte.
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Stehend(v.l.n.r.) : Herr Noel, Emile Generet, Jos. Tonteling;
}; Sitzend : Maria No@l-Etienne, Augusta Generet.
87
Länger blieb Frl. Pröhs (geb. in Amel) die im Lehrerinnen-
seminar Saarburg studiert hatte. Sie trat ihren Dienst in Hergen-
rath am 17. September 1920 an und blieb bis zum 1.11.1925.
In bester Erinnerung ist heute noch den meisten Hergen-
rathern Frau Maria No&l-Etienne, die am 3.10.1921 ihren Dienst
in Hergenrath antrat und bis zu ihrer Pensionierung an der Her-
genrather Schule unterrichtete. (1)
Ebenfalls lange Jahre unterrichtete hier Frl. Louise Bert-
rams, die am 24. März 1921 angestellt wurde und das 3. Schul-
jahr übernahm. Frl. Bertrams war eine außergewöhnlich guther-
zige Frau, die immer mit Güte und Geduld ihre pädagogischen
Ziele zu erreichen versuchte. Mit kleinen Geschenken (Bildchen,
Radiergummis, Bleistiften etc.) wußte die Lehrerin den Lerneifer
der Kinder anzustacheln. Doch bei den Knaben hatte sie manch-
mal Schwierigkeiten und mußte dann den über der Schulklasse
wohnenden Polizeidiener Bodelier herbeirufen, der es verstand,
durch ein Machtwort Klassenordnung und Disziplin wieder her-
zustellen.
Louise Bertrams stammte aus Verviers. Sie blieb im Unter-
richt bis zum 1.9.1953. Sie starb am 18.2.1962 und wurde auf dem
Hergenrather Friedhof beigesetzt.
In der Zeit des Übergangsregimes Baltia (1920-25) taten also
in der Hauptsache folgende Lehrpersonen hier Dienst : Frl.
Delhey, Frl. Bertrams, Frau Noö6&l, Frl. Pröhs, Lehrer Tonteling
und Lehrer Generet.
Fri. Pröhs verließ Hergenrath wie schon erwähnt, im Novem-
ber 1925. Um die freigewordene Stelle bewarb sich die Gattin des
Hauptlehrers, Frau Generet, die vor einer besonderen Prüfungs-
kommission in Eupen i.J. 1924 ihr Lehrbefähigungszeugnis erhal-
ten hatte. Die von dieser Prüfungskommission ausgestellten
Diplome ermächtigten nur zum Unterrichten in den Kantonen
Eupen, Malmedy und St. Vith.
Frau Generet hat bis zu ihrer Pensionierung i.J. 1965 ihr
Bestes im Dienste der Hergenrather Schuljugend gegeben.
(1) Sie reichte ihren Antrag auf Versetzung in den Ruhestand im März 1937 ein.
Bis zum Ende des Schuljahres 1936/37 wurde Frl. Gertrud Laschet aus Hergen-
rahı mit der Vertretung von Frau No&l beauftragt. Für das Schuljahr 1937-38
ernannte die Gemeinde für die Dauer eines Jahres der den aus Hauset stammenden
Lehrer Joh. Jac. Finken,
89
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Anm. : De Botz ist kein Kleidungsstück, son-
dern ein Raerener Ortsname, desgl. Öngeschde
Botz.
90
Aus dem Hauseter
Gemeinderatsprotokollbuch
von Alfred Bertha
Die Franzosen hatten Hauset und Hergenrath zur ”’Mairie de
Hergenrath’” zusammengelegt. Erst 1850 gelang es Hauset, wie-
der selbständige Gemeinde zu werden. (1) Die vollständige
Trennung der beiden Orte währte jedoch nur bis 1877, denn A
nachdem sich Johann Egidius Bischoff, der erste Bürgermeister
der Gemeinde Hauset, aus allen öffentlichen Ämtern zurückge-
zogen hatte, wurden die beiden Orte Hauset und Hergenrath
wieder zum Standesamtsbezirk Hergenrath verschmolzen. Dieser
Zustand dauerte bis nach dem 1. Weltkrieg.
Aus der Zeit der Selbständigkeit Hausets besitzen wir ein die
Jahre 1872 bis 1877 umfassendes Protokollbuch der Gemeinde-
ratssitzungen, woraus wir folgende Notizen als kleinen Beitrag zur
Hauseter Pfarrgeschichte veröffentlichen.
Mittelst vorschriftsmäßiger Einladung war auf heute Nach-
mittag 4 Uhr eine Gemeinderaths Sitzung anberaumt, wobei
nachfolgender Gegenstand zur Beratung verzeichnet war :
1/ Pfarr-Gehalt und sonstige kirchliche Bedürfnisse betreffend :
Der Vorsitzende legte dem Gemeinderathe einen Antrag des
hiesigen Kirchen-Vorstandes vor, wonach derselbe den Gemein-
derath ersucht, derselbe möge beschließen, wie er auch seine
früheren Verpflichtungen eingegangen, daß das Pfarr-Gehalt und
die Kosten der übrigen kirchlichen Bedürfnisse wieder auf den
Gemeinde-Etat gebracht, nach Maßgabe der direkten Steuern auf
die Einwohner und übrigen Grundbesitzer vertheilt und aus der
Gemeindekasse gezahlt werde.
Nach längerer und gründlicher Berathung und nachdem die
früheren errichteten Gemeinderaths-Beschlüsse, nämlich vom 17.
Maerz 1858, 26. Juni 1861, 31. Oct. 1865, 19. Dezbr. 1869 und
(1) S. ”Im Göhltal” Nr. 12, S. 60 ff.
91
14. Maerz 1872 und die seitens der königlichen Aufsichts-
Behörde hierauf erlassenen Verfügungen nochmals durchgesehen,
woraus hervorgeht, daß die vorerwähnten Gemeinderaths-
Beschlüsse seitens der königlichen Aufsichts-Behörde auf das
bereitwilligste genehmigt worden, so kann der Gemeinderath nur
zu dem Resultat gelangen, daß der Antrag des Kirchen-
Vorstandes ein ganz gerechter sei. Denn schon gemäß erstem
Beschluß vom 17. Maerz 1858, der sowohl seitens der königlichen
Regierung als der geistlichen Oberbehörde und durch Kegl.
Cabinetts-Ordre vom 23. Januar 1861 ..... erhalten hat ... (unle-
serlicher Text) früher keinen Pfarrer angestellt haben, wenn
dessen Gehalt nicht unbeschränkt gesichert gewesen wäre.
Der damalige Gemeinderath hat sich auch dazu vollkommen
verpflichtet und sogar das Vermögen moralisch zur Hypothek
gestellt.
Der gegenwärtige Gemeinderath hat also die heilige Pflicht,
den früher eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen, was
er auch gerne thun will, wenn ihm, wie bisher, die Erlaubnis dazu
ertheilt werde. Es kann aber dem Gemeinderath nicht in den Sinn
kommen, auf irgend welche Weise sich gegen Anordnungen und
Verfügungen der Kgl. Aufsichtsbehörde unfolgsam oder wider-
spenstig zu zeigen, sondern er will denselben vielmehr gutwillig,
pünktlich und gewissenhaft nachkommen (was besonders ich, der
Vorsitzende, schon mehr als dreißig Jahre auf’s Pünktlichste
gethan habe.)
Aber wir wollen unseren Verpflichtungen, die wir anderen
gegenüber eingegangen sind, nachkommen. Dazu verpflichtet uns
unsere Ehre, dazu verpflichtet uns unser Gewissen auf’s Strengs-
te. Wir wollen ja von niemand, weder vom Staate noch von
jemand anders etwas fordern, wir wollen die Last, die wir uns
selbst aufgeladen, die aber für uns das größte Bedürfnis war,
auch selbst tragen, wozu wir auch im Stande sind, wenn uns nur
die Erlaubnis, die uns früher ja bereitwillig gegeben, dazu ertheilt
wird. Wenn dieses aber nicht geschieht, wenn wir dem Pfarrer
kein Gehalt mehr zahlen dürfen, was werden die Folgen sein?
Derselbe wird sich eine andere Existenz sichern müssen und die
Gemeinde steht ohne Seelsorger; was wird dann aus unserer
Jugend, die jetzt schon 160 Schul-Pflichtige zählt, wenn dieselbe
ohne Religions-Unterricht erzogen wird? Ist wohl je ein Mensch,
92
der ohne Religion erzogen, ein guter Staatsbürger geworden?
Man wird uns mit ”’Nein’’ antworten müssen.
Als wir in den fünfziger Jahren, nachdem wir uns vorher zur
selbständigen Gemeinde ‚erhoben, die jetzt schon über 700 Seelen
zählt und bedeutendes Vermögen an Waldungen und Grund-
eigenthum hat, Straßen bauten, Schulen bauten, Kirche- und
Pfarrhaus errichteten, hat die Kgl. Oberbehörde mit Wohlge-
fallen auf uns herab geblickt und unsere Werke lobend aner-
kannt. Und jetzt, wenn wir keinen Geistlichen mehr bezahlen
dürfen, sollen dieselben verödet und leer stehen; ja aus Furcht vor
solchen Dingen, die da kommen könnten, sind die sämtlichen ,
Einwohner in ihrem Herzen und Gewissen schon aufs Tiefste
erschüttert.
Der Gemeinderath tritt daher mit vollem Vertrauen auf
Gerechtigkeit mit dem unterthänigsten und gehorsamsten Antra-
ge heran, die Kgl. Aufsichtsbehörde möge gestatten, daß das
Pfarr-Gehalt sowie die Kosten für die übrigen kirchlichen Bedürf-
nisse wieder auf den Gemeinde-Etat gebracht und nach Maßgabe
der directen Steuern auf die Einwohner und die übrigen Grund-
besitzer der Gemeinde vertheilt und aus der Gemeindekasse
bezahlt werden.
Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben
Bohlen
Schmetz; Pet. Jos. Laschet; J.P. Timmermanns;
H. Laschet; Bischoff, Vorsitzender
Am 30. November 1876 konnte der Vorsitzende den versam-
melten Gemeinderatsmitgliedern mitteilen, daß die Kgl. Regie-
rung zu Aachen durch Verfügung vom 20. November 1876
angeordnet habe, daß die Auszahlung des Pfarrgehaltes von 300
Mark an den Pfarrer von Hauset ”’nicht zu inhibieren”’ sei, wenn
der Gemeinderat sich für die Auszahlung desselben entscheide.
Voraussetzung sei allerdings, daß diese Zahlung aus dem Über-
schuß der Waldeinnahmen vorgenommen werde. Nicht genehmigt
werde seitens der Regierung die Auszahlung des Honorars für die
2. Messe und die der Gratifikation, da die Zahlung dieser Beträge
seitens der Gemeinde ohne Verbindlichkeit geschehen sei.
Nach reiflicher Überlegung und nach Erwägung der früheren
Gemeinderatsbeschlüsse erklärte der Gemeinderat, daß er sich
nicht nur zur Auszahlung des Gehaltes 4 300 Mk für 1876, wie er
93
vertraglich verpflichtet sei, entscheide, sondern daß er sich auch
verpflichtet halte, ”’die Auszahlung in Zukunft zu leisten,
einerlei ob die Revenüen des Waldes, den er als Unterpfand’
angeboten, für alle Bedürfnisse der Gemeinde ausreichen oder
nicht”. Der Gemeinderat habe nämlich die kirchlichen Bedürf-
nisse ”nicht bloß auf die Überschüsse, sondern auf die Wald-
revenüen überhaupt angewiesen”.
Weiter erklärte der Gemeinderat, daß er sich zur Zahlung
der Gratifikation und des Honorars für die 2. Messe, das auf
einem Vertrag beruhe, genau so verpflichtet habe, wie zur
Zahlung des ursprünglichen Gehaltes (Beschluß vom 26. Juni
1861, 19. Dez. 1869 und 14. März 1870). Auch sei seiner Zeit
höheren Orts um die Genehmigung dazu ersucht und dieselbe
erteilt worden. So sehe er nicht ein, daß nur das ursprüngliche
Gehalt von 300 Mk und dies auch nur für 1876 ausgezahlt werden
solle, da er sich doch für das eine genauso verbunden habe wie
für das andere.
Wie aus dem Gemeindebüdget von 1877 hervorgeht, hat die
Gemeinde diese beiden von der Kgl. Regierung nicht genehmig-
ten Posten beibehalten und dem Pfarrer auch weiterhin ein
Gehalt von insgesamt 645 Mk bezahlt.
Leider liegen keine weiteren Unterlagen zu der Frage des
Pfarrgehaltes mehr vor.
Hauseter Gemeindeväter jener Jahre kann man jedoch beschei-
nigen, daß sie Rückgrat besaßen und sich nicht scheuten, der
Obrigkeit zu widersprechen, wenn es darum ging, ihre einmal
eingegangenen Verpflichtungen einzulösen.
(1) Die Gemeinde hatte sich verpflichtet, für die Bination 150 Mk und als
persönliche Zulage zum Pfarrgehalt 195 Mk zu zahlen.
94
Aus dem Arzneischatz der Volksmedizin
von Walter Meven
In der Nummer 28 unserer Zeitschrift brachten wir eine
Auswahl von Rezepturen aus den Aufzeichnungen der Pfarrer
Wilhelm Schutgen aus Eys / Wittem und Wilhelm Caproens
(1682-1711) aus Walhorn.
Aus diesen Unterlagen haben wir eine weitere Folge ausge-
wählt, die zum Teil in lateinischer Sprache abgefaßt sind und
durch uns ins Deutsche übersetzt wurden.
Die Volksmedizin hat in der klassischen Medizin lange keine
Beachtung gefunden. Die gewaltigen Fortschritte in der wissen-
schaftlichen Medizin in der zweiten Hälfte des vergangenen
Jahrhunderts führten dazu, daß man die Volksmedizin, der
mangelnde Kritik durch Überprüfung und Experiment vorgewor-
fen wurde, nicht ernst nahm.
Ihre Prinzipien, z.B. Ähnlichkeits- und Reproduktions-
prinzip, entsprechen nicht dem wissenschaftlichen Denken. (1)
Ihre mythisch-magischen Anteile wurden im Zeitalter der Auf-
klärung als reiner Aberglaube und sogar als Betrug eingestuft.
Die Definitionen des Begriffes ”’Volksmedizin’” durch moderne
Wissenschaftler besagen, daß sie die Gesamtheit der im Volke
lebendigen Krankheits- und Heilvorstellungen umfaßt und außer-
halb der wissenschaftlichen Heilkunde liegt.
Bis zum Beginn des 19. Jh. kannte man die Trennung von
Schulmedizin und Volksmedizin nicht. Letztere ist die älteste
Form der Heilkunde; sie ist verknüpft mit der mythisch-
magischen Heilkunde der Vorzeit.
Die ”’theurgische Medizin’’ das Priester-Arzttum, stellt den
Anfang des ärztlichen Standes dar und ist von der Volksmedizin
nicht zu trennen. Es repräsentiert das Weltbild der Vorzeit, das
(1) Ähnlichkeitsprinzip : Man war der Meinung, daß zum Beispiel die gelbe Farbe
einer Blüte eine Kraft zur Heilung der Gelbsucht beinhalte, die Pflanze Steinbrech
oder Saxifraga mit ihrer den Fels sprengenden Wirkung, den Stein im Menschen
ebenfalls zerstören könne.
Reproduktion : Wiederholung eines bewährten Verfahrens,
9
auch noch in der heutigen Zeit, z.B. bei den Naturvölkern und in
bäuerlichen Volksteilen unserer Gesellschaft lebt. Doch leider
geht das Wissen um die heilende Kraft gewisser Kräuter und
Substanzen auch dort immer mehr verloren und die chemischen
Heilmittel erobern auch diesen Markt.
Hier nun die angekündigten Rezepte, von denen die meisten
wohl einer kritischen Prüfung nicht standhalten dürften. Es sei
noch vorausgeschickt, daß es uns nicht gelungen ist, die unter Nr.
2 genannte ”’acidula’’ zu identifizieren. Dasselbe gilt für das unter
Nr. 6 empfohlene ”’Calybem”’. Vielleicht kann uns ein Leser einen
Hinweis geben.
1/ Vom Fenchel
— für die Augen : Der Saft der Wurzel, mit jungem Honig
vermischt, macht die Augen klar vom Schleier.
— für die Ohren : Sein Saft, in die Ohren gegossen, tötet die
Würmer.
2/ Von der Acidula
— für die Augen : Der Saft heilt die Augen auf, wenn man
dieselben damit einreibt.
— für’s Gehör : In die Ohren gegossen hilft der ausgepreßte Saft
dem Gehör auf wunderbare Weise und vertreibt den Schmerz.
— um Kopf und Augen zu reinigen : man fertige Pillen aus
Acidula-Extrakt und Zimt oder Anis.
3/ — für die Augen : man nehme Rosemarinblumen und
-blätter, jung, mit brod und wenig saltz alle morgen gessen soll
kräfftig das blode (= schwache) gesicht (= Augenlicht) starcken.
: man nehme nägelein blumen eingemacht :
stärken das gesicht; deren alle wochen 2 ad 3 mahl gebraucht,
4/ — von den leffzen (Lippen) deme die gerissen seind : nimm
dicken süßen Milchrahm schmiere die leffzen offt damit.
: nimm
ungesaltzene frische butter, schmeltze die und schütt drauf kalt
wasser in ein becken, mischet unter diese butter wenig honig,
salbe die leffzen damit.
5/ — für die Zähne : selbige morgens und nach der malzeit wol
waschen und reiben mit salbenbleiter (Salbeiblätter?) muscaten
oder nägelein pulver.
96
6/ — Heilmittel für verschiedenes
— Eichenblätterabsud getrunken und die warmen Blätter in
einem Beutel auf den Bauch oder Magen gelegt bringen Heilung.
— Nimm Rotwein, füge heissen Calybem hinzu, nimm dann
frisches Weisbrot, tunke es in diesen Wein und iß es.
— Nimm Weizenmehl, trockne es im Ofen, vermische dieses
Pulver mit Milch, in die du vorher erhitztes Calybem abkühlen
hast lassen. Trinke nichts anderes als die Milch in die du warmen
Calybem tust.
— Nimm zerriebene Muskatnuß, mische sie unter ein Ei, laß
das Ganze über einen heißen Ziegelstein laufen und iß es oder
misch es mit Mehl und Essen, koch es alsdann und iß es. Wenn
es hart werden sollte, zermahle es.
— Laß unreife Brombeeren im Ofen ausdörren, zermahle sie
mit Granatapfelschalen, füge geröstete Muskatnuß hinzu und
nimm dieses mit Rotwein.
7/ Für den Zupfflin im Haltz :
— Nimm daß laub von Schlehendorn siede es in gutem wein,
und gurgel den halss damit.
— Nimm Essig, saltz und Honig, laß ein wenig sieden und
nutz es.
— Rosmarin und Bertram in Wein gesotten, und den Halss
damit gegurgelt, heylet.
8/ So den Frawen ihre Krancheit verstopfit ist :
— Knoblauch gesotten mit dem Kraut in wein und getrun-
cken, bringt den Frawen ihre Zeit.
— Anis genutzet bringet den Frawen ihre Krancheit zu Hand.
— Menta (= Minze) gessen und darvon getrunken bringet
den Frawen ihre Zucht.
9/ Zu den Augen
— Blaw Kornblumenwasser, Ritterspornwasser, Rosenwasser,
Ringelwasser. Manchen Wasser, Felberblut Wasser, Schollwurts
Wasser, Eysenkrautwasser, Meyenblumenwasser, die erklären die
Augen.
10/ Für das drittagige Fieber
— den Syrup von Endivia benimbt daß drittagige Fieber.
— welcher das drittagige hatt, der trincke von tormentill-
wurzel und Kraut, es hilft.
97
11/ Von der Raute
— Getrunken widersteht sie dem Wein, roh genossen den
Giften. Mithridates, König von Pontus, hat dies oft erprobt. Er
pflegte des Morgens beim Aufstehen 20 Rautenblätter mit etwas
Salz, 2 grossen Nüssen und 2 Feigen nüchtern gegen Gift zu
essen.
— Roh genossen reinigt die junge Pflanze die Augen vom
Schleier (Star ?), doch ist sie besser mit Fenchelsaft und der
Galle eines Hahnes.
— Die Augen des Patienten reibe man häufig mit einer zu
gleichen Teilen aus Rautensaft und Honig bestehenden Mi-
schung.
12/ Über den Wegerich
— Gegen das drittägige Fieber : Zerstampfe drei Wegerich-
wurzeln, füge den zermalmten Wurzeln 3 Becher Wein hinzu und
achte darauf, daß auch die gleiche Menge Wasser dazukomme.
Gib dem Fieberkranken davon zu trinken, ehe das Fieber ihn
schüttelt. So wirst du das Fieber vertreiben, dem der 3. Tag den
Namen gegeben hat.
98
Auf dem Büchermarkt
von Alfred Bertha
Unter dem Titel
”Neutral-Moresnet
Kelmis
Ursprung der Vieille Montagne 1)
veröffentlicht Leo Wintgens im Grenz-Echo Verlag, Eupen, eine
Text- und Bildsynthese über den Bergwerksort Kelmis, das
ehemalige Neutral-Moresnet, sowie die seit 1977 eingemeindeten
Nachbarorte Neu-Moresnet und Hergenrath. i
Nach einer viersprachigen Einleitung in die wechselvolle Ge-
schichte des umstrittenen neutralen Gebietes nimmt uns der
Autor mit auf einen Spaziergang durch das alte Bergwerksdorf
und zeigt uns anhand von ca. 200 Fotos, Postkarten und
Dokumenten, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen As-
pekte des Lebens im vom Zinkbergbau geprägten Kelmis ”anno
dazumal””.
Nach einem Gang durch den ältesten Kern (an der Rochus-
kapelle) kommen wir zur ”’Kull”” und den dortigen Werksanla-
gen, besichtigen Neu-Moresnet, Hergenrath und die Hammer-
brücke und kommen zurück zur ”Kull’””. Zwischendurch einge-
streut zahlreiche. alte Ansichtskarten und Fotos, die uns zeigen,
wie die Bergwerksgesellschaft der ”’Vieille Montagne’”’ das Leben
der Menschen in Kelmis beeinflußt hat. Wir sehen Bilder von
Schule, Kirche, Kloster, Bergwerkskapelle und anderen Verei-
nen, aus denen hervorgeht, daß die ”’Vieille Montagne” nicht nur
der wirtschaftliche, sondern auch der gesellschaftliche und kultu-
relle Motor des neutralen Gebietes war.
Nicht ganz in den Rahmen passen die Bilder aus Hergenrath,
in deren Untertitel sich auch einige Irrtümer eingeschlichen
haben, z.B. zu den Bildern S. 183, 184, 193 u. 195. Doch tun
diese kleinen ”’Schönheitsfehler”’ dem Wert des Ganzen keinen
Abbruch und dieser Bildband ist eine wertvolle Bereicherung
jeder heimatkundlichen Bibliothek.
* * *
1) 223 Seiten, Leinen, 595 Fr.
99
”Wir erfahren erst im Alter, was uns in der Jugend
begegnete.”
Diesen Ausspruch Goethes stellt Pastor i.R. Viktor Gielen
seinem neuesten Buch voran. Der Autor, Jahrgang 1911, schaut
zurück auf ”’Erlebtes und Erlauschtes’”” und was dabei herausge-
kommen ist, ist mehr als eine einfache Biographie. Es ist ein
Bekenntnis zur Heimat, ihrer Geschichte und Kultur, zur Völker-
verständigung in der Euregio und nicht zuletzt zu Glauben und
Kirche. 3
In ”Heimatglocken, Erlebtes und Erlauschtes”, Grenz-Echo
Verlag, Eupen, 208 S., 565 Fr, begleiten wir Viktor Gielen auf
seinem Lebensweg, erleben mit dem kleinen vierjährigen ”Hosen-
matz’”’ den Ausbruch des 1. Weltkrieges und, dessen bitteres
Ende, gehen mit ihm die verschiedenen Stationen seines Lebens
(Hauset, Raeren, Studium am Eupener Kolleg, Seminar, Kap-
lans- und Pfarrjahre ...) Und immer wieder ersteht vor uns die
bewegte Geschichte unserer Heimat : Versailles, die Nazizeit, die
Rundstedtoffensive, die Nachkriegsnot ... Wir begegnen vielen
Menschen, denen der Autor in seinem Buch ein Denkmal setzt,
vor allem seinen Eltern, Studienkollegen und Freunden. Ein
Denkmal setzt er auch seinen Pfarrkindern von Walhorn und
‚Raeren und er erläutert, wie er zum ”’schreibenden Pastor”
wurde. *
Wenn Viktor Gielen nun auch mit den ”’Heimatglocken”
eine Art Memoiren vorgelegt hat, so sind wir doch sicher, daß er
nicht die Absicht hat, die Feder hinzulegen. Seine vielen Leser-
freunde danken es ihm und freuen sich schon jetzt auf den
nächsten ”’Gielen”’.
* * *
(*) Der geringe zeitliche Abstand zu manchem Erlebnis zwingt V. Gielen zu einer
strengen Auslese. Es fällt dennoch mehr als "eine Kleinigkeit’ für die Heimatge-
schichte ab.
100
Im Rahmen von Forschungen über die Kartographierung
Belgiens im 18. Jh. stieß Frau Claire Lemoine-Isabeau in Paris
und in Wien auf umfangreiches, bisher nicht veröffentlichtes
Kartenmaterial aus der Zeit von 1700-1762.
Die sich auf das Lütticher Land beziehenden Karten liegen
nunmehr in einer bibliophilen Ausgabe des Gemeindekredits von
Belgien vor :
C. Lemoine-Isabeau et E. Helin : Cartes inedites du Pays de
Liege au XVIIe siecle, Collection Histoire Pro Civitate, serie
in-4°, n° 9, 1980, 80 pp., 1500 F.
Dieses Kartenwerk zeigt den bemerkenswert hohen Stand,
den die französische Kartographie schon unter Vauban und
Ludwig XIV. erreicht hatte. Frau Lemoine erläutert die einzelnen
Karten vom Gesichtspunkt des Kartographen aus, während
Professor Etienne Helin, ein Spezialist der Geschichte des Fürst-
bistums Lüttich, dieselben in den historischen Umtext einbaut.
In einem Anhang finden sich 9 großformatige Karten des 18.
Jh., die u.a. auch das Gebiet Verviers - Eupen - Kelmis,
Monschau und Elsenborn abdecken.