Im Söhltal
Ar
A LA aadı3fa cf
Sen 0
CR fe ( Al A MS
a ae I
—_ RAS AN
| 1 RE LG
% ee EN
Ä A G . A EM Ele
[4 (ll A
A 1 IE BO
C HE BE ;
MEI /
Im Göhltal
ZEITSCHRIFT der
VEREINIGUNG
für
Kultur, Heimatkunde und Geschichte
im Göhltal
No 17
1-75
Vorsitzender : Peter Zimmer, Kelmis, Siedlung P. Kofferschläger, 10.
Sekretariat : Rue du Calvaire, 8, 4671 Moresnet
Lektor : Alfred Bertha, Hergenrath, Bahnhofstraße, 20b.
Kassierer : Fritz Steinbeck, Kirchstraße, 20.
Postschekkonto N” 000-0191053-60
Die Beiträge verpflichten nur ihre Verfasser,
Alle Rechte vorbehalten.
Entwurf des Titelblattes : Frau Pauquet-Dorr, Kelmis.
Diese Skizze zeigt den Moresneter Göhlviadukt sowie die Hergenrather
Hammerbrücke in ihrer ursprünglichen Form.
Druck. Jacques Aldenhoff, Gemmenich.
Inhaltsverzeichnis
Firmin Pauquet, Kelmis Die Umgebung von Hergenrath und
Hauset im Jahre 1775 nach der
Bestandsaufnahme der Ferraris-
Karte 5
Alfred Bertha, Hergenrath Der Rückzug der Franzosen aus
u. W. Meven, Aachen Aachen am 2. März 1793 8
Alfred Bertha, Hergenrath Aus der Pfarrgeschichte Hergenraths
(Fortsetzung) 29
M.-Th. Weinert, Verlassener Hof (Gedicht) 41
Aachen-Forst
Rene Jongen, Löwen Rechtschreibenormen für das Süd-
niederfränkische 42
Franz Uebags, Kelmis Rückblick auf den Werdegang der
Theatergruppe der Kelmiser Pa-
tronage 58
Leonie Wichert-Schmetz, Heimat (Gedicht) 87
Bad-Driburg
Peter Zimmer, Kelmis 50 Jahre Christliche Arbeiterjugend
in Kelmis 90
Leo Homburg, Fossey Renommierbauern 97
Gerard Tatas, Gemmenich Der Gemmenicher Kiosk (Gedicht) 100
Dr. G. De Ridder, Moresnet Das Fortrait : Adolf Christmann 101
Alfred Bertha, Hergenrath Auf dem Büchermarkt 105
5
Die Umgebung von Hergenrath und Hauset
im Jahre 1775
nach der Bestandsaufnahme der Ferraris-Karte
von Firmin Pauquet
Im Nummer 16 dieser Zeitschrift habe ich allgemeine
Angaben über die Ferraris-Karte gegeben und einen Karten-
ausschnitt um den damaligen Weiler Kelmis als Mittelpunkt
kommentiert. In dieser Nummer erscheint, mit dem Einver-
ständnis des Gemeindekredits, ein Ausschnitt aus Blatt 232,
Eynatten, um das Dorf ”Hergenraet” als Mittelpunkt.
Um dieses Dorf herrschen ebenfalls durch Hecken einge-
zäunte Wiesen vor. Man erkennt einige Obstgärten sowohl
westlich der Dorfsiedlung, wie auch östlich derselben, beim
Gut ”Bertholff”. Dasselbe gilt für die nähere Umgebung des
Weilers Hauset.
Die Waldungen nehmen eine größere Fläche in Anspruch ;
im Westen, im Göhltal und auf dessen Westufer : der Eynen-
burger Wald; im Norden, am Südufer des Tüljebaches ; im
Osten vor allem : ”Bois Bern Haege”, ”Bois Steffensberg”,
”Bois Pruntenberg” und — schon außerhalb des Kartenaus-
schnittes — ”Caperberg”, alle am Rande des ”Bois d’Aix”,
letztgenannter noch auf limburgischem Hoheitsgebiet. Diese
sich in schlechtem Zustand befindenden östlichen Waldungen,
mit sehr viel Heiden, bilden einen Teil der Gemeindewaldun-
gen, welche die Gemeinden der Bank Walhorn nach der am 20.
April 1611 durchgeführten Teilung des Reichwaldes unter die
Stadt Aachen, die herzoglich-limburgische Domäne und die Ge-
meinden für ihre eigenen Bedürfn:sse nutzen konnten. Der Name
”Steffensberg” erinnert an den Pfarrheiligen der Mutter-
pfarre Walhorn ; die Brennhag deutet darauf hin, daß die
Hergenrather sich in diesen Waldteil mit Brennholz versorg-
ten. Südöstlich von Hauset, in Richtung Eynatten, erkennt
man den heutigen ”Großen Busch”, dessen Namen auf der
Karte aber nicht angegeben ist.
7
Heide kommt in der nordöstlichen Ecke vor: ”Bruyere
de Bingerberg”.
Felder bekrönen den Kalksteinrücken südlich der Bach-
linie Hornbach-Göhl-Tüljebach von Husent über Eynenburg
bis Hergenrather Feld im Nordwesten. Es kommen noch Fel-
der auf zwei anderen Kalksteinstreifen vor: südlich von
Himmelsplatz und südöstlich des Weilers Prester.
Der Hauptstraßenzug ist der von Bildchen kommende
Limburger Weg, an dem sich das Dorf Hergenrath als eine
Art Straßensiedlung entwickelt hat. Dieser Weg führt weiter
nach Südwesten südlich des Eynenburger Waldes über Lont-
zen zur Hauptstadt Limburg. Er ist die Verbindungsstrecke
der Badestädte Aachen und Spa, der der russische Zar Peter
der Große am 25. Juli 1717 und Kaiser Joseph II. am 18. Juli
1781 folgten.
Die große Zahl 73 steht an der alten Hergenrather Kirche,
die abseits der Dorfsiedlung, halbwegs zwischen Burg Eynen-
burg und Gut Bertholf gebaut wurde. Zur Pfarre Hergenrath
gehören demnach der Weiler ”Den Caper”, der Gutshof
”Bertholff”, die Eyneburg (”Chäteau d’Eynenbourg”), die Müh-
le (”Moulin d’Hergenraet”), sowie mehrere nicht genannte
Einzelhöfe. Die nordwestliche Ecke, nördlich des Tüljebaches,
gehört zur Pfarre Moresnet - 71 - und wurde schon beim ersten
Kartenausschnitt besprochen. Im Süden gehören die Bauern-
höfe -”censes”- ”Nieuwheyde” (heute Neuhaus), ”Hemels-
platz”, ”Wossenhage” (heute Hammer), der Weiler ”Wossen-
hage” (heute Fossey) zur Pfarre Walhorn -74-. Der Weiler
”Presler”, für Prester, mit dem Bauernhof ”Ravesweyde”,
die ”Hausseter Capelle”, der Bauernhof ”Hausseterbenent”,
der Weiler ”Hauset”, um die Rochuskapelle im jetzigen Ortsteil
Schallenberg und der Weiler ”Testere”, der heutige Dorfkern
von Hauset, liegen alle schon auf Eynatter Pfarrgebiet - 76 -.
Dasselbe gilt für den Weiler ”Windtmeulen”, der sich um eine
alte Windmühle entwickelt hat, unweit der jetzigen Brücke
der Straße Hauset-Eynatten über die Autobahn. Welche Be-
deutung die mitten im Ackerland zwischen Prester und Hauset
gelegene und heute nicht mehr bestehende Hauseter Kapelle
hatte, wäre noch zu erforschen.
8
Der Rückzug der Franzosen aus Aachen
am 2. März 1793
von Alfred Bertha u. Walter Meven
Kampflos war Aachen am 16.-17. Dezember 1792 in die
Hände der von General Dumouriez befehligten französischen
Revolutionstruppen gefallen. Die Österreicher unter General
Clairfayt hatten sich in Richtung Jülich, Düren und Linnich
bis hinter die Rur zurückgezogen und nach Zerstörung der
Brückenübergänge eine neue Verteidigungslinie aufgebaut.
Die Franzosen meinten nun, das Land diesseits der Rur $
fest in der Hand zu haben. Sogleich gingen sie auch daran,
die Verwaltung dieses Gebietes nach den von der franzö-
sischen Revolution verkündeten Prinzipien zu organisieren (1).
Die Truppen hatten sich auf ein langes Verweilen bei
uns eingestellt. Von den Österreichern und den anderen euro-
päischen Königen und Fürsten schien im Augenblick keine
Gefahr auszugehen. Doch wirkte die Enthauptung des entthron-
ten Ludwig XVI. am 21. Januar 1793 auf die anderen Staaten
wie ein Signal zum geschlossenen Angriff gegen Frankreich.
In aller Stille rüstete die antifranzösische Koalition jenseits
der Rur zum Gegenstoß. Den Oberbefehl aller Truppen hatte
der Prinz von Coburg.
Als die Verbündeten dann am 1. März 1793 den Augen-
blick für gekommen hielten, dem revolutionären Spuk ein
Ende zu bereiten, kam ihr Angriff für die Franzosen genauso
überraschend wie Hitlers Winteroffensive 1944 für die Alli-
ierten (2). Die Verwirrung in den Reihen der Republikaner
war umso größer, als General Dumouriez in jenen Tagen in
Paris weilte und seine Offiziere sich zum Teil von den Trup-
pen entfernt hatten, um ihren Sonderinteressen nachzugehen.
Die rückflutenden Truppen boten ein bemitleidenswertes
Bild höchster Disziplinlosigkeit, wovon der Haarener Pfarrer
eine anschauliche Schilderung gibt :
”Gegen halb fünf uhr sahe ich diese flüchtlinge theils
zu fuß theils zu pferde in größter unordnung, einige ohne
9
schuhe oder strümpfe, andere ohne Rock, ohne Kamisol, ei-
nige ohne Hudt, vile mit blutigen Köpfen, oder sonsten ver-
wundet, bey der Pastorath vorbeilauffen, daß die stras selbige
schier nicht fassen konnte. Sie lieffen alle erblast und sprach-
los auf Aachen zu. dieses währete also ununterbrochen bis
halb neun uhr in der nacht. Keinem im Dorf wurde von ihnen
etwas genommen, noch einiges leyd zugefügt”.
Auch in der späten Nacht kamen noch Truppen durch
Haaren. ”Abgemattet, hüngrich, dürstig, zitternde und be-
bende, begehrten sie demütig labung und nachts-quartier”,
schreibt der Pfarrer (3).
Dies waren nicht mehr die siegreichen Revolutionsheere,
die mit ”ca ira” auf den Lippen 10 Wochen vorher in unsere
Heimat eingedrungen waren.
Im Gedenkbuch des F. Cool lesen wir folgende Eintra-
gung: ”...bist den 2 Mertz und am selbigen tag seynd die
keyserliche trouppen in das Reich van Aeche an gecommen
dere seyndt gewesen bey 6.000 man zu füß und zu perdt diesse
habe sie wegg geschlagen den meisten theil zu todt und dise
sindt von Collen her uber die rohr gecommen unde habe sie
zu gelich die frantzossen angrieffen ende weege geschlagen bis
und durch Achen man hat uber alle gassen und Straßen
funden und sehn todten liegen und die keyserliche habe ihnen
verfolgen bist uber die Maas und so fort durch brabant bist
an ihre grentzen” (4).
Und der Walhorner Dorfchronist Caspar Scheen - damals
noch in Eupen ansässig - berichtet, daß die Franzosen an nichts
weniger als an die ”Retirad” dachten. Als dann am 2. März
um ein Uhr nachmittags die Trommel geschlagen und Alarm
gemacht wurde, sah man ”Jammer und Schrecken” unter den
Truppen. ”In Zeit von einer viertel stund waren alle truppen
beysammen und rieffen : Wehe uns unsere leuth sind geschla-
gen ! unsere armee ist verstreuet. Kurtz darauf ehe es noch
nacht war, kamen allbereith die blessierte, und es war jammer
zu sehen, etliche hatten die arm abgehauen etliche einen theil
des gesichts verlohren und etliche anderwärts tödtlich bleciert.
In dieser Angst bleiben die Republicaner bis des anderen
tags morgens 4 stund, und da der tach anbrach zoche sie
gantz still aus” (5).
10
Ganz anders verhielten sich die geschlagenen Franzosen
in Raeren. Auf der Anhöhe beim ehemaligen Kloster Bran-
denburg lagerte eine größere Einheit. Unter Plündern und
Brandschatzen zogen sie sich am 1. und 2. März zurück. ”Ein
Teil von 2.700 Mann zog über Honien und Schossent bis in
den Proelbruch, wo sie die Nacht über kampierten und dann
über Eupen abzogen. Im Rover kam es noch zu einem Gefecht,
bei dem sechs Franzosen den Tod fanden...”
”Es waren diese Tage, der 1. und 2. März, überaus schreck-
lich und gefährlich sowohl für meine Pfarre wie für unsere
ganze Heimat”, schreibt Pfarrer Vincken von Raeren. ”Wir
sind frei! Gott sei Dank ! Laßt uns ihm dienen !” ruft er- +
leichterten Herzens der Pfarrer aus (6).
Am folgenden Tag, dem 2. März, mußten die Franzosen
sich auch aus Aachen zurückziehen. Nur wenige Stunden nach
dem überraschenden Angriff der Österreicher an der Rur
wurde der französische General Stengel davon benachrichtigt.
Sogleich (es war halb drei Uhr nachts) traf er alle notwen-
digen Gegenmaßnahmen und ließ Truppen zur Verstärkung
ausrücken. Doch schon um 11 Uhr vormittags kam die Kunde
nach Aachen, die Franzosen seien aus ihren Verschanzungen
vertrieben und bis auf zwei Stunden vor Aachen zurückge-
drängt worden. Wagen mit Verwundeten, Kanonen, Pulver-
und Bagagewagen fluteten nach Aachen hinein. Am Abend
des 1. März rüstete sich die ganze Besatzung Aachens zum
Rückzug. Das große Packen war allgemein und im Schutze
der Nacht wurden Bagage und Vorratslager der Armee soweit
wie möglich in Richtung Henri-Chapelle gebracht.
Über den folgenden Tag, den 2. März, berichtete ”Des
Königlichen Stuhls Kais. freyen Reichs-Stadt-Aachen-Zeitung”
(1). Wir wollen jedoch eine bisher unveröffentlichte Darstel-
lung der Ereignisse geben. Von einigen Ausschmückungen ab-
gesehen, deckt sie sich mit den zeitgenössischen Zeitungsbe-
richten. Es handelt sich um die schon in unserem ersten Bei-
trag (”Im Göhltal Nr. 15) zitierte Franziskanerchronik. Der
Chronist schrieb zum 2. März :
”Nachdem die Keyserliche 11 Wochen lang die ruhr be-
setz haben, und auff Versterckung gewartet, seynd sie mit
11
3 colonen über die ruhr gegangen zu Duren, julich, und zu
Linnich in diese Gegenden seynd viele 100 Francosen geblie-
ben gar wenige Keyserliche. dieses geschae den 1 martii des
nachts um 12 uhren; um 9 uhren morgens waren sie schon
zu Högen 3 stund von hier; alwo die Keyserliche 1 battri
von 8 canonen erobert haben und 500 mann getodtet. nach
dieser schlacht wusten die Francosen nicht wo Hin und wo
Her sie Lauffen solten, alle weg und straßen in und um aachen
waren fast zu klein. um 9 uhren des abends stürmten 700 man
im Kloster hinein und legten sich auff die blose erd damit
sie 1 oder andere Stund ausruhen konten, um 2 uhren mach-
ten sie sich wiederum auff die Lauff.
den 2gmartii hat sich erst der Francösische general Dam-
pier aus aachen fortgemacht : um halber 9 waren schon 9
Keyserliche Scharff Schützen und 9 ulanen in die Stadt, diese
haben 7 Francosen erschossen, welche sich zu lange in aachen
auffgehalten. nach diesem worden sie von dem populass auff
dem marck gefuhret und zeigtten ihnen den freyheits baum
an, welche sie also bald abgehauen, und die buben nahmen
diesen baum mit freuden und Jubel auff ihre Schulteren
und rieffen dieses ist der Teuffels baum und tragten den
selbigen durch die gantze Stadt: aber diese freud ist bald
in einen großen Schrecken verändert worden. auff einmahl
kam das Gespräch die Francosen kommen wiederum zurück.
es wird 11 uhren und sie stehen schon für pfund Thor (7),
schießen es mit canonen auff, ziehen unter Trummen und
Spiel über den seilgraben auff Köllen‘ Thor loß, schantzen
auff dem wall 4 canonen auff, um 1 uhr nachmittags finge
das canonieren beyder seits an, aber ohne allen Effect, bis
endlich die Keyserliche Scharffschützen die wallmauren be-
stiegen welche nur 12 an der Zahl waren, da fingen die Fran-
cosen an mit ihre canonen zu relevieren, und jagten was sie
jagen konten. sie musten aber auff die Jacob Straß 2 canonen
hinder lassen, welche ihnen von den burger seynd abgenoh-
men worden. wir haben mit augen gesehen, daß 6 Scharff-
schützen mehr als 300 man Francosen bis auff den marck
verfolgt haben, welche sack und back, wehr und waffen von
sich abgeworffen, damit sie desto besser lauffen konten. 3
Francosen wolten sich in unserem Kloster verstecken, weilen
12
aber das Kloster verschlossen war, so musten sie sich ergeben.
der Teusche bekam pardon, die 2 worden erschossen, dieses
haben wir mit augen zugesehen.
Es feuert von allen Seiten mit klein gewehr und canonen,
der schrecken war allgemein groß. in die Affer (Affaire) seynd
nur 5 Keyserliche geblieben und 1 verwundet, von den Fran-
cosen aber 55 mehrere gefangen welchen man nicht bestim-
men kann.
In Zeit von 30 Stunden seynd die Francosen aus 4 Herren
Länder geschlagen worden. aus dem julicher Land, aus dem
Spanischen, holländischen und Nb. aus dem Aacherreich. den
2 martii haben die Francosen nachts um halber 12 die blocki-
rungen von mastricht auffgehoben, und den 3ten seynd die
Keyserliche in mastricht ingezogen.
Den 5ten martii haben wir 80 mann Keyserliche bekom-
men, welche 1 stund hinter Herve zu Sumer von den waloner
bauren seynd verwund worden. für diese Verwundten haben
die äacher burger freywillig hergegeben butter, decken, läcken,
Kussen und desgleichen” (8).
Wie hat sich nun die Aachener Zivilbevölkerung während
der Kampfhandlungen verhalten ? Hat sie direkt in die Kämpfe
gegen die Franzosen eingegriffen ? Der Franziskanerchronist
schreibt, die Bürger hätten den Franzosen in der Jakobsstraße
zwei Kanonen abgenommen. In fast allen Straßen sollen Ge-
metzel stattgefunden haben, doch sogar ein so zuverläßiger
Augenzeuge wie der Ratsherr Schillings sagt in seinen Auf-
zeichnungen nicht, daß die Aachener auf die: Franzosen gefeu-
ert hätten. Auch er weiß nur von der Erbeutung der zwei
Kanonen in der Jakobsstraße zu berichten (9). Nur im ”Aache-
ner Zuschauer” konnte man in der ersten Nummer nach dem
2. März lesen, die Aachener Bürger hätten ihren Rettern die
Tore geöffnet und den Feinden Deutschlands: die Waffen aus
den Händen gewunden. Gegen drei Uhr nachmittags hätten
sie in der Jakobsstraße zwei Kanonen erobert, welche der
Prinz von Württemberg der Stadt zum ewigen Andenken
geschenkt habe.
Auch dies geht also nur wenig über das hinaus, was die
anderen zeitgenössischen Quellen zu den Vorfällen des 2. März
13
zu berichten wissen. Wiewohl es den Anschein hat, daß die
Bevölkerung Aachens sich kaum ins Geschehen einzemischt
hat, warfen die Franzosen ihnen bei ihrer Rückkehr im Sep-
tember 1974 vor, sie hätten französische Soldaten niederge-
schossen, Verwundete in roher Weise mißhandelt und sogar
aus den Fenstern des Militärspitals auf die Straße geworfen.
In Aachen selber ging das Gerücht um, Robespierre, der
Führer des Konvents, habe den Untergang der Stadt beschlos-
sen und bei einer eventuellen Wiederkehr der Franzosen
müsse Aachen mit dem Schlimmsten rechnen. Viele Bürger
verließen denn auch die Stadt, als der Kriegslärm im Spät-
sommer 1794 näher rückte (10).
Als die Vorhut der Franzosen schon vor den Stadttoren
stand, sandten die Stadtväter Unterhändler ins französische
Hauptquartier nach Herve mit dem Auftrag, die Modalitäten
der Übergabe der Stadt zu regeln. In dem Geleitschreiben
der beiden Abgesandten, Stadtsyndikus Vossen und Baumei-
ster Cromm, (11) hieß es wörtlich: ”...declarons par les
presentes d’avoir Deputes et commis en qualite de deputes
Envers Messieurs les Generaux et commandants des Trouppes
francaises pour concerter et regler la Reception des Trouppes
francaises en cette ville...” (12).
Vossen und Cromm begaben sich am 23. September früh
morgens auf den Weg ; in Henri-Chapelle trafen sie im Hotel
Belle-Vue den Kommandanten der französischen Vorhut, Ge-
neral Hatry, der sie nach Herve bringen ließ, wo sie vom
Oberkommandierenden General Jourdan und dem Volksre-
präsentanten Gillet empfangen wurden. Sie überreichten den
Franzosen die Schlüssel der Stadt ”und erwarben sich um
ihre Mitbürger das unschätzbare Verdienst, durch ihre Für-
sprache von der französischen Nation für unsere Vaterstadt
Schutz und Nachsicht zu erwirken”. So wenigstens schrieb
der ”Aachener Zuschauer” (13). -
In einem ausführlichen Bericht über diese Mission, den
Vossen 1830 veröffentlichte, stellte der inzwischen Siebzig-
jährige die Fakten allerdings so dar, wie sie sich nicht abge-
spielt haben können. So schrieb er z.B., der Rat habe ihnen
den Auftrag erteilt, zu versuchen, ”ob bei dem Volksreprä-
14
sentanten und bei der Generalität eine Milderung der ange-
drohten Verwüstung zu erflehen wäre”. In einem längeren
Aufsatz hat A. Pauls seinerzeit alle im Vossenschen Bericht
steckenden Unwahrscheinlichkeiten und Widersprüche aufge-
zeigt (14). Vor allem auch hat Pauls eindeutig klargestellt, daß
es einen sog. Ächtungsbeschluß Aachens durch den Konvent
nie gegeben hat.
Dagegen spricht besonders die vom Volksrepräsentanten
Gillet aus dem Burtscheider Hauptquartier am 3. Vendemi-
aire Jahr 3 an die Bevölkerung der Stadt erlassene Prokla-
mation, in der es u.a. heißt: ”Die Verleumdung war uns in
diese Gegend vorangegangen, unsere Feinde haben uns ihre '
eigenen Laster aufgebürdet, sie haben sich bemüht, Euch in
Schrecken zu versetzen, beruhigt Euch, die französische Re-
publik bestraft ihre Feinde, aber sie ist die Freundin aller
Völker, die mit ihr in Frieden zu leben gesonnen sind. Bleibet
in Euren Wohnungen. Eure Personen, Euer Eigentum, Eure
Gesetze, die Gegenstände Eures Gottesdienstes sollen unange-
tastet bleiben... .”.
Wollte man diesen beruhigenden Versicherungen Glauben
schenken, so hatte Aachen nichts Schlimmes zu gewärtigen.
Dennoch haben die Franzosen nach ihrer Wiederkunft im
September 1794 die angeblichen Ausschreitungen der Aache-
ner Bevölkerung am 2. März 1793 wiederholt zum Vorwand
genommen, der Stadt außergewöhnlich hohe Kriegslasten auf-
zubürden (15). Bei der Wiedereinnahme der Stadt wurden
die Aachener entwaffnet und dies ”wegen der im März 1793
begangenen Exzesse” (”en raison des exces qui furent commis
envers nos troupes en mars 1793”) (16). Die Greuelmärchen
waren so sehr aufgebauscht worden, daß Gillet selber schon
gleich nach seiner Ankunft im Burtscheider Hauptquartier
am 24. September 1794 eine Untersuchung der anderthalb
Jahre zurückliegenden Vorfälle anordnete. Wörtlich schrieb
er den ”Einwohnern der Stadt Aachen” :
”In Eurer Stadt sind gegen die französischen Soldaten
beim Rückzug der Armee im März 1793 greuliche Handlungen
begangen — die kranke und verwundete Soldaten sind aus
15
den Fenstern auf die Straße hinausgeworfen —,' und: andere
(die sich in den Häuseren verborgen hatten) sind durch Bürger
niedergeschossen worden (17).
SM BODEN
Se De WO ; 7
EEE] GE che ELSE
ED £ | 5
RS Vendeniacre 80 SE x
Yes fen GezorQlige. ins? Res
ZZ
Bl Agerescn (a ALL
£ & Wr „ME VATER EEE
f - nn Be Zen nid
WE EA Ef
DA
EZ EA
| ne fi SP tn oO N
VE Bd
A u Anal Ai WB mE Kerne
PERLE DA
KA | WE
f A Se BE SR fl VA
al SC
| Yankee 9 VAREL Eher ek Ben
BE A
VW nd Ah
En A SET es
X - . 7 Y 3 72
An EM IL tieren Ef
VE ZZ ) 7 DD
ABLE MR DB
A UT An Wh Wen Bf
E if ei} ZZ EG Ze |
WELL SAL TSfNG EF rfann
gl ne fi EA al Zi A
ED
AT A GEAR, uw) DE |
ES INA ZT
LA Kafı pc EA Kebpf FO
al en ep ir DO Pa
16
Wir wollen das Recht nicht gebrauchen, dessen wir uns
vermöge des Wiedervergeltungsrechtes bedienen könnten.
Wenn die Feinde der französischen Nation sich mit allen
Lastern bemackelt haben, so wird diese jedoch sich zur Ehre
rechnen, allzeit grosmüthig zu seyn. Allein das so grausam ver-
gossene Blut unserer ermordeten Brüder fordert Rache...”
Der Kriegskommissar Lombard forderte Ende Sept. 1794,
die Aachener sollten bei den für die Spitäler ausgeschriebenen
Requisitionen ”sowohl durch die Qualität der Lieferung, als
die Schleunigkeit der Erfüllung” das begangene Unrecht ver-
gessen machen.
Gillet war überzeugt, daß die ”barbarischen Handlungen”
auf das Konto einer Minderheit zu setzen seien. Innerhalb
24 Stunden solle die Stadt diese Leute ausliefern (18).
Der Rat der Stadt Aachen setzte daraufhin eine Unter-
suchungskommission ein, die ihre Arbeit am 8. Oktober auf-
nahm und bis zum 5. November tagte. Die Bürger wurden
”bey Leib- und Lebens-Strafe” aufgefordert, dem Magistrat
diejenigen anzuzeigen, die ”dergleichen abscheuliche Thaten
begangen”. (S. Text der Ratsverordnung S. 17.)
Obwohl die Ratsverordnung erst vom 29. September 1794
datiert ist und die Untersuchungskommission laut einer im
Stadtarchiv Aachen aufbewahrten Empfangsbescheinigung
über die Vernehmungsprotokolle ihre Arbeit erst am 8. Okto-
ber aufnahm, sind die heute noch erhaltenen Protokolle über
die Ereignisse des 2. März alle aus der Zeit zwischen dem
26. September und dem 6. Oktober 1794. Wie sich diese fehlen-
de Übereinstimmung erklärt, ist bisher nicht erforscht.
Angeblich wurden die Protokolle 1797 an die Bonner
Mittelkommission geschickt und gingen verloren (19). Doch
fand A. Pauls in den Militärakten des Aachener Stadtar-
chivs 42 der teils eidesstattlichen Aussagen Aachener Bürger
(20). Bei der Durchsicht ungeordneter Akten aus der Fran-
zosenzeit stießen wir nun auf weitere 94 Vernehmungsproto-
kolle (21).
Von den insgesamt 136 Aussagen (79 Blätter) stammen
131 von Aachener Bürgern, 5 von Franzosen, denen persönlich
18
durch Aachener geholfen wurde oder die bezeugen, daß Aache-
ner den Gefangenen und Verwundeten geholfen haben. Sie
erstreckten sich über alle Stadtgebiete (mit Schwerpunkten
in der Jakobs- und Marschierstraße) und durch alle Schichten
der Bevölkerung, vom Geistlichen bis zur Hausfrau. In allen
Fällen klingen diese Aussagen glaubwürdig.
Die Aachener Bevölkerung hätte allen Grund gehabt, bei
der Vertreibung der Franzosen aktiv in die Kampfhandlungen
einzugreifen, hatten sich doch die Republikaner durch ihre
Plünderungen verhaßt gemacht (22). Dennoch taten alle nur
das, was ihnen Pflicht eines Christenmenschen zu sein schien :
sie nahmen die fliehenden Feinde in ihre Häuser auf, ver- "
steckten sie und gaben ihnen Zivilkleidung. Sie verbanden
ihre Wunden und besorgten manchem Franzosen einen Paß
oder gar Arbeit in der Stadt. Aus der Vielzahl der bisher
nicht veröffentlichten vor dem Untersuchungsausschuß ge-
machten Aussagen können wir hier nur einige stellvertretend
herausgreifen.
Fretag den 26 Sept. 1794
Eodem (d.h. am nämlichen Tage) erschiene Joseph Preut
und declarirte an Eides Stadt, daß er einen französischen
Kanonier sein Lebn zu retten im Jahr 1793 am 2ten Mertz
gesuchet habe, indem er selbigen bei Vervolgung der Kaiser-
lichen in sein Haus aufgenommen, 14 Täge frei beköstigt, ihm
hernach arbeit gesucht als tabacksräpper im Cardinal, welcher
Kanonier hernach mit einem Pass nach frankreich kommen
sey”.
Joseph Preut wohnhaft am Berg.
Eodem erklärte Arnold Maahsen, daß er einen franzö-
sischen Soldaten am 2. Mertz hierdurch das Leben gerettet,
indem er zwei Kaiserliche Scharfschützen die schon gezielte
Gewehre angehalten und durch seine Vorspruch Pardon er-
halten habe.
Ferner erklärte er unter Anerbietung seines Eides, daß
er am nämlichen Tag zwei Französische Soldaten hierdurch
das Leben gerettet habe, indem er selbige über die Stadt-
Maueren und durch den Stadt Graben gebracht habe.
19
Eodem erklärte unter anerbietung seines Eides Herr’ Peter
Joseph Schiens, daß er am 2ten Mertz 1793 einen kranken
Soldaten hierdurch vom Todte gerettet, indem er selbige durch
seine Knechte von der Straß, wo bereits die Kaiserliche
Scharfschütze waren, habe fortnehmen Lassen, in ein Haus
gebracht, und dort zehn Tage frei beköstiget und gekleidet
und sonächst glücklich fortgeschafft habe.
Eodem erschien Simon Vouss und erklärte unter anerbie-
tung seines Eides, daß er am 2. Mertz 1793 hierdurch zwei
französsiche Soldaten gerettet habe, indem er selbige in sein
Haus mitgenommen unter den Holzspänen für Verfolgung der
Kaiserlichen verborgen gehalten, und diese hernächst frei be-
köstiget und gekleidet und sonächst glücklich fortgeschafft
habe.
Handzeichen S. Vouss wohnhaft in Scherbstraße
Eodem erschiene Nicolas Clous wohnhaft in Weinertsbon-
gart und erklärte unter anerbietung seines Eides, daß am
2ten Mertz 1793 zwei französische Soldaten sich bei ihm für
Verfolgung der Kaiserlichen hätten retten wollen, einer wäre
zwar in der Thür von den Kaiserlichen erschossen worden,
den anderen aber habe er gerettet und selbiger wäre auf
seine Vorspruch das Leben gerettet geblieben weshalb er noch
dem Keiserlichen einen halben Kronenthaler und einen Maasse
Brandwein habe geben müssen.
Eodem erschien Wilhelm Gutteusch, wohnhaft in Wei-
nertsbongart und erklärte unter anerbietung seines Eides, daß
er zwo Kranken welche aus Furcht am 2ten Mertz 1793 wegen
dem Kaiserlichen überfall aus dem Hospital fortgeloffen, und
Elend auf der Strass waren sich angenommen wieder ins
Spital geführt, und in ihre Bette eingedeckt, und sogar gebe-
ten ruhig und ohne Furcht zu seyn.
Eodem erschien Johann Plum wohnhaft in Weinertsbon-
gart und erklärte unter anerbietung seines Eides, daß er im
hiesigen Carmeliter hospital im Jahre 1793 mit steinen geschier
gehandelt und dort gearbeitet habe. er wäre vom lten bis den
20
2ten Mertz 1793 bis nachts zwei uhren im hospital geblieben
und habe den Franzosen helfen drei Waagen Leinen Zeuch
und Decken aufladen und die Kranke helfen verbinden, wie
Montron Magasinis bezeugen müsse. Er habe noch acht Täge
hernächst Lebens Mittel von den Nachbarn für das Spital
erhalten und solches dahin getragen.
Freytag, den 26 Sept. 1794
Erschiene Ehefrau Paul Schumacher in Jacobstrass wohnhaft,
und erklährete an Eides Statt : daß sie und Ferdinand Küttgens
am 2ten Mertz 1793 einen französischen Soldaten, der von
einem Kaiserlichen am Bein verwundet worden, in ihr Haus ‚,
getragen, selbigen durch den N. Kossain Von der Ross habe
Verbinden und ihn sonach ins Hospital bey den hiesigen Car-
melitern habe tragen lassen, sie habe hernach durch die ganze
Stadt für die im Hospital befindliche französische Soldaten
Leinwand und sonstige Lebens Mittel gesammelt, und solches
ins Hospital getragen, selbigen aus dem ihrigen Geld und Le-
bens Mittel gegeben...
Eodem erschien Arnold Forster in Köllnstrass wohnhaft
und bezeugte : daß er am 2. Mertz 1793 einen französischen
Soldaten aus dem Elsass gebürtig mit Namen Joseph Arn...
in seinem Haus aufgenommen, und selbigen bis dem 4. Mor-
gens verborgen gehalten habe.
Eodem erschienenen Mathias Schlösser auf der Ross und
Heinrich Ortmann in Marschierstrass wohnhaft und erklähr-
ten, an Eides Statt, daß sie am 3. Mertz 1793 von hiesigen
Klosterfrauen zum Marienthal beordert worden wären, um
den französischen Krancken im Carmeliten Kloster Fleisch
und wein und Bier hinzutragen, sie hätten diesen geschehenen
Auftrag genau erfüllt und sich den ganzen Tag hindurch mit
Aufwartung der Kranken beschäftigt.
Eodem erschien Niklas Clashen dahier in Pontstrass wohn-
haft, an Eides Statt erklärend, das in der Nacht vom 1ten bis zum
2ten Mertz zur Zeit des Rückzuges der französischen Armee,
\ er Declarans und sein nun unpäßlicher Bruder Robert Clashen
21
...einen französischen Soldaten ganz von Kleidung bis aufs
Hemd entblösst, auf der Strass liegend gefunden hätten ; sein
Declarans besagter Bruder habe selbigen Soldaten in sein
Haus aufgenommen, ihm Kost und Trank nebs einem bür-
gerlichen Rock samt Strümpf und Schuhe unentgeltlich her-
gegeben, und bei sich im Hause verborgen gehalten bis er
bei Gelegenheit der sonach durch das Ponttor wieder einge-
rückten Franzosen fortgegangen wäre...
Eodem erschienen die Herren Doctor Lesoinne, Werner,
Beckers, Joseph Klein, Ludwig Bündgens, Martin Weber,
Egidius Recker, Dominicus Zimmermann, Joseph Heckmann
und Gerard Görres alle in Marschierstrass wohnhaft und er-
klähreten an Eides Statt: daß sie und der grösste Theil der
Nachbarschaft mehrere Hundert Kranken französische Solda-
ten bis zum 19. April alle erdenkliche Erfrischungen und Le-
bens Mittel verschafften, fort daß sie denen selben bei ihrem
Abzug Von hier Kleydungs Stücke gaben und vieles Nöthige
gegeben hätten (sie erklährten weiter, daß sie jederzeit unter
Eid wahrhalten könnten, nicht bewußt zu sein, daß kein ein-
ziger französsischer Soldat sei in besagten Hospital wäre er-
schossen, destoweniger noch dort aufs elendigste ausgeplün-
dert worden sei noch zum Fenster herausgeworfen worden
sei. Sondern daß alle französischen Soldaten, welche sich beim +
Einmarsch der Kaiserlichen Truppen in dieses Spital hätten
befunden, von keinem Bürger nicht das mindeste Leid zugefügt
worden sei.)
N.B. : Der in Klammer stehende Teil der Aussage ist im Ori-
ginal durchgestrichen.
Sonach erschien Heinrich Joseph Beck in Marschierstrass
wohnhaft und erklärte an Eides Statt, daß er von der Nach-
barschaft in besagter Strass bestellt worden sei, um den kran-
ken französischen Soldaten welche beim Rückzug der franzö-
sischen Armee im Merz 1793 zurückgelassen wurden, Brot,
Fleisch und Wein zu reichen ; ihm seien auch vom ehrwür-
digen Herrn Koppstadt in Marschierstrass Decken gegeben
worden, um die kranken Soldaten, welche von den Kaiser-
lichen Truppen weggeschafft worden wären auf den Karren
damit zu bekleiden, und für die Kälte zu bewahren.
22
Sodann erschien Franz Schwan in Marschierstrass wohn-
haft und erklärte an Eides Statt, daß er am 3ten Mertz von
hiesigen Handelsmann Herrn Claus dreimal Geld empfangen,
um für die Kranken französischen Soldaten in dem Hospital
zu den Carmelitern Brot, Fleisch und sonstige Bedürfnisse
zu kaufen, er habe diesen Auftrag richtig erfüllt gehabet und
den Kranken mit eigenen Händen die Speisen gereicht.
Le Soussigne declare que Thomas Bosquet natif de Lan-
guedoc nomme au 56. regiment belle humeur aiant 6t6 blesse
par les imperiaux d’un coup de Balle dans cette ville a la
retraite du 2 Mars 1793 il s’etait retire au village de Moresnet ,
pres de cette ville chez un paisan, ou le chirurgien Armbruster
de Borchet (Burtscheid) lui a tire le ball et l’a traite ; apres
le comparant l’a pris & son service quoique par la ressain-
tement de sa blessure et le frequentes coliques qui lui pre-
naient au moindre mouvement, il n’a pu faire aucun service,
il l’a garde dans la seule intention et le garde encore pour le
pouvoir rendre avec surete ä sa patrie.
Dann erschien Ehefrau von Anton Cüppers und erklärte
an Eides Statt daß sie in der Judenstrasse wohnhaft den 2ten
Mertz 1793 morgens um 8 Uhr einen französischen Soldaten
in ihr Haus aufgenommen und verborgen haben, da die Kai-
serliche Scharfschütze denselben Verfolgten und ihn an ihrem
Haus aufsuchten, aber nicht fanden. Diesem Soldaten hätte
die Ehefrau von Peter Schiffgen Bürger-Kleidung verschaffet
und sie, Frau Cüppers Ihm seine französische Montierung in
einem großen Schnupftuch eingebunden und mitgegeben ; da
denn ihr Nachbar Ferdinand Mommer, seinen blauen Mantel
umgeschlagen dessen französische Montur unter seinen Man-
tel genommen, und ihm solche gestalt zur Stadt hinaus
geholfen...
Der erscheinende Ludwig Schramm, auf Malteser-Hof
wohnhaft, erklärte an Eides Statt, was massen sich auf Sonn-
tag den 3. Mertz 1793 die Ehefrau eines französischen Ser-
ganten Vor hiesigen Ponthor zu ihm gekommen und ihn gebe-
| + ten habe, sie in Schutz zu nehmen, fort ihr behülflich zu sein,
23
damit sie zu ihrem Ehemann kommen könnte. Er habe also
diese Serganten-Frau drei Wochen lang an seinem Hause ge-
habt, bis sie einen Pass bekommen, um nach Frankreich zu
retourniren. Der älteste Sohn von Herrn Bürgermeister Kreitz
habe gesagter Sergeanten-Frau ein Viertel Kron, er aber
Vier Schilling derselben zum Zehr-Geld mitgegeben.
Die erschienene Ehefrau von Niklas Ruland und die
Maria-Agnes Legers erklärten Beide an Eides Statt: daß sie
damals in der Eilfschornsteinstrass beisammen wohnend die
französischen Soldaten bey der Retirade vom 2ten Merz 1793
das Leben dergestalt gerettet haben : weilen ihr Nachbar
Prümpener diese drei französische Soldaten in sein Haus auf-
genommen habe. Da dieselbe aber in diesem Hause aufgesuchet
wurden : so hätten sie beide attestantinen diese drey fran-
zösischen Soldaten durch ihren Garten und sodann ferner
durch andere Nachbar-Gärten, und endlich über eine Garten-
Mauer bis in den Hinter-Bau von Jacob Startz gebracht, und
daselbst verstecket haben, welche alle drey des anderen Tags
fortgeholfen worden sind.
Eodem erschien Theordor Beckers Bürgerleutnant dahier,
und erklärte unter anerbietung seines Eides, daß er am 1ten
Mertz 1793 in dem Spital zu St Elisabeth gewesen wo etliche
Kranken abends ausgegangen wären; wo die Ehrwürdige
Mutter selbige Brod, geld und Fleisch auf die reise gegeben
hätte. Den 2ten Mertz wäre er im nämlichen Spital Morgens
frühe gewesen, wo er noch drei Kranken vorgefunden, welche
auch fortgehen wollten, allein weil sie schwach gewesen, habe
die Ehrwürdige Mutter sie aufbehalten wollen, weil sie aber
fortgehen wollten, so habe diese sie wiederum Brod, Fleisch
und Geld gegeben und so fortgehen lassen. Weil aber noch
ein Kranker, der gar zu schwache gewesen, in diesem Spital
war, so hätten die Nonnen ihn für die Kaiserlichen verbor-
gen gehalten, und umgekleidet mit einem Rock des Haus-
knechten und erst drey Täge hernach durch ihn Declarant
in Köllenstrass bringen lassen bei Sieur Förster, der ihn her
nach glücklich fortzubringen gesucht habe.
24
Eodem erschien Joseph Lejeune welcher im Jahre 1793
bei den Franzosen im Spital gedient, und er erklärte unter
anerbietung seines Eides, das er vom 1lten auf den 2ten Mertz
im Spital gewesen und er wäre selbst morgens im Spital
alleine gewesen, als die Kaiserlichen Ulanen im Spital einge-
fallen. Diese hätten den Kranken Geld und Assignaten abge-
nommen, sonst aber nichts getan. Er habe noch selbst 158
teils blessierte teils kranken im Spital aufbehalten welche
die Kaiserlichen in Empfang genommen. Er Müsste aber fer-
ner declariren, daß er bis zum 22. Mertz 1793 diese aufge-
wartet habe, wobei er gesehen, daß die daige Nachbarschaft
sich bestrebt, immer mit Lebensmitteln und Erfrischungen
aller Art in der Zeit den Kranken beizustehen. .
Dienstag 30. Sept.
Erschiene Agnes Dulie und erklärte unter anerbietung
des Eides, daß sie am 5ten Mertz 1793 in das hiesige Hospital
zu den Karmeliten zu den Französischen Kranken hingegan-
gen sey, wo sie einige und täglich in Gesellschaft der Jungfer
Theresia George diese Kranken allerlei Erfrischungen zuge-
tragen habe, bis daß selbige transportirt worden seyen, welche
sie auf die reise so gar Brod, geld und wein mitgegeben, und
weilen die erwähnte Kranken in Köllen Mangel gelitten, was
selbige ihr Declarantin geschrieben hätten, so hätte sie dorthin
noch selbigen geld geschickt. desfalls einige der Kranke selbst
oder ihre Eltern sich schriftlich bei ihr bedankt hätten, wovon
Declarantin jederzeit die Brief noch aufzuweisen erbötig sey.
Erschien der Weltgeistliche Niclas Bey und declarirte an
Eidesstatt daß am 2ten Mertz 1793 zwei Korporälen vom
Dauphins Regiment durch hiesige Bürger in St. Leonard ge-
bracht worden, wo die Geistliche selbige einige Wochen auf-
bewahrt und beköstiget hatten ; er Declarant habe mit anderen
Freunden noch diesen zwei Soldaten bürgerliche Kleidung
angeschafft und gegeben, der andere aber wäre noch lange
Zeit hernach frei in Aachen geblieben.
Mittwoch den 1. October 1794
| Erschiene Joseph Schasmann in der Jacobstrass gegen der
25
Stromgas über wohnhaft und erklärte an Eidesstatt, daß bei
dem am 2ten Merz 1793 geschehenen überfall nachmittags
zwischen 1 ad 2 ühr zwei Französische Soldaten in sein Haus
retirirt seyen, um dem Verfolgen der Kaiserlichen auszuwei-
chen ; er Declarans habe sich dieser beiden Soldaten ange-
nohmen, selbige durch seinen Garten hinausgeführt und
solchergestalt diese auf dem weege zur Stadt hinaus an
Junckersthor gebracht.
Item erklärte er, daß an besagtem Tag nachmittags zwi-
schen 1 ad 2 uhr die französische Soldaten vor seiner Thür
zwei Kanonen aufgepflanzet hätten, womit sie die Jakobstrass
hinab gegen die eindringende Kaiserliche gefeuert hätten, der-
gestalt daß ihm Declaranti von dem Knall der Kanonen fast
alle Fenstere zerschmettert wären. und als auf einmal durch
der Stromgas einige Kaiserliche des Mihalowitzer freikorps
durchgekommen, hätten die an erwähnten Kanonen stehenden
Französische Kanonier sich gezwungen gesehen, um nicht
völlig mit alles abgeschnitten zu sein, da die Kanonen just ab-
gefeuert gewesen, die Stränge an den Kanonen los zu thun
und mit den Pferden sich eiligst zu reterieren, hierauf wäre
gleich ein Kaiserlicher Scharfschütz am ersten hinzugeeilt, und
habe auf einer der Kanonen seinen Degen und hierauf sein
Huth gesetzet und gerufen : vivat der Kaier! ein in der
Gegend stehender trunkener Mensch namens Baumhuber, habe
hierauf mit Hand an die Kanonen gelegt und eine umdrehen
helfen ; welche hernach durch die Kaiserliche zur Stadt hinab-
geführt worden.
Item erklärte er, daß beim Reziment Flandern ein Sergent
wäre namens Bos 1ten bataillon und compagnie, der am besten
erklären würde, welchen Dienst er ihm geleistet und wie er
ihm zu seiner rettung behülflich gewesen.
JUMBO ONE OO
Auch der Aachener Kaufmann Aloys Perger berichtet in
seinen Lebenserinnerungen, es seien bei den drei Tage lang
bis über Lüttich hinaus stattgehabten Kampfhandlungen viele
Verwundete eingebracht und ins Franziskanerkloster einquar-
tiert worden. ”Die armen Menschen‘ hatten sich drei Tage
lang geschlagen, waren daher sehr hungrig”, schreibt er.
26
”Darum ging ich zu Hause und bat meine Frau, eilig einen
großen Kessel voll Kalbfleisch, Suppe mit Reis zu kochen.
Als selbe fertig war, ging ich mit meiner ältesten Tochter
Trinette hin, sie selbst zu vertheilen, weil ich fürchtete, die
militärischen Aufwärter würden den Kranken nicht viel davon
übrig lassen. Herr Stanislaus besorgte auch nebst andere eine
solche Suppe. So wurden diese Leute für den ersten Tag
gespeist” (23). Von Ausschreitungen der Aachener gegenüber
den Franzosen am 2. März schreibt Perger nichts, wohl aber
heißt es bei ihm, die Aachener Bürger hätten an ”der Sache”,
d. h. den Straßenkämpfen, teilgenommen, sie hätten die Pferde
von den Pulverwagen losgeschnitten und in sie die Ställe
gebracht. -
Aus all dem darf man den Schluß ziehen, daß der Stadt
Aachen ganz zu Unrecht härtere Kriegslasten unter dem Vor-
wand von Ausschreitungen gegenüber den französischen Trup-
pen auferlegt worden sind. Der französische General Dam-
pierre hatte kurz vor dem Verlassen der Stadt dem Bürger-
meister Beissel einen kurzen Brief geschrieben, worin er ihn
bat, sich der zurückbleibenden Kranken anzunehmen und de-
ren Wohl auch den österreichischen ‘Offizieren ans Herz zu
legen.
”Je pars”, so schrieb Dampierre, ”avec le deplaisir de ne
pas vous remercier de tous les soins que vous vous @tes donnes
pendant le sejour des Francais ici. Je recommande ä votre
humanite les malades que nous laissons ici. Je vous prie aussi
de les recommander aux officiers genereux autrichiens qui
commanderont ä Aix. Je n’oublierai jamais vos vertus et
votre franchise. Dampierre”,.
Im Karmeliterkloster lagen Anfang Februar 1793 309 Fie-
berkranke und 69 Verwundete. Die Kirche war zum großen
Krankensaal umfunktioniert worden und auch in der Sakris-
tei lagen Verwundete. Außerdem hatte man, um mehr Kranke
unterbringen zu können, eine Art Orgelbühne gebaut und mit
Kranken belegt. (”une tribune pratiquee vers la partie supe-
rieure de V6glise”). Nach dem 2. März blieb das Karmeliter-
kloster als Militärspital bestehen, nur die Kirche wurde Ende
Mai wieder für den Gottesdienst frei. Vorübergehend scheint
27
auch das eigentliche Klostergebäude von Kranken und Ver-
wundeten geräumt gewesen zu sein, denn in einer Eingabe
an die Stadtverwaltung schreiben die Karmeliterväter, Kirche,
Klostergänge und Zimmer seien durch die Einrichtung des
Spitals verändert worden. Man hab auf diese Weise die größte
Verwüstung dulden müssen. Da aber nunmehr die franzö-
sischen Truppen die Stadt geräumt hätten und auch das Laza-
rett in dem Kloster aufhöre, sei der Fall zur Herstellung des
Klosters und der Kirche wie überhaupt zur Abhilfe der be-
sagten Verwüstung vorhanden (24).
Abschließend darf man wohl sagen, daß die Aachener
Bevölkerung dem Wunsch des abziehenden Generals Dam-
pierre entsprechend gehandelt und alles in ihren Kräften ste-
hende getan hat, um den Kranken im Karmeliterkloster und
hinterher auch den Gefangenen im Jesuitenkloster zu helfen.
Die amtliche Untersuchung der Vorfälle des 2. März führte
denn auch erwartungsgemäß zu keinem uns bekannten kon-
kreten Ergebnis, es sei denn zu dem, daß die Aachener über
alle nationalen Schranken hinweg ein Zeugnis der Mitmensch-
lichkeit gegeben haben.
KONONOLAKEREIONECIEEOEAUKCIC
Anmerkungen :
1. Siehe dazu unseren Beitrag in Nr. 15 dieser Zeitschrift.
2. Einen ausführlichen Bericht über die Kampfhandlungen
brachte die ”Kaiserliche Reichs-Oberpostamts-Zeitung zu
Cöln” vom 4. März 1973, abgedruckt in ”Aachener. Familien-
blatt”, Beilage zum ”Echo der Gegenwart” vom 5.3. 1914.
3. Chronik der Pfarre Haaren.
4. ”Heem”, Sept. - Dez. 1968, S. 8.
5. Chronik des Caspar Scheen, Stadtarchiv Aachen, Hs. Nr. 935.
6. Hans Wirtz, ”Eupener Land”, S. 56-57.
7. Ponttor.
8. Stadtarchiv Aachen, KK, Franziskaner Nr. 5.
9. A. Pauls, ”Haltung der Aachener Bevölkerung während der
Fremdherrschaft” in ZAGV, Bd. 63, Jg. 1950, S. 58. Dort
auch weitere Literaturangaben zum Thema 2. März 1793.
10. So schrieb der Aachener Kaufmann Aloys Perger in seinen
Lebenserinnerungen : ”Im Monat Juni rückte der Feind wie-
der auf Aachen vor und drohte, dort keinen Stein auf dem
28
andere (sic) ruhen zu lassen, weil die Bürger im vorigen
Jahr die (sic) Österreicher geholfen hätten”. (ZAGV, Bd. 56,
Jg. 1935, S. 143).
11. Der Werkmeister Jardon, der als dritter vom Rat für diese
Mission ausersehen war, hatte den Auftrag nicht angenom-
men.
12. Stadtarchiv Aachen, Militärakten 63, 8.
13. A. Pauls, a.a.O. S. 49.
14. ebda. S. 41-80.
15. S. Aachener Zuschauer Nr. 117 vom 29.9.1794. Original im
Stadtarchiv Aachen. Ungeordnete Akten aus der Franzosen-
zeit. Zu den Kriegsabgaben s. auch Pauls a.a.O. S. 53.
16. Akten des ”Comite de Salut Public” Bd. 17, S. 92. Eintragung
vom 26. 9. 1794. )
17. A. Pauls, a.a.O. S. 51, schrieb : ”andere sind durch Bürger,
die sich in den Häusern versteckt hielten, erschossen worden”,
Das hieße, daß aus dem Hinterhalt auf die Franzosen ge-
schossen worden wäre. Dies ist eindeutig falsch, wie die
Photokopie auf S. 15 zeigt.
18. Stadtarchiv Aachen, RR 1060.
19. A. Pauls, a.a.O. S. 52, Fußnote 28.
20. Stadtarchiv Aachen, Militärakten 63, 8. A. Pauls a.a.O. S. 72,
Fußnote 87.
21. Stadtarchiv Aachen, Akten aus der Franzosenzeit, ohne AZ.
22. Französisches Staatsarchiv, Paris, Akten des Wohlfahrtsaus-
schusses, Bd. 2, S. 320 : ”Les brigandages nous font des enne-
mis parmi le peuple. On assure qu’äa Aix-la-Chapelle quelques
bourgeois ont tire sur nos troupes ; ce qui est certain, c’est
quw’elles ont te insultees”.
23. ”Lebenserinnerungen des Aachener Kaufmanns Aloys Perger”
in ZAGV, Bd, 66, Jg. 1935, S. 142.
24. Über die Militäspitäler in französischer Zeit s. E. Schmitz-
Cliever in ZAGV, Bd. 70, Jg. 1958, S. 135-165.
29
Aus der Pfarrgeschichte Hergenraths (Fortsetzung)
von Alfred Bertha
Die Aufzeichnungen des Hergenrather Kirchenrendanten
Claes Beelen (1) haben es uns ermöglicht, einige bisher zeit-
lich nur mehr oder weniger genau umrissene Fakten aus der
Hergenrather Pfarrgeschichte klarer einzuordnen und besser
zu verstehen. Die schon 1447 genannte Martini-Kapelle wurde
1619 zu einer regelrechten Kirche ausgebaut. Schon 1618
hatte die Gemeinde neben der Kapelle einen Friedhof ange-
legt. Neben Raeren und Eynatten erhielt auch Hergenrath
1617 oder spätestens 1618 das Taufrecht. Der Taufstein mit
der Jahreszahl 1619 ist noch erhalten.
Den bisher frühesten Hinweis auf einen residierenden (?)
Geistlichen in Hergenrath finden wir im Register ”Institu-
tiones” des Erzdiakonats Condroz vom Jahre 1608, wo es
heißt : ”(Walhorn) hat unter sich folgende Kapellen : Eynatten,
dessen Einwohner den Kaplan bzw. Desservitor auf eigene
Kosten halten indem sie ihm außer den Gefällen ein be-
stimmtes Einkommen geben ; Raeren, dessen Einwohner den
Kaplan ebenfalls auf eigene Kosten halten wie die von Ey-
natten ; Herckenraedt, an dessen Martini-Kapelle der Dienst
wie bei den vorstehenden versehen wird” (2).
Der erste uns namentlich bekannte Hergenrather Geistli-
che ist Pastor Arnoldus gen. Arret aus Aldenhoven. Er wurde
zwar Pastor genannt, unterstand aber offiziell weiterhin dem
Pfarrer von Walhorn. Als am 23. Februar 1633 der Walhorner
Kirchenmomber Anton. Lambertz im Auftrag des in Aachen
residierenden Pfarrers Wilhelm Darimont (”wegen ende in
naeme des voorsc. pastoirs”) vor dem Walhorner Schöffen-
gericht erscheint und bittet, ”daß in bester Form durch das
Gericht aktiert werde”, daß Pfarrer Darimont angesichts
der weiten Entfernung zur Mutterkirche Walhorn den Kapel-
len von Eynatten, Titfeld und Hergenrath das Tauf- und Be-
gräbnisrecht zugestehe, wird in der Urkunde ausdrücklich
vermerkt, daß dies geschehe ohne irgendeinen Schaden oder
Nachteil der vorgenannten Mutterkirche oder deren Pfarrer (3).
30
Letztere behielten auch das _Verkündigungsrecht für
Trauungen, sowie das Recht, in besagten Kapellen zu taufen
und zu beerdigen, wie denn überhaupt alle der Walhorner
Kirche von alters her zustehenden Rechte gewahrt blieben.
Vom Bankgericht wurde überdies an die Abtretung der ge-
nannten Rechte an die drei Kapellen die Bedingung geknüpft,
daß der Pfarrer von Walhorn gehalten sei, im Notfall in den
genannten Kirchengemeinden wie vordem die Sakramente
zu spenden.
Es wird zwar gesagt, das Abkommen zwischen Pfarrer
Wilhelm Darimont und den drei Kapellengemeinden sei auf
”Intervention” des Weihbischofs von Lüttich zustande gekom-
men, doch läßt sich heute nicht mehr sagen, welche Rolle
der Weihbischof im einzelnen dabei gespielt hat. Auch der
Aachener Domherr (Kanonikus) Peter Darimont, hat daran
mitgewirkt ; verständlich, wenn man bedenkt, daß das Aache-
ner Marienstift den Pfarrer von Walhorn ernannte.
Auch nach dem 23. Februar 1633 änderte sich nichts
am rechtlichen Status des Hergenrather Seelsorgers ; der Akt
des Walhorner Gerichts sanktionierte nur einen schon min-
destens anderthalb Jahrzehnte bestehenden Zustand. Einer
Lostrennung von Walhorn ist er nicht gleichzusetzen, wenn
auch in der Praxis die Bindungen Hergenraths und der an-
deren Kapellengemeinden zu Walhorn immer laxer wurden.
Auch in der Folgezeit hat es von offizieller Seite, d.h. vom
Lütticher Bistum aus, nie eine Änderung dieses Status gege-
ben. Nur von Kettenis ist eindeutig und klar belegt, daß es
1648 zur ”ecclesia media”, zu einer Pfarrkirche, erhoben
wurde (4). In dem einzigen bestehenden Visitationsprotokoll
der Pfarre Walhorn vom 22.9.1698 ist Hergenrath nicht
genannt.
Eine offizielle Pfarrerhebung Hergenraths hat es also nie
gegeben. Kraft ihrer tatsächlichen Befugnisse betrachteten
sich die Hergenrather Seelsorger jedoch als von Walhorn nicht
mehr abhängig. Unter dem Walhorner Pfarrer Joh. van den
Daele (1739-1788) mußten sich die Seelsorger von Raeren,
Eynatten und Hergenrath energisch wehren, da der Pfarrer
auf die angestammten Rechte der Walhorner Mutterkirche
31
in diesen Gemeinden pochte. 1726 betrachtete das Bistum
Hergenrath noch als zu Walhorn gehörig und den Hergen-
rather Geistlichen als ”Vicarius” des Walhorner Pfarrers (5).
Im Bewußtsein der Bevölkerung war die Selbständigkeit Her-
genraths jedoch eine Tatsache ; so konnte der Gerichtsschrei-
ber der Bank Walhorn, H. Heyendael, 1749 schreiben, die
Pfarre Walhorn bestehe aus den vier Orten Walhorn, Merols,
Rabotrath und Astenet. Er stützte sich auf das 1705 in der
Bank Walhorn angelegte Grundbuch (6). In den ältesten noch
erhaltenen Zehntrechnungen der Pfarre Walhorn (1632-1635,
unter Pfarrer Darimont) werden Rabotrath, Merols, Eynatten,
Astenet, Hauset, Neudorf und Kettenis genannt. Eigentümli-
cherweise fehlt Hergenrath (7).
Aus den Zeiten der Großpfarre Walhorn stammte die
gemeinsame Nutzung der Wälder Stockem und Vosselocker.
Am 30.3.1710 einigten sich die ehemals zu Walhorn gehö-
renden Orte (mit Ausnahme von Kettenis) über die Verwal-
tung und Nutzung der genannten Wälder. Sie bestimmten
drei ”Boschmomber”, die für eine Dauer von drei Jahren
gewählt wurden und wiederwählbar waren. Von den Bosch-
mombern war der eine ein Edelmann oder Geistlicher, die
anderen ”roturiers”, d.h. dem gemeinen Volk angehörend.
Von den beiden letztgenannten kam einer aus Walhorn, der
andere aus einem der Orte Eynatten, Hauset, Raeren, Neudorf
oder Hergenrath. Die Hälfte der Erträge aus Holzverkäufen.
so wurde festgelegt, solle Walhorn mit den Weilern Astenet,
Merols und Rabotrath zukommen, die andere Hälfte solle un-
ter die Kirchen von Titfeld (Raeren), Eynatten und Hergen-
rath nach einem Verteilerschlüssel von 40% für Raeren, 36%
für Eynatten und 24% für Hergenrath aufgeteilt werden.
Überdies sollten die genannten Orte sich alljährlich in Form
von ”Kierspeldaegen” (Kirchspieltage) am Mariä Himmel-
fahrtstag versammeln, um über alle ihre Buschprobleme zu
beschließen. Noch am 15.8.1792 fand ein solcher ”Kierspel-
daeg” statt (8).
Auf die Zugehörigkeit zur Mutterpfarre Walhorn gingen
auch die bis um 1700 mehrmals jährlich stattfindenden Bank-
prozessionen zurück (9). 1753 schrieb Pfarrer van den Daele,
von der ehemaligen Abhängigkeit der Filialkirchen von Wal-
32
horn sei nichts mehr zu spüren, außer daß dieselben am Oster-
tag das hl. Öl und den Chrisam von Walhorn bekämen (10).
So kann man also sagen, daß der Gegensatz zwischen dem
rechtlichen und dem tatsächlichen Status der Hergenrather
Geistlichen mit der Zeit immer mehr verwischte. Die Her-
genrather Kapellengemeinde fühlte sich als Pfarrgemeinde
auch ohne den rechtlichen Titel einer solchen zu besitzen.
Über das Pfarrleben und die ersten uns bekannten Her-
genrather Seelsorger wurde im ersten Beitrag zur Hergen-
rather Pfarrgeschichte (Im Göhltal Nr. 16) berichtet. Demnach
fungierten in Hergenrath folgende Geistliche : .
1. Arnoldus aus Aldenhoven 1618-1624
Umbau der Kirche, Anlegung eines Friedhofs, Taufstein u.
andere Anschaffungen.
2. Eyffo Arrentsweiler ”aus dem Land von Jülich” 1627-1630
Erbauung eines Pfarrhauses.
3. Jacobus Schleich 1635
1635-37 sind Pestjahre; dazu kommen Kriegswirren d.
den Dreißigjährigen Krieg. S. dazu: Viktor Gielen : Die
Mutterpfarre und Hochbank Walhorn (S. 38-39).
Auf der im Vorraum der Hergenrather Kirche angebrach-
ten Holztafel mit den Namen der Hergenrather Pfarrer steht
als erster Johannes Priem. Der Name dieses Priesters weist
auf eine bodenständige Familie aus dem Walhorner bzw.
Lontzener Raum. 1705 ist Anton Priem Schöffe von Walhorn
und 1777 fungiert dortselbst der Notar Joh. Stephan Priem.
Auf dem Lontzener Friedhof finden wir das Grabkreuz des
”gewesenen Schöffen der Herrlichkeit Lontzen” Arnold Priem.
Er starb 1701.
Lebensdaten von Johannes Priem sind keine erhalten. Das
Lütticher Diözesanarchiv verfügt über keine Unterlagen aus
dieser frühen Zeit. Wir wissen, daß Joh. Priem in Hergenrath
von 1648 bis 1660 wirkte.
Ihm folgte Jakob Schleich, der am 15. 12. 1670 unweit von
Moresnet (Kelmis ?) in der Göhl ertrank. Es ist ungewiß, ob
es sich dabei um den schon 1635 als Pastor von Hergenrath
33
genannten Jak. Schleich handelt. Einzelheiten zu seiner Person
sind bisher nicht bekannt.
j £ 4 7}
| 7 EA
16 X ee A
m aM |
| $— £ + A
| 7 A
A a
| |} 1 @ | 1 | LM a
Ko HAN 4
M A * 2
HM s FE 2A
| HE k VA
EM : SL)
u ' |
a A
1 ee en
SZ Dr le EN
EZ
Die Kanzel aus der alten Hergenrather Kirche
(datiert vom 1. April 1645)
Wilhelm Vorpfiehl leitete die Pfarre von 1670 bis 1690.
Auch von ihm wissen wir nur, daß er im 56. Lebensjahr und
im 30. Jahr seines Priestertums starb.
Heinrich (Hendricus) Weyers aus Jülich, dessen Toten-
zettel nach Angaben von Pfarrer Piepers vor einigen Jahr-
zehnten noch vorhanden war, kam 1690 nach Hergenrath, wo
er bis- zu ‚seinem Tode im Jahre 1726 blieb. Er führte den
34
Titel eines Apostolichen Protonotars, ist uns aber weiter nicht
bekannt.
Am 18. Juli 1726 ernannte der Bischof von Lüttich den
in der Pfarre Walhorn tätigen Lambert Smitz für die Dauer
von 3 Jahren zum Vikar von Hergenrath. Smitz stammte
aus Kettenis, wo er am 26.3.1697 als Sohn des dortigen
Bürgermeisters geboren war. Er verließ Hergenrath im April
1729, um die ihm angetragene Pfarrstelle von Eynatten zu
übernehmen. Um diese Pfarrernennung entbrach jedoch ein
heftiger Streit, da sowohl die Besitzer des ”Großen Hauses”,
das Aachener Jesuitenkollegium, wie auch der Besitzer der
Herrschaft Eynatten, der Herr von Liverlo aus Lüttich, das .
Recht der Pfarrernennung für sich beanspruchten. Zw’schen
den Aachener Jesuiten und dem Herrn von Liverlo kam es
zu einem sich mehrere Jahre hinziehenden Prozeß, der
schließlich vom Brabanter Obergericht zugunsten der Jesui-
ten entschieden wurde. Die Kandidaten der streitenden Par-
teien - Lambert Smitz als Kandidat des Herrn von Liverlo
und Matthias Reuland als Kandidat der Jesuiten- wurden
natürlich in den Streit hineingezogen. Lambert .Smitz mußte
nach dem für ihn ungünstigen Urteilsspruch Eynatten wieder
verlassen (11). Er kam 1731 nach Hergenrath zurück.
In der Zwischenzeit 1729-31 hatte erst ein Kreuzritter aus
Aachen (Bruder Kasters) und dann ein Geistlicher mit Namen
Nicolas Poetgens die Verwaltung unserer Pfarre.
Unter Pfarrer Lambert Smitz wurde 1744 die Hergen-
rather Kirche umgebaut, vielleicht auch ein Neubau errichtet.
Beim Abbruch der alten Kirche im Jahre 1850 ging ein im
Schiff eingemauerter Zahlenstein mit jener Zahl verloren. In
der Düsseldorfer Sammlung Hetjens befindet sich auch eine
Abrechnung. von Holzverkäufen aus dem Walhorner Kirch-
busch, in welcher es heißt, laut Beschluß vom 10. Dezember
1744 bekomme die Gemeinde Hergenrath aus dem Erlös des
am 11.3.1745 stattgehabten Verkaufes die Summe von 400
Gulden ”voort bouwen van hunne kercke”.
Der mündlichen Überlieferung nach geriet Pfarrer Smitz
am 18. Juni 1765, als er von einem Besuch beim Freiherrn
35
von Donrath auf der Eyneburg zurückkehrte, im Dunkel der
Nacht vom Wege ab und ertrank in der Göhl.
In die beiden letzten Jahre der Amtszeit von Pfarrer
Smitz fiel ein seit dem 18.4.1763 vor dem Hohen Rat von
Brabant anhängiger Prozeß um das Einkommen des Pfarrers
von Hergenrath. Dieser klagte gegen die Einwohner seiner
Pfarre, den Dekan und das Kapitel des Aachener Marienstifts
und seinen Amtsbruder, den Pfarrer von Walhorn, Johannes
van den Daele. Er machte geltend, daß er in seiner Pfarre
”over de dry hondert Communicanten” habe und eine Anzahl
von Kindern ”daer aen geproportioneert” (12). Beinahe alle
seien arme Leute (13), so daß sein Pfarreinkommen aus Ren-
ten und ”erven” jährlich nicht mehr als 10 Pistolen und sogar
weniger betrage. Hinzu komme eine jährliche Abgabe an
Fleisch, Eier und Käse (”een termijn van vleesch, eyeren ende
kaes”). Da er jedoch von diesen Abgaben in Naturalien ”niets
ofte luttel” profitiere, d. h. daß diese Abgaben nicht oder doch
nur unregelmäßig entrichtet wurden, habe er den Einwohnern
vorgeschlagen, ihm statt dessen jährlich eine Pistole zu zahlen ;
sie hätten sich aber geweigert, auf diesen Vorschlag einzu-
gehen. Die ”iura stolae” (Stolgefälle) brächten ihm in einer
so armen Gemeinde ”luttel ofte niets” ein, so daß er, um
überleben zu können, all seinen Besitz habe verkaufen müssen.
Pfarrer Smitz war ein Armer unter Armen. Seine kleine
Landwirtschaft ernährte ihn nur kümmerlich. Aus einem von
Bürgermeister Chabert im Jahre 7 der Republik verfaßten
Schreiben geht hervor, daß die Gemeinde dem Pfarrer einen
Pferdestall, eine Scheune und einen Garten überließ, damit er
aus dem bisher als Pferdestall genutzten und an den ein-
zigen Wohnraum des Pfarrhauses angrenzenden Raum ein
zweites Zimmer herrichten konnte.
2/3 der Zehnteinnahmen von Hergenrath gehörten dem
Dekan und dem Kapitel des Aachener Marienstiftes. Das rest-
liche Drittel zog der Pfarrer von Walhorn ein. In seiner Not
wandte sich Pfarrer Smitz vergebens sowohl an die Zehnt-
herren wie auch an die Gemeinde von Hergenrath mit der
Bitte, ihm doch das einem Pfarrer zustehende Einkommen
zu sichern. Die Einwohner von Hergenrath fühlten sich zu
36
nichts verpflichtet, so lange der Zehnt dazu vorgesehen "sei,
der Pfarrer von Walhorn machte geltend, er könne nicht mal
sich selbst versorgen, das Aachener Marienstift aber vertrat
die Ansicht, es sei eine Sache des Walhorner Pfarrers, dem
Hergenrather Geistlichen ein genügendes Auskommen zu
sichern.
Da nun also niemand sich für eine angemessene Besol-
dung des Pfarrers verantwortlich fühlte, nahm dieser seine
Zuflucht zum Hohen Gericht in Brüssel. Er bat, man möge
N eine der drei anderen Farteien dazu verpflichten, ihm ein
jährliches Einkommen von 350 Gulden zu sichern, zahlbar in
vier Raten und ”bij anticipatie”, bzw. 450 Gulden, wenn er
auf alle ”pastoreele renten ende erven” verzichte.
Der Frozeß schleppte sich sehr langsam hin und erst am
18. Juli 1767 kam das Hohe Gericht zu einem Urteilsspruch.
Es verurteilte den Pfarrer von Walhorn, dem Hergenrather
Geistlichen jährlich eine Einkommenszulage von 315 Braban-
ter Gulden zu zahlen, und dies ”a tempore litis motae”, d.h.
rückwirkend von Prozeßbeginn an, bzw. 420 Gulden, wenn
der Hergenrather Pfarrer zugunsten seines Walhorner Amts-
bruders auf seine Pfarrgüter und Renten verzichte. Der
Pfarrer von Walhorn könne aber auch, so das Gericht, dem
Pfarrer von Hergenrath das Drittel des Zehnten, das er bisher
bezogen habe, zuzüglich der seit Prozeßbeginn angelaufenen
Zinsen überlassen. Sofern das vom Pfarrer von Walhorn abge-
tretene Drittel des Zehnten weniger als 315 Brabanter Gul-
den einbrächte, sollte die Gemeinde Hergenrath die fehlende
Summe beilegen. Die Gemeinde Hergenrath und der Pfarrer
von Walhorn mußten sich auch die Prozeßkosten teilen (14).
Pfarrer Smitz war inzwischen tödlich verunglückt. Aus
einer vor Notar Bounie am 27. Juli 1768 von seinem Nach-
folger Johannes van Weerts gemachten Aussage ersehen wir,
daß der Pfarrer von Walhorn sich dem Urteilsspruch des
Hohen Rates gebeugt hat und dem Hergenrather Geistlichen
420 Gulden zahlte (15), d.h. daß der Walhorner Pfarrer auch
die Nutznießung der Hergenrather Pfarrgüter besaß, die auf
105 Gulden jährlich geschätzt war. Zusammen mit den 315
Gulden, die er hätte zahlen müssen, wenn van Weerts Nutz-
37
nießer dieser Güter geblieben wäre, kam Pfarrer van den
Daele so auf die vorgenannte Summe.
Am 25.9.1776 klagte nun seinerseits der Pfarrer von
Walhorn gegen den Dekan und das Kapitel des Aachener
Marienstiftes einerseits und den Pfarrer von Hergenrath an-
dererseits. Die 315 Gulden, die er Letzterem zu zahlen ver-
pflichtet sei, gingen, so van den Daele, über das hinaus, was
er aus dem ihm zukommenden Drittel des Hergenrather
Zehnts gewinne. Er verlangte, Dekan und Kapitel des Ma-
rienstiftes sollten ihm das schon zuviel Bezahlte zurückzahlen.
Aus dem in dieser Sache am 5. Mai 1778 ergangenen
Urteil und der Urteilsbegründung geht hervor, daß der Wal-
horner Pfarrer den Pfarrer von Hergenrath nur als Desservi-
tor, d.h. Pfarrverwalter, nicht aber als eigentlichen Pfarrer
betrachtete, da, wie Pfarrer van den Daele sagte, ”de Capelle
van Hergenraedt niet en was gedimembreert ofte gesepareert
van de moederkercke van Walhorn ende dat desselvs desser-
vitor scheen onberecht ja inhabiel was om te possideren de
thiende bij den Impetrant als pastoir aldaer beseten”. Es hatte
nie eine Lostrennung Hergenraths von Walhorn stattgefun-
den, folglich war der Hergenrather Seelsorger auch weiterhin
rechtlich nur der Vikar einer von Walhorn abhängigen Fi-
lialkirche.
Pfarrer van Weerts wurde gerichtlich verpflichtet, die von
seinem Amtsbruder van den Daele in Hergenrath abgetretenen
Güter und Renten anzunehmen ; das Gericht entschied auch,
er habe gegen den Pfarrer von Walhorn keine Ansprüche
mehr geltend zu machen. Was die Zehnteinnahmen von Her-
genrath betraf, so entschied das Gericht, !/3 stehe dem Her-
genrather Pfarrer zu, die restlichen %3 dem Aachener Marien-
stift. Jedoch müsse, wenn das Drittel des Hergenrather
Pfarrers bei der Verpachtung weniger einbringen sollte als
315 Brabanter Gulden, das Aachener Kapitel aus seinen eige-
nen Zehnteinnahmen soviel beilegen, wie zur Erreichung der
festgelegten Summe erforderlich sei (16).
(Zwischenzeitliche Urteile vom 6. Mai 1768 und 14. Fe-
bruar 1770 lassen wir außer Acht, da sie keine endgültige
Klärung der Streitfrage brachten).
.
39
von den Einwohnern bestimmt wurde, ein Recht, daß” der
Pastor von Walhorn den Hergenrathern energisch absprach.
Die Einsetzungsurkunde vom 27. Juni 1765 wollte Pfarrer
van den Daele sogar durch den Brabanter Oberhof annullieren
lassen (19).
Johannes van Weerts trat sein Amt am 30. Juni 1765 an.
Nach beinahe 17-jähriger Tätigkeit als Pfarrer in unserem
Ort sollte auch er eines nicht alltäglichen Todes sterben. Am
17. April 1782 befand sich der Pfarrer nach der Messe gegen
10 Uhr vormittags in der Sakristei (”am Fuße des Altares”,
schreibt Bürgermeister von Lasaulx in der Gemeindechro-
C nik), wo er die Danksagung verrichtete. In dem Augenblick
wurde er von einem geistesgestörten Mädchen angefallen.
Sie schlug mit einem Hammer auf den Pfarrer ein und fügte
ihm so schwere Kopfverletzungen zu, daß er am 25. April
in Aachen, wohin man ihn gebracht hatte, verstarb. Er wurde
im Totenkeller der St. Foillanskirche beigesetzt.
Die Pfarrchronik vermerkt, der Pfarrer habe versucht,
durch die Kirche zu entkommen und das irre Mädchen abzu-
schütteln. Erst an der Kirchentüre sei ihm dies gelungen. Es
heißt sogar, das Mädchen habe den Priester in einen Finger
gebissen. 25 Kopfverletzungen will man bei Pfarrer van Weerts
gezählt haben.
Im Totenregister von St. Foillan steht zu lesen : ”Rdvs
Dnus von Weertz, pastor dignissimus in Hergenraed. Hic a
quadam filia parochiana sua, furore, ut dicitur, correpto mal-
leo, taliter ad caput percussus, ut mors inde sit secuta. * 25
Aprilis”.
Forsetzung folgt.
LREBOOOKIUIOEIOKCUELOOOEE
Anmerkungen :
1. ”Im Göhltal” Nr. 16, S. 12-29.
2. Staatsarchiv Düsseldorf, Sammlung Hetjens, Nr. 39.
3. Staatsarchiv Düsseldorf, Sammlung Hetjens, Nr. 40.
4. Diözesanarchiv . Lüttich, Visitationsprotokolle, Erzdiakonat
Condroz,
40
5. Pfarrarchiv Walhorn, Ernennungsurkunde v. Lambert Smitz
zum Vikar von Hergenrath v. 18.7.1726 : ”...tibi facultatem
et licentiam ... impertimur ad triennium ut... in Herken-
raedt sub dicta parochia vicarli munus exercueris...”,
6. Pfarrarchiv Walhorn.
7. Ebda.
8. Ebda.
9. V. Gielen, Mutterpfarre und Hochbank Walhorn, S. 30-32.
10. Staatsarchiv Düsseldorf, Sammlung Hetjens, Nr. 39
11. Chr. Quix, Beiträge zu einer historisch-tovographischen Be-
schreibung des Kreises Eupen, Aachen 1837, S. 167 ff,
12. Aus einem im Aachener Domarchiv aufbewahrten Dokument
mit dem Titel: ”Reflexions ä Vecrit de la communaute de
Hergenraedt” geht hervor, daß der Ort damals 80 bis 85
Häuser zählte.
13. Eine grundlegende Untersuchung über die wirtschaftliche La-
ge unseres Gebietes in der österreichischen Zeit liegt bisher
nicht vor.
14. Archives Generales du Royaume, Conseil du Brabant, 1051.
15. Domarchiv Aachen, X.A. 52.
16. Staatsarchiv Brüssel, Conseil du Brabant, 1051.
17. Nach dem Taufregister war der Name ”Van Werst”, doch
hat sich die Form ”van Weerts” durchgesetzt.
18. Diözesanarchiv Lüttich, Erzdiakonat Condroz, Reg. Insti-
tutions.
19. Staatsarchiv Düsseldorf, Sammlung Hetjens, Nr. 39.
41
Verlassener Hof
von M.-Th. Weinert
Schweres Gemäuer
auf hoher Weide
umschließt im Geviert
den verlassenen Ort...
Fenster entfielen
den morschen Rahmen,
lassen den Blick ein
in leere Behausung.
Schwärzlicher Rauchfang,
Schnitzwerk am Wandbrett,
wem gabt Ihr Wärme,
Heimat und Hort ?
Urahn und Enkeln
N dienten die blauen,
steinernen Fliesen,
knarrte die schmale,
gewundene Stiege
jahrhundertelang.
Letzte der Erben,
was trieb Euch fort ?
Seht, es lagert noch
Heu in der Scheune,
faulig, es fehlt
manche Schindel im Dach,
und unter feuchten,
mulmigen Balken %
wartet noch immer der Leiterwagen...
Kehrt niemand heim ?
Moos überwächst
. das Holzkreuz im Hofe,
3} löscht einen eingeschnittenen Namen,
doch -an die Stille der Steine gelehnt, -
blüht, so wie früher,
der Apfelbaum.
|
|
|
|
42
Rechtschreibenormen für das Südniederfränkische
von Rene Jongen
Mit mehreren Punkten der von P. Xhonneux gemachten
Vorschläge zur Schreibung der südniederfränkischen Mund-
arten (siehe ”Im Göhltal” Nr. 16, 2-74, S. 94-97) kann ich
nicht einverstanden sein. Es werden dabei m. E. grundlegende
Kriterien übersehen, die bei der Erarbeitung eines solchen
Schreibsystems beachtet werden sollten. Ich möchte hier einen
Gegenvorschlag machen, in dem bewußt versucht wird, einer
Gesamtheit von verschiedenen pertinenten Kriterien gerecht
zu werden. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß hier-
mit eine Polemik angezettelt wird, die anderorts bereits vor
mehr als einem halben Jahrhundert ausgetragen worden ist
(etwa für den Aachener Dialekt ab 1912, siehe Hermanns,
1970, S. XXVII folg.). Dieses ”kulturelle” Nachhinken braucht
nicht unbedingt als schimpflich gedeutet bzw. empfunden zu
werden. Nur sollte man versuchen, den größten Nutzen zu
ziehen aus den uns inzwischen zuteil gewordenen sprachwis-
senschaftlichen Errungenschaften ...
Erfunden werden soll ein für die schriftliche Wiedergabe
aller denkbaren mundartlichen Spracheinheiten angemessenes
Schreibsystem (Schreibung). Die Frage ist aber, nach welchen
Kriterien die Angemessenheit einer Schreibung bewertet wer-
den soll. Die Antwort auf diese Frage ist rein funktionsbe-
stimmt : erst nachdem ich weiß, wozu ein solches Schreib-
system dienen soll, bin ich imstande, über dessen Adäquatheit
zu urteilen.
Was ist die Funktion eines Schreibsystems in unserem
spezifischen Falle? Es soll ein System von Symbolen sein,
das den Sprechern eines mehr oder weniger einheitlichen
Mundartgebietes (des sog. Südniederfränkischen) die Möglich-
keit bietet, die Worteinheiten des jeweiligen gesprochenen
Dialekts schriftlich darzustellen, und zwar so, daß beim Leser
eine entsprechende Dekodierung gesteuert wird. Voraussetzung
ist natürlich, daß der geschriebene Text nur von dem, der die
Mundart bereits kennt, verstanden werden soll. Dies bedeutet,
43
daß der Dekodierungsprozeß eher ein Wiedererkennen von
bereits Bekanntem sein darf (und daß die Transkription keine
phonetische zu sein braucht). Vom Standpunkt des Hörers
(Lesers) aus gesehen, soll die Schreibung demnach zunächst
dem grundlegenden Kriterium der Unzweideutigkeit genügen :
zumindest jene Lautunterschiede, die in der betreffenden
Mundart eine distinktive, d. h. wortformdifferenzierende Funk-
tion ausüben, sollen in der graphischen Wiedergabe in ein-
deutiger Weise zum Ausdruck kommen. Wird dieser Grund-
satz systematisch durchgeführt, so besteht die Garantie, daß
die Worteinheiten immer richtig interpretiert werden. Dies
ist das phonologische Prinzip: verschiedene Worteinheiten,
denen in der gesprochenen Sprache verschiedene Ausdrucks-
formen entsprechen, werden nach diesem Prinzip anhand von
verschiedenen Symbolen dargestellt ; identische Wortformen
bzw. identische Bestandteile verschiedener Wortformen, wer-
den anhand von identischen Symbolen dargestellt. Wenn dem-
nach etwa die mundartlichen Entsprechungen für Bart und
Markt mit der Zeichenfolge aat dargestellt werden, ohne daß
eine minimal verschiedene Graphie vorgesehen wäre, mit der
aat opponieren würde (Xhonneux S. 95), so geht dadurch eine
für die Wortformidentifizierung wichtige Information verlo-
ren : in beiden Wörtern ist der Vokal zwar lang, er hat jedoch
zusätzlich Trägheitsakzent (wie etwa in zaal = Saal, vaan =
Farn, schaaf = Schrank, graaf = Grab, paat = Pate, haas
= Haß, gaas = Gast...). Für die mit diesen Formen minimal
opponierenden Wörter maat = Dienstmädchen (”Magd”’),
zaal = Sattel, vaan = Fahne, schaaf = Hobel, graaf = Gra-
ben, paat = Teil (Ndl. part), haas = Hase, gaas = Gas...),
die alle Schärfung haben, soll also ein verschiedenes graphi-
sches Symbol vorgesehen werden (etwa maa:t, zaa:l, vaaın . . .)
Anderseits gibt es in jeder Sprache Lauteigenschaften,
die keine distinktive Rolle spielen, weil deren Auftreten durch
allgemeine Gesetze der Koartikulation gesteuert wird. Es
handelt sich meistens um allgemeine Sprechregeln, die sich
die Mitglieder der Sprachgemeinschaft von Kind auf ange-
eignet haben und über die sie eine quasi automatische Kon-
trolle besitzen. Da vorausgesetzt werden darf, daß der Leser
die Mundart kennt, brauchen solche durch fast unbewußte
44
Anwendung von automatischen Regeln produzierbaren Laut-
erscheinungen nicht mit in die Schreibung aufgenommen zu
werden. Ein schönes Beispiel, das für zahlreiche germanische
Sprachen und Mundarten gilt, ist die Sprechregel, nach der
ein stimmhafter Konsonant im absoluten (Silben) Auslaut
stimmlos ausgesprochen werden soll : die deutschen Graphien
Land, Bad, Tag, usw. werden demnach automatisch als lant,
bat, tak ausgeprochen (1). Ich komme unten auf diese Fälle
zurück.
Auch etwa der Sachverhalt, daß ein langer Vokal in ein-
silbigen Wörtern länger ausgesprochen wird als in mehrsil-
bigen Formen, kann als das Ergebnis der Anwendung einer auto- %
matischen Sprechregel gedeutet werden. (z. B. in maak = mache
ist der Vokal etwas länger als in maake = machen). Es handelt
sich hier um eine Regel, nach der die tatsächlichen Dauerverhält-
nisse eines Vokals aus sprechtaktlichen Gründen der Gesamt-
dauer der Worteinheit angepaßt werden (geringere Dauer des
Vokals bei größerer Gesamtdauer der Worteinheit und umge-
kehrt). Es ist aber anzunehmen, daß diese unterschiedliche
Verteilung der physikalischen Vokalquantität (2) von den
Mundartgebrauchern nach den Anweisungen einer automa-
tischen Sprechregel vorgenommen wird. Diese Unterschiede
können demnach in der Graphie ohne weiteres unberücksich-
tigt bleiben. So muß der von Xhonneux gemachte Unterschied
zwischen etwa mäke und baat als eine völlig überflüssige,
das Schreibsystem mit entbehrlichen Symbolen überlastende
Differenzierung gedeutet werden. Beide Wörter haben einen
phonologisch gleichen Vokal, nur wird er durch Anwendung
einer automatischen Sprechregel im einen Fall kürzer reali-
siert (also : maake und baat).
Das phonologische Prinzip fordert also, daß distinktive,
für die Wortformidentifizierung unentbehrliche Laute in ein-
deutiger Weise repräsentiert werden, daß nicht-distinktive,
durch Anwendung einer allgemeinen Sprechregel prädizier-
bare Erscheinungen dagegen ignoriert werden können (und
aus systemökonomischen Gründen ignoriert werden sollen).
Hiermit ist jedoch nur ein - wenn auch fundamentaler -
Aspekt der oben gegebenen funktionalen Definition eines
45
Schreibsystems berücksichtigt. Aus dieser Definition ergeben
sich noch zwei weitere Faktoren, mit denen zu rechnen ist :
1. der Tatbestand, daß das Schreibsystem nicht von dessen
Interpretanten und Gebrauchern losgedacht werden kann ;
2. der Tatbestand, daß das System teilweise spezifischen
Zwecken dienen soll.
Da das Schreibsystem von Mundartschreibern und -lesern
verwendet werden soll, muß es derart konstituiert sein, daß
es einfach zu handhaben ist und daß es sich jeder mühelos
aneignen kann. Dies hat zunächst zur Folge, daß womöglich
versucht werden soll, jene Zeichen und Zeichenwerte zu ver-
wenden, die bereits in den Alphabeten jener Hochsprachen
vorkommen, mit denen die Mundartsprecher sowieso vertraut
sind. ‘In diesem Zusammenhang muß bereits auf den oben
erwähnten zweiten Punkt eingegangen werden : das zu ent- |
werfende Schreibsystem soll dem spezifischen Zwecke dienen,
verschiedene, in gewissen wenn auch geringen lautlichen Er-
scheinungen voneinander abweichende Mundarten graphisch
wiederzugeben. Die Schreibung soll sowohl Mundartschreibern
aus der Eupener Gegend dienen wie solchen aus dem Mont-
zener, Heerlener oder Aachener Bereich. Dies bringt mit sich,
daß es nicht angeht, eine der drei in diesem Grenzbereich als
Kultursprache verwendeten Hochsprachen zu stark zu bevor-
rechten. Sollten in der Schreibung etwa systematisch Zeichen-
werte vorgesehen sein, die dem alleinigen hochdeutschen Wort-
bild entnommen sind (z. B. Bezeichnung der Vokallänge durch |
ein folgendes h, etwa nehmen), so wären alle nicht-deutsch-
kundigen Mundartsprecher insofern benachteiligt, als von |
ihnen verlangt würde, daß sie sich eine große Anzahl von |
höchst spezifischen Regeln aneignen. Ausgegangen werden
kann jedoch von jenen Zeichen, die in allen drei Sprachen
einen identischen bzw. ähnlichen Wert haben (etwa a, b, d, f,
i,k, l, m, n, o, p, r, t; auch etwa, falls sich ein besonderes
Zeichen für einen spezifischen Wert der Vokalkürze als not-
wendig erweist, die Wiedergabe der Vokalkürze durch folgen-
den doppelten Konsonanten, z.B. Dtsch Kette, Ndl. letten,
Frz. cette) (3). Ferner wird das Schreibsystem nur insofern
leicht zu handhaben sein, als es intern kohärent und wider-
spruchslos ist, und nach allgemein, klar formulierbaren Re-
46
geln aufgebaut ist. Das gleiche Zeichen soll überall den glei-
chen Wert haben (4) und umgekehrt soll der gleiche Wert
ständig durch das gleiche Zeichen angedeutet werden.
Das Schreibsystem soll jedoch ferner der Wiedergabe von
verschiedenen leicht von einander abweichenden Mundarten
bzw. Mundartregistern dienen. Der jeweilige Sprecher/Schrei-
ber soll zumindest über die technische Möglichkeit verfügen,
spezifische Besonderheiten seines eigenen Dialekts zum Aus-
druck zu bringen. Solche Eigentümlichkeiten können verschie-
dener Art sein, je nachdem ob sie distinktiver oder nicht-
distinktiver Natur sind. Beide können ferner einen ganzen
Dialekt kennzeichnen oder nur die Sprache einer begrenzten
Gruppe von Sprechern innerhalb eines Dialekts. Spezifische
Erscheinungen distinktiver Natur müssen ihren Ausdruck in
der Schrift finden können. So machen viele Sprecher im
Montzener Bereich keinen Unterschied mehr zwischen einem
geschlossenen /e/ (z.B. Welter, Nol, S. 4 und 7: treke =
ziehen, tele = zählen, bet = Biß) und einem offenen /i/ (5)
(z. B. Welter, Nol, S. 7: schlike = schlucken, wile = wollen,
mit = mit). Für sie haben alle diese Wörter ein /e/ (siehe
Jongen, 1972) (6). Da solche Sprecher den Unterschied /i/: /e/
nicht kennen, kann nicht von ihnen verlangt werden, daß
sie ihn in der Schrift wiedergeben (dies würde heißen, daß
sprachhistorische Kenntnisse von ihnen verlangt werden).
Ähnliches gilt etwa für jene Sprecher, bei denen die stimm-
haften Ach-Laute (7) mit /r/ zusammengefallen sind (sagen
heißt bei ihnen zaare) und die stimmhaften Ich-Laute (8) mit
/j/ (lügen heißt bei ihnen leeje). Wichtig in dem hier erörter-
ten Zusammenhang ist jedoch nicht der sprachwissenschaft-
liche Standpunkt - etwa die Frage, ob und, wenn ja, in wel-
chem Umfang, eine bestimmte Eigenschaft im Sprechen eines
bestimmten Mundartgebrauchers vorkommt -, sondern der
alleinige pragmatische Standpunkt des Mundartschreibers :
dieser soll nicht zum Phonetiker werden, es wird nicht von
ihm verlangt, daß er den eigenen Sprachgebrauch möglichst
präzise wiedergibt ; aber es soll ihm ein leicht zu handha-
bendes Transkriptionsmittel zur Verfügung gestellt werden,
anhand dessen er ohne allzu große Mühe schriftlich darstellen
kann, was er tatsächlich zum Ausdruck bringen möchte.
47
Selbstverständlich wird die Brauchbarkeit des Schreib-
systems nicht ausschließlich in bezug auf die unmittelbaren
Interpretanten bestimmt (Schreiber, Leser), auch muß der
Tatbestand berücksichtigt werden, daß der geschriebene Text
vielfach zum gedruckten Text werden soll. Dadurch tritt als
weitere Forderung hinzu, daß nur solche Symbole zu verwen-
den sind, zu deren Herstellung es keine drucktechnischen
Schwierigkeiten gibt.
Schließlich möchte ich auf die oben besprochene Sprech-
regel der Entstimmhaftung der Konsonanten im Silbenauslaut
zurückkommen. Der Tatbestand, daß eine solche Regel zur
Sprachkenntnis der Mundartsprecher gehört, kann zur weite-
ren Differenzierung der Worteinheiten ausgenutzt werden.
Dies geschieht bereits - jedoch nur teilweise (9)- im Hoch-
deutschen und Niederländischen : wenn ein bestimmtes auf
echten Konsonanten endendes Sprachzeichen (Wort) je nach
Umgebung zwei verschiedene Formen aufweist, die eine mit
stimmhaften Konsonanten vor folgendem Vokal (z.B. Dtsch
baden, Bunde, rauben, lieber, Tage; Ndl. liederen, hebben,
vegen), die andere mit stimmlosen Konsonanten im Silben-
auslaut (z. B. Bad, Bund, Raub, lieb, Liebling, Tag mit gespro-
chenem t, p, k ; lied, heb, veeg mit gesprochenem ft, p, ch), so
wird im zweiten Fall nicht phonetisch geschrieben, sondern
gemäß der Sprachkenntnis der Sprecher : jeder Deutschspre-
chende weiß, daß die Wörter Bad, lieb, Raub, Tag trotz der
stimmlosen Aussprache des Endkonsonanten in Wirklichkeit
alle auf einen stimmhaften Konsonanten enden (im Gegensatz
etwa zu er bat, bunt, ein Lump, Glück). Sie wissen das, weil
1. baat eben zu baaden wird (während er baat zu wir baaten
wird), und 2. weil es die allgemeine ausnahmslose Sprech-
regel der Entstimmhaftung im Silbenauslaut gibt. Die Ein-
führung dieser Schreibregel, die für die Mundarten auf alle
echten Konsonanten verallgemeinert werden kann, bietet ver-
schiedene Vorteile : Vereinheitlichung der Wortformen (Bad =
Bade = baden); Unterdifferenzierung von Worteinheiten, die
sonst zu Homonymen' (und Homographen) werden würden
(bad : bat ; bund : bunt ; Ndl. lied : liet ; Mundart rat (Ratte) ;
rad (Rad).)
48
Ich möchte nun zu meinem konkreten Gegenvorschlag
kommen. Ich habe als Ausgangsbasis den -an sich reichlich
besetzten - Lautbestand der Moresneter Mundart gewählt (für
die zumindest drei verschiedene Subsysteme ermittelt werden
konnten, Jongen, 1972, S. 81-82). Im wesentlichen werden je-
doch nur die phonologisch-distinktiven Werte berücksichtigt.
Da mein System anderseits nach allgemeinen, klar formulier-
ten Gesetzen aufgebaut ist, dürfte es prinzipiell kaum Schwie-
rigkeiten geben bei Versuchen, es auch für die Transkription
von anderen südniederfränkischen Mundarten zu verwenden.
I. VOKALE
1. Geschlossene Vokale ;
a) /i/ (Ndl. vlieg, Frz. ville, Dtsch mit, obwohl etwas offe-
ner) Mda. kik = gucke, Imperativ
b) /ü/ (Ndl. duren, obwohl etwas länger, Frz. but, Dtsch
Nüsse, obwohl etwas offener) Mda. bük = Bäuche
c) /u/ (Ndl. moeten, Frz. tout, Dtsch Nuß, obwohl etwas
offener) Mda. buk = Bauch
2. Der Murmellaut (das sog. e muet) = /e/, oder /&8/ (in den
Fällen, wo es trotz des Kontextes nicht deutlich sein dürf-
te, ob der Murmellaut oder der Vollvokal /6/ gemeint ist)
Ndl. de, Frz. le, Dtsch ohne, Mda. der = der
3. Bei den Vokalen gibt es eine doppelte Schwierigkeit :
1) der Tatbestand, daß es vier bis fünf (10) distinktiv
verschiedene Öffnungsgrade gibt :
CE BA z. B. ping = Pein schut = Schutt
PLA sting = stand & mut = er muß
€ oo steng = Steine &n mot = eine Motte
2 66 leng = Länder jöt = Gott
a lang = lange schwat = schwarz
2) der Tatbestand, daß jeder dieser Vokale noch zwei-
mal weiter distinktiv unterdifferenziert werden kann,
einmal in kurz : lang, ein zweites Mal in geschärft :
ungeschärft (oder ohne : mit Trägheitsakzent). In die-
ser Weise ergibt sich für das Südniederfränkische ein
überraschend reichlich besetztes Vokalsystem (jeweils
vier Möglichkeiten, z.B. &n mot = eine Motte (mit
49
Trägheitsakzent) ; & mott = er muß (mit Schärfung) ;
Ene moothovvel = ein Maulwurfshaufen (lang und
mit T.) ; moo:t = Mut (lang und mit S.)
Es wäre sinnlos, zu verlangen, daß die somit vorhan-
denen (4 X 13) + 1 (Murmellaut = 53 unterschied-
lichen und distinktiven Vokallaute jeweils transkri-
biert werden müssen. Das Inventar soll also auf ein
Minimum von unbedingt notwendigen Differentiato-
ren reduziert werden. Diese Möglichkeit ergibt sich,
weil eben vorausgesetzt wird, daß der Leser die Mund-
art bereits kennt und das Lesen also im Wesentlichen
ein Wiedererkennen von bereits Bekanntem ist (11).
Anderseits jedoch sollte denen, die für diese Unter-
schiede ein scharfes und williges Ohr haben, und sie
zum Ausdruck bringen möchten, die technische Mög-
lichkeit gegeben sein, sie ohne alzu große Mühe schrift-
lich zu repräsentieren.
Ich schlage deshalb ein maximales Transkriptions-
system vor, das jederzeit auf ein Minimum reduziert
werden kann : |
3) 1A : Das Maximalsystem der Öffnungsgrade (12) |
1) X |
2)r. ZHO : |
3) (e78:10
4) & 56 |
5) a
3) 1B : Das Minimalsystem der Öffnungsgrade
D Od
23) 610 DEE
4) &
5) a
3) 2A : Der Unterschied kurz : lang kann nicht unbe-
rücksichtigt bleiben. Die Länge wird durch Verdoppelung
des Vokalbuchstabens bezeichnet (z.B. naat = Nacht).
Für langes i wird jedoch /ie/ verwendet (z.B. piep =
Pfeife).
Die Länge braucht jedoch nicht angedeutet zu werden
in den Fällen, wo der Langvokal nichts als eine freie
50
Variante des Kurzvokals ist, z. B. land = laand (Land),
welt = weelt (Welt)...
3) 2B : Obwohl die Schärfung ein wichtiges Unterschei-
dungsmittel darstellt, braucht sie nicht unbedingt in allen
Fällen angedeutet zu werden. Da sie anderseits aber eine
der meist charakteristischen Eigenschaften des Südnie-
derfränkischen ist, erscheint es mir empfehlenswert, sie
dennoch womöglich zu bezeichnen. Dies kann durch drei
einfache Regeln geschehen : 1) Trägheitsakzent (Nicht-
schärfung) wird nicht besonders bezeichnet ; 2) Schärfung
bei Kurzvokal wird durch Verdoppelung des folgenden
Konsonanten dargestellt (diese Regel entspricht der Fest- 3
stellung, daß ein geschärfter Kurzvokal tatsächlich als
eine eingekürzte Kürze gehört wird); und 3) Schärfung
bei Langvokal wird durch nachgestellten Doppelpunkt be-
zeichnet.
Also : — dow zis (du siehst), dow kiß oder kriß (du
kriegst), jriez (greis), vie:z (schmutzig, Ndl. vies)
— & met (er mißt), & mett (er mäht), leed (Leid)
€ lee:t (er ließ)
— € welt (er will), weld (wild), ech well (ich will),
well (wilde), steel (Stiel), & vee:l (er fiel)
— € hat (ein Herz), & hatt (er hat), der maat (der
Markt), de maa:d (das Dienstmädchen)
— € ka(n) (er kann), va(n) (von), & kann (eine
Kanne), vaan (Farn), vaa:n (Fahne)...
Wird der auf geschärften Kurzvokal folgende Konsonant
durch ein mehrstelliges Symbol bezeichnet, so wird nur
der letzte Bestandteil dieses Symbols verdoppelt, z.B.
lechht (Licht), &n tangg (eine Zange), wazjjele (”wascheln”
= schwätzen, kuschh (Ndl. koest = ruhig) (im Gegensatz
zu den nichtgeschärften Kurzvokalen in etwa zecht (Sicht),
zeng (singe, Imperativ), vesch (Fisch)).
Wer nicht auf diese Unterschiede eingehen möchte, läßt
sie einfach wegfallen (d.h. zis, kis, jriez, viez, met, met,
leed, leet, hat, hat, maat, maad...). Jedoch sollte dann
wenigstens versucht werden, jede Inkonsequenz zu ver-
meiden (13).
51
4. Die Diphtonge (Doppellaute)
Hier gilt die einfache Regel, daß die Diphtonge in ihre
Bestandteile zergliedert werden, d.h. entweder 1) Vokal
+ Murmellaut /e/ oder 2) Vokal + Konsonant /j/ bzw.
/w/. Da diese Diphtonge nie hinsichtlich der Länge oppo-
nieren, sondern ausschließlich nach den beiden Werten
geschärft : ungeschärft, kann Schärfung in beiden Fällen
durch Verdoppelung des folgenden Konsonanten bezeich-
net werden. Die genauere Qualität des Anfangsvokals,
die bekanntlich von Mundart zu Mundart leicht verschie-
den ist, kann ohne weiteres anhand der Symbole für die
einfachen Vokale bezeichnet werden. In den zwei folgen-
den Umgebungen muß der Murmellaut unbedingt als /&/
repräsentiert werden :
1) nach dem Vokal i (damit keine Verwechslung mit /ie/,
dem langen i-Vokal entsteht) und
2) nach dem Vokal e (damit keine Verwechslung mit /ee/,
dem langen e-Vokal entsteht).
Für die Moresneter Mundart ergeben sich beispielsweise
die folgenden Unterschiede :
1l.a. ki&sch (Kirsche) : dow li&sch (du lernst)
& hüet (er hörte = er würde hören) : & hüett (er
hört)
& ruet (er rührte) : ruett (rot)
b. &peed / & peed (ein Pferd) : twaj peedd / peedd
(zwei Pferde)
ech zöet / zöet (ich seufze) : wöett / wöett (Wörter)
& wöet / woet (ein Wort / er wurde) : &nkö6edd /
koe&dd (eine Kordel)
2.a. schnij (schneide, Imperativ) : schnijje (schneiden)
brej (Brei) : brejj (breite), brejjde / bredde (Breite)
aj (Ei) (anderorts etwa ej) : ajjer (Eier)
b. brüj (”bräute”, Imperativ = wirf) : lüjj (Leute)
döjsch (Tisch), spöj (Speichel), höjschtel (Heustall,
dummer Kerl) : höjj (Heu)
ce. kruwwe (kräuten)
dow (du), row (rauh) : roww (Ruhe)
d. schlaw (schlau) : aww (alte)
52
1Il. KONSONANTEN
1. Die folgenden Symbole bieten keine Schwierigkeiten, da
sie den hochsprachlichen Werten entsprechen : b, p, d, t, k,
f, m, n, r, 1, auch h (dort wo der Hauchlaut tatsächlich aus-
gesprochen wird, z. B. hee = er), Die Symbole c, q, x und
y werden nicht verwendet.
2. Die Konsonanten werden nur nach geschärftem Kurzvo-
kal verdoppelt, z.B. veel (Fell), zat (satt), valle (fallen)...
3. /v/ ist stimmhafter Reibelaut (wie im Nädl. und Frz.), z. B.
vlejsch (Fleisch)
4. /w/ ist ein bilabialer Konsonant (wie im Ndl.), z.B. wat E
(was / Watte) : watt (er wartet)
5. der hintere Nasalkonsonant wird als /ng/ dargestellt, wenn
ihm kein k-Laut folgt ; folgt ein k, dann wird /nk/ geschrie-
ben (wie im Dtschen und Ndl.), z. B. kenk (Kind), kenger /
kengger (Kinder).
6. Für stimmloses s wird das Symbol /s/ verwendet, für den
stimmhaften Laut /z/, z.B. kats (Katze), 1e&(:)ze (lesen),
zaal (Saal), haa(:)ze (Hasen), has (Haß), dow haß (du hast),
paase (passen), see(:)je / tsee(:)je (zeigen)...
7. Der Ich- und Achlaut wird anhand von /ch/ bezeichnet
(wie im Ndl. und Dtschen), z.B. laache (lachen), vrech /
frech (frech), (p)flecht (Pflicht).
8. Der sch-Laut kann entweder völlig konsequent durch die
Symbolfolge /sch/ angedeutet werden, oder aber es werden
die Regeln des Hochdeutschen verwendet, d.h. /s/ vor p
und t, sonst /sch/, z.B. schlöo(:)pe (schlafen), schrie(:)ve
(schreiben), schnup (Schnupfen), schmaal (schmal), pö-
sch(h)e (Ostern), neks nöttsch / neks nötts / neks nöjjts
(nichts Neues), stad / schtad (Stadt), spi& / schpie =
s(ch)pöo(:) (spät)...
9. Der stimmhafte sch-Laut (den es kaum im Ndl. und Dtschen
gibt) wird durch die Symbolfolge /zg/ ausgedrückt, z.B.
der Zjang (der Johann) (14), &n krözjjel (eine Stachelbeere),
wazjjele = wüezjele (”wascheln”, ”wüscheln”).
53
10. Die Lautfolge ts wird als /ts/ geschrieben, z. B. tsoch (Zug).
11. Größere Schwierigkeiten ergeben sich bei der Wiedergabe
der stimmhaften hinteren Reibelaute, vor allem deswegen,
weil hier die Aussprache stark schwankt. Die Differen-
zierung zwischen Reibe- und Verschlußlaut wird meistens
nur ausnahmsweise ausgenutzt (z.B. schwigge = schwei-
gen, mit ndl. frikativem g : brigge = Backsteine, Frz. bri-
ques, mit okklusivem deutschem bzw. frz. g). Sie kann
also ohne weiteres aufgegeben werden. Für die Wiedergabe
der sonstigen Werte möchte ich die folgende Lösung vor-
schlagen 1) Sprecher, die noch den Reibelaut verwenden,
bezeichnen ihn anhand von /g/ (schwigge),
schweigen; zee(:)ge, sägen; glök, Glück; goo(:)d,
gut; waa(:)gel, Wagen; plogge, pflüzen...)
2) Sprecher bei denen der stimmhafte ich-Laut
mit j zusammengefallen ist, können ihn an-
hand von /j/ bezeichnen (schwijje, ze&(:)je,
Höher
3) Sprecher bei denen der stimmhafte ach-Laut
mit r zusammengefallen ist, können ihn anhand
von /r/ bezeichnen (waa(:)rel, plorre . . .).
Die okklusive g-Aussprache kann entweder unmöglich be-
zeichnet werden (Fall 1.), oder sie wird durch /g/ ausge-
drückt (Fälle 2 und 3), z.B. im ersten Gedicht von Tatas,
(Im Göhltal Nr. 16, S. 84), steht (jloet) = jlöet / jlo&t, im
dritten dagegen (S. 86) steht (jegloet) = jeglöet / jeglo&t.
12. Die bereits besprochene Entstimmhaftungsregel im Silben-
auslaut gilt algemein für alle echten Konsonanten, außer
für silbenauslautendes /j/, das stimmlos ausgesprochen
wird (d.h. als ch, Fall 2., oben) sowie für alle silbenauslau-
tenden ng, die nk ausgesprochen werden (= /nk/), z.B.
tobb (Eimer), bad (Bad), trögg (zurück, mit Verschlußlaut),
plogg bzw. plorr (Pflug), ech 1e&(:)g bzw. ech lee(:)ch (ich
lege), lang (lange), lank (lang), ech schrie(:)v (ich schreibe),
ech lee(:)z (ich lese), &n jaraa(:)zj (eine Garage), &n bommb
(eine Bombe); aber pop (Puppe) €&k (Ecke), vof (fünf)...
13. Assimilationserscheinungen an den Stellen, wo dem Grund-
wort eine Flexions- oder Derivationsendung angehängt
54
wird, brauchen nicht in der Schrift bezeichnet zu werden,
z. B. lutsche (lutschen) —» er lutschte = & lutschde / ludzj-
de; maake (machen) —» er machte = & makde / magde;
€ bedd (ein Bett) —> Bettchen = bettsche / beddsche. Assi-
milationen an den Wortgrenzen werden am besten nicht
bezeichnet, z. B. ech vröo(:)g dat (ich frage das) (und nicht
etwa : ech fröo(:)ch tat).
14. Zur Andeutung, daß zwei aufeinander folgende Wortfor-
men eng miteinander verbunden sind, können sie durch
einen Strich verbunden werden, z. B. wann kommt er zu-
rück = winig könt-& trögg / trökk; ich sehe ihn = ech
S zenn-&Em ... %
I.
Auch die im Deutschen geltende Regel, daß Substantive
(Hauptwörter) mit großen Anfangsbuchstaben geschrieben
werden, kann für die Mundart übernommen werden. Dadurch
wird dem Leser eine weitere Interpretationshilfe verschafft.
IV. Allgemeine Schlußbemerkung
Das hier vorgeschlagene Rechtschreibesystem dürfte den
erwähnten Kriterien der Differenzierungsfähigkeit, der Brauch-
barkeit (Handhabbarkeit) und Ausdrucksfähigkeit genügen.
Ferner bietet es den Vorteil, daß sowohl maximal wie auch
minimal differenzierend geschrieben werden kann. Wem etwa
der Schärfungsunterschied oder die sekundären Vokalqualitä-
ten (siehe 3, 1A) als zu ungewiß oder zu kompliziert erschei-
nen, der läßt sie einfach unberücksichtigt... Dem Mundart-
schreiber selbst wird also die Entscheidung überlassen, ob er
dem Leser nur das Allernotwendigste oder noch zusätzliche
Dekodierungshilfen mitgibt. Der Übergang vom einen System
zum anderen fordert keine besondere Anpassung und kann
demnach ohne weitere Umstände vollzogen werden, z.B. für
die mundartliche Entsprechung von Dtsch er hat kann ich
zunächst schreiben & hat oder gar e hat (die Interpretation
er hat ? oder ein Herz ? wird dann dem Leser überlassen), oder
aber ich schreibe e hatt... Vermieden werden soll lediglich
die Verwendung eines Doppelkonsonanten nach nichtgeschärf-
tem Kurzvokal oder nach Langvokal: für die mundartliche
55
Entsprechung von Dtsch ein Herz ist nur die Graphie e hat /
€ hat möglich, für Dtsch Haß ist nur has möglich (im Gegen-
satz zu Tassen = taß oder du hast = dow haß, mit Schärfung).
Zur Veranschaulichung habe ich das dritte Gedicht von
Tatas (Im Göhltal, Nr. 16, S. 86) zweimal nach meinem System
transkribiert, ein erstes Mal dem maximalen System gemäß,
das zweite Mal dem Minimalsystem gemäß (jedoch mit Dop-
pelkonsonanten nach geschärftem Kurzvokal). Aus einem kur-
zen Vergleich der beiden Transkriptionen (der von Tatas und
meiner) ergibt sich, daß die beiden Texte einander über-
raschend nahe stehen. Die wichtigsten Unterschiede sind den
Umständen zuzuschreiben, daß Tatas vielfach weder Länge
noch Schärfung bezeichnet. Auch bezieht er sich m. E. zu sehr
auf das entsprechende hochdeutsche Wortbild.
Zum Gedicht : links steht die Transkription im Minimalsystem;
rechts stehen mögliche Alternativgraphien, die zum maxima-
len System gehören...
De Ammtsbelajdijong De belajjdigong
Der Börjemeester schnapt no Luet Der nö Luet
E hat jraad open Stroot gehuet, jraa:d open Str66:t gehuet
Dat ejen Wi&tschaft jester Naat Wiettschaft ej&n jester
Jet Viezes woet va hömm jezaat. Vie:z&s wö6et hömm
Drömm löpte en eng Rooserej löpte Rö6:zerejj
Trek nojjen Börjemeesterej, nöjjen ...&rejj
En röppt Schampet, wajl - dat es kloor - klö6:r
De jants bestemmt derbej werr woor. bästemmt därbej wö6ir
Denn ajjen / a-jen Teek es, wi me wet, a-jen Tee:k m
De schönnste Plaatsch och va Schampet. De Plaa:tsch
Der Börjemeester hatt no oove Der nö 66:ve
Zech in zi Kabinet bejoove. b&j66:ve
Now röppte zech Schampet alleng.
”Hm zette, makt de Stem zech reng,
Lett aatenövver zech en lett aatenövver
Der Blek enns rööste op Schampet.
Du vrotte &n vrivvt zech der Baat: vrötte
”Wat hatt me övver mech jezaat ? - me
Ech wüür / wüer ne Ezzel? - Es dat wuer?” Wüü:r ne wuerr
Schampet kratst zech &ns / enns aat’r’n Uer: Uerr >
”Joo” - zette, - dat hant vörrje Naat J66
E paar Maan ajjen Teek jezaat, Tee:k
56
Der Pit, der Klöß &n och der Steeve. Klöß der Stee:ve
Dat woole di mech schreftlech jeeve !” woo:18 jee:ve
”Wat ?” -röppt der Börjemeester, -
”Wat?” - En platst bo wi 6 Pollvervat, bö
”Dat wedd döön düür te stue koome ! düür t& k6ö6:me& dö6n
Haß dow dat schreftlech aajenoome ?” aa:je&n66:me
”Nee”, jrommt Schampet, de op-&n Lat
Noch eng va jester ovend hatt, Nöch
”Herr Börjemeester, op et Wo&t et Wöet
Hann ech döön dat &zu@ jeglo&t !” j&glöet dö6n
ARKRKREARNENEERORCOEEE UE NOENKOEXE
Anmerkungen :
1. Diese Sprechregel ist bei vielen Mundarten dermaßen tief
eingewurzelt, daß sie häufig mit in ihr Französisch über-
nommen wird (z.B. Frz. vide wird dann als vie:t ausge-
sprochen).
2. Der beschriebene Prozeß ist jedoch in dem Sinne komplexer
als hier angedeutet wird, daß noch andere Faktoren (etwa
die Stellung des Wortes im Satzganzen) eine determinierende
Rolle spielen. Die Sprechregel bleibt indes eine einfache und
leicht zu handhabende Regel,
3. Diese Regel wird von Xhonneux in inkonsequenter Weise
angewandt, z. B. doeff —= Taube, aber Tob = Eimer.
4. So verwendet Xhonneux einen Zirkumflex, einen Gravis
(accent grave) und einen scharfen Akzent (accent aigu) in
anscheinend dermaßen verwirrender Weise, daß nicht ein-
mal für eines der drei Zeichen ein einheitlicher Wert auf-
gestellt werden kann. Anderseits sind die Vokale von etwa
duvv = Taube und huuz = Haus fälschlicherweise als Diph-
tonge (Doppellaute) interpretiert und anhand des dem nie-
der'’ändischen Alphabet entnommenen Doppelbuchstabens
/ce/ dargestellt. Dadurch wird gegen die stillschweigend
aufgestellte Regel verstoßen, daß ein Doppellaut durch eine
Folge von nicht-identischen Vokalgraphen repräsentiert wird.
5. WELTER, NOL, verwendet für diesen Laut das Symbol /i/
(das untergesetzte diakritische Zeichen soll die offene Qua-
lität des sonst geschlossenen i andeuten); XHONNEUX ver-
wendet hier ein kursiv geschriebenes i.
6. z.B. e wet (er weiß) und e wit (ein Weißes) sind für sie
völlig gleichlautend.
7. d.h. die stimmhaften hinteren Reibelaute (Ndl. g, wie in
plosgen), insofern, als sie nach hinterem Vokal auftreten
(nach u, o, 6, a). Siehe über diese Erscheinung, JONGEN,
1972, S. 63-70
8. d.h. die stimmhaften hinteren Reibelaute (Ndl. g, wie in
liggen), insofern, als sie nach vorderem Vokal, nach Kon-
sonanten (l, r) oder am Wortanfang auftreten. Siehe über
diese Erscheinung, JONGEN, 1972, S. 63-70.
57
9. Nicht-hintere Reibelaute (d.h. die Konsonanten Nädl. v, f£,
und Ndl./Dtsch z, s) werden im Silbenauslaut als /f/ bzw.
/s/ geschrieben (im Deutschen dient der Einzelbuchstabe /s/
auch in anderen Stellungen zur Bezeichnung des stimmhaften
Konsonanten z, z.B. sagen, lesen...). Beispiele : Ndl. geven
—> ik geef, lezen —>» ik lees, Dtsch im Grase —» das Gras.
10. Nur vier bei jenen Sprechern, die den zweiten Öffnungsgrad
nicht kennen (siehe oben).
11. Der Situations- und Satzkontext trägt sehr stark zu diesem
Wiedererkennen bei: so ist der Anfang des zweiten Verses
von G. TATAS, ”De Amtsbeleidigong” (Im Göhltal. Nr. 16,
S. 86) an und für sich mehrdeutig (er hat? oder ein Herz ?
oder in Herz? oder in hat ?; jrat ? oder jratt ? oder jraat?
oder jraa:t ?). Der Satzkontext (e hat... jehuet, dat...) und
die Kenntnis der Mundart (nur jraa:t = gerade, Adverb, ist
eine im mundartlichen Lexikon vorhandene Worteinheit) er-
möglichen jedoch die richtige Interpretation (er hat gerade).
12. Das Symbol /e/ steht also bereits hier für zwei verschiedene
distinktive Werte (Vollvokal dritten Öffnungsgrades und
Murmellaut). Hierdurch verursachte Zweideutigkeiten kön-
nen jedoch in den meisten Fällen durch den Kontext aufge-
hoben werden (wie etwa im Ndl. und Dtischen, z.B. leben).
Aus drucktechnischen Gründen habe ich für den vorderen
gerundeten Vokal dritten Grades das Symbol /ö/ gewählt.
13. So verwendet TATAS im oben erwähnten Gedicht verschie-
dene Graphien für die gleiche Worteinheit (z.B. röpt, röpte,
röppt ; oppen, op en, op et). Leicht zu handhaben wäre für
die Kurzvokale die folgende Regel: nur dann ein Doppel-
konsonant, wenn tatsächlich Schärfung vorhanden ist (z.B.
im gleichen Gedicht : schnapt, hatt, open, ejen, jet, hömm,
drömm, löpte, nojjen, ajjen...). Die komplexeren Symbole
für die Konsonanten werden dann nicht verdoppelt (z.B.
lecht, tang...).
14. Im zweiten Gedicht des von TATAS aufgestellten Lachtri-
noms erscheint der Zjang als ”Jang” (obwohl zwei Zeilen
weiter ”Jong” ganz anders zu lesen ist).
MOON NN
Literatur :
HERMANNS, Will, Aachener Sprachschatz, Wörterbuch der Aache-
ner Mundart, Beiträge zur Kultur- und Wirtschafts-Geschichte
Aachens und seiner Umgebung, Ausgabe 1, Aachen, 1970.
JONGEN, Rene, Phonologie der Moresneter Mundart, Eine Be-
schreibung der segmentalen und prosodischen Wortformdia-
krise, Studia Theodisca XII, Assen, 1972.
WELTER, Wilhelm, Die Niederfränkischen Mundarten im Nord-
osten der Provinz Lüttich, Noord- en Zuid-Nederlandsche
Dialectbibliotheek Deel IV, Haag, 1933.
XHONNEUX, Pierre, Pour une grapie plus rationnelle du patois,
in, : Im Göhltal, Nr. 16, 2-74, S. 94-97.
58
Rückblick auf den Werdegang der Theatergruppe
der Kelmiser Patronage
von Franz Uebags
Einleitung
Über die Tätigkeit der Amateurschauspieler in der Kel-
miser Patronage ist bisher noch nichts niedergeschrieben wor-
den. So kam mir als langjährigem Mitglied dieser Gruppe
der Gedanke, einen historischen Rückblick bis in die Anfänge
des Theaterspiels in Kelmis zu tun.
Diese Theatergruppe der ”Patronage” hat immer nur ein
Ziel verfolgt : der Bevölkerung eine gesunde, moralisch ein-
wandfreie Unterhaltung zu bieten. Ritterschauspiele und Dra-
men der früheren Jahre, Sing- und Lustspiele in unserer zeit
haben bei den Zuschauern immer reichen Beifall geerntet.
Kurz, das, was man den Zuschauern bot, kam gut an. Ich
denke aber nicht daran, die Theatergruppe jetzt zu ”beweih-
räuchern”; ich werde mich bemühen, den Verlauf der Dinge
so wiederzugeben, wie sie sich abgespielt haben.
Ich darf getrost behaupten, daß ein großer Teil der heu-
tigen Kelmiser Amateurspieler in der Patronage debütiert ha-
ben; nachdem sie dann eine gewisse Routine erworben hatten,
gingen manche zu anderen Theatervereinen über. Wie in allen
Vereinen oder ähnlichen Organisationen kam es auch bei uns
zu Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen. Die
zu einer Schwestergesellschaft übergegangenen Spieler ver-
ursachten sinnlose und unnütze Reibereien, die dann oft von
beiden Seiten geschürt wurden. Die Vereine versuchten, sich
gegenseitig zu übertrumpfen. Zum Glück sind solche Kon-
kurrenzkämpfe meist wieder schnell beigelegt worden. In
Kelmis ist man immer schnell bereit, wieder Frieden zu
schließen ...
Die Theatergruppe des Jugendheims bzw. Pfarrsaales hat
früher wie heute nie.für eigenen Gewinn gespielt. Immer galt
die Mühe einem guten Zweck oder, wie wir in unserem Platt
59
sagen, man spielt ”vör et Herrejöttsche” (für den Herrgott).
Die Einnahmen dienten stets dazu, das dauernd reparaturbe-
dürftige Gebäude zu unterhalten. Viele der Reparaturen wären
uns erspart geblieben, wenn die dort verkehrende Jugend
ihren Übermut etwas gezähmt hätte...
Vielen wird in Erinnerung geblieben sein, daß in diesem
Hause bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges keine ”ge-
mischte Bühne” gestattet war. Das hat früher zu mancher
Diskussion geführt, stellten unsere Spieler doch oft die Frage,
warum denn im Eupener Kolpinghaus das Spiel mit Damen
erlaubt sei, in Kelmis aber nicht. Die Antwort, es sei dies
eine vom Bistum getroffene Maßnahme, befriedigte nur we-
nige. Die ”gemischte Bühne” blieb ein heißes Eisen. Man hatte
den Eindruck, hier würde von Seiten der Obrigkeit mit zwei-
erlei Maß gemessen, und so entstanden bei jeder Gelegenheit
herbe Kritiken. Auch vermuteten manche, die damaligen al-
ten Herren des Vorstandes hätten in ihrer tiefreligiösen Ein-
stellung dies so beschlossen, weil sie im gemischten Spiel
vielleicht eine Gefahr für die ihnen unterstellten jungen Leute
sahen. Bei unserer heutigen Lebenseinstellung würden wir
einen solchen Beschluß als lächerlich bezeichnen. Die leitenden
alten Herren haben sich energisch bis zum Ausbruch des
Zweiten Weltkrieges durchgesetzt und nie daran gedacht, in
Punkto ”gemischte Bühne” eine Statutenänderung vorzu-
nehmen...
Die Gründung der Theatergruppe
Gleich zu Beginn möchte ich darauf hinweisen, daß diese
Gruppe nie ein Verein gewesen ist, sondern lediglich eine
Spielschar, die sich innerhalb des Hauses gebildet hatte. Im
Gegensatz zu anderen Vereinen ist die Theatergruppe denn
auch nie von einem freigewählten Vorstand geführt worden.
Es hat auch nie einen Schriftführer gegeben, der Protokoll
über die verschiedenen Tätigkeiten oder Beschlüsse geführt
hätte. So blieb also, um die Geschichte dieser Gruppe zu
schreiben, nur der Weg der direkten Zeugenbefragung, und es
galt, Personen zu finden, die die Anfänge noch miterlebt ha-
ben. Einige der Herren, die ich 1968, als ich diese Chronik
anfing, angesprochen oder angeschrieben habe, sind inzwischen
verstorben.
60
Genau wie heute sorgte auch in früheren Zeiten die Pfarr-
geistlichkeit sich besonders um die heranwachsende Jugend.
Der aus Ulfingen (Gr.-Herzogtum Lux.) stammende Priester
Guillaume Kept kam am 7. Februar 1896 in das neutrale
Gebiet ; am 28. Oktober 1900 wurde er zum Pfarrer von Kel-
mis ernannt. Vier Jahre später schickte der Bischof den in
Homburg geborene Henri Bosch als Kaplan zu den Neutralen.
Pfarrer Kept und Kaplan Bosch bildeten ein gutes Gespann,
das mustergültig zusammenarbeitete.
Kaplan Bosch hatte schon bald festgestellt, daß für die
heranwachsende männliche Jugend etwas getan werden mußte.
Ihr stünden, so meinte er, nur die Straße und das Wirtshaus .
offen. Diese Jugend ohne festes Ziel zu sehen, quälte ihn.
Im Einvernehmen mit seinem Pfarrer faßte er den Entschluß,
für die Jungen ein Pfarrheim einzurichten. Der Entschluß
stand fest, nur stellte sich die Frage nach den dazu nötigen
Mitteln. Nach langem Sinnen und Überlegen meinte der Ka-
plan, ein energiegeladener Mann mit eisernem Willen, die
Lösung des ihn bedrückenden Problems gefunden zu haben.
Im Oktober 1907 hatte er erreicht, was er wollte : in der *
Kaplanei, die damals dem heutigen Gemeindehaus gegenüber
lag, stellte er seine eigenen Räume als Pfarrheim bzw. Unter-
kunft für die Jugend zur Verfügung. Dies zeigt wohl zur
Genüge, daß es Kaplan Bosch wirklich eine Herzensangelegen-
heit war, die Jugend von der Straße zu bekommen.
Jeden Sonntag lud er nun eine Anzahl junger Burschen
zu sich ein. Böschke, so pflegte man ihn zu nennen, verstand
es großartig, die versammelten Jungen durch Spiel und Ge-
sang zu unterhalten. Geschichten wurden gelesen und keiner
kam daran vorbei, eine Passage vorzulesen, wobei der Kaplan
großen Wert auf gute Aussprache legte. Er spornte die Jungen
an, selbst auswendig gelernte Gedichte vorzutragen, worauf, wie
ich erfahren konnte, ein Wetteifern im Gedichtelernen begann.
Wie mir mein Informant, Herr Peter Braun, erzählte, war
der Kaplan gewiß schon damals auf der Suche nach talen-
tierten Theaterspielern. Auf diese Art habe er die Burschen
getestet und ihre Fähigkeiten beurteilen können. Am zweiten
62
Beim ersten Auftritt haben Leonard Kohl und Peter Herff,
bekannt unter dem Namen ”Pitt en Nades” mit komischen
Vorträgen die Pausen ausgefüllt. Leonard Kohl weiß heute
noch, was er damals vorgetragen hat. ”Der Seiltänzer”, ”der
Michel in der Tanzstunde” und ”Schuster Sohle” hießen die
Einlagen. Ein schöner Start, sagt ”Nades”. Die Leute seien
alle zufrieden nach Hause gegangen. Ich erfuhr auch von
Nades, daß die Theatergruppe der Patronage zum ersten Male
am 14. Januar 1909 auftrat und Kaplan Bosch selbst Regie
führte. ”Dann kannst Du auch noch schreiben”, sagte Nades
lächelnd, ”daß der Eintrittspreis an diesem Abend ein ganzer
Franken war”. f
YV2r = 9
CA A
( SA Ad
Ü OO
38
7 Pal Het‘ — Leonard Kol, genannt PH en Anden komisches Du, Atnbarg Athen
”Mit unserem ersten Programm”, so sagte mir Herr Braun,
”gastierten wir anschließend in Homburg, Gemmenich und
Raeren. Unsere Mühe erntete unerwarteten Erfolg”.
Kaum waren die letzten Ansichten und Kritiken zum
ersten Theaterabend verklungen, da übertrug der fortwährend
planende Kaplan das Regisseuramt dem schon eben erwähnten
Peter Herff. Diesem Manne wird nachgesagt, daß er mit
großem Eifer und sehr geschickter Disziplin sein Amt ausführte.
Auf den Spielplan des Winters 1910 setzte Herff ”Hansjörg
der Findling”. Er griff auf die schon ”routinierten”” Spieler
64
Gebäudes anzufertigen. Dem hiesigen Bauunternehmer Niko-
laus Emonts wurden kurz darauf die Bauarbeiten übertragen.
Kaplan Bosch brachte in der Zwischenzeit die beträchtliche
Summe von 21.000 Franken zusammen. Jedoch wurde ihm
die Freude, sein Projekt verwirklicht zu sehen, nicht zuteil.
Er starb schon am 16. November 1910, im frühen Alter von
34 Jahren. Ein großer Verlust für die Pfarre, die in der Patro-
nage, dem Pfarrheim, eine stete Erinnerung und ein Denkmal
seiner Hingabe und Aufopferung vor sich hat.
Nach dem Tode des Geistlichen liefen die Arbeiten an
der Patronage zügig weiter. Ein halbes Jahr später konnte das
neue Heim seiner Bestimmung übergeben werden. Die Thea-
terspieler fanden dort alles, was sie brauchten, Räume und
vor allem eine große Bühne.
Im Winter 1912 spielten Herff und seine Truppe zum
ersten Male auf der neuen Bühne, Leider war nicht mehr zu
erfahren, mit welchem Stück diese Bühne sozusagen einge-
weiht wurde. Auch im folgenden Jahr, dem letzten Friedens-
jahr, kamen viele Zuschauer, das Spiel der Truppe zu be-
wundern.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges, am 4. August 1914,
änderte sich alles. Die deutsche Wehrmacht machte aus der
Patronage erst ein Spital und später eine Kaserne. Jegliche
S Vereinsaktivität ruhte während der Kriegsjahre. Die meisten
Spieler und auch der Regisseur standen unter den Waffen.
Die frohe Kunde des Waffenstillstandes am 11. November
1918 brachte auch recht bald die Freigabe des Pfarrheimes
mit sich. Die Landsturmkompagnie, die dort Unterkunft ge-
funden hatte, rückte im Januar 1919 ab. Nun konnte das
Gebäude wieder seinem ursprünglichen Zwecke dienen. Laut
Pfarrchronik veranlaßte Kaplan Josef Wenders die Wieder-
eröffnung. Kaplan Wenders (aus Gemmenich) kam im Sep-
tember 1919 nach Kelmis. Zusammen mit seinem Konfrater
Kaplan Josef Simons aus Bleyberg, der am 24. November 1908
nach Kelmis gekommen war, unternahm Wenders alles, die
Folgen des Krieges auszuräumen und der heruntergekomme-
nen Patronage wieder einen würdigen Anblick zu geben. Wie
mir Herr Jacques Fryns erzählte, hat er zusammen mit Herrn
65
Jean Hendricks die übereinander stehenden Soldatenbetten
auseinander geschlagen und daraus Bänke für den Raum an-
gefertigt. Das vorhandene Mobilar war arg in Mitleidenschaft
gezogen worden. Vieles mußte notdürftig ersetzt werden und
für die Freizeitschreiner gabs viel zu tun, denn wollte man
wieder Theater spielen, so mußten vor allem Sitzgelegenheiten
geschaffen werden.
Wie dann das Spiel nach dem Ersten Weltkrieg wieder
anlief, konnte ich nach manchem Hin und Her von einem ge-
bürtigen Kelmiser und Veteranen der Truppe, dem in Esch-
weiler ansässigen Herrn Nikolaus Schneider, erfahren. Er
schrieb mir :
”Mit dem Theaterspiel in der Patronage haben wir 1919
begonnen. Damals waren wir noch alle sehr jung. Wir waren
durschnittlich im Alter von 16-17 Jahren. Wir führten Schau-
spiele, Dramen und vor allem Lustspiele auf, manchmal aüch
Duette und Singspiele. 1921, bei einem Theaterwettstreit in
Welkenraedt, konnten wir unseren schönsten Erfolg verbu-
chen. Dort wurde uns mit dem Lustspiel ”Der Herr Professor”
der erste Preis zugesprochen. Vereine aus Gemmenich, Eupen,
Verviers, Vaals und die Gruppe ”Fidele Freunde” aus Kelmis
waren unsere Konkurrenten. Nur diese Gruppen sind mir in
Erinnerung geblieben. Mit Pferd und Wagen brachte uns
Adolf Braun aus der Kirchstraße (heute Klosterstraße) dorthin.
Es war in der Winterzeit, denn während der Fahrt hat es
dauernd geschneit. Der errungene Preis bestand aus Geld
und einem Diplom.
Die aufgeführten Spiele der Reihe nach, wie wir sie ge-
spielt haben, anzugeben, ist mir unmöglich, da mehr als 50
Jahre vergangen sind. Die Schauspiele ”Am Scheideweg des
Lebens”, ”Dein Sohn wird mein Rächer. sein”, ”Das Geheim-
nis auf Schloß Falkenstein” und das Singspiel ”Wer trägt die
Pfanne weg ?” wurden, soviel ich weiß, in den ersten Nach-
kriegsjahren aufgeführt. Ich kann es mit Sicherheit sagen, da
ich selber mit von der Partie war”,
Die Spielschar stand nach wie vor unter der Regie des
Herrn: Herff, der auch zusammen mit dem geistlichen Ratge-
ber Kaplan Simons die Auswahl der Stücke traf. Auch ließ
67
Regisseur Herff war dauernd bestrebt, neue Stücke ein-
zustudieren. So sah man unter seiner Leitung in den Jahren
1921-25 ”Die Grafen von Uhlenhorst”, ”Der Renegat”, ”Der
edelmütige Sohn” und ”Das Geheimnis auf Schloß Falken-
stein”. Alle diese Stücke bedurften eines mehrmaligen Büh-
nenbildwechsels und nach jedem Akt kam es zu einer längeren
Pause. Die Spieler selber waren Kulissenschieber. Die Uhr
schritt voran, aber den Abschluß bot ja immer ein Lustspiel,
das die Lachmuskeln in Bewegung versetzte.
Auf Bänken und Gartenstühlen, in Mantel und Schal
gehüllt, harrten die Zuschauer aus. Die beiden Öfen, die links
und rechts des Saals standen, spendeten zu wenig Hitze für
den großen Raum. Heute ist das Innere des Saales durch
eine zweite, tiefer gezogene Decke, niedriger geworden. Früher
sah man die im Dach befindlichen Glasscheiben und der rauh-
betonierte Fußboden, auf dem wegen der Feuchtigkeit stellen-
weise Moos wuchs, machte es den Zuschauern noch ungemüt-
licher. Dennoch erschienen sie immer in großer Zahl.
Schwierigkeiten im eigenen Lager
Wie bei so vielen jungen Unternehmen kam auch bei
der Theatergruppe der Patronage nach einer Glanzzeit eine
Zeit der Krisen. Pastor Kept verließ die Pfarre im November
1920. Im gleichen Monat übernahm Pastor Scherrer das Pfarr-
amt in Kelmis. Kaplan Simons nahm 1924 seinen Abschied,
er wurde durch Kaplan Boutsen ersetzt. Nun Oblag es Kaplan
Wenders, die Geschicke der Patronage zu leiten. Wer diesen
Mann gekannt hat, dürfte zustimmen, wenn man sagt, er
habe vor der Arbeit nicht kapituliert. Am 11.10. 1925 grün-
dete er die Kelmiser Abteilung der ”Christlichen Arbeiter-
jugend” (J.O.C.). Dies sollte manchen jungen Theaterspieler
in Konflikte bringen, da es nunmehr sehr oft vorkam, daß
sie zur festgesetzten Probenzeit auch einen Termin der Arbei-
terbewegung hatten. Die alten Spieler waren unzufrieden und
hatten das Gefühl, man wolle sie auf Seite schieben. Die jün-
geren warfen den älteren vor, sich nicht an die abgemachten
Probenanfangszeiten zu halten und erst ein Plauderstündchen
einzulegen, ehe sie sich zur Bühne bequemten. Es kam zum
69
wie ”Die Marienritter”, ”Im Strudel der Großstadt”, ”Wilhelm
Tell”, ”Kronen und Palmen” und ”Triumph des Glaubens”
haben unter seiner Regie größte Begeisterung geweckt. Die
Spieler, die bei Kaplan Boutsen aushielten, brachten den Be-
weis, echte Liebhaber zu sein ; andernfalls hätten sie die Flinte
ins Korn geschmissen. Hubert und Philipp Hilligsmann, Josef
Dumbruch, Martin Bonni und Leonard Wechseler sind damals
der Truppe beigetreten.
TESTEN NS
8 {|
ee
E22 2 2
6 AM
A BA
On E
0 A VE
E22. Pa OBERES Sa FAR CE
» X AS 28 8 1Ä SEC >
<> CN m 77 5 > HS Po fen Z0A-
A i % 3 WLAN a Yars| TE:
N & As Win 7)
VEN en { \v ke X
(9 5 at BE 18 K =
N Ve RS 4
7 an ir | A CS
LANE | |
Wilhelm Tell
Anfang 1931 nahm Kaplan Boutsen krankheitshalber Ab-
schied von Kelmis. In der Schweiz wollte er Erholung suchen.
Dort starb er am 16. März desselben Jahres.
... und unter Kaplan Joseph Pennings
Er kam 1931 nach Kelmis. Gleich bei seiner Amtsüber-
nahme machte er schon den Eindruck, für das Theaterspiel
nicht viel Erfahrung mitzubringen und auch wenig Verständ-
nis zu haben. In seiner Zeit, es soll dies kein Vorwurf sein,
hingen die Theaterabende stets in der. Schwebe. Es ist sogar
vorgekommen, daß am Tage vor der Aufführung noch keine
Programme ausgehangen haben. Die Dynamik der Spieler
70
nahm durch das phlegmatische Handeln des Kaplans ab und
es entstand eine Flaute, deren Folgen bald zu sehen waren.
Das Niveau sank so tief, daß es schwer war, noch ein Stück
auf die Beine zu bringen. ”Der Bettelstudent”” und ”Die Frei-
beuter” wurden während der Amtszeit von Kaplan Pennings
in Kelmis aufgeführt. Das letztgenannte Stück wurde in Her-
genrath wiederholt.
Es soll nicht der Stab über den Regisseur gebrochen wer-
den. Er verließ Kelmis im August 1934 und verstarb schon
3 Jahre später, am 14. Februar 1937.
Der Retter in der Not .
En 1932 wurde Kaplan Wenders
Fi , zum Pfarrer von Homburg er-
F OO N nannt. Der dortige Kaplan Franz
F$ Oo K | _Darcis trat an seine Stelle in
e 2 2 Kelmis. Der aus Heukolom in
€ a 5 2 der Provinz Limburg stammen-
« PR a A de Priester sprach Deutsch mit
Ce Kr = niederländischem Akzent. Schnell
® P 2 | hatten ihn die Kelmiser lieb ge-
Di 5 2 1 wonnen. Kaplan Darcis zeigte
. ie 9 viel Unternehmungsgeist und
nn Pfarrer Scherrer fand in ihm ei-
\ if ne gute Stütze. 1934 übertrug er
ihm die Leitung des Pfarrheimes
mit der Bitte, sich ebenfalls der Regie der Theatergruppe
anzunehmen. Der Tiefstand der Truppe hatte einen Besucher-
schwund mit sich gebracht und die Einnahmen deckten nicht
mehr die durch den Unterhalt des Gebäudes entstehenden
Unkosten.
Kaplan Darcis ließ die Spieler sich versammeln und legte
ihnen seinen Plan, mit religiösen Spielen einen Aufschwung
zu erzielen, vor. Alle rümpften die Nase und niemand war
so recht mit dem Vorschlag einverstanden. Dennoch setzte
der Kaplan sich durch. Ende Januar 1935 lief zum Namenstage
des Pfarrers das Missionsspiel ”Die drei Weisheiten des alten
Wang” über die Bühne. Herr Josef Fellin, damaliger Gemein-
z1
desekretär, schuf eine beeindruckende chinesische Bühnende-
koration. Das Spiel wurde zu einem unvergeßlichen Erlebnis.
Nie wieder haben es die Spieler gewagt, in der Auswahl der
Stücke den Kaplan zu kritisieren. Calderons ”Die Geheimnisse
der heiligen Messe” wurde mit zweimaliger Aufführung eben-
falls ein großer Erfolg. Nicht unerwähnt bleiben darf auch
das Bergwerksdrama ”Zeche Rote Erde” mit seinen ergreifen-
den Szenen in der Tiefe einer Grube nach einer Schlagwetter-
katastrophe. Peter Zimmer, Leopold Bütz und noch einige
andere Kumpel bauten ein naturgetreues Bühnenbild. Mehrere
Wiederholungen waren nötig.
1936 war das Jubiläumsjahr der Patronage. Zum Ausklang
der Feierlichkeiten hatte Kaplan Darcis auf Verlangen der
Spieler ein Passionsspiel verfaßt, worunter er am 31. August
1936 den Schlußpunkt setzte. Schullehrer Pesche führte die
Regie, Sekretär Fellin sorgte für die Bühnenbilder, Küster
Feter Radermacher leitete die Gesänge und die Theaterspieler
der Patronage übernahmen die Rollen (Siehe ”Im Göhltal”
Nr. 1, S. 38). Niemand hätte damals gedacht, daß Kaplan
Darcis mit seiner Passion einen solchen bis über die Grenzen
des Landes gehenden Anklang finden würde. Die Passion wur-
de inzwischen in den Jahren 1936, 1939, 1950, 1958, 1966 und
zuletzt 1973 aufgeführt. Am 22. April 1973 wurde sie für
Kranke und Körperbehinderte zum 50. Male gespielt.
Leider verließ Kaplan Darcis Kelmis schon 1937. Er wurde
Pfarrer in Schönberg in der Eifel.
Ich vergesse nie, wie Kaplan Darcis uns eines Abends zu
sich rief und uns mitteilte, daß er in seinem Heimatdorf Heu-
kelom mit unserer Truppe ein Lustspiel aufführen wolle. Er
hatte bereits den Einakter ”Der selige Florian” in die Mundart
dieses Ortes übersetzt, die Rollen verteilt und die Proben
festgelegt. Mit Hilfe des geduldigen Kaplans lernten wir die
Sprache und die Aufführung im Limburger Land klappte
tadellos. Man bat uns sogar, noch einmal wiederzukommen,
was wir denn auch im darauffolgenden Jahre taten. Wir spiel-
ten ”Wer melkt die Ziege ?” und ich kann nur sagen, es war
ein Allotrio. Wir haben uns alle köstlich amüsiert und trafen
erst am frühen Morgen wieder in Kelmis ein. Nach dem
73
Auch 1958, wo wieder eine Serie von Aufführungen statt-
fanden, führte Lehrer Pesche Regie. 1966 mußte er aus Krank-
heitsgründen darauf verzichten. Alle, die von 1936 an mit
ihm zusammengearbeitet haben, wissen seine Arbeit zu schät-
zen. Gott gebe, daß er noch lange Jahre die Erfolge der
”Passio Christi” miterleben kann !
Der Gemeindesekretär als Bühnenbildner
5 SEAN Daß der Gemeindesekretär
v || K Josef Fellin sich in seiner Frei-
& = zeit als Hobbymaler betätigte,
. ns | kam Kaplan Darcis sehr gelegen.
2 a Es gelang dem Kaplan, sich die
CR Mitarbeit des Sekretärs bei der
FO JE | Bühnengestaltung zu den ”Drei
\ SEA 24 Weisheiten des alten Wang” zu
KL sichern. Von nun an zählte Jo-
Dr sef Fellin zu den ständigen Stüt-
x An a zen der Theatergruppe.
% 4 Fellin legte den Spieler je-
NE desmal einen Entwurf des Büh-
nenbildes in Kleinformat zur Be-
gutachtung vor. Als man an die Aufführung der Passion
dachte, war es wichtig, auf die Mitarbeit von Fellin rechnen
zu können. Obschon er sich der vielen Arbeit bewußt war,
nahm Josef Fellin ohne Zögern den Auftrag des Bühnenbild-
ners an, als Kaplan Darcis ihn darum bat. Der Sekretär ging
sofort an die Arbeit. Nächtelang hat er im Saal der Patronage
ohne Heizung beim Pinseln verbracht. Zeitweise half ihm
Herr Louis Claes. Wenn ich nicht irre, wurden elf komplette
Bühnendekorationen gemalt, ganz zu schweigen von den klei-
neren Bildern. Bei der ersten Aufführung, am 22.11.1936,
standen alle voller Staunen und Bewunderung vor der Arbeit
des Gemeindesekretärs. 1939, bei der ersten Wiederholung,
spielten alle Darsteller in neuen Kostümen die Jos. Fellin
entworfen, und die seine Gattin in Zusammenarbeit mit Frau
Jos. Heuschen-Voss genäht hatte.
Als nach dem Kriege der Wunsch laut wurde, eine neue
Aufführung der Passion zu erleben, waren leider die dazu
74
benötigten Kulissen und Bühnenbilder unbrauchbar geworden.
Mit Hilfe der Kelmiser Anstreicher schuf J. Fellin wiederum
ganz neue Dekorationen, die auch nach seinem Tode noch
dreimal benutzt worden sind. Den Christusdarsteller hat der
Sekretär auch mit Freude und einem gewissen Stolz frisiert
und geschminkt. Zusammen mit seiner Gattin, die bis zum
heutigen Tage die Verantwortung für die Kostüme und deren
Pflege trägt, hat er der Patronage und der ”Passio Christi”
unbezahlbare Dienste geleistet. Er starb leider zu früh, am
12. Februar 1951.
Das Schminken
Wie bereits geschrieben, hat Regisseur Peter Herff als $
erster diese zum Theater gehörende Arbeit getan. Nach seinem
Tode hat seine Frau sie weitergeführt. Frau Herff war eine
herzensgute Person, die von allen in der Patronage ”Tante
Marie” gerufen wurde. Familie Herff hatte in der Patronage
Hausmeisterfunktion. Ihre Wohnung lag aber im Dachge-
schoß. Es tat den Spielern oft leid, wenn sie sahen, wie Frau
Herff wegen irgend einer ver-
gessenen Kleinigkeit all die Stu-
fen bis zu ihrer Wohnung hoch
£ mußte. Bei jeder Vorstellung
A - sorgte die gute Frau für Kaffee
7 A nn und ”Püffelschere” (Krapfen).
Ed Stets war sie guter Laune und
RR liebte zu scherzen. Viele Jahre
id . lang blieb sie der Theatergruppe
m ? treu, doch 1938 holte sie der liebe
| % Gott zu sich. Ihr Tod hat den
damaligen Spielern weh getan.
CE Immer, wenn frühere Erlebnisse
in der Patronage zur Sprache
kamen, war auch von Tante Marie die Rede. Ihre Gutherzig-
keit blieb als Andenken.
Nach dem Tode von Frau Herff betätigten sich als
Schminker in der Patronage Guillaume Emonts aus Gemme-
nich, die Gebrüder Hubert und Johann Pelzer aus Kelmis,
Heinrich Meesen aus Neu-Moresnet, J. Dalen aus Verviers
und in den letzten Jahren Egide Corda aus Welkenraedt.
75
Die Kriegsjahre 1940-45
Mit der Annektion von Kelmis am 18.5.1940 wurde der
Tätickeit der Theatergruppe in der Patronage ein Ende ge-
setzt. Die Truppe war versprengt, die einen standen unter
den Waffen, andere waren über die Grenze gegangen und
den wenigen Verbleibenden blieb keine Zeit zum Theater-
spielen. Vom Verbleib der alten Kollegen hörten sie nur sel-
ten. Die Reichstheaterkammer schickte ihnen Formulare zu,
die ausgefüllt und unterschrieben zurückzusenden waren. Nur
wenige kamen der Aufforderung nach. Die Kostüme der ”Pas-
sio Christi” waren teils bei den Spielern zuhause, teils in der
Patronage versteckt und sind, Gott sei Dank, den Spinnstoff-
sammlern nicht in die Hände gefallen. So mußte denn abge-
wartet werden, bis nach dem Kriege ein freies Vereinsleben
wieder möglich war.
Der Neubeginn
Am 12. September 1944, nachdem die deutsche Wehrmacht
einige Tage zuvor Kelmis geräumt hatte, rückten die ameri-
kanischen Soldaten hier ein. Das Ausgehverbot wurde verhängt
und trat sofort in Kraft. Die beschädigten Stromleitungen
brachten lange Abende mit Kerzenlicht mit sich. Doch nahm
man alles gerne in Kauf, weil die Aussichten auf ein baldiges
Kriegsende wuchsen. Der Gedanke, bald wieder frei leben zu
können, ließ die Herzen höher schlagen. Langsam normalisierte
sich denn auch das Leben in der Gemeinde, Gesellschaften
und Vereine erwachten zu neuer
S "ze % . Tätigkeit. Herr Peter Zimmer,
. E + langjähriges Mitglied A
2 tergruppe und heute Präsident
a der Göhltalvereinigung, ergriff
» A) als erster die Initiative. Er ließ
S Bl alle ehemaligen Spieler zusam-
ii A menkommen und man beschloß,
en 6 so bald wie möglich die Theater-
\ € arbeit wieder aufzunehmen. Pe-
_ | ter Zimmer hatte die Zeit, die
x Ma Bl er hinter dem Stacheldraht ver-
> 6 bracht hatte, dazu genutzt, Stük-
ke für die Theatergruppe zu ar-
76
rangieren. Jetzt hegte er den Wunsch, sein der Zeit ange-
paßtes Werk in plattdeutscher Mundart, ”Minsche onder
Minsche” (Menschen unter Menschen) aufzuführen. Nach Ver-
teilung der Rollen wurde mit den Proben begonnen. Die Pa-
tronage war allerdings noch mit amerikanischen Soldaten
belegt. So mußten die Proben privat stattfinden. Es war ein
Wagnis, denn nach den Proben mußten die Spieler es vermei-
den, von patrouillierenden amerikanischen Soldaten, die nur
zu leicht im Alkoholrausch von der Schußwaffe Gebrauch
machten, gesehen zu werden. Die Häuserfronten entlang
schlichen sich die Spieler nach Hause. Ein weiteres Problem
war die Bühne. Zum Glück bot sich eine Ausweichmöglich- ,
keit im Schützenlokal an, dessen Inhaber, Herr Charles
Struckmeyer, mit größter Bereitwilligkeit seine Bühne zur
Verfügung stellte. Nach eifrigen Proben lief das Stück
”Minsche onder Minsche” am 15. April 1945 zum ersten Male
über die Bretter. Der Erstaufführung folgten drei Wiederho-
lungen. Bei jeder Vorstellung war das Schützenlokal bis auf
den letzten Platz besetzt. Zwei weitere Aufführungen in Mo-
resnet und Gemmenich zogen ebenfals viele Zuschauer an.
Im Monat Juli, bei der Feier zur Wiederkehr von Pastor
Scherrer und den beiden Kaplänen Xhonneux und Hendriks,
— die drei Geistlichen waren im Dritten Reich zu längeren
Haftstrafen verurteilt worden — wurde ”Minsche onder Min-
sche” zum letzten Male gespielt. Die Kritik war allgemein
sehr positiv.
Mit ”Pitt” Zimmer brachten folgende Spieler den Stein
nach dem Krieg wieder ins Rollen: Henri Serwas, Hubert
Hilligsmann, Willi Schyns (Bürgermeister), Franz Uebags und
Joseph Dumbruch. Der Regisseur übernahm selber auch eine
Rolle. Die Damenrollen hatten Marie Aussems (Fr. L. Wech-
seler), Elly Stammen (Fr. W. Schmetz) und Rosalie Zeevaert
(Fr. Beaurang), während die Kinderrollen von Elly Aussems
(Fr. H. Conrath) sowie Käthi Simons (Fr. Bongarts) übernom-
men wurden. Im Flüsterkasten saß damals Karl Zeevaert.
Es ist den Lesern vielleicht aufgefallen, daß das Verbot
der gemischten Bühne nicht mehr bestand. Man durfte
damals nicht wählerisch sein, sondern mußte spielen, was zur
Verfügung stand. Die Texte und Kostüme der Vorkriegs-
77
spiele waren den Papier- und Lumpensammlungen zum Opfer
gefallen. Die Stücke von Peter Zimmer galten als Rettung in
der Not ; über das Problem der ”gemischten Bühne” ist Gras
gewachsen.
Es war für den Vorstand und die Spieler ermutigend zu
sehen, wie sie mit ihrem Spiel nicht nur in Kelmis, sondern
auch in den umliegenden Orten Erfolg ernteten. Die platt-
deutschen Stücke ”Et örm Wiet”, ”Et ess mär ene Köhler”,
”Stiekluet”, ”Die Revue” und das Singspiel ”Dörpspleseer”
überboten sich an Erfolg und mußten nicht nur mehrere Male
in Kelmis wiederholt, sondern auch in Homburg, Bleyberg,
Teuven und Henri-Chapelle aufgeführt werden.
Für die Erstaufführung des Stückes ”Et ess mär ene Köh-
ler” bekamen Saal und Bühne der Patronage eine neue Licht-
anlage, ein Geschenk der Fa. Niederau aus Eupen. Herr Nie-
derau hatte nämlich während des Krieges, als sein Sohn ins
Feld zog, gelobt, bei dessen unversehrter Rückkehr irgend
ein gutes Werk zu tun. Sein Versprechen kam der Patronage
zugute. Herr und Frau Niederau nebst Sohn saßen in Kelmis
auf den Ehrenplätzen und Herr Niederau erklärte den An-
wesenden, wie es zu seinem Gelöbnis gekommmen war.
Die erstaunlichen Erfolge der Theatergruppe ließen eine
ganze Reihe von Jungen und Mädchen dazustoßen. Da nun
jeder Spieler den Ehrgeiz hatte, wenigstens einmal auf der
Bühne gestanden zu haben, mußte die Leitung mehrere Thea-
terabende im Jahr auf die Beine bringen. Bei den Theater-
vereinen der umliegenden Orte konnten manche Stücke aus-
geliehen werden. 1946 wartete man mit dem Nachkriegs-Lust-
spiel ”Schweinefleisch in Dosen” auf. Zuvor war das Spiel
in Eupen von einem dortigen Spielerkreis aufgeführt worden.
Die Eupener Truppe hatte sich geweigert, den Kelmisern die
Texte zu überlassen. Dennoch gelangte ein Textbuch nach
Kelmis, wurde in der Nacht von freiwilligen Helfern abge-
tippt und war morgens wieder beim Mittelsmann. Das urko-
mische Stück stand wieder unter der Regie von Peter Zimmer,
der mit viel Idealismus noch bei einer Reihe weiterer Stücke
Regie führte. An gegebener Stelle werde ich die Titel anfüh-
ren. Auch innerhalb des Bergmannsvereins St. Leonardus
80
dels) wurden von Joseph Bonny
U WS a mit den verschiedenen Rollen
De N betraut. Am 27. Februar 1957
a war die Erstaufführung in Kel-
A A Ü mis. Leider war es dem Spiellei-
AM 9 ter nicht vergönnt, bei der Pre-
® nn miere dabei zu sein, da der Tod
Me Ca > ET seines Vaters ihn zurückhielt.
E N % A Zwei weitere Vorstellungen folg-
7 v A | ten und alle Zuschauer waren
fe E 4 . De 3 A hellauf begeistert.
X nn Im Herbst desselben Jahres,
| <> 2 am 16. und 23. Oktober, entfes-
1 selte der Dreiakter ”Alles wegen
Laura” anhaltende Lachstürme im ausverkauften Saal der Pa-
tronage.
4 FE x DA x
WI CE Al A
% ' DA: \ * A
A % % er 8 \
A Ö d
Der Etappenhase
Das hundertjährige Bestehen der Pfarre Kelmis wurde
im Ort glanzvoll gefeiert. Auch die Theatergruppe der Patro-
nage sah es als ihre Pflicht an mitzumachen. Am 22. Februar
81
1958 begannen die Feiern in Anwesenheit von Mgr. Jean
Fryns, einem Sohn unserer Pfarre. Am folgenden Tag lief die
vierte Spielperiode der ”Passio Christi” an. Auch Joseph Bonny
wollte zu den Feierlichkeiten eine Glanznummer beisteuern.
Am 5. Oktober begeisterten seine Spieler die Zuschauer mit
dem Singspiel ”Im weißen Röss’l”. Durch Textstreichungen,
Gesang- und Tanzeinlagen hatte er diese Operette in Kelmis
spie!'bar gemacht. Die musikalische Leitung lag in Händen
des routinierten Dirigenten der ”Kleinen Kelmiser Sänger”,
Herrn Charles Cravatte. Die Tänze studierte Herr Henri Dütz
ein. Henri Vondenhoff und F. Billet schufen ein bezaubern-
des Bühnenbild. Der Erfolg war so groß, daß vier Wiederho-
lungen notwendig waren.
Nach einer Zwischenzeit von 5 Jahren sollte 1959 wieder
”Drei patente Jungen” aufgeführt werden. Für den verhin-
derten Joseph Bonny sprang Franz Uebags als Regisseur in
die Bresche. Zwei gutbesuchte Vorstellungen am 27. Septem-
ber und am 4. Oktober 1959 belohnten Spieler und Regisseur
für ihre Mühe. Anschließend wurde von Joseph Bonny ein oft
beiseite gelegtes Schauspiel über eine Heilung in Lourdes,
”Aram Bela”, in Angriff genommen. Allerdings muß gesagt
werden, daß die Zuschauer nur bei der Premiere am 20. No-
vember zahlreich erschienen, die beiden Wiederholungen je-
doch, am 27. November und 4. Dezember 1959, nur wenig
besucht waren. Dennoch ist ”Aram Bela” in die Chronik als
eines der bestgelungenen Werke einzutragen.
”Walzermädl von Wien”, das Singspiel mit den schönsten
Walzern von Johann Strauß, war, offen gesagt, ein Wagnis
und mußte sich in mancherlei Hinsicht eine berechtigte Kri-
tik gefallen lassen. Doch sind solche Mängel bei Neulingen
verzeihlich und im Ganzen gesehen, gefiel das 65 Mann starke
Ensemble gut. Die K.K.S. unter Charles Cravatte sangen und
tanzten die schwungvollen Walzer nach den Anweisungen von
Henri Dütz. Erstaufführung war am 25. September 1960 und
die Wiederholung am darauffolgenden Sonntag.
”Der Dörpschuster”, ein Lustspiel, brachte im Jahre 1961
nur wenig Erfolg. Umso mehr zündete im nächsten Jahr der
82
”Barong Flöckmösch” des Aachener Heimatdichters Hein
Janssen, der an zwei Sonntagen im Oktober die Herzen aller
Zuschauer eroberte. Doppelt komisch wirkte das ”Öcher Platt”
von Kelmisern gesprochen. Der langgezogene Dialekt mit sei-
nen derben und aparten Ausdrücken, bot den Spielern keine
Schwierigkeiten. Der Verfasser hätte gewiß dazu gesagt:
”Haben die sich aber Mühe gegeben, echte Öcher zu sein !”
Nach einer Serie von Erfolgen zog Joseph Bonny mit
dem ”Barong Flöckmösch” sozusagen einen Schlußstrich unter
seine Arbeit in der Patronage. Er zog sich von der Theater-
arbeit zurück. Sein kameradschaftliches Verhalten und seine
Arbeit verdienen Dank und Anerkennung. .
Gesang und Musik in der Patronage
Singspiele wären niemals bühnenreif geworden, wenn
nicht ein Idealist mit Gemüt und Kenntnissen in Gesang und
Musik sich zur Verfügung gestellt hätte. Diesen Idealisten hat
die Patronage nach dem Zweiten Weltkrieg in der Person des
Herrn Charles Cravatte gefunden. Wer lange Jahre mit ihm
zusammen gearbeitet hat, weiß, wieviel Stunden Herr Cravatte
darauf verwandt hat, die Solisten, Chorsänger und Musiker
”bühnenreif”” zu machen. Auch Tänze konnten nur einstudiert
werden, wenn der ”Mann am Klavier” zur Mitarbeit bereit
war. Bei allen Proben und Wiederholungen verlor der Päda-
goge Cravatte nie die Nerven. Immer strahlte seine Ruhe auf
die anderen aus. Obschon die ”Kleinen Kelmiser Sänger” ihn
| stark beanspruchten, fand er stets Zeit, sich für die Proben
in der Patronage freizumachen. Alle erwähnten Singspiele
standen unter seiner musikalischen Leitung. Nur einmal, und
zwar 1961, mußte er wegen zu großer Überlastung absagen.
Zum ”Fischermädel von Helgoland” spielte Herr Albert
Hilligsmann die Tänze ein.
Auch bei den Passionsspielen hat Hauptlehrer Ch. Cra-
vatte tatkräftig mitgewirkt. Bis zum Jahre 1958 hatte die
Leitung des Chores in Händen von Herrn und Frau Peter
Radermacher gelegen. Der St. Gregorius Kirchenchor und die
K.K.S., die beide unter der Leitung von Charles Cravatte
']
83
standen, trugen 1958 mit dazu bei, die gesangliche Umrah-
mung der Passion in Klang und Schönheit zu verbessern.
HESSEN Große und kleine Sänger, in Al-
Bo 5
a a ben gekleidet, standen auf der
A LS ‚ Vorbühne und sangen gemein-
A 5 ME de E schaftlich den Einleitungschor.
14 vn A Auch das Schlußlied wurde von
2 Mes = 8 beiden Gruppen gemeinsam ge-
N SE # A ' sungen. Dreimal hat Herr Cra-
LE gu EA vatte sich mit seinen Sängern
si \ - a für die Passion zu Verfügung
\ gestellt. Inzwischen hat dieser
rührige Musiker, der nach dem
® N Krieg auch das Orchester der
Fatronage bildete und bei jeder
Veranstaltung dort dirigierte, den
Dirigentenstab seinem Nachfolger, Herrn Hubert Pauly, über-
geben. Seine uneigennützige Weise aber und sein Einsatz auf
kulturellem Gebiet werden für alle ein Beispiel bleiben.
Nur einer blieb übrig.
f Nach dem Abschied meiner
« as beiden Kollegen Zimmer und
E Mn Bonny blieb mir, Franz Uebags,
DO A nichts anderes übrig, als allein
Ö X Regie zu führen. Schon 1956
A NM N y a. hatte ich begonnen, mich mit
' AA | fl C dieser Arbeit vertraut zu ma-
LO 5 A chen. Die Einakter, die gelegent-
A "Ba x, } 3 lich der traditionellen Christ-
A SA baumverlosung der christlichen
Arbeiterbewegung aufgeführt
A A wurden, sind bis zur Einstellung
= x dieser Veranstaltung im Jahre
1959 von mir einstudiert worden. Einige der Lustspiele seien hier
genannt : ”Die Kiste”, ”Die Verlobungshose”, ”Verlobung durch
die Wurstmaschine” und ”So ein Unikum”. Auch einige Dramen
(”Die stille Nacht” und ”Katalanische Weihnachten”), ein Mär-
84
chenspiel mit Kindern (”Das Mädchen mit den Schwefelhölz-
chen”) und das heitere Singspiel ”Das Singvögelchen” liefen un-
ter meiner Regie. Mit letztgenannten Spiele ernteten wir beim
”Cercle Musical Kelmis’”” am 27. 10. 1959 großen Applaus. Zwei-
mal auch traten wir in der Kelmiser Mittelschule auf und
bereiteten den Kindern mit ”Max hat einen Vogel” und ”Ge-
müsehändler Knöllchen” eine Stunde des Lachens.
In der Vorweihnachtszeit organisiert die Vereinigung Co-
vical alljährlich einen bunten Nachmittag für die Betagten der
Gemeinde. Mit einigen Spielern habe ich drei- oder viermal
den Nachmittag durch ein Lustspiel verschönt.
In einer Neuinszenierung habe ich auch die ”Fischermä-
del von Helgoland” und ”Im weißen Röss’l” aufgeführt. Lust-
spiele wie ”Kein Auskommen mit dem Einkommen”, ”Hurrah
Petroleum”, ”Nonk Gastong”, Miss Flundermünde”, ”Das le-
benslängliche Kind”, ”Tweimol verpacht”, ”Der blinde Hahn”,
”Was will er nur ?”, ”Liss wätt verkloppt” und (in der Wie-
derholung von 1960) ”Der Etappenhase” waren alle ohne Aus-
nahme kassenfüllende Knüller.
Als Herr Jean Pesche 1966 krankheitshalber auf die Regie
der Passionsspiele verzichtete, beschloß das zuständige Komi-
tee der ”Passio-Christi-Vereinigung” mich mit der Leitung der
Spiele zu beauftragen. Keine leichte Aufgabe, zumal viele Rol-
len neu besetzt werden mußten. Es ist mir, Gott sei Dank,
* gelungen, den guten Ruf des Werks von Pfarrer Darcis zu
wahren. 1973 leitete ich die Spiele zum zweiten Male. Der
| Erfolg war ermutigend.
Die Bühnenbauer
Anhand einer passenden Bühnengestaltung und passender
Bühnenbilder lebt der Zuschauer sich besser in das Bühnen-
geschehen ein. Eine mit Farbe gestrichene oder tapezierte
Bühne, auf der man die im Spiel verlangten Möbel sah, gefiel
im allgemeinen besser als ein stilisiertes Bühnenbild.
Bis zum Zweiten Weltkrieg etwa haben die Spieler selber
die Bühnendekorationen angefertigt. Nach 1945 hat Peter
WW
85
Zimmer für die unter seiner Regie gespielten Stücke mit
Hilfe eniger Freunde auch die Bühnengestaltung vorgenom-
men. Mit und mit bildete sich aber eine Gruppe, die sich aus-
schließlich mit dem Anfertigen der Bühnenbilder befaßte. Ge-
nannt seien in diesem Zusammenhang Karl Zeevaert, Henri
Ramakers, Henri Vondenhoff, Willi Brandt und Joseph Heye-
res, die viele Stunden für die Bühnengestaltung geopfert
haben. Auch augenblicklich kennen wir auf diesem Gebiet
keine Sorgen, da wir auf die Mitarbeit von Willi Debey, Aloys
Dumbruck, Jacqui und Jeanny Rixen, sowie Frl. Marlene
Pauly rechnen können.
Die Malerarbeiten, die zur Zeit in Händen des Herrn Aloys
Dumbruck liegen, wurden in den ersten Nachkriegsjahren von
Joseph Decroupet, Michael Tielemans und Francois Billet erle-
digt. Auf die Leistungen Joseph Fellins wurde an anderer
Stelle hingewiesen.
Bliebe noch ein Wort zu den Souffleuren zu sagen. Meist
werden sie nicht beachtet, und doch haben sie eine äußerst
wichtige Funktion zu erfüllen, müssen sie doch dem im Text
hängengebliebenen Spieler weiterhelfen. Während der vielen
Proben ist die Souffleurrolle sehr anstrengend. Es hat in der
Patronage oft über längere Zeit ein und denselben ”Flüsterer”
gegeben, so Cornelius Vankann, Jean Uebags, Jean Reul, Karl
Zeevaert, Joseph Havenith und Gerard Emonts. Augenblick-
lich fungiert als Souffleur Peter Coonen.
Schlußbetrachtung
Auf einer Generalversammlung im Januar 1951 beschloß
die Theatergruppe der Patronage sich den Namen ”Volks-
bühne” zuzulegen. Gleichzeitig wurde beschlossen, Mitglieds-
karten einzuführen und von jedem Mitglied einen Jahresbei-
trag von 10 Franken zu verlangen. Dieser Beitrag sollte ein
Beweis dafür sein, daß der Betreffende sich der ”Volksbühne”
verbunden fühlte und ihr gegenüber eine Verpflichtung hatte.
Die Schwestergesellschaften ”Fidele Freunde” und ”Tipp
Topp”, die in jener Zeit entstanden und durch gute Leistun-
86
gen manch schönen Erfolg verzeichnen konnten, sind inzwi-
schen eingegangen. Es hat eine Zeit gegeben, wo das Fern-
sehen alle Vereine, die keine Mühen und Anstrengungen scheu-
ten, der Bevölkerung wohltuende Unterhaltung zu bieten, in
eine äußerst schwierige Lage gebracht hat. Doch ich glaube,
daß inzwischen eine bemerkenswerte Wende eingetreten ist.
Wenn Musik- und Theaterabende den Geschmack des Publi-
kums treffen, kann man mit Zuversicht der Zukunft entgegense-
hen. ”Volksbühne” und auch die ””Theaterfreunde Kelmis” be-
mühen sich, dieser Forderung zu entsprechen. Durch eine kolle-
giale Zusammenarbeit beider Gruppen, die in Freundschaft
denselben Zweck verfolgen, wird, so hoffen wir, das Amateur-
theaterspiel in Kelmis noch recht lange blühen. D
87
Heimat
von Leonie Wichert-Schmetz
Heimat, ich hab’ mich bewährt,
Als eins deiner echtesten Kinder,
Mitten unter den Fremden. -
Zäh ist mein Sinn, am einmal Erfaßten haftend,
Wie der rote Lehm deiner eisenhaltigen Scholle.
Hieltest du doch und verzehrtest schnell unsere Toten,
Ihre Spuren verwischend. -
Du wurdest dadurch noch mehr unseres Fleisches,
Wie wir deines uns schenkenden Schoßes.
War es darum, daß so fest unsere Wurzeln in dir gebettet ?
So tief, wie die Grundwasser suchenden Pappeln
Tief graben an deinen Bächen ?
Tat es darum so weh, als der Friede des großen Krieges
Uns von dir vertrieb und vom Vaterhause ?
Aber du hieltest uns doch, rissen die Wurzeln auch los,
Und spürt’ das Weh ich im Herzen.
Doch du hieltest mich fest mit unsichtbaren Fäden.
Wen du nicht hieltest, der fiel in die Leere,
Niemals mehr faßt er dann Halt.
Ich nahm dich mit in die neue Heimat,
Wo ich auch wandert’. Immer zogst du mich mächtig im Frühjahr.
Flog ich nicht, einem Zugvogel gleich, dich zu sehen ?
Und ich sank dir weinend ans Herz, Heimaterde,
Unter den hängenden Zweigen der jungroten Buche in unserem Garten,
Wo das Kreuzchen ich fand, den Gruß aus den Gräbern der Ahnen.
Ja, ich weinte auch wirklich und glaubte,
Uferlos, ohne Ende weinen zu müssen,
Wie die Bäche grenzenlos strömen zum Meer,
Als mein Kind geboren werden sollte in der Fremde.
Mich riß es zu dir, doch ich konnte nicht flüchten
An dein Herz, an das Herz meiner Mutter,
Aber der Blutstrom des meinen nahm die Richtung zu dir ;
Und mein Kind hat die hellen Augen der Ahnen
Und ihr lichtblondes Haar,
Ihren schweren fälischen Körper mit flämischem Einschlag.
Auf deinen Höfen, o Heimat, sitzen die Menschen noch heute,
Die so aussehen wie meine Ahnen, gute Menschen und treu.
88
Ihr Wort ist schlicht und schwer, ja fast mühsam
Polternd kommt es heraus -
Schwer bricht es ab, wie der Stein aus deinen Brüchen, o Heimat,
Schmucklos wie sie, es verträgt kein Behauen.
Und doch ist es schön,
Einfach, wie Gott es uns schuf im Munde der Ahnen.
Einfach rede auch ich ; und doch, manchmal hüpft mir das Wort auch,
Wie Quellen über die Steine in deinen Bächen, X
Wie die sanften Wellen der Hügel mit deinen Wiesen,
Umhegt und geschirmt und heimlich gemacht
Durch der Hecken schützende Vierung.
Die Hecken schmiegen sich an und teilen und schmücken ; v
Bäume ragen heraus, jeder nach seiner Wuchsform,
Buschig nach seiner Laubart, leicht und frei so wie Gott sie gebildet.
Nur an den Häusern bezwingt sie die fressende Schere,
Daß nichts hemmet den Blick der freiheitliebenden Bauern,
Wenn er schaut aus der Festung des aus Blaustein erbauten Hauses,
Weit wie die Weiden ihm reichen zur Grenze seines Besitzes.
Ce U
2 7
N)
EEE Va HA SE
SH N A A a 2
DE | a AR VO
VAN LU A VE
N ae Te,
; N 2
29 DO 2
2 MN N u
5 A A DS EN Es
SA a N a
A ZN Des ME
0 AN U
VA N A AST Al LA N KUN
PA EL OS A \IS VE
N MT OR ZA ESS
KASSE
SETS Te MO N AS
OO a
NN N
SE N
En N a SA N BT DE 25
Se TE a A A
N
. a
A ED
8
WERBEN ESEL NS
89
Ja, so ist uns zumute, trotzig im milden Frieden
Des Augusttags, an dem die Sonne lautlos über den weißen Wegen liegt.
Wege, die hartgewalzt sind aus kleingeschlagenen Steinen.
Hart widerstehen sie dem Schritt des festen, suchenden Fußes.
Jetzt sind sie weiß und blank mitten zwischen den tiefgrünen Wiesen
Nach vollendetem Schnitt.
Leise nur mahlen die Kiefer der Kühe.
Unsichtbar hinter Hecken streifen melkende Hände
Die nährende Milch, die weiße Fülle, aus den strotzenden Eutern.
Und es klappt rhythmisch dazu die fressende Schere über wuchernden Zweigen
zusammen.
Friede ist über mir trotzigem, freiem Menschen -
Und heitere Fülle des ruhenden Sommertags. -
Alles hab’ ich von dir gelernt, o Heimat !
Auch das noch, daß durch die Stille des Sommers
Die helle Freude nicht aufhört,
Freude an kleinen Dingen, Freude an Spiel und Tanz.
Aber nichts auch beginnt, nicht das Schießen der Schützen,
Nicht das Tanzen und Feiern bei der Kirmes,
Mit Bergen von Fladen aus Reis und aus Früchten,
Mit Strömen von Bier und von Weinen
Zwischen den buntblumigen Sträußen aus Bauerngärten,
Auf dem weißen Damast.
Nichts auch beginnt, oder es sei denn im Gotteshaus
Unter Orgelgetön vor dem Opferaltar.
Immer ziehen zuerst die Bauern mit Musik in die schöne geräumige Kirche
Ohne falsches Gepränge, schlicht, mit echten Blumen verziert
Die herrlich geschnitzten Altäre.
Nichts daran ist falsch, auch nicht das einfache Beten
An unserer Feste Beginn, bei unserer Toten Gedächtnis.
Ja, auch das ist von dir, Heimat, du Kind meines Gottes,
Daß ich nichts beginne, ohne feierlich fromm in die Kirche zu treten,
Fröhlich und ernst in das Haus meines Schöpfers.
Ja, du bist noch zu Haus, Heimat, bei deinem Schöpfer,
Als wärest du aus seiner Hand gar noch nicht weit entrückt.
Darum bist du noch Heimat, wie Mütter,
Die Gott noch im Herzen, Mütter, die ihre Kinder
Überreich und über die Maßen beglückt.
90
50 Jahre Christliche Arbeiterjugend in Kelmis ! U
von Peter Zimmer
Welche tiefergreifenden Erinnerungen muß wohl in diesem
Jahr der im Altenheim Belceil im Ruhestand lebende Pfarrer
Wenders empfinden, wenn er von der Anhöhe in Henri-Cha-
pelle in das Göhltal hinabschaut und dabei die größte Göhl-
talortschaft Kelmis erblickt, wo er als junger Kaplan tätig
war, als nach dem Jugendkongreß in Charleroi, im September
1924, in unserem Lande die Christliche Jungarbeiterbewegung
(J.O.C.) und ein Jahr später dieselbe Organisation für Jung- "
arbeiterinnen (J.O.C.F.) gegründet wurde, zu deren Verant-
wortlichen Leiter man, nachdem die Bischöfe unseres Landes
* diese Bewegung anerkannt hatten, Kaplan Cardyn aus Brüssel
ernannte. Vor allem aber, wenn er an den elften Oktober 1925
zurückdenkt, wo er im heutigen Restaurant der Patronage,
im Beisein des damaligen Direktors der sozialen Werke von
Verviers, Kaplan Vaessen, die Kelmiser J.O.C. gründete, die
nun auf ein 50-jähriges Bestehen zurückblicken kann.
Da es nun üblich ist, daß man gelegentlich eines solchen
Jubiläums den Gründern eine kleine Aufmerksamkeit erweist
und über die Vereinsgeschichte berichtet, freue ich mich, daß
mir die Göhltalzeitschrift zur Verfügung steht, um an erster
Stelle Pfarrer Wenders im Namen aller ehemaligen Jocisten
nun nach 50 Jahren ein herzliches ”Danke schön” und inniges
”Vergelt’s Gott” übermitteln zu können, gleichzeitig aber auch,
um jener ehrend zu gedenken, die nicht mehr zu den Leben-
den zählen, zu Lebzeiten aber Pioniere dieser Kelmiser Jung-
arbeiterbewegung gewesen sind. Ferner erachte ich es auch
als angebracht, den Lesern einige Einzelheiten über die Grün-
dung und Erfolge dieser Bewegung zu berichten.
Warum wurde diese Bewegung gegründet ?
Vor 50 Jahren zählte Belgien rund 350.000 Jungarbeiter
und 250.000 Jungarbeiterinnen im Alter zwischen 14 und 25
Jahren. Die meisten davon waren gezwungen, sofort nach
ihrer Schulentlassung im Alter von 14 Jahren unvorbereitet
91
in Fabriken, Werkstätten und Zechen eine Arbeit aufzuneh-
men, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Am
Arbeitsplatz aber herrschten zu dieser Zeit, besonders für
Jungarbeiter, menschenunwürdige Verhältnisse, mußten sie
doch nicht nur schwere gesundheitsschädliche Arbeiten ver-
richten, sondern gerieten dabei auch noch in den Strudel des
Verderbens, weil es damals weder soziale Gesetzgebung noch
Abmachungen zum Schutze der Jungarbeiter gab. Angesichts
3 dieser Tatsachen richteten Priester und verantwortungsbe-
wußte Laien einen Appell an alle Jugendlichen, sich in einer
Organisation zusammenzuschließen, um durch dieselbe stark
genug zu werden, diesen Mißständen entgegentreten und bes-
sere Arbeitsbedingungen fordern zu können.
Folgten die Jugendlichen diesem Appel?
Schon im April 1925 versammelten sich 500 Jugendliche
zwischen 14 und 20 Jahren in Brüssel zu einem Kongreß, um
von dem Programm der Bewegung Kenntnis zu nehmen und
dasselbe gut zu heißen. Kurz danach folgte dann eine soziale
Woche in Fayt, sowie im September 1925 ein zweiter Kongreß
in Namür. Bei dieser Gelegenheit erklärte der junge Metall-
arbeiter Louis Deraux: ”Wir werden Missionare in blauer
Arbeitskleidung mit schwarzen schwieligen Händen und einer
weißen Seele sein”. Daß man es ernst mit dieser Erklärung
gemeint hatte, bewies der Refrain des Jocistenliedes : ”Für
Christus König stolz voran”, welches zum erstenmal im Juli
1926 gelegentlich einer Sozialen Woche gesungen wurde. Seit
1926 erklang dieses Lied aber nicht nur bei feierlichen Anlässen
in den Großstädten unseres Landes, sondern auch im Göhltal
und vor allem in Kelmis, wo sich mutige Jungarbeiter seit
Oktober 1925 bereit erklärt hatten, das Programm aktiv mit
verwirklichen zu helfen. Zu diesem Zwecke fanden mehrmals
in der Woche unter Kaplan Wenders Studienzirkel und Ver-
sammlungen statt, um soziale und religiöse Themen ausführ-
lich besprechen und den Jungarbeitern diesbezüglich Wissens-
wertes übermitteln zu können. Auch wurde die arbeitende
Jugend angespornt, sich während ihrer Freizeit kulturell zu
betätigen.
93
im ganzen Lande Lob und Anerkennung. Dies kam klar und
deutlich zum Ausdruck, als 1933 seitens der Bewegung eine
deutschsprachige Monatszeitschrift, ”’Die Christliche Arbeiter-
jugend”, herausgegeben wurde. Am 27. August 1933 fand in
Lüttich ein Kongreß der Christlichen Jungarbeiter der Pro-
vinzen Luxemburg, Namür und Lüttich statt. Er begann mit
einem feierlichen Hochamt in der dortigen St. Jakobskirche,
die Festpredigt hielt Kanonikus Cardyn. Er umriß die Bedeu-
tung dieser Veranstaltung mit den Worten: Der Kongreß
ist für uns ein Bekenntnis zu der Aufgabe, das Erlösungs-
werk unseres Heilandes fortzusetzen, nicht indem wir Haß
und Unfrieden säen, sondern als Apostel der Liebe und Brü-
derlichkeit auftreten. Nach dem Hochamt folgte ein Festzug,
dieser zog durch das Zentrum und Arbeiterviertel der Stadt.
Auf dem Kongreßplatz defilierte man vor dem Hochw. Herrn
Bischof und den zahlreichen Ehrengästen. Hierbei sangen die
Teilnehmer aus unserer Gegend das Jocistenlied in deutscher
Sprache. Am Ufer der Maas bestiegen alle Teilnehmer die
bereitstehende Schiffe und der Festzug nahm so in origineller
Weise seinen Fortgang. Anschließend wurde dann im Palais
des Princes-Eveques die Generalversammlung abgehalten.
Maurice Henkard, Sekretär von Radio Catholique, sorgte da-
für, daß diese einzigartige Kundgebung in die ganze Welt
ausgestrahlt werden konnte. Dem Hl. Vater, dem König und
dem Kardinal wurden Telegramme zugesandt in welchen es
hieß : Wir Jocisten kennen keine Politik, unser Programm ist
das der Liebe und Brüderlichkeit. 1935 setzte sich die Bewe-
gung auf Landesebene aus 28 Föderationen mit insgesamt
85.000 Mitgliedern in 2.204 lokalen Sektionen zusammen und
es konnte zu Recht als Jahr des Erfolges und der Eroberung
gefeiert werden. Bemerkenswert ist auch das Informations-
material, welches den Jungarbeitern zur Verfügung gestellt
wurde ; allein im Jahre 1934 waren es 6 Millionen Exemplare.
Zu einem unvergeßlichen Erlebnis wurde aber der 25. Au-
gust 1935 als 60 Sonderzüge 100.000 Jungarbeiter unseres Lan-
des, sowie aus Frankreich, Holland, Luxemburg, Schweiz,
England, Kanada und Kongo nach Brüssel brachten, ein Be-
weis dafür, daß zu dieser Zeit die J.O.C. schon eine Weltor-
ganisation geworden war, die den Weg einer friedlichen Evo-
95
den war. Er wurde damals sogar von Bürgermeister Peter
Kofferschläger und den Ratsmitgliedern im Gemeindehaus
empfangen und der erste Kelmiser Präsident Laurent Fryns
sprach gelegentlich der Festversammlung über Werdegang und
Tätigkeit der Kelmiser Ortsgruppe.
Was tat die Bewegung für die Jungarbeiter ?
Eine Hauptaufgabe bestand darin, der arbeitenden Jugend
schon vor ihrer Schulentlassung die Möglichkeit zu geben,
sich auf ihr späteres Arbeiterleben vorzubereiten. Dies geschah
durch spezielle Zusammenkünfte mit Ärzten, Priestern und
Lehrern, auch dienten Betriebsbesichtigungen und Berufsbe-
ratungen diesem Zwecke. Ferner wies man auf die Wichtig-
keit der Christlichen Gewerkschaften hin, organisierte einen
moralischen und materiellen Hilfsdienst für arbeitslose Jugend-
liche, kümmerte sich um Gesundheit und Sicherheit in den
Betrieben und schuf Dienststellen, um Gesuche und Beschwer-
den bei zuständigen Ämtern einzureichen. Zur gründlichen
Ausbildung stellte man vor allem aber zahlreiches Informa-
tionsmaterial zur Verfügung und veranstaltete regelmäßig zu
diesem Zwecke soziale Bildungswochen. Auch wurde eine
Vorbereitung auf die Militärdienstzeit nicht außer Acht ge-
lassen ; man stellte Spareinrichtungen zur Verfügung und bot
den Jugendlichen Gelegenheit sich kulturell zu betätigen. Dies
sind einige der vielen Dienste, die heute vielleicht als etwas
Selbstverständliches betrachtet werden, die es aber vor 50
Jahren noch nicht gab und die zeigen, wie notwendig es da-
mals war, diese Bewegung ins Leben zu rufen.
Kann die Bewegung nun nach 50 Jahren auf eine erfolgreiche
Tätigkeit zurückblicken ?
Wenn das vorhin erwähnte heute auch im allgemeinen
überall besteht, so ist es doch hauptsächlich dank der Christl.
Jungarbeiter Bewegung Wirklichkeit geworden, denn gerade
sie hat im Laufe der verflossenen Jahrzehnte Jungarbeiter
herangebildet, die als Vertreter der Arbeiterwelt im Rahmen
der Christl. Gewerkschaft oder anderer christl. Organisationen
auf sozialer und politischer Ebene tätig waren und es auch
96
heute noch sind, in nationalen, regionalen, lokalen Einrich-
tungen und Betrieben. Gerade diesbezüglich hat die Kelmiser
J.O.C. Beachtliches geleistet, denn man kann den ehemaligen
Kelmiser christl. Jungarbeitern bescheinigen, daß sie es waren,
die vor 50 Jahren und im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte,
unterstützt von älteren Arbeitern der Christl. Gewerkschaft,
die Toren zu den Betrieben öffneten und sich als Delegierte
derselben in den Fabriken und Kohlenzechen für die Belange
ihrer Mitarbeiter einsetzten, ohne diejenigen zu vergessen,
die Jahrzehntelang als Angestellte christl. Organisationen der
Bevölkerung wertvolle Dienste leisten oder geleistet haben.
Vieles könnte diesbezüglich über die Pionierarbeit der ehe-
maligen Jocisten von Kelmis und Umgebung berichtet werden,
aber das würde zu weit führen. Was die Bewegung aber im
allgemeinen betrifft, bleibt noch zu erwähnen, daß dieselbe
nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht mehr
öffentlich sondern nur im Verborgenen tätig sein konnte,
sich aber nach Kriegsende über die ganze Welt ausbreitete,
ganz besonders nach der internationalen Zusammenkunft in
Montreal im Jahre 1947, sodaß 1950 das College Kardinal
Mercier in Braine l’Alleud Delegierte aus 40 Ländern empfan-
gen konnte. Im August desselben Jahres zeigte sich die Be-
wegung in Rom mit 32.000 Jungarbeitern aus 91 Ländern.
Februar 1963 wurde ihr Gründer, der im Jahre 1882 in Brüs-
sel geborene Joseph Cardyn, der nach 1945 79 Länder besucht
hatte, von Papst Johannes XXIII. als Experte ins Konzil be-
rufen und danach von Papst Paul VI. zum Kardinal ernannt.
Kardinal Cardyn verstarb im Alter von 85 Jahren zu
Brüssel, aber die durch ihn gegründete Bewegung der Christ-
lichen Jungarbeiter lebt weiter in der ganzen Welt.
Möge dieser kurze Rückblick über die Tätigkeit derselben
nach 50 Jahren die jetzige Generation der Jungarbeiter anspor-
nen, dieser Bewegung beizutreten, damit sie auch weiterhin
ihre erfolgreiche Tätigkeit fortsetzen kann.
|
|
|
|
97
Renommierbauern
von Leo Homburg
1867
Großer Vieh» und Mobilar» Verkauf zu Altenet,
YUuf Anfehen von Wild. Jacquemın, Uderer
und in deffen Wohnung zu Afenet auf dem Oute
Hivmelslag, follen
am Donnerfag, den 441. dIıyrilk d. S.,
Morgens 9 Uhr anfangend,
vor dem unterzeichneten Nurar auf Kredit gegen
Bürgfchatt, öffentlich verkauft werden :
17 fchöne Kühe, mobei eine leere, 5 Rinder,
1 Stier, 4 Fofelfchweine, 5 Hühner ‚und Habn,
1 farfes Ucferpferd, 20 Malter fchdue Saamıs
bafer, fämmtliche Hangmobikien, Küchen» und
Kellergeräthichaften, als;
Tilhe, Stühle, Kanapees, 1 Kleiderfchranf;
1 Sladfchranf, 4 Betrladen, 2 Hauduhren, Z
Defen nedbft Zuhehör, Kupfer, Zım, Porzellan,
ESchildereien 2. 20., 1 Butterfaß, 250 hölzerne
Meulchnäpfe, Butrerbütten und Milchbürren,
Fimer, Bahren und große Bütten, Käjeveeken,
Käfeplanfen und Horden, Milchgeftell, 1 Braus
Feffel, 1 Eupferner Syrupfeffel, CSyrunpreffe, 4
“Parrie Apfelfyrup, . Zöpfe mr eingemachtem
Semüle, 1 lange Karre mit 4zölligen Rädern
und eiferner Uchfe, I Schlagkarre, 1 Pflug,
Tgge, Walze, Hechfelkifte, 4 Leitern, 2 Schweis
nelröge, 300 Etüt Kohnenftangen, 1 Partie
Setzen und Pferdegefchitr, Jämmtliches Arbeitss
gefehirr und ein, Nettenhund. . Schüller
Vor hundert Jahren waren Anzeigen wie die vorstehende
im Korrespondenzblatt des Kreises Eupen (1867) keine Selten-
heit, im Gegensatz zu heute. Wenn in unseren Tagen ein öf-
fentlicher Verkauf auf einem Bauerngut stattfindet, handelt
es sich um Vieh und landwirtschaftliche Maschinen. Auf Haus-
mobilar, das schon Generationen gedient hat, würde kein Gebot
gegeben, es sei denn, es würde als ”antik’” angesehen. Zur Zeit
meiner Großeltern war das anders.
Noch in meiner Jungend habe ich bei Verkäufen zuge-
schaut, wo vom wackeligen Stuhl bis zur morschen Bettstatt
98
alles seinen Käufer fand. Wollte die Tochter eines mit mehr
Kindern als Kühen gesegneten Bauern heiraten, so ging der
Vater zu einem öffentlichen Verkauf und es konnte sein, daß
er dort ein Bett erstand, in dem schon ein halbes Dutzend
oder mehr Kinder das Licht der Welt erblickt hatten, einen
nur noch auf drei Füßen stehenden Schrank, einen wackeli-
gen Tisch, eine wurmstichige Bank und ein paar Stühle, viel-
leicht noch einen Ofen dazu und die nötige Möbelaussteuer
war vorhanden.
Auf solchen Verkäufen geschah es auch, daß besser ge-
stellte Bauern auf etwas, was ihnen gefiel, ein Gebot machten
und, um ihr Renommee nicht zu gefährden, andere Kauf- "
liebhaber so lange überboten, bis sie den Zuschlag erhielten,
auch wenn der gebotene Preis oft den Neuwert überstieg.
Einen solchen Renommierkampf zweier Bauern erlebte ich
noch im Frühjahr 1921. Herr Nikolaus Ahn, Pächter der Aste-
neter Mühle, verkaufte öffentlich einen Teil seines Viehbe-
standes und seines Materials.
Unter anderem wurde ein Pferdegeschirr zum Verkauf
angeboten. Auf einem Balken hängend, war seine ganze Pracht
zu bewundern. Das Kummet (”Hamen’”) war mit Schellen-
kranz versehen, der reiche Beschlag aus versilbertem Kupfer.
Es ist anzunehmen, daß das Pferdegeschirr schon von
Matthias Josef Thönnissen, der Jahrzehnte die Asteneter Müh-
le betrieben hatte, benutzt worden war. ”Ahne Kolla”, wie
der jetzige Pächter genannt wurde, war als Gehilfe bei Thön-
nissen tätig gewesen und hatte 1910 den Mühlenbetrieb mit
allem lebenden und toten Inventar übernommen.
Die Mühleninhaber hatten damals ein besonderes Pferde-
geschirr, das sie nur bei großen Gelegenheiten benutzten, so
z. B. wenn einer ihrer bäuerlichen Kunden den Gutshof wech-
selte und sie mit ihrem Gespann beim Umzug halfen.
Nun hing also dieses Prachtstück von Pferdegeschirr da
und wurde von allen bewundert. Auch ein Bauer aus Astenet
bestaunte es und sagte dann zu den Umstehenden : ”Dat Päts-
geschier gäl ech”. Ein dabeistehender Berufskollege aus Hergen-
rath dämpfte seinen Optimismus, indem er sagte : ”Dat mängst
99
du mer ; dat gäl ech”. Die Umstehenden, die die beiden kann-
ten, wußten, daß es spannend werden würde. Man schloß
Wetten darüber ab, wer das Geschirr bekomme, wenn auch
nur um ein paar Glas Bier, und wartete auf den großen Au-
genblick.
Endlich war es soweit. ”Dieses Pferdegeschirr, was wird
geboten ?” Der Asteneter bot gleich ungefähr den Preis eines
neuwertigen Geschirrs ; er hoffte wohl, dadurch seinen Rivalen
zum Schweigen zu veranlassen. Doch der hatte sich auf eine
zum Verkauf stehende Futterkiste gesetzt, hob eine zur Faust
geballte Hand mit hochstehendem Daumen, überbot und sag-
te : ”Solange er noch steht !” Gemeint war der Daumen. Nach
jedem Übergebot des Asteneters.. warf der Ausrufer einen
Blick auf den Daumen des Konkurrenten und erhöhte den
Preis um die gleiche Summe zu dessen Gunsten. Der Asteneter
begann zu schwitzen, seine Übergebote kamen langsamer, er
trocknete sich zwischendurch den Schweiß aus dem Gesicht.
Der Ausrufer hatte schon ein paarmal ”zum ersten, zum zwei-
ten...” gesagt, ehe ein letztes Übergebot des Asteneter Bauern
kam. Dann hieß es schließlich : ”Zum ersten, zum zweiten und
zum dritten Male”, und das Pferdegeschirr ging nach Her-
genrath.
Der Asteneter gratulierte dem! Hergenrather mit den
Worten : ”Dat koost dech mie wie twee neu”. Dieser ant-
wortete nur : ”Ech han wahl dat he gegauwe !”
KARA
Die im Verkauf angezeigten 250 Milchnäpfe dienten vor Er-
findung der Milchzentrifuge zum Entrahmen der Milch.
100
Der Gemmenicher Kiosk
Ein Nachruf, der sich reimt
von Gerard Tatas
Er wurde zu dem schönen Zweck Der Ex-Gemeindevater auch
Erbaut, um — bei Visiten — Versagte bei dem Thema ;
Frau Musica statt Gras und Dreck Hartnäckig wie ein dicker Bauch
Am Ort genannt «Leclerre-Eck» Sind Sitten und lokaler Brauch,
Ein Lusthaus anzubieten. Es blieb halt ein Dilemna.
Doch kaum kam in der ganzen Zeit So fristete der Titelheld
Die Dame her, die schöne, Ein heldenloses Leben.
Weil ihren Thron man nicht geweiht Was kann es Schnöd’res auf der Welt,
Aus Gründen der Parteiichkeit Die sich im Heldentum gefällt,
Der achtzig Musensöhne. Als solch ein Dasein geben !
Und Weihe ohne «Harmonie» ? Nun hat ihn Bürgermeister Straet
Absurd ! — Doch welche wählen ? Erlöst und abgebrochen,
Die Lösung, wohl so wichtig wie Nachdem schon x-mal diese Tat
Die Hamlet-Frage, fand man nie Der löbliche Gemeinderat
Und spielte — in den Sälen. Kraft seines Amts versprochen.
(Den Fremden zur Information : Entzieht jedoch der Politik
Die beiden Blaskapellen, Sich Gemm’nichs Adenauer, (*)
Die führen achtzig Jahre schon Vielleicht in diesem Augenblick
Mit Taktgefühl und gutem Ton Errichtet - wer kennt das Geschick? -
Reputationsquerellen. Ihn wieder der Erbauer!
Und welche hatte in dem Fall
Die Ehr’ gewissermaßen,
Mit Pauken- und Trompetenschall,
Vielleicht gar Wagners Parsifal,
Als erste drauf zu blasen ?)
(*) Ehemaliger Bürgermeister, der in Gemmenich bei den Wah-
len so siegreich war, wie Adenauer in Deutschland, deshalb
die Bezeichnung,
101
Das Portrait: Adolf Christmann
von Dr. Gisela De Ridder
Mit Adolf Christmann wird ein Künstler unserer Gegend
vorgestellt, dessen Ruf weit über Europa bis nach Amerika
reicht. Sein künstlerisches Schaffen soll hier aufgezeigt werden.
Der 1927 in Eupen geborene Adolf Cristmann fing bereits
mit 12 Jahren an zu malen. Zunächst malte er einfach ab.
Doch schon bald bemerkten Lehrer sein Maltalent. Der Mutter
legte man es nahe, den begabten Jungen in Malen und Zeich-
nen unterrichten zu lassen. Damals lebte der bekannte deut-
sche Maler Weitz, der seine Heimat verloren hatte, auf Schloß
Liberme. Dieser nahm sich des Jungen an und so kam es,
daß Adolf Christmann von seinem 16.-19. Lebensjahr täg-
lich auf Schloß Liberme Unterricht erhielt. Waren es anfangs
Bleistift- und Federzeichnungen, so waren es kurze Zeit später
Aquarelle und Kreidezeichnungen. Die ersten Landschaftsbil-
der enstanden von allen möglichen Blickwinkeln dieses Schlos-
ses aus. Er malte alles, was er von dort aus sehen konnte.
Heimlich besorgte er sich Ölfarben und ohne Wissen seines
Lehrers malte er zu Hause in Öl.
1946 besuchte er zur Vervollständigung seiner Ausbildung
die Malschule St. Luc in Lüttich. Diese Schule wurde von
Ordensbrüdern geleitet. Der Unterricht beschränkte sich auf
das Malen von Männerhalbakten und Portraits. Nach 4 Mo-
naten trat er in die Akademie von Lüttich ein. Aufgrund
seines Ausbildungsstandes übersprang er 4 Klassen und wurde
sofort in die Portraitklasse aufgenommen. Von dieser Schule
kamen die Impulse, die der schon erfahrene Christmann für
seinen späteren Werdegang brauchte. Bereits nach einem Jahr
wurde ihm der erste Preis in der Portraitklasse zugesprochen.
Der unermüdlich arbeitende Künstler nahm auf Raten seiner
Lehrer an verschiedenen Wettbewerben teil. So erhielt er
1947 den Ste Marie-Preis der Stadt Lüttich, 1947 den Watteau-
Preis, 1949 den Rantzy-Putzey-Preis und den Preis der belg.
Regierung, 1956 den Deauville-Preis, 1963 den Preis des Festi-
vals von Saint-Tropez, 1973 den New-Yorkpreis für Paris und
102
den Preis der öffentlichen Wahl bei den Wettbewerben um
den Preis von New York.
Zwischen diesen Jahren, in denen ihm große und größte
Auszeichnungen zuteil wurden, liegen Zeiträume intensiven
Schaffens. Der Künstler versuchte stets, um seine künstleri-
sche Fertigkeit zu verbessern, alle bestehenden Techniken zu
erlernen und alle möglichen Farbmischungen nachzuvollzie-
hen. So führte ihn auch sein Weg nach vierjährigem Aufent-
halt in Lüttich 1!» Jahren auf die Akademie nach Antwerpen.
Hier folgte er der Akt-, Portrait-, und Tierklasse. Noch heute
amüsiert er sich darüber, daß er in der Tierklasse lebende
Modelle, wie eine Kuh, ein Pferd, unter Aufsicht eines Tier- "
pflegers malen durfte. Viele Exkursionen in den Zoo führten
dazu, daß der Künstler mit Begeisterung hunderte von Skizzen
und Zeichnungen fertigte, wobei er sich jedesmal beeilen
mußte, die sich rasch ändernden Bewegungen der Tiere fest-
zuhalten.
Ende 1951 ging er nach Paris. Für 2 Jahre erhielt er Un-
terricht an der bedeutendsten Malschule, der Akademie des
Beaux Arts, bei Maitre Brianchon. Sein Lehrer, der ihn sehr
förderte, verschaffte ihm bald ein paar Schüler, so daß er
nunmehr selbst im Malen unterrichtete. Für seine Arbeit an
der Schule wurde ihm seine erste Staffelei überreicht. Sei-
nen Lebensunterhalt bestritt er durch den Verkauf seiner
Bilder.
Ab 1957 führten ihn Studienreisen in die Schweiz, nach
Südfrankreich und vor allem in den Mittelmeerraum. Zeigte
er vorher eine Vorliebe für Grautöne, so stellte er sich jetzt
auf frische, kräftige Farben um. Eine starke Helligkeit trat
in seinen Bildern hervor. Das Farbenspektrum dieses Raumes
beeinflußte ihn nachhaltig. Statt des Pinselstrichmalens in der
kleinen Fläche wandte er sich dem großflächigen Malen zu, um
sich später der Spachteltechnik für immer zu verschreiben.
Rückblickend hatte der Künstler mehrere Perioden durch-
gemacht, in denen nur jeweils eine ganz bestimmte Farbe in
allen Varianten auf seinen Bildern zum Ausdruck kommt. So
hatte er zunächst eine blaue Periode, dann über viele Jahre
eine Periode, in der er die Rotskala bevorzugte. 1967, bei
|
104
dann greift er zur Staffelei, beeilt sich, den Kontrast von
Licht und Schatten zu fixieren, entwirft mit dem Pinsel rasch
die Konturen und erfaßt großflächig und farblich so das ge-
samte Bild in kurzer Zeit. Unabdingbar bezieht er den Men-
schen in sein Schaffen mit ein.
Er, der aus dem Vollen zu schöpfen vermag, stellt seine
Werke ohne besondere Erwartung dem Betrachter zur Ver-
fügung. Wenn sein Werk dann noch gefällt, hält er es beschei-
den für einen Zufall.
Seine erste Ausstellung in unserer Gegend fand 1963 nach
dem Umbau und der Neueröffnung des Grenz-Echos statt.
Er war der erste Künstler, der dort ausstellte. Ihr folgten
viele mit Erfolg gekrönte Ausstellungen, die immer mit bisher
nicht gezeigten Bildern beschickt werden, ob sie in Europa,
in den USA oder in Kanada stattfinden.
Seit 1963 ist ihm seine Gattin, Frau Heidi Christmann,
Doktor der Philosophie, eine verständnisvolle Lebensgefährtin.
Auf all seinen Studienreisen ist sie ihm eine umsorgende
Begleiterin, die nach Kräften sein Schaffen unterstützt.
105
Auf dem Büchermarkt
von Alfred Bertha
Die grundlegenden Veröffentlichungen über die jüngste
Geschichte der Kreise Eupen-Malmedy sind so spärlich gesät,
daß man sie an den Fingern einer Hand abzählen kann. Es
ist schon ein Wagnis, das in mancherlei Hinsicht auch heute
noch ”heiße Eisen” der Nazizeit anzufassen. Umso höher muß
man das Verdienst einschätzen, wenn es einem Autor gelingt,
trotz aller Tabus und Schwierigkeiten das Thema Eupen-Mal-
medy 1940-45 mit der größtmöglichen Objektivität zu be-
handeln.
Es soll hier die Rede sein von
Martin R. Schärer: ”Deutsche Annexionspolitik im
Westen .- Die Wiedereingliede-
rung Eupen Malmedys im Zwei-
ten Weltkrieg”, Herbert Lang
Vlg., Bern und Peter Lang Vlg.,
Frankfurt/Main, 1975, 359 S. +
19 S. Abb., 650 Fr. - 41 DM.
Ein kurzer Überblick über die ”geschichtlichen Grundla-
gen”, in dem vor allem die Jahre 1920-1940 breiteren Raum
einnehmen (S. 23-27), endet mit der Feststellung, daß am 10.
Mai 1940 der Wunsch vieler Eupen-Malmedyer in Erfüllung
ging. Dank der Vorarbeit der prodeutschen Gruppierungen
und der positiven Einstellung eines Großteils der Bevölkerung
konnte die Wiedereingliedrung ins Reich verhältnismäßig rei-
bungslos vonstatten gehen.
Der Autor kommt dann zum eigentlichen Thema seiner
Arbeit. Der Einmarsch und die Kriegshandlungen werden ab-
sichtlich schnell abgehandelt, da Schärer ”militärische Ereig-
nisse... lediglich als zeitliche Abgrenzung der Annexions-
politik” erwähnt.
Der Führererlaß vom 10. Mai (Art. 1: ”Die durch das
Versailler Diktat vom Deutschen Reich abgetrennten Gebiete
von Eupen, Malmedy und Moresnet sind wieder Bestandteil
des Deutschen Reiches”), das Echo in der Bevölkerung und
vor allem die rechtlichen Probleme, die durch besagten Erlaß
aufgeworfen wurden, werden eingehend untersucht. Dabei
106
unterstreicht Schärer, daß der Annexionserlaß, weil voreilig,
d.h. vor der ”debellatio”, der endgültigen Niederlage des
Gegners, proklamiert, zwar nicht als rechtgültig im Sinne des
Völkerrechts zu betrachten war, daß das Dritte Reich sich
jedoch um internationale Rechtsnormen nur wenig scherte,
seine eigenen. aber mit allen Mitteln durchzusetzen imstande
war.
Das Verhalten der belg. Regierung, die ”die Annexion mit
Schweigen quittierte”, mußte bei den Eupen-Malmedyern den
Eindruck erwecken, als ob sich Belgien mit der Abtrennung
der beiden Kreise abgefunden habe. Die Londoner Exilregie-
rung erinnerte sich der Eupen-Malmedyer erst wieder im Juli ,
1943. Premierminister Pierlot versicherte, ”sie seien Belgier
und würden es auch bleiben. Drei Jahre lang aber hatte alles
darauf hingewiesen, daß sie deutsch bleiben würden”. (S. 70-71).
Anders verhielt es sich allerdings in den durch Runder-
laß vom 29. 5. 1940 ebenfalls an das Reich angegliederten Ge-
meinden bzw. Gemeindeteilen des ”Montzener Gebietes” und
Behos (Bochholtz). Die Bevölkerung dieser Gebiete war davon
überzeugt, daß die Annexion nur vorrübergehend sei und
wieder rückgängig gemacht würde.
Bei der Untersuchung und Darstellung der durch den An-
schluß entstandenen Wirtschafts- und Grenzprobleme kommt
manche bisher kaum bekannte Einzelheit zutage. Ein aus-
führliches Kapitel widmet der Autor auch der allgemeinen
Verwaltung und den öffentlichen Einrichtungen (Finanz- und
Steuerpolitik, Post, Bahn- und Straßenverkehr, S.108-142).
Daß mit der Wiedereingliederung E-M die Bewohner dieser
Gebiete nicht sofort zu vollwertigen Bürgern deutscher Staats-
angehörigkeit wurden, schuf einen Zustand der Ungewißheit
und des Unmuts, da sich die Eupen-Malmedyer als Bürger
zweiter Klasse behandelt fühlten. 16 Monate dauerte es, bis
ihnen rückwirkend vom 18.5.1940 an die endgültige deutsche
Staatsangehörigkeit verliehen wurde. Bis September 1941 wa-
ren sie, wie die Regierung in Aachen sie bezeichnete, ”Belgier,
vorbehaltlich der Regelung nach dem Führererlaß vom 23.
Mai 1940”. Alle übrigen ”deutschstämmigen” Einwohner der
annektierten Gebiete, vor allem also die der altbelgischen
Gemeinden um Montzen, erhielten unter bestimmten Voraus-
107
setzungen die deutsche Staatsangehörigkeit auf Widerruf.
”Mit der Widerrufsmöglichkeit hatte man ein politisches Er-
ziehungs- und Druckmittel gegen bewußte Ablehnung aller
dt. staatlichen und politischen Einrichtungen in der Hand”.
(S. 151).
In den altbelgischen Gemeinden stieß der Begriff der
Deutschstämmigkeit auf Unverständnis, da man es dort nicht
verstehen konnte, daß zwischen Volkszugehörigkeit und Staats-
angehörigkeit ein Unterschied gemacht wurde und daß auch
belgische Staatsangehörige deutschstämmig sein konnten.
Es bestand hier die Möglichkeit, den Beweis für die Nicht-
Deutschstämmigkeit zu erbringen und somit Belgier zu bleiben.
Trotz aller Regelungen über die Staatsangehörigkeit wurden
sämtliche Einwohner Eupen-Malmedys vom Reich als Doppel-
staatler angesehen, und zwar bis zu einer völkerrechtlichen
Regelung mit Belgien ! (S. 156).
Sehr unterschiedlich waren die Reaktionen der Neu- und
Altbelgier, als die Wehrmacht ab Herbst 1941 zur Aushebung
der ersten Jahrgänge schritt. Enthusiasmus bei den einen,
Feindseligkeit bei den anderen. Die Zahlen der Wehrdienst-
verweigerer und Fahnenflüchtigen sind wie ein Stimmungs-
barometer.
Einschneidende Maßnahmen mußte auch die Landwirt-
schaft hinnehmen. Die Änderung des Pachtwesens, eine Um-
schuldung und bes. die Einführung des Erbhofrechts bedeu-
teten wesentliche Umstellungen. Im Gegensatz zu den Bauern
der altbelgischen Gemeinden, nahmen die Eupen-Malmedyer
eine positive Grundhaltung ein, was wohl zum Teil auch da-
rauf zurückzuführen war, daß sie ihre Lebenshaltung infolge
der höheren Agrarpreise verbessern konnten.
In Kleingewerbe, Industrie und Handel machte sich die
Kriegswirtschaft viel stärker als in der Landwirtschaft spür-
bar. Schärer untersucht die durch die Kriegsbewirtschaftung
entstandenen Probleme und Schwierigkeiten. Unter dem Titel
”Finanzwirtschaft, Preise und Löhne” behandelt der Autor
das Bank- und Kreditwesen, die Preisbildung und Lohnan-
gleichung. Die Lohn- und Preisregelungen führten übrigens
zu einem Absinken des Lebenstandarts der Arbeiter und zu
Unzufriedenheit. Der Reichstreuhänder der Arbeit war aller-
108
dings der Ansicht, die Eupen-Malmedyer müßten ihren Beitrag
zum Wiederaufstieg leisten. Nach dem Kriege werde Über-
fluß herrschen und die Preise würden wieder sinken... (S.201).
Das Kulturleben Eupen-Malmedys wurde einer gründli-
chen Säuberung unterzogen, um es von allen fremdländischen
Einflüssen freizumachen. Schärer beschreibt ausführlich die
vom Nazistaat ergriffenen Maßnahmen in der Sprach- und
Schulpolitik, die auf dieses Ziel hinarbeiteten. Auch im kirch-
lichen Bereich sollte die Zugehörigkeit zum Reich sich durch
eine Unterbindung aller belgischen Einflüsse und eine Los-
lösung von Lüttich dokumentieren. Wenn im Falle E-M der
Vatikan die Wiedereingliederung faktisch dadurch sanktionier- .
te, daß er den Bischof von Aachen gleichzeitig zum Aposto-
lischen Administrator des neuen Gebietes ernannte, so hütete
sich Rom im Falle der altbelgischen mitannektierten Gemein-
den zu jeder voreiligen Entscheidung. Diese Gemeinden wur-
den zwar auch von Aachen verwaltet, aber der Aachener
Bischof fungierte dort als Generalvikar im Auftrag des Bi-
schofs von Lüttich. Die Besoldung der Geistlichen erfolgte
von Aachen aus.
Die beiden letzten Kapitel seines Buches widmet der Au-
tor dem Sozialwesen und der Stimmung in der Bevölkerung
(S. 236-252), ehe er dann den Versuch unternimmt, Bilanz
zu ziehen (”Vier deutsche Jahre” und ”Nachwirkungen bis
in die Gegenwart”, S. 254-273). Es würde den Rahmen dieser
Rezension sprengen, wollte man weiter auf Einzelheiten ein-
gehen. ”Die Kontroversen um die deutsche Annexion und um
die teilweise immer noch spürbaren Folgen sind in der Bevöl-
kerung Ostbelgiens bis heute noch nicht zur Ruhe gekom-
men”, schreibt Schärer in der Einleitung. Wir sind überzeugt,
daß es mit vorliegendem Werk dem Autor gelungen ist, zu
ciner Klärung der Probleme beizutragen, wenn die Kontro-
versen auch noch lange anhalten werden.
Nicht zuletzt verdient das Werk Beachtung ob seines
reichhaltigen Quellenmaterials ; vor allem die Gemeindearchi-
ve der annektierten Gemeinden wurden hier zum ersten Male
systematisch durchgearbeitet.
ES c 3 Be
Be N Zi a > SE
8 DEE ü ram 7 SS TA
Be. S a ® BD
DS Ss 0 A
5 5 SE OS
Be 3 4 7 AP
N Ä X 3 4 1 en
3 Ar la We 8 d € dir
Ve & A
Ss S AS
Er % g RS & BE
4 ; N n VA
A N } = ) AED
3 e RZ
% AS TU N N
S A
AA AT TAN SEN e EZ
BE } BEA AD
® NSS N A SE A
F- S A
E SE
A S a
7 TA ES
BE BEE
£ 4 DRS PET Wen Ze fe
BO DAS SE
SR . TEE De ES
BA A EN
a n 7 SS TE BE
Re 5 A 7 ee ES E
A A
5 FA AN SEN
ir # BE SE SR NE
Se BES DE
BO N
a RE
5 BEN SA er A
Ss a 7 A NE
S Ss v ‚PS NS
; BES A Cd
S A A
E ı SE ERS N
e EAN e
3 2 4 FR Si A: |
es SC BER TA 5
Bi En ES E Sl
a N . z 8 ee, A
X £ Wa HE
A e |
8 C 1 A A
a Ze ERBE NE Jen 4
BE) E f ; BEL
ES = z OP
R 3] Te CB
Es $ i SEN
8 . DE N Sa
S SEES ME de
BR w RE = A EST AA AA EN
DB EN VERS SS UNE SER ES ES DE
Dr N A NEN U EEE EEE A
in a SS NT HAKEN ZN