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Landschaft im Grenzraum Nordostbelgiens
N: 25
Vorsitzender : Peter Zimmer, ”Regina”, 4671 Moresnet-Kapelle.
Sekretariat : Kirchplatz, 6 - 4720 Kelmis.
Lektor : Alfred Bertha, Hergenrath, Bahnhofstraße, 33
Kassierer : Fritz Steinbeck, Kirchstraße, 20, Kelmis.
Postscheckkonto N” 000-0191053-60
Die Beiträge verpflichten nur die Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten.
Entwurf des Titelblattes : Frau Pauquet-Dorr, Kelmis.
Diese Skizze zeigt den Moresneter Göhlviadukt sowie die Hergenrather
Hammerbrücke in ihrer ursprünglichen Form.
Druck. Jacques Aldenhoff, Gemmenich.
3
Inhaltsverzeichnis
Hubert Beckers, Eilendorf Über die Galmeivorkommen im Gebiet
der Altenberger Konzession S
Walter Meven, Hergenrath Die ”Herrlichkeit’” Eynatten 12
M.-Th. Weinert, Manche Dinge 18
Aachen-Forst
Alfred Bertha, Hergenrath Beisetzungen und Grabstätten in der
Pfarrkirche zu Walhorn 19
Viktor Gielen, Eupen Zum Tode des Walhorner Pfarrers
Anton Mennicken vor 100 Jahren 43
M.-Th. Weinert, Beginenhof 47
Aachen-Forst
M.-H. Corbiau Chauss6e antique 4 Membach 48
Dr. Gisela De Ridder, Die Göhltalvereinigung in Sachen ,
Moresnet-Kapelle Denkmalschutz 55
Peter Emonts-pohl, Raeren 2 Gedichte in Raerener Mundart 59
L. Wichert-Schmetz, Tagebuch eines Teenagers aus dem
Bad-Driburg 1. Weltkrieg 62
L. Homburg, Fossey Vor 65 Jahren 97
Gerard Tatas, Gemmenich OVWie 100
Gerard Tatas, Gemmenich Nades wurde 90 Jahre alt 101
$
Über die Galmeivorkommen im Gebiet
der Altenberger Konzession
(nach einem Bereisungs-Protokoll vom 14. Mai 1817)
von Hubert Beckers
Für die Mehrzahl unserer Göhltal-Leser ist der Name
”Altenberger Galmei’’ - infolge der ausführlichen Berichte von
Herrn Uebags - im Laufe der Zeit zu einem festen Begriff
geworden. Weniger Material steht uns jedoch über die weiteren
Galmeivorkommen im Gebiet der Altenberger Konzession zur
Verfügung. Umso interessanter dürfte daher ein Bericht sein, der
uns aus dem Jahre 1816 erhalten ist. Es ist der Auszug aus einem
Protokoll über die Reise des Königlichen Geheimen Oberberg-
rats, Herrn Grafen von Beust, die dieser am 13. Mai 1817, also
kurz nach dem Grenzvertrag vom 26. Juni 1816, ”nach den
Galmei-Niederlagen an den Königl. - Preuß. und Belgischen
Grenzen” unternahm. Bei seiner Rundfahrt wurde er von den
Königl. Oberbergräten Mayer und Noeggerath sowie dem Königl.
Bergmeister Schmidt begleitet. Als Ortskundiger war ihm der
”gewerkschaftliche Gruben-Inspector Herr Deprez’”’, der Vorste-
her der Altenberger Galmeigrube, beigegeben. Über die vorer-
wähnten Galmeivorkommen berichtet er wie folgt :
”Den 13ten d.M. (Mai) wurde vor der Abreise der aus
frühern Bereisungen schon genau bekannte Altenberg, in dem bei
der Grenz-Regulierung zwischen Preußen und Belgien ungetheilt
gebliebenen Dreiecke gelegen, nochmals begangen. An dieser Stelle
erscheint die reinste und mächtigste Ausscheidung von Galmei in
einer großen muldenförmigen Vertiefung des Übergangs-
Kalksteins eingelagert.
Der Galmei, ohne alle Beimengung seiner sonst gewöhnli-
chen Begleiter, nämlich der Blei- und Eisenerze, bildet hier einen
ungeheueren Stock, ja ganze Felsenmassen, welche zu Tage
ausgehen, und ohne kostbare Vorrichtung steinbruchsweise ge-
6
wonnen werden, und zugleich in eine noch unbekannte Teufe
niedersetzen. Herr Dony sagte in einer an den ehemaligen
General-Gouverneur Herrn Geheimen Rath Sack gerichteten
Vorstellung selbst, daß dieser Berg allein tausend Jahre lang das
Bedürfniß von ganz Europa zu befriedigen im Stande sey, und
wer ihn gesehen hat, wird diese Behauptung nicht mehr über-
trieben finden.
Da die gegenwärtige Reise hauptsächlich nur die nähere
Ausmittelung des anderweiten Galmei-Reichtums in der Nach-
barschaft des eigentlichen Altenbergs zum Zwecke hatte, und die
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Erläuterungen: Je Aa
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Skizze des Konzessionsfeldes „Altenberg“, um 1855
7
Verhältnisse des Altenbergs selbst als längst und allseitig bekannt
vorausgesetzt werden können, so wurde nur noch der neuerlich
hier vorgerichtete Galmei-Röstofen und die dabei befindliche
Galmeimühle besichtigt, und sodann die Reise fortgesetzt nach
dem bei
Hergenraedt
gelegenen auflässigen Versuchsarbeiten auf Galmei-Wiese,
liegend jenseits der Straße von Aachen nach Lüttich, gegen
Osten, beiläufig in einer halbstündigen Entfernung vom Alten-
berge, auf Preußischem Gebiete und in dem Conzessions-District
des Altenberges. Im Jahre 1807 soll die Gewerkschaft des
Altenbergs hier zuletzt geschürft haben. Nach der Aussage des
Herrn Deprez hat man hier nicht ganz unbedeutende Nester von
Galmei, in der Qualität dem Altenberger ähnlich und ohne
Bleigehalt, angetroffen. Häufig ist man jedoch in den Schächten
auf Kalkstein gekommen, und es steht daher zu vermuthen, daß
die Galmei-Nester von keiner sehr großen Ausdehnung und
Erstreckung seyn werden. Von diesem Schürfpunkte wurde nach
der sogenannten g
Grünstraße
geritten, welche von dem Altenberge in Südosten, ebenfalls auf
Preußischem Gebiete und in der Altenberger Conzession liegt.
Dieser Punkt fernt ebenfalls beiläufig eine starke halbe Stunde
von dem Altenberge. Unter dem östereichischen Gouvernement hat
hier eine bedeutende, nunmehr wegen der Unsicherheit des
Vorkommens auflässige Gewinnung, und zwar nicht lange vor
der französischen Occupation noch statt gefunden. Der Galmei
findet sich hier aber nur in Nestern im Kalksteine, er ist bleihaltig
und leichtflüßig, und nähert sich durch diese beiden Qualitäten
schon sehr demjenigen, welcher unter ähnlichen Verhältnissen in
der Gegend von Stollberg vorkommt. Der unbedeutende Schurf
auf Galmei bei
Lonzen
welcher vor 2-3 Jahren veranstaltet wurde, hat kaum einige
wenige Spuren von Galmei geliefert, und es scheint hier am
allerwenigsten auf einige Höflichkeit des Gebirges zu rechnen zu
seyn. Lonzen liegt beinahe ganz südlich vom Altenberge, eine
Stunde davon entfernt, ebenfalls auf Preußischem Gebiete und in
8
der Altenberger Concession. Von diesem Punkte ist es eine halbe
Stunde bis zu der ehemaligen östereichischen Galmei-Gewinnung
zu
Rabotteraedt
welche im Südosten von Lonzen auf Preußischem Gebiete in der
Altenberger Conzession liegt. Ein bedeutender Betrieb scheint
vormals hier geführt worden zu seyn, jedoch hat auch hier
derselbe nur auf einzelnen Nestern und Putzen statt gefunden,
was die allenthalben im dortigen in Bau gewesenen Felde,
zwischen den Schachtpingen ausgehende Kalksteinfelsen bestä-
tigen. Der Galmei war von guter leichtflüßiger Qualität, dabei -
aber bleiisch, wodurch er sich auf dem bei Stollberg nesterweise
vorkommenden Galmei nähert. Der hiesige Betrieb ist seit sehr
langer Zeit auflässig, und ist daher zu vermuthen, daß die
Lagerstätten abgebaut seyn mögen. Ein noch von dem Österrei-
chischen Gouvernement erbautes Galmei-Magazin ist als Ruine bei
diesem Punkte vorhanden, welcher für die Vermuthung spricht,
daß die Gewinnung in ältern Zeiten bedeutend gewesen seyn
muß. In östlicher Richtung von Rabotteraedt ist der Ort
Merols
gelegen, bei welchem, auch auf Preußischem Gebiete und in der
Concession von Dony, die Reste eines alten Galmei-Bergbaues
vorhanden sind. Dem oberflächlichen Ansehen des Gebirges und
der Lage der Pingen nach zu urtheilen, kann dieser Bau auch nur
auf einzelnen Nestern und Putzen geführt worden seyn; die in
großer Menge zusetzenden Wasser sollen denselben vorzüglich
erschwert haben. Die Qualität des Galmei’s soll gut gewesen seyn.
Außer diesen genannten Punkten findet sich auch noch in östlicher
Richtung vom Altenberge, in zweistündiger Entfernung davon,
noch eine fernere Galmei-Gewinnung in der Altenberger Conzes-
sion auf Preußischem Gebiete, nämlich zu Langfeld bei dem
Dorfe
Einatten.
‚Da von diesem Vorkommen schon anderweit und namentlich
durch Autopsie dem Unterzeichneten bekannt war, daß dasselbe
sich ebenfalls nur nesterweise zeige, und daß dabei die Eisen- und
Bleierze vor dem Galmei prädominierend angetroffen werden, so
wurde die Besichtigung dieses Punktes bis zur Rückreise, wo
solche von Cornelymünster aus, auf kürzerm Wege vorgenommen
9
werden konnte verschoben, und die Reise über Eupen nach dem
Belgischen Gebiete fortgesetzt. Die erste alte Galmei-Gewinnung,
welche hier bereist wurde, liegt ebenfalls noch in der Concession
des Altenberges, in südwestlicher Richtung von demselben auf
der sogenannten
Müschenimer Heide,
in der Mairie Welkenraedt. Wenn alle übrigen Punkte, welche
bisheran auf Preußischem Gebiete bereist worden waren, sich in
ihrem Vorkommen nur als einzelne Galmei-Nester und Putzen
charakterisiert hatten, und keine Hoffnung gaben, daß irgend ein
dem Altenberge ähnlicher Stock vorhanden sey, so hat hingegen
diese im Belgischen Gebiete belegene Lagerstätte ganz das
Ansehen eines sehr mächtigen und ausgedehnten Galmei- und
Bleilagers im Übergangskalkstein. Es wurde hier ein Pingen- und
Haldenzug von wenigstens einer Viertelstunde Löängen-
Ausdehnung und bedeutender Breite wahrgenommen, der sein
Streichen mit jenem des gesamten Übergangs-Gebirges vom
Altenberge an bis tief ins Belgische Gebiet, nämlich Stunde 4 bis
5, zu haben schien. Obgleich ein bedeutender Bergbau sowohl auf
Galmei, als auf Bleierze - eine Menge Bleischlacken befinden sich
in den Halden - hier in früherer Zeit geführt seyn mag, so ist es
doch nicht zu vermuthen, daß man bis zu einer etwas beträcht-
lichen Teufe dabei niedergegangen sey, wohl aber ist es anzu-
nehmen, daß eine Lagerstätte, welche sich in ihren Dimensionen
in die Länge und Breite so sehr ausdehnt, auch zur Teufe
beträchtlich niedergehen wird. Einiger Galmei, welcher vor ein
paar Jahren heimlicher Weise, dicht unter der Oberfläche gewon-
nen worden ist, hat sich ziemlich eisenhaltig gezeigt. Von hier aus
wurde mehr südöstlich nach
Membach
gereist, welcher Ort mit seinen Galmei- und Bleischürfen außer-
halb der Altenberger Concession gelegen ist. Diese Schürfe,
welche gegen das Jahr 1814 eröffnet worden waren, wurden außer
Betrieb gefunden; das Belgische Gouvernement hatte den Betrieb
inhibirt. Die Schächte waren zugelegt und auffahrbar. Aus den
frühern Dienstverhältnissen des Unterzeichneten im Ourthe-
Departement war demselben das dortige Vorkommen in, wahr-
scheinlich in kurzen Distanzen von einander häufig sich zeigen-
den, Nestern im Übergangs-Kalkstein bekannt. Der Galmei ist
10
hier sehr häufig von Bleierzen begleitet, aber dennoch von einer
so vortrefflichen Qualität, daß er von den Stollberger Messing-
fabrikanten selbst dem Altenberger Galmei vorgezogen wird, und
zu gleichen Preisen wie dieser bezahlt worden ist. Bietet auch die
Membacher Lagerstätte gerade nicht so günstige Verhältnisse
rücksichtlich der Mächtigkeit und Ausdehnung dar, als solche
auf der Müschenemer Heider zu erwarten sind, so bewährt sie
sich doch gewiß als sehr hoffnungsvoll und bauwürdig. Westlich
von Membach wurden die Schürfen von
Stemberg und Verviers
angetroffen, welche ebenfalls in neuerer Zeit eröffnet worden
sind, deren Betrieb aber auch von dem Belgischen Gouvernement
dermalen inhibirt ist. Sie liegen auch außerhalb der Dony’schen
Concession, und es scheint hier das geognostische und oryktognos-
tische Verhalten des Galmei’s mit jenem von Membach überein-
zustimmen.”
Zusammenfassend gibt die Kommission dann folgende Erklärung
ab:
”Mit diesen Thatsachen ist nun zu vereinigen, was über die auf
Preußischem Gebiete in Betrieb stehenden Galmei-Gruben be-
; kannt ist, und worüber das abschriftlich anliegende von dem
Bergmeister Schmidt übergebene Promemoria eine kurze Zu-
sammenstellung enthält.
Die diesseitigen wirklichen Galmeigruben finden sich nämlich bei
den Orten Busbach, Breinig und Diepenlingen, wie auch bei
Eilendorf. Der bedeutendste Galmeibergbau war bei Stollberg,
dieser hat die Stollberger Fabrik-Anlagen veranlaßt und gegrün-
det, aber ist nicht mehr; das ganze sehr ausgedehnte Feld ist
abgebaut, und was noch irgend da gewonnen wird, ist eine
dürftige Nachlese auf den alten Halden. Ein gleiches Schicksal
steht den übrigen Gräbereien, die jetzt einen Theil des Stollberger
Galmei-Bedarfs liefern, zugleich aber auch auf Bleierze betrieben
werden, bevor, und die Natur dieser Lagerstätten erlaubt es nicht,
ihnen eine lange Existenz zuzutrauen, zumal solche zugleich
einen regelmäßigen, die Dauer des Betriebes verlängernden
Abbau große Schwierigkeiten entgegenstellt, ferner der Betrieb
schon eine lange Reihe von Jahren ohne Regelmäßigkeit gedauert
hat, und die Gruben bei einer Förderung von jährlich circa
15000-20000 Centner Galmei bedeutend angegriffen worden.
11
Es läßt sich auf alles dieses die unumstößliche Behauptung
gründen : daß der in seiner Art einzige Altenberger Galmeiberg,
welcher in dem zwischen Preußen und Belgien vorläufig unge-
theilt verbliebenen Dreiecke gelegen ist, ohne Rücksicht auf die
unmittelbar daraus herfließenden gegenwärtigen oder künftigen
Staats-Einkünfte, blos in Beziehung auf die metallurgische
Industrie dieser Provinzen nicht allein, wie sie gegenwärtig ist,
sondern hauptsächlich in ihrer künftigen Ausdehnung auf die
Zinkfabrikation an sich, ein Gegenstand von unschätzbarem
Werthe ist; daß unsere Stollberger Messing-Fabriken ihr noth-
wendigstes Material ohne den Altenberg weder in hinreichender
Menge, noch mit hinlänglicher Sicherheit für die Zukunft,
erhalten können, und daß endlich die niederländischen Fabriken,
wenn dem Preußischen Gebiete der Altenberg zufällt, bei weitem
weniger entbehren, als die unsrigen im entgegengesetzten Falle
verlieren würden, weil jenen mehrere weit hoffnungsvollere
Galmei-Punkte zu Gebote stehen, als uns.”
Nun, wenn auch nicht alle Prognosen eingetroffen und dem
Altenberg keine ”’Tausend Jahre’” mehr beschieden waren, so
kann seine Bedeutung für die hiesige Messing-Industrie doch
nicht verleugnet werden.
Quelle : { ;
Haupt-Staatsarchiv Düsseldorf, Nebenstelle Kalkum, ”Bergamt
Düren”, Akte 443. $
12
Die ”Herrlichkeit” Eynatten (Forts.)*
von Walter Meven
Eynatten und Hauset wurden am 18. August 1650 (1) aus der
1626 errichteten Herrschaft Walhorn ausgegliedert und zur selb-
ständigen Herrschaft (heerlijckheidt, seigneurie) erhoben.
Arnoldt Schuyl von Walhorn hatte die Herrschaft Walhorn am
18. August 1626 erworben. Der Verkaufsakt - es war eher eine
Verpfändung - enthält wichtige Einzelheiten, die uns, stellvertre-
tend für viele andere Orte, Aufschluß über interessante Details .
des Verkaufs der königl. Herrschaften geben. In der Einleitung
des Dokuments (2) weist König Philipp IV darauf hin, daß die
vielen berechtigten und täglich anfallenden Lasten, die durch das
Wiederaufflammen des Krieges nach Auslauf des Waffenstill-
standes in den holländischen Provinzen auf ihn zukommen, mit
den gewöhnlichen Mitteln der königlichen Güter, Abgaben,
Lizenzen und Steuern, die zur Bezahlung des Kriegsvolkes und der
anderen gewöhnlichen Ausgaben verwendet werden, nicht zu
decken seien. Darum habe er sich entschlossen, der Infantin
Isabella Klara Eugenia und seinem getreuen Schatzmeister und
Bevollmächtigten der königlichen Domänen und Finanzen zu
gestatten, einige Teile derselben, sowohl Lehen und Herrschaften
mit Hochgerichtsbarkeit, wie auch einfache Herrschaften und
Allodialgüter, zu verkaufen. Arnoldt Schuyl, Herr von Craepol,
erwirbt beim Öffentlichen Verkauf nach Höchstgebot durch
Stockschlag (3) die Herrschaftsrechte üher die gesamte Bank
Walhorn, "So weit und breit, wie ihre Grenzen sich erstrecken, mit
dem Recht der toten Hand (4), des Vogelfanges und der
Fischerei, dem Recht, Bepflanzungen auf Gemeingrund vorneh-
men zulassen, seine Untertanen zu Arbeiten heranzuziehen (Spann-
dienste, Straßenbau, Miliz etc.) ”’keuren’’, ”’breucken”” (5), dem
Recht, Zivil- und Kriminalstrafen zu verhängen, Bastardgüter
sowie solche, ”’von denen der Eigentümer nichts weiß” zu
konfiszieren. (Ausgenommen sind solche, die durch Kriegsein-
wirkung brachliegen, solche, deren Eigentümer die Gegenpartei
des Königs ergriffen haben oder die sich Verbrechen gegen die
* S. "Im Göhltal””, Nr 24, S. 43-46
13
göttliche und weltliche Majestät zuschulden haben kommen
lassen : diese Güter reserviert sich der König wie auch alle
Mineralien, den ”’Klockslaegh”’, (6) die Belehnung mit Lehen,
das ”hergeweyde”’, (6a) das Begnadigungsrecht, die Legitimation
und Bewilligung sonstiger dem König vorbehaltener Rechte.)
Der Käufer, seine Erben und Nachkommen erhielten auch das
Recht, in der Bank Walhorn alle ”officieren”” (7) zu stellen, sowie
nach Gutdünken einzelne Teile der Bank zu ihrem Nutzen
abzutrennen. Der König behielt sich das Recht vor, zu gegebener
Zeit das Pfand, die Bank Walhorn in diesem Falle, wieder
einzulösen, durch Zahlung der Ablösungssumme von 27.000
Pfund in solcher Währung, Gold und Silber, die zum gegebe-
nen Augenblick im Umlauf sein werde.
Die in der Zwischenzeit vorgenommenen Anpflanzungen sollten
ebenfalls wieder in den Besitz des Königs übergehen, doch dem
Herrn von Walhorn sollte nach Abschätzung durch sachkundige
Männer der Wert dieser Anpflanzungen vergütet werden. Der
Verkaufspreis belief sich auf 27.000 Pfund zu je 40 großen
Münzen von Flandern, die Arnoldt Schuyl in die Hand des
Generaleinnehmers Ambroise van Onck zahlen mußte. ;
Philipp IV. annullierte abschließend mehrere Ordonnanzen
aus den Jahren 1531, 1540 und 1545, wonach es untersagt war,
königliche Domänen ganz oder zum Teil zu verkaufen, zu
verpfänden oder ”’zu verfremden’’. Die verantwortlichen Mitglie-
der des Brabanter Rechnungshofes sowie alle anderen Beamten
entband er von dem Eid, die obenangeführten Ordonnanzen, die
jedoch in allen ihren anderen Klauseln gültig bleiben sollten,
einzuhalten. (Gegeben in der Stadt Brüssel den 21. August 1626).
Von seinem Recht, einen Teil der Herrschaft Walhorn nach
Belieben zu veräußern, macht Arnoldt Schuyl im Jahre 1650
Gebrauch. (In der Zwischenzeit hatte König Philipp IV. auch die
umliegenden Herrschaften von Heinrichskapelle, (6.3.1644),
Homburg (16.10.1648), Gemmenich (27.10.1648), Baelen und
Eupen/Stockem (31.10.1648) verpfändet. Eine Einlösung der
Pfänder ist nie erfolgt und wurde auch immer unwahrscheinlicher.
Wir wissen nicht, was Arnoldt Schuyl und seine Ehefrau
Elisabeth von Straeten dazu bewogen hat, einen nicht unbedeu-
tenden Teil ihrer Herrschaft, und zwar die ”’Quartiere””’ Eynatten
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Das Amstenraedter Haus erinnert noch heute an die Familie von Amstenraedt, erste
Besitzer der 1650 gegründeten Herrschaft Eynatten. ;
und Hauset, zum Verkauf zu stellen. Mit Verkaufsakt vom 18.
August 1650 gingen die beiden genannten‘ Orte als separate
Herrschaft Eynatten-Hauset an Arnoldt Huyn von Amstenraedt
und dessen Ehefrau Maria von Merssen über. Der Vertrag wurde
geschlossen vor einem in Aachen residierenden Notar, der auch
am Hofe von Brabant zugelassen war. (8) Dabei trat Arnoldt
Schuyl dem Herrn von Amstenraedt in den beiden Orten Eynat-
ten und Hauset und den dazugehörenden Gehöften die hohe,
mittlere und niedere Gerichtsbarkeit, das Recht der toten Hand
und alle anderen Rechte ab, die er selber bei der Verpfändung
der Bank Walhorn durch seine Majestät erworben hatte.
Des weiteren verkaufte er ”’für erblich und ewige Zeiten” eine
Fläche von annähernd 176 Morgen Wald, worin das auf Lichten-
busch hinter dem großen Landwehrring gelegene Ödland einbe-
griffen war. Der Käufer erwarb damit auch alle Gerechtsamen
und Freiheiten, so wie dieselben von der Reichstadt Aachen dem
Arnoldt Schuyl durch den Kaufakt vom 7. August 1634 zugestan-
den worden waren und wie er sie durch Kontrakt mit den
15
Einwohnern von Eynatten vom 14. Mai 1636 bekommen hatte.
Der Kaufpreis belief sich auf 9.000 Brabanter Gulden, wovon die
erste Hälfte am 1. November 1650 und die zweite am 1. Februar
1651 zu zahlen war. Im Falle die Bank Walhorn und {folglich
auch die Herrschaft Eynatten und Hauset vom König eingelöst
oder an einen Dritten verkauft würden, sollte Arnoldt Schuyl
gehalten sein, dem Herrn von Amstenraedt die Summe von 7.000
Brabanter Gulden zurückzuzahlen. Wenn einer der beiden Ver-
tragspartner die gesamte Bank Walhorn käuflich erwerben sollte,
so mußte er dem anderen eine Ausgleichszahlung leisten, die sich
nach der Höhe des Anteiles der Beden (9) der beiden Herrschafts-
bereiche richtete. Die Grenzen zwischen den Herrschaften Eynat-
ten-Hauset einerseits und Walhorn andererseits sollten ”’sein und
bleiben, so wie die Vertragspartner dieselben mit Rainen und
Pfählen abgegrenzt haben.”
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Das von Wasser umgebene Haus Amstenraedt ist ein Ort beschaulicher Stille.
Man ging aus ”am Land von St. Cornelimünster’”’, wo der
erste Stein stand genannt ”’das avantuir’’, am Rande der großen
Landstraße, die zum Münsterland führt. Von dort verlief die
16
Grenze geradlinig auf einen anderen Stein zu auf ”’Henskens
werck”’, von dort in gerader Linie weiter bis zu einem Stein am
kleinen Landwehrring neben ”’munis bempdt”’. Sie durchschnitt
den Landwehrring bis zu einem Stein im ”jan emonts bempdt
neben Zanders Schoemaeckers bempdt neben der vleughe”.
Letztgenannter Stein gehört zur Grenze zwischen dem Zehnten
von Eynatten und dem von Raeren. Die Grenze folgt dieser
Zehntgrenze bis zu einem anderen alten Stein unter den ”’hoene
in peeter emonts bempt’’ und von dort der Zehntgrenze nach bis
auf die von ”vlatten huys kommende zum wynwegh führende
Gasse bis auf Philip Kerris Landt’””. Der Zehntgrenze weiter
folgend ging es auf einen neuen Stein zu, der am ”’untersten nach
Titfeld führenden Kreuzweg, an der Ecke von Dries Timmer-
manns landt’”’ stand. Der nächste Grenzstein stand in der Mitte
des Knippkens oder ”ysere berghsken’””, in der Toreinfahrt
oberhalb ”’goris haus’’ neben der Landstraße. Von dort verlief die
Grenze auf einen Stein zu, der neben dieser Landstraße am von
derselben abzweigenden Weg nach Walhorn stand; sodann in
gerader Linie auf einen Stein zu auf der Teeheide; von dort auf
die Ecke der Eynattener Höfe in der ’”’bouwerfos’”” . bis zum
Eynattener Zehnten; dem genannten Zehnten folgend durch ”’den
voeuer, quer über den Weg von Walhorn nach Eynatten bis an
die Ecke von vorgenannten Höfe an den alten Calmyn Cuylen’”’
(= Galmei-Gruben). Der nächste Stein stand am Walhorner
”Sypken”’, von wo die Grenze zur Wiese des Jacob Lamberts
an ”’Cleen houseth”’ (Klein Hauset) führte; sie folgte sodann dem
vorgenannten Hof und der Zehntgrenze bis zu einem Stein in der
Fossey auf der Ecke der dem Thoenis Lamberts dem Jungen
gehörenden Ländereien; über einen Stein auf den Ländereien von
Thoenis Lamberts dem Alten führte sie in die ”Leengraven”’.
(Grenzgraben eines Lehens?), welchen sie bis zum Zehnten von
Hauset an der Göhl folgte; sie überquerte die Göhl bis zum
”Fulckerichs bergh’” (Völkersberg), führte von dort über die
Zentgrenze und die ’’Benhaege”’ (Brennhaag) durch die Schweins-
gräben zum Blutsfeld im Sypken; sie stieg das Sypken an bis auf
einen Stein der am Weg von Kelmis nach Stolberg stand; von
dort auf einen Stein auf den ”’brumen” zu und dann in gerader Linie
auf ”Lentskens huysken’” am Reich von Aachen, von wo sie der
Grenze des Landes und Herzogtums Limburg bis zu dem ersten
17
Stein und der Landstraße von Kornelimünster folgte. Die Rechte
und Gerechtigkeiten der Einwohner von Walhorn und Eynatten,
die dieselben in den Wäldern, Heiden und Gemeingrund der
Bank Walhorn besaßen, blieben unangetastet und die vorge-
nommene Abtrennung von Eynatten-Hauset änderte nichts an
dem Nutzungsrecht, so wie es von altersher bestanden hatte.
(Forts. folgt)
Quellen und Erläuterungen
1) Staatsarchiv Lüttich, Gerichtsakten Walhorn, 216 b
2) Ebd.
3) Stockschlag : Dem Bieter wurde durch einen Schlag mit einem Stock auf den
Tisch der Zuschlag erteilt.
4) Das Recht der toten Hand bestand ursprünglich darin, daß der Herr beim Tode
eines seiner Untertanen aus dessen Nachlass das beste Pferd oder auch das
schönste Möbelstück wählen durfte. Dieses Recht wurde meist durch einen
Geldbetrag abgelöst.
5) ”Keuren” : Das Recht Verordnungen zu erlassen.
”Breucken”’ : Das Recht eine Geldstrafe zu verhängen.
6) Der ”Glockenschlag” meint das Recht, durch Läuten der Glocken (Sturmläu-
ten) die Untertanen aufzubieten.
6a) Das ”hergeweyde”’, zu Deutsch : das Heergewäte, meint ursprünglich die
Kriegsausrüstung, die beim Tode des Lehnmannes an den Herrn fiel; wurde meist
durch einen Geldbetrag abgegolten.
7) Die Offiziere der Bank : Gemeint sind Drossard (Meier), Schöffen, Schultheiß
(Gerichtsvollzieher) und Greffier (Gerichtsschreiber). Sie alle zusammen bildeten
das Schöffengericht bzw. den Schöffenstuhl, dem sowohl die freiwillige Gerichts-
barkeit (Beurkundung von Verkäufen, Testamenten u.a.) als auch die Rechts-
sprechung in Zivil- und Strafsachen zukam.
8) Staatsarchiv Lüttich, Gerichtsakten Walhorn, Nr. 216 b.
9) Die Beden sind Steuern oder Abgaben.
18
Manche Dinge
M. Th. Weinert
Manche Dinge, die mit uns ziehn,
während der Spanne Leben, |
nennen wir ”’Unser” :
Das Bild, das Buch,
das ein Anderer schuf und besessen,
(sein Name ist schon vergessen)
doch, sind sie uns nur von der Zeit entliehn,
des Vorfahren Krug,
der Ring, den er trug,
die Uhr, die die Zeit ihm gemessen.
Heimliches Wesen hängt ihnen an,
schwer von Erinnerung,
wachsend weitergegeben ...
Nach uns scheinen sie wieder jung,
denn sie werden uns überleben.
19
Beisetzungen und Grabstätten in der
Pfarrkirche zu Walhorn
von Alfred Bertha
Das im altrömischen Zwölftafelgesetz (etwa 450 v. Chr.)
festgelegte Verbot der Totenbestattung innerhalb der Stadt-
mauern war im S. - 6. Jh. unserer Zeitrechnung so weit
abgeschwächt, daß es kaum noch beachtet wurde. Der Gedanke,
daß der tote Körper die Erde entweihe, war mit zunehmender
Verbreitung des christlichen Glaubens und der Verehrung der
Märtyrergräber zurückgedrängt worden. Die Gläubigen wünsch-
ten ihre Toten so nahe wie möglich bei den Gräbern der
Blutzeugen zu bestatten, und das 2. Konzil von Braga (583)
mußte sich schon gegen eine Beisetzung in den Kirchen ausspre-
chen. Es stipulierte, daß die Toten höchstens neben der Kirche
bestattet werden dürften.
Ein Kapitular Karls d. Großen bestimmte, ”’daß niemand in
Zukunft einen Toten in der Kirche beisetze’””’, doch gerade dieses
Verbot deutet darauf hin, daß die Fälle von Beisetzung in den
Kirchen selber nicht selten waren. Die deutschen Konzilien des 9,
Jh., z.B. das Konzil von Mainz (813), setzten sich denn auch über
das Verbot des Kaisers hinweg und erlaubten ausdrücklich die
Beisetzung von Bischöfen, Äbten, Priestern "und hochstehenden
Laien in den Gotteshäusern. Im 12. Jh. war die Beisetzung von
Laien in der Kirche durch kirchliches Recht sanktioniert. Der
Friedhof blieb Begräbnisstätte der ärmeren Volksschichten.
Das 1752 durch Benedikt XV. veröffentlichte römische
Rituale verbot die Beisetzung in den Kirchen zwar nicht, drängte
jedoch auf Friedhofsbestattung, wo dies möglich sei. Auch wurde
vorgeschrieben, die Leiche müsse in die Erde gelegt werden
(”humi detur”’); der Sargdeckel dürfe das Niveau des Bodens
nicht überragen. Die Möglichkeit, ein größeres Denkmal darüber
zu errichten, blieb offen.
Die Zivilgesetzgebung des 18. Jh. ging in dieselbe Richtung,
so das Verbot Josephs II. aus dem Jahre 1784, Tote innerhalb der
Gotteshäuser beizusetzen. Doch erst 1804 erließ Napoleon stren-
gere Richtlinien, die allgemein befolgt wurden.
20
Heute verbietet das kanonische Recht Beisetzungen in den
Kirchen. Ausnahmen werden nur für residierende Bischöfe, Äbte
und Prälaten zugelassen. Auch tote Päpste und Kardinäle sowie
Könige (dazu analog vielleicht auch Staatsoberhäupter) haben auf
eine Beerdigung im geweihten Kirchenraume Anrecht. (1)
Auch in den Kirchen des Walhorner Landes hatte man über
Jahrzehnte, in Walhorn selber über Jahrhunderte, Adligen,
Geistlichen und vermögenden Grundbesitzern die Ehre einer
letzten Ruhestätte in der Kirche gewährt. Besonders in der alten
Mutterkirche Walhorn gab es eine beträchtliche Anzahl solcher
Grabstätten und die Angehörigen der Toten hatten sie meist mit
einem Grabstein kenntlich gemacht. Es hatte sich so eingebür-
gert, daß in diesen Familiengräbern nur Angehörige ein und
derselben Familie beigesetzt wurden, und man sah es als pietätlos
an, wenn der Pfarrer gegen diesen Grundsatz verstieß. Bei
Sterbefällen öffneten die Angehörigen das Grab sogar ohne
Erlaubnis des Pfarrers,
Der streitsüchtige Walhorner Pfarrer Johannes van den
Daele wurde in dieser Zeitschrift schon mehrmals erwähnt. In
einem umfangreichen Aktenbündel des Aachener Stadtarchivs (2)
liegen die Unterlagen eines Prozesses, den der Pfarrer 1764-67
gegen die Witwe Margaretha Heyendal geb. Goor aus Astenet
führen mußte. Diesen Unterlagen entnehmen wir wertvolle Auf-
zeichnungen über Gräber und Grabsteine in der Walhorner
S Pfarrkirche, Aufzeichnungen, die dadurch an Aktualität gewin-
nen, daß Anfang März 1978 einige alte Grabplatten wiederent-
deckt wurden. (S. ”Im Göhltal’””’ Nr 23, S. 5 - 10).
Auf dem Walhorner Friedhof war am 22. Juni 1762 ein Streit
zwischen einigen Hitzköpfen ausgebrochen und in eine regel-
rechte Schlägerei mit Blutvergießen ausgeartet. (3) Pfarrer van
den Daele sah dadurch nach kanonischem Recht den Friedhof als
entweiht an und hielt eine Neukonsekrierung für notwendig, ehe
wieder Tote dort beerdigt werden könnten. In der Zwischenzeit
wurden die Toten in der Kirche selber beigesetzt. Von der
Entweihung bis zur Neukonsekrierung durch den Dechanten von
Eupen und Offizial des Condroz verging allerdings fast ein Jahr ,
und nach Aussagen des Pfarrers bestattete er in dieser Zeit 26
Leichen in der Kirche, die nach Aussagen prominenter Walhor-
ner Bürger Raum genug bot, wohl 100 Tote aufzunehmen, ohne
die dort liegenden Grabsteine anzurühren. Pfarrer van den Daele
21
jedoch behauptete, die Kirche sei beinahe voll belegt gewesen und
er habe nur mit größter Mühe die Toten in dem angegebenen
Zeitraum dort bestatten können. (4)
Zu den angesehensten Familien des Walhorner Landes
gehörten die Besitzer der großen Stockgüter Merols (”’Philippen-
haus’), Waldenburgshaus (vordem Crümmelsches Lehen ge-
nannt), Craepoel und Mützhof. Es war Brauch geworden, daß
beim Verkauf eines Gutes die eventuell in der Kirche vorhandene
Familiengruft auf den neuen Besitzer überging.
Durch Heirat und Erbschaft war die Familie Heyendal zu
einer der begütertsten der gesamten Bank Walhorn geworden.
Nicolaus Heyendal (5) hatte Engelberte von Crümmel, die Toch-
ter des Junkers Hermann von Crümmel geheiratet. Der Sohn
Heinrich wurde Kontrolleur der Galmeigruben und Schöffe von
Walhorn und Montzen. Er starb 1662. Einer der Söhne Heinrich
Heyendals, Nikolaus, wurde Abt von Rolduc, während die Tochter
Anna Catharina den Schultheissen Johann Hagen heiratete und ein
weiterer Sohn, Johann, Richter der Zollkammer des Herzogtums
Limburg, dann Gerichtsschreiber und Kommissar der Bank
Walhorn wurde. Dessen Ehefrau Gudula stammte aus der sehr
begüterten Hauseter Familie Meessen (6). Unter den Kindern des
Johann Heyendal und der Gudula Meessen müssen wir besonders
hervorheben :
— Peter Arnold, Fiskus und Dekan der Universität Löwen,
Lizenziat beider Rechte, beim Hohen Rat von Brabant zugelas-
sener Rechtsanwalt. Er starb 27-jährig, am 29. November 1716.
— Franz Joseph, Lizenziat beider Rechte, Schöffe des Hochge-
richts und des Herzogtums Limburg. Er starb am 8. August 1733
im Alter von 42 Jahren.
— Johannes Stephan, genannt Steven, Drossard der Bank Wal-
horn. Er gab Schloß Thor in Astenet durch den Bau des Turmes
sein heutiges Aussehen. Starb in Aachen am 8.5.1740.
— Heinrich, Greffier der Bank Walhorn, genoß sehr großes
Ansehen. Er heiratete Margaretha Goor, die in unserem Streitfall
die Gegenspielerin des Walhorner Pfarrers ist. Heinrich Heyendal
starb 1754 im Alter von 70 Jahren.
Ausgelöst wurde der Streit dadurch, daß Pfarrer van den
Daele in der Zeit, in der der Friedhof entweiht war, ein Grab der =
Familie Heyendal ”’fremd”” belegte. Der Verstorbene hieß Philipp
22
Pons und war niederen Standes (7). Zwei Vettern des Verstorbe-
nen, Anton Lamberts und Johann Pons, die wohl das Grab
geöffnet hatten, ließ die Witwe Heyendal nun die Aufforderung
zugehen, den Leichnam wieder aus besagtem Grab zu entfernen.
Der Pfarrer, der vermutlich das Grab angewiesen hatte, interve-
nierte nun für Lamberts und Pons und brachte den Fall vor das
Walhorner Schöffengericht. Seine Eingabe vom 11.12.1764 1äßt
sich kurz so zusammenfassen :
Im Jahre 1738 (van den Daele wurde 1739 Pfarrer von
Walhorn) - ließ der Drossard Johann Stephan Heyendal auf vier
Grabstätten, die die Familie Heyendal als Familiengräber ansah, ;
Steine legen. Es waren dies die Gräber von Johann Heyendal
(+1717), Gudula Meessen (+1737), Peter Arnold Heyendal
(+1716) und Franz Joseph Heyendal (+1733). Nach Ansicht des
Pfarrers war dieses Vorgehen unzulässig gewesen, da niemand ein
Anrecht auf einen privaten Grabstein in der Kirche besitze, es sei
denn, er habe sich dieses durch eine Stiftung erworben. Auch das
Recht, einen Stein auf ein Grab zu legen, müsse man durch eine
Stiftung erkaufen. Da die Familie Heyendal aber keinen solchen
Rechtstitel vorweisen könne, solle das Gericht die Witwe Heyen-
dal auffordern, die vier Grabsteine wieder entfernen zu lassen.
Außerdem solle das Gericht erklären, dem Pfarrer stehe es frei, in
besagten Gräbern beizusetzen, wen er wolle.
Aus den uns erhaltenen Unterlagen geht leider nicht hervor,
warum das Walhorner Gericht die Angelegenheit zur Urteilsfin-
dung an die Limburger Schöffen weiterleitete. Wir sehen nur, daß
das Hochgericht der Stadt und des Herzogtums Limburg den
Antrag des Pfarrers am 30.4.1765 zurückgewiesen hat. Aus der
Aussage des Zeugen Heinrich Lamberts geht auch hervor, daß der
Leichnam des Philipp Pons umgebettet wurde. Der Zeuge meint,
dies sei nach dem Limburger Urteil geschehen.
Es ist nicht uninteressant zu sehen, welche Argumente
Rechtsanwalt Birven ins Feld führt, um seiner Mandantin, der
Witwe Margaretha Heyendal geb. Goor, zu ihrem, Recht zu
verhelfen. Abraham, der Vater aller Gläubigen, - so der Rechts-
anwalt -, kaufte eine Grabstätte und seine Söhne Jakob und
Joseph wünschten, daß ihre Gebeine aus Ägypten ins Land
Kanaan überführt und im Grab ihrer Väter beigesetzt würden.
Und hat nicht Gott selber durch den Mund seines Propheten
Esdra befohlen, die Toten zu bestatten und über ihrem Grab ein
23
Denkmal zu errichten? Und droht nicht im dritten Buch der
Könige der Herr einem Propheten mit den Worten : ”Weil du
nicht gehorsam warst dem Munde des Herrn ... so soll dein
Leichnam in das Grab deiner Väter nicht kommen?”
Doch nicht nur die hl. Schrift gibt Zeugnis von dem Wert,
den man dem Grab der Väter beimaß. Auch heidnische Schrift-
steller wie Vergil, Herodot und Plato zieht Rechtsanwalt Birven
heran und zeigt, daß auch die griechisch-römische Welt das
Andenken der Toten ehrte. Bei den Römern wurde die Schän-
dung eines Grabes als ein äußerst schweres Vergehen angesehen.
Einen Grabschänder konnte jeder bei Gericht verklagen und der
Schuldige hatte die Todesstrafe zu gewärtigen.
Für den Rechtsanspruch der Witwe Heyendal spreche schon
allein der Umstand, daß die Familie vier mit Steinen gekenn-
zeichnete Grabstätten in der Kirche von Walhorn besitze. Die
Kirche sei ein öffentlicher Ort. Die Rechtssprechung sei jedoch
eindeutig im Falle von Steinen, die an einem öffentlichen Ort
stünden. Solche Steine seien immer als ein hinreichendes Zeichen
der rechtmässigen Besitzverhältnisse angesehen worden. Es
genüge, daß sie "eine lange Zeit’ unangefochten blieben. Eine
"lange Zeit’”’ bedeute 10 Jahre unter Anwesenden, 20 Jahre unter
Abwesenden. Alle Steine der Familie Heyendal seien aber bedeu-
tend älter. Die Tradition stelle eine Art Recht dar, das man nicht
ohne weiteres brechen dürfe.
Der Pfarrer hielt dem entgegen, vor dem Jahre 1716 sei kein
Angehöriger der Familie Heyendal in der Kirche von Walhorn
beerdigt worden. Die Sterberegister beweisen aber, daß dem nicht
so ist, denn der am 19.2.1662 im Gotteshaus beigesetzte Anton
Lamberts aus Astenet, der Vater des Abtes Winand Lamberts von
Rolduc, hatte eine Tochter mit Namen Maria, die den Meier von
Eynatten und Hauset, Peter Meessen, heiratete. Die aus dieser
Ehe stammende Gudula Meessen heiratete den Greffier Johann
Heyendal, der der Schwiegervater der beklagten Margaretha
Heyendal-Goor war. Folglich kann man zu Recht behaupten, daß
Anton Lamberts ein Vorfahre der Familie Heyendal war. Da die
Wwe Heyendal und deren Kinder die einzigen Erben besagten
Anton Lamberts sind, müssen sie auch das demselben gehörende
Familiengrab geerbt haben. Daß das Grab ihm wirklich gehört
hat, geht daraus hervor, daß der verstorbene Anton Lamberts
vom Sterbeort Aachen nach Walhorn gebracht wurde, um im
24
Grab seiner Vorfahren beigesetzt zu werden, ohne daß der
damalige Pfarrer Bedenken dagegen geäußert hätte.
Rechtsanwalt Birven gibt auch zu bedenken, daß der Schult-
heiß Nicolaus Heyendal, der die Linie der Heyendals im Walhor-
ner Land begründete, auf seinem Totenbett am 4.10.1653 testa-
mentarisch bestimmte, ”’ehrenhaft und standesgemäß’”” im Grab
seiner Frau Engelberte von Crümmel beigesetzt zu werden. Das
Original dieses Testaments befinde sich in den Händen der
Beklagten. (Zur Zeit des Prozesses sah man in der Kirche noch
den Grabstein der Familie von Crümmel.)
Es ist ganz unwahrscheinlich, daß Heinrich Heyendal, der I
Sohn des vorgenannten Nicolaus und der Engelberte v. Crümmel,
gestorben am 27.6.1662, auf dem Friedhof beigesetzt wurde,
während die Eltern in der Kirche ihre letzte Ruhestätte gefun-
den hatten. Für einen so bedeutenden Mann wie Heinrich
Heyendal, der als Kontrolleur der Galmeiwerke, als Schöffe von
Walhorn und Montzen und Inhaber anderer Ehrenämter hohes
Ansehen genossen hatte, wäre eine Beerdigung auf dem Friedhof
einer Erniedrigung gleich‘ gekommen. Margaretha Frank, die
Ehefrau des Heinrich Hey&ndal, wurde im Grab ihres verstorbe-
nen Mannes beigesetzt, worin man der Vorschrift, die Frau solle
ihrem Manne im Leben wie im Tode folgen, nachkam.
Wie schon erwähnt, heiratete Johann Heyendal Gudula
Meessen, die die Schwiegermutter der beklagten Margaretha
Heyendal-Goor war. Gudula Meessen hatte im Familiengrab der
Meessen in der Kirche von Walhorn ihre letzte Ruhestätte
gefunden. Die Witwe Heyendal-Goor und deren Kinder waren die
einzigen Erben der Familie Meessen, waren also auch die
rechtmässigen Besitzer der Grabstätten dieser Familie.
Aus all dem geht wohl klar genug hervor, daß der Pfarrer
irrte, wenn er behauptete, vor dem Jahre 1716 sei kein Angehö-
riger der Familie Heyendal in der Kirche von Walhorn beerdigt
worden.
Der Pfarrer belegte seine Behauptung u.a. auch mit Aus-
zügen aus den Sterberegistern. Doch Rechtsanwalt Birven scheute
sich nicht, diese Auszüge als plumpe Fälschungen zu bezeichnen.
Ein Auszug stammte aus einem 1605, ein anderer aus einem 1741
beginnenden Register. Doch stimmte es den Rechtsanwalt be-
denklich zu sehen, daß der Tod eines 1740 Verstorbenen in dem
35
1741 beginnenden Register eingetragen war, ein 1741 Verstorbe-
ner aber in dem älteren Register von 1605 zu finden war. So
bestritt Birven die Beweiskraft der Pfarregister, die vom Pfarrer
manipuliert seien, und einen vom Pfarrer vorgelegten Auszug, in
dem es hieß, van den Daele habe dem Heinrich Heyendal für
dessen verstorbenen Bruder, den Drossard Johann Stephan
Heyendal, ein Grab zugewiesen, hielt er für unglaubwürdig, da
seitdem (1740) drei weitere Angehörige der Familie Heyendal in
der Kirche beerdigt worden seien, ohne daß man den Pfarrer um
Erlaubnis gebeten habe.
Hatte van den Daele überhaupt das Recht, über die Grab-
stätten in der Kirche zu entscheiden? Wenn ja, dann hatten auch
seine Vorgänger im Amt dieses Recht besessen und der jetzige
Pfarrer konnte nicht ein von jenen gewährtes Recht annulieren.
Pfarrer van den Daele argumentierte, die vier in Frage kommen-
den Steine seien 1738 gelegt worden, in einer Zeit, wo die
Pfarrstelle vakant war. (Es hatte einen Streit zwischen dem durch
das Kapitel von Aachen ernannten Pfarrer Charlier und dem
Kandidaten der Universität Löwen, van den Daele, gegeben. Das
Gericht hatte zugunsten des Letzteren entschieden.) Birven hielt
dem entgegen, Charlier habe mindestens ebenso viel Anrecht auf
die Walhorner Pfarrstelle besessen, wie van den Daele; wie stehe
es denn mit den übrigen Amtshandlungen Charliers? Seien auch
die nicht gültig?
Das Fehlen jeglicher Stiftung für die Gräber und die
Grabsteine erklärte Rechtsanwalt Birven aus dem hohen Alter der
Gräber und vielleicht auch dadurch, daß solche Stiftungsunterla-
gen in den Archiven der Kirchenfabrik, nicht des Pfarrers, zu
suchen seien. Auch sei das Recht auf einen besonderen Begräb-
nisplatz in der Kirche der Familie Heyendal vielleicht für
besondere Verdienste um die Kirche zugestanden worden, ohne
daß dies beurkundet worden sei. Im übrigen werde man wohl für
die wenigsten Grabstätten in diesem Lande einen anderen Rechts-
titel als den Stein vorweisen können. Dieser Brauch aber, das
Familiengrab durch einen Stein als solches zu kennzeichnen, sei
schon in der Genesis, Kap. 35, belegt, wo es heiße, Jakob habe
seiner verstorbenen Frau Rachel ein Denkmal errichtet. In allen
Kirchen dieses Landes betrachte man die Gräber mit Inschriften
oder Wappen als Familiengräber, in die keine Fremden gelegt
werden dürften.
26
Wo führte das hin, wenn man die Pfarrer gewähren ließe?
Wir hätten bald so viele Prozesse wie Gräber in den Kirchen!
Auch sei zu bedenken, daß die zu großzügige Auslegung des
Rechtes auf Beisetzung in der Kirche gesundheitliche Folgen
haben könnte. In Walhorn, so Birven, sei ein Beispiel gegeben,
wie abschreckend und ungesund eine Kirche durch stinkige
Ausdünstungen werden könne. Das kanonische Recht habe from-
men und ehrenwerten Personen das Recht auf einen Ruheplatz in
der Kirche zugestanden. Dieses Privileg solle man nicht auf
Personen des niedersten Standes ausdehnen, wie es der Pfarrer
von Walhorn getan habe.
Es bleibe letztendlich die Frage, was den Pfarrer zu dem
Prozeß bewogen habe. Birven vermutet Haß und Rachegefühle
gegen die Witwe Heyendal, die vermögendste Einwohnerin der
Pfarre, die durch ihre und ihrer Pächter Zehntabgaben eigentlich
die Kirche unterhalte und folglich ein Anrecht auf die ehrenvollen
Begräbnisplätze in der Kirche besitze. (8)
Soweit in großen Zügen die Verteidigung. Einzelheiten des
Prozeßverlaufes sind, wie schon gesagt, nicht bekannt. Die Akte
van den Daele-Heyendal wurde allem Anschein nach nicht sofort
geschlossen, denn sie enthält ein umfangreiches Paket von Zeu-
genaussagen, die im Walhorner Raum und darüber hinaus im
Juli 1766 und ein Jahr später, im Juli 1767, aufgenommen
wurden. Außerdem liegen dieser Akte zwei verschiedene Ver-
zeichnisse der in der Kirchen von Walhorn vorhandenen Grabsteine
bei.
Bei den Zeugenaussagen geht es darum festzustellen, ob die
durch die Witwe Heyendal beanspruchten Gräber schon vor 1738
den Heyendals gehörten. Insgesamt wurden in Walhorn und
Astenet 28 Personen zu einer Reihe von Fragen, die sich auf diese
Gräber bezogen, vernommen. Es würde den Rahmen dieses
Aufsatzes sprengen, wollte man alle diese Zeugenaussagen hier
wiedergeben. Es lassen sich jedoch einige immer wiederkehrende
Punkte herausgreifen. So stimmen fast alle Zeugen darin überein,
daß schon lange vor dem Jahre 1738 die Familie Heyendal die vier
inkriminierten Gräber als Familiengräber betrachtete und daß
darin nur Angehörige der Familie Heyendal beigesetzt worden
waren. So erinnert sich z.B. der 83-jährige Jan Keutgen aus
Astenet, daß ”im Jahr des kalten Winters als Lille übergegangen
ist” (=1708) er ein Jahr lang bei Jan Heyendal und dessen Frau
27
Gudula Meessen gewohnt hat. Er hat damals gesehen, wie auf
Allerheiligen die Frau Heyendal mit drei oder vier Kerzen aus
ihrer Kammer gekommen ist. Diese Kerzen hat sie dem Knecht
Jan Havenith gegeben mit den Worten : ”’Gaet, Jan, stelt die
Keirssen op onse Grafplaetsen ende van mijne moeder.’’ Bei der
Allerseelenandacht am Nachmittag habe er dann die Kerzen auf
den Gräbern der Familie Heyendal gesehen. Es war Brauch, zu
Allerseelen die Gräber der Toten auf dem Friedhof aufzuhacken
und während der Totenandacht am Allerheiligentag und der
Totenmesse am Allerseelentag brennende Lichter auf die Gräber
zu stellen. Die Angehörigen gingen dann zu den Gräbern, knieten
dort nieder und beteten. Palmsonntag steckte man geweihte
Palmzweige auf die Gräber.
Die Zeugen bestätigen alle ohne Ausnahme, daß es üblich
sei, die Angehörigen ein und derselben Familie im selben Grab
oder doch möglichst nahe beieinander zu bestatten und daß man
niemals Fremde in ein Grab lege, das einer bestimmten Familie
gehöre. Es werden sogar Fälle aufgeführt, so in Eynatten und
Eupen, wo der Tote nachträglich umgebettet werden mußte, weil
der Pfarrer diesen Grundsatz nicht beachtet hatte. Der 78-jährige
Gerard Timmermanns aus Walhorn sagt aus, er habe 10 Ange-
hörige der Familie Heyendal in den vier umstrittenen Gräbern
beisetzen sehen. C
Jakob Alexander Joseph der Royer de Merols, der das
Stocklehen von Merols am 19.5.1749 durch Urteil des Limburger
Gerichts mit allen Rechten und Gerechtigkeiten erworben hatte,
sagte aus, er verstehe ”’Rechte und Gerechtigkeiten’”” so, daß er
nun auch das Recht auf den Stuhl und die Begräbnisstätte der
vormaligen Besitzer (von Trips) erworben habe. Die Familie von
Trips habe einen Grabstein mit Wappen besessen; er meine, es
sei das Wappen derer von Haeghen, die vor der Familie von Trips
Besitzer des Stocklehens Merols waren. Beide Familien waren
verwandt.
Mit dem Erwerb von Schloß Liberme hatte die Familie de
Royer auch in Kettenis eine Grabstätte in der Kirche erworben.
Der Herr von Waldenburg, Schwager des Herrn de Royer,
ehemals Kapitän im Diense Ihrer Königl. und Kaiserl. Majestät,
seit 1747 in Walhorn ansässig, erklärte, der Großvater habe das
vordem Crümmels Lehen genannte Stockgut gekauft. Dazu
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Auch die Besitzer von Waldenburghaus hatten Familiengräber in der Walhorner
Kirche. Foto A. Jansen
gehörten auch ein in zwei geteilter Stuhl in der Kirche und zwei
Begräbnisstätten dortselbst rechts neben dem Stuhl im Mittelgang.
Die Großmutter wurde 1681 in der Pfarrkirche zu Walhorn beige-
setzt und der Herr von Waldenburg meint, auch der Großvater sei
dort beigesetzt worden. Er ist davon überzeugt, daß er und seine
Vorfahren durch den Kauf des Lehens ein Recht auf diese
Grabstätten erworben haben und daß dieses Recht ausschließlich
ist, umso mehr, als im Chor der Kirche von Walhorn eine Lampe
mit dem Wappen der Familie hänge.
Verschiedene Zeugen beeiden, daß zwei der 1738 vom
Drossard Heyendal gelegten Steine sehr viel ältere und gänzlich
abgeschliffene Steine ersetzt haben.
29
Es überrascht immer zu sehen, wie die Zeugen oft noch nach
Jahrzehnten mit Bestimmtheit sagen können, wer unter welchem
Stein beigesetzt wurde. Manchmal hilft auch ein makabres Detail
das Gedächtnis frischzuhalten. So berichtet Gerard Timmer-
manns, er habe von seiner Mutter gehört, daß unter einem ihm
gezeigten Stein der Meier Meessen aus Hauset und dessen Frau
liegen. Seine Mutter habe ihm auch erzählt, daß sie, als das Grab
des Mannes geöffnet wurde, um die Frau Meessen beizusetzen,
den Kopf des Meiers gesehen habe mit dem Kamm, den man bei
ihm gebraucht habe und der dem Toten mitgegeben worden sei.
Unter demselben Stein habe man auch eine der zwei Schwestern
des verstorbenen Greffiers Heinrich Heyendal beigesetzt.
Während heute in unserer Gegend Beerdigungen grundsätz-
lich vormittags stattfinden, bieten die Zeugenaussagen mehrere
Belege dafür, daß zur Zeit van den Daeles auch ”abends als es
dunkel war” oder ”’nach dem Mittag’’ Tote beerdigt wurden.
Was die beiden Verzeichnisse der in der Kirche zu Walhorn
vorhandenen Grabsteine angeht, so stimmen sie nur in einigen
Fällen überein. Das eine wurde im Juli 1767 auf Betreiben des
Pfarrers angelegt und soll beweisen, daß die Familie Heyendal
vor dem Jahre 1738 keinen Stein mit ihrem Namen oder Wappen
in der Kirche besaß. Auf dem Friedhof seien jedoch, so der
Pfarrer, "eins, zwei, drei vier und mehr Kreuze’ der Familie
Heyendal. Entsprechend der Absicht des Pfarrers wird in dem
Verzeichnis den älteren Grabsteinen größte Aufmerksamkeit
gewidmet.
Das zweite Verzeichnis wurde 1765 auf Betreiben der Witwe
Heyendal-Goor durch den Königl. Notar Jean Gillis Rister,
Schöffen von Eupen und Walhorn, und den Küster Johann
Stephan Haes angelegt. Die Bestandsaufnahme des Notars ist
vollständiger, was die Anzahl und die Lage der Steine angeht,
doch weniger ausführlich in der Beschreibung der Wappen und
der Wiedergabe der Inschriften. Während im ersten Verzeichnis
nur 14 Steine erwähnt sind, sind es im zweiten immerhin 25, Wir
werden versuchen, die Angaben soweit wie möglich miteinander
in Übereinstimmung zu bringen und die Steine chronologisch zu
ordnen.
Die Raumaufteilung der Walhorner Kirche wurde bestimmt
durch einen sehr breiten Mittelgang und zwei Seitengänge. An
30
der Stelle des jetzigen Muttergottesaltares befand sich die Sakris-
tei, die nach Westen, d.h. zum Innenraum hin, durch eine Mauer
abgetrennt war. Auf der gegenüberliegenden Seite, in der südöst-
lichen Ecke des rechten Seitenschiffes, befand sich die St.
Anna-Kapelle mit dem Mutter-Anna-Altar. Am zweiten nordöst-
lichen Pfeiler stand ein Marienaltar, am zweiten südwestlichen
Pfeiler ein Altar zu Ehren des hl. Job. Ein Altar zum hl. Kreuz,
welcher sich ursprünglich unter dem Triumpfbogen an der Stelle
der Kommunionbank befunden hatte, war schon 1683 entfernt
worden.
Die Kirchenbänke waren zur rechten Seite den Männern, zur
linken den Frauen vorbehalten. Entsprechend hießen die beiden
Seiten ”’Männer-”’ bzw. ”’Frauenseite””.
Verschiedene angesehene Familien hatten ihren eigenen
Stuhl in der Kirche, die Schöffen hatten eine eigene Bank. Der
Fußboden bestand aus Steinplatten sehr unterschiedlicher Größe.
Einige dieser Platten hatten 1 X 1 1/2 Fuß oder 1 1/2 X 3/4
Fuß, andere waren größer und maßen 2 X 2 1/2 Fuß. Die
Grabsteine hoben sich deutlich vom Fußboden ab. Sie lagen zwar
auch sehr unregelmäßig, doch waren sie gleichzeitig konsolidie-
rende Elemente, die eine gewisse Ebenheit des Fußbodens garan-
tierten.
Betrat man die Kirche durch das Hauptportal, so fiel einem
gleich am Eingang, linker Hand, ein 3 X 7 Fuß messender Stein
auf, der keine Inschrift, wohl aber ein Wappen” trug. Dieses
bestand aus einer Figur, die von einigen als eine französische Lilie
identifiziert wurde. Das Verzeichnis des Pfarrers gibt eine Skizze
des Wappens. (S. Abbildung). Rund um die beiden Längsseiten
und die Kopfseite verlief eine ausgemeisselte Rille. Ein ähnlicher
Stein lag im kleinen Gang zwischen den Männerbänken. Darauf
war noch der Stengel einer Lilie zu erkennen. Die Lilie war das
Wappen der Familie Meessen, die in Eynatten und Hauset
bedeutenden Besitz gehabt hatte. Diese ”’Liliensteine’’ zählten
ohne Zweifel zu den ältesten Steinen der Walhorner Kirche. (9)
Pfarrer van den Daele ließ unter dem ersten der genannten Steine
im Jahre 1750 Peter Timmernıuann (10) und i.J. 1763 die Ehefrau
des Ludwig Philips beisetzen, wogegen niemand Einspruch erhob.
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Diese Figur wurde von einigen Zeugen als französische Lilie - das Wappen der
$ Familie Meessen - identifiziert.
Unter dem zweiten Stein wurde 1751 Servaes Wintmeulen, der
Sohn des Schöffen Wintmeulen, beigesetzt, ebenfalls ohne Wider-
spruch von Seiten der Pfarrgemeinde.
Vor dem zuerst genannten Stein mit Lilie lag am Mittelgang
ein Stein ohne Wappen noch Inschrift, von dem der Küster sagte,
daß er den Erben Meessen gehörte.
Zwischen den Männerbänken sah man einen Grabstein von 4
Fuß Länge und zwei Fuß Breite mit den Wappen der Familien
Crümmel und Belven sowie der Jahreszahl 1543.
32
Aus dem Jahre 1550 stammte ein Stein mit der Umschrift :
”Anno 1550 bleiff Herman Speckhuwer van Valkenbergh got
treust die Sele.’” Der Stein trug etwa in der Mitte zwei Wappen
und über dem einen die Buchstaben W.S. über dem anderen H.S.
Er lag neben dem ”’Lilienstein’’ am Kircheneingang. Ein Bruch-
stück davon mit der Jahreszahl ”Anno 1550” und den Initialen S
und H.S. lehnt heute an der Südmauer der Walhorner Pfarr-
kirche. (Siehe Abbildung) Pfarrer van den Daele belegte das Grab
des Hermann Speckhuwer i.J. 1755 mit Matthijs Hennen. (11)
SE
AD
7 N
vo se
Va « ,
Fragment des Grabsteines des Herman Speckhuwer
3
Im Mittelgang lag ein Stein mit den Wappen der Familien
Crümmel, Belven und Driesch (en). Der in 8 Felder aufgeteilte
Stein trug die Namen der Familien unter den Wappen. (12)
Neben diesem sah man einen weiteren Stein mit dem ;
Crümmelschen Wappen.
Dicht vor der Kommunionbank lagen nebeneinander fünf
Steine, wovon einer zwei Wappen trug, von denen das eine als das
der Familie Belven identifiziert werden konnte. Als Inschrift war
noch lesbar : ”’1.11 (1611) den .0 October starb die woll edele
Christinna Bertholf van Belven, Wittwe von den auch woll edelen
Gerart von Hanxler zu ... derer Zeelen godt be ...”
Das Wappen von Belven war auch auf einem anderen
daneben liegenden Stein zu erkennen. In ”’alten abgeschliffenen
St. Peters Lettern’” war noch zu lesen : ”’Renaert Belven”’. Diese
alten gotischen Lettern weisen den Stein ins 16. Jh. (13)
Eine in der Mitte übergebrochene Platte mit der Umschrift :
”Lens von Croneberg Sin hausfrauw Maria Schuyl und ir beider
Son Simont van Croneberg an° 1563 den ...aprilis’’ sowie zwei
verschiedenen Wappen (Croneberg-Schuyl?) lag vorne in der
Kirche, links, zwischen Kanzel und Frauenbänken. 1760 wurde
Gudula Evengroot darunter beigesetzt. (14)
Einer der fünf genannten Steine vor der Kommunionbank
trug die Inschrift : ”Hier liegt begraven Joncker Derich van der
Roetzen den 20 mertz 1579 und catharina Schuil sin hausfrau den
30 Nov 1578”.
Das Wappen des Hauses Craepoel war auf einem weiteren
dieser 5 Steine eingemeißelt. Dasselbe Wappen befand sich auch
in der Mitte des Hochaltares und an den beiden Seitenaltären,
mit dem Unterschied jedoch, daß die Wappen der Seiten-
altäre von einem Ochsenkopf bekrönt wurden. (Siehe Abbildung)
(15) Die Familie von Trips hat laut Kirchenbuch vom 28.6.1667
eine Stiftung gemacht, um ein dauerndes Anrecht auf dieses Grab
zu besitzen, das zwischen dem Priestergrab (rechts) und dem
Grab des Junkers von Hagen lag, ”’dort, wo auch die Wohledle
Frau Elisabeth van Straeten, Hausfrau des ehemaligen Herrn von
Walhorn, mit einigen ihrer Kinder beerdigt liegt”.
Die Familien Belven, Crümmel und Drieschen hatten einen
weiteren Stein mit Wappen und Namen, aber ohne Jahreszahlen ı
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Wappen der Familie Schuyl (von Schloß Crapoel) über einem der ehemaligen
Seitenaltäre Foto A. Jansen
oder Inschriften. Darunter wurde 1705 Maria Lamberts, Witwe
des Peter Meessen und Mutter der Gudula Meessen, beigesetzt.
Zwischen Predigtstuhl und Frauenbänken, teils darunter,
sah man einen in der Mitte übergebrochenen Stein mit der
Inschrift : Johannes De Buere in senen leven vorstmeester van’t
Hertochdome Lemborch ende Drossaert van Baelen Starff den
25.8ber 1621’. Zwei verschiedene Wappen zierten den Stein in
der Mitte. Darunter stand zu lesen : ”’Joffe Madalena Schuyl sine
huysvroewe starff den 29 februarij 1612. Got sije hun selen
genadigh’’. Die Wappen waren also die der Familien Buere und
Schuyl.
35
Im linken Seitengang fand man neben dem Muttergottesaltar
eine Grabplatte mit der Inschrift : ”’Hier ligt begraven die Edle
und Erenveste Elisabeth Cannartz. nachgelassene Wittib von dem
Edelen und Erenvesten Fredrich von der hagen zu Merols 1626
den 3 decemb.”
Den Erben Hagen gehörte nach Ansicht des Walhorner .
Küsters ein im Mittelgang, teils unter den Bänken, liegender
Stein ohne Inschrift oder Wappen.
Durch Heirat des Schultheissen Nicolaus Heyendal mit
Engelberte von Crümmel war die Familie Heyendal in den Besitz
verschiedener Crümmelgüter in Merols und Walhorn gekommen.
Ob der Vater der Engelberte, Junker Hermann von Crümmel, der
mit Catharina Cronn (Krumm) verheiratet war, seine letzte
Ruhestätte in der Kirche gefunden hat, ist ungewiß. Sein
Namensvetter ruhte im Mittelgang der Kirche unter einem Stein
mit der Inschrift : ”’Alhier ligt begraeven der Edler und Erenfes-
ten Herman Krumel van Raef und Goel ist in den herren.
entschlaffen 1627”.
Links daneben ruhte die 1621 verstorbene ”’edle und Erent-
veste Barbara Goldstein die hausfrau von den edlen und erenves-
ten Herman Krummel von Raef und Goel”’.
Von den fünf Steinen vor der Kommunionbank gehörte einer
der Familie Hagen. Er trug die Inschrift : ”’Hier ligt begraven der
woll Edel geborene Joncker Jacob von Hagen starb a° 1653 den 22
7ber Gott sey der seelen genedig”.
Vor dem St. Anna-Altar lag der Stein des Paulus Walthys,
der Kaplan in Walhorn gewesen und dort am 8. Februar 1677
gestorben war.
Das ausgehende 17. Jh. war mit keinem einzigen Stein
vertreten. Vermutlich ist dies auf die unruhige Zeit und die große
materielle Notlage der Bevölkerung zurückzuführen.
In dem Prozess des Pfarrers van den Daele gegen die Witwe
Margaretha Heyendal-Goor geht es bekanntlich um vier Gräber
in der Walhorner Kirche. Zwei davon lagen im Mittelgang des
Gotteshauses. Der rechte Grabstein trug als Wappen einen Schild
mit Heideblume, überragt von einem Helm, der ebenfalls von
einer Heideblume geziert wurde. Dieses der Familie Heyendal
gehörende Grab trug die Inschrift : ”Alhier ligt begraven den
36
hooch gelerden heere Petrus Arnoldus Heyendal in sijn leven
gewesen fiscus ende decanus van der universiteyt von loven,
licentiaet in beyde rechten, ende advocaet geadmitteert in den
Souvereynen Raede van Brabant, oudt wesende 27 jaren, denwel-
cken gestorven is den 29 9bris 1716 requiescat in pace”’.
Der links daneben liegende Grabstein trug das gleiche
Wappen. Die Inschrift lautete : ”Alhier ligt begraven den Heere
Johan Heyendal in sijn leven gewesen oudt Richter van de
tollcaemere deses landts van limbourg, greffier ende commissaris
deser bancke van Walhorn oudt wesende 62 jaeren den welcken
gestorven is den 13 martii 1717 requiescat in pace”’.
Im selben Mittelgang, weiter nach vorne, lagen zwei weitere
Gräber, die die Familie Heyendal als Familiengräber ansah. Das
eine trug das Heyendal-Wappen und die Inschrift : ”’Alhier light
begraeven den Heere Franciscus Josephus Heyendal in sijn leven
gewesene Licentiaet in beide rechten, ende schepen van’t hooch-
gericht ende Hertochdom Limborch, starff den 8 Augusti 1735
oudt wesende 42 jaeren, Requiescat in pace amen”’.
In diesem Grab wurde 1740 der Drossard Johann Stephan
Heyendal, ein Bruder des Franz-Joseph, beigesetzt. An diesem
Grab entzündete sich auch der Streit zwischen dem Pfarrer und
der Witwe Heyendal, nachdem der Pfarrer das Grab am
25.6.1763 mit Philipp Pons belegen hatte lassen. Die Familie
Heyendal sah dies als eine Grabschändung an. Vor allem stieß sie
sich an der niederen Herkunft des Toten, der nach den Worten
des Rechtsanwalts Birven ”zum Abschaum der Menschheit”
gehörte. Der Pfarrer soll gesagt haben, der Schinder sei besser als
die Familie Heyendal. Ist dies vielleicht als eine Anspielung auf
den Beruf des Philipp Pons zu verstehen? (16)
Der vierte und letzte Heyendal-Stein lag nicht weit von dem
hiervor genannten, ebenfalls im Mittelgang. Ihn zierte ein Wap-
pen, das zwei Heideblumen und sechs französische Lilien dar-
stellte und somit auf die Verbindung der Familie Heyendal mit
der Familie Meessen hinwies. Dort hatte man 1737 die Schwieger-
mutter der Witwe Heyendal-Goor beigesetzt. Die Grabinschrift
lautete : ”’Alhier ligt begraven Joffre Gudula Meessen gewesene
gemaelinne van den hre Johan Heyendal in sijn leven gewesen
oudtrichter van de Thollcaemere deses landts Limbourg, greffier
ende. commissaris deser bancke van Walhorn, dewelcke gestorven
is den 2 april 1737 oudt wesende 82 jaeren requiescat in pace”’.
37
Unter demselben Stein ruhte der 1754 verstorbene Heinrich
Heyendal, Sohn der Gudula Meessen und Ehemann der im
Prozesse auftretenden Wwe Heyendal.
Zwei Söhne der Letztgenannten, Heinrich-Joseph, gestorben
1747 im Alter von 30 Jahren, und Christophorus, gestorben 1751
im Alter von 32 Jahren, hatte man in den Gräbern von Peter
Arnold bzw. Johann Heyendal beigesetzt. Eine Tochter, Maria
Gudula, 1735 im Alter von 13 Jahren an den Pocken gestorben,
lag nicht in einem dieser Familiengräber.
1760 starb in Walhorn Catharina van den Daele, eine Nichte
des Pfarrers, der sie in der Kirche vor dem -Muttergottesaltar
beerdigte und eine Singmesse auf St. Anna-Tag stiftete, wofür er
der Kirche 9 oder 10 Pfund Wachs schenkte.
Nach Aussagen von Zeugen ließ der Drossard Johann
Stephan Heyendal im Jahre 1738 die Steine auf den Gräbern
seines Bruders Franz Joseph und seiner Mutter Gudula Meessen
ersetzen; diese Steine seien gänzlich abgeschliffen und unleserlich
gewesen, so daß die Frage, ob schon vor 1738 der Name Heyendal
auf diesen Steinen vorkam, offen bleibt.
Soweit die aus den beiden Verzeichnissen gewonnenen
Namen und Daten. Wie der Prozeß van den Daele-Heyendal
weitergeführt worden ist, können wir, da jegliche weitere Unter-
lagen dazu fehlen, leider nicht klären.
Eine aufschlußreiche Ergänzung zu den vorgenannten Ver-
zeichnissen bildet ein anderes Aktenstück der Hochbank Walhorn
(Stadtarchiv Aachen), das von einem Jagdfrevel der Junker
Friedrich von Hagen und Dobbelstein handelt. Letztere werden
beschuldigt, in den Wäldern des Priors von Brandenburg gejagt
und dort zwei Wildschweine erlegt zu haben.
Auf den Jagdfrevel geht das vorliegende Aktenstück nur ganz
beiläufig ein; es enthält jedoch wertvolle Zeugenaussagen zu der
uns beschäftigenden Frage der Grabsteine in der Walhorner
Kirche sowie zur Genealogie verschiedener Adelsfamilien des
Walhorner Landes.
Die Aussagen wurden am 11. Oktober 1662 gemacht; sie
liegen uns vor in einer Abschrift des Walhorner Gerichtsschrei-
bers Jac. Cnops aus dem Jahre 1672.
38
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Philippenhaus, Sitz der Familie von Hagen
Foto A. Jansen
In der Kirche von Walhorn war ein Fenster der Ahnen des
beschuldigten Junkers von Hagen, und zwar das dritte vom
Liebfrauenaltar aus gesehen. (Der Liebfrauenaltar befand sich
am zweiten nordöstlichen Pfeiler). Das in zwei geteilte Fenster
trug rechts die Inschrift : ”Joncker Johann van Haegen genoempt
von Maroels’”” und darüber ein Wappen, das drei weiße Rauten
auf blauem Feld und eine daneben kniende männliche Person
darstellte. Die linke Hälfte trug ein Wappen, das einen weißen
Balken mit drei weißen Löwen oder Leoparden zeigte, wovon sich
zwei über dem Balken befanden und einer darunter. Daneben
kniete eine weibliche Person. Als Inschrift stand darunter :
”Jouffre Elisabeth van Liberme genoempt van Weims”.
Unter diesem Fenster lag ein Grabstein mit einem runden,
von oben nach unten in zwei geteilten Schild. Im rechten Feld sah
man die drei Rauten (Hagen), im linken den Balken mit den drei
Löwen oder Leoparden (Liberm6).
‚In der Kapelle ULF (der späteren Sakristei?) hing über dem
steinernen Pfeiler ein Schild mit dem vorgenannten Doppelwap-
39
pen sowie einem Wappen, das zwei schwarze Streifen auf weißem
Grund quer durch den Schild gehend zeigte.
Im Chor lag ein Grabstein, worauf in der Mitte das Wappen
mit den drei Rauten sowie Balken und weißen Löwen oder
Leoparden zu sehen waren. Von den vier rechts davon ausge- =
meißelten Medaillons (”schildekens) trug das erste die drei
Rauten und darunter den Namen ”Haegen’’, das zweite zwei
Streifen und den Namen ”Roist”’.
Beim St. Job-Altar, zwischen den beiden ersten Pfeilern, sah
man einen Stein, worauf in der Mitte ”’ein ovaler Ring” ausge-
meisselt war. Rechts davon ein Kreuz, das aus acht Schlangen
gebildet wurde. Dieses Schlangenkreuz war das Wappen der
Familie Crümmel. Links des Ovals das Wappen mit den drei
Rauten, das der Familie Hagen. (17)
In der Nähe des Heilig-Kreuz-Altares (-er stand in Höhe der
späteren Kommunionbank, in der Fortsetzung des Mittelganges-)
fiel ein gebrochener Stein mit Doppelwappen auf. Eines davon
war das vorgenannte Schlangenkreuz, das andere zeigte ein
”klimmendes Einhorn” und gehörte der Familie Belven. (18)
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Grabkreuz mit Lilie in der nördlichen Außenmauer der Kirche eingemauert
40
Daneben lag ein Stein mit dem genannten Einhorn, welches
von einem Helm überragt wurde. Darunter sah man zwei weitere
Wappen, und zwar das Crümmelsche Schlangenkreuz und ein
Halbrund, das zwei und einen halben querlaufende Balken und
im rechten unteren Viertel eine Lilie zeigte. (19)
Auch ein rote Kasel trug auf der Innenseite des Rückenteils
ein in zwei geteiltes Wappen, und zwar in der rechten Hälfte das
Einhorn (Belven) auf silbernem Grund und daneben, auf blauem
Grund, einen goldenen, von oben nach unten verlaufenden
Streifen mit einem ”hoepken”” (=?) zu beiden Seiten. Die linke
Hälfte zeigte das bekannte Crümmelche aus 8 Schlangenköpfen
gebildete Kreuz. °
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Keines der uns vorliegenden Verzeichnisse ist vollständig.
Dennoch ergänzen sich die Unterlagen und aus vielen Mosaikstein-
chen entsteht ein mehr oder weniger genaues Bild der Walhorner
Kirche im 17. und 18. Jh. Als Mutterkirche der Pfarren Kettenis,
Eynatten, Raeren und Hergenrath kommt ihr eine den Walhorner
Rahmen sprengende Bedeutung zu und wir hoffen, mit vorste-
henden Zeilen einen bescheidenen Beitrag zur Erforschung dieses
in genealogischer, sprachlicher und kulturhistorischer Sicht so
bemerkenswerten Raumes geleistet zu haben.
41
Quellen und Anmerkungen
1) Dictionnaire de th6&ologie catholique, Fascicules 130-131, col. 1883 - 1903,
herausgeg. von Vacant u. Mangenot, Paris, 1939.
2) Stadtarchiv Aachen, Akten der Hochbank Walhorn, ohne AZ.
3) Der Pfarrer gibt im Walhorner Kirchenbuch 3 (Staatsarchiv Lüttich) eine
ziemlich detaillierte Schilderung des Vorganges. Danach hatten sich drei Per-
sonen, darunter ein gewesener und ein amtierender Bürgermeister, am 22. Juli
1762 gegen 13 Uhr auf dem Friedhof gegenseitig Haare ausgerissen (”crines sibi
mutuo avulserunt””) und mit Fäusten und Steinen derart aufeinander eingeschla-
gen, daß zwei der Streitenden erheblich bluteten (”effusio sanguinis notabilis””).
4) Pfarrer van den Daele hatte schon mehrfach bei der Ortsverwaltung beantragt,
man möge den Friedhof mit einer Mauer umgeben. Der Gottesacker lag nämlich
frei und war nicht nur ein Tummelplatz für die Dorfkinder, nein, auch Kühe,
Pferde, Schweine und Ziegen liefen dort herum und es war sogar vorgekommen,
daß Tiere in die Kirche eingedrungen waren und dort in der Nähe des Altares Kot
gemacht hatten.
Der Friedhof wurde am 6. Juli 1763 durch den Pfarrer von Eupen Gerhard
Heyendal neu konsekriert.
5) Die erste Erwähnung der Heyendals steht unseres Wissens im Feuerstellenver-
zeichnis Homburgs aus dem Jahre 1445. Peter Arnold Heyendal, der 1715
genealogische Aufzeichnungen über seine Familie machte, schreibt, der Vater des
Nikolaus Heyendal sei vom ’’Bennelt onder Moresnet’’ gekommen; dies sei ein
burgartiges Haus, das gegenwartig dem Rechtsanwalt Hodiamont gehöre. Ge-
meint ist Schloß Bempt in Moresnet-Dorf.
6) Wir verweisen auch auf den Artikel von A. Janclaes in Nr. 23 unserer
Zeitschrift, S. 5 - 10.
7) Die Kirchenbucheintragung sagt uns, daß Philipp Pons von der Marzelheide
stammte, am 1. Mai 1678 in Walhorn getauft wurde und am 24.6. 1763 in seinem
eigenen Häuschen (”’in aedicula propria’’) verstarb. Am folgenden Tag wurde er
unter dem Stein, den der Drossard Johann Stephan Heyendal 1738 für seinen 1733
verstorbenen Bruder Franciscus Josephus hatte legen lassen, beigesetzt.
8) Daß der Pfarrer wenig Sympathie für die Familie Heyendal hegte, war vielleicht
darauf zurückzuführen, daß in dem Rechtsstreit Charlier - van den Daele der
Drossard Heyendal die Interessen Charliers vertreten hatte.
9) In der nördlichen Außenmauer der Walhorner Kirche befindet sich in einem
zugemauerten Rundfenster ein Grabkreuz mit Lilie. Ob es der Familie Meessen
gehörte, ist ungewiß,
10) Peter Timmermann war der Sohn von Leonard Timmermann und Angela
Heyendal, (einer Tante des Abtes Nikolaus Heyendal), Pächter auf Bexenhof bei
Belven. Er war Enkel väterlicherseits von Peter Timmermann und Elisabeth
Meessen, mütterlicherseits von Nikolaus Heyendal (Schultheiß) und dessen 2.
Frau Helena Graefs. Peter Timmermann war der Stammvater der später in
Raeren und Neudorf, dann in Eupen weitverzweigten Familie Zimmermann.
11) Mathias Hennen, Sohn des Jan Hennen und der Anna Peltzer aus Gemehret
war verheiratet mit Anna Timmermann, Tochter des Peter Timmermann u. der
Elisabeth Meessen. Sein Sohn Stephan Josef Hennen war Pfarrer von St. Foilan in
Aachen.
12) Den Wappen zufolge handelt es sich um den Grabstein eines nicht näher
bestimmbaren Enkels des Ehepaares Wilhelm von Crümmel von Eynatten zu
Merols und der Odilia Bertholf von Belven.
13) Reinart Bertolf von Belven, Sohn des Simon Bertholf von Belven und dessen
erster Ehefrau Agnes Crümmel von Eynatten zu Ruyff, starb angeblich 1536 vor
Saint-Quentin im Krieg gegen die Franzosen (westdeutsche Gesellschaft für
42
Familienkunde; unklare Quelle). Er war Besitzer (und Erbauer?) von Schloß
Belven. Im heutigen Bauernhof Belven befindet sich ein Wappenstein mit seinem
Wappen und dem seiner Ehefrau Christine von Rolandswert aus Köln.
14) Lens van Croneberg, Sohn des Lens van Crone(n)berg, heiratete Maria Schuyl,
Tochter des Arnold Schuyl von Walhorn und der Elisabeth von Walhorn. Diese
Maria Schuyl war mit Bruder und Eltern als Stifterfiguren auf einem Kirchen-
fenster der Pfarrkirche Walhorn abgebildet.
15) Der Schrägbalken und 6 gestümmelte Vögel sind das Wappen der Familie
Schuyl von Walhorn, die 1660 noch auf Craepoel sitzt. Später geht das Schloß
durch Erbschaft an den Schwiegersohn Berghe genannt Trips.
16) Das Gewerbe des Abdeckers oder Schinders war damals recht anrüchig. Von
Schinderhannes heißt es in einigen Quellen, er habe sich zunächst als Scharfrich-
tergehilfe betätigt. Die Scharfrichter übten oft nebenher den Beruf eines
Abdeckers aus. Abdecker wie Scharfrichter wurden im Volksmund auch Schinder
genannt. War Philipp Pons von Beruf Abdecker gewesen und konnte Anwalt Birven 8
deshalb von ihm sagen, er sei ”een van de vilste conditie'” gewesen?
17) Es handelt sich um das Allianzwappen der Eheleute Reinhard Crümmel von
Merols, Sohn des Wilhelm Crümmel von Merols und der Odilia Bertolf von Belven
und der Elisabeth von der Hagen, Tochter des Jacob von der Hagen und der
Christina Roist von Weert.
18) Der Stein erinnert nach dem Allianzwappen an die Eheleute Wilhelm
Crümmel von Eynatten zu Schloß Merols und Odilia Bertolf von Belven,
Begründer der Merolser Linie der Familie Crümmel von Eynatten. Die Jahreszahl
1543, die im Grabsteinverzeichnis des Pfarrers gegeben wird, gibt wohl das
Todesjahr der Frau an. Wilh. Crümmel heiratete in 2. Ehe Elsa von Gemmenich.
19) Es muß sich um den Grabstein des Junkers Simon Bertolf von Belven (+1523
oder 1528), des Begründers der adeligen Linie der Bertolf von Belven, Sohn des
Aachener Schöffen Johann Bertolf und der Agnes Polain von Kettenis handeln.
Die beiden Wappen ohne Helm sind die Wappen seiner beiden Frauen Agnes
Crümmel von Eynatten zu Ruyff und Angela von dem Driesch.
Für die genealogischen Hinweise und Ausführungen - Anmer-
kungen 10 - 19 sind wir Herrn Helmut Christoph (Oberkirch) sehr
zu Dank verpflichtet.
43
Zum Tode des Walhorner Pfarrers Anton
Mennicken vor 100 Jahren (17.10.1879)
von Viktor Gielen
Am 18. Oktober 1879 brachte die ”Eupener Zeitung”
folgenden Bericht aus Walhorn :
”Ein schwerer unersetzlicher Verlust hat unsere Gemeinde getrof-
fen. Unser allbeliebter, hochverehrter Herr Pfarrer, Herr Anton
Mennicken, wurde gestern abend auf dem Wege von der Station
Astenet nach Walhorn tot aufgefunden. Der hochwürdige Herr
hatte sich gestern nachmittag nach Eupen begeben, um dem
Herrn Rektor Cornet daselbst seine Beichte abzulegen. Rüstig
und in guter Gesundheit trat er seine Rückreise an, fuhr mit der
Eisenbahn bis Astenet, woselbst er noch der erkrankten Frau des
Bahnhofinspektors a. D. Kloth einen Besuch abstattete. Gegen
1/2 6 ungefähr verbreitete sich dann durch den Ort die Trauer-
kunde, daß man den Herrn Pfarrer, noch einige Minuten von
seiner Wohnung entfernt, tot aufgefunden habe. Welche Aufre-
gung diese überaus schmerzliche Nachricht bei allen Bewohnern
unserer Gemeinde hervorrief, läßt sich nicht beschreiben. Alles
eilte zu der Stelle hin und wollte den teuren Pfarrer sehen. Dort
lag der würdige Priester, auf der Erde ausgestreckt, noch im Tode
friedlich lächelnd; in der rechten Hand hielt er den Stock, die
linke hatte er in der Tasche und um dieselbe den Rosenkranz
geschlungen, den er jedenfalls unterwegs gebetet hatte. Ein
Herzschlag hatte seinem Leben ein Ende gemacht, Schmerzlich
berührte es, daß die Leiche des hochwürdigen Herrn auf Befehl
der Ortsbehörde die ganze Nacht über unter strömendem Regen
im Freien verbleiben mußte. Doch auch hier zeigte sich die Liebe
und Anhänglichkeit der Pfarrgenossen zu ihrem nunmehr verstor-
benen geistlichen Vorgesetzten; die ganze Nacht über wachten
dieselben bei der Leiche des teuren Dahingeschiedenen, bis
dieselbe heute morgen gegen 9 Uhr auf Aufforderung des
Kreisphysikus (Kreisarzt) in das Pfarrhaus gebracht werden
durfte.
Trauernd steht nun die ganze Gemeinde an der Leiche ihrers
Pfarrers, doppelt fühlend in der Zeit des Kulturkampfes den so
44
schmerlichen Verlust, nicht wissend, wann sie wieder einen
Pfarrer erhalten wird.”
Auch in diesem Beitrag merkt man etwas von der schwülen
Gewitterstimmung, die in den siebziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts über unserer Heimat lastete. Dem Bürgermeister
wird vorgeworfen, daß er den verstorbenen Pfarrer die ganze
Nacht über im Freien liegen läßt, und am Schluß wird die
Befürchtung geäußert, daß es lange dauern kann, bis die
Regierung der Ernennung eines neuen Pfarrers zustimmt. Der
Artikelschreiber sollte recht behalten : Erst im Jahre 1887 wird in
Pfarrer Labeye ein Nachfolger ernannt. Inzwischen hatte die .
Regierung mit dem Abbau der Kulturkampf-Gesetze begonnen,
unter denen auch Pfarrer Mennicken sehr gelitten hatte. Als
überzeugter katholischer Priester mußte er natürlich gegen die
kirchenfeindlichen Gesetze Bismarks Stellung nehmen. Dies zog
den Unwillen einiger liberal gesinnter Gemeindeinsassen nach
sich, die Mennicken ”’Mangel an Patriotismus’’ vorwarfen.
Den gleichen Vorwurf machte ihm das ”Aachener Volks-
blatt’” in Nr 40 des Jahrgangs 1871 (1)* In Nr 4, Jahrgang 1872
widerlegt Mennicken die Verleumdungen des Artikelschreibers.
Die Regierung schränkte den Einfluß des Pfarrers auf
Unterricht und Erziehung der Schuljugend ein. Ab 1875 wurde
ihm sogar verboten, den Religionsunterricht in der Schule zu
erteilen.
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BA
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Pfarrer Anton Mennicken nach der Aufbahrung am 18. Okt. 1879
46
Das Andenken Mennickens bleibt für immer mit der altehr-
würdigen Pfarrkirche Walhorn, der Mutterkirche des Walhorner
Landes, verbunden. Im Jahre 1879 heißt es im Protokollbuch des
Kirchenvorstands :
”Das durch Alter und Geschichte gleich ehrwürdige Gotteshaus
von Walhorn hatte infolge der Verirrungen des Kunstgeschmacks
früherer Zeiten seine ursprüngliche monumentale Schönheit fast
ganz eingebüßt, bis es dem Kunst- und Opfersinn des Pfarrers
Mennicken, unterstützt von seiner Gemeinde, gelang, ihm seine
jetzige Gestalt wiederzugeben und zu einer der schönsten Land-
kirchen unserer Erzdiözese zu erheben.” (3)***
Die Stelle, an der Landwirt Matthias Josef Keutgen am |
Abend des 17. Oktober 1879 den im Alter von 64 Jahren so
plötzlich verstorbenen Pfarrer aufgefunden hatte, wurde von den
Walhornern immer in Ehren gehalten. Sie lag in den sogenannten
”Benden”’, dort, wo der Fußpfad von der Pfarrkirche zur Heide
führte. Dort, wo die Leiche gelegen hatte, wurde viele Jahre
hindurch - selbst im Sommer - das Gras klein gehalten, damit
jeder die Stelle erkennen konnte. Im Jahre 1880 errichtete die
dankbare Gemeinde ihm hier ein Denkmal, das im Jahre 1961
der Autobahn weichen mußte und jetzt einen Ehrenplatz auf dem
Friedhof, links vom Kirchenportal gefunden hat.
(1*) Es handelt sich um die ”Aachener Zeitung”, die bis 1885 bestand. Ihre Mittags-
ausgabe führte eine Zeitlang den Titel "Aachener Volksblatt”.
(2**) Veröffentlicht in Viktor Gielen "Die Mutterpfarre und Hochbank Walhorn”,
2. Auflage, Verlag Pfarramt Walhorn, 1965, S. 93 - 96
(3***) "Die Mutterpfarre und Hochbank Walhorn”, S, 71 ff.
47
Beginenhof (Brügge)
M. Th. Weinert
Ein stiller Platz mit langem, sanftem Gras
und grünen Bäumen,
und kleiner, weißer Giebel gleiches Maß,
aus denen Butzenscheiben
wie offene Augen träumen
in einen Frieden ohne Unterlaß,
in Tage, die - ob Sonne oder Regen -
Jahrhunderte die gleichen bleiben,
wie Bilder, die sich nicht bewegen
und dennoch voll von ihrem Leben sind ...
denn sie bewahren viel,
indes die Zeit verrinnt
und ihre Stille füllt mit Glockenspiel.
48
# ° x
Chausse antique 4 Membach
Le plateau des Hautes Fagnes s’etend a l’extremite nord de l’Ardenne,
dans la partie orientale de la province de Liöge. Il occupe une situation
remarquable sur une carte de Belgique tant par son altitude et son climat que
par son paysage et son sous-sol. L’altitude du platcau n’est pas inferieure ä
500 m et ses points culminants, la Baraque Michel et lc Signal de Botrange,
atteignent respectivement 672 et 694 m. Le climat y est rude: la neige et le gel
s6vissent plusieurs mois par an; la pluie est trös frequente. Aujourd’hui, foret ”
et lande se partagent le paysage, la premiere entourant la seconde, Le sous-sol
est constitue de bancs de quartzite et de phyllades appartenant aux terrains
cambriens. Depuis des milliers d’ann&es, des tourbieres se sont d&veloppecs
sur ce plateau et de nos jours encore, elles alimentent les nombreux petits
ruisseaux qui parcourent les Fagnes.
Plusicurs vieilles routes sillonnent ce haut plateau ardennais. L’une d’en-
tre elles, la Levee ou Pavee de Charlemagne le traverse suivant un axe nord-
ouest/sud-est. Au si&cle dernier, elle fut identifice ä la Via Mansuerisca men-
tionnee au VII“ siecle dans un acte de donation de Childeric a l’Abbaye de
Stavelot-Malmedy. C’est sous cette derniere appcllation qu’elle est plus
communement connue aujourd’hui bien que cette identification ait souleve
des controverses.
La chaussee que nous Etudions est connue depuis le XVII“ siecle. A cette
Epoque, l’imperatrice Marie-Therese songeait ä la remettre en usage. Les
depenses que ces travaux auraient entrainces la detournerent de ce projet.
C’est surtout l’abbe Bastin qui l’a rendue c&lebre gräce ä ses longues et
fructueuses recherches sur le terrain, consignees ensuite dans un precieux
article paru en 1934 (3).
Le trace de la voie antique a Et& repere entre Hestreux et les Wes, soit sur
une longueur d’ä peine 7 km (fig. 52). On l’identifie parfois a un troncon d’une
chauss&c reliant Treves a Maestricht; en effet, ce sont deux points que l’on
atteint si on le prolonge en ligne droite vers le sud et vers le nord.
L’abb€ Bastin a men€ ses recherches aux Biolettes 3 Membach et ä Broche-
pierre aux Wes, ä la limite des communes de Membach et Robertville, dans une
zone particulierement tourbeuse, recherches qui devaient faire connaitre l’im-
posante infrastructure en bois de la Via Mansuerisca. Nous avons centre nos
investigations sur le territoire de Membach, dans la Reserve naturelle des
Hautes Fagnes, prös de la Croix Mockel, ä moins de 2 km au nord des fouilles
de Bastin (?°).
% J. BASTIN, La Via Mansuerisca, L’Antiquite classique 3, 1934, 363-383.
95 L’autorisation de fouille nous füt aimablement accordee par Monsieur Zorn, Ingenieur responsable du
cantonnement de Dolhain, la Commission de Gestion de la Reserve naturelle domaniale des Hautes Fa nes
et ’Administration communale de Baclen 8
51
Un leger bombement dans la vegetation indiquait le passage de la route.
L’empierrement Etait pratiquement a fleur de sol (fig. 53). Deux tranchees ont
recoupe perpendiculairement la chauss&e et en ont revele la structure. Les
constructeurs avaient depose, sur le sol tourbeux, des troncs d’arbre simple-
ment €branches, l’un contre l’autre et parfois l’un sur l’autre, pratiquement
perpendiculaires a l’axe de la voie (fig. 53). Ils avaient employ€ des arbres
d’une longueur moyenne variant entre 4,5m et 5m. D’&normes dalles de
quartzite posces directement sur l’assemblage en bois constituaient le noyau
de la route. Ces dalles pouvaient atteindre jusqu’a 0,35 m d’Epaisseur et plus
d’1 m de longueur. Des mocllons et des cailloux 6galement en quartzite, du
gravier et parfois de l’argile comblaicent les espaces laiss6s entre les dalles ou les
anfractuosit6s des pierres. La couverture de la route avait disparu, emportee
par les intemperies s6culaires. II ne nous restait qu’une surface empierree au
profil trös irregulier. Les deux cötes de la chauss&e se terminaient par un talus
de gravier m6le ä de la tourbe et parfois renforce par de l’argile. La largeur de
cette route n’excedait pas 6m. Aucune trace de fosse n’Ctait visible. Nous
avons note la presence de quelques piquets en bois ä la pointe bien taillee,
enfonce&s profondement dans le sol et plantes irregulierement soit le long de la
route, soit contre les troncs d’arbre.
Le souci de doter la voie d’une infrastructure en bois s’est limite aux zones
particulierement humides. En effet, dans une seconde tranchee ouverte seu-
Jlement ä 4 m de la precedente, nous n’avons plus retrouve les rondins comme
support du pavement.
Au cours des sondages, nous n’avons pas trouve le moindre objet ar-
ch6ologique. Aussi dans l’immcdiat, nous restons sans Clement susceptible de
preciser la chronologie de la «Via Mansucrisca». Divers Cchantillons ont &te
preleves au cours des fouilles et nous attendons le resultat de leurs analyses.
L’6tat actuel des recherches dont cette vieille route a fait l’objet laisse une
destination encore Cnigmatique, un nom Conteste et une Chronologie guere
certame.
M.-H. CORBIAU
52
Antike Straße in Membach
- Via Mansuerisca -
Im östlichen Teil der Provinz Lüttich, am Nordrande der Ar-
dennen, liegt das Hochplateau des Hohen Venns. Sowohl durch
Höhe und Klima als auch durch Landschaft und Bodenbeschaffen-
heit nimmt das Hohe Venn auf der belgischen Landkarte einen 7
besonderen Platz ein : die Mindesthöhe beträgt 500 m, die
höchsten Punkte, Baraque Michel und Signal de Botrange,
erreichen 672 bzw. 694 m. Das Klima ist rauh : Schnee und Eis
bedecken das Venn während mehrerer Monate des Jahres; es
regnet häufig. Die Landschaft wird bestimmt durch von Wäldern
umschlossene Ödflächen. Der Untergrund besteht aus Quarzit-
bänken und Phyllit, die dem Kambrium angehören. Über Jahr-
tausende hat sich ein Torfmoor gebildet, das heute noch eine
Vielzahl kleiner Vennbäche speist.
Diese Ardennenhochebene wird von mehreren alten Straßen
durchzogen. Eine davon ist die ”’Levee” oder ”’Pavee de Charle-
magne’’. Im vergangenen Jh. wurde sie als die im 7. Jh. in einer
Schenkungsurkunde Childerics an das Kloster Stavelot-Malmedy
erwähnte ”’Via Mansuerisca’’ identifiziert; unter letzterem Namen
ist sie heute allgemein bekannt, wenn auch diese Gleichsetzung
nicht unumstritten ist.
Die Straße, die wir untersuchten, ist seit dem 18. Jh.
bekannt. Damals dachte Kaiserin Maria Theresia daran, sie
wieder in Stand zu setzten. Doch die damit verbundenen Ausga-
ben hielten sie von ihrem Vorhaben ab ; vor allem Pfarrer Bastins
langen und erfolgreichen Forschungen ”vor Ort’ ist es zu
verdanken, daß die Via Mansuerisca allgemein bekannt wurde.
In einer wertvollen 1934 veröffentlichten wissenschaftlichen Studie
(”La Via Mansuerisca ”’in’” L’Antiquite Classique”’, 3, 363-383)
berichtete er über seine Grabungsergebnisse.
* Übersetzung des Artikels von Seite 48 bis 51
53
Den Verlauf der antiken Straße hat man über eine Strecke
von knapp 7 km, zwischen Hestreux und les Wes, feststellen
können. (Abb. S. 49) Oft hielt man sie für ein Teilstück der
antiken Straße Trier-Maastricht; bei Verlängerung in Richtung
Nord-Süd erhält man tatsächlich diese beiden Punkte.
Pfarrer Bastin führte seine Untersuchungen am Orte ”’Biolet-
tes” (Gem. Membach) und auf ”Brochepierre’” bei den ””Wes”
(Gemeindegrenze Membach-Robertville) durch. Der Unterboden
war hier besonders moorig und der imponierende Holzunterbau
der Via Mansuerisca konnte hier freigelegt werden.
Unsere Untersuchungen wurden auf Membacher Gebiet
durchgeführt, im Naturschutzgebiet des Hohen Venns, in der
Nähe des ”Kreuz Mockel’”’, nicht ganz 2 km nördlich der
Ausgrabungsstelle von Pfarrer Bastin.
Eine leichte Bodenerhöhung zeigte den Verlauf der Straße,
Die Steinlage lag praktisch frei. (Abb. S. 50 o.) Wir haben zwei
Gräben gezogen und den Aufbau der Straße ireigelegt. Die
Erbauer hatten entästete Baumstämme nebeneinander und
manchmal übereinander senkrecht zur Straßenachse gelegt. (S.
Abb. S. 50 u.) Die Länge der verwedeten Baumstämme liegt
zwischen 4,5 und 5 m. Den Kern der Straße bildeten riesige
Quarzitplatten, die direkt auf den Holzstämmen auflagen. Diese
Platten hatten bis zu 35 cm Dicke und mehr als 1 m Länge. Die
zwischen den Platten freigebliebenen Räume waren durch Quar-
zitsteine und Schotter sowie Kiesel und manchmal Ton ausgefüllt.
Die Straßendecke war im Laufe der Jahrhunderte von den
Unbilden der Witterung abgetragen worden. Übrig geblieben war
eine steinige Oberfläche mit sehr unregelmäßigem Profil. Der die
Straße zu beiden Seiten begrenzende Damm bestand aus einem
Gemisch von Torf und Steinen, dem manchmal zur Verstärkung
Ton beigesetzt war. Die Breite der Straße überschritt nirgendwo 6 m.
Von Seitengräben waren keine Spuren zu sehen. Wir haben einige
zugespitzte, tief in den Boden getriebene Holzpfähle gefunden,
die ohne bestimmte Ordnung entlang der Straße oder direkt
neben den Baumstämmen standen.
Den besonderen Aufwand einer Holzinfrastruktur finden wir
nur an besonders feuchten Stellen. Wir haben nämlich nur 4 m
von der ersten Grabung entfernt keine Rundstämme mehr als
Unterbau gefunden.
54
Unsere Grabungen förderten kein einziges urchävlugisches
Objekt zutage. So bleiben wir vorerst ohne Anhaltspunkte, die
uns eine genauere zeitliche Einordnung der Via Mansuerisca
liefern könnten. Wir haben im Laufe der Arbeiten verschiedene
Proben entnommen, auf deren Analyse wir z.Zt. noch warten.
Beim gegenwärtigen Stand der Untersuchungen bleibt das
Wohin und Woher dieser Straße ungeklärt, der Name umstritten
und die Datierung unsicher.
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Die Göhltalvereinigung in Sachen
Denkmalschutz
von Dr. Gisela De Ridder
Über die Bedeutung des Denkmalschutzes für die Bewahrung
unseres Kulturbesitzes ist in den letzten Jahren viel gesprochen
worden, und die Göhltalvereinigung hat versucht, in ihrem
Bereich die Denkmäler, welcher Art sie auch immer sein mögen, als
Zeugen der Geschichte zu definieren und die Aufmerksamkeit
darauf zu lenken. Denn ein altes Schloß, eine Kirche, ein altes
Haus, ein Platz oder gar eine Blume oder ein interessanter Stein,
legt Zeugnis vom menschlichen Wirken ab. Wann immer es
unserer Vereinigung vergönnt war, haben wir versucht, den
eigentümlichen Reiz eines historischen Dorfkernes neu zu entdek-
ken. Und wie oft haben wir dabei erlebt, daß so mancher von
uns bei dieser Gelegenheit ein altes Haus, dessen Fassade sich von
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Beispiel einer gelungenen Renovierung : das Haus Dupuy-Ernst, Schnellenberg
Ö Foto A. Jansen
56
den anderen Häusern abhob, unter einem ganz anderen Blick-
winkel sah. Und so stand dann das alte Dorf mit seinen Häusern
in einer Lebendigkeit vor uns, die den Betroffenen ein eigentüm-
liches Gefühl der Wärme aber auch der Zugehörigkeit vermittel-
te. Sich für den Denkmalschutz einzusetzen bedeutet nicht, sich
einfach der heutigen Nostalgiewelle in unserer technischen Zivili-
sation zu widmen. Es ist auch nicht Ausdruck des Unbehagens
und des Überdrusses unseres industriellen Zeitalters. Ich glaube,
die wahren Gründe unseres Einsatzes reichen sehr viel tiefer. Ich
sehe in dieser Wiederentdeckung unseres Kulturbesitzes und der
Notwendigkeit seiner Bewahrung sowie seiner lebendigen Einbe-
ziehung in unser alltägliches Leben mehr als nur ein romantisches .
Sentiment. Es ist ein Geltendmachen des Persönlichen gegen das
Unpersönliche, des Hervorhebens des Geschichtlichen gegen das
Geschichtslose. Wer eine Häusergruppe, organisch gewachsen
über Generationen von Menschen, zerstört, vernichtet damit
Individualität in Geschichte der Gegenwart aber auch der Zu-
kunft. Die Unwiederbringlichkeit eines solchen Verlustes wird
deshalb als schmerzlich erlebt, weil wir ohnmächtig dastehen und
unsere Verantwortung für die Tradition unserer Kultur auf die
nachfolgenden Generationen nicht mit dem gewünschten Maß
haben weitergeben können. Der Göhltalvereinigung ging es stets
darum, in dem Tal, dem 17 Dorfgemeinschaften mit unterschied-
lichen Sprachzugehörigkeiten angehören, den Kulturbesitz ge-
schichtlich lebendig zu machen. Da wir überzeugt sind, daß
Denkmalschutz im Unterricht praktiziert werden sollte, gingen
wir schon in die Schulen. Ist es uns doch ein Leichtes, besonders
in unserer Gegend, den Kindern unsere Umgebung mit ihrer
Geschichte am Geschichtlichen zu zeigen. Nur wenn Geschichte
lebendig wird, wird man sich um die Bewahrung des Erbes
bemühen in dem Bewußtsein, die Wurzeln unseres Daseins als
Auftrag weiter wachsen zu lassen. Daher freuen wir uns, daß
unsere Vereinigung soviel geschichtlich Interessierte hat, die
wissen, daß sie alle mithelfen sollen, wo immer sie stehen, wann
immer es gefordert wird, das Besondere, das Geschichtliche, aber
auch das Schöne eines Denkmals aufzuzeigen, um unser Ge-
schichtsgefühl zu vertiefen. Ist nicht jeder in dieser Zeit getrieben
und sucht nicht jeder eine bergende Stätte? Was manche
Stadtplaner und Architekten ”erreicht’”” haben, können wir an
vielen ungemütlichen Städten nachempfinden. Altes abzureissen
ist einfach, aber Neues organisch Gewachsenes wieder aufzu-
El
bauen ist unmöglich. Beim Denkmalschutz geht es gar nicht
darum, an jedem Steinchen festzuhalten. Die Gestaltung des
Lebensraumes ist Aufgabe eines Jeglichen von uns. Es sollte
immer versucht werden, das Erbe organisch in die gegenwärtige
Umgebung einzubeziehen. Denkmalschutz gehört nicht in ein
Museum, Denkmalschutz gehört in unsere unmittelbare Umwelt.
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Erhaltenswerte Fassade auf Schnellenberg
Foto A. Jansen
Wer sich schützerisch betätigt, arbeitet konstruktiv, bereichert
seinen Lebensraum, sagt ”Ja’” zur Geschichte und wer mit der
Geschichte lebt, wird sich anstrengen, das Erbe der Väter zu
58
erhalten und es weiterzugeben. Seit Jahren hat sich die Göhltal-
vereinigung in diesem Sinne für mehrere Aktionen eingesetzt. Seit
1973 geht es uns um die Erhaltung der Galmeiflora, die auf den
Galmeihalden um den Altenberg in Kelmis und Neu-Moresnet,
entlang der ganzen Göhl und des Hornbaches zu sehen ist. Diese
Galmeiflora - eine Rarität in Europa - deren bekanntester
Vertreter das gelbe Galmeiveilchen ist, ist nicht nur eine Blume
schlechthin, sondern sie legt Zeugnis ab vom Schaffen vieler
fleißiger Bergleute aus dem Göhltalraum. Wir haben uns einge-
setzt für die Erhaltung dieser Halden, deren Wert man bisher zu
wenig kannte, und doch wurden sie abgeräumt. Jetzt liegen sie
zerstört da, so als ob niemand begreifen wollte. Das Hornbachtal
sollte dann wenigstens als letzter Hort der Galmeiflora geschützt
werden. Seit 1974 läuft der Antrag. Seit Ende 1975 haben wir
dem RDK mehr als 60 Anträge zur Erhaltung von Gebäuden und
Plätzen überreicht. Heute wird ein Inventar darüber aufgestellt,
sonst geschah nichts. Verantwortliche Instanzen sollten keinen
Weg blockieren, sondern Mittel für Maßnahmen bereithalten, um
positive Initiativen zu unterstützen. Die denkmalerhaltenden
Kräfte sollten bei den verschiedenen Planungen in ganz anderem
Umfang als bisher beteiligt werden. Denkmalschutz bleibt Auf-
gabe der Gegenwärtigen. Nur so kann auch bereits unter Denk-
malschutz Stehendes erhalten und somit vor dem Verfall bewahrt
bleiben. Die gesellschaftliche Dringlichkeit des Denkmal- und
Naturschutzes kann heute nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Die Dimensionen des Denkmalschutzes haben sich erweitert und
gewandelt. So genügt es nicht mehr z.B. Reservate zu errichten,
um bestimmte Formen von Natur und Landschaft zu erhalten,
wie es noch der klassische Naturschutz vorsah. Industrialisierung,
Technisierung, Wirtschaftswachstum und Steigerung des Lebens
wurden als Leitziele unserer Gesellschaft bis in unsere Zeit hinein
in einer Ausschließlichkeit verfolgt, die zur Ausbeutung , ja sogar
zur Vergiftung der natürlichen Lebensgrundlagen von Boden,
Luft und Wasser führten. Die Sanierung von Umweltschäden und
die Vermeidung solcher Schäden in der Zukunft sind zwei der
dringlichsten Notwendigkeiten. Oft sind es nur technische und
finanzielle Probleme, für die es jedoch eine Lösung gibt, so
schwierig sie auch sein mögen. Die größte Herausforderung liegt
in dem rechtmässigen Anspruch unserer Gesellschaft auf eine
humane Welt. Die Göhltalvereinigung stellt sich dieser Heraus-
forderung.
59
ZWEI GEDICHTE
in Raerener Mundart, illustriert und mit einem kleinen Lexikon
Alt-Raerener Mädchennamen versehen -
von Peter Emonts-pohl
Poesie en Prosa
0 % A € A Dr Mound scheen kloor,
Az RZ 7, de Nahtejall soung,
Wr De AR de Möllscher pingden e-jen Steng. (1)
| A A A Sa De Schönnste Fröhjohschnaht et woor,
NN EA 4 ‚en enge e-jene Kollef sproung,
AS 3 LE An Jitta e-jen Hengd.
ZN ZA
A ® MC ZZ E speelde fien,
AS je} \'Z— e speelde lang :
A IE _.__ "Mie leevste Katring hüer mech aan :
Kiez {3 X | 8. Ech haan dech illech jann jesien,
"u nA au | ‚been üverdaags ech ooch ze bang,
5 Ka | ds naht juen ech eraan.”
ES
WANN WO a de Venster op,
AN FEN & en Hank, di schwoung dr Pott eruus.
An N | ( f Ss x Op eemool vuelt dee äreme Jaan
z64)| A ie 3 ne Waißerjusch op singe Kopp,
DZ N Sl A (met Speele woor et uus.
DD
So,
(1) et Möllsche : die Geburtshelferkröte; die Männchen locken an
warmen Abenden mit ihren anheimelnden Glockensignalen die
Weibchen an.
61
Kleines Lexikon Alt-Raerener
Mädchennamen
A Annebäb - Anna Barbara
Annelib - Anna Elisabeth
B Baäreb, Bäb, Bäbsche - Barbara, Bärbchen
D Drück, Drücksche - Gertrud
F Fina, Fing, Fingsche - Josefine, Finchen
I, J Isebell, Bella, Bell - Isabella
Juesefing - Josefine
Julla - Gudula
K Karling - Karoline
Katring - Katharina
L Lisa, Lis, Lisje, Libett - Elisabeth
M Marjann - Marie Anne
Marjuesep, Marjupp - Maria Josefine
Marlib, Marlieseb - Maria Elisabeth
Micketing - Maria Katharina
N Nella, Nell - Petronella
Netta, Nett, Nettsche - Katharina
R Rejing - Regina
S Seef, Seefje - Josefa
T Traut, Trautsche - Gertrud
Tring, Tringsche - Katharina
62
August 1914
Tagebuch eines Teenagers aus dem
1. Weltkrieg
von Leonie Wichert-Schmetz
Am Waldrande liegt meine traute Heimat, mein liebes Dörf-
chen im frisch grünen, von Hecken umsäumten Wiesental gebet-
tet. Vom Walde schallt das Jubilieren der Vögel, und weiche,
warme Sommerluft geht über die goldenen Kornfelder, aus deren
Mitte rotglühender Mohn leuchtet und wie treue blaue Augen
mich die Kornblumen anschauen. Leichter Luftzug bewegt das
Korn und die hohen Grasrispen, daß sie wie ein grüngoldenes
Meer wogen und wellen. Freundliche Häuser leuchten, um einen
spitzen Kirchturm geschart, aus dem Grünen. Das sind Häuser,
von denen ein glückliches Kinderlachen widerhallte, in denen mir
längst bekannte und vertraute Menschen wohnen. Von blanken
Fenstern hinter roten Geranienstöcken nicken mir alte Mütter-
chen zu, die mit meiner Großmutter jung waren und meinen
lieben Vater als lustigen Burschen gekannt haben, der nun, ach,
schon lange auf dem blumenüberwucherten Kirchhofe ruht.
Weitab vom Dorf am Fuße des Burgberges der alten majestä-
tischen EMMABURG liegt mein jetziges Heimathaus. Gelb und
rot leuchtet der freundliche Ziegelsteinbau aus dem Waldesdun-
kel. Rote Kletterrosen umranken die blinkenden Fenster. Duf-
tende Teerosen nicken zu meinem Stübchen herein, als ob sie
mich grüßen wollten. Die Traubenblüten der Glycinen hauchen
ihren betäubenden Duft am Dachfirst aus, wo Schwalben und
Stare bauten. Lieb und friedlich liegt das Haus da. Hohe Tannen
bewachen seine Stille; im Garten bewegt die Ackelei ihr lila
Köpfchen, und auf zierlichen Beeten blüht bunter Blumenflor.
Aus dem smaragt-grünen Laub des Kirschbaumes leuchten
rubinrot die ersten reifen Kirschen. Von den Weiden schallt das
Blöken kräftiger, rotbunter limburger Kühe, die das nährende
Gras abweiden. Auf die Waldlichtung kommen vorsichtig spä-
hend schlanke Rehe. Hier bellt in Winternächten der Fuchs und
schreitet die Sage durch den tief verschneiten Wald.
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Haus Kirschgens, Emmaburger Weg, 1914
In der Abenddämmerung höre ich so gerne, wenn Mutter
mir erzählt von der Vergangenheit meines lieben limburger
Landes, von den Lehngütern, von Bockreitern, von Schatzgrä-
bern, Kriegen und von meinen eigenen Vorfahren. Oft liege ich
unter alten Eichen am plätschernden Bach, wenn über mir der
Kuckuck ruft und ringsum alles grünt und blüht, und denke an
die graue Vergangenheit und an alte Sagen von der
EMMABURG und von meinem lieben, trauten Heimatland.
Freitag, 1. August 1914. Seit 1909 wohnen wir bei Frau
Adela Kirschgens geborene Kerres. Wir sind nach Vaters Tod
aus der Villa ”Adler”” in Hergenrath, an der Bahnhofstraße,
ausgezogen, nachdem Vater wegen seiner Erkrankung schon
65
Wir liebten es anfangs nicht sehr, im Gegensatz zu unserem
jetzt verpachteten Elternhaus, es kommt uns ein wenig unheim-
lich vor. Es heißt nach der Besitzerin ”Villa Adele”, unsere
Kusinen nannten es zuerst heimlich ”’Villa Mordhöhle”. Das darf
Mutter nicht hören und auch im Tagebuch nicht lesen. In diesem
Haus sind drei Hunde wichtiger, als wir drei Kinder, Wotan, ein
schottischer Schäferhund, Pyri, eine große Dogge, und der kleine
rabenschwarze Waldmann. Tante Adele hat nie Kinder gehabt,
darum hängt sie ihr Herz an diese drei Tiere. Aber ich tue ihr
Unrecht. Mehr als ihre Tiere liebt sie die Armen und Unglück-
lichen. Trunksüchtige Männer läßt sie in ihrem Keller schreinern,
Reparaturarbeiten für ihre vielen Höfe und Häuser tun, um ihnen
das Trinken abzugewöhnen. Sie macht ständig Handarbeiten für
die Mission und gibt an karitative Vereine viel Geld. Die
Anwesenheit der süchtigen Männer erhöht unsere Liebe zu dem
Haus nicht, so hübsch es auch aussieht. Darum sind wir mehr als
drinnen draußen im Emmaburger Wald oder in Bauwens und
Keutgens Wiesen oder an der Göhl, das heißt, wenn wir Mutter
in Haus und Garten geholfen haben und unsere Schulaufgaben
gemacht sind. Das ist bei mir gar nicht wenig, seit ich ab 1911 in
Aachen zuerst in der städtischen Mittelschule, dann in der
Präparandie und hoffentlich bald in der Höheren Schule bin.
Morgens gehe ich über die Ochsentreppen nach Altenberg zur
Straßenbahn und komme mittags zurück.
Morgen, am 2. August, gibt es Ferien. Ich freue mich darauf
gar nicht so, wie ich mich früher gefreut habe. Alle Menschen
sind aufgeregt, sie munkeln : ”’Es gibt Krieg’. Seitdem wir in
Kirschgens Haus wohnen, habe ich in meinen Träumen oft schon
Soldaten kampieren sehen in graugrünen Zelten mit Farb-
spritzern darauf. Alle trugen graugrüne Uniformen. Wenn ich
das Mutter erzählte, sagte sie : ”’Solche Uniformen gibt es doch
nicht, bleib’ bei der Wahrheit!” Aber es hat etwas zu bedeuten.
Den Vennbrand von 1911 habe ich vom Dach der ”’Villa Adler”
gesehen, ehe ich in die Schule kam, und das war vor 1905, und
der ist doch auch eines Tages im Jahre 1911 ausgebrochen.
Ich habe noch ein Bild gezeichnet, meine Schwestern und
eine Kusine aus Herbesthal und mich, wie wir unter einer alten
Kastanie einen Reigen tanzen. Das habe ich schon im März
gemalt, ehe die Bäume Blätter hatten. Ich bin da 14 Jahre alt,
meine Schwester Tilde 12, Eugenie 8 und unsere Kusine Klothilde 16.
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Kusine Klothilde, Eugenie, Leonie, Klothilde aus Herbesthal
Unsere Spannung wird noch größer. Mutter ist besorgt, sie
will uns nicht aus dem Haus lassen. Ich muß waschen und dann
im Garten Unkraut ausziehen. Thilde soll im Haus mit Mutter
nähen, und Eugenie darf mit den Puppen spielen.
Dienstag, 4. August 1914
Der Weltbrand loht. Nach glücklichen Friedensjahren, in
denen ich meine frohe Jugend verlebte, bricht wie ein Blitz aus
heiterem Himmel das Unheil eines Weltkrieges hervor. Samstag
vor 8 Tagen kam der Anlaß, der ”Österreichisch-Serbische
Krieg.” Die Woche dehnte sich endlos lang. Überall bange,
fragende Gesichter. Die Zeitungen werden erstürmt. Rußland
mischt sich hinein, es macht mobil. Deutschland versucht mit
aller Kraft, den Frieden zu erhalten, aber was hilft’s, wenn der
böse Nachbar nicht will? So kam Samstag 6 Uhr die Mobilma-
chung, und die Grenzen wurden in Kriegszustand versetzt. Hohe,
67
heilige Begeisterung geht durchs Volk, es melden sich Freiwillige.
Mutig sehen alle dem Krieg entgegen, doch manche Träne fällt. _
Auch aus meiner Familie müssen einige scheiden. Mit Kummer
sehe ich sie ziehen, doch nur Mut, auch sie werden tapfer
kämpfen für ihr großes, teures Vaterland. Gott und ihrer Lieben
Gebet wird sie schützen.
Samstag wurden in den höheren Schulen Aachens die
Schüler nach Hause geschickt; auch ich durfte gehen, da der
Schulweg mir sehr schwierig wurde. Die Grenze war gesperrt, nur
mit einem Ausweis kam man hindurch und die Kleinbahn fuhr
nur bis Bildchen. Sonntag, der 2. August, war trüb und traurig.
Regen perlte wie Tränen vom Himmel und Tränen flossen
reichlich bei der Ansprache des Geistlichen in der Kirche. Heute
reisten die Reservisten ab. Die Kirche war gefüllt wie nie, und die
scheidenden Krieger empfingen die hl. Sakramente. Der Sonntag
verläuft eintönig. Kein Mensch geht über die Straße, die an
manchen Stellen mit Ketten gesperrt und mit Baumstämmen und
alten Karren verrammelt ist. Der Montag brachte mehr Leben,
aber kein lautes, geräuschvolles. Leise, ohne Sang und Klang
zogen tausende Soldaten in ihren neuen graugrünen Uniformen
ein. Scharf tönt zuweilen ein Befehl der Offiziere, sonst Stille. In
jedes Haus kommt Einquartierung, in manchen Häusern liegen
30 Mann. Die Schulen sind ausgeräumt, die Bänke stehen
draußen im Regen. An den Wiesen sind die Hecken durchschla-
gen, und ungeheure Mengen Soldaten schlafen im Freien unter
kleinen Zelten, wie ich sie vorher gesehen. Wachen mit scharfge-
ladenen Gewehren bewachen die Straßen. Jeden Augenblick
werden verdächtige Personen ergriffen und verhört, denn viele
Spione treiben sich im Land umher. Zwei Russen sind in Aachen
erschossen worden. Gestern standen 11 Mann gefesselt auf dem
Lagerplatz, mit gesenktem Kopf, mit harten, unglücklichen
Gesichtern. Am Nachmittage baten einige Soldaten um Wasser
bei uns. Froh haben wir ihren Wunsch sogleich erfüllt. Sie
erzählten uns von ihrer Heimat in Westfalen, Hannover und
Brandenburg. Die meisten waren mutig und voll Vertrauen auf
den Sieg, andere voll Kummer über das Verlassen ihrer Frau und
der kleinen Kinder. Ein Duisburger erzählte uns unglücklich, daß
er samt vier Brüdern den sterbenden Vater verlassen mußte. Sie
zeigten uns auch die Marke, woran man verschollene oder
gefallene Soldaten erkennt. Auf der Emmaburg sind die Offiziere
68
einquartiert. Ein Oberleutnant, Simons, hat bei Mutters Kusine
zu Abend gegessen, konnte aber nicht bei uns schlafen trotz
seiner Müdigkeit, da ein neues Kommando ihn wieder wegrief. In
der Nacht fielen einige Schüsse. Ich konnte nicht schlafen, denn
ich mußte an die armen Menschen denken, die in Sturm und
Regen Deutschlands Grenzen bewachen und deren Blut bald
fließen muß. Auch meiner lieben Verwandten gedenke ich, von
denen ich in der unruhigen Zeit nichts mehr hörte. An das kleine
spaßige Erlebnis des gestrigen Tages erinnere ich mich, das den
trüben Montag unterbrochen hatte. Als sich die Soldaten mit
schwerem Tritt über den bekiesten Gartenweg näherten, sprang
unser großer Schäferhund wütend hervor. Die Soldaten zogen -
blank. Ich faßte den Hund und lachte, da sie sich des Hundes so
mutig erwehren wollten wie des Landesfeindes. Am Morgen
erwachte ich mit schwerem, wirrem Kopf, als hätte ich die ganze
Nacht durchwacht. Es schwebten mir noch verworrene Träume
vor von furchtbaren Schlachten, Tod, Verderben und von der
siegenden Liebe milder Barmherzigkeit. Am Morgen wollte ich
zur Messe und zur Kommunion gehen, aber die Wachtposten
hielten uns so oft an, da wir keinen Ausweis hatten, daß wir alles
versäumten. Wir holten uns einen Ausweis auf dem Bürgermeis-
teramt. An Einkäufe war nicht zu denken, da viele Familien
durch Masseneinkäufe den Laden leer geräumt hatten. Um 7 Uhr
zogen die 50000 Jäger und Infanteristen weg auf Altenberg zu.
Unabsehbare Reihen, dann Wagen mit Munition, Essen und
Geräten und Krankenwagen. Ich habe sie gesehen, die 50000
Mann, wie sie mit blitzenden Augen vier Stunden in unabsehba-
rer Reihe über die Grenze nach Belgien zogen. Freundliche
Einwohner reichten ihnen Erfrischungen. Ihr tapferen Streiter voll
Mut und Kraft, werdet ihr euer Heimatland noch einmal
wiedersehen? Man sagt, Belgien habe in der Nacht dem befreun-
deten Deutschland Notschüsse um Hilfe abgegeben, aber aus
Versehen eine Eisenbahnbrücke gesprengt. Ich glaube nicht, daß
solchen Gerüchten zu trauen ist, denn die Wallonen fühlen doch
Gallierblut in ihren Adern rinnen, und die französische Sprache
verbindet sie mit den Franzosen. Heute um 4 Uhr erscheint ein
Flugzeug, es sieht ganz wie eine Rumpler-Taube aus, doch dem
Geräusch nach muß es ein französisches sein. Es überschaut den
ganzen Plan und macht funkentelegraphische Zeichen. Dann
kommt ein zweites, ein Eindecker, es ist jetzt halb 7 Uhr. Das
69
Flugzeug überschwebt ein und dieselbe Stelle. Da, ein Gewehr-
schuß mehr. inımer mehr, das Opernglas entsinkt meinen
Händen. Vs überläufi mich kalt. Ich muß mich ins Gras werfen,
Yach verläßt die Kraft. Mutter weint, die Schwestern kauern
ietenbleich am Boden. Alle meine Kraft fasse ich zusammen und
eile. am ganzen Leibe zitternd, mit unregelmäßig klopfenden
Pulsen, ins Haus. Ich höre kaum das Knattern der Geschosse, der
Maschinengewehre, die dumpfen Kanonenschüsse, halbohn-
mächtig schluchze ich, denn mein Herz ist zerrissen von wildem
Schmerz. Wieviele Menschenleben sind in den letzten Augenbli-
cken zerstört, wieviel unschuldiges Blut ist geflossen! Jetzt fällt
mir ein zu beten; ruhiger werde ich, und meine Kraft erstarkt.
Gott wird mir die Gnade geben, wenn die Zeit kommt, treu
Verwundete zu pflegen und das Härteste zu ertragen. Ich kann
nicht mehr schreiben, meine Hand zittert, mein Kopf ist dumpf
und schwer und wirre Gedanken durchschwirren ihn. Ich will
beten für meine Lieben, für unsere Streiter, für mein liebes
deutsches Vaterland und für alle, die jetzt in Weh und Schmerz,
in Elend un«d Verderben schmachten, die mit dem Tode ringen.
Mittwoch, 5. August 1914
Der Tag ist durchzittert von Kanonenschüssen. Unser Heer
ist mitten in Belgien. Es belagert Lüttich. Die Wallonen verweh-
ren den Deutschen den Einzug. Vise ist dem Erdboden gleichge-
macht. Die Eisenbahnen sind von Deutschen besetzt. Fortwäh-
rend kommen Verwundete an. Es werden überall Hilfsstätten
errichtet. In der Nacht strahlen elektrische Scheinwerfer an den
Wänden wider und die Luft braust von Zeppelins Luftschiffen.
Heute nachmittag, um 5 Uhr, erschien wieder eine Rumpler-
Taube, die Befehle überbrachte. Wir verfolgten ihren Flug mit
Feldstechern. Oft tauchte sie im Nebel unter, erschien darauf
aber glänzend hell wieder. Wir wußten nicht, ob das Aluminium
in der Sonne glänzte, oder ob das Flugzeug brannte. Drauf
entschwand sie mit rasender Schnelligkeit in der Richtung
Lüttich. Hat sie Aachen, den heimatlichen Hafen, wieder er-
reicht, oder sank sie, von einem Geschoß getroffen, in Lüttich zu
Boden, wer weiß? In Belgien stiegen kleine weiße Wolken auf,
gewiß von Granaten. Am Abend hieß es, Lüttich brenne. In der
Nacht zog sich ein Gewitter zusammen; man konnte Geschütz-
donner nicht vom Himmelsdonner unterscheiden.
70
Donnerstag, 6. August 1914
18 Uhr. Heute morgen sind wir früh aufgestanden. Die
Menschen sind aufgeregt, der Geschützdonner ist verstummt, die
einander widersprechendsten Nachrichten begegnen sich. Einer
sagt : Deutschland hat gesiegt, Lüttich ist übergeben”, der
andere : ”Deutschland ist im Rückzug begriffen’’. Tatsache ist,
daß zwei Stunden lang Kavallerieregimenter mit Gesang nach
Belgien zogen, von den Bewohnern Altenbergs mit Hurra begrüßt.
Militärautos fahren ununterbrochen von Deutschland nach Bel-
gien; bei vielen sind die Schutzscheiben zerbrochen (man erzählt
sich, Wallonen in Vise hätten heißes Wasser von den Häusern aus
auf deutsche Truppen geschüttet, sie sollen mit Steinen geworfen -
und geschossen haben; ich glaube diesen Gerüchten nicht, sind
doch die Grenzdörfer mit deutschsprachigen Menschen, Bewoh-
nern deutscher Abstammung besetzt). Deutschland will mit
Frankreich Krieg führen und muß es mit den Belgiern. Man
murmelt von Erfolgen des Grafen v. Häseler in Luxemburg. In
den Kriegen 1870/71 hat er eine schwere Verwundung davonge-
tragen und ist, trotz seiner silbernen Rippen, fähig ein Komman-
do zu führen. Er ist ein überaus willensstarker Mann und ein
Kenner der Gegend, in der sich der Krieg abspielt. - Von unserer
Ostgrenze hört man wenig, da die Zeitungen ausbleiben.
Freitag, 7. August 1914
Alles ist still! Die Menschen sind frommer geworden; die
Kirchen sind an Werktagen besser besucht als früher sonntags.
Man sagt, es stände gut auf deutscher Seite. Doch unaufhörlich
kommen Verwundete in Zügen und Autos. Die belgischen Klöster
sollen voll von Verwundeten liegen. Täglich, kurz nach 6 Uhr,
bringt die Rumpler-Taube Befehle. Jetzt nimmt sie einen südli-
cheren Flug. Unsere Truppen rücken vor. Fast täglich kommt
Nachschub. Auch England soll den Krieg erklärt haben. Armes
deutsches Vaterland, von Feinden rings umschlossen! Heute soll
wieder Einquartierung kommen, 3000 Mann. In der Ferne grollt
dumpfer Geschützdonner. Um 1/2 10 Uhr knatterte ganz in der
Nähe Gewehrfeuer. Sind uns die Feinde so nahe? Eisenbahnen
und Straßen sind mit Landsturmmännern besetzt; sie haben es
gut, denn die Bewohner suchen alle Soldaten aufs Beste zu
verpflegen.
71
Krieg
Trüb ist die Luft, und trüb ist mein Herz.
Grausiger Krieg, du brachtest nur Schmerz,
Streutest umher nur Grauen und Tod,
Schlugst alle Menschen in Fesseln und Not.
Blutende Wunden, zerrissene Brust,
Längst sind entflohen Glück draus und Lust.
Herzen voll Sehnsucht, Kummer und Leid,
Wär’ doch noch einmal selige Zeit!
Wär’ nur noch einmal Frieden im Land,
Löschend den gräßlichen Weltenbrand,
Lindernd die Schmerzen, stillend die Pein,
Frieden, 0 Frieden, zieh bei uns ein!
Samstag, 8. August 1914
Gestern abend hörte ich, das Schießen, das uns gestern so in
Schrecken versetzt hatte, habe einem Ziegelbäcker gegolten, der
auf Autos des Roten Kreuzes geschossen habe. In strömendem
Regen haben wir riesige Einkäufe für die Einquartierung ge-
macht. Zwei Zimmer sind ausgekramt, und es wird mit Eifer
gekocht. Seit 3 Uhr nachts zogen Soldaten durch Hergenrath in
die umliegenden Dörfer. Nun ist schon 1/2 11 Uhr und nicht ein
Soldat kommt nach Hergenrath selbst. Ein Surren und Brausen
erfüllt die Luft. Ich eile ans Fenster; wieder schwebt die
Rumpler-Taube über Feindes Land. Was bringt sie wohl heim,
gute oder böse Nachricht? Die belgischen Grenzdörfer sind ruhig.
Antwerpen wird von Deutschen besetzt, wird erzählt, damit keine
Engländer dort landen können. In Belgisch-Moresnet hat jeder
sein Bündel gepackt und eilt, sobald ein Kanonenschuß dröhnt,
in wildem Schrecken in den Aachener Wald. Dort redet man
auch von der Weissagung einer Sibylle, Deutschland werde 1914
ganz vernichtet werden. Das kann nicht sein. Wenn Deutschland
so geeint, so fest da steht wie heute, kann es nicht untergehen. Es
kann nicht vernichtet werden, wenn jeder Deutsche dem andern
in Liebe und Treue, mit Gut und Blut beisteht, wenn alle
Gegensätze schwinden und das ganze Vaterland aufsteht zur
LA
gerechten Verteidigung der guten und heiligen Sache. Wenn
Deutschland unter der Menge der Feinde, die Frieden heuchelten
und Krieg entfachten, auch fast erdrückt wird, es wird sie
niederschmettern durch die Wucht seines guten, reinen Schwer-
tes, der gerechten Sache und durch Einigkeit und Treue des
Volkes.
Sonntag, 9. August 1914
Wie still ist es! Nur zuweilen aus weiter Ferne ein verhallen-
der Kanonenschuß. Leuchtend blau ist der Himmel, nur hier und
da steigen verräterische schwarze Wölkchen auf, immer mehr.
Brandwolken sind’s und am Himmel ein Widerschein der bren-
nenden Dörfer. In deutschen Landen liegen die Dörfer ruhig;
schwarz-weiß-rote Flaggen mit dem deutschen Adler wehen lustig
im Winde; mit dem Fernglas kann man in Belgien die weißen
Friedensflaggen flattern sehen. In Hergenrath herrscht gehobene
Stimmung : Lüttich ist genommen, und Friedensverhandlungen
mit Belgien seien eingeleitet, kann man hören. Ich glaube,
Belgien hat genug gelitten. Unzählige Dörfer sind zerschossen
worden, die Einwohner geflüchtet, das Vieh durch verirrte
Kugeln getötet. Belgien muß seit Jahren gegen Deutschland
gerüstet haben, denn man hat unzählige Waffen in Bauernhäu-
sern und Fabriken gefunden. Glücklicherweise haben wir die
Waffenfabriken in Herstal in Besitz genommen. Nur Welkenraedt
hat die Waffen sämtlicher Bürger eingefordert, es ist verschont
geblieben. Dagegen haben Baelen, Dolhain, Verviers, Flemalle,
Vise und noch viele Grenzdörfer über große Verluste zu klagen.
Heute ist dreizehnstündiges Gebet; die Kirche ist besetzt wie nie
in Friedenszeit : Not lehrt beten. Den Nachmittag benutzten wir
zu einem Spaziergang. Unbeachtet und unversehens sind an den
Hecken die Brombeeren gereift. Niemand pflückt die saftigen,
würzigen Früchte, die in doldenartigen Fruchtständen an den
kräftigen, den Hohlweg überschattenden Ranken sitzen. Die
Pflaumen fallen überreif von den Bäumen. Es ist Spätsommer
geworden! Spätsommer, in dem der Tod blutige Ernte hält, die
Menschen aber ihre Ernte vergessen. Heute ist Krieg; vor einem
Jahr gab es Überfluß, Freude und Frieden. Obst wurde in
überreichen Mengen von den Bäumen geschüttelt, heute ist es
fast vergessen. Damals wagte man sich auf heiteren Ausflügen tief
ins Dunkel des Waldes und suchte Kühlung vor der Tages Hitze.
Jetzt'schrickt man zusammen, wenn sich ein Blatt im Walde regt
73
und fern ein Schuß knallt. Im vorigen Jahr haben wir mit lieben
Verwandten Ausflüge und Reisen unternommen, nun sind wir
getrennt und ich weiß nicht, wie es ihnen geht. Der Abend war
wundersam, frisch und klar. Die Luft war durchsichtigblau-grün
wie Glas. Im Westen lag eine Wolkenbank dunkel und schwarz,
unheil-, verderbendrohend. Da ging die Sonne unter und der
letzte strahlende Schein vergoldete die schwarze Bank so licht und
herrlich, daß ich gebannt stehenbleiben mußte und in den
goldenen, glühenden, funkelnden Himmel schaute. Heißer und
tiefer wurde die Glut, daß all die kleinen Lämmerwölckchen
karminrot wurden, und der Glutschein des Westens schien wider
im Osten. Es war, als spiegelte sich der Weltbrand am Himmels-
gewölbe wider, Hasses dunkle Glut, die reinen Flammen der
Begeisterung, und blutigroter Brand der Dörfer. Leise erlosch die
Himmelsglut, die reiner und erhabener schein, als Abbild, die
lohende, versengende Glut der Kriegsfackel. Weich und lila
wurden die Schatten, nur im Westen verglomm ein zartes,
warmes Rot; wieder standen die Wolken schwarz und groß.
Mir schienen sie ein fliehendes Kriegsheer, schwarz und ver-
schwommen, dazwischen verglimmende Glut, wie brennender
Dörfer Schein. Am lichteren Himmel hoben sich dunkle, gigan-
tische Tannen doppelt düster ab. Nur die Hügel waren noch hell,
und um die Firste der Dächer spielte ein Lichtstrahl. Dann
breitete die Nacht ihre schwarzen Schatten. Gespenstisch flog
Lichterwerferschein durch das Dunkel. Ein einziger Stern stand
mild und licht, voller Ruhe am stillen Himmel. Friedvoll, mit
immer gleichem, sanften Licht zieht er über die Erde, die so
durchtobt ist vom Kampf, rot vom Blut und durchglüht von
Völkerhaß und Kriegesbrand.
Montag, 10. August 1914
Heute ist ein stiller Tag. Man hört nichts als das Gezwitscher
der davonziehenden Schwalben und zuweilen das brausende
Geräusch eines Flugzeuges. Es ist mir, als wäre wieder Friede im
Land. Hin und wieder rollt einer der zwölf Militärzüge, die nach
Belgien bestimmt sind. Am Bahnhofe ertönen brausende Hurras;
Erfrischungen werden gereicht, Tücher flattern für die in Fein-
desland einrückenden deutsche Truppen. Deutsche Bahnarbeiter
haben die Brücken und Tunnels, die von den Belgiern zerstört
worden sind, wiederhergestellt.
75
Dienstag, 11. August 1914
Ein Flugzeug, das anscheinend nach Luxemburg flog, weckte
mich diesen Morgen. Kaum war das Brausen verhallt, knallten
Schüsse in der Schlucht der Emmaburg. Aber ich ließ mich nicht
halten und ging in die Kirche. Hernach erhielt ich Nachricht von
meinen Verwandten. Meine Kusine schickte mir ihr Tagebuch,
das trotz seiner Kürze inhaltsreicher als meins ist. In Herbesthal
sind Lazarette eingerichtet. Ich glaube, meine Kusinen haben
mehr Blut gesehen als ich, auch mehr Uniformen. Die benach-
barten belgischen Dörfer brannten. Die neutrale Straße zu be-
schreiten sei lebensgefährlich; und doch sehne ich mich so nach
Herbesthal nach meinen Verwandten. Daß wir so lange getrennt
sind, ist eine Buße. Als feiner Nebel liegt die Hitze auf der Erde.
Was haben unsere armen Vaterlandskämpfer auszustehen! In
unserem Garten stehen die Klematis in strahlendem Blau, die
Löwenmäulchen duften, die Rosen glühn, und die Lilien wiegen
ihre blendend weißen Blütenkelche. Niemand achtet all der
Pracht, und doch könnte sie trösten. Und der strahlende Sonnen-
schein könnte aufheitern, beschwichtigen und nicht, wie mancher
sagt, dem Schmerz der Menschen Hohn sprechen. O, nehmt das
Glück, wo ihr es ergreifen könnt, stoßt es nicht von euch, wenn
anderes Wünschen versagt blieb! Faßt es, behaltet es, bewahrt
den Frieden eurer Brust und wehrt dem Haß, laßt einziehen die
Liebe.
Mittwoch, 12. August 1914
Gestern abend sind wir ausgegangen. Da haben wir wieder
Hunderte, Tausende ins Feindesland ziehen sehen. Welch sieges-
mutige Gesichter, obwohl im Westen Kanonendonner grollt.
Wie frisch schreiten sie aus, obwohl drückende Sonnenhitze auf
der Erde liegt und den Braven der Schweiß von der Stirne tropft!
Freundliche Bewohner erquicken sie mit Speise und Trank. Doch
je näher der Grenze, desto vorsichtiger werden sie. Es sollen
mehrfach Vergiftungen vorgekommen sein, deshalb heißt es für
jeden : aufpassen! |
Erst jetzt begreife ich, daß die deutsche Regierung das
Völkerrecht gebrochen hat dadurch, daß sie die deutschen
Soldaten trotz der Neutralität des Landes durch Belgien hat
marschieren lassen, und daß die Belgier sich rechtmäßig wehren.
76
Doch halte ich die Mithilfe der Zivilbevölkerung für unklug und
hinterlistig. Ich begreife es nicht, die Belgier waren uns so
freundlich gesinnt. Viele Verwandte von uns wohnen in Dolhain,
Nachkommen von zwei Schwestern meiner Großmutter Luise
Jerusalem geb. Zimmermann. Eine Tochter von Josephine de
Xherexhe-Zimmermann ist unsere Tante Regine; sie ist in Kleve
verheiratet. Ihr Mann ist Offizier im deutschen Heer. Ich hörte,
daß er seine Schwäger, Brüder seiner Frau, die in Dolhain eine
Gerberei betreiben, als Geiseln festnehmen mußte. Was für
schreckliche Gefühle müssen meine arme Tante und ihre Brüder
und ihr Mann erdulden! Ein Krieg ist doch etwas Entsetzliches.
So reiht sich eine Schuld an die andere. Ich habe an die gute
Sache der Deutschen geglaubt, da doch der Mord von Serajewo
den Krieg auslöste und die Bündnisverpflichtung gegen Öster-
reich Deutschland zum Kampfe zwang. Alle anderen Kriegerklä-
rungen folgten zwangsläufig durch die Bündnisse mit andern.
Welches Vergängnis!
Tag und Nacht in einem fort zieht es über die Heerstraße,
Tausende in Feindesland. Grau sind die Uniformen, nur hin und
wieder versprengte Blaue. Gespensterhaft ist der Zug. Nur wenn
plötzlich einer ein Vaterlandslied anhebt, braust es durch die
Reihen. Doch wenn lange Reihen Autos mit verstümmelten
Verwundeten kommen, ballen sie die Fäuste, und der Zug nimmt
ein schnelleres Tempo, zur schnelleren Wiedervergeltung. Da
liegen unsere Helden bleich und müde, rings umher sitzen in
und auf den Autos Soldaten mit geladenen Gewehren. Zuweilen
sausen riesige Autos, Mannesmann Mulag Wagen, heran mit
gefangenen Belgiern, die meistens ganz vergnügt erscheinen. Dann
geht ein Hallo durch die deutschen Reihen. Deutschlands Heer ist
mutig bis zum lezten Mann; die verwegenen Husaren sind noch
von Ziethens Geist durchdrungen. Sie unternehmen Ritte in
Feindesland zur Aufklärung. Bei einem solchen durch Dolhain
kamen sechs Mann ums Leben. Ihre Pferde liefen nach Herbes-
thal zurück, wo sie, weil man bei ihnen Feinde vermutete, nachts
erschossen wurden.
Es gibt zuweilen auch etwas Lustiges in dem ersten Krieg. 25
und 53 Mann rannten mit echt deutschem Mut aufeinander los;
jeder hielt den andern für einen Franzosen, und sie erkannten
sich zuguterletzt nur an dem kräftigen Ausdruck eines deutschen
Hauptmanns : Teufel noch mal, was mutige Franzosen!” - Ein
FF
Oberleutnant, wie es schien ein ostpreußischer Baron, nahm
außer seiner Reitgerte, die er zum Spaß als Gewehr gebrauchte,
cin paar rote Nelken und eine Teerose mit, gewiß Andenken aus
der Heimat. Offensichtlich war er sehr guter Dinge. Mehrere der
Munnschafi. die auf Rädern auf Belgien zu vorgefahren waren,
redet er humorvoll an : ”Na, Jungens, habt ihr einen Ausflug
nach Belgien oder Frankreich gemacht? Noch nichts erobert?
Na. es ist nicht mehr viel übrig, Belgien ist ein weißer Klecks auf
Europas Landkarte.”” Er biwakierte mit seinen Jungens ganz
vergnügt in einer Heuwiese. Trotz ihrer Müdigkeit halfen alle den
Leuten beim Aufladen des Heus. - Auf der Straße zogen noch
immer Truppen. Durch das Trappeln der Pferde und das Rasseln
der Wagen klangen Rufe ”Auf Wiedersehen!”
Abends, ich war schon zu Bett gegangen, hieß es, wir
bekämen Einquartierung. Schnell zogen wir uns wieder an und
machten alles für die Soldaten zurecht, aber es kam niemand.
Doch alle andern Häuser lagen voll, und immer neue Truppen
rückten ein. Die Hunde bellten, die Pferde wieherten, und
deutsche Männer zogen über das holprige Pflaster der Lütticher
Heersıraße. Sonst war es eine stille, warme, sternenhelle Nacht.
Das Käuzchen schrie, Fledermäuse flogen. Ich lehnte an des
Hauses Wand und lauschte in die Nacht. In den Häusern des
Dorfes war noch Licht und ein Stimmengewirr drang bis in unsere
Abgeschiedenheit. Die Bäume rauschten, und der kühle Nacht-
wind ließ mich plötzlich erschauern. Ich ging ins Haus, legte
mich zu Bett und schlief bis in den hellen Morgen. Es ist
schrecklich, keinen Augenblick hört der Kanonendonner auf; es
ist, als wanke der Erde Grund. Gewiß sind auch die riesigen
Todesrohre, die in Rote Erde ankamen und die von 10 bis 12
Pferden gezogen wurden, schon in Tätigkeit und ihr
riesiger, schwarzer Schlund speit Tod und Verderben. Ich er-
schauere. Raben fliegen über den Talgrund, und Rauch steigt am
Horizont auf. Heute kamen 50.000 Österreicher durch mit
schwarzen Adlern auf den Achselklappen. Sie kämpfen mit ihren
deutschen Brüdern gegen den gemeinsamen Feind. Ein Wille
beseelt sie, treu sind sie verbunden. Deutschland hat nur ein Herz
mehr, einen Willen, einen Gedanken. Reiche teilen mit den Armen;
Studenten arbeiten mit Bauern, Fürstinnen an der Seite der
Bürgerinnen. Es ist ein einiges, hilfsbereites Volk, wie es seit
1813 und 1870 nimmer war. Oh, möge die gerechte Sache, für die
ein einiges Deutschland kämpft, siegen!
78
Deutsche Soldaten haben ganz sonderbare Funde gemacht :
ganze Wagenladungen Schokolade, herrenlos herumlaufendes
Vieh, Fahrräder und Waffen in Menge. - Gestern kam ein Auto,
das war zum Spaß innen und außen mit den in Belgien so
beliebten Papierblumen ausgestattet.
In Deutschland müssen alle Firmen französische, belgische,
englische und russische Reklameschilder entfernen. Finden Ju-
gendliche Aufschriften wie ’”On parle Francais’, ”English
spoken”’, zerschlagen sie die Fensterscheiben. Jeder bemüht sich,
Fremdwörter zu meiden. - Elsaß-Lothringen ist über Nacht
deutsch geworden. W
Donnerstag, 13. August 1914
Die ganze Nacht, den ganzen Tag zogen Truppen durch. Das
Dorf hatte Einquartierung, nur wir nicht. Morgens um 9 erschien
ein "Österreichischer Offizier”” zu Pferde, bald darauf kamen 10
Österreicher an unserem Hause vorbei. Sie ritten gewiß zur
Emmaburg. - In den Wiesen herrscht reges Lagerleben; die
Schulen sind Kasernen. Ganze Wagen Heu werden für’s Nachtla-
ger hingebracht. Auf dem Schulhof waschen die Soldaten ihre
Hemden und Unterhosen. 40 Aktive und 66 Reservisten liegen in
Hergenrath. Die meisten Bewohner geben den Soldaten alles, was
sie im Hause haben. In einem Bauernhaus waren 7 Magdeburger
Einjährige untergebracht : 2 Polytechniker, 1 Arzt, 1 Ingenieur,
2 Oberlehrer, 1 Jurist. Heute lief das Gerücht durchs Dorf, es
seien 1000 Franzosen gefangen; Dares Salam sei von Engländern
angegriffen und wieder ein englisches Schiff in der Themse-
mündung durch eine Mine, die von dem untergegangenen Dam-
pfer ”’Victoria Luise”’ gelegt wurden, zerstört worden.
Kinder
Warum so mancher doch trauern mag?
Es ist doch ein herrlicher Sommertag.
Die Sonne, sie scheint wie nie so hell,
Und im Bache da hüpfet so lustig die Well’,
Im Walde zwitschern die Vögelein,
Die buntesten Blumen wachsen am Rain.
Doch warum weint die Mutter so sehr?
4 Sie lächelt den ganzen Tag nicht mehr.
79
Sie weint ja dem Vater nach
Und liegt die langen Nächte wach.
Als in den Krieg der Vater ging,
Die Mutter bitter zu schluchzen anfing.
Der kleine Bube versteht es nicht,
Er spielt ganz lustig Kriegsgericht,
Verurteilt glänzende Falter zum Tod
Und weiß nicht, wie groß die Todesnot.
Er spielt und lacht und singt so hell.
Ein Kindesherz vergißt so schnell
Und freut sich, wie die Sonne scheint,
Während die Mutter bitter weint.
Freitag, 14. Augut 1914
In der Nacht wachte ich erschreckt auf : ein Trompetenstoß
hatte mich geweckt. Dunkel war es, nichts zu sehen. Der
geisterhafte Trompetenton, der jetzt ferner klang, wiederholte
sich stundenlang. Dazwischen hörte man Wagen und Pferde wie
die wilde Jagd vorbeiziehen. Kommandorufe und der marsch-
mäßige Schritt der Infanterie. Die Trompetenstöße waren gewiß
Alarmsignale zum Wecken der Soldaten. Noch war es nicht 3 Uhr
und noch völlig dunkel, als die Schritte der letzten Nachzügler in
der Ferne verklangen. Mehrere Doppeldecker und eine Rumpler-
Taube flogen dem Kampfplatze zu. Der Kanonendonner ver-
stummte; ob unsere Truppen vorrücken? Die Straßen sind tief
gefurcht, Staub liegt wohl 20 cm hoch. Es ist auch so viel in 2
Tagen an Menschen und Material durchgezogen, wie sont nicht
in einem ganzen Jahr. - 1 1/2 Million Freiwillige haben sich
gemeldet, auch in Hergenrath mehrere (einer als Dolmetscher).
Den Nachmittag habe ich an der Straße, über die die Truppen-
transporte gingen, zugebracht, indem ich Schokolade als Erfri-
schung verteilte. Alle nahmen gern die kleine Gabe. Ein Leutnant
sagte dazu : ”’Ich danke dir sehr, denn morgen gibt’s nur blaue
Bohnen!” Auch habe ich den durstigen Kriegern Wasser gereicht.
Samstag, 15. August 1914
Auf dem Heimweg gestern sah ich viele Verwundete. Ein
Soldat war vom Hitzschlag getroffen, ein anderer kühlte ihm die
Stirn. Er lag wie leblos da, dann in heftigen Bewegungen. Der
80
Kamerad bat um Cognac für den Bewußtlosen, aber die Leute
hatten keinen. Dann ging’s weiter mit den endlosen Reihen der
Autos. Der Staub wirbelte auf, daß man keine zehn Schritte weit
sehen konnte. Der klare blaue.Himmel war an den Rändern, wo
die Heerstraßen verlaufen, rötlichgrau.
Heute morgen waren die Wiesen von Fouragewagen besetzt.
Graue Gestalten bewegten sich leise dazwischen; im Morgennebel
scharrten die Pferde, weckten die Kameraden. Von allen Seiten
kamen neue hinzu, die im Dorf in Quartier lagen. Unser
Mädchen brachte Milch und Fleischbutterbrote, was gar zu gern
genommen wurde. Ganz Hergenrath lag von 3 Uhr nachts ab voll
Mannschaften des Roten Kreuzes. Anfangs war ich erschreckt, ”
denn der Kirchplatz sah einem Schlachtfeld nicht unähnlich. Alle
Jagen auf der feuchten, kalten Erde oder hingen schlafend auf
den Wagen. Nach der Messe habe ich Pfefferminze, Schokolade,
saure Klümpchen gekauft und sie, als die Mannschaften des
Roten Kreuzes vorbeizogen, angeboten. Auch nicht ein Stück
blieb in der Dose. Nachher rollten endlose Reihen gefüllter
Futterwagen zur Front und leere in Richtung Dorf. Das Wetter
ist trübe, der Himmel mit grauen Wolken bedeckt. Kanonendon-
ner grollt. Auch den Nachmittag verbrachte ich damit, den
vorbeiziehenden Truppen Erfrischungen anzubieten. Am Spät-
nachmittag biwakierte eine Sanitätskolonne in den feuchten
Wiesen. Außerdem kam noch Artillerie und Infanterie. Es sind
mehr Soldaten im Dorf als Einwohner. Die Bevölkerung hat gern
Lebensmittel ausgeteilt, aber es reicht wohl nicht für alle. Die
Häuser sind wie Kasernen. In kleinen Behausungen liegen 50
Mann. Morgen früh geht’s weiter nach Astenet. Ob die Truppen-
transporte noch nicht aufhören? die berühmte Völkerwanderung
des Jahres 375 ist gewiß von der Völkerwanderung der jetzt in den
Krieg ziehenden Völker übertroffen worden. Wie müde viele sind,
könnte man doch helfen! Mehrere Bauern haben Militärpferde
gekauft, die nicht mehr weiter konnten.
In einer Wiese, unserem Haus gegenüber, hat eine Wache,
die aus 6 Gemeinen und 1 Unteroffizier besteht, ihr Zelt
aufgeschlagen. Wir haben ihnen Lebensmittel gebracht.
Sonntag, 16. August 1914
Das Dorf ist belebt wie noch nie. Artillerie, Infanterie,
Mannschaften des Roten Kreuzes, alles rennt durcheinander.
Hier stehen ‚einige, einen langen Mantel umgeschlagen, bei
81
strömendem Regen auf Wacht. In den Wiesen arbeiten einige bei
der Feldküche, andere schirren die Pferde an, Offiziere sitzen
schläfrig auf einer Mauer. Vor dem Zollbüdchen sitzen zwei in
wasserdichten Mänteln der Zollbeamten. In den Schulen wimmelt
es von Soldaten. Hier und da werden Pferde an Fouragewagen
gespannt. In den Häusern singen Soldaten, andere schlafen und
wieder andere unterhalten sich mit den Bewohnern des Hauses.
Viele wohnen der Messe bei. Um neun stellt sich alles auf und
nach kurzer Ansprache des Hauptmanns marschieren sie in
Richtung Astenet.
Nachmittags machten die vom Roten Kreuz Übungen. Sechs
Flugzeuge flogen hinüber nach Belgien. Tagelang werden Trup-
pen befördert; es sind sogar welche dabei, die schon an der
Weichsel gekämpft haben.
Montag, 17. August 1914
Eigentlich wäre heute Lontzener Kirmes, der Höhepunkt des
Ferienvergnügens. Die Ferien sind schon halb vorbei, und doch
hatte man nie Gelegenheit darüber nachzusinnen. Gestern und
heute eine beängstigende Stille. Kein Kanonenschuß, nur hier
und da ein paar Postenschüsse. Es ist die Stille vor dem Sturm.
Ungezählte Truppenmassen sind schon nach Belgien gezogen,
bald wird der Zusammenstoß stattfinden. Die erste Verlustliste
wurde eröffnet. In Belgien hatte Deutschland 4000 Tote. Der
Sturm auf Lüttich hat viel Blut gekostet.
Heute morgen zog ein Regiment Artillerie, das in Hergenrath
übernachtet hatte, auf Altenberg zu. Dann vielleicht dreißig
Fouragewagen. Es regnet ohne Unterlaß, was müssen unsere
armen Soldaten frieren!
Herbst ist’s geworden
Herbst ist’s geworden, der Himmel ist trüb,
Dunkle Horden scheuchten die Lieb,
Scheuchten die Schönheit, scheuchten das Glück.
Erde sehnt trauernd den Frühling zurück,
Erde will halten Blühen und Grün.
Sie muß erkalten, darf nicht mehr blüh’n,
82
Darf nicht mehr glüh’n, muß stille sein.
Leise und langsam schlummert sie ein.
Vögel gen Süden zogen sie hin,
Es fand noch Sonne und Wärme ihr Sinn.
Sonnenglück, Freude die Erde floh,
Ist still und trauernd, wird nimmermehr froh.
Dienstag, 18. August 1914
Gestern abend hatten wir endlich 3 Mann Einquartierung,
die jedoch bald wieder weg mußten. Der tagelange ununterbro-
chene Truppendurchzug hat ein wenig nachgelassen. Zwei bis
drei Stunden kommt oft gar nichts mehr, doch jeden Abend hat -
Hergenrath Einquartierung. Diese Nacht waren 500 Bagagewagen
mit Pferden und Mannschaften, außerdem eine Abteilung Artille-
rie und eine vom Roten Kreuz da. Nächste Woche soll Infanterie
einquartiert werden. In Altenberg wurden die Waffen eingefor-
dert, da mehrfach geschossen worden ist. Wir haben wieder
Zugverbindung : 3 Züge täglich nach Aachen und zurück. - Es
wird Herbst, die Schwalben versammeln sich am Kirchturm; des
Sommers Glut verlischt allgemach.
Jung Lisbeths Trauer (1)
Die Schwalben zieh’n in fernes Land,
Die Blumen verblüh’n an Baches Rand.
Der Himmel ist grau, die Luft ist schwer.
Sonne des Glücks, du zeigst dich nicht mehr,
Goldene Sonne am Himmelszelt,
Was birgst du dein Antliz vor aller Welt,
Birgst du dein Antlitz vor meinem Schmerz?
Ist denn tot mein Gatte, gebrochen sein Herz?
Fiel er auf blutigem Schlachgefild
Und sah er noch einmal, oh Sonne, dein Bild,
Da hat er gewiß auch meiner gedacht
Und Gebet für Weib und Kind Gott dargebracht.
Oh, Sonne, du zeigst dich mir nimmermehr,
Die Welt ist öde, die Welt ist leer.
Mein Kind, wer zeigt uns schon sichern Weg,
Denn dunkel die Welt und schmal ist ihr Steg?
(1) Eine Verwandte von Bürgermeister Esser
83
Mittwoch, 19. August 1914
Der gestrige Nachmittag war hell und klar. Sonnenschein
durchleutete den düstern Talgrund. Himbeeren und Brombeeren
reifen üppig am Hang. Des Baches Wasser fließen lustig ohne
Hast. Die Rehe weiden friedlich. Die Bäume rauschen. Des
Waldes letzte Blumen blühn. Hierher hat sich der Friede geflüch-
iet, hier breitet er schützend die segnenden Hände. - Am
Nachmittag kamen unzählige Flugzeuge. Sonst ist alles still. Der
Durchmarsch der Truppen vollzieht sich leise. Selbst das Rattern
der Lokomobilen, die Riesenkanonen ziehen, kann die Stille nicht
wesentlich unterbrechen. Soeben, 1/4 vor 10, erscheint wieder ein
Doppeldecker. Heute morgen war es recht kalt.
Im Waldesgrund
In des Waldes tiefem Grunde,
Wo ihr Lied Frau Nachtigall sang,
Da drinnen ward noch nicht Kunde
Von dem, was die Welt durchdrang.
Dort wiegt in stillem Frieden
Die Tanne ihr steinalt Haupt,
Weiß nicht, wieviel Menschen geschieden
Seit man uns den Frieden geraubt.
Im Tale treibt seine Wellen
Der muntere, helle Bach,
Weiß nicht, daß von Blut er wird schwellen
Grausend, am folgenden Tag.
Dort blühen die Blumen alle,
So sorglos und so voll Lust.
Und in des Waldes Halle
Tönt Gesang aus der Vogelbrust
Es reifen die glänzenden Beeren
So üppig, den Vöglein zur Freud’.
Und froh sie die Früchte verzehren,
Es hat sie niemals gereut.
Es grünet mächtig die Eiche,
Die Buche lispelt leis,
Weiß nicht, daß im Kampf die Reiche,
Daß der Kriegsbrand lodert heiß.
Doch da fliegen krächzende Raben
84
Hin über das stille Tal;
Ich glaub’, daß erzählt sie haben
Der Stille, dem Frieden zur Qual.
Da beginnt die Sonne zu sinken,
Es kommt die dunkele Nacht,
Des Baches Wellen blinken,
Und leis’ im Gehölz es kracht.
Nun erhebt sein schaurig Rufen
Der unheimliche Kauz im Ried,
Es schallt wie von Pferdehufen.
Der Frieden aber entflieht.
Gestern starb der hl. Vater, Papst Pius X. Das Leid über den
Krieg brach ihm das Herz.
Donnerstag, 20. August 1914
Es ist ein herrlicher Spätsommer. Ein Tag übertrifft den
andern an Klarheit und Schönheit. Gestern nachmittag fanden
wieder Truppendurchzüge statt. Um 3 Uhr fuhren vielleicht 20
schwere Fourageautos mit Anhängewagen über den Weg vor und
ihnen folgten Autos, die mit bewaffneter Mannschaft besetzt
waren, gewiß, um die Lebensmittel zu schützen. Darauf große
Autoomnibusse von Mannesmann-Mulag. Gestern morgen sind 2
Regimenter Husaren (Reserve) und 1 Infanterieregiment (Land-
wehr) durch Hergenrath gekommen. Auch in der Nacht vernahm
ich Pferdegetrappel. Gestern hörte ich drei scharfe Kaänonen-
schüsse; doch andere sagten, es seien Sprengschüsse hinter dem
Moresneter Wald gewesen.
Des Sommers letzte Blumen
Luft ist so warm, und Luft ist so weich.
Tauschimmernde Rosen blüh’n überreich,
Rosen, so blutrot, so duftig und schön,
Und doch schon steigt der Herbst von den Höh’n.
Ich kann es nicht glauben, daß der Sommer schon schwand,
Will es nicht denken, daß Herbst zieht ins Land.
Bald geht das große Sterben schon an.
Kann es nicht glauben, daß Sommer verrann.
Sommer muß flieh’n, von dannen zieh’n.
Zum letztenmal heiß seine Sonne schien,
Nicht lange mehr seine Blumen blüh’n,
I 87
Herr bewahren vor Sturm und Blitz, vor Feuer und vor feindli-
chem Geschoß. Auf Wiedersehen! - In aller Frühe, als der Tag
anbrach, flog ein Eindecker. Heute morgen brachen wir früh auf,
wir sind zur Grenze gewandert. In Herbesthal, da war ein Leben
ohnegleichen. Da ich sehr erstaunt war, wurde mir bedeutet,
heute sei der erste stille Tag, sonst sei eine Großstadt nichts gegen
das lebhafte Treiben. Über die Schienen des Bahnhofs zogen zwei
Regimenter Infanterie. Belgische Wagen und Lokomotiven mit
den ulkigsten Aufschriften dienten zur Beförderung unserer
Truppen. Ein Wagen trug die Aufschrift : ’’Zum Bundesschießen
nach Paris! Bei Regen wird in Sälen geschossen!” Jedes Haus in
Herbesthal hat ständige Einquartierung von Eisenbahn-Truppen.
Meine Verwandten hatten mehrere Leutnants samt Burschen
(Leutnant Scheehl übrigens ganz hübsch, mit rotblondem Bärt-
chen, den Freund habe ich nicht gesehen). Sein Bursche arbeitete
recht fleißig im Garten, riß Bohnen- und Erbsenreiser aus und
schälte darauf einträchtig mit dem Dienstmädchen Kartoffeln
(eine gute Eigenschaft). Tante hatte die reinste Kaserne. Jeden
Augenblick schellte ein Unteroffizier. Onkel hatte furchtbar viel
zu tun. Es gab einen Nachtisch, wie sont bei den strengsten
Fasten. Gern hätte ich das Treiben noch länger gesehen, aber wir
mußten scheiden. Auf dem Heimwege überraschte uns die
Sonnenfinsternis. Es war totenstill, unheimlich; die Luft war grau
und dämmerig. In Lontzen Busch waren die Brombeeren gereift,
und wir hatten unser größtes Vergnügen, die prächtigen Früchte
zu pflücken. Nach einigen Stunden schwand die Sonnenfinsternis,
aber ein Gewitter löste sie ab, sodaß es gar nicht heller wurde.
Samstag, 22. August 1914
Heute vor drei Wochen ging die Mobilmachungsorder durch
Deutschland. Überall hingen Depeschen aus, auch heute wie-
der : ”Siegesnachrichten!”” Außer Gefechten an der russischen
Front, in Elsaß-Lothringen und Belgien soll eine große Schlacht
bei Metz für die Deutschen siegreich gewesen sein. Man munkelt
es nur. Leute, die aus Aachen kamen, haben Siegesnachrichten
gelesen; unter Hurrarufen der Zuhörer haben sie es erzählt. Auch
klang es gestern abend wie von Böllern aus Richtung Aachen.
Nördlich von Namur breitet sich etwas vor; es ist drückend still. -
In Dolhain ist jetzt alles ruhig. 23 der schönsten Häuser sind
abgebrannt.
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Vom westlichen Kriegschauplatz
1. August 1914. Mobilmachung
2. August Frankreich macht mobil (eigentlich schon
länger)
3. August Einmarsch in Belgien
4. August Niederbrennung Vises
6. August Husarenpatrouille in Lüttich
9. August Fall Lüttichs. 9000 gef. Belgier
16. August Gefecht bei Mühlhausen. 750 Franzosen ge-
fangen
18. August Gefecht nördlich von Namur .
Niederlage eines deutschen Regiments im Paß )
von Schirmeck
19. August Gefecht an der luxemburgischen und elsaß-
lothringischen Grenze
20. August Brüssel eingenommen
21. August Schlacht bei Metz. 10 000 Franzosen gefangen
Sonntag, 23. August 1914
Fast alle Häuser sind beflaggt: auch von der Emmaburg weht
die schwar-weiß-rote Fahne. Noch zittert froher Siegesjubel durch
das Land : ”Der Sieg bei Metz”. Über 8 französische Armee-
korps, 10.000 Franzosen gefangen. Unsere Truppen haben die
Franzosen verfolgt und sind schon recht weit in Frankreich
eingedrungen. Man sagt, die Franzosen sind sich gleich geblieben
seit 1870, doch das Laufen haben sie noch besser gelernt. - Heute
morgen flogen zwei Doppeldecker ziemlich tief über uns. Die
Deutschen sollen bei Lüttich einen Landeplatz haben. Tatsächlich
sind mehrere Feldfliegerabteilungen in Belgien eingerückt. - Jetzt
ist bei uns alles still; doch hört man von den Schießständen im
Aachener Wald das Schießen der neu eingerückten Gymnasiasten
oder anderer Freiwilliger. Vom Kriegsschauplatz vernimmt man
keinen oder nur ganz schwachen Kanonendonner. Er ist wohl zu
weit nach Westen.
Den Gefallenen
Ihr liegt auf Feld und Hügel
Blutend und stumm,
Es geht mit leisem Flügel
Der Todesengel um.
Manch heiß’ Gebet steigt aufwärts
89
Zu Gottes ew’gem Thron.
Für ferne Lieben Bitten.
Erhöre sie zum Lohn.
Oh, still’ der Eltern Schmerzen,
Der Kinder herbes Leid;
Mach standhaft schwache Herzen
In dieser schweren Zeit.
Und 1aß’ der Liebe Engel
In ihrer Mitte sein,
Das wende er die Mängel,
Vertreibe alle Pein.
Gefallenen bringe Ruhe,
Wenn sie in Schmerzen fleh’n,
Und 1aß durch ihre Reih’n
Der Liebe Engel geh’n.
Montag, 24. August 1914
Engländer sind an der belgischen und französischen Küste
gelandet; aber ich glaube, die nützen den Franzosen nicht viel.
Die Zeitungen bringen Nachrichten von Gefechten an der russi-
schen Grenze, von zerstörten englischen Kriegsschiffen, aber vom
westlichen Kriegsschauplatz vernimmt man weniger. Alles ist
sehr gespannt auf den Ausgang der nächsten großen Schlacht,
die, wie die meisten annehmen, auf den uralten Schlachtfeldern
bei Ligny wohl eben jetzt entschieden wird. Fortwährend fahren
Züge, gewiß mit Verwundeten gefüllt. - (Auf Zügen oder Telegra-
phenpfählen fand man oft scherzhafte Aufschriften wie : ”’Liebster
Willi, ich bitt’ dich, gib mir wieder Lüttich’’ ”’Albert, wart halt a
bissel, nächste Woche bin ich in Brüssel!”’) - Ich sah vor kurzer
Zeit eine Panzer-Lokomotive und einen Panzerwagen, die nach
Herbesthal fuhren.
Dienstag, 25. August 1914
Gestern haben wieder größere Truppentransporte begonnen;
120 Militärzüge sollen durchkommen. Ich habe Artillerie und
Husaren gesehen, die die Lütticher Heerstraße entlangzogen. Ich
war gerade an einer Eisenbahnbrücke, als Zug 27 mit österreichi-
scher Gebirgsartillerie hindurch fuhr. Die Österreicher, in schmu-
cken grünlichen Uniformen, waren guter Dinge, sangen und riefen
Hurra. Alle Wagen waren mit Kreide beschrieben, Soldatenulk.
90
Kaum ist das Rollen des Zuges unhörbar geworden, kommt ein
anderer von Belgien her. Die Gesichter der Zuschauer sind
gespannt : Gefangene? (Montag sind mehrere gefangene belgi-
sche Zivilisten durchgekommen). Der Zug rollt heran, fast ganz
mit Verwundeten und Männern vom Roten Kreuz gefüllt. Da, ein
Wagen mit gefangenen Zivilisten, und zwischen ihnen stehen
kerzengerade deutsche Soldaten. Der Zug ist mit grünen Zweigen
geziert, auch er ist von oben bis unten beschrieben. Heute morgen
kehrte um 1/2 6 Uhr der Zeppelin von seinem Ausflug nach
Belgien zurück. Um 6 Uhr, wie täglich, Flugzeuge. Gestern
abend erschien ein Flugzeug, wie ich noch nie eins über Hergen-
rath gesehen habe. Im Gegensatz zu den bisherigen ging der Flug .
geisterhaft leise. - In Elsaß-Lothringen hat unser Kronprinz
gesiegt. - Namur wird seit Freitag beschossen.
Mittwoch, 26. August 1914
Namur ist gefallen. In Charleroi kämpfen Deutsche gegen
Engländer und Franzosen. Morgens 6 Uhr sind wir zu Fuß nach
Eupen gegangen. Vor uns, hinter uns junge Männer, die zur
Musterung nach Eupen mußten. Alles bekannte Gesichter aus
Moresnet, Hergenrath, Hauset, Kettenis, Eynatten. Von 350 sind
300 tauglich erklärt worden. Diese zogen stiller als sonst, aber
zuweilen doch ein Vaterlandslied singend, nach Hause. Von
Hergenrath sind nur 5 untauglich. In Eupen befördern die Züge
nur Militär. Auf Schritt und Tritt traf man Soldaten; auch
Totenkopf-Husaren aus Danzig. An vielen Stellen stießen wir auf
Verwundete. Ihnen brachten die Einwohner der Stadt Blumen
und Bücher. Über der Klosterkirche weht das rote Kreuz. Auf
dem großen, schattigen Friedhof Eupen liegen in schmucklosen
Gräbern mehrere tapfere Vaterlandsverteidiger. Einer von ihnen
hatte in Overath von einem Zivilisten einen Schuß in den Kopf
erhalten. Ein anderer wurde sterbend, mit ausgeschossenen
Augen, nach Eupen gebracht. - In Eupen besteht eine Flugzeug-
landestelle und eine Feldbäckerei. Die Stadt hatte viel Einquar-
tierung. Jetzt erwartet man die Verwundeten der letzten großen
Schlacht bei Charleroi. Auch das Töchterpensionat ist für Ver-
wundete eingerichtet. - Aus Belgien hat man 400 Kühe in Wiesen
in Kettenis untergebracht. Ein Offizier mit 2 Mann mußte für
die Tieren sorgen, die sich gewiß freuten, noch mal ordentliche
Weide zu bekommen. Diese Nacht sollen noch 2000 folgen. Alles
91
Vieh, dessen Besitzer entweder tot oder geflohen sind. - Deutsch-
land rückt vor, auf Antwerpen zu. Ob da auch, dem ’’Geheimnis
von Paris’”” entsprechend, ähnliche Geschütze (””Dicke Berta’’)
gebraucht werden? - Auf den Schlachtfeldern in Belgien muß es
schrecklich aussehen; überall hohe Grabhügel, zertretene Fluren,
zerschossene Häuser und Wälder.
Eine Kleinbahnfahrt in Kriegszeit
Endlich fahren noch einmal Kleinbahnen, die für Zivilisten
bestimmt sind, nicht mehr nur für Verwundete. Ich steige ein. An
der nächsten Haltestelle steigen Landsturmleute zu, die abgelöst
worden sind. Einer sagt : ”Jetzt haben die Deutschen ein
Kaisermanöver, wie sie selbst noch keines veranstaltet haben.”
Mehrere von der Aushebung kommende junge Männer mit
vaterländischen Abzeichen steigen ein und drücken sich in eine
Ecke. Ein Landsturmmann redet sie an : ”’Ihr kommt jetzt erst,
ihr jungen Burschen, wo wir alte Leute schon am 1. Mobilma-
chungstag dem Rufe des Kaisers gefolgt sind!” Mittlerweile
kommt ein Offizier in den Wagen hinein. Im Gespräch mit den
Landsturmmännern sagt er : ”Ich habe für 500 Stück belgisches
Melkvieh zu sorgen, könnte die reinste Molkerei einrichten. Über
Nacht kommen noch 1000 Stück.’” Wir fahren durch saftige,
fruchtbare Wiesen. Der Leutnant zählt : ”’Wiese I 96 Stück, II
100 Stück” und so weiter. Dann steigt er aus und begibt sich mit
zwei Burschen in die Wiesen. - Alles ist still. Es ist ein trüber,
regnerischer Tag. Ab und zu saust ein Militärauto mit tutenden
Hörnern vorbei. Langsamer fahren Bagagewagen oder schwere
Lastautos mit Kommisbroten oder Mehlsäcken beladen an uns
vorbei. Husaren kommen uns entgegen, ein Trupp Infanterie
marschiert vorbei. - Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder
dem Wagen zu, der gefüllt ist mit Bauern, die Butter nach
Aachen bringen, mit Geschäftsleuten (Vergnügungstouren wer- Ö
- den nicht mehr gemacht) und Soldaten. Einer erzählt vom Kampf
bei Namur und der Schlacht bei Charleroi. Er kam heute mittag
mit dem Auto nach Eupen und hat eine junge Deutsche
mitgebracht, die in Belgien in Stellung war. Sie hat, wie ihr
Aussehen zeigt, viel gelitten. Das Gesicht ist fast durchsichtig
zart, und die Augen blicken müde. Sie trägt feine Kleidung,
besitzt aber nur das, was sie am Leibe trägt, denn alles andere
92
hat man ihr abgenommen, als sie bei schlechter Kost auf den
Speicher des Hauses gesperrt wurde. Aus dem einzigen Fenster
des dunklen Speichers hat sie gesehen, wie der Geistliche des '
Ortes Befehle erteilte und wie man vom Kirchturm aus auf ihre
Landsleute schoß. Aber sie drangen siegreich vor, und sie hat
gesehen, wie die Übeltäter erschossen wurden. Endlich haben die
Deutschen auch sie erlöst. Der Soldat, der sie auf der langen |
Fahrt beschützte, bringt sie nach Hause. Sie wird so liebevoll
aufgenommen wie die anderen deutschen Flüchtlinge aus Belgien. /
Mehrere Kleinbahninsassen unterhalten sich mit ihr. Der Soldat
spricht von deutschen Siegen in Belgien und von der Einnahme
Namurs. Da leuchtet manches Auge auf. Die Unterhaltung wird .
lebhafter, dann aber sinkt alles wieder in das vorige dumpfe
Schweigen zurück. Es ist ja Krieg und gefährlich hier an der
Grenze; und dann die vielen, vielen Opfer! Trübe Gedanken
schwirren durch jeden Kopf. Nur der brave Soldat unterhält sich
leise mit der geretteten Deutsche. Ich glaube, die haben sich
gefunden trotz Kriegslärm und Gefahr. Wir steigen aus. Es ist so
still, das Geräusch der Kleinbahn verhallt in der Ferne.
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Freitag, 28.8.1914
Heute waren wir in Herbesthal. Württembergischer und
Bayerischer Landsturm kam zur Besetzung Brüssels an. Sie
sangen das Lied von Andreas Hofer, ”Die Wacht am Rhein” und
die deutsche und österreichische Nationalhymne. Auch schwenkten
sie Fähnchen in ihren Landesfarben. Die Züge hielten in Herbes-
thal. Ein Leutnant verkündete den Männern das unaufhaltsame
Vordringen der deutschen Truppen, den Fall von 4 Forts der
Festung Antwerpen, die Gefangennahme von 80.000 Mann. Da
ging ein begeistertes Hurra den ganzen Zug entlang. Die Grenz-
wachen und das Eisenbahnregiment rücken auch nach Belgien
hinein. Leutnant Scheel muß auch Abschied nehmen; er hatte
sich in seinem Quartier gut eingelebt. - Gefangene und Verwun-
dete kommen unablässig durch. Mein Kusinchen wollte zum
Zuschauen über eine Hecke steigen und hat sich den Fuß
verrenkt, wofür sie viele Neckereien der Einquartierung einheim-
sen mußte.
Samstag, 29. August 1914
Von 8 Uhr ab kommt Artillerie aus Belgien zurück. Sie lag
vor Namur, das nach 2 Tagen fiel. Jetzt geht es nach Rußland.
Hoffentlich ist der Erfolg im Osten nicht kleiner als der im
Westen.
Heute ist ein echter Spätsommertag. Nähe und Weite
schwimmen schon im zarten Hauch des Herbstes. Der Klang ist
gedämpft, weich und sehnsuchtsvoll. Die Wärme des Sommers ist
wiedergekommen, aber nicht glühend und sengend, nein, weich
und schmeichelnd und wohltuend. Wieder geht sehnsuchtsvolles
Klingen durch die Natur. Nicht ungestüm, begehrend, verlangend
wie Lenzes Drang, nein, verklärtes, schmerzliches und doch
versöhnendes Sehnen. Die Blumen duften und glühen noch
einmal mit aller Kraft, in aller Pracht, noch einmal, ehe der Frost
ihrem seligen Leben ein Ende macht. Leise weht der Wind; zart
und blaß blühen die Blumen, nur blutrote Rosen leuchten wie
Rubin, und die Teerosen hauchen zarten Duft. Wenn ich so
durch die herbstliche Natur schreite, wird es mir weh und bang
ums Herz, sterbensweh im Angesichte des sterbenden Lebens
rings umher. Doch das Aufflammen alle der Wärme der bleichen-
den Sonne, die prangenden Blumen, der noch einmal erwachte
Klang sollen hinwegtäuschen über die Vergänglichkeit. Der zarte
Duft soll das Vergehen decken. Ich liebe diese Zeit. Sie ist wie ein
94
Traum, so zart und weich, so verschwimmend, so klar, geschaffen
zum Träumen und Sinnen.
Sonntag, 30. August 1914
Den ganzen Tag über kehrten Truppen aus Belgien zurück.
Die Regimenter, die hier durchzogen, hatten noch nicht viele
Verluste. Die Artillerie hatte erst sechs Schüsse auf Namur
abgegeben, da die Vorhergehenden schon so gut vorgearbeitet
hatten. Eine Abteilung Infanterie sang : ”’Siegreich wollen wir
Frankreich schlagen!”, worauf der Hauptmann sagte : "Nein,
Rußland, nicht Frankreich, Frankreich hat von uns schon
genug.” - Unsere Truppen schreiten, trotz tausend Hindernissen,
siegreich voran. Noch 62 km, dann ist Paris dran. )
Montag, 31. August 1914
Gestern hatten wir endlich einmal Einquartierung. Nachmit-
tags machte ein Hauptmann mit einem Unteroffizier Quartier.
Der Hauptmann war schon sehr dazwischen gewesen, seine Hose
war zerrissen, gewiß an den Stacheldrähten, womit alle Straßen in
Belgien überspannt waren. Genäht war der Riß mit zentimeter-
‚langen Stichen. Wir machten alles für die Einquartierung zu-
“recht; doch es war mittlerweile 9 Uhr abends, und niemand war
gekommen. Wir glaubten schon, wir seien wieder einmal verges-
sen worden, als drei Artilleristen hereintraten und um Kaffee
baten. Die drei hatten ihr Quartier vergessen und waren nun auf
der Suche danach. Sie machten es sich bei uns recht gemütlich
und sprachen dabei über all das Schreckliche, das ihnen in
Belgien Grausen gemacht hatte. Da ertönt der schrille Ton der
Schelle durchs Haus : totmüde wankten die Infanteristen herein.
Einer ließ sich gleich auf die Treppenstufe fallen. Aber alle waren
bestrebt, Gewehr und Tornister recht bald los zu werden. Dann
kamen sie in das Zimmer, wo die Artilleristen noch gemütlich
beim Abendbrot saßen. Als diese aber eine Offizierslitze zu sehen
glaubten, waren sie eilig zur Tür hinaus, denn sie fürchteten, ein
Leutnant würde derartige Ausflüge und selbständiges Einkehren
nicht billigen. Im Dunkeln mußte ich nun, da alle Lampen in
Gebrauch waren, eine Unmenge Wasser holen, damit die Män-
ner, die um 10 Uhr am Morgen von Lüttich abmarschiert waren,
sich waschen konnten. Wir holen das Wasser am Rubelder,
einem Springquell an der Göhl, nahe der Emmaburg auf einer
Wiese von Luchte. Wenn das Rubelder austrocknet in dürren
Jahren, hole ich, weil ich die älteste und stärkste der Schwestern |
95
bin, mit einem ’’Haam’”’ auf den Schultern zwei Eimer Wasser an
den drei Piepen in der Nähe der Selterwasserfabrik am Kasino-
weiher. Das ist 1/2 Stunde weit, wenn man schwer trägt, 10 Liter
Wasser an jeder Seite, sind 40 Pfund, und ich bin erst 15 Jahre
alt. Heute brauchte ich mich nur zum Rubelder hinzutasten und
zwei Eimer jeweils herauszuschöpfen. - Die Soldaten waren fast
zu müde zum Essen, aber die Zeitung lasen sie mit Feuereifer. Ihr
guter Mut war ihnen geblieben. Unter anderem erzählten sie von
ihrem Marsch durch die Ardennen, wo sie am Abend heftig
beschossen wurden, als sie über eine von deutschen Pionieren
verfertigte Brücke wollten. - So bald wie möglich ging unsere
Einquartierung zu Bett. Unser großer Speicher ist recht behaglich
als Schlafzimmer eingerichtet. Einer meinte, er hätte seit dem
Beginn des Feldzuges nicht mehr so gut und in einem weiß
gedeckten Bett geschlafen. Wir warteten noch auf andere, die
noch angemeldet waren; doch sie kamen die ganze Nacht nicht,
denn sie hatten ihr Quartier verfehlt und auf großen belgischen
Heuwagen, mit denen sie von Namur aus befördert worden
waren, die kalte, feuchte Nacht zugebracht. Heute morgen hatten
wir vergessen, unsere Infanteristen zu wecken, sie waren fast zu
spät gekommen. Zwei waren so erschöpft, daß sie nicht zu Fuß
mit den anderen nach Aachen gehen konnten, wo sie verladen
werden sollten. Ein langer Schwarzer, der ”arme Hermann”,
hatte Weh an den Füßen, und die Kameraden mühten sich, einen
Wagen aufzutreiben; hoffentlich ist es gelungen. Heute morgen
zog eine Unmenge Artillerie mindestens eine Stunde lang auf
Aachen zu, während die Infanteristen noch abkochten. Ein halb
acht Uhr zogen auch sie ab. Um 1/2 9 Uhr fuhren die belgischen
Heuwagen wieder zurück. Einige requirierte Wagen nahmen die
Deutschen mit. Manche Gutshöfe hatten diese Nacht über 100
Mann Einquartierung. In der Schule lagen 300 Mann. Heute soll
der letzte Tag sein, daß noch etwas aus Belgien zurückkommt,
um zur russischen Grenze zu rücken.
Sommers Abschied
Leise, weiche Nebel hüllen ein das Tal,
Kleine zarte Gestalten tanzen im Mondenstrahl.
Der Nachtigall sehnende Weise tönt zum letzten Mal.
Und in die Weizenfelder griff der Sense blanker Stahl.
Des Sommers letzte Blumen glühen im Sonnenschein,
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Des Sommers Singen und Klingen, es schläft allmählich ein.
Der Sommer nimmt leise klagend Abschied von Flur und Hain,
Und die Morgensonne selber scheint in die Tränen fein,
Alles, alles in dieser Welt muß und wird vergeh'n,
Nur noch einmal der Sommer ruft "Auf Wiederseh’n”’!
Nie und nimmer bleibet die Zeit, die rastlos eilende, steh’n :
Auch sie muß weiter, muß immer weiter geh’n.
lol oORR oRR oRRRR |
(1) Anm. der Redaktion : Unsere heute in Bad-Driburg (Westfalen) lebende Mitar- .
beiterin Leonie Wichert geb. Schmetz erlebte die ersten Kriegstage 1914 als
15-jährige in ihrem Heimatort Hergenrath. Bei denjenigen, die den 1. Weltkrieg be-
wußt miterlebt haben, werden ihre Tagebuchaufzeichnungen manche Erinnerung
wecken. Der jüngeren Generation aber vermitteln sie ein Stimmungsbild jener vom
Nationalismus geprägten Zeit.
Aus Platzgründen mußten die Aufzeichnungen um einige eingestreute Gedichte ge-
kürzt werden.
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97
Vor 65 Jahren ...
von Leo Homburg
Am 2. August 1914 wurde mein Vater Soldat. Hin und
wieder kam eine Feldpostkarte von ihm, aber wo er sich befand,
wußten wir nicht. In der zweiten Januarhälfte 1915 kam eine
Karte, mit der er uns mitteilte, er befinde sich als Wachhabender
in Ternell, kurz hinter Eupen. Mein 9 Jahre alter Bruder und ich
selbst - ich war damals 11 - nahmen die Karte mit zur Schule, wo
am 27. Januar Kaisers Geburtstag gefeiert wurde. Nachdem wir
Kinder unter Violinbegleitung einige Lieder gesungen hatten,
darunter ”’Der Kaiser ist ein lieber Mann und wohnet in Berlin”
sowie ”’Heil Dir im Siegerkranz’”’, machte der Lehrer eine Pause.
Diese nutzten wir aus, um ihm die Karte zu zeigen und zu fragen,
ob er uns nicht frei geben wolle, um Vater zu besuchen.
Lehrer Pünter war ein guter Patriot. Er ließ uns gehen und
unsere Mutter, die auch nicht wußte, wie weit Ternell hinter
Eupen lag, hatte gegen unser Vorhaben nichts einzuwenden.
Es war schon Mittag, als wir in Herbesthal, wo wir damals
wohnten, die Kleinbahn nahmen und bis Eupen fuhren. Dort
angekommen, fragten wir, wo der nächste Weg nach Ternell
gehe. Man wies uns zur Monschauer Straße, der wir nur
nachzugehen bräuchten.
Es lag Schnee. Je weiter wir kamen, umso höher war die
Schneedecke. Einen jungen Mann, der uns entgegen kam, fragten
wir, wie weit es noch sei bis nach Ternell. ”Noch eine gute Stunde”
sagte er. So gingen wir weiter, Die Stunde mußte längst vergan-
gen sein, - wir hatten keine Uhr -, als wir einen Waldarbeiter
nach Ternell fragten. ”Noch eine halbe Stunde”, war seine
Antwort. Nur die Sicherheit, noch auf dem richtigen Wege zu
sein, ließ uns weitergehen.
Als wir endlich den Schlagbaum erreicht hatten, wies uns der
dort stehende Posten auf ein etwas zurückliegendes Steingebäude;
dort befinde sich unser Vater. In der vom Tabaksqualm erfüllten
Wachtstube saß Vater beim Kartenspiel. Die Überraschung war‘
gelungen. Er ging mit uns zum Forsthaus, sorgte dafür, daß wir
zu essen und zu trinken bekamen und brachte uns dann wieder
|
|
98
auf den Heimweg. Bis ”Meyers Kreuz” ging er mit uns, sagte
dann, wir sollten uns beeilen, noch vor Anbruch der Dunkelheit
zu Hause zu sein, und ihm schreiben, ob wir wieder gut
angekommen seien.
Lange nach Eintritt der Dunkelheit kamen wir wieder in
Herbesthal an. Mutters Kommentar : ”Ihr seid aber lange
geblieben.”
Im April 1915 kam Vater zum ersten Male in Urlaub. In |
noch vorhandenen Zeitungen, dem ”’Korrespondenzblatt des
Kreises Eupen”’, blätternd, sagte er : ”’Morgen ist in Walheim ein |
öffentlicher Viehverkauf. Da gehen wir hin und kaufen ein paar .
Rinder. ”Er hätte besser getan, den Viehbestand zu verringern, |
denn Mutter hatte 6 Kinder zu versorgen, wovon ich das älteste
war, dazu 10 Kühe und das übliche Jungvieh.
Mit der Straßenbahn fuhren Vater und ich ab Herbesthal über
Eupen, Eynatten, Raeren nach Walheim. (Die Strecke Raeren-
Walheim wurde 1917 stillgelegt.) Der Viehverkauf war nachmit- |
tags. Das Jungvieh wurde als letztes versteigert. Vater kaufte zwei |
einjährige Rinder. Nachdem sie bezahlt und die notwendigen |
Papiere für unser Viehkontrollbuch ausgestellt waren, banden wir |
sie zusammen. Ich nahm den Strick, Vater ging mit dem Stock
zum Antreiben hinterher. Ein schon länger drohendes Frühjahrs-
gewitter war im Anzug. Je mehr wir uns Raeren mit den
friedlich nebeneinander hinter mir hertrottenden Rindern
näherten, desto stärker wurden Blitz und Donner. Eine Raerener
Frau, die von Vater nach dem Weg gefragt wurde, antwortete :
”Da mot er dörch jen Vietz Jass joon.’”” Diese Gasse war damals
ein von hohen Hecken gesäumter, tief ausgefahrener Karrenweg.
Kaum waren wir in der Gasse, entlud sich das Gewitter in einem
Wolkenbruch. Das Wasser sammelte sich in der Gasse, es lief mir
schon in die Schuhe hinein. Da legte sich eines der Rinder einfach
hin und selbst Vaters Stock brachte es nicht zum Aufstehen. Nur
seine Idee, es loszubinden und mich mit dem anderen Tier allein
weitergehen zu lassen, hatte Erfolg. Es fühlte sich jetzt einsam,
stand auf und trottete, vom jetzt schwächer werdenden Blitz,
Donner und Regen begleitet, hinter uns her,
Es war schon lange dunkel, als wir Lontzen erreichten. In
der Wirtschaft Mennicken brannte noch Licht. Wir banden die
Rinder an in der Mauer eingelassene Ringe und traten, durch-
99
näßt wie wir waren, ein. Ich trank den ersten Schnaps meines
Lebens. Nach kurzer Pause ging’s weiter auf Herbesthal zu, das
wir kurz vor Mitternacht erreichten.
Heute wären solche langen Fußreisen mit Vieh auf unseren
verkehrsreichen Straßen nicht mehr möglich. Es müßten Trans-
portfahrzeuge dazu eingesetzt werden.
In den zwanziger Jahren mußte das von altbelgischen Händ-
lern hier gekaufte Vieh im Fußmarsch zum Hotel Krone in
Henri-Chapelle gebracht werden, in den dreißiger Jahren noch bis
Herbesthal-Baum, bei Delbrassin.
|
100
O Wie - |
|
Gerard Tatas
Miere Ströpp, die allerhand ;
Ondöch en ne Kopp mer hant
En bej jenge Unfug fehle,
Sönd Bejräfnes an et speele,
Wie se met der Chrestean |
Vange jrad an’t drage an, |
Twei vörop met Onkrutkränz,
Kömt verbej der Dokter Lenz. |
Jätt verwondert blitt dä stue, |
Vrott : Wat söd där do an’t due?” -
”Vör bejrave hej der Chress, |
Weil dä os jestorve es!”
Kritt häe van die Ströpp jemeld. |
”En watt hat höm da jefellt?” -
”Ja, dä hauw der Mag verdorve
En woet krank en es jestorve!” - '
”Hat där da als Kamerote
Jenge Dokter kome lote?”’ |
Vrott der Lenz en jrimmelt jätt,
Denn dat Spelsche vengt häe nett.
Dorop lut der klenge Fränz
Översij ens no der Lenz
En sätt dreist en kött bedaht :
”Nee, däm hant väer sell’s ömbraht!”
|
|
|
101
Nades wurde am 20. April neunzig
Jahre alt.
Bei der großen Geburtstagsfeier mit 200 Gästen hielt Gerard
Tatas folgende Ansprache :
Meine Damen und Herren!
Wir sind hier in froher Runde versammelt, um ein außer-
gewöhnliches Fest zu feiern, nämlich den neunzigsten Geburtstag
unseres lieben Freundes, Herren Leonard Kohl. Wenn wir bei
seinen Privatfesten auch gern seine menschlichen Qualitäten, sein
goldiges Gemüt, seinen soliden Familiensinn, seinen Kamerad-
schaftsgeist und seine Freundestreue erwähnen, so ist doch kein
Gratulant jemals daran vorbeigekommen, den Künstler, den
großen Komiker Nades bei allen, auch familiären Anlässen, zu
ehren und zu würdigen. Zu sehr ist der Mensch mit dem Künstler
eins, zu sehr wird sein Bild von seiner künstlerischen Tätigkeit
bestimmt, als daß man nicht das Schwergewicht darauf zu legen
gezwungen wäre. Mit welchen Worten sollen wir nun den
Komikers Nades ehren, der ein dreiviertel Jahrhundert lang frohes
Lachen um sich herum verbreitete. Ein großes Wort über das
Lachen finden wir im Buch ”’Das Lachen der Völker - 3.000 Jahre
Welthumor”’, wo es heißt : Unsterblich wie der Schmerz ist die
Freude. Und vielartig wie die Formen der Trauer sind die
heiteren Momente des Daseins. Das Lachen des Menschen kann
mehr sein als Glück. Glück mag ein Ruhen in Wohlbehagen, eine
strahlende Erhebung aus dem gewohnten Gang der Tage sein,
das Lachen aber ist die Erlösung, die Befreiung von Öde und
Leid. Im berauschenden Lethe des Lachens versinkt das Einsam-
keitsgefühl des Menschen, die Unruhe der Begierden und Pflich-
ten. Wer lacht ist frei.’” Wie oft hat Nades uns Menschen vom
Dreiländereck dieses befreiende Lachen, das mehr sein kann als
Glück, geschenkt! Ich habe ihm deshalb in meiner karnevalis-
tischen Rundfunksendung vom 11. Februar 1975 mit einer
Strophe meines Liedes ”Der Kabänes’” ein kleines, lustiges
Denkmal gesetzt :
102
Wenn der Nades, alias Leonard Kohl
Överal die Jahre allemol
Op en Bühn sing Witzkere vertot,
Jong, da lachde alles, jong en ot.
100.000 en noch mie Lüj
Hat der Nades lache due bes hüj.
Överal röpt alles ömmer werrem,
Wenn häe met sie Hötsche könnt en singe Scherm :
Refrain
Kenger, nee, kikt öch doch ens ose Nades an!
Hader at ens esö Unikum gesie?!
An esö ne Kabänes, do es alles dran, a
Do kann jedderenge sich e Stöck va krie!
Söjet va.Kabänes jett en bo net mie!
Meine Damen und Herren, wie hoch der humoristische
Künstler einzuschätzen ist, geht auch aus einer Geschichte von
Wendelin Überzwerch hervor, die ich im Resume erzählen will. 3
Künstler standen zusammen vor dem Throne Gottes, um den
Lohn für ihr irdisches Wirken zu empfangen. Der erste hatte auf
Erden prächtige Kirchen und Dome zur Ehre Gottes gebaut. Er
wurde dem Firmament-Kabinett zugeteilt und durfte neue Ster- |
nenwelten aus dem Nichts aufbauen. Der zweite, ein großer
Dichter, der die Menschen erschüttert und ihren Sinn zum
Himmel gelenkt hatte, erhielt zum Lohn den Auftrag, neue
Hymnen für die Engelchöre zu dichten. Zum dritten Künstler
sprach Gottvater : ”Und du, mein Sohn, was hast du auf Erden
gemacht?” Dieser antwortete mit verlegenem Lächeln : "Herr, ich
schäme mich fast, zusammen mit diesen beiden großen Kollegen
dir vorgestellt zu werden. Meine Verdienste sind klein. Ich war
Komiker; ich habe die Menschen nur - lachen gelehrt.’” Da |
entließ der liebe Gott die beiden ersten Künstler, lächelte dem
Komiker zu und sprach : ”’Sehr schön, mein Freund, da hast du |
gar wohlgetan. Setz dich für ein Jahrtausend zu meiner Rechten!”
- Den gleichen Urteilsspruch beim himmlischen Gericht wird
auch unser Nades hören , wenn er nach vielen Jahren einmal das
Zeitliche segnen wird. x
Wein der Herrjott da der Nades hat
1000 Johr lang an sing Sij jehat,
Wellte höm bestemmt net messe mie, |
Denn sös kösse Langeweile krie.
103
En da sett sech ens der Nades breet
Näve Jott vör alle Ewegkeet;
Makt och noch do ove ömmer Spass.
Dörch en Hemmel schallt et e. Tenor en Bass :
Refrain
Kenger, nee, kikt öch doch ens ose Nades an!
Hader at ens esö Unikum gesie?!
An ne sö ne Kabänes, do es alles dran,
Do kann jedderenge sech e Stöck va krie!
Söjet wie der Nades jett et jar net mie!
Vorerst aber möchten wir unseren Freund Nades noch lange
auf Erden behalten. Darum wünschen wir dem alten Geburtstags-
kind noch manches glückliche Jährchen in unserer Mitte, und ich
bitte Sie. meine Damen und Herren, diesen Wunsch für einen
erfreulichen Lebensabend mit einem lauten Hochruf bekräftigen
zu wollen. Unser allverehrter Freund Nades, dem wir für die
vielen schönen Stunden danken, die er uns bereitet hat und noch
bereiten wird, er lebe hoch, hoch, hoch!
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VEREINIGUNG FÜR KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE
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Im Söhltal «Früher und Jetzt» |
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im Saal der Patronage, Kelmis
17 GEMEINDEN STELLEN AUS :
Fotos, Postkarten, Briefmarken, alte Landkarten,
Fahnen, Dokumente, Uniformen,
Münzen und Geldscheine.
[__vom 5. bis zum 13. April 1975 _ |
täglich geöffnet von 14.00 bis 20.00 Uhr, ausser Donnerstag
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ichtbuldervorträge :
+
a Filmvorführung ESSEN
im Kulturzentrum, Patronage, Kelmis
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Am 6. APRIL 1975, UM 20.00 UHR
Die Besiedlung des Kelmiser Raumes
von F. Pauquet
6
Am 9. APRIL 1975, UM 20.00 UHR
DOine ZZ ufluchtostätte des Menschen :
Der Wald von M. Letocart
EB
Am 12. APRIL 1975, UM 20.00 UHR |
Bank Montzen von J. De Ridder und A Jansen
Unter der Schirmherrschaft des kulturellen Komitees Kelmis - Ned: Marsener mit der f
Unterstützung des Kulturministeriums (Kulturamt der deutschsprachigen Gegend) und des
Kulturamtes der Provinz Lüttich,
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