Im Söhltal
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Im Göhltal
ZEITSCHRIFT der
VEREINIGUNG
für
Kultur, Heimatkunde und Geschichte
im Göhltal
No 14
273
Vorsitzender : Peter Zimmer, Kelmis, Siedlung P. Kofferschläger, 10.
Sekretariat : Rue du Calvaire, 8, 4671 Moresnet
Lektor : Alfred Bertha, Hergenrath, Bahnhofstraße, 20b.
Kassierer : Fritz Steinbeck, Kirchstraße, 20.
Postschekkonto N” 000-0191053-60
Die Beiträge verpflichten nur ihre Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten.
Entwurf des Titelblattes : Frau Pauquet-Dorr, Kelmis.
Diese Skizze zeigt den Moresneter Göhlviadukt sowie die Hergenrather
Hammerbrücke in ihrer ursprünglichen Form.
Druck, Jacques Aldenhoff, Gemmenich.
Inhaltsverzeichnis
Die Redaktion In eigener Sache 4
Franz Uebags, Kelmis Aus der jüngsten Geschichte des
Altenberger Grubenfeldes S
Rene Dobbelstein, Eynatten Die Raerener Keramik innerhalb
des rheinischen Steinzeugs 19
| Leo Homburg, Fossey Die Pavei in Herbesthal 1914-18 28
M.-Th. Weinert-Menni- Rose 34
ken, Aachen-Forst
Leo Wintgens, Moresnet Neue Ergebnisse zur Dialektgeogra-
phie im ehemaligen Herzogtum
Limburg 35
Alfred Bertha, Hergenrath Die Grabsteine des 17. und 18. Jh.
auf dem Hergenrather Friedhof :
ein Nachtrag 43
Leonie Wichert-Schmetz, Friedhof von Hergenrath 47
Bad Driburg
Albert Stassen, Homburg Die Verschwörung im Roten Busch
zu Remersdael i. J. 1799 49
J. Olbertz, Pfr. i. R., Jülich Göhltalerinnerungen eines alten
Pastors 57
Peter Zimmer, Kelmis 80 Jahre St. Leonhard Verein Kelmis 67
Dr. G. De Ridder, Moresnet Grubenfahrt mit der Göhltalver-
einigung 81
Gerard Tatas, Gemmenich Bewies va Mot 84
Dr. G. De Ridder, Moresnet Das Portrait : Hubert Vanaschen 85
ı J. De Ridder, Moresnet In Memoriam Hubert Engels 89
“ Wilhelm Dithmar, Aachen Sagen und Erzählungen vom
Altenberg 92
J. Demonthy, Neu-Moresnet Kennst Du Deine Heimat ? 94
Die Redaktion Was meinen Sie dazu ? 96
Walther Janssen, Hauset Tätigkeitsbericht für 1973 97
4
In eigener Sache
Lieber Leser !
Mit mehr als 400 eingeschriebenen Mitgliedern ist unsere
Vereinigung inzwischen eine aus dem Göhltal nicht mehr weg-
zudenkende Kraft, die ihren festen Platz innerhalb der in diesem
Gebiet kulturell tätigen Gruppen einnimmt.
Neue Mitglieder bitten wir, Verständnis dafür zu haben, N
daß die vergriffenen drei ersten Nummern unserer Zeitschrift
wegen der damit verbundenen Kosten auf kurze Sicht nicht
neuaufgelegt werden können,
Die Kosteninflation hat uns auch gezwungen, nach fünf Jah-
ren nunmehr sowohl den Mitgliedsbeitrag (170 Fr) wie auch den
Einzelverkaufspreis unserer Zeitschrift den gestiegenen Druck-
und Versandkosten entsprechend anzuheben. Wir sind überzeugt,
daß wir auch weiterhin mit der vollen Unterstützung unserer
Mitglieder rechnen können.
Vielleicht dürfen wir bei dieser Gelegenheit noch darauf
hinweisen, daß Beiträge sowohl über das Postscheckamt wie auch
direkt an eines der Vorstandsmitglieder entrichtet werden
können. 7
VON EN
Wir haben uns auch diesmal wieder bemüht, durch: geo-
graphische und thematische Streuung der Beiträge einen mög-
lichst großen Leserkreis anzusprechen. Wir hoffen auch wei-
terhin auf die rege Mitarbeit recht zahlreicher Mitglieder un-
serer Vereinigung an der Gestaltung unserer Zeitschrift und
wünschen allen Lesern bei der Lektüre dieser ”Göhltal”-
Nummer einige erholsame Stunden.
Die Redaktion
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Aus der jüngsten Geschichte des
Altenberger Grubenfeldes
von F. Uebags
Die Aufbereitung (1. Teil)
In einer in dieser Zeitschrift erschienenen Aufsatzreihe (s.
”Im Göhltal” Nr. 7-12) haben wir uns bemüht, die sechs Erz-
bergwerke der Altenberger Gesellschaft zu beschreiben, Unsere
Leser erfuhren, was sich in diesen Gruben während vieler Jahre
über und unter Tage alles abgespielt hat. Dank den wenigen
noch lebenden Bergleuten der ehemaligen Zechen ist es möglich
gewesen, ihre Vergangenheit niederzuschreiben. In einigen Jahren
wird es diese Männer nicht mehr geben, weil sie in einem fort-
geschrittenem Alter sind und alimählich von uns gehen. Anhand
ihrer Aussagen haben wir die früheren Werke nacheinander be-
schreiben können. Wir hörten von ihren Lagen, Teufen, Inbe-
triebnahmen, Betriebsführern, Schließungen usw. In einem jeden
der 6 Aufsätze wurde immer wieder die Frage gestellt : ”Wie
gelangte das gewonnene Erz in die Wäsche ?” Wie die Blende
der verschiedenen Gruben nach Kelmis befördert wurde, haben
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Ansicht der ersten Wäsche nach 1880
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wir bereits erfahren. Jedoch dürfte der eigentliche Grund dieses
Transportes, nähmlich die Wäsche, für viele ein Rätsel sein. Ab-
gesehen von den Belegschaftsmitgliedern haben sehr wenige ge-
wußt, was mit ”Aufbereitung” gemeint war. Die meisten Leute
kannten einzig und allein den Ausdruck ”I jen Weisch” (In der
Wäsche).
Wie schon erwähnt, rollte das wertvolle Gestein aus allen
Richtungen der Wäsche zu. Womöglich könnte nun der eine
oder der andere sich fragen warum die Schlepperei dieses schwe-
ren Rohmaterials denn überhaupt nötig gewesen ist. Grade dieses
Thema wollen wir auch, genau wie alles andere, nicht außer
Betracht lassen. Die Aufbereitungsanlage der Vieille Montagne
darf unter keinen Umständen vergessen sein. Auch sie gehört
in die Geschichte der Gesellschaft.
Da die Wäsche sich in unmittelbarer Ortsnähe befand und
die Belegschaft fast nur aus Mädchen und Männern aus Kelmis
bestand, dachten wir, die Beschreibung dieser Anlage würde
keine Schwierigkeiten machen, Trotzdem war es nicht ganz so
einfach, die Person zu finden, die noch in der Lage war, uns das
Werk zu schildern und seinen Arbeitsvorgang genauestens zu
erklären, so daß wir hier darüber berichten können.
Diese Person fanden wir in Herrn Josef Bonni, Parkstraße
Kelmis, Herr Bonni ist langjähriger Meister der Wäsche gewesen.
Bereitwillig hat er sich uns für eine diesbezügliche Befragung
zur Verfügung gestellt. Hierfür sei ihm bestens gedankt.
Mit Ausnahme der älteren Generation können sich die
meisten Einwohner von Kelmis und Umgebung kaum noch ein
Bild davon machen, wie der Betriebskomplex der Vieille Monta-
gne hier längs der Lütticher Straße einst ausgesehen hat Wie oft
haben unzählige Vorbeiziehende die mächtigen Gebäude bewun-
dert, ohne jemals daran zu denken, daß der Tag einst kommen
könnte, wo das große Unternehmen der Gesellschaft in unserer
Gegend zu einem Traum würde ! Heute ist es so, als hätte der
”Berg” nie existiert. Das ganze Betriebsgelände, von der Kasino-
straße (Penning) hinunter bis zum Weg, der zur Rochuskapelle
führt, und auf der gegenüberliegenden Seite von der Linden-
straße bis an die Bruchstraße stand nach der Stillegung der Ab-
teilung Moresnet zum Verkauf.
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Ansicht vom ”Penning” (Kasinostraße), links, und Lindenstraße, rechts,
bis hinunter zur Bruchstraße
Der ganze Besitz der Gesellschaft hier im Ort ist seitdem
Privateigentum geworden, Zuvor hatte man fast alle sich auf dem
Gelände befindlichen Gebäude dem Erdboden gleich gemacht.
Nach dem letzten Kriege blieb nur noch der Wälzofen (”Gift-
mühle”) in Betrieb, konnte aber im Jahre 1953 der Schließung
nicht entgehen. Nun standen hier bei uns für immer alle Räder
der Gesellschaft still. Die alten Leutchen haben das Schicksal
ihres langjährigen Brotsherrn nicht wahr haben wollen und es
hat lange gedauert, bevor sie diese bittere Pille verdaut hatten.
Es gab sogar welche, die fest überzeugt waren, ohne den ”Berg”
nicht mehr auskommen zu können. Bedrückt und, ich möchte
fast sagen widerwillig, haben sie letzten Endes doch einen an-
deren Arbeitsplatz wählen müssen, Zugegeben : es war für viele
eine große Umstellung ; doch hat man später einsehen müssen,
daß alles anders geworden war. Die Jugend hat ihre eigene Ziele
und kann nicht begreifen, wie ihre Vorfahren die ”Gesellschaft”
so vergöttern konnten.
Es ist ihr gutes Recht, da zu arbeiten, wo sie am meisten
verdient. Bei der Vieille Montagne zu arbeiten, war ehemals bei-
nahe Tradition. Auf Wunsch der Eltern suchten viele schulent-
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lassene Kinder bei ihr Zuflucht, ohne einmal in ihrem Leben wo
anders gearbeitet zu haben. Papa oder Mama mußte mit dabei
sein, wenn es hieß, sich irgendwo nach einer Arbeit umzusehen.
Mir ist es auch nicht anders ergangen, Obendrein riet mir meine
Oma, die selbst vier Söhne bei der ”Gesellschaft”” beschäftigt
hatte, den Herrn Direktor Timmerhans ihrerseits zu grüßen, weil
ich dann bestimmt eine Anstellung bekäme. Ich habe sie in ihrer
Gutgläubigkeit gelassen, mich dem Direktor vorgestellt ohne von
ihr zu sprechen und sogar Arbeit bekommen, Als sie nun erfuhr,
caß ich bei der Gesellschaft anfangen konnte, war sie recht stolz.
€ ”Aha”, hat sie mir später mit lächelnder Miene entgegnet, ”was
;. * habe ich dir gesagt ? Der kennt deine Oma gut”! *
Wo hat die neue Wäsche gestanden ?
Auffallend mag sein, wenn hier von der neuen Wäsche die
Rede ist. Das hat seinen Grund und ich lege Wert darauf, es zu
erwähnen, Heute noch hört man manchmal alte Leute von der
alten Wäsche erzählen. Mit der alten Wäsche ist die frühere
Bleiwäsche gemeint, die vor der Jahrhundertwende ‚dort stand,
wo die: Firma Xhonneux heute Betonblöcke herstellt. Die Halle
mit‘ Türmchen erinnert noch an das alte Werk,
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Die Bleiwäsche 1897 (Bushof SADAR)
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Die neue Wäsche, die hier beschrieben werden soll, hat
viel tiefer unten im Bruch auf der gegenüberliegenden Seite ge-
legen, Der Bau an und für sich war hoch und von moderner
Art. Wer den Betrieb kannte und längere Zeit nicht mehr in die
Gegend kam, kann sich kaum noch vorstellen, wie es damals
war. Ein völlig anderes Bild bietet sich. Da, wo jetzt die B.P.
Tankstelle Reinartz die anhaltenden Autos mit neuem Benzin
oder Rohöl speist, stand noch vor ungefähr 25 Jahren die für
uns in Frage kommende Wäsche,
Wann wurde die Wäsche gebaut und wer baute sie ?
Die Sulfiderze, wie Bleiglanz, Zinkblende und Schwefelkies,
die nach 1873 in der immer tiefer werdenden Grube Schmalgraf
und nachher auch in den anderen Zechen gewonnen wurden,
verdrängten den bis dahin abgebauten Galmei. Sie kamen als-
dann in eine besondere Läuterabteilung der Galmeiwäsche von
Preußisch-Moresnet, wo der eigentliche Wäscheprozeß seinen
Anfang nahm. Zur weiteren Behandlung mußte das Erz bis 1885
zu der im Jahre 1855 eingerichteten Welkenraedter Wäsche ge-
bracht werden, wo die Aufbereitung ihren Abschluß fand. Ab
1885 sind die Sulfiderze ganz in Moresnet aufbereitet worden.
Ich glaube, daß es sich hier um die schon genannte Bleiwäsche
handelt,
Als nun die ersten drei Gruben Schmalgraf (1867), Fossey
(1878) und Eschbroich (1882) eine Produktionsteigerung zu
verzeichnen hatten, konnte die damals noch primitive Wäsche
nicht Schritt halten. So ist die Direktion schließlich zu dem
Entschluß gekommen, eine für jene Zeit als hochmodern gel-
tende Aufbereitungsanlage zu errichten. Mit dem Bau wurde im
Jahre 1899 begonnen. Die Bauarbeiten hatten die Baufirmen
Siller und Dubois angenommen. Dem Wunsch der Direktion ent-
sprechend, gingen die Arbeiten zügig voran. Die Firma Dubois
führte die Ausschachtungsarbeiten aus. Mit Pferd und Karren
wurde die ausgehobene Erde wegtransportiert. Die gute Organi-
sation bei diesen Arbeiten ermöglichte es, daß schon bald das
Bauunternehmen Siller mit seinem Auftrag beginnen konnte.
Auch hier verlief alles nach Wunsch und Plan. Nach Fertigstel-
lung der Bauten wurde die Maschinenbauanstalt Humboldt da-
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von in Kenntnis gesetzt, daß sie mit den technischen Innenein-
richtungen beginnen konnte. Recht bald trafen die ersten Ma-
schinenteile hier ein. Als verantwortlicher und leitender Ingenieur
sandte die Führung der Humboldtwerke den Herrn Müllebach.
Mit ihm kam sein Vetter gleichen Namens, ein äußerst qualifi-
zierter Techniker, der dem verantwortlichen Leiter bei den Mon-
tagearbeiten eine gewissenhafte Stütze war. Jener Herr machte
sogar während seines Aufenthaltes in Neutral-Moresnet die Be-
kanntschaft mit Fräulein Franziska Beaufays von hier, die dann
später Frau Müllebach wurde und mit ihrem Manne nach
Deutschland verzog, wo sie vor einigen Jahren hochbetagt in
einem Altersheim verstarb. Am 13. Oktober 1929 fand in Kel- «
mis eine öffentliche Feier gelegentlich des 50-jährigen Lehre-
rinnenjubiläums von. Schwester Margaretha, einer der ”schwar-
zen Schwestern”, statt. Das ganze Dorf nahm teil an dieser sel-
tenen Festlichkeit, die vor dem Kloster (Gemeindehaus) groß
aufgezogen wurde, Da ist diese Frau Müllebach-Beaufays aus
Deutschland gekommen, der alten Jubilarin im Namen aller ihrer
ehemaligen Schülerinnen eine Dankesrede zu halten,
Dem leitenden Ingenieur und seinem Techniker standen ge-
nügend Fach- und Arbeitskräfte zur Verfügung, so daß es mit
dem Installieren der neuen Einrichtungen sichtlich und ohne
nennenswerte Komplikationen voranging. Zusammen mit Herrn
Müllebach kontrollierte Direktor Timmerhans den Fortgang der
Arbeiten. Die beiden sollen die ganze Zeit hindurch gute Freun-
de gewesen sein. Im Monat August des Jahres 1900 war es end-
lich so weit. Spannung und Neugier herrschten, als die neue
Wäsche unter der Aufsicht des deutschen Ingenieurs und dessen
Technikers in Betrieb gesetzt wurde, Wie die Herren sahen, daß
alles nach Wunsch drehte und vom Direktor der Abteilung Mo-
resnet Lob und Glückwünsche für ihre schnelle sowie fachmän-
nische Leistung erhielten, sollen sie kurz erwidert haben : ”Das
ist ja unser Beruf !” Beide blieben noch eine kurze Zeit im Be-
trieb um festzustellen, ob sich keine Mängel oder Fehler in der
Konstruktion bemerkbar machten, Selbstverständlich mußten hier
und da kleinere Übel beseitigt werden, damit alles nach Schema
drehte.
Vor ihrer Abreise nach Deutschland bot Direktor Timmer-
hans dem Ingenieur die Stelle eines Betriebsführers an. Mit der
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Begründung, er habe keine Kenntnisse von der Aufbereitung der
Erze, lehnte dieser dieses Angebot ab. Seine nächste Arbeit führ-
te ihn nach Ungarn, wo er auch gestorben ist.
Weil das Werk auf deutscher Seite lag, mußte sich die Di-
| rektion an die gesetzlichen Bestimmungen dieses Landes halten.
Als Betriebsführer kam nur eine Person in Frage, die auf diesem
| Gebiete eine technische Schule absolviert hatte, So kam es, daß
eines Tages Herr Markstein, ein gebürtiger Schlesier, die Leitung
des jungen Betriebes übernahm. Meines Wissens hat die Aufbe-
reitung nur ihn als verantwortlichen Leiter gekannt. Familie
Markstein hat alle die Jahre hindurch in der Gemeinde Neu-
Moresnet auf Jansmühle gewohnt.
Den ihm unterstellten Aufseher, Herrn Alfred Dechösne,
in der Aufbereitung ein alter Fachmann, hat er in seiner ganzen
Laufbahn immer hochgeschätzt. Herr Court, ein routinierter Me-
chaniker, dem die Verantwortung sämtlicher Reparaturen oblag,
hat durch sein Können dem Betriebsführer seine Aufgabe sehr
erleichtert.
Die Wäsche von außen betrachtet
Die Wäsche war ein stabiles aus roten Ziegelsteinen herge-
stelltes Bauwerk, Traditionsgemäß, so kann man fast sagen,
hatten die Dachdecker auch hier, genau wie auf allen andern
Bauten der Vieille Montagne, ein Dach aus Zink aufgelegt. Sehen
wir uns gelegentlich einmal die noch bestehenden Bauten, wie
Gemeindehaus, Parkvilla, das alte Direktionsgebäude (heute Ei-
gentum Ohn) die vordere Halle Xhonneux sowie das Kasino
(Ranch) an, so stellen wir fest, daß alle diese Gebäude mit Zink
| bedacht wurden. Zink der Gesellschaft V.M. An und für sich
| eine überzeugende und gute Reklame für ihre eigenen Produkte.
Die gesamte Wäsche bestand aus drei nebeneinanderliegenden
Bauten, Der mittlere war der höchste und geräumigste. An-
schließend verlief nach rechts und links ein mehr hallenartiger
Raum, Von der Straße aus gesehen, lag links das Kesselhaus mit
seinem zirka 20 Meter hohen Schornstein. In der Mitte die ei-
gentliche Wäsche und rechts anliegend die sogenannte Schlamm-
wäsche mit den großen Fenstern. Davor fielen die ausbetonierten
Schlammgruben oder Weiher auf. Das Hauptgebäude hatte drei
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Die neue Wäsche
Etagen. Vom Eingang der ersten Etage aus verlief eine auf einem
Eiserngerüst angelegte Bahn für Kippwagen, Diese Bahn zog
dann weiter über einen aufgeschütteten Damm bis hinunter in
Höhe der neuen Sadar-Büros. Dort überquerte das Bähnchen die
Landstraße, um dann auf der ”Plaine” zu enden, Die Plaine, bes-
ser gesagt, Lagerplatz der gewaschenen Erze, war die gesamte
Fläche hinter dem jetzigen Eigentum Wertz, Simons, Sadar und
Xhonneux. Das ganze Betriebsgelände der Wäsche hatte man
durch eine niedrige Betonmauer mit aufgesetztem Eisengitter von
der Straße getrennt. Auf dem Platz neben der Schlammwäsche
(jetzt Futtermittel und Transportunternehmen Zeevaert) reihten
sich Schlosserei, Schmiede, Schreinerei, Dreherei und Treib-
riemenreparaturwerkstatt aneinander. Weiter abwärts bildete die
elektrische Zentrale den Schluß des Komplexes, Die Zentrale
teilte sich in zwei Teile auf, das Kessel- und das Turbinenhaus.
Das Kesselhaus lieferte den benötigten Dampf, die Turbinen in
Bewegung zu bringen. Es fiel auf durch seinen hinter dem Ge-
bäude 70 Meter hochragenden Schornstein.
Nebenbei sei bemerkt, daß das Innere der Zentrale, die im
Jahre 1910 errichtet wurde, ein für die damalige Zeit außerge-
wöhnliches Bild an Ausstattung und Sauberkeit bot.
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dem Terminus des Bähnchens und der Wäsche ein Schlund die
Durchfahrt des Zuges bis zum Werk nicht ermöglichte, blieb der
Direktion nichts anders übrig, als das Ganze durch eine Holz-
brücke zu verbinden. Vor dieser Brücke hat der Maschinist die
vollen Kippwagen ab- und die leeren an seine Zugmaschine
angehängt, um so wieder die Rückfahrt zur Grube anzutreten.
Die Kelmiser Tagelöhner Wechseler Joseph, Barth Mathieu und
Lausberg Nicolas haben an der Brücke die Fuhre in Empfang
genommen. Viele Jahre haben jene Männer die schweren Blen-
dewagen über die Brücke bis zum Aufzug hinter der Wäsche
gedrückt. Ich habe immer hören sagen, diese Arbeit sei äußerst
schwierig gewesen. Ebenfalls hinter dem Betrieb hatte die 3 Ki-
lometer lange Drahtseilbahn von der Grube Lontzen ihre End-
station. Beim Einlaufen der vollen Wägelchen in die Wäsche nah-
men zwei Arbeiter sie in Empfang. Blitzesschnell ging ihnen das
Entleeren von der Hand, da an Zögern nicht zu denken war und
die Wägelchen sofort auf die Rückreise geschickt werden mußten.
Die ”Stoffe” der restlichen Gruben wie Fossey, Mützhagen
und Roer, trafen vor der Wäsche ein, um hier für ihre Aufberei-
tung hochgezogen zu werden. Mit dem Vorderaufzug wurden
ebenfalls die fertigen Produkte bis zu der Stelle gebracht, wo sie
zur ”Plaine” weitergeleitet werden konnten. Parterre und auf
der ersten Etage stand ein Mann, der die Verantwortung für das
Einhalten der Fahrvorschriften übernommen hatte, Trotz strenger
Sicherheitsmaßnahmen kam es in den 20er Jahren doch zu einem
Unfall mit tödlichem Ausgang, Der Kelmiser Nicolas Pirson,
vormals Heizer im Kesselhaus, stand zu der Zeit als Verantwort-
licher am Aufzug auf der zweiten Etage. Eines Tages vergaß er,
das Schutzgitter vor die Öffnung zu schieben, drückte in gebück-
| ter Haltung einen beladenen Kippwagen zu weit nach vorne und
stürtzte samt Ladung und Wagen in die Tiefe. Wie nicht anders
zu erwarten, konnte er nur noch als Leiche geborgen werden.
Was geschah mit dem Rohmaterial in der Wäsche?
Nach all den Strapazen, die das aus der Tiefe des Erdbo-
dens gewonnene Material nun hinter sich hatte, landete es letzten
Endes da, wo die Prozedur seiner ersten Behandlung begann. Die
verschiedenen. Gesteinsarten wurden nun gewaschen, von einan-
der getrennt und triiert.
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Im dritten Stockwerk, in der Nähe des hinteren Aufzugs,
war die Landestation der herangebrachten Erze. Drei Männer
hatten alle Hände voll zu tun, das einlaufende Gestein in Emp-
fang zu nehmen. Geschickt stürzten diese Arbeiter die schwere
Masse in einen 20-tönnigen eisernen Spitzkasten. Im Boden dieses
Behälters lag ein Rost, der Steine bis zu 100mm durchfallen ließ.
Das ganze hat wie ein Sieb ausgesehen. Erzklumpen größerer
Dimensionen mußten, damit sie durchfallen konnten, mit einem
dicken Hammer von den Arbeitern zerkleinert werden. Der rüt-
telnde Rost des Spitzkastens brachte die Steine zum Ausscheiden,
Alsdann fielen sie in eine große sich drehende Trommel. Darin
wurde das ganze Zeug unter Wasserspülung hin und her gewor-
fen. Nach Beendigung des Prozesses beförderte ein Transport-
band die schon saubergewordene Blende nach Tisch 1. Der Fach-
ausdruck für jene Tische war ”Klaubertische”. Auch hat man sie
Sortiertische und im Plattdeutschen ”Klaudöjsche” genannt. Der
Klaubertisch, wie auch die anderen weiter unten beschriebenen
Tische, drehten während der ganzen Schicht rund. Das Erz fiel
darauf und wurde von Mädchen, den sogenannten Klauberinnen,
triiert. Die verschiedenen ”Stoffarten” legten sie separat in Holz-
kasten, deren Inhalt in einen dazu bestimmten Kanal geschüttet
wurde und in eine Setzmaschine fiel. Diese aus fünf Teilen be-
stehende Maschine stand dauernd unter starkem Wasserzufluß.
Hier trennten sich die im Gestein enthaltenen Substanzen wie
Blei, Zink, Schwefel und Kalk von einander. Aus der Setzma-
schine verteilte sich das Material durch verschiedene Kanäle auf
drei weitere Tische. Auf Tisch 2 rutschten alle Steine von 50-22
mm, auf Tisch 3 die von 22-16mm und auf Tisch 4 die kleinen
von 16-14mm, Die Klauberinnen, die diese Arbeit verrichteten,
arbeiteten in Akkord und die Lohnsätze waren an jedem
Tisch anders, da die Dicke der Steine den Ausschlag gab. Da
ist es verständlich, daß das Sortieren der Steinchen von 16-14
mm eine mühsamere Arbeit war als das der Steine von 50mm.
Das Aussuchen der ”Stoffarten” war besonders im Winter eine
nicht ganz angenehme Beschäftigung. Nur kalter Stein und Was-
ser: da blieb es nicht aus, daß es im Winter manchmal kalte
Finger gab. Der Aufseher, Herr Alfred Dechesne, überwachte
die ganzen Vorgänge in der Wäsche immer pflichtgetreu und der
Meister der Klauberinnen, Herr Ferdinand Pelzer, ehemaliger
Flötist der Bergwerkskapelle, sorgte stets dafür, daß die Mäd-
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Die ”Klauberinnen” bei der Arbeit
chen ihre Arbeit sorgfältig ausführten. Im Laufe der Zeit hatten
die Mädchen ihm den Spitznamen ”Väterchen” gegeben,
Nach dieser Operation kamen nun die Stoffe zur zweiten
Etage, wo sie von einem Trommelsystem aufgefangen wurden.
Diese Anlage bestand aus drei Doppeltrommeln, in denen eben-
falls genügend Wasser floß. Für den weiteren Waschprozeß in
den Doppeltrommeln kam nur das Material in Frage, das schon
regelrecht von einander getrennt worden war. Die noch unferti-
gen Produkte, wenn man es so nennen darf, fielen durch einen
aus dicken Brettern angefertigten Kanal nach unten in eine Gru-
| be. Von hier aus kamen sie mittels eines Becherwerks, man hat
| es auch Paternoster geheißen, wieder zur zweiten Etage zu den
Walzwerken, wo dann das noch nicht zerkleinerte Material zer-
kleinert wurde, Genauso erging es den Steinen über 100mm, die
nach ganz unten befördert und da von einem Tagelöhner in einen
Steinbrecher, auch Klöpper genannt, geworfen wurden, dann
wieder den Weg zur zweiten Etage antraten um so wie die ande-
ren Gesteinsmassen den Waschvorgang durchzumachen, Die letz-
ten Maschinen, in denen die Stoffe, wie man sagt, den letzten
Schliff erhielten, waren die 20 Setzmaschinen. In unserer Mund-
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Die Setzmaschinen
art hieß man sie ”de Seefter”. Sie waren fünfteilig und hatten
einen Überlauf., Von den Walzwerken der zweiten Etage kom-
mend, gelangten die Erze in die Setzmaschinen, die aus fünf
Abteilungen bestanden. Die erste Abteilung nahm das Blei auf,
die zweite Blei mit Schwefel, die dritte Schwefel mit Blende, die
vierte Blende und die fünfte Blende mit Kalk. Letzteres bezeich-
neten die Arbeiter als Nachsetzgut, Nachdem sich der Kalk
abgesetzt hatte, kam er aus dem Überlauf hoch und fiel durch
einen Schacht in die Tiefe bis zum Erdgeschoß. Jene Masse ist
damals als Betonkies verkauft worden. Weil Kies eben von weit
her kommen mußte, ist es begreiflich, daß die Nachfrage immer
groß war. Das Erz der Grube Schmalgraf hat sehr viel Kalkkies
hinterlassen.
Wenn fertige Produkte die Setzmaschine verließen, stürtzten
sie sauber getrennt in einen Vorratskasten im Erdgeschoß. Hier
luden die Fahrjungen sie in Kippwagen und brachten das wert-
volle Material zum Aufzug, Alsdann wurde der volle Wagen bis
zur Brücke gezogen. Andere Fahrjungen nahmen dann die teuere
Last in Empfang, um sie bis zur Plaine zu bringen, Wenn sich
das Erz auf dem Lagerplatz dermaßen aufgehäuft hatte, daß eine
Eisenbahnfuhre sich lohnte, kam es zum Abtransport. Von Kel-
mis brachte die Eisenbahn das wertvolle Material zu den
Schmelzöfen nach Balen-Wezel.
(Fortsetzung und Schluß folgen)
19
Die Raerener Keramik innerhalb
des rheinischen Steinzeugs
von Rene Dobbelstein
Der Begriff ”Raerener Keramik” umfaßt eine Töpferland-
| schaft, die sich von Petit-Rechain im Westen über Merols, Aste-
| net, Neudorf, Raeren, Eynatten, Hauset bis Aachen im Osten
| erstreckt, Wenn wir nun den engeren Raum der Raerener Kera-
mik verlassen, so müssen wir feststellen, daß die Raerener Töp-
ferlandschaft wiederum einer noch größeren Töpferlandschaft an-
gehört, nämlich der des ”Rheinischen Steinzeugs”. Somit ist die
Frage nach der Lage und der Bedeutung der Raerener Keramik
innerhalb des Rheinischen Steinzeugs berechtigt. Hierbei drängt
sich auch die Frage nach den handwerklichen, wirtschaftlichen
und menschlichen Beziehungen zwischen Raeren und den an-
deren Töpferzentren auf,
Die Lage Raerens war wegen der örtlichen Tonvorkommen,
seines Holz- und Wasserreichtums und seiner verkehrstechnisch
günstigen Lage ideal für die Entstehung einer Töpferindustrie.
Es ist also nicht verwunderlich, daß auch andernorts, in der
näheren und weiteren Umgebung, die Tonvorkommen und die
zentrale Lage Anstoß zu einer Steinzeugindustrie waren.
Raeren war praktisch der westliche Ausläufer der rheini-
schen Töpferlandschaft (Bouffioulx bildet eigentlich den west-
lichsten Ausläufer, aber er kopierte meistens die Raerener Vor-
bilder) und obschon es zum Herzogtum Limburg gehörte, waren
die Verbindungen nach Osten, zum Rheinland hin, doch viel stär-
ker als diejenigen nach Westen, zum Maastal hin, In bisherigen
Abhandlungen über Raerener Keramik wurde diese mit Recht
| mit den Rheinischen Töpfereien in Zusammenhang gebracht,
| aber nicht beachtet, daß sie ”den einzigen Ast eines Stammes
bildete, der künstlerisch wertvolle Blüten trug, indessen die
übrigen nur einfaches Blattwerk sprießen ließen”. (1)
Die erste nachweisbare Töpferei der sog. Raerener Keramik
arbeitete im auslaufenden Mittelalter in Eynatten. Es wird sich
um eine kleine lokale Töpferei gehandelt haben, da zu der Zeit
der Markt von einigen anderen umliegenden Töpfereien be-
herrscht wurde. Im Maastal befinden sich die Töpfereien der sog.
20
Andenner Keramik, die vom Ende des 11, Jahrhunderts bis zur
zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts den belgischen und teilweise
den niederländischen Markt beherrschten. (2) Diese Keramik
fällt durch große Ähnlichkeit mit der Keramik aus Westfrank-
reich auf, so daß man annimmt, daß die Töpfer von dort ins
Maastal kamen. Dieses wichtige Töpferzentrum verschwindet je-
doch in der zweiten Hälfte des 14. Jh., vielleicht durch die Pest-
epidemie von 1347, also noch bevor die ”Kruchenbecker” der
Raerener Frühzeit begannen.
Um die gleiche Zeit verschwindet auch ein anderes großes
Töpferzentrum, das von Schinveld-Brunssum im holländischen .
Limburg, wo auch Ware vom sog. Pingsdorfer Typ hergestellt
wurde, (3) Erst der Vergleich der in Eynatten gefundenen Scher-
ben mit den datierbaren Erzeugnissen der Töpfereien von Schin-
veld-Brunssum ermöglichte eine Zeitbestimmung der Eynattener
Funde von 1150 bis 1325, nur das Tonmaterial ist grundver-
schieden.
Auch im Osten befand sich eine schier unschlagbare Kon-
kurrenz ; der hiesigen Produktion am nächsten lag das Töpfer-
zentrum von Langerwehe., Hier arbeiteten Töpfer bereits seit dem
9. bis 10, Jh. Auch in Langerwehe wurde Pingsdorfer Ware her-
gestellt. Diese Töpferei ist die einzige der direkten Nachbar-
- töpfereien, die auch noch zur Blüte- und Spätzeit Raerens be-
stehenblieb. (4) Die Konkurrenz Langerwehes für Raeren wird
wohl nur in der Frühzeit beträchtlich gewesen sein ; zur Blüte-
zeit des rheinischen Steinzeugs im allgemeinen arbeiteten im
Langerwehe Handwerker, in Raeren jedoch Künstler. Ein Land-
tagsbeschluß zu Jülich vom 28. April 1624, worin eine neue
Akzisordnung verabschiedet wurde, erklärte u.a. auch ”erdenge-
schier, düppen, pött, Sibergische (Siegburg), Rhoder (Raeren),
Frechen- oder Weder werk” nebst Dachziegeln und Kacheln als
abgabepflichtig. Außerdem berichten uns die Lehensregister von
der Heirat des Raerener Töpfers Baldem Mennicken mit ”Helene
Claesens von der Wehe”. (5) Auch andere Raerener ”Kannen-
becker” werden schon früh zu Langerwehe genannt. So 1530
Lambert, Martin und Clais, 1552 Jan, Arlof, Johann und Karl.
(6) Das Langerweher Töpferhandwerk konnte sich übrigens län-
ger halten als das Raerener.
z1
Größer jedoch als die Konkurrenz Langerwehes war die der
anderen Großtöpfereien im Rheinland, nämlich Köln-Frechens,
Siegburgs und des Westerwalds, die dank ihrer günstigeren
geographischen Lage den Osten billiger beliefern konnten, Bis in
die Römerzeit reicht die Tradition des Töpferhandwerks in der
Stadt Köln zurück, Noch lange vor der Raerener Frühzeit wur-
den zu Köln Töpfe hergestellt, die später in Aachen und Raeren
nachgeahmt wurden, Obschon nur ein Kölner Töpfer namentlich
bekannt ist, ”’Hermann Wolters”, lassen sich die Werkstätten an-
hand der Funde auf die Komödienstraße, die Maximinenstraße
und die Eigelsteinwerkstatt festlegen. (7) Die Kölner Blütezeit
geht von 1510 bis 1540 und während dieser Zeit wurden die
Kölner Erzeugnisse auch in Raeren nachgeahmt. In den siebziger
Jahren des 16. Jh, wurden die Töpfer wegen der Feuergefahr,
der Rauchbelästigung und des Hochtreibens des Holzpreises aus
der Stadt selbst vertrieben. Sie ließen sich im benachbarten Fre-
chen nieder, wo sie fortan neben den einheimischen Töpfern ihre
charakteristische Ware herstellten. Dieses neue Töpferzentrum
hatte jedoch mit der übermächtigen Konkurrenz Siegburgs zu
kämpfen, für das Köln der Hauptumschlagplatz der Waren
wird, (8)
Die größte Konkurrenz überhaupt, auch für Raeren, wird
die älteste rheinische Töpferstadt, Siegburg, gewesen sein. Sie
war für alle anderen Töpferzentren des 15, und des16. Jh. das
leuchtende Vorbild, bis ein Jan Emens das Raerener Handwerk
aus dieser Bevormundung befreite und vom nehmenden zum ge-
benden Glied in der rheinischen Töpferlandschaft machte.
Aachener und Raerener Töpfer der Frühzeit arbeiteten bis rund
1510 nach Siegburger Vorbildern, die damals den Markt be-
herrschten. Im zweiten bis vierten Jahrzehnt des 16. Jh. ahmten
| die Raerener Meister, die sich noch zu keinem eigenen Stil
| durchgedrungen hatten, die zu dieser Zeit blühenden Kölner
| Töpfereien nach, was ihnen nicht immer sonderlich gelang. In
den folgenden Jahrzehnten wird wieder der Siegburger Stil nach-
geahmt, auch Jan Emens arbeitete anfänglich in diesem Stil, bis
er eine eigene, kraftvollere Note fand, die Raeren nun zum nach-
geahmten Töpferzentrum machte. Aus der Frühzeit des Jan
Emens ist eine Lazarusschnelle bekannt, die nicht nur von einem
Frechener Kollegen kopiert ist, sondern auch auf eine Siegburger
Schnelle des F. Trac zurückgeht, (9) Im Siegburger Land findet
22
sich der Name Kalb oder Kalf schon um 1500, sodaß es den An-
schein hat, als ob diese später in Raeren ansässige Familie in
Siegburg beheimatet sei.
Eine andere Töpferlandschaft wurde durch den langsamen
Niedergang des Handwerks in-Raeren ab 1600 stark begünstigt,
nähmlich der Westerwald. Die bekanntesten Töpferdörfer des
Westerwaldes sind Höhr, Grenzhausen, Grenzau, Baumbach und
Hillscheid. Nach dem Tode des Jan Emens beginnen die Raere-
ner Töpfer auszuwandern, was nicht nur auf religiöse Unruhen
zurückzuführen sein dürfte, sondern vor allem auf Streitigkeiten
unter den Töpfern. Jeder will das Erbe des großen Meisters an-
treten, aber nur wenige sind dazu in der Lage, Eine andere Mei-
nung ist, daß Jan Emens seit 1585 statt des bisher in Raeren
üblichen goldbraunen Farbtons nun Graublau benutzte, wodurch
er die Möglichkeiten des hiesigen Gewerbes überstieg. Die hierfür
nötige helle leichtbackige Erde findet sich in mächtigen Schichten
vor allem im Westerwald und deshalb seien seine tüchtigsten
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Grabstein Kalff zu Sayn
Foto : Martha Kalff, Aachen
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24
Schüler nach seinem Tode i.J. 1594 zum Westerwald ausgewan-
dert. (6) Sein bedeutendster Schüler war Johann Mennicken, der
seit 1595 in Grenzhausen töpferte und dazu die seit 1587 von
Jan Emens hergestellten Hohlformen und Stempel benutzte. Von
1628 bis 1646 töpferte ein Johann Emond Mennicken zu Grenz-
hausen. Als der Raerener Töpfer Emund Mennicken 1609 stirbt,
wird Leonard Mengen zu Grenzhausen der Vormund seiner Kin-
der, (5) Nach 1600 töpfert auch ein Wilhelm Mennicken zu
Grenzhausen, er erzwingt durch seine Vermählung mit einer
Tochter des Siegburgers Rütger Knütgen seine Übersiedlung nach
Höhr. Von ihm stammen die Höhrer Mennicken ab : Jacob,
Mennicken, der 1644 in Höhr töpferte, und Johannes Men-
nicken, Kannenbecker in Höhr 1790. Höhr und Grenz-
hausen formen heute eine Gemeinde, früher gehörten sie
zwei verschiedenen Landesgebieten an. Höhr war ein Teil der
Herrschaft Vallendar und unterstand mit dieser sowohl dem
Kurfürsten von Trier wie dem Grafen von Sayn-Wittgenstein,
Grenzhausen gehörte zum Fürstentum Wied. In Höhr arbeiteten
die Siegburger als erste Kunsttöpfer, in Grenzhausen die Raere-
ner. (6) E, Albert sagt, daß 1940 die Mennicken oder ”Menni-
gen” noch auf dem Westerwald töpferten, in Höhr- Grenzhausen
sowohl wie in Ransbach. In Ransbach haben sie sich zur Unter-
scheidung die Firmennamen ”Mennigen I” und ”Mennigen 11”
zugelegt. Die Baldems, deren Namen schon Mitte des 17, Jh. in
Raeren verschwindet, finden wir später in Sayn und ebenfalls im
Westerwald, 1601 treffen wir in Sayn einen Töpfermeister na-
mens Baltem Mennicken, der sich auch ”Meister Jan” nennt.
Seine Nachkommen führen zum Teil den Vaternamen Baldum
als Zuname, einen Namen, der im 17. Jh. sowohl in Sayn wie im
benachbarten Ransbach verbreitet ist, wo unter anderem damals
Godhart und Willem Baldem, Balthem oder Ballem leben. Viele
der Baldum oder Baldems ergreifen den geistlichen Stand. Sie
werden Stiftsherren der Abtei Sayn oder treten in den Prä-
monstratenserorden der Abteien Romersdorf und Steinfeld ein,
wie es uns ihre Gräber beweisen. So stirbt ihr Name bald wieder
aus. Andere Nachkommen des Meisters Jan nehmen den ur-
sprünglichen Familiennamen wieder an, doch in der veränderten
mittelrheinischen Form ”Menning”. Mit oder noch vor den Men-
nicken sind um 1600 aus Raeren Angehörige der Familie Kalb
oder Kalf zum Westerwald ausgewandert. Der Raerener Meister
Care BE CHE 3 25
WA hr CE Johannes Kalf wirkte
TE A sch 1593 in
Te ; 5 WS} schon um
A 2 8 Grenzau. Nach Grenz-
RO VS hausen kam damals
NE Hermann Kalb als Ge-
| en En A | selle. Es heißt von ihm,
{ N daß er einen von SO
| v BE 1 _ Raerener Töpfermei-
N ME stern unterschriebenen
WW... a A e —___} Lehrbrief mitbrachte,
* DA SA der seine siebenjährige
8 A Lehrzeit bescheinigte.
LEN AACRE 2 A 1602 ließ er sich als
Aa | Meister in Vallendar
X x ER Ü nieder. Da es zu Schwie-
% DB Qi A 8 _ rigkeiten mit den Höh-
WS 750 Köligen an, an
Sn a ‚u 4 er bald darauf nach
- FF} RN Grenzhausen zurück.
Be EN f 7 Um 1700 werden die
A Töpfermeister Jakob
Grabstein der Baldems zu Sayn und Nikolaus Kalf, Va-
Foto : Martha Kalff, Aachen ter und Sohn, Joseph
Kalf, Baumbach, Jost und Peter Kalf, Ransbach, und Johannes
Kalb, Hillscheid, genannt. Mit den Mennicken und Kalf zogen
um 1600 auch die Willems zum Westerwald, Gemeinsam mit den
aus Lothringen zugewanderten Remy stellten sie in Höhr Kunst-
ware der Raeren-Grenzhausener Art her und beriefen sich da-
rauf, keineswegs die Siegburg-Höhrer Knütgen nachzuahmen und
so deren Vorrecht zu brechen. Bertram Knütgen, ein Bruder des
oben genannten Rütger, erklärte sich auch damit einverstanden,
daß ”Jacob der Wesche”, der Stammvater der Remy, mit seinen
Söhnen Peter und Oster sowie ”Hannsen Wilhelmen” und seine
Söhne ”Johanntgen” und Heinrich etwas ”Bloher Arbeit” ma-
chen dürften. Hermann und Rütger ist das aber nicht recht, sie
beschweren sich beim Trierer Kurfürsten. Bertram zieht über
diese Streitigkeiten nach Grenzau, Wir müssen also feststellen,
daß es zwischen den einheimischen Töpfern und den zugezogenen
zu häufigen Unstimmigkeiten kam. Aber nach einiger Zeit ver-
söhnten sie sich, heirateten untereinander und schufen so auf der
I
26
Grundlage Racrens und Siegburgs gemeinsam die blühende Töp-
ferkunst des Westerwaldes. Auch die Kannenbecker, die zu Rae-
ren und Langerwehe töpferten, tauchen im Westerwald auf.
Schließlich sind noch die Schwaderlapp zu nennen, deren Namen
in Raeren ausgestorben ist, man findet ihn aber noch im Wester-
wald, sowie die Klütgen, die wohl zum selben Stamm wie die
Höhrer Kleudgen gehören.
Wir haben somit festgestellt, daß die massive Auswanderung
der Raerener Töpfermeister zum Westerwald das dortige Hand-
werk zu künstlerischer Blüte brachte. Gemeinsam mit den ein-
heimischen Töpfern begründeten sie nun vom Westerwald aus die
Töpferkunst in anderen rheinischen Orten, so in den Dörfern
Meckenheim, Adendorf und Wormersdorf. Peter Mennigen ist
der erste Adendorfer seines Stammes. 1744 ist er Taufpate bei
einem Kind des Johann Willems, Auch sein Bruder Wimar
töpferte zu Adendorf. Nachkommen der Kalf zogen ebenfalls
hierhin. Auch die Emens sind hier Töpfermeister, obwohl sie
kaum über den Westerwald nach hier gekommen sein werden,
denn im Westerwald findet sich Emens oder Emons nur als Vor-
name zu Mennicken, nie als Zuname, Die Willems begründeten
mit dem Westerwälder Töpfer Gerhartz von Adendorf aus die
Töpferei zu Wormsdorf und zu Beginn des 19. Jh. auch die
zu Meckenheim,
Außerdem entstand nun auch ein Töpferzentrum in der Süd-
eifel, in den Orten Speicher, Herforst und Bruch bei Wittlich.
in.und um Speicher begegnen wir den Willems und auch den
Pitsch. Die letzteren haben auch in Bruch ihre Werkstätten.
Am Niederrhein bestand auch ein wichtiges Töpferzentrum
in Krefeld-Hüls. Hier wurde vor allem buntglasierte Irdenware
hergestellt, die oft mit gleichartigen Erzeugnissen der Töpferei
Berlotte des 18. Jh, verwechselt wird.
Zum Schluß sei aber auch noch auf den Einfluß der Raere-
ner und der rheinischen Töpfer im allgemeinen auf die Neu-
gründung von Töpfereien im westlichen Belgien hingewiesen, die
die Raerener Töpfer kopieren, wodurch eine Unterscheidung der
Erzeugnisse, vor allem der des 17. und 18. Jh., sehr erschwert
wird. Im belgischen Hennegau bestehen so im 17. Jh. einige
Töpfereien, wovon die von Bouffioulx bei Charleroi, Chätelet
27
und Pont-de-Loup erwähnt seien. Im 17, Jh. treffen wir in Bouf-
fioulx und Chätelet den Meister Emonce ! Die Unterscheidung
der Erzeugnisse wird weiter dadurch erschwert, daß in Dinant,
Bouvignes und Verviers nach dem Vorbild von Siegburg und
Grenzhausen getöpfert wurde. In den Diplomen erscheinen diese
| Ortsnamen enstellt als ”Sibricht” und ”Grinthausen”. In Namur
richtete J.B. Chabotteau 1639 eine Werkstatt ein. Der berühmte
| Lütticher Glashüttenbesitzer Henri Bonhomme stellte in Namur
ab 1647 ebenfalls Steinzeug her. (10)
Zusammenfassend können wir also sagen, daß Raeren noch
vor seiner eigentlichen Frühzeit von Andenne im Westen, von
| Schinveld-Brunssum im Norden und von Aachen, Langerwehe
| und Köln im Osten umgeben war. Zur Frühzeit arbeiteten Groß-
zentren in Köln, Siegburg und Langerwehe, Die Blütezeit läßt
Raeren seine Konkurrenz überflügeln, nur Siegburg und in etwa
| auch Frechen und Langerwehe bieten die Stirn. Mit dem Beginn
der Spätzeit und durch die Auswanderung der Töpfer Siegburgs
und Raerens zum Westerwald wird die dortige Produktion zum
großen Konkurrenten der niedergehenden Raerener Töpferei,
außerdem beliefern neugegründete Töpfereien in Belgien das
westliche Absatzgebiet.
| Literaturverzeichnis :
1. MAYER O. E., : Mittelalterliche Keramik aus Eynatten, in ZAGV
77 (1965/66), S.81.
| 2. BORREMANS R. und WARGINAIRE R.: La Ceramique d’An-
denne, Rotterdam 1969.
3. BRUUN A.: Die mittelalterliche keramische Industrie in Südlim-
burg, in: Berichten van de rijksdienst van het oudheidkundig
bodemonderzoek 12/13 (1962/63).
4. SCHWARZ J. : Behördenstreit in Langerwehe, zugleich ein Beitrag
zur Geschichte der Langerweher Töpfereien, in: Heimatblätter,
Düren, 1932.
5. von COELS L. : Die Lehenregister der Propsteilichen Mannkammer
des Aachener Marienstiftes 1394-1794.
6. ALBERT E.: Raerener Töpfermeister - sippenkundlich betrachtet,
in: Rheinische Heimatpflege 3, Jg 12, 1940.
7. von BOCK G.: Die Blütezeit der Rheinischen Steinzeugproduktion,
in: Volkskunst im Rheinland, Düsseldorf, 1968.
8. GILLES A.: Ursprung und Entwicklung der Töpferei in Adendorf,
in: Keramik im Landkreis Bonn, Bonn, 1969,
9, MAYER O.E.: Fünfzehn Jahre Grabungen im Raerener Land,
in: Aachener Beiträge für Baugeschichte und Heimatkunst, Bd.
4, Aachen, 1967.
10. PHOLIEN F.: La ceramique au pays de Liege, 1906, S. 17.
28
Die Pavei in Herbesthal 1914-18
von Leo Homburg
In Nr. 12 und Nr. 13 dieser Zeitschrift habe ich versucht,
das Leben und Treiben an und auf der Pavei, der Grenzstraße
zwischen Herbesthal und Welkenraedt, in den Jahren vor dem
Ersten Weltkrieg bzw. bei Kriegsausbruch erinnerungsgetreu zu
schildern, Daß die Lebensmittelversorgung in immer größere
Engpässe geriet und der Schmuggel an der Pavei blühte, habe ich
auch schon erwähnt. Wie ging nun das Leben weiter ?
Die Pavei bot in den nächsten Jahren das gleiche Bild:
Wachtposten, Schmuggler, Bauernfahrzeuge, freudlose Menschen.
Im April 1915 (ich war 12 Jahre alt) war ich zum letzten Male
in der Schule gewesen. Vater sorgte immer wieder, daß ich als
unabkömmliche Hilfe für meine Mutter und die kleine Landwirt-
schaft vom Schulbesuch befreit blieb. Bei fünf jüngeren Ge-
schwistern war Befreiung vom Schuluntericht keine Ausnahme.
Im Herbst 1917 erschien als Grünstraßposten Hubert Wertz
vom Kirchbusch in Astenet, Er nahm seine Aufgabe ernst, wollte
mit dem Schmuggel aufräumen und sich nicht den örtlichen Ge-
pflogenheiten anpassen. So sammelten sich die Schmuggler dies-
seits und jenseits der Pavei, warteten, bis dieser Posten abgelöst
wurde und liefen dann herüber und hinüber. Das Schilder-
häuschen vergaßen sie natürlich nicht. Noch ehe der neue Wacht-
posten, der sein Grenzteilstück abging und den Schmugglern den
Rücken zukehrte, zurück zu seinem Schilderhäuschen gekommen
war, hatte ich daraus 18 Mark an Bestechungsgeld kassiert und
war nach Hause verschwunden. Mutter belehrte mich, daß das
Geld gestohlen sei und dem Posten gehöre. Ich müsse es sofort
zurückbringen, Was ich denn auch tat. Der Posten stand ent-
täuscht vor seinem Schilderhäuschen, nahm das Geld und steckte
es in die Tasche, ohne mir reuigem Sünder eine einzige Mark
davon abzugeben.
Mit dem oben genannten Asteneter Posten gab es auch
einen kleinen Zwischenfall unseres einzigen Schweines wegen.
Alle Grenzvorschriften mißachtend, suchte das Schwein, das we-
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gen Futtermangels auf Selbstversorgung angewiesen war, seine
Eicheln auf deutscher wie auf belgischer Seite. Niemand hatte es
bisher behelligt und es war immer zurückgekommen. Daran
| wollte nun der Posten es eines Tages mit dem Gewehrkolben hin-
dern. ”Wenn es die Grenze überschreitet”, rief er meiner Mutter
zu, ”muß ich es erschießen !” Er hat dann doch nicht geschossen,
als meine Mutter und ich das Tier in den Stall trieben, War er
nicht sicher, wen er getroffen hätte ?
Die Versorgungslage spitzte sich im Laufe des Krieges im-
30
mer mehr zu. Elektrisches Licht hatten wir nicht. Petroleum und
Kerzen gab es nicht mehr. Nur noch primitive Karbidlampen
spendeten spärliches Licht und mehr als einmal knallte es, wenn
solch eine Lampe auseinanderflog. Die Kartoffeln wurden kaum
halbreif vom Acker gestohlen. Dann kam der Rübenwinter 1917-
18, Schon Allerheiligen, als ich die Mutter auf dem Gang zum
Friedhof nach Lontzen begleitete, knirschte der Schnee vor Frost
unter unseren Sohlen. Monatelang blieb es kalt. Die für die Be-
völkerung eingelagerten Kartoffeln erfroren. Die Zuteilungen zer-
fielen in Matsch. In der im Bahnhof eingerichteten Kriegsküche
wurde Suppe verteilt. Wer einmal von dieser Brühe, in der die
Maden schwammen, geholt hatte, aß lieber noch Rüben, Doch
auch die waren knapp. Es war uns gelungen, ein paar Fuhren
dicker, gelber Rüben für das Vieh einzulagern. Das hatte sich
schnell herumgesprochen und es kamen immer mehr Leute, die
dann glücklich mit einigen Rüben unterm Arm nach Hause gin-
gen. Das Vieh, das den langen Winter mit dem, was der Heubo-
den hergab, auskommen mußte, wurde Anfang Mai halb verhun-
gert auf die noch immer nicht grünen Wiesen getrieben. Auch
im Sommer hielt die Not an. Wie groß sie war, mag man daraus
ersehen, daß eines Tages eine Kuh, die durch einen unglücklichen
Zufall erstickt war und die wir verscharrt hatten, in der folgen-
den Nacht wieder ausgegraben wurde und bis auf den Kopf und
die Haut weggetragen wurde.
Im Spätherbst war im Saale Scholl (heute Kasino Herbes-
thal) ein Vortrag über die Kriegslage. Damit kein Zweifel an
Preußens Gloria aufkomme, spielte eine Militärkapelle schmissi-
ge Marschmusik. Die Redner sprachen von Bruttoregistertonnen
Schiffsraum, die täglich von unseren U-Booten versenkt würden,
sie rechneten aus, wieviele beladene Güterzüge das seien, usw.
Der Reden letzter Sinn : zeichnet die achte Kriegsanleihe ! (s.
Bild S. 29)
Als ich nach dem Vortrag durch die ruhige Nacht nach
Hause ging, hörte ich, wenn auch aus weiter Ferne, ein dumpfes
Grollen, das mich an den Kanonendonner von 1914 erinnerte.
In den nächsten Tagen hörten auch andere dieses Geräusch. Als
ich gegenüber einem meiner belgischen Jugendnachbarn (wir
hatten uns den Krieg über respektiert) die Ansicht äußerte, der
Krieg könne auch unser Gebiet treffen, meinte er, das sei egal.
”Hopsak, die Prüße flege ut Belge erut !”
31
Dann gab es etwas, was ich noch nie gehört hatte : Flieger-
alarm. Auf der Pavei fielen Bomben, sie rissen das Pflaster auf
und durchlöcherten den Drahtzaun. Am Gendarmeriegebäude in
Herbesthal sind heute noch die Spuren der Bombensplitter zu
sehen. Wenige Tage später warf der Landsturm an der Grün-
straßecke sein Gewehr in den Straßengraben und ging nach Hau-
se. Es war Waffenstillstand.
Und wieder zogen Soldaten über die Pavei, Doch nicht in
schöner Ordnung wie 1914, Die ersten waren wilde Haufen, Die
Bevölkerung wurde aufgefordert, zur Begrüßung dieser ”Etap-
penhengste” die Häuser zu beflaggen. Wir stellten einige unserer
Prozessionspfähle mit den dazugehörenden Fähnchen vor unser
Haus, als auch schon die ersten durchziehenden Soldaten die
rotweißen Fähnchen herunterrissen und rote Fetzen davon an
ihre Uniform hefteten. Als sie dann auch noch eines unserer Rin-
der auf der Weide abschlachteten, war unsere Begrüßung zu
Ende. Ein Trupp mit einem motorisierten Fahrzeug blieb in der
damals ab Pulverlager fast grundlosen Grünstraße stecken. Sol-
daten ohne Achselklappen, behengt mit roten Stoffetzen, forder-
ten uns im Namen des Arbeiter- und Soldatenrates mit aufge-
pflanztem Bajonett auf, anzuschirren und den Wagen herauszu-
ziehen.
Nach Abzug dieser wilden Haufen kamen die ersten Front-
soldaten. Sie trugen ihre Abzeichen und wurden von ihren Offi-
zieren geführt. Es gab auch wieder Einquartierungen, aber da um
diese Zeit schönes Wetter herrschte, übernachteten auch viele im
Freien, um wärmende Feuer gelagert. Sie sangen, spielten auf
der Mundharmonika und schossen ihre letzten Leuchtkugeln in
die Luft. Einer, der seine Heimat nicht wiedersehen sollte, wur-
de am Grünstraßende hinter einer Hecke beerdigt, ”Hier ruht
in Gott Soldat Winter”, stand auf seinem Bretterkreuz.
Ich habe oft an diese Soldaten gedacht, die nach jeder
Nacht weiter auf die Heimat zu zogen, als die Amerikaner uns
nach dem Waffenstillstand des 2. Weltkrieges ohne Zelt und
Unterkunft zwei Monate lang bei schlechtem Wasser und wenig
Brot auf einem Kartoffelacker eingesperrt hielten.
Die Soldaten hatten auf unserem Hof ein Motorrad mit
Beiwagen zurückgelassen, das ich mir ganz gerne gesichert hätte.
32
Aber Vater war strikt dagegen, da er befürchtete, die nachfol-
genden Franzosen könnten uns deswegen bestrafen. Vater war im
Frühjahr entlassen worden, Er hatte ein Pferd angeschafft und
statt mit dem Motorrad durch die Gegend zu fahren, mußte ich
mit ihm nach Bailly’s Fabrik, eine Fuhre Asche zu holen. Auf
dem Hof brannte ein Feuer, Kinder spielten mit Gewehren, die
damals überall herumlagen. Ein Knall ließ alle erschreckt aus-
einanderlaufen. Nur ein Welkenraedter Junge stand brüllend da.
Ihm fehlten ein paar Finger. Ein Schuß aus einem der Gewehre ?
Ins Feuer geworfene Munition? Wer weiß ? Vater brachte den
Jungen durch den inzwischen zerschnittenen Drahtzaun zu seinen
Eltern, ]
Vier Tage dauerte die herrenlose Zeit. Unser holländischer
Nachbar hatte sie benutzt, sein über den Krieg gerettetes Kupfer
zu scheuern und ins Fenster zu stellen, Über der Haustür hatte
er ein großes Schild angebracht mit der Inschrift: Maison
Hollande.
Dann kamen, Fanfaren blasend und geführt von einem Of-
fizier zu Pferd, von Welkenraedt her die ersten belgischen Solda-
ten. Am ”Maison Hollande” zogen sie vorbei. Bei uns machten
sie Halt. 6 Mann belegten unsere Wohnstube. Abends gingen sie
zur Befreiungsfeier nach Welkenraedt und als sie in der Nacht
angeheitert zurückkamen, trieben sie uns aus den Betten und
durchsuchten das Haus, Im Schilderhäuschen standen jetzt bel-
gische Wachtposten. Alles, was zur Grünstraße einbog, wurde
durchsucht. Männer wurden abgetastet, Frauen mit dem Gewehr-
putzstock abgeklopft. Was die Posten fanden, wurde beschlag-
nahmt. Meist waren es Lebensmittel, die man versuchte, aus
Welkenraedt auf unsere Seite zu bringen, da es bei uns noch
nichts gab.
Als diese Soldaten abzogen, nahmen sie das Schilderhäus-
chen mit, Das Motorrad hatten sie schon in den ersten Tagen in
Richtung Welkenraedt geschoben. Wir hatten uns an die Männer
gewöhnt und ihre Anwesenheit war für uns ein Schutz vor den
damals sehr rührigen Dieben gewesen, die das Pferd unseres
nächsten Grünstraßnachbarn Cormann sogar bei hellichtem Tage
von der Weide gestohlen hatten.
33
Am 22. Januar 1919 erhielt ich einen neuen Paß. Er war
zweisprachig französisch-deutsch und gleich mit vier Stempeln
versehen : Polizeiverwaltung Herbesthal (deutsch), Kreis Eupen
(deutsch und franz.), Surete Militaire und Armee d’occupation
(franz.). Ein fünfter Stempel, dreisprachig französisch-englisch-
deutsch, kam später noch hinzu. Er erlaubte freien Durchgang
in allen von den Alliierten besetzten Gebieten.
Im August wurden uns eine Kuh und drei Rinder, die
nicht im Viehkontrollbuch eingetragen waren, beschlagnahmt.
Sechs Gendarmen mit Brustschnüren und auf Pferden reitend
trieben sie nach Eupen zum Schlachthof. Als wir sie Mitte De-
zember wiedererlangten, war ein Rind eingegangen und das
Futtergeld, das wir zahlen mußten, überstieg den Wert der
'halbverhungerten Tiere.
34
Rose
von M, Th. Weinert
Einsame Rose,
in Dir ist der Sommer
dunkel ergrünt,
im stechenden Dorn, .
dem wehrhaften Speer,
| im starken, gezahnten Blatt.
Feingeädert und wächsern
rahmt seine Fülle Dich ein :
kaum geöffnete Knospe !
Schimmernde Blütenblätter,
eng umeinandergelegt,
wölben Dein sanftes Oval,
hauchen verströmend
den Duft und die Farbe -
Gesicht eines Sommers ...
Wie lange noch ?
N
35
Neue Ergebnisse zur Dialektgeographie
| im ehemaligen Herzogtum Limburg
von Leo Wintgens
| In einer schnellebigen und kontaktfreudigen Zeit, in der,
besonders durch den Einfluß der Massenmedien und regionaler
oder überregionaler Siedlungsbewegungen, die Hochsprachen die
| Mundarten immer mehr zu verdrängen und zu durchsetzen dro-
hen, ist es dringend geboten, die überlieferten angestammten (1)
Charakterzüge der örtlichen Mundarten festzuhalten. In der
Bundesrepublik ist aus diesen Gründen schon vor Jahren das
”Deutsche Spracharchiv” mit der Sammlung deutscher Dialekte
und der Konstituierung einer Lautbibliothek beauftragt worden.
Für unseren Grenzraum fühlt sich anscheinend auch auf
diesem Gebiet nach jahrzehntelangen pseudo-wi:senschaftlichen
Kontroversen (2) und anhaltendem sprachpolitischem Tau-
ziehen (3) wieder einmal niemand verantwortlich bzw. zuständig
oder kompetent. Dabei ist eine objektive sprachwissenschaft-
liche Erforschung unserer Mundarten nicht nur für eine rein
regionale Sprachbetrachtung von Belang. Sie kann in manchen
Hinsichten auch für einen weiteren Raum neue Perspektiven er-
öffnen.
Die Mundarten unserer Gegend, des ehemaligen Herzog-
tums Limburg, bilden nämlich einen wichtigen Bestandteil des
Kerngebietes in dem breiten Übergangsraum der kontinentalger-
1) Hier ist zu berücksichtigen, wie auch aus den nachstehenden Aus-
führungen hervorgeht, daß die Mundarten auch in der näheren und
weiteren Vergangenheit durch interne Entwicklungen und Einflüsse
von außen her immer wieder Veränderungen unterworfen waren.- Was
die Sprachbeherrschung betrifft, so können in Eupen und in einigen
umliegenden Ortschaften heute nur noch die wenigsten Kinder die
Mundart fließend sprechen, wenn sich ihre Umgangssprache auch
lexikalisch, grammatisch und besonders intonationsmäßig stark an
die typischen örtlichen Sprechgewohnheiten anlehnt.
2) Im Gegensatz dazu stehen die philologischen Betrachtungen von
Professor J. Goossens in ”De Overmase Dialecten” Zeitschrift ”Vel-
deke” 1966, 41 Jahrg. Nr. 226-227 und Dr. R. Jongen ”Unsere
Mundarten, der geographisch - historische Aspekt” Zeitschrift ”Im
Göhltal” Mai 1969, Nr 5.
3) Siehe dazu die wichtigsten Ausführungen (nebst Bibliographie) von
Dr A. Boileau in ”Enqu@te dialectique sur la toponymie germanique
du Nord-Est de la Province de Li@ge”, I, 1954, S. 8-13 (hier abge-
kürzt Boi).
36
manischen Sprachen. Nicht nur hiesige Dialektologen, sondern
auch auswärtige Sprachforscher haben den philologischen Wert
unserer oft zu unrecht vernachläßigten Volkssprache erkannt.
Immer wieder sind neue Untersuchungen angestellt worden, die
jedoch manchmal die feinen Einzelheiten und Unterschiede in
unseren Mundarten, die selbst einem einheimischen Mundart-
sprecher leicht entgehen, nicht oder nur teilweise berücksich-
| tigen.
Der vorliegende Beitrag stützt sich weitgehend auf eine
philologische Abhandlung zu dem Thema ”Der Konsonanten-
stand der ältesten Kanzleisprache der limburgischen Bank
Walhorn im historischen Vergleich mit den örtlichen Mund-
arten - Beitrag zur historischen Sprachgeographie”, die an
der Fakultät für Philosophie und Literaturwissenschaften der
Universität Lüttich, Abteilung Germanistik, ausgearbeitet wurde.
Ursprünglich sollte diese Untersuchung ausschließlich den
Konsonantenstand der ältesten Urkundensprache in der Bank
Walhorn feststellen (4). Da jedoch durch das geschichtliche Ma-
terial und durch fortwährenden Vergleich mit anderen Mundar-
ten manche Rückschlüsse auf die Entwicklung unserer Mundar-
ten möglich schienen, wurde auch die heutige Mundart, das Er-
gebnis und zugleich der Schlüssel zum Studium dieser Ent-
wicklung, grundlegend in die Arbeit einbezogen.
s Hier standen mir insbesondere die drei sprachgeographi-
schen Werke von Wilhelm Welter (5) zur Verfügung, auf die
sich auch A, Boileau in der Einleitung (bes. S. 40f) zu dem vor-
genannten toponymischen Werk (Siehe Fußnote 3) stützt. Gründ-
liche sprachwissenschaftliche Studien über die altlimburgische
Schreibsprache oder geschichtlich fundierte Untersuchungen zu
Sprache und Mundart lagen nicht vor.
4) Die diesbezüglichen Ergebnisse wurden noch beträchtlich erweitert
und am 3. August 1972 in Malmedy dem 42. Kongreß der belgischem
Geschichtsvereine vorgetragen. Das gleiche Referat wurde, noch durch
weitere Dokumente und Lichtbilder ergänzt, am 21. April 1973 vor
dem Aachener Geschichtsverein gehalten. Es erscheint Mitte 1974
unter dem Titel ”Grundzüge der sprachlichen Entwicklung im Osten
des Herzogtums Limburg” im 2. Ausgabe der Annalen des XLII. Kon-
gresses der ”Vereinigung der Gesellschaften für Altertumskunde,
Geschichte und Volkskunde Belgiens”,
5) ”Studien zur Dialektgeographie des Kreises Eupen” 1929 (We Eu);
”Die Niederfränkischen Mundarten im Nordosten der Provinz Lüt-
tich” 1933 (abgekürzt We No); ”Die Mundarten des Aachener Lan-
des als Mittler zwischen Rhein und Maas” 1938 (We Aa).
39
wie Welter No S. 113, Karte 22 und auch Boileau S. 70 (mit
Bedenken) annehmen. Sie erstreckt sich fast über den ganzen
altlimburgischen Bereich mit Ausnahme von Eupen /keind -
keinder/, Kettenis, Membach /kend - kender/ und Homburg,
Baelen /kend/ daneben /kengk - kenger/. Diese Lagerung scheint
| übrigens nicht neueren Datums zu sein, da auch die ältere Ge-
neration im restlichen Gebiet nirgendwo /kend/ spricht.
| 2) Auch Boileaus Linie 7, die nicht nur für anlautendes g
vor r (We No S. 31 ; Boi S. 67), sondern auch vor 1 gelten muß,
also vor Liquida überhaupt, z.B. in ”Gras, grün; Glas, glau-
ben ...”, liegt keineswegs im sog. Benrather Linienbündel, son-
dern viel weiter westlich. Kelmis, Hergenrath, Walhorn, Lont-
zen haben alle ein gelegentlich stark spirantisches ”ripuarisches”
'j/. Kettenis, Eupen, Membach dagegen sprechen (zuweilen
schwach) spirantisches /g/(7). In dem Mittelstreifen Sippenaeken,
Gemmenich, Moresnet, Montzen, Kapell (Henri-Chapelle), Wel-
kenraedt, Baelen spricht man jedoch durchweg einen velaren Ver-
schlußlaut ähnlich wie im Hochdeutschen (daneben in Gemme-
nich, Bleyberg seltener j). Homburg schwankt anscheinend zwi-
schen dem spirantischen /g/ und diesem Verschlußlaut (Auch
in Teuven, Remersdaal scheint diese Schwankung noch zu be-
stehen). Die relativ große Einheitlichkeit bei den jüngeren und
älteren Mundartsprechern weist auch hier auf eine schon über-
lieferte Sprechgewohnheit.
3) Im Anlaut vor Vokal (Boi Linie 8) herrscht die Spirans
/g/, wenn zuweilen auch schwach, in Eupen und Sippenaeken
(wie auch im Vurgebiet). Der /j/-Anlaut scheint sich seit Wel-
ters Untersuchungen, deren Richtigkeit in diesem Punkt auch
Boileau anzweifelt (S. 67), noch immer weiter nach Westen aus-
zudehnen. Wir finden ihn heute schon in Homburg (wohl von
Fall zu Fall wechselnd) neben /g/ und /g/; z.B. ”gehen” /gue,
jue, gue/. In Gemmenich, Bleyberg, Moresnet, Montzen, Ka-
pell, Welkenraedt, Baelen, Membach, Eupen, Kettenis hört man
/g/ hauptsächlich noch bei der älteren Generation (in Baelen,
7) In Eupen begegnet gelegentlich, besonders vor r im betonten Anlaut,
auch der Verschlußlaut /g/. Diese stimmhafte Spirans (siehe auch
Nr. 3: Anlaut vor Vokal) wird nach Westen hin immer stärker ge-
rieben und weiter am Hintergaumen artikuliert. Sie gleicht dort dem
niederländischen Laut in ”groen, gaan” usw.
42
In Kelmis, Neu-Moresnet und z. T. Hergenrath wird prak-
tisch gerundetes /sch/ gesprochen.
In Hergenrath (neben /sch/), Walhorn, Lontzen, Kettenis,
Eupen findet sich stattdessen ein palataler Laut, der dem hoch-
deutschen ”Ich-Laut” /c/ sehr ähnlich ist (10).
Die westlicheren Ortschaften sprechen einen zur Vur hin
immer stärker velar werdenden stimmlosen Laut /X/, der
schließlich dem des Niederländischen nahesteht. Nur in dem
Weiler Moresnet-Kapelle scheinen die Jüngeren das Kelmiser
/sch/übernehmen zu wollen (11).
Für das Beispiel ”durch” gibt es folglich im altlimburgi-
schen Raum die Lautungen /döresch/döresch/dörec/döreX/ mit
örtlichen Schwankungen und Zwischenstadien.
10) Die hochdeutsche Lautung wird hier nur zur Beschreibung der
Laute hinzugezogen. Sie hat m. E. keinerlei Einfluß auf die Bildung
dieser Mundartlaute /c/ (S) oder /g/ (2, 3, 4) gehabt.
11) Hiermit möchte ich allen Personen und Vereinigungen danken, die
mir bei meinen Nachforschungen wertvolle Belege geliefert und
wichtige Hinweise gegeben haben. Insbesondere danke ich dem
Grafiker Hermann Scheiff, der die Dialektkarten zeichnete.
43
Die Grabsteine des 17. und 18. Jh.
auf dem Hergenrather Friedhof
Ein Nachtrag
{ von Alfred Bertha
Auf den in der vorigen Nummer unter obigem Titel erschienenen
Aufsatz gingen mehrere Zuschriften ein, von denen eine es wohl verdient,
) daß wir sie hier veröffentlichen. Für alle, die an der Grabinschrift von
1621 herumgedeutet haben, bringen wir hier als Nachtrag und Nachlese
zu diesem Thema die Lesart von Herrn Peter Bertram aus Aachen, dem
wir für diese Korrektur herzlichst danken.
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ANNO 27 DEN 16 ABR
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NTSLOFEN IAN EL
EGAST G T DREST
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|
| Hier die Begründung dieser Lesart :
1. Allgemeines
1.1 Vergleicht man die 2. Zahl in der Jahreszahl des Steins
mit der ”1” im Tagesdatum ”16”, so muß man feststellen,
44
daß beide nicht identisch sind. Während der obere Ab-
schlußstrich in der zweitgenannten Ziffer über den senk-
rechten Strich an beiden Seiten gleich weit hinausragt, ragt
der Kopfstrich bei der zweiten Ziffer der Jahreszahl nur
nach links (heraldisch rechts) hinüber, Die Jahreszahl be-
deutet meiner Ansicht nach nicht ”21”, sondern ”27”.
1.2 Der Text der Kreuzinschrift ist bis zum Ende der zweiten
Zeile folgerichtig aufgebaut, dann allerdings fehlt ein Ab-
schluß durch ein Zeitwort wie ”gestorben” oder ”entschla-
fen”, wie bereits in Ihrer Arbeit festgestellt wurde.
Der Buchstabe ”E” hinter ”Got” am Ende der ersten Zeile -
kann wohl kaum als Abkürzung für ”gestorben” anzusehen
sein, wohl ist bei etwas Großzügigkeit mit der Kunst des
Steinmetzen aus dem ”E” und folgenden Buchstaben das
Wort ”ENTSLOFEN” zu lesen (Siehe weiter unter 2.2 bis
25)
1.3 Verwunderlich wäre es auch, wenn der Steinmetz das Le-
bensalter des Verstorbenen als Kombination aus Zahlen und
Buchstaben eingeschlagen hätte (”20 EEN”), wozu er Platz
für 5 Zeichen brauchte, obwohl er mit 2 Zeichen, nämlich
den Ziffern für die Zahl 21, ausgekommen wäre. Auch die
Kombination aus lateinischen und deutschen Worten wäre
ungewöhnlich. Sie kommt z. B. bei keinem anderen Hergen-
rather Kreuz vor.
2. Besonderheiten
2.1 Das Wort April
Der Steinmetz setzte im gesamten Text des Steines für I
wie auch für T das gleiche Zeichen, nämlich ”T”, Ich bin
deshalb der Meinung, daß das von Ihnen am Ende des
Wortes ”Abreil..” gelesene ”T” kein T, sondern ein I wie-
dergeben soll, weshalb das strittige Wort ”ABREILL” zu
lesen ist.
Fraglich ist dann allerdings, ob der Buchstabe ”E” zum Mo-
natsnamen oder aber zum nächsten Wort ”ist” gehört, weil
45
die Worte nicht durch Punkte getrennt sind, wie dies fast
bei allen anderen Worten der Fall ist,
2.2 Das E am Ende der zweiten Textzeile ist m. E. der Anlaut
des Wortes ”"ENTSLOFEN” und gehört nicht zu ”GOT”,
wie bereits unter 1.2 erwähnt.
2.3 Als erster Buchstabe der 3. Zeile steht ein N, das allerdings
durch einen waagerechten Querstrich zwischen dem ersten
\ Auf- und dem Abstrich wie ein A wirkt und das oben und
unten ebenfalls durch einen waagerechten Querstrich abge-
schlossen ist.
Ein Vergleich mit den Buchstaben A im Text ergibt, daß
diese immer erheblich breiter sind und nie mit anderen
Buchstaben zusammengezogen wurden,
2.4 Der folgende Buchstabe könnte sowohl ein T wie ein I sein
(siehe unter 2.1), wobei ich ein T unterstelle.
2.5 Der dritte Buchstaben der genannten Zeile dürfte ganz klar
ein S sein,
2.6 welchem ein L nachgestellt ist, Der Kopfstrich dieses L, ist
allerdings im Gegensatz zu anderen L des Textes erheblich
weiter nach links und rechts hinübergezogen. Die Ähnlich
keit des Buchstabens mit List wohl in jedem Falle größer
als mit der Zahl 2 (Siehe in der Jahreszahl), bei welcher der
Mittelstrich von links unten diagonal nach rechts oben führt,
was bei unserem besprochenen L nicht der Fall ist.
2.7 Soll das besprochene Wort ”ENTSLOFEN” gelesen wer-
den, so fehlt für unser heutiges Schreibgefühl nun zwischen
dem S und dem L das CH. Dazu wäre zu sagen, daß im
niederdeutschen Sprachraum in der fraglichen Zeit (etwa
17. Jh.) zumindest das H im SCH oft wegfiel (Siehe in Ihrer
x Arbeit z. B. S. 45, Kreuz von 1663, ”Werner Francois Sce-
Pe
In der heutigen niederländischen Schrift sind fast alle Wor-
te, die im Anlaut wie SCHL gesprochen werden, nur mit SL
geschrieben, z. B. ”slapen, slecht, slepen”” usw. Das Fehlen
46
des CH in ”ENTSLOFEN” ist m. E. aus dem Gesagten zu
erklären.
2.8 Ein Fehler des Steinmetzen ist im nächsten Buchstaben zu
unterstellen. Dieser müßte ein F sein, um in ”ENTSLO-
FEN” zu passen, jedoch ist zweifelsfrei ein E wiedergege-
ben. Da der Unterschied allein im Unterstrich des Buchsta-
bens liegt, kann man den Fehler unserem Steinmetzen
durchaus zutrauen.
2.9 Verwunderlich ist allerdings, daß hinter den beiden ersten
Buchstaben der 3. Zeile (nach meiner Auslegung N und T)
je ein ”Punkt” eingeschlagen wurde, der üblicherweise sonst
nur Worte oder Abkürzungen im Text voneinander trennt
(Siehe den Text des Kreuzes).
2.0 Der Vornamen des Verstorbenen ist m. E. zweifelsfrei als
JAN mit einem A zu lesen, da der auf A folgende Buchstabe
N ganz klar wiedergegeben ist und der angedeutete waage-
rechte Querstrich zwischen dem ersten Auf- und dem Ab-
strich wohl auf die Beschaffenheit des Steines zurückzu-
führen ist.
48
Vater und Mutter sind nicht mehr dort, wo sie schliefen,
Als ich heranwuchs,
Tiefer gedrückt in den Schoß der Erde
Von immer neu vergrabenen Särgen, -
Wißt ihr noch, wenn ihr umgingt
Nah euren Gräbern ?
Wie ich dann rannte und floh in die schützende Helle
Des Hauses zu meinen Schwestern ?
Sprünge machte ich da, so groß und so weit,
Wie sie mir lange schon nicht mehr gelungen.
In der Angst fühlt’ ich mich dennoch getragen. .
Was hatt’ ich denn auch zu fürchten ?
Waret ihr mir doch so freundlich gesinnt
Wie sonst keiner. - Oft bracht” ich euch Blumen,
Die ich im Garten gesäet und gezogen.
Heute fürchte ich mich nicht, nah meinen Toten.
Ihr seid so bescheiden, braucht so wenig Erde für euch
Und übt euch im Schweigen, -
Fern von euch, fern von der Heimat,
Werd’ ich einmal, wie ihr, die Erde bewohnen
Und warten bis zu dem Tag, wenn Posaunen erklingen,
Die alle wiedererwecken, die die Erde einst trug,
Dann verschlang und bewahret. -
Wenn die Zeit einst stillsteht, wird der Raum keine Schranke mehr haben,
Werde ich euch sehen, Ahnen von Hergenrath,
Von dem kleinen Friedhof der Heimat.
49
Die Verschwörung im «Roten Busch» )
zu Remersdael i. J. 1799
oder
Eine Episode aus dem limburgischen Bauernkrieg
von Albert Stassen
{ 1. Die Lage im ehemaligen Herzogtum Limburg nach dem En-
de des ”Ancien Regime”
Im September 1794 wurden die Österreicher endgültig
durch die Franzosen aus unserer Gegend verjagt. Der letzte
Kampf fand in Clermont-Thimister am 29, September 1794
statt, Mit dem Ende der österreichischen Regierung geschah aber
mehr als ein einfacher Machtwechsel. Die Franzosenherrschaft
leitete eine neue Epoche der Zeitgeschichte ein. Der Umsturz
war diesmal tiefgreifender als alle bisherigen. Neu war beson-
ders die Art, wie nunmehr regiert wurde. Der Adel verlor seine
Privilegien und ein riesiger Verwaltungsapparat wurde auf allen
Ebenen, der kommunalen, kantonalen und departementalen, auf-
gebaut. Dabei war die Schaffung von Departements gewiß die‘
wichtigste verwaltungsmäßige Neuerung, weil deren Grenzen
nicht mit denen der alten Provinzen übereinstimmten.
d So wurde das Herzogtum Limburg, dem wir angehörten, in
zwei gerissen : der südliche Teil kam 1794 zum Departement der
Ourthe mit Lüttich als Hauptstadt. Dem gleichen Departement
wurde ein großer Teil des Lütticher Fürstbistums angegliedert,
ebenso das Gebiet der ehemaligen Abtei - Stablo - Malmedy und
x weite Teile des ehemaligen Herzogtums Luxemburg (die Gegend
von St.Vith, Bütgenbach, Schleiden und Kronenburg). Ohne
Rücksicht auf Bindungen oder Gegensätze aller Art, setzten die
| Franzosen diese neuen Verwaltungsstrukturen ein. Es scherte sie
wenig, daß seit jeher zwischen den Limburgern und den Lütti-
chern das Verhältnis alles andere als herzlich gewesen war.
Soweit für den südlichen Teil Limburgs. Was den Norden
angeht, so wird er zum Departement der Untermaas geschlagen
(Valkenburg, Herzogenrath/Rolduc). Damals also wurde die
spätere Landesgrenze zwischen Belgien und den Niederlanden
50
vorweggenommen.. Denn eine „politische: Rechtfertigung dieser
Grenzen gibt es nicht, erst recht keine kulturelle. Die Bevölke-
rung von Noorbeek und St.Martens Voeren, von Epen und Sip-
penaeken, von Vaals und Gemmenich gehört zum selben Men-
schenschlag und spricht dieselbe Sprache. Doch muß hier noch
gesagt werden, daß zu Anfang der Franzosenzeit die Orte Noor-
beek und Meehr zum Kanton Aubel gehörten. Sie kamen erst
1795 zum Departement der ”Basse Meuse”.
Zum Kanton Aubel gehörten die Gemeinden Aubel (3.005
Ew.), Clermont (2.142 Ew.), Homburg mit Remersdael (1.640
Ew.), Teuven mit Sippenaeken (697 Ew.), St. Martens Voeren .
(962 Ew.), St. Pieters Voeren (457 Ew.), Jul&mont (310 Ew.)
und Neuchäteau - Wodemont (902 Ew.).
Die Gemeinden Gemmenich, Montzen und Moresnet ge-
hörten damals zum Kanton Walhorn, der bis 1802 bestand, dann
aber im größeren Kanton Eupen aufging.
In den Archiven lagern große Mengen von Unterlagen über
all diese Gemeinden. Teils sind die Akten in ”Brabantisch” = Flä-
misch abgefaßt, teils in Französisch. In Montzen bediente man
sich z.B. des Brabantischen, in Noorbeek aber beherrschte der
Gemeindesekretär die Sprache der Eroberer. Der aufwendige
Verwaltungsapparat brauchte Beamte, Die Regierung fand aber
nicht überall bei der Bevölkerung Leute, die gewillt waren, in
ihren Dienst zu treten. So war es z.B. in Aubel, wo keine ”Fran-
zöslinge” zu finden waren. Daraufhin wandte man sich an die
ehemaligen österreichischen Beamten, doch diese nahmen das
Angebot nicht an. Die Verwaltung war lahmgelegt. Dann aber
kamen wallonische Beamte und unter ihnen der Kommissar Du-
dillon, der sehr schnell den Haß der Bevölkerung auf sich zog.
Aubel spielte damals als Kantonshauptstadt und Markt eine
wichtige Rolle. Jeden Montag zählte dieser Markt 5 bis 6.000
Besucher. Aus Aachen, Maastricht, Lüttich und Verviers kamen
Käufer und Verkäufer. Wenn nun eine plötzliche Preissteigerung
eintrat, lief das Volk zum Kommissar, der dann die Preise fest-
setzte. Die Kantonalhauptstadt war also ein wichtiges Zentrum
für den Handel. Manche Dörfer des Kantons zählten damals be-
deutend mehr Einwohner als heute. So Clermont, das von 2.242
Seelen auf heute nur 1.300 zurückgegangen ist.
S1
Die "Steuern und Abgaben nahmen unter den. Franzosen
immer zu. Das Volk mußte große Opfer auf sich nehmen, um
die republikanischen Kriege zu finanzieren. St.Pieters Voeren,
das vor 1794 den Deutschordensrittern gehört hatte und keine
Steuern hatte zahlen müssen, wurde wie die anderen Orte ge-
{ schröpft. Das Volk begann zu murren ....
] 2. Von der Anhänglichkeit an die Österreicher
Die Treue zu Österreich war nicht nur bei den Pfarrern,
sondern beim ganzen Volk tief verwurzelt. Wir haben gesehen,
daß die Beamten sich erst geweigert haben, in französische
Dienste zu treten ; als sie es schließlich doch taten, geschah es
nicht aus Anhänglichkeit an Frankreich, sondern um soviel wie
möglich ihren Mitmenschen helfen zu können. Die Bevölkerung
glaubte noch mit Sicherheit an die Rückkehr der Österreicher.
Sie durfte auch so lange hoffen, wie die Franzosen hier ein Be-
satzungsregime aufrecht erhielten und wie keine internationalen
Verträge ihre Herrschaft über unser Gebiet für rechtmäßig er-
klärt hatten.
Dudillon selbst war überzeugt, daß die Rückkehr der
Österreicher eine nicht auszuschlagende Eventualität darstellte.
Er schreibt am 30. Vendemiaire des Jahres 7 (= 30. Okt.
1798) ; ”Ces deserteurs des cantons flamands (das sind
wir!) vont grossir l’armee ennemie. Ils ont ici une haine
contre tout ce qui porte le nom de francais. D’oü vient
le desir de preferer le service imperial ... Or, dans trois
mois nous devrons danser ”l’allemande” et c’est pour rac-
courcir encore ce terme trop long qu’ils vont se joindre aux en-
nemis pour encore precipiter le mouvement”.
{ Man muß hier bemerken, daß seit 1794 viele junge Leute
| aus unserer Gegend auf Seiten der Österreicher kämpften.
G In ’s Gravenvoeren hatte man ”Vive l’'empereur, vive les
Brabancons !” gerufen. Das war eine Anspielung auf den Bau-
ernkrieg, der in Brabant begonnen hatte.
Dudillon wußte, mit welcher Art von Leuten er zu tun
hatte. Er schreibt : ”Proteges par la Maison d’Autriche, ces a-
gents municipaux ont fait bien du mal dans la commune et seront
sans doute des gens gagn6s, non instruits, royalistes certainement,
52
car il n’en existent pas d’autres dans ce canton ...”
In solcher Umgebung wollte Dudillon nicht bleiben. Die
gewünschte Versetzung erhielt er mit der Verwaltung des Kan-
tons Herve. Sein Nachfolger in Aubel wurde Joris. Alle Beamten
hatten den Haßeid auf das Königtum verweigert. In jedem Dorfe
wurde ein Freiheitsbaum gepflanzt. Den in St.Martens Voeren
errichteten fand man am folgenden Morgen im Dreck liegend
und in drei Stücke zersägt. Der ihn gepflanzt hatte, lag in seinem
Hause krumm und lahm geschlagen. Dies geschah am 29. Juli
1796. Auch in den anderen Dörfern kamen die Freiheitsbäume
auf geheimnisvolle Weise zu Fall. .
Die neue Regierung führte auch neue Feste ein, so das
”Bauernfest” (fete aux agriculteurs). Während Dudillon noch in
Aubel waltete, wurde dieses Fest zum ersten Mal dort gefeiert.
Kommissar Dudillon mußte den Abgesandten der Lütticher Re-
gierung empfangen. Nach dem Fest schreibt er folgenden Bericht
an die Lütticher Behörde : ”La commission a fait plus qu’on
aurait 0se esperer ; je veux dire qu’elle est parvenue ä posseder
quelque trois ou quatre habitants d’Aubel qui sont venus frater-
niser ... chose incroyable surtout auand vous saurez que dans la
nuit meöme du 9 au 10 messidor, des scelerats ont os€ dechirer
et fouler aux pieds tous les actes des autorit&s constituees”.
Die für die Feier benötigten Musiker hatte Dudillon aus
Lüttich kommen lassen müssen, Nicht weil in Aubel keine Musi-
kanten zu finden gewesen wären ...
Die Unsicherheit auf den Straßen war in jenen Jahren groß.
Seit 1793 bestanden mehrere Ausgabeen von Straßenräubern, die
auch abgelegene Gehöfte anfielen und plünderten. Dabei wurden
oft die Besitzer grausam gefoltert. Der am meisten bekannte
Überfall im Herver Land ist wohl der auf das Klostergut Bolland
im Jahre 1796. Eine Ausgabee von etwa 80 bis 100 Räubern hauste
seit 1793 in einer Höhle im ”Roten Busch” bei Remersdael.
Ihre Methode, die Leute zur Herausgabe des Geldes zu bewegen :
sie hielten ihnen Feuer an die Füße. Dann dauerte es selten lan-
ge, bis das Geldversteck gezeigt wurde. Man nannte diese Ausgabee
folgerichtig ”chauffeurs”. Die Regierung war machtlos.
53
3. Ursache und Ursprung der Verschwörung von 1799
Die Gesetze des Direktoriums stießen bei der Bevölkerung
auf wenig Gegenliebe, Steuern und Kriegsabgaben preßten das
Letzte aus ihr heraus. Armut und Elend sind das tägliche Brot
in unserer Gegend, wo viele Familien mehr als zehn Kinder zäh-
len. Wenigstens frieren möchte man nicht. Also besorgt man sich
unerlaubterweise Holz im Walde, wogegen die Gemeindeverwal-
tungen nichts unternehmen können,
Dudillon wollte der Wegelagerer und der Waldfrevler da-
durch Herr werden, daß er an staatstreue Leute Waffen abgeben
ließ. Doch blieb die Furcht, diese Waffen könnten sich gegen
die Franzosen selber richten.
Die Fremden taten nichts, um die Bevölkerung zu gewinnen.
Ihre Überheblichkeit, ihre Verachtung der Sprache des hiesigen
Volkes und ihre Steuerpolitik machten sie verhaßt. Es ist nicht
uninteressant, die geographische Ausdehnung des Bauernkrieges
in diesem Zusammenhang zu untersuchen. Er hatte nur Erfolg
in der niederländischen und deutschsprachigen Gegend. Und hier
müssen wir noch einschränken : es sind die Grenzzonen zum
romanischen Sprachgebiet, die betroffen wurden. Der Aufstand
fing nähmlich ungefähr zur gleichen Zeit in Brabant und in
Luxemburg an. Über Tienen, Landen, St.Truiden, Tongeren von
der einen Seite und Clerf, Weiswampach, Reuland, Bütgenbach,
Weismes von der anderen, erreichte der Aufstand unser Gebiet,
die Kantone Eupen, Aubel, Walhorn, Wittem und Dalhem. Doch
waren es keine Aufwiegler aus dem Norden oder Süden, die bei
uns das Feuer schürten, nein, es war unsere einheimische Bevöl-
kerung, die sich gegen die Franzosen erhob.
Für die Sprache des Volkes hatten die neuen Herren nichts
als Verachtung übrig. So beschwert sich Dudillon über die ”opi-
niätret& des agents municipaux ä jargonner le »flamand« en plei-
ne s6ance malgre& mes invitations ä se servir du langage adopte...”
Auch sagt er dem Limburger nach, er lasse sich nicht bezwingen.
”Limburger” nennt er diejenigen, die sich der Mundart bedienen.
Es, ist nicht möglich, vaterländische Gesinnung zu haben, wenn
man limburgisch spricht, so Dudillon !
Als dann im September 1798 der allgemeine Militärdienst
54
zur Pflicht gemacht wurde, lief das Faß über. Die jungen Leute
gehen in den Untergrund und organisieren den Widerstand ; nie-
mand wollte dem Direktorium dienen. Joris, der neue Kommis-
sar, bedauert, daß die Gemeinden die Standesamtsregister
schlecht führen. Jeder weiß warum ...
Am Tage der Aushebung war keine Menschenseele zur
Stelle. Zwei Sonderkommissare werden nach Aubel: beordert,
wo sie einige Wehrdienstverweigerer verhaften. Die anderen hat-
ten sich in den Wald geschlagen und hielten sich dort versteckt.
Auch die Haltung der Kirche gegenüber, die Verfolgung
der Eidesverweigerer, die Säkularisation u.s.w. waren Faktoren,
die bei der Verschwörung vom ”Roten Busch” mitauslösend
gewirkt haben. Die Kreuze an den Straßenecken und auf den
Kirchhöfen hätten laut Gesetz weggeräumt werden müssen. Und
die Pfarrer von Homburg und Sippenaeken -beide nicht verei-
digt- predigten öffentlich, daß derjenige, der der Republik diene,
ohne Barmherzigkeit verdammt werde. Als ”Pulverhehler” ver-
folgte man den Pfarrer von Homburg.
Kommen wir nun zur eigentlichen Verschwörung,
4. Die Verschwörung, ihr Hergang und ihre Folgen
Am 8. Februar 1799 war der Sonderkommissar Parmentier
mit dem Bürgermeister Nicolaye von Aubel in der ”Commande-
rie” von St.Pieters Voeren beim Mittagessen. Nicolaye eröffnete
dabei seinem Gegenüber, daß man bei einem gewissen Jacob
Smets, der ein abgelegenes Haus in Teuven bewohne, eine Ver-
schwörung plane, Smets war ehemaliger österreichischer Soldat.
Auf der Hochebene bei Obsinnich (Remersdael-Teuven) würden
sich die Verschwörer -es handelt sich um die wehrunwilligen
Rekruten - sammeln. Erstes Opfer seien die Gemeindebeamten
Reul aus Teuven und Gregoire aus Homburg, weil sie die Namen
der Rekruten angegeben hätten. Nicolaye fügte noch hinzu, daß
die Verschworenen anschließend sich nach Aubel begeben woll-
ten.
Parmentier benachrichtigte die Gendarmeriebrigaden von
Herve und Henri-Chapelle. Sollte er nun den Anmarsch der
Verschwörer in Aubel abwarten oder eine Patrouille nach Re-
S5
mersdael schicken ? Er entschloß sich für Letzteres. Um 22 Uhr
setzten sich 20 Gendarmen in Richtung Remersdael in Bewe-
gung. Nach einer halben Stunde schon hatte man ”Feindberüh-
rung”. Es wurde geschossen. Die Vorhut der Verschwörer wurde
gefangen genommen und nach Aubel überführt, Doch von Nor-
den strömten sie heran, die Jungen aus Gulpen, Wittem, Epen,
Mechelen, Slenaeken. Über Teuven näherten sie sich dem Sam-
melplatz.
Andere, die aus Voeren, Noorbeek, Meehr, St.Martens und
St. Pieters Voeren, kamen über Veurs (St. Martens Voe-
ren). Eine dritte Gruppe, die stärkste, kam aus Homburg, Mont-
zen, Sippenaeken, Henri-Chapelle, Lontzen, Walhorn über Ob-
sinnich. Auch aus den Dörfern Teuven und Remersdael, in un-
mittelbarer Nähe des Schlachtfeldes, kamen welche.
Die Franzosen griffen erst die aus Richtung Teuven an-
rückenden Aufständischen an. Diese begriffen erst was geschah,
als der Feind vor ihnen stand. Sie hatten nicht im geringsten
vermutet, daß ihre Aktion bekannt sein könnte,
Es begann ein Gefecht, das zu Ungunsten der Limburger
ausging. Mehrere fielen, die meisten flohen. Nun wandten sich
die Franzosen der Gruppe aus dem Voergebiet zu. Wäre diese
etwas früher erschienen, der Kampf hätte einen anderen Aus-
gang genommen. So aber wurden auch diese in die Flucht ge-
schlagen. Die dritte Gruppe, die aus Homburg, Montzen u.s.w.
hat sich den Franzosen nicht gestellt.
Über die Zahl der Verschwörer ist man sich nicht einig.
Schätzungen gehen von 500 bis 2.000 Mann. Die Franzosen aber
waren ... 28 ! Die Brigade von Herve kam zu spät. Für die Fran-
zosen war es ein entscheidender Vorteil, daß sie über moderne
Waffen verfügten.
Am folgenden Morgen kam Parmentier in den ”Roten
Busch” und nach Remersdael. Viele österreichische Waffen, Sen-
sen, Mistgabeln, Rosenkränze und Kreuze wurden auf dem
Schlachtfeld gefunden. Nur drei Tote lagen dort (Jacob Smets,
- der Förster Radermacker aus Homburg und ein Bauer aus Epen).
Alle anderen hatten die Leute in der Nacht weggeschafft damit
sie nicht erkannt würden.
56
Die Rosenkränze und Kreuze zeigen, daß die Streiter diesen
Kampf als einen Kreuzzug gegen die Ungläubigen aufgefaßt
haben, Fünf Gefangene kamen nach Lüttich ins Gefängnis St.Le-
onard ; vier davon wurden hingerichtet : Michel aus Sippenaeken,
Nyssen aus Homburg, Reep aus Lontzen, Stassen aus Aubel.
Der Walhorner Kantonskommissar beteuerte noch immer, daß
aus seinem Kanton niemand an der Verschwörung teilgenom-
men habe. Doch lagen in Lontzen und in Walhorn mehrere
Verwundete, die er nicht sah oder besser, nicht sehen wollte...
So endete diese limburgische Episode des Bauernkrieges.
Sie war ein Beweis der Solidarität zwischen Nachbarn, die.
heute getrennt sind, getrennt durch künstliche Staats- und
| Sprachgrenzen, die alle im alten Herzogtum Limburg nicht be-
standen. Dieser Aufstand war das Aufbegehren einer Bevölke-
rung, die noch in der Geisteswelt des ”Ancien Regime” lebte
und nicht bereit war, sich einer neuen Regierung zu fügen, die
alle feststehende Werte gestürzt hatte.
Quellen : Staatsarchiv Lüttich, Fonds Francais, Prefecture d’Aubel.
Minder: Un €pisode de la guerre des paysans in Bull. Soc. Verv.
Arch... 1. 3.
Grondal : Notices historiques sur Remersdael p.62.
57
Göhltalerinnerungen eines alten Pastors
von J. Olbertz, Pfr. i.R.
Anfang April 1927, eine Woche vor Ostern, kam ich als
”neugebackener” Kaplan nach Bleyberg an der Göhl. Die Oster-
zeit führte mich direkt in die intensive Seelsorgearbeit hinein. Ein
chemaliges Fabrikgebäude diente als Gotteshaus, ungeheizt, wie
damals noch manche Kirche. In den 30er Jahren ist die neue,
im Stil bemerkenswerte Kirche gebaut worden. Die Pfarre war
erst ungefähr 55 Jahre alt; sie bestand (und besteht) aus den
Siedlungen und Gehöften rund um das alte Hüttenwerk -daher
der Name- und gehört zu drei Gemeinden : Montzen, Homburg
und Gemmenich. Es war eine ausgesprochene Arbeiterpfarrei.
Das Hüttenwerk lag schon etliche Jahre still, und die zugehörige
Bleigrube noch länger. Eine kleine Drahtfabrik befand sich in
einem der alten Gebäude, Eigentum des letzten Werkdirektors
Paquot, der mit Familie und Angehörigen noch ansäßig war.
In dem alten Klösterchen, einem primitiven Gebäude, das
die Werkleitung vor vielen Jahren zur Verfügung gestellt hatte,
lebten ein paar Schwestern, Franziskanerinnen von der Hl. Fa-
milie aus Eupen. Sie leiteten den Kindergarten, pflegten die
Kranken und Altersschwachen in der Gemeinde und versorgten
Kirche und Sakristei, - ein Segen für die Pfarre.
Mit den Leuten war ich bald gut bekannt. Sie mußten fast
alle nach auswärts zur Arbeit fahren: nach Verviers, Welken-
raedt, Eupen und in die Kohlengruben des Lütticher Beckens.
Die soziale Lage der arbeitenden Bevölkerung war zu der Zeit
nicht rosig ; sie steckte noch in den Kinderschuhen des allmähli-
chen Aufstiegs. Ich habe noch verschiedene arme Invaliden ge-
kannt, Opfer der harten, ungesunden Hüttenarbeit von ehedem.
Die menschliche Verbundenheit durch die plattdeutsche Sprache
machte mein Leben und Wirken unter dieser schlichten Bevöl-
kerung immer vertrauter, Zudem hatte ich manche Gelegenheit
zur Aushilfe in den umliegenden Pfarreien.
Diese meine erste Kaplanzeit verging schnell. Schon nach
3'/2 Jahren, im November 1930, mußte ich das Göhltal verlassen
und wurde in die Eifel versetzt : nach Manderfeld und 7 Jahre
später nach St.Vith. Inzwischen brach der unselige zweite Welt-
58
| krieg aus mit seinen furchtbaren Leiden und Folgen. Ende 1942
vertauschte ich meinen Wirkungskreis - der letzte war in Sour-
brodt - als politischer Gefangener mit der Gefängniszelle und
dem K.Z.-Lager: Ein anderes Leben, aber auch eine Lebens-
schule.
Nach der Rückkehr in die Heimat und nach kurzer Tätig-
keit an verschiedenen Stellen berief der Bischof von Lüttich mich
als Pastor nach Kelmis. So kam ich nach 15 Jahren wieder ins
Göhltal zurück. Hier habe ich dann den größten Teil meines
Priesterlebens, 27 Jahre verbracht. Ich sah aus Kindern, die ich
getauft hatte, Erwachsene werden und habe z.T. deren Kinder
wieder taufen können. Eine lange Zeit also, und doch ist sie
wieder vergangen. Und oft sehe ich im Geiste diese Jahre vor-
überziehen mit all ihren Licht- und Schattenseiten und mit der
Frage: Wie habe ich die Zeit genutzt ...?
Aller Anfang ist bekanntlich nicht leicht. In der Nach-
| kriegszeit herrschte vielfach Abneigung der Menschen unterein-
| ander und eine Art Vergeltungsgeist infolge der unheimlichen
| politischen Spaltungen während des Krieges, Hier galt es, in Ruhe
LM und Geduld abzubauen, aber auch die christlichen Grundsätze
| für das Gemeinschaftsleben immer wieder zu betonen. Allmäh-
UM lich glätteten sich die Wogen, die politisch Verhafteten kamen
| nach und nach zurück, und das Leben wurde mehr und mehr
normal. Die wirtschaftliche Lage besserte sich langsam. Da die
Gemeinde aus 80-90% Arbeiterfamilien bestand, waren alle auf
Arbeitsmöglichkeit angewiesen ; und diese bestand bald zur Ge-
nüge. Die meisten gingen nach Verviers und Umgebung zur
Arbeit, einige hundert Bergleute in die Kohlengruben von Bat-
tice und des Lütticher Beckens ; manche auch nach Welkenraedt-
Herbesthal, und eine Reihe war bei der Eisenbahn beschäftigt :
in Moresnet, Herbesthal, und nach Wiederherstellung der zer-
störten großen Göhlbrücke in Moresnet kamen etliche an den
Montzener Bahnhof. Sogar der alte ”Berg”, die ”Vieille Monta-
| gne”, öffnete zum Teil wieder ihre ”Pforten” und beschäftigte ein
| paar Dutzend Leute zur Ausbeutung der Galmei-Reste in der
| ”Kull”, Vom gesundheitlichen Standpunkt aus war das weniger
zu begrüßen: der Zinkstaub aus den Verbrennungsöfen ver-
seuchte die Umgegend mit seinem Gift. Fürs Auge schon, glühte
abends und nachts der Schlackenberg in gespenstigem Licht. Im
59
Jahr 1950 beendete der ”Berg” endgültig seine Zinkgewinnung.
Es blieben nur noch die Aufräumungsarbeiten übrig. Das Bum-
melbähnchen Kelmis-Moresnet tat in dieser Zeit einige Jahre
noch seinen treuen Dienst, um die Schaffenden nach Moresnet
zu bringen und von dort weiter an ihre Arbeitsplätze. Auch
diente es dem ”Berg” für den Zu- und Abtransport des nötigen
Materials. Es war das buchstäbliche Göhltalbähnchen, mit der
weitern Strecke bis Bleyberg.
Für die Verbesserung der sozialen Lage setzte sich be-
sonders stark die christliche Gewerkschaft unter der Leitung von
Laurent Fryns und seinen Leuten ein. Sie hat in den folgenden
Jahren gute Erfolge erzielen können. Mit der Zeit verlagerten
sich die Arbeitsmöglichkeiten und Arbeitsplätze, Durch Schlie-
Bung der meisten Kohlengruben mußten die Bergleute, soweit
sie nicht zu Invaliden erklärt oder pensioniert wurden, sich
umschulen lassen und andere Berufe ergreifen. Durch den Verfall
der Textil-Industrie in Verviers waren auch dort viele zur Orts-
änderung gezwungen und gingen nach Eupen, bzw. in das Eupe-
ner Land und allmählich immer mehr nach Aachen zur Arbeit.
So ist die Lage heute. In Kelmis selbst vibt es nur ein paar
Kleinbetriebe.
Die Zivilgemeinde nahm nach dem Krieg unter der Leitung
von Bürgermeister Kofferschläger einen mächtigen Aufschwung.
Das ehemalige Schulgebäude in der Kirchstraße wurde ganz re-
noviert und als Gemeindehaus eingerichtet. Durch den Bau
mehrerer Siedlungen und vieler Privathäuser erweiterte der Ort
sich ganz gewaltig und wurde zu einer schönen kleinen ”Stadt”.
Das Geschäftsleben blühte immer stärker auf, und so wurde
Kelmis mehr und mehr der wirtschaftliche und verkehrsmäßige
Mittelpunkt der ganzen Gegend. Seit Jahren ist der öffentliche
Verkehr von Buslinien übernommen worden, da die Bahn-
strecken Kelmis - Moresnet und Herbesthal - Moresnet - Bley-
berg - Aubel aufgehoben wurden.
1960 starb nach längerem Leiden, erst 50 Jahre alt, zum
Leidwesen der ganzen Gemeinde, der tatkräftige Bürgermeister
P. Kofferschläger. Seine Totenfeier wurde zu einem wahren
Staatsbegräbnis, ein Zeichen seiner großen Hochschätzung. Ihm
folgte in seinem Amt P. Zimmer, unter dessen Leitung der
Aufschwung der Gemeinde weiterging. Er setzte sich u.a. be-
60
sonders ein für die Erhaltung und Förderung der Muttersprache
und des kulturellen Vereinslebens. Nach einigen Jahren wurde
er im Bürgermeisteramt abgelöst durch W. Schyns, der ebenso
wie P. Kofferschläger zugleich Abgeordneter in der Kammer
ist. Auch er wirkt mit Tatkraft für das Wohl der Gemeinde, zu
ihrem wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt. Gott wolle,
daß alles Wirken zum Segen für alle Mitglieder der Großge-
meinde Kelmis werden möge !
Wie vielerorts, so wurde auch in Kelmis die Schulfrage zu
einem Problem. 7-800 Schulkinder waren zu betreuen. Dank
der Gemeinde-Initiative vor dem zweiten Weltkrieg, namentlich .
des damaligen dynamischen Kaplans Darcis, konnte das impo-
sante Schulgebäude in der Farkstraße erstellt werden, und zwar
ganz auf Staatskosten. Es reichte nach dem Krieg bald nicht
mehr aus, weil immer mehr Klassen eingerichtet wurden infolge
| der Verringerung der Kinderzahl in den Klassen, und weil der
Staat eine Mittelschule in Kelmis gründete, Bei dieser Gelegen-
heit wurde im Gemeinderat vereinbart, daß die Primär- oder
Grundschule (bis zum 6. Schuljahr einschl.) in der Hand der
Gemeinde bleiben sollte, wie bis dahin; die fortbildende Mittel-
schule wurde staatlich. Der Staat kaufte die Schule an der Park-
‚straße als Mittelschule, und vom Erlös konnte die Gemeinde
das stolze Gebäude am Kirchplatz für ihre Primärschule und den
Kindergarten bauen. Das geschah noch unter Bürgermeister
Kofferschläger, der den damaligen Kultusminister Harmel per-
sönlich zur Einweihung der neuen Schule einlud. So schien das
Schulproblem einigermaßen gelöst, besonders weil an der staat-
lichen Mittelschule zum guten Teil christliche Lehrpersonen
wirkten.
Nach ein paar Jahren wurde das anders. Auf die Eingabe
von einigen Unterschriften aus der Gemeinde richtete der Staat,
d.h. das sozialistische Unterrichtsministerium, an der Mittel-
schule Primärklassen ein samt Kindergarten, entgegen den frü-
heren . Abmachungen ; dasselbe geschah vielerorts in den Ost-
kantonen, ohne Grund. Damit war das Schulproblem wieder auf-
gerissen, und eine gewisse Spaltung in der Bevölkerung war die
Folge. Wegen. der materiellen Vorteile, die die Staatsschulen
bieten können. (natürlich auf Kosten der Steuerzahler), ließen
sich immer mehr Eltern dazu verleiten, ihre Kinder diesen Schu-
61
len anzuvertrauen. Ich habe öfters darauf hingewiesen, daß die
Staatsschulen im Prinzip neutral sind, also keine christliche Er-
ziehung garantieren können; und vom sozialistischen Ministe-
rium her sollen sie das auch nicht. Wenn noch manche christ-
liche Lehrpersonen an der Schule in Kelmis tätig sind, so ist
das in der Absicht der obern Schulbehörde eine Duldung und
ein Übergang zu unbedingter Neutralität. Man sieht die Ent-
wicklung : immer mehr Staatsschulen im Sinn der Monopoli-
sierung und Neutralisierung des Schulwesens auf lange Sicht.
Neutralität in der Erziehung bedeutet aber das Schwinden der
christlich-gläubigen Bildung der Jugend. Und darin liegt die
große Gefahr für die Zukunft, die leider von vielen Eltern
nicht gesehen oder anerkannt wird.
Auf kulturellem Gebiet tat sich manches in Kelmis ;: The-
ater, Gesang, Musik, Kino-Forum, Vortragsabende verschiede-
ner Art usw. Besonders seitdem ein kulturelles Komitee in den
letzten Jahren gegründet wurde, ist es sehr rege in dieser Hin-
sicht. Viele Vereine sorgen für ständiges Leben in der Gemein-
de : Der ”Cercle Musical” als hervorragende musikalische
Gruppe ; die ”Kleinen Kelmiser Sänger”, die sich neben dem
Kirchenchor mit vielen gesanglichen Leistungen im Laufe von
25 Jahren einen Namen gemacht haben; der Bergmannsverein
St. Leonard, der eine starke Tätigkeit entwickelte und eine
Reihe von großen internationalen Treffen veranstaltete, und
dessen Mitglieder nebenher sich noch als Krankenträger ver-
dient machen. Dazu sorgen die 8 Schützenvereine im Laufe des
Jahres für viel Betrieb. Ebenso rührig ist der Sportbund mit
seinen verschiedenen Abteilungen und Sportarten.
Wenn man von Kelmis spricht, kann man den Karneval
| nicht übersehen ; es nennt sich mit Stolz eine Hochburg des
Karnevals. Als Volksfest ist der Karneval anzuerkennen ; nur
müßte man sich (wie in vielen anderen Dingen) vor Übertreibung
hüten.
Kulturelle Tätigkeit im besten Sinn des Wortes entfaltet
natürlich unsere ”Vereinigung für Kultur, Heimatkunde und Ge-
schichte im Göhltal”. Ihr wünsche ich, wie allen kulturellen Be-
5 strebungen, ein noch langes erfolgreiches Wirken.
62
Wir kommen zum Pfarrleben in Kelmis.
Bei meiner Ernennung als Nachfolger von Pastor Francois
Scherrer und meiner Einführung am 16. Dezember 1945, hatte
der Ort und die Pfarre nicht ganz 5000 Einwohner. Zwei Kaplä-
ne waren schon seit langer Zeit die Gehilfen in der Seelsorge.
Schon im Frühjahr 1946 wurde die Gemeinde Neu-Moresnet
auf ihren eigenen Wunsch hin zu einer gemeinsamen Pfarrei mit
Kelmis verbunden, weil beide ja räumlich eine Einheit bilden.
Neu-Moresnet hatte vorher zu Hergenrath gehört. Durch diesen
Zusammenschluß und durch das Wachstum beider Gemeinden
stieg die Bevölkerungszahl der Pfarre mehr und mehr an, bis sie
1970/71 fast 7000 erreichte. Daß es da nicht an Arbeit und
Sorge fehlte, ist leicht einzusehen ; natürlich gab’s auch viel
Freude und Genugtuung. Infolge des einsetzenden Priesterman-
gels wurde Anfangs der 60er Jahre der zweite Kaplan entzogen,
trotz der ständigen Vergrößerung der Pfarre. So mußten wir zu
zweien tun, was möglich war, hatten aber immer manche Mit-
hilfe aus der Gemeinde, Das religiöse Leben, das nach dem Krieg
und seinen Wirren langsam gestiegen war, ließ nachher, wie
überall im Wohlstandsleben, wieder merklich nach. Die Beteili-
gung am Pfarrleben betrug zuletzt, d.h. im Jahr 1972, nur mehr
rund 50%. Darf man auf baldigen Aufstieg hoffen ?
In den 50er bis Mitte der 60er Jahre war die Pfarre ziem-
lich kinderreich und kinderfreudig. Wir hatten durchschnittlich
100 bis 110 Taufen im Jahr, doppelt soviel wie Sterbefälle.
Dementsprechend gab es jährlich 40 bis 50 Eheschließungen.
Dieser natürliche Zuwachs nahm in den letzten Jahren‘um 20
bis 30% ab. Die große Kinderschar bevölkerte die Schulen im-
mer stärker; und so wurde neben dem allgemeinen Schulpro-
blem auch der schulische Religionsunterricht zu einem Pro-
blem. Gott Dank, hatten wir manche Lehrpersonen, die den Reli-
gionsunterricht gut und gern gaben. Während das Gros der
Kinder und Jugendlichen nach Absolvierung der Primär- und
Mittelschulen in den Arbeitsprozeß eintrat, gab es immer mehr
Studierende für die verschiedensten Berufe. Auch zum geistlichen
Beruf entschlossen sich einige. So wurden während meiner 27-
jährigen Tätigkeit 7 Jungmänner zu Priestern geweiht, dagegen
> traten nur drei Mädchen ins Klosterleben als Krankenschwester
ein. Wir hatten die Freude, daß einer der früheren Priester aus
T ®
63
Kelmis zum Missionsbischof von Kindu geweiht wurde, Msgr.
Jean Fryns ; er war der erste Bischof dieser Diözese im Kongo,
starb aber schon nach 7 Jahren, im Juni 1965, als Opfer seines
Berufes.
Ein Hochfest im Pfarrleben war die Feier des 100-jährigen
Bestehens der Pfarrgemeinde Kelmis, vormals Neutral-Moresnet,
im Jahre 1958. Die Jubelfeiern umspannten mehr als das halbe
Jahr. Sie begannen mit einer glänzenden akademischen Sitzung
am ersten Samstag der Fastenzeit, bei der Bischof Fryns zum ers-
ten Mal erschien und begeistert empfangen wurde. Am folgenden
Sonntag zelebrierte er ein feierliches Pontifikalamt in der Pfarr-
kirche, seiner Taufkirche, zu der er in festlichem Zug geleitet
wurde, An allen Sonntagen dieser Fastenzeit ging das ”Passio-
Christi” Spiel über die Bühne. Im Laufe des Frühjahrs und Som-
mers fanden verschiedene Festlichkeiten statt, unter denen ein
großes internationales Bergmannstreffen, im Beisein unseres
Diözesanbischofts Mgr. Van Zuylen hervorragte. Den Höhepunkt
der Feiern bildete die Jubelprozession am 7. September nach- ]
mittags. Ihr voraus ging eine Besinnungswoche für die Pfarran-
gehörigen. Zu dieser Prozession hatten diz einzelnen Straßen
herrlichen Festschmuck angelegt. Zwei Prunkwagen wurden er-
1 stellt : einer als Sakramentswagen, vom Gewerbeverein gestiftet ;
der andere zu Ehren der Himmelskönigin, der Patronin der
Pfarre (Mariä Himmelfahrt) ; er war das Werk der Schützenver-
eine. 15 Schulklassen stellten je ein Geheimnis des Rosenkranzes
dar. So zog die Prozession unter gewaltiger Beteiligung durch die
meisten Straßen bis auf den fahnengeschmückten Kirchplatz.
Hier feierte der Abt von Averbode, unter der Assistenz des Abtes
| von Valdieu und vieler Priester ein Pontifikalamt. Der Abt von
Averbode war geladen, weil die beiden ersten Priester der Pfarre
1858 und in den folgenden Jahren Mönche von Averbode gewe-
4 sen waren. Der Festtag wurde beschlossen mit einem Abendim-
biß für die geladenen Gäste in der Gemeindeschule. Eine letzte
akademische Sitzung folgte im Oktober als Abschluß des Jubel-
jahres.
"1965 feierten wir den 100. Jahrestag der Konsekration der
E Pfarrkirche mit einem Festgottesdienst und besonders festlicher
7) Pfarrprozession.
64
Das vorerwähnte ”Passio-Christi” Spiel, von dem schon
im ”Göhltalheft” die Rede war, ist vor dem 2. Weltkrieg auf An-
regung und unter der Leitung von Kaplan Darcis und seiner
Mitarbeiter als Nachbild der Oberammergauer Passionsspiele
/ ins Leben gerufen worden und wurde vor dem Krieg zweimal
| aufgeführt. 1950 kam es wieder zu neuem Leben; dann, wie
| erwähnt, 1958, 1966 und 1973. Jedesmal, an allen Sonntagen
der Fastenzeit, begeisterte es tausende Menschen aus nah und
fern. Es mußten in jeder Spielperiode noch weitere Aufführungs-
tage eingelegt werden.
Volksmissionen wurden durchgeführt im Jahre 1948, mit
nachfolgender Missionserneuerung nach zwei Jahren ; dann 1958
die Missionswoche, und 1961 im ganzen Dekanat Montzen, aller-
dings mit immer weniger Erfolg. Solche Missionen müssen heut-
zutage in Form von Hausmissionen gestaltet werden, wie es
vielfach schon geschieht.
Weitere religiöse und soziale Bildung wird angeboten durch
die verschiedenen Pfarrvereine und Bewegungen. Für die Män-
| nerwelt bestand aus der Zeit vor dem Krieg der Arbeiterverein,
! der nach dem Krieg langsam einging und nur in kleinen Gruppen
als Werkmannschaft weiterlebt. Die christliche Frauenliga hat
Krieg und Nachkriegszeit gut überstanden und übt ihre Tätigkeit
| weiter aus zum Wohl der Arbeiterwelt. Die Jugendbewegung war
| vor dem Krieg sehr stark und rührig. Die Arbeiterjugend hatte
seiner Zeit in Kelmis die stärkste Landesgruppe. Nach dem Krieg
ist sie zahlenmäßig sehr zurückgegangen, hat aber immer weiter
gelebt und in kleinen Gruppen von Jungen und Mädchen wirkt
sie als christliche Arbeiterjugend (C.A.J.) zur religiösen und
sozialen Ermutigung und Bildung der Jugend, und auch natürlich
zu gesunder Entspannung.
Neben der C.A.J. besteht für die Jüngeren (von 8 Jahren
an) die sog. ’Patro-Jugend”. Sie ist seit Jahren, dank der dynami-
schen Führung durch eifrige Kapläne (V. Franssen, H. Thoma
und H. Kalpers) und treue Jugendleiter sehr blühend im Ge-
| meinschaftsleben, Spiel und Werk und religiöser Anleitung.
Gruppenstunden religiöser und kultureller Art, ebensolche
Elternabende und Einkehrtage sind Versuche zu weiterer und
tieferer Besinnung. Hoffentlich wird das alles Segen und einigen
}
}
65
Erfolg haben gegenüber den überstarken, oft entgegengesetzten
Einflüssen der heutigen Zeit und Welt.
Die Patronage, 1911 erbaut und finanziert durch den Eifer
des damaligen Kaplans Bosch, dient heute noch allen Bewegun-
gen und Veranstaltungen der Pfarrgemeinde als Pfarr- und
Jugendheim. In den letzten 12 Jahren hat Kaplan Kalpers als
routinierter Bauherr das Heim vielfach renoviert, umgestaltet
und erweitert. Dazu ein eigener Saal für die Patro - Jugend, eine
moderne Pfarrbibliothek mit einem dahinterliegenden Kultur-
raum und allem Zubehör sind sein Werk. Er hatte immer die
nötigen Mitarbeiter und Beziehungen zu verbilligtem und soli-
dem Bauen.
Die Pfarrkirche, Anfanes der 60er Jahre des vorigen Jahr-
hunderts im damals üblichen frühgotischen Stil erbaut, erhielt
1951 neuen Innenanstrich und Ausmalung durch Franz Grie-
senbrock aus Vaals unter Mitarbeit aller Anstreicher aus der
Gemeinde. Im Jubeljahr 1958 wurden die z.T. wackelig gewor-
denen Stühle durch feste Bänke ersetzt, das Werk der Schreinerei
Dreessen. Sie waren das Jubelgeschenk der Pfarre an ihr Gottes-
haus. x
In den folgenden Jahren haben die beiden Zivilgemeinden
den Außenbau der Kirche renovieren und in ziegelrot streichen
lassen, sodaß sie eine gefälligere Ansicht bekam.
Auf Antrieb von Kaplan Kalpers wurde auch eine neue
Heizung in der Kirche angelegt, ebenso eine neue Licht- und
Lautsprecheranlage.
Seit langer Zeit war eine neue Orgel fällig, da die alte
immer mehr versagte. Nach manchen Überlegungen und Ein-
gaben ist sie von der Firma St. Schumacher aus Eupen erstellt
worden. Bei dieser Gelegenheit haben wir ein neues Experiment
durchgeführt : nach Zustimmung des Kirchenvorstandes unter der
Leitung von J. Jongen bekam die Orgel ihren Platz im Chor der
Kirche anstelle des Hauptaltars. Dieser wurde nach der Litur-
gieerneuerung nicht mehr benutzt und deswegen entfernt ; er war
zudem wenig kunstvoll. Ein fester Opfertisch mit der schweren
Steinplatte des Hauptaltars wurde zwischen Chor und Kirchen-
i schiff erbaut, nachdem auch die Kommunionbank entfernt wor-
66
den war. 1967 - 68 sind diese Um- und Neubauten mit der neuen
Orgel durchgeführt worden. Letztere hat sich als ein echtes
Kunstwerk erwiesen.
Meine Erinnerungen gehen zu Ende. Natürlich gibt’s noch
vieles, was aus den 27 Jahren in meinen Gedanken nachlebt,
nachdem ich die Pfarre Kelmis - Neu-Moresnet im November
1972 verlassen habe, 70 Jahre alt. Für hier sei es genug.
Ich steige von Kelmis hinunter ins schöne Wiesental der
Göhl und sehe die altehrwürdige St.Rochus - Kapelle, Zeugin
vieler Jahre und Ereignisse. Über sie wurde in diesen Heften
schon ein paarmal geschrieben. Möge sie in den Kelmisern und
Neu-Moresnetern die Ehrfurcht und Liebe zur Heimat und zum
Schöpfer dieser Heimat stets wachhalten !
67
80 Jahre Sankt Leonhard Verein Kelmis
(Fortsetzung)
von Peter Zimmer
Die eindrucksvollen Feierlichkeiten, die aus Anlaß des 80-
jährigen Bestehens des St. Leonard Vereins am 4. November
1973 in Kelmis stattfanden, haben den Beweis erbracht, daß
in dieser uralten Bergbauortschaft trotz Aussterbens des Berg-
mannsberufes die Verehrung dieses großen Volksheiligen wei-
terhin Anklang und Förderer findet.
Angesichts dieser begrüßenswerten Tatsache ist es sicher-
lich angebracht, nun näher über einige Orte verschiedener Län-
der zu berichten, über die sich im Laufe der Zeiten der Leo-
nardkult verbreitet, nachdem der Bischof von Limoges, Jourdain
de Laron, und der berühmte Chronist Adhemar de Chabannes
sich um das Jahr 1028 bemüht hatten, Legende und Wunder-
werke des Heiligen niederzuschreiben.
Nicht nur die einfachen Menschen wetteiferten im Laufe
der Jahrhunderte in der Verehrung dieses großen Nothelfers,
sondern auch jene, welche die höchsten kirchlichen und welt-
lichen Ämter bekleideten. Dadurch entstanden zahlreiche Wall-
fahrtsorte ; Kirchen und Kapellen wurden ihm geweiht und Kl1ö-
ster, Gerichtsstätten, Gefängnisse, Straßen, Plätze sowie soziale
Einrichtungen und Vereine erhielten seinen Namen,
Sankt Leonhard in Inchenhofen
ist ein traditionsreicher, berühmt gewordener deutscher Wall-
fahrtsort. Er liegt in der Diözese Augsburg. Herzog Ludwig der
Strenge schenkte im Jahre 1266 dem von ihm gegründeten Zis-
terzienserkloster Fürstenfeld die Pfarrei Hollenbach, zu deren
Bereich auch der damals aus 5 Bauernhöfen bestehende Ort In-
chenhofen gehörte, in dessen Mitte eine Leonhardkapelle stand.
Am 18. Januar 1289 wurden dieser Kapelle durch 13 Bischöfe
aus Rom Ablässe verliehen. Diese förderten die Wallfahrten so
stark, daß man eine neue Kirche bauen mußte, die am 17. Mai
1332 durch den damaligen Weihbischof von Augsburg einge-
weiht wurde.
68
In den Jahren 1451 - 54 leitete der Abt Paul Herzmann
erneut einen Kirchenneubau in der heute noch erhaltenen Form
in die Wege. 1704 steckten Engländer und Holländer diese
Kirche sowie das Kloster in Brand. Durch den Abt Kasimir
Kramer wurde sie aber in den Jahren 1705-06 wiederhergestellt
und erhielt einen Turm von 72 m Höhe. Sie ist ein Hallenbau
der bayerischen Spätgothik, welcher nach 1610 in deutscher
Spätrenaissance, 1704 in Barock und nach der Mitte des 18.
Jh. in Rokoko ausgeziert worden ist. Die Taufe des hl. Leon-
hard sowie die 6 Leonhardiwunder von Inchenhofen sind bild-
lich dargestellt. Eine um 1420 aus Eisen hergestellte Figur des
Heiligen, die früher von den Pilgern um den Hochaltar getragen
wurde, befindet sich ebenfalls in der Kirche und wird heute noch
hochverehrt. Das eigentliche Gnadenbild, den hl. Leonhard mit
zwei knieenden Pilgern darstellend, ist der Mittelpunkt des
Hauptaltars.
Inchenhofen steht im Range der Wallfahrtsorte an vierter Stelle
nach Jerusalem, Rom und Santiago de Compostella. St. Leonard
wird dort, nachdem er ursprünglich als der große Helfer in allen
Notlagen angerufen wurde, ganz besonders als Bauern- und
Viehpatron verehrt. In einem alten Mirakelbuch aus dem Jahre
1346 sind viele wunderbare Geschehnisse rühmend erwähnt.
Kurfürst Maximilian I. opferte 1631 dort sein eigenes‘ Reitpferd
wegen einer Seuche, die in seinem Gestüt ausgebrochen war,
und seit dieser Zeit schickte das Kurfürstliche Haus aus Dank-
barkeit für erlangte Hilfe alljährlich am 6. Nov. ein junges
Pferd als Opfergabe. Aufzeichnungen aus dem Jahre 1775 be-
richten, daß 130 Wallfahrtsprozessionen nach Inchenhofen ka-
men, und auch heute noch pilgern viele Gemeinden dorthin.
Schon am Vorabend des Leonhardifestes eröffnet ein festlicher
Gottesdienst mit anschließender Lichterprozession die Feier-
lichkeiten, deren Höhepunkt am Tage darauf der Leonhardi-
ritt mit Pferdesegnung ist, an welchem etwa 150 Pferde, ein
dutzend Festwagen, festlich geschmückte Kutschen und Musik-
kapellen teilnehmen.
Mehr als zehntausend Menschen bewundern diese Kund-
gebung eines gläubigen Volkes,
y1
Sankt Leonhard in Frankfurt am Main
Zahlreiche Kirchen hat man diesem heiligen in verschie-
denen Ländern gewidmet, so auch die St. Leonhardkirche in
Frankurt a/M., mit deren Bau im Jahre 1220 begonnen wurde.
Ursprünglich war sie der Muttergottes und dem hl. Georg ge-
weiht. Als sie aber 1323 eine Reliquie des hl. Leonhard erhielt,
machte man diesen bald zum alleinigen Patron der Kirche. Ge-
legentlich der Besetzung Frankfurts durch französische Revolu-
tionstruppen wurde sie im Jahre 1792 Vorratsmagazin und um
1806 sogar Kriegsgefangenenlager. Sie sollte, nachdem sie durch
die Säkularisation Eigentum der Stadt geworden war, abgebro-
chen werden, dies konnte der damalige Regensburger Erzbi-
schof Karl Theodor von Dalberg verhindern ; er ordnete schließ-
lich in den Jahren 1808 - 09 ihre Wiederherstellung an. Weitere
Restaurierungen erfolgten in den Jahren 1881 und 1926-27. Im
März 1944 erlitt sie durch Bomben schwere Beschädigungen,
ihr Wiederaufbau war aber schon im Jahre 1948 beendet.
Sie enthält viele Sehenswürdigkeiten, Werke moderner
Kunst und prächtige Glasmalereien sowie einen Antwerpener
Marienschnitzaltar von 1480, über dessen Mittelschrein eine Fi-
gur des hl. Leonhard steht. Im südlichen Seitenschiff befindet
sich eine St. Leonhardkapelle. In der Mitte der äußeren Nord-
seite ist über einer Steinfigur des Heiligen die Konsole einer
ehemaligen Außenkanzel zu sehen, die früher dazu diente, dem
Volk die Heiligtümer zu zeigen. Diese Kirche mit ihren Kost-
barkeiten zählt zu den beliebtesten Gotteshäusern der Stadt,
Das Sankt Leonhardkloster in Aachen
In Aachen trägt seit 1877 eine Straße und fast genauso
lang der anschließende Platz den Namen dieses ehemaligen
Klosters, mit dessen Bau die Sepulchriner Chorherrn um das
Jahr 1144 begonnen haben.
Dasselbe war mit einem kleinen Gasthaus für Pilger ver-
bunden’ und hatte ursprünglich den Zweck, in Aachen den
Kreuzzugsgedanken zu fördern. Zur Zeit der niederländischen
Freiheitskämpfe scheint es der Niederlassung der Kreuzbrüder
in Slenaken gehört zu haben; es war von einem Priester be-
72
wohnt, der Jugendunterricht erteilte. 1603 wurde es für kurze
Zeit Besitz der Aachener Jesuiten und später Eigentum der
Kreuzherren von Dalheim, deren Prior es für 2.500 Gulden an
die Schwestern vom hl. Grabe in Vise verkaufte. Vier Schwe-
stern dieses Ordens nahmen am 20. August 1626 an St. Leon-
hard eine segensreiche Tätigkeit auf. Am 9. Oktober 1634
brannte es bis auf die nackten Mauern ab. Eine Sammlung, die
in Aachen Stadt und Land, Köln, Vise, Lüttich und Brüssel
durchgeführt wurde, ermöglichte den Wiederaufbau mit einer
neuen Kirche, die am 30. August 1647 durch den Lütticher
Weihbischof, Richard Paul Stravius, der allerseligsten Jungfrau
und dem hl. Leonhard geweiht wurde. Das Kloster wurde im
Laufe der Zeit von schweren Schicksalsschlägen heimgesucht.
Als man es am 16. Dezember 1792 in ein Spital für Kranke
| und Verwundete Österreicher umwandelte, erhielt es den Namen
”höpital glorieux des Autrichiens” und 1794 durch die siegrei-
| chen Franzosen die Benennung ”Höpital de la Victoire”.
Zwei Jahre später mußten die Schwestern das Kloster ver-
|| Tassen, kehrten aber 1798 wieder zurück. 1801 wollte man es
N erneut als Hospital verwenden und sogar die Kirche niederrei-
| ßen, dies wurde aber durch den Protest der Schwestern verhin-
| dert. Im Mai 1803 erklärte ein Dekret das Kloster unter gewis-
| sen Bedingungen frei, infolge neuer Schwierigkeiten fand man
| aber keine Möglichkeit, das verwahrloste Gebäude als Erzie-
|| hungsinstitut einzurichten. Dann übernahm im Dezember 1805
| die städtische Armenverwaltung das Kloster, welches September
4 1806 damit begann, Pensionäre zu unterrichten ; ab April 1807
wurde es wieder zur öffentlichen Töchterschule.
| Als dann 1848 die Ursulinen dort ihre 30-jährige Tätigkeit
| aufnahmen, erreichte St. Leonhard seine Blütezeit, wurde 1878
eine weltliche höhere Mädchenschule, 1909 Lyzeum und sogar
1925 Vollanstalt, die zur Universitätsreife führte. Während des
| 2. Weltkrieges brannte das alte Kloster völlig aus und erhielt
| eine neue Heimstätte als Mädchengymnasium im früheren Real-
gymnasium an der Jesuitenstraße. St. Leonhard erzog drei Schü-
lerinnen, die als Ordensstifterinnen historische Bedeutung er-
langten, Klara Fey, Pauline Malinckrodt und Franziska Scher-
vier ; letztere widmete sich nach dem Vorbild des hl. Leonhard
73
Werken der Nächstenliebe, war eine der eifrigsten Helferinnen
in der durch Kaplan Istas in der Jakobstraße errichteten Ar-
menküche und stand jenen hilfreich zur Seite, die am Rande
der menschlichen Gesellschaft lebten. Sie verstarb im Alter von
57 Jahren am 14. Dezember 1876 und wurde am 28. April
dieses Jahres selig gesprochen.
Nachforschungen aus dem Jahre 1960
ergaben, daß Deutschland mit 141 Stellen an der Spitze der
Länder steht, wo der Heilige verehrt wird, dann folgen Italien
mit 115, Österreich mit 113, England mit 104, Frankreich mit
67 sowie unter anderen Belgien mit 14 und Holland mit 3 Stel-
len. In Frankreich ist die Kgl. Stiftkirche St. Leonhard von No-
blat, die am häufigsten besuchte Wallfahrtsstätte. Im Laufe der
Jahrhunderte pilgerten viele kirchliche und weltliche Würden-
träger dorthin, Selbst Marschall Petain betete dort um Schutz
zum hl. Leonhard für die Gefangenen seines Landes während
des 2. Weltkrieges am 21. Juni 1941. Die Kirche ist 66 m lang
und ihr Turm 52 m hoch. Trotz der vielen Umänderungen, die
an ihr vorgenommen wurden, hat sie nichts an Schönheit und
Sehenswertem verloren, auch sind zahlreiche Überbleibsel aus
der Vergangenheit in der Stadt erhalten geblieben, enge Straßen
und alte Wohnhäuser werden von den Pilgern, deren Anzahl von
Jahr zu Jahr steigt, immer wieder bewundert. Außer der regio-
nalen Pilgerfahrt, die am 1. Sonntag nach Ostern stattfindet,
werden dort große Feiern am 6. an dem darauffolgenden und
2. Sonntag im November sowie am 17. Februar, 11. August
und 17. Oktober abgehalten. Was Holland betrifft, wird es sich
wohl um die Leonhardkapellen in Wanssum, Erckelens und
Beek en Donk handeln, letztere zerfiel im Laufe der Jahre, je-
doch erhielt diese Ortschaft im Jahre 1898 eine dem hl. Leon-
hard geweihte Kirche und 1947 feierte die dortige Leonhardus-
gilde ihr S0O0-jähriges Bestehen.
Holland hat auch selbst einen Heiligen dieses Namens, St.
Leonhardus van Vechel, der im Jahre 1547 in Hertogenbosch
geboren und, nachdem er 1572 den Martertod erlitt, 1867 heilig
gesprochen wurde,
74
Das St. Leonhardviertel in Lüttich
liegt im Norden der Stadt und besteht aus 650 Häusern sowie
der fast 2 Km langen St. Leonardstraße. Diese Straße diente
schon im 8. Jh. ab Herstal als Verbindungsweg zwischen dem
Lütticher Raum und Maastricht ; dieser Lütticher Raum war
von kultiviertem Boden umgeben und wies einige wenige Woh-
nungen auf, Dort errichtete 1093 Kanonikus Anselme an einer
öden Stelle, die ein Marterort gewesen sein muß, eine dem hl.
Leonhard geweihten Kapelle, die regelmäßig von Gläubigen be-
sucht wurde. Aus derselben entstand bald ein von der Lütticher
Benediktiner Abtei St. Jakob abhängiges Priorat, in welchem
sich mehrere Ordensleute niederließen. Es umfaßte ein Heim
I und eine dem hl. Leonhard gewidmete Kirche.
| Verschiedene Wunder und zahlreiche in diesem Heiligtum
{ erlangte trugen dazu bei, daß die Verehrung des Heiligen sich
| verbreitet und aus dem alten Weg der Vorort St. Leonard ent-
stand. Im 15. Jh. erbaute man in der Nähe des Priorats ein
| Hospital. Durch die französische Revolution wurde das Kloster
1794 ausgeplündert und zum größten Teil zerstört, schließlich
sogar in eine Kanonenpießerei umgewandelt. Heute befinden
) sich dort Schulgebäude. In den Räumen des alten Klosters der
| Karmeliterinnen richtete man 1826 die Werkstätte St. Leonard
| ein, wo im Jahre 1839 eine Lokomotive mit Namen St. Leo-
| nard hergestellt wurde. Auch die Zinkhütte des Lütticher Chemi-
kers Daniel Dony, die aus dem Moresneter Galmei metallisches
N Zink herstellte, trug diesen Namen. Das Kloster der Recol-
lektinerinnen wurde ebenfalls aufgehoben und durch einen
Flachsbetrieb ersetzt, welcher im Juni 1914 abbrannte. Das zur
| Befestigung der Stadt gehörende St. Leonardstor diente mit sei-
| nen Nebengebäuden bis zur Hälfte des 18. Jh. als Gefängnis,
| 1851 wurde es abgebrochen und nach gothischem Befestigungs-
| stil unter demselben Namen neuerbaut.
Den ersten Stein zum Bau der St. Leonard-Maasbrücke,
auch Maghinbrücke genannt, legte man am 17. September 1867;
sie wurde am 6. August 1914 durch Bomben beschädigt, im Mai
1940 zerstört und später durch die jetzige ersetzt. Der älteste
Kai der Stadt muß der ”Quai St-L6onard” sein. Er blieb bis
zum 17. Jh. unbewohnt, später ließ sich dort eine Steingutma-
|
|
|
75
nufaktur nieder, die eine Blütezeit kannte. In der Zwischenzeit
hatte sich die fromme Verehrung des Heiligen über ganz Belgien
ausgedehnt, im wallonischen Landesteil waren es besonders die
Bergleute, die ihn neben St. Barbara als Schutzpatron betrachte-
ten. Am 6. November ruhte ihm zu Ehren auf allen Bergwerksbe-
trieben über und unter Tage die Arbeit, Direktion und Beleg-
schaft nahmen gemeinsam an kirchlichen und weltlichen Feiern
teil, in der Bergbauortschaft Jose/Battice trugen ihn die Berg-
leute der dortigen Grube der Gesellschaft Werister gelegentlich
der Pfarrprozession in Arbeitskleidung mit brennenden Gruben-
lampen mit der Statue der hl. Barbara auf ihren Schultern,
Bergleute aus unserer Gegend waren stets mit dabei. Diese zwei
aus Holz geschnitzten Statuen erhielt ich im Jahre 1968, nach
der Schließung des Bergwerks, mit anderen Gegenständen als
Geschenk für das Museum der Göhltalvereinigung.
Viele Kirchen tragen seinen Namen
Die Pfarrkirchen St. Victor et Leonard in Lüttich - St. L6-
onard Chatqueue, Seraing - St.L6onard sur les Bois, St.Georges
S/M - St.L6onard, Hony-Esneux und St.L6onard, Banneux -
Louveignee. Ferner besteht eine Pfarre St. Leonard de Ben-Ahin
im Dekanat Huy. Sie entstand durch ein im Jahre 1258 errich-
tetes Hospital für Leprakranke, in welchem sich ein dem Heili-
gen geweihtes Betzimmer befand, das von Augustinerbrüdern
und einem Kaplan verwaltet wurde. Dieser Weiler trug damals
den Namen St.Leonard en Housseau. Der letzte Kaplan verstarb
1834 und die Kapelle erhob man 1846 zur Pfarrkirche, Zwei
kleine Reliquien des Heiligen befinden sich dort, wie auch in
mehreren anderen Kirchen in der Wallonie, z.B. in Erquelinnes,
St.Gilles in Lüttich und in Montegnee.
Pfarrer und Dechant Joseph Pirnay aus letztgenannter Ort-
schaft schenkte anläßlich des 80-jährigen Bestehens dem Vor-
sitzenden des Vereins eine 2 cm große Reliquie ihres Vereins-
patrons sowie zwei kleinere, die hll. Rochus und Lambertus, für
die Kelmiser Pfarrkirche. Vom 3. bis 9. November vergangenen
Jahres wurde die Reliquie zum ersten Male in der Kelmiser
Pfarrkirche auf dem St.Josephsaltar zur Verehrung der Gläubi-
gen ausgestellt.
76
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| Reliquie des Heiligen, die der Kelmiser Kirche geschenkt wurde,
|| Die meistbesuchten Heiligtümer befinden sich aber im flä-
| mischen Sprachgebiet. Junker Adriaan Sanders, Herr von Blaas-
| velt, van der Brugghen en de van Cleydael, schenkte 1465 der
im Jahre 1309 erbauten und der Heiligen Magd geweihten Kir-
| che von Aartselaer eine bemerkenswerte Reliquie, die er selbst
| aus Noblat mitgebracht hatte: den rechten Arm des Heiligen.
| Durch die Bilderstürmer wurde diese aber auch geraubt. Die
| Kirche von Kontich, die auch über Gebeine des Heiligen ver-
fügte, überließ daraufhin Aartselaer ein kleines Stück davon, das
| die Kirche jetzt noch besitzt und das von Gläubigen während
| der Oktave vom 6. - 13. November verehrt wird. Auch ließ man
| N kleine Medaillen anfertigen, worauf der Heilige, zu dessen Füßen
1 ein Pilger kniet, abgebildet ist. Die Kirche von Huizingen
|| besitzt ebenfalls eine Reliquie und dort besteht auch eine St.
| Leonhardbruderschaft, die jeden ersten Montag im Monat eine
|| hl. Messe lesen läßt, ferner finden Festlichkeiten am 6. Novem-
| ber und sogar am Pfingstmontag ein feierliches Hochamt mit
| Kindersegen statt. Peutie bei Vilvorde ist seit 1618 Wallfahrtsort
| geworden. Der dort 1724 gegründeten St. Leonhardbruderschaft
gehören Mitglieder aus etwa 200 verschiedenen Gemeinden an.
1421 schenkte Frederik van Blanckenheim, 51. Bischof
von Utrecht, dem dortigen Kloster der Augustinerinnen eine Re-
liquie des Heiligen. Oberin Margareta Hendrix van Wynters-
wijk gab sie 1616, zur Zeit der Bilderstürmer, einem frommen
Mann mit Namen Everaard Botters, der sie an Frau Caterina
78
| terei der Niederlande war, Reliquien erhalten hat, die er, außer
einigen, die in Vlierbeek verblieben, der Kirche von Zoutleeuw
| schenkte. Ebenfalls besitzt die alte Abteikirche ein 1,45 m hohes
| hölzernes St.Leonhardsbild aus dem 18. Jahrhundert, das dort
| hochverehrt wird.
| Zoutleeuw (Leau) aber kann man als den meistbesuchten
| Wallfahrtsort Belgiens bezeichnen. Die dort um 1125 errichtete
| Leonhardskapelle diente schon 1231 als Pfarrgotteshaus, zu die-
| ser Zeit begann auch der Aufbau der prächtigen vielbewunderten
| Kirche, die 1308 zur Stiftkirche erhoben wurde. Am rechten
| Kreuzchor derselben baute man eine besondere Kapelle zu Ehren
| des Heiligen. Überbleibsel ihrer reichen Verzierung und Möbel,
| kostbare Reliquien, viele andere Kunstwerke, Bilder und andere
| Gegenstände aus Holz und Kupfer werden heute noch von vielen
| Besuchern bewundert, besonders das neue Kunstwerk welches zu
Beginn dieses Jahrhunderts aufgestellt wurde : ein kupferner
Hochaltar, auf welchem unter einem kleinen Thron ein kupfernes
| Bild des hl. Leonhard prangt. In Zoutleeuw, wo wunderbare
| Heilungen festgestellt worden sind, kann man alljährlich am
| Pfingstmontag die große Prozession miterleben und sich auch als
Mitglied der 1923 gegründeten St.Leonhardbruderschaft eintra-
gen lassen.
Schutzpatron - Nothelfer - und Vorbild der Nächstenliebe
N ist er schon 14 Jahrhunderte lang. Dies bezeugen die zahlreichen
K Kirchen, Kapellen, Klöster, Wallfahrtsorte, Vereine und sons-
| tige Einrichtungen, die heute noch seinen Namen tragen. Unter
| der Devise : ”Helfen wir einer dem anderen,” (Aidons-nous les
| uns les autres) gründete man am 4. April 1894 eine Kranken-
| kasse St.Leonard in Micheroux, die jetzt noch besteht. In Herve
findet schon seit dem 14. Jh. am 6. November der St. Leonhard-
Vieh - Jahrmarkt (Foire St.L6onard) statt. Drei Tage vor diesem
| Datum kündigte früher der Gerichtshof von Herve feierlich seine
Eröffnung an. Ab diesem Zeitpunkt, drei Tage vor und drei Tage
| nach dem 6. November, durfte dort niemand für Schulden oder
| Vergehen gerichtlich verfolgt oder festgenommen werden, Trotz
| dieser Freiheit wurden aber zur Aufrechterhaltung der Ordnung
| strenge polizeiliche Vorschriften angewandt. Sogar der Gouver-
| neur von Limbourg, den Reiter begleiteten, besuchte alljährlich
| diesen sogenannten freien Markt. Als diesem Beamten aber im
||
|
80
1892 in Eynatten gegründeten Leonhardverein erwähnte, der in-
sofern ein Kuriosum darstellte, wie ihm nur Träger des Namens
Leonhard beitreten konnten. Der Eynattener Leonhard Zimmer-
| mann hatte aus Eynatten, Hauset, Walhorn und Hergenrath die
Leonharde um sich geschart - es waren ihrer 40 -, die nun all-
jährlich am Feste ihres Namenspatrons in Eynatten zusammen-
kamen, um gemeinsam einem feierlichen Hochamt beizuwoh-
nen, die Reliquie des Heiligen zu verehren und anschließend
in einer Gaststätte, deren Inhaber (wie hätte es anders können
sein ?) Leonhard hieß, gemütlich zu feiern. Der Verein wurde
| nach 40-jährigem Bestehen 1938 aufgelöst, und zwar - ein Zei-
| chen der Zeit - aus Mangel an Mitgliedern. Die Flut neuer
| Namen hatte den Leonhard verdrängt. Als der Verein sich
auflöste, zählte er noch vier Mitglieder. Den beim Brand
1 von 1950 zerstörten Hochaltar der Eynattener Pfarrkirche zier-
te u.a. eine Statue des hl. Leonhard, die vom Leonhardverein‘
gestiftet worden war. (s. J. Becker : ”Eynatten”, S. 116-117).
Mit dem Hinweis, daß der Heilige in den belgischen Wall-
fahrtsorten besonders von werdenden Müttern und Rheumakran-
ken verehrt sowie für schwache Kinder und Geisteskranke ange-
| rufen wird, beende ich diesen Aufsatz über Leben und Verehrung
des hl. Leonhard von Noblat, den ich anhand nachstehender
f Literatur und Dank der Auskünfte, die mir verschiedene Prie-
fl ster und andere Persönlichkeiten erteilten, schreiben konnte in
# der Hoffnung, daß der Kelmiser Leonhardverein der Bergleute
| und Schaffenden noch während vieler Jahrzehnte seine Tätigkeit
aufrecht erhält.
| Literatur
] Vies des Saints et des Bienheureux par les RR. PP. de Paris, 1954.
| Saint Leonard Ermite en Limousin par Jos. Biossac. 2&me Edition 1965.
4 Inchenhofen, Kunstführer Nr. 181 Verlag Schnell & Steiner, München.
| Fremdenführer durch eine gastliche Stadt. Städt. Kurverw. Bad Tölz
| St. Leonhard Frankfurt. Große Baudenkmäler, Heft 198, Deutscher
| Kunstverlag München - Berlin, 1969.
| Das Leonhardskloster zu Aachen im Wandel der Zeiten von Th. Hinkens
4 1910, Stadtbibliothek Aachen.
| Brabants Heem, Jahrg. 15, 1963 van Drs. Knippenberg, Bibliothek en
N Prentenkabinet, Provincial Genootschap van Kunsten en Wetenschapen
| in Noord Brabant ’s Hertogenbosch.
4 Levensschets en Verering van de Heilige Leonardus door Leonardus
| van Roey.
{
81
Grubenfahrt mit der Göhltalvereinigung
von Dr. Gisela De Ridder
In jedem Jahr organisiert unsere Vereinigung mindestens
eine Grubenfahrt. Stets finden sich viele Interessenten ein, unter
ihnen auch ehemalige Bergleute, die, obwohl sie doch Fachleute
sind, in eine ihnen unbekannte Grube mit einer gewissen Neugier
einfahren. An der letzten Grubenfahrt habe ich teilgenommen,
und lassen Sie mich bitte Ihnen Erzählen, wie erlebnisreich
solch eine Grubenfahrt erst recht für einen Laien sein kann.
Unter der Führung des Präsidenten, Herrn Peter Zimmer,
fuhren wir - eine Gruppe von 14 Damen und 31 Herren - bei
bester Stimmung von Kelmis mit einem Bus nach Waterschei
ins belgische Limburger Land.
Über die Entstehung der Kohle, die Geschichte des Berg-
baus und die der Grube Waterschei erzählte Herr Zimmer auf
der Fahrt dorthin bereits so ausführlich und anschaulich, daß
die Ankunft mit einer gewissen Spannung erwartet wurde, um
dieses Bergwerk endlich besichtigen zu können, über dessen
Kohlenfunde man seit 1901 weiß, welches aber erst seit 1924
in der heutigen Form besteht und damit in diesem Jahr das
50-jährige Jubiläum feiert. Die Entdecker der gewaltigen Kohlen-
lager im Limburger Becken Guillaume Lambert und Andre
Dumont sind für immer mit der Geschichte dieser Grube ver-
knüpft.
Die immensen Hauptgebäude, in reinem Jugendstil, ließen
den Architekturinteressierten nicht wenig erstaunen. Die zwei 35
Meter hohen Fördertürme, die dem Luftaustausch dienen, - in
einem Turm wird die sauerstoffreiche Luft nach unten und im
anderen die sauerstoffarme Luft nach oben befördert, - beein-
druckten alle Besucher sehr, denn ohne diese Türme mit den
Querverstrebungen und dem großen Rad unter dem Dach, kann
man sich eigentlich kein Bergwerk vorstellen.
Nach einer kurzen Begrüßung durch den Obersteiger, Herrn
Andre Geldorf, konnten sich die Damen in Gruppen zu viert in
Steigerkabinen und die Herren in den sog. Waschkauen umzie-
hen. Jeder fand ein kleines zurecht gelegtes Bündel vor, das aus
X
82
einem graublauen Hemd, einer Jacke, einer Hose, Wollstrümp-
fen und einem graukarierten Halstuch bestand. Derbe Schuhe
mit einer Kappe aus Stahl suchte man sich aus einer vor den
Kabinen aufgestellten langen Schuhreihe aus.
Als nächstes bekam man einen Bergmannshelm aufgesetzt.
Mit der Lampe am Helm vorne und der dazu nötigen Batterie,
die in einer Ledertasche an der Seite getragen wurde, unterschied
sich bald keiner der Besucher mehr von den echten Bergleuten.
Über endlose Flure und Treppen erreichte man den Förder-
schacht. Die schmalen, langen Förderkörbe nahmen bis zu 16
”Bergleute” auf und mit einer Geschwindigkeit von 12m/sec.:
ging es 920 m tief in den Berg hinein. Aufgenommen von un-
| heimlich langen, bogenförmig ausgemauerten Stollen, aus denen
| warme Luft entgegenströmte, bestieg man einen Zug, der nach
| einer 20 Minuten dauernden Fahrt, die ”Bergleute” direkt an den
| Streb, vor Ort, d.h. direkt an den Ort des Kohlenabbaus brachte.
|
| Niemand kann es sich vorstellen, wenn er es nicht selbst
| erlebt hat, wie befangen man ist beim Anblick der irgendwo
| in der Tiefe endenden Stollen, in deren Wänden in verschiedenen
| breiten Schichten Kohle eigenartig glänzt. Es ist ein seltsames
| Gefühl 1000 m ”Berg” über einem zu wissen und dabei in einem
| Stollen zu marschieren, einer hinter dem anderen, wobei mit
| jedem Schritt Kohlenstaub aufgewirbelt wird, daß es zeitweise
| unmöglich ist, noch richtig aus den Augen zu schauen und da-
| neben das ständige Rauschen der Kompressoren, durch die in
| den Rohren unter der Decke Luft bewegt wird, zu hören.
|
| Als es galt, in 945 m Tiefe einen 80 cm hohen und 300 m
| langen Streb auf den Knien zu durchqueren, gab es kaum einen;
| der nicht mitmachte.
|
| Auf allen Vieren kriechend, hinweg über Kohle- und Ge-
| steinsbrocken und abgedeckten Rohren, kam man sich ”vor Ort”
| bald wie ein echter Bergmann vor, Hier also wird die Kohle
| herausgeschlagen, hier also, unter solchen Bedingungen, arbei-
| ten an Werktagen 8-9 Bergleute mindestens 6 Stunden hinter-
einander.
Das ist unvorstellbar, Mit solchen und ähnlichen Gedanken
sehnte man sich das Ende des Strebs jedoch bald herbei, Kohlen-
stückchen oder Steine, in der Maserung interessant, füllten so
|
84
Bewies va Mot
| von Gerard Tatas
Der Chrestean, dä hauw vör 20 Johr
E Keng jerett, dat ant verdrenke wor,
| En vör die Heldentat kräch häe als Luen
En schön Medaille van en Kommissiuen.
Die stoke sich et sondes ane Rock 5
En hong sing Tat stolz an de jruete Klock,
Bes dat sing Vrow ens op ne Sondeg sat :
”Now lop doch net anena met die Plat !
Dat dongs dow doch mer ohne notedenke,
Dow koss dobej och äve jot verdrenke.
Now stäek dech doch jeng Vähre ane Hot,
| Weils dow en Kier hots tien Menüte Mot !
Dat brukste doch net johrelang te zege,
Die Plat vengt langsam a mech opterege.”
”Wenn dat esö es, - sätt der Chrestean, -
Da donn ech och der Trowreng net mie an !”
|
|
|
|
85
Das Portrait
Hubert VANASCHEN
von Dr. G. De Ridder
Mit Hubert Vanaschen stellen wir Ihnen einen weit über
die Grenzen unseres Landes bekannten Sänger vor.
Er wurde am 9. 2. 1937 in Kelmis geboren. Die Liebe zur
Musik wurde ihm bereits in die Wiege gelegt. Denn der Knabe
wuchs in einer Familie auf, in der sich wirklich jeder besonders
aufs Singen verstand, So war der Großvater schon ein bekannter
Heldertenor und der Vater, Präsident des hiesigen Gesangver-
eins, fand als Bariton viel Anerkennung. Wen wundert es da,
daß der Achtjährige beim Kelmiser Komponisten Willy Hupper-
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86
mann Geigenunterricht nahm, bei seiner Tochter, Professor am
Konservatorium in Lüttich, die Noten lernte und schon bald in
Vaters Gesangverein mitmachte. Gerne erinnert er sich daran,
daß sein Vater voller Stolz war über den allerersten öffentlichen
Auftritt seines zehnjährigen Sohnes, der im Kommunionsanzug,
im Hotel Reinartz in Neu-Moresnet, ”Tristesse” von Chopin auf
seiner Geige zum Besten gab. Dann erteilte Prof. Jean Herzet,
Moresnet, dem äußerst fleißigen Schüler 9 Jahre Privatunterricht
und bildete ihn nebenbei noch zum Hornisten aus. Es folgte1956
und 1957 ein Studium der Notenlehre am Konservatorium Lüt-
tich. Der bisherige Unterricht war eine enorme Stütze, war der
Grundstock für das gesamte spätere Gesangsstudium. $
Nach Beendigung der Mittelschule in Kelmis und dem
nachfolgenden Handelsstudium setzte sich Vanaschen erfolgreich
für den Aufbau des internationalen Speditionsunternehmens Frans
Maas, Eynatten - Hauset - Montzen ein, das er heute mit 40
Angestellten leitet. Obwohl ihn der Beruf fast ganz beanspruchte,
widmete er sich dennoch dem Chorgesang und wurde 1958
unter dem Dirigenten Willy Mommer Solist im Belg. National-
ensemble KM Eupen. Die zahlreichen Auftritte und Gesangs-
wettstreite in Belgien, Luxemburg, Holland, Deutschland, Groß-
Britannien, Italien, Jugoslavien, Frankreich, Österreich, Schweiz
und besonders in unserer Gegend verschafften dem Chor und
seinem Solisten Anerkennung, Bewunderung und Preise. Aber
unaufhörlich arbeitete der Künstler, dessen Vorbild der berühmte
Sänger Dietrich Fischer-Dieskau ist, an sich weiter. Die Stimme,
so sagt er, ist das schwerste Instrument, bei dem Muskeln betä-
tigt werden, die normalerweise brachliegen, die aber erst in der
richtigen Koordinierung ein stundenlanges Singen ermöglichen.
Er folgte 1968 4 Jahre einem Musik- und Gesangsstudium in
Verviers, dann in Lüttich, das er mit größter Auszeichnung
beendete. Seine Lehrerin, die berühmte Sängerin Madame Du-
champs-Vecray, vermochte den Künstler auf seinem Wege zum
Konzertsänger entscheidend zu beeinflussen. Madame Walthery,
die ihn seit nunmehr 7 Jahren auf dem Piano begleitet, verstand
es stets, zwischen Begleitung und Gesang vollendete Harmonie
herzustellen. Gesangswettstreite bedeuten für den Künstler eine
Gelegenheit sich zu produzieren, sich schöpferisch zu offenbaren,
87
sich mit den anderen zu messen, befreien ihn immer wieder aus
der Isolation und knüpfen Kontakte, die er auch ständig sucht.
Und was macht es schon, wenn ein Gesangswettstreit mit einem
Ergebnis endet, das nicht der Vorstellung des Künstlers und vor
allem nicht des Publikums entsprach wie z.B. 1970 in Toulouse,
wo er deklassiert wurde, weil die Hälfte der Jury, alles Franzo-
sen, der Meinung waren, er sei kein Bariton, sondern ein Hel-
dentenor. Obwohl er auf diesem 17. internationalen Sänger-
treffen nur den 6. Preis erhielt, wurde er als einziger männlicher
Teilnehmer vom französischen Radio und Fernsehen O.R.T.F.
zu Aufnahmen verpflichtet. Aber die Toulouser Kritik blieb
nicht ungehört, denn Vanaschen prüfte sich, ob er nicht doch,
eingedenk seines großväterlichen und väterlichen Erbes, ein Hel-
dentenor sei. Er probte und probte, trat schließlich als Helden-
tenor, als Wagnertenor auf und mußte nach gut einem Jahr
erkennen, daß sich die Jury geirrt hatte. Sein Weg als Bariton-
sänger war fortan nun klar gezeichnet.
Hinter all dem steht ein Mann, der ununterbrochen mit
Fleiß und Ausdauer jede Minute nutzt, die ihm zur Verfügung
steht, um sich neben seinen beruflichen Verpflichtungen im
Gesang weiterzubilden. Unersätzliche Hilfe leistet ihm dabei
seine Gattin, Frau Maria Pelzer, die ihrem Mann volles Ver-
ständnis entgegenbringt und ihn nach Möglichkeit auf all seinen
Reisen begleitet. Die beiden Kinder, Carin und Francis, treten
bereits in Vaters Fußstapfen,
Die ganze Familie findet es selbstverständlich, wenn der
Vater während der Autofahrt seine Bänder abhört, singt und
Texte lernt.
Reisen nach Wien, Mailand, Paris, Berlin usw. werden
gleichzeitig so gelegt, daß ein Privatunterricht bei bekannten
Musikpädagogen ermöglicht wird. Einen Urlaub im üblichen
Sinne kennt der Künstler nicht. Sommerseminare in Frankreich,
Spanien, Liechtenstein bei bekannten Sängern vermitteln ihm
erst das richtige Urlaubsgefühl. Ihm macht es dann auch nichts
aus, eine Probe von 8 Stunden an einem Stück durchzustehen.
Und hat er 3 Stunden gesungen, abends nach einem arbeitsrei-
chen Tag, ist er entspannt : ”Singen macht Freude, wer sich da-
bei anstrengt, macht es falsch”, ließ er mich wissen.
}
88
Wenn er sich auch mehr zum Sänger berufen fühlt, seinem
Beruf verdankt er unendlich viel. Denn was wäre ein Künstler
heute ohne die Organisation und ohne das Kalkulieren ? Erstaun-
lich, mit welcher Energie er seine Ziele verfolgt. Mit der vor 6
Jahren gegründeten Vereinigung ”Jugend und Musik im Göhltal”
möchte er Musik erklingen lassen, der man zuhören muß, die sich
abhebt von der durch die Technik so perfektionierten Musik
des Rundfunks und Fernsehens, wo Playback und Verstärker
die Stimme ersetzen.
Sein größtes Interesse gilt den ausgefallenen, schwierigen
Liedern, sei es nun Musik aus dem Mittelalter oder moderne.
Musik von Orff, Hindemith, Wolf o. a. Solche Lieder singt nicht
jeder und der persönlichen Liedwiedergabe stehen somit keine
an bekannte Persönlichkeiten gebundene Vorstellungen im We-
ge. Ein Künstler will nicht imitieren, er will ganz einfach auf
seine Weise interpretieren. In einem Doppelouartett ließe sich
seiner Meinung nach eine solche Liedgestaltung am ehesten
verwirklichen. Aber noch ist es nicht so weit, es fehlen die ent-
sprechenden Kräfte. Große Hoffnung setzt er daher auf die Mu-
sikakademie in Eupen, an der er Unterricht erteilt. Die Jugend
für gute Musik zu interessieren, hat er sich zur Aufgabe gesetzt.
”Wir haben einen guten und vielversprechenden Anfang
gemacht”, meint Hubert Vanaschen, ”aber es fehlt unserer Hei-
mat eine echte Musikstätte, ein Konzertsaal”. Und nach einer
Pause fügt er hinzu : ”Das ist ein Wunsch für die Zukunft, im
Augenblick benötigten wir viel dringender ein Konzertpiano,
denn ohne eigenes Instrument können wir keinen Pianisten von
Format engagieren und keine anspruchsvollen. Konzerte bieten.”
Mit einer Bescheidenheit, die beschämt, gibt er uns zu verstehen,
daß ein Menschenleben viel zu kurz ist, um all das Wunderbare
in der Musik überhaupt kennenzulernen. ”Ja, ich weiß, ich habe
zu viele Interessen, ich müßte welche fallen lassen, ich weiß
nur nicht welche !”
1
89
In Memoriam Hubert Engels
von J. De Ridder
Ne ä Plombieres pres de Montzen le 24-8-1890, Hubert
Engels suit les cours ä l’&cole communale de son village, l’&cole
moyenne d’Aubel et l’&cole normale de Carlsbourg, oü il ob-
tient son diplöme d’instituteur en 1911.
Dans l’enseignement, il sert successivement a Niel (Boom),
Vilvorde et Welkenraedt lorsaue se declare la premi&re guerre
mondiale. Durant quatre ans, il fait son devoir comme bran-
cardier aupres des 9&me et 11&me Regiments de Ligne et ses
huit chevrons de front, ses titres de chevalier dans les ordres
de Leopold, de 1a Couronne et de L&opold II ainsi que Vattri-
bution de diverses distinctions honorifiques, dont la Croix de
guerre avec palmes et la Croix de l’Yser, sont la preuve d’une
conduite exemplaire qui le laisse cependant meurtri dans sa chair
/ puisqu’il est demobilise avec une invalidit& de guerre de 50%.
Malgre ce handicap, il se consacre ä V’enseignement et on
le retrouve ä l’Ecole normale de Nivelles et l’&cole moyenne de
Boom lorsque, frappe par la maladie, il est place en disponibilite
en 1922. Tant bien aue mal, il travaille comme employe de
banque jusqu’en 1933 et finit sa carriere comme enseignant de
langue n&erlandaise au College St-Francois-Xavier & Verviers.
Retraite en 1950, il retourne ä Plombi@res, son village natal oü
il s’eteint le 5-2-1967.
Le 22-8-1922, il convole ä Tisselt avec Marie-Henriette
Troch, institutrice, qui Iui donne un fils et deux filles.
Tout jeune encore, Hubert Engels est dejä attire par tout ce
qui touche la nature, les plantes, les fleurs, l’ornithologie et
surtout les roches et les mineraux. A la fin de sa vie, il a acquis
| une imposante collection, dont les plus belles pi&ces sont expo-
| sees dans une impressionante vitrine qui tröne dans son salon.
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En tant qu’ami personnel de feu le cure Darcis et de Pierre
Zimmer, president de notre association, il a, peu de temps avant
sa mort, emis le souhait de voir transferer l’entieret& de sa col-
lection ä une association culturelle locale de facon ä permettre
ä notre population de se rendre compte de la richesse de sa
region.
Ce souhait s’est realise au cours de l’Ete dernier, lorsque
Madame Veuve Engels, avant de se retirer ä St-Hubert aupres
de la famille Rihoux chez une de ses filles, a fait don de la
collection precitee a l’Association pour la Culture, le Patrimoine
et I’Histoire de la Valle de la Gueule. Cette collection sera
expos6e au Mus6ee de l’association qui sera officiellement ouvert
au public au debut de l’annee 1974.
Dans un prochain numero de notre publication paraitra
une liste des pieces maitresses de cette collection et des ouvrages
les plus importants offerts gracieusement par la famille Engels
A notre association.
In Memoriam Hubert Engels
von J. De Ridder
Hubert Engels wurde am 24. 8. 1890 in Bleyberg geboren.
Er besuchte die dortige Gemeindeschule, später die Mittelschule
in Aubel, Seine Ausbildung als Lehrer absolvierte er an der
”Normalschule” in Carlsburg, wo er sein Diplom 1911 erhielt.
Vier Jahre diente er als Sanitäter im belgischen Heer an
der Yserfront. Viele Ehrenauszeichnungen wurden ihm zuteil.
Obwohl er Kriegsinvalide war, ließ er es sich nicht nehmen,
wieder als Lehrer tätig zu sein. 1922 mußte er krankheitshalber
aus seinem Beruf ausscheiden, konnte 1933 ihn wieder auf-
nehmen und wurde 1950 als Sprachlehrer für Niederländisch
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am College St.Francois Xavier in Verviers pensioniert. Er kehrte
dann in den Heimatort Bleyberg zurück, wo er am 5.2.1967
verstarb.
1922 heiratete er die Lehrerin Marie-Henriette Troch aus
Tisselt. Ein Sohn und zwei Töchter gingen aus dieser Ehe
hervor. Schon als junger Mann war Herr Engels sehr verbunden
mit der Natur, den Pflanzen, der Ornithologie. Vor allem be-
schäftigte er sich mit Steinen, mit Mineralien, Am Ende seines
Lebens verfügte er über eine beeindruckende Sammlung, einzig
in unserer Gegend,
Gegenüber seinen persönlichen Freunden, Pastor Darcis
und Herrn Peter Zimmer, Präsident unserer Vereinigung, hatte
er einige Zeit vor seinem Tod den Wunsch geäußert, seine
Sammlung ungeteilt einer lokalen kulturellen Vereinigung anzu-
vertrauen, damit alle Leute den Reichtum unseres Gebietes
sehen können.
Im vergangenen Sommer verwirklichte Frau Engels, die
in St-Hubert bei einer ihrer Töchter lebt, diesen Wunsch:
Die Göhltalvereinigung, der diese Sammlung geschenkt
wurde, wird stets bemüht sein, das Ansehen Hubert Engels zu
: würdigen und seinen Wunsch zu erfüllen.
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Sagen und Erzählungen vom Altenberg
von Wilhelm Dithmar
Die Hinzenmännchen (nach Alfred von Reumonts Sagen-
sammlung)
Der Verfasser dieser Zeilen hat im Park der Emmaburg
des Herrn von Nellessen in seiner Jugendzeit eifrig nach jenen
Löchern gesucht, in denen vor Zeiten einmal Hinzenmännchen
gesessen haben sollen, Leider hat er nur eine Anzahl Kaninchen,
herumhoppeln gesehen. Das ist selbstverständlich, denn jene
unterirdischen Höhlungen hatten die Kobolde ja schon seit langer
Zeit verlassen. Aber er hat an einem Wiesenabhang, am Wege
von der Emmaburg nach dem Casinoweiher, ein kleines An-
dachtshäuschen gesehen, im Spitzdach ein Glöckchen. Das soll
das Glockentürmchen gewesen sein, in dem, als die Gnomen
noch in der Nähe weilten, von Zeit zu Zeit geläutet wurde, um
die unbequemen Gäste zu vertreiben. Denn im Gegensatz zu den
Kölner Heinzelmännchen, stahlen hier die Zwerge wie die Raben.
Das dauernde Geläute störte sie, sodaß sie eines Tages nach
Aachen auszogen und sich dort in der Kleinkölnstraße mieder-
ließen. Hier begannen sie sofort ebenfalls ihr unnützes Treiben,
ja plünderten sogar des Nachts harmlose nach Hause torkelnde
Bürger aus und zogen ihnen die letzten Groschen aus der Tasche.
Ein Priester machte dem Treiben ein Ende, Mit Weihrauch
räucherte er ihre Schlupfwinkel aus und die Kobolde verließen
fluchtartig das Gelände. In Scharen zogen sie zu einem Mauer-
turm am Rande Aachens. Die Straße dorthin heißt noch heute
Heinzenstraße. Als die Mauern Aachens abgerissen wurden, fand
man unter den Turmtrümmern des Hinzenturmes noch etliche
Münzen. Sicher noch Reste des einstigen Gnomenschatzes. Von
ihnen selbst hat man nichts mehr gesehen.
93
Die Messingnadelfabrikation
Auf die Geschichte von ”Neutral-Moresnet” ist in diesen
Heften schon verschiedentlich hingewiesen worden. Lange Jahr-
zehnte blieb dieses Gebiet wegen der Zinkgewinnung ein inter-
nationales Streitobjekt. Die Aachener Messingindustrie war auf
die Zinkgewinnung angewiesen. Das notwendige Kupfer kam aus
dem belgischen Raum um Dinant, Auf starken zweirädrigen
Karren wurden die notwendigen Erze nach Aachen - Burtscheid
gebracht, wo besonders auf Steinebrück eine Reihe von mit
Wasserkraft betriebenen Messinghämmern zu finden waren. Die
Kupferkarren rollten über die Grenze von Hauset über dem
Elleterberg hinab auf Linzenshäuschen zu, dabei tiefe Spuren
hinterlassend. Noch heute sind sie im Erdreich des Berges zu
erkennen. Regen hat die parallel laufenden Rinnen ausgewa-
schen. Auf den dazwischen aufgeworfenen Erdhügel wächst heute
dichtes Strauchwerk.
In Steinebrück nun wurden Dinantkupfer und Altenberger
Zink zu Klumpen gegossen und unter den Schlägen der Hämmer
zu einem Blech ausgewalzt. Der Meister schnitt sodann mit
einer Schere spiralförmig nach innen führend aus dem Blech
einen kantigen Draht, der dann auf einem Amboß durch ver-
schiedene Bolzenöffnungen gezogen wurde, bis er die erwünschte
Stärke zeigte. Er wurde dann in gleichmäßige Stücke geschnitten,
unten mit einer Spitze versehen und oben mit einer Öhse. Kin-
derhände verpackten die gewalkten und polierten Nadeln dann
in kleine Briefchen. Bei der Abzählung der Nadeln gebrauchten
die Kinder ihren kleinen Finger. Die Haltung, die Krümmung
des kleinen Fingers bei dieser Arbeit führte dann zum soge-
| nannten ”Aachener Gruß” : Die Erhebung des gebogenen ”Klen-
kes” (des kleinen Fingers) als Erkennungszeichen.
Diese Erzählungen sind etwas gekürzt entnommen der Sammlung
”Der große Aachener Sagenkreis”, Aachen 1966 von Wilhelm Dithmar.
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Kennst Du Deine Heimat ?
Werter Leser und Photoquizfreund !
Allen meinen Quizfreunden ein herzliches Dankeschön für
| das große Interesse, das sie immer wieder bei der Lösung der
Quizfragen gezeigt haben.
| Für das neue Jahr wünsche ich Ihnen alles Gute, Liebe
und Schöne. Unser Photoquiz werden wir in Heft 15 dieser
Zeitschrift wieder aufnehmen. Bis dahin grüßt
Ihr Jac., Demonthy
Und nun die Lösungen der in Heft 13 gestellten Aufgaben.
Bild Nr. 1: Das Bild veranschaulicht das Sakrament der Taufe.
Zu sehen ist es in der Kelmiser Pfarrkirche. Fünf weitere Sakra-
mente sind an den Längswänden dieser Kirche dargestellt (Buße,
Firmung, Ehe, letzte Ölung, Priesterweihe). Das Altarssakrament
ist durch den Tabernakel gegeben,
Bild Nr. 2 : Die Glocke der Rochuskapelle zu Neu-Moresnet.
Sie stammt aus dem Jahre 1664 und versieht noch heute ihren
”Dienst”, denn noch heute ruft sie die Gläubigen zum Gottes-
dienst ins Kappelchen.
Bild Nr. 3 : Das Sakramentshäuschen der Ketteniser Pfarrkirche.
/ Auf dem Sakramentshäuschen eine barocke Muschelnische in
Blaustein mit seitlichen Voluten, Darin Holzstatue einer gekrön-
ten weiblichen Heiligen mit Kelch und Buch, 90 cm hoch, ba-
rock polychromiert, Anfang des 16, Jh.
Bild Nr, 4 : Es stellt den hl. Franziskus dar, wie er einem Kran-
ken hilft. Diese Plastik hat im Foyer des St, Josephsheimes von
Eupen ihren festen Platz.
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Bild Nr. 5 : Den berühmten Flügelaltar der St. Annakapelle in
Lontzen-Busch haben wohl die meisten auf Anhieb wiederer-
kannt. Er entstand um die Wende des 15. Jh. Im Inneren ein
moderner Altarschrein mit Szenen der Kreuzigung, Geißelung,
Kreuztragung, Kreuzabnahme und Auferstehung.
Die 2,34 m lange Predella (Altarstaffel), eine flandrische
Holzschnitzarbeit, die mit dem Apostelbalken in der Kirche von
Henri-Chapelle verglichen werden kann, zeigt die vollrunden
und recht gut gearbeiteten Halbfiguren Christi und der Apostel.
Bild Nr. 6 : Der hl. Antonius in der Pfarrkirche zu Hergenrath.
| Bild Nr. 7 : Auf dem Johberg zu Walhorn stand in früheren
Jahrhunderten, als Walhorn noch die Hochgerichtsbarkeit be-
saß, der Galgen, an dem die durch den Urteilspruch des Wal-
horner Schöffengerichtes zum Tode verurteilten Strauchdiebe,
Brandschatzer, Mörder und anderes Gesindel vom Leben zum
Tode befördert wurden. An dieser Stelle steht heute die auf
unserem Bild abgebildete Kreuzigungsgruppe.
| Bild Nr, 8 : Die Lourdesgrotte in der Pfarrkirche zu Teuven. Die
| Kirche ist nur während der Gottesdienste geöffnet.
| Bild Nr. 9 : Die Kreuzigungsgruppe am Wege von Henri-Cha-
| pelle nach Ruyff.
| Das wär’s dann für heute !
}
| Jac, Demonty
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Was meinen Sie dazu ?
Anmerkung der Redaktion : Aus dem holländischen Nachbargebiet
ging dem Vorstand unserer Vereinigung ein Schreiben zu, das sich, so
meinen wir, an alle Heimatfreunde richtet. Wir alle sind aufgerufen,
uns gegen die Zerstörung der für unser Gebiet so charakteristischen
| Galmeiflora zu wehren. Aus diesem Grunde veröffentlichen wir hier
den Notruf der holländischen Landschaftsschützer und wir hoffen, in
| einer unserer nächsten Nummern eingehender auf dieses Problem ein-
| gehen zu können.
| Sehr geehrter Vorstand,
| sicherlich dürfte Ihnen bekannt sein, daß man vor einiger
| Zeit damit begonnen hat, in Neu-Moresnet die dort befindliche
Galmeihalde abzutragen. Obwohl diese Halde zur Strace hin ei-
nen sehr verrummelten Eindruck machte, war sie in vegetations-,
kundlicher Hinsicht sehr bemerkenswert. Sie hätte sich durchaus
geeignet für die Einrichtung eines Naturschutzgebietes. Auf die-
ser trifft man die Vollzahl der Charakterarten der sogenannten
Galmeitrift (Violetum calaminariae) an, außerdem eine große
Anzahl typ. Begleitarten, insgesamt ca. 30 Arten.
Bedenkt man die Seltenheit und Einmaligkeit solcher Gal-
meitriften, so erscheint es eigentlich unverständlich, daß man sich
in Neu-Moresnet dieses Umstandes nicht bewußt sein sollte.
Offenbar ist jetzt, nachdem die Arbeiten angelaufen sind,
wohl wenig mehr zum Schutz der Galmei - Flora zu erreichen.
Dennoch sollte dieser Umstand Anlaß dazu sein, die Aufmerk-
samkeit auf das gesamte Göhltalgebiet zu lenken, zumal ein
weiterer überaus wertvoller Landschaftsteil in diesem Gebiet
gefährdet zu sein scheint. Das Ihnen sicher ebenfalls bekannte
Lontzener Bachtal oder Hornbachtal soll nach verschiedenen
inoffiziellen Informationen Konzessionsgebiet der westdeutschen
Kalkwerke sein. Nach unserer Meinung muß unbedingt alles
unternommen werden, dieses Gebiet vor jeder Zerstörung zu
retten. Es scheint uns an der Zeit, daß man sich seitens aller
engagierten Naturschützer Gedanken über den Gesamtkomplex
”Göhltal” macht und einflußreiche Stellen über wertvolle Ab-
| schnitte in diesem Gebiet aufmerksam macht. Wir möchten
| daher Sie bitten, von Ihrer Seite alles nur mögliche zum Schutze
| des Göhltales mit seinen Randbereichen - soweit diese von na-
| turschützerischem Interesse sind - zu unternehmen.
| Indem wir auf Ihr Engagement rechnen, verbleiben wir
| mit freundlichen Grüßen,
| Instituut voor natuurbeschermingseducatie, Afd. Vylen-Vaals.
| Hans Hermanns, Afd. Leider.
|
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97
Tätigkeitsbericht für das Jahr 1973
von Walther Janssen
Das Jahr 1973 kann für die Vereinigung für Kultur, Heimatkunde
und Geschichte im Göhltal ohne Zweifel als ein sehr erfolgreiches be-
wertet werden. Schon wenn man die Zahl der Veranstaltungen vergleicht
mit derjenigen vergangener Jahre, ist zu erkennen, daß ein frischer Wind
| die Tätigkeit des Vereins belebt.
Am 14. Januar war im Saale Bauens zu Hergenrath die jährliche
Hauptversammlung, zu der sich leider nicht viele Mitglieder eingefunden
hatten. Der Kassierer, Herr Steinbeck, legte den Kassenbericht vor, der an-
genommen wurde. Den Tätigkeitsbericht für 1972 verlas der zweite
Schriftführer, Herr Tatas. Dann wurde gemäß den Statuten die Hälfte
des Verwaltungsrates gewählt bzw. neu gewählt. Bgm. Hamacher aus
Hergenrath schied aus dem Verwaltungsrat aus.
13. Februar fand die erste Verwaltungsratssitzung des neuen Jahres
statt im Gemeindehaus zu Neu-Moresnet, wo fortan alle Versammlungen
abgehalten wurden. Der Schriftleiter, Dr. Aldenhoff und der zweite
Schriftführer, Herr Tatas, hatten ihre Ämter zur Verfügung gestellt.
Herr Wintgens wurde als neuer Schriftleiter gewählt und W. Janssen
bis auf weiteres zum 2. Schriftführer. Der Vorsitzende, Herr Zimmer,
wurde für ein weiteres Jahr in seinem Amt bestätigt.
Im Februar erschien auch die neue Ausgabe der Zeitschrift ”Im
Göhltal”, umfangreicher und vielseitiger als je zuvor.
Auf der Verwaltungsratssitzung des Monats März nahm man ein sehr
interessantes Projekt in Angriff : die Veröffentlichung einer Sonder-
reihe. Heft 1 soll ein Gedichtband von L. Wintgens, dokumentiert mit
Zeichnungen von H. Scheiff sein. Der Schriftleiter legte seine Pläne
hierzu vor.
Frau Dr. De Ridder, sowie die Herren Demonthy, De Ridder, Fel-
der, Goebels und Zimmer empfingen am 10. und 11. April eine Delega-
tion der Freien Universität Berlin, die in Kelmis und Neu-Moresnet zu
Gast war, und zeigten ihr die Archive des Vereins in Form einer kleinen
Ausstellung mit Erläuterungen und einigen Lichtbildervorträgen.
Am 13. April hielt Herr Leo Wintgens im Saale Bauens, Hergen-
rath, einen Vortrag ”Grundzüge der sprachlichen Entwicklung im Osten
des Herzogtums Limburg”, den er auch im Soermondt-Museum zu
Aachen vor Mitgliedern des Aachener Geschichtsvereins gehalten hatte.
Am 25. April gab es erneut eine Verwaltungsratssitzung. Herr Zim-
mer konnte bekanntgeben, daß sich einige Dichter des Göhltals um eine
Veröffentlichung ihrer Gedichte in einer Anthologie für Mundartdichtung
des Verbandes Rheinland bemühen. Herr Wintgens unterrichtete die Ver-
sammlung über die Vorbereitungen zur Veröffentlichung des ersten Son-
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derheftes und Herr De Ridder erläuterte seine Bemühungen zur Erhal-
tung alter Bauwerke in unserer Gegend.
Der Monat Mai stand ganz im Zeichen der Ersterscheinung des Son-
derbandes ”aus der Presse” von L. Wintgens und H. Scheiff, Anläßlich
eines Empfangs, bei dem auch der deutsche Schriftsteller Wolfgang Wey-
rauch anwesend war, wurde er am 11. Mai in der Parkvilla zu Kelmis
der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Erfolg war in jeder Beziehung groß
und er wird sicher zu weiteren Arbeiten dieser Art anspornen.
Am 20. Mai wurde unter Leitung der Herren Zimmer und Geldhof
eine weitere Besichtigung der Grube Waterschei unternommen, zu der
sich wieder viele Interessenten eingefunden hatten.
Die Verwaltungsratssitzung des Monats Mai fand am 21. statt. Man
beschloß den Kauf einer Grubenlore, welche im Park zu Kelmis aufge-*
stellt wurde, versehen mit einer Plakette, die sie als Stiftung der Ver-
einigung kennzeichnet. Zusätzlich traf man die Vorbereitungen zur Aus-
stellung der Amateurkünstler des Göhltals. Am 24. Mai hielt Dr. Mohr
(Taunus) in der Patronage zu Kelmis einen Vortrag über Cösar Franck,
Der Vortag wurde von Dr. Mohr selbst mit Flügelbegleitung untermalt.
Der Verein veranstaltete ihn gemeinsam mit ”Jugend und Musik im
Göhltal”.
Selbst in den Urlaubsmonaten Juli - August war es dann möglich,
die Mitglieder zu einer Verwaltungsratssitzung zusammenzurufen. Sie
wurde am 3. Juli abgehalten. Hier galt es besonders, den Veranstaltungs-
kalender für das zweite Halbjahr aufzustellen. Außerdem berichtete Herr
De Ridder über seine Bemühungen zur Erhaltung der Galmeiflora und
der alten Bauernhöfe in unserer Gegend, wovon einige besichtigt wurden.
Die sechste Verwaltungsratssitzung des Jahres fand am 4. September
statt. Die kommenden Veranstaltungen bedurften einer gründlichen Vor-
bereitung, vor allen Dingen die Ausstellung der Amateurkünstler und das
geplante zweite Ostbelgische Dichtertreffen. Auf dieser Sitzung gab der
Vorsitzende auch den Rücktritt von Frl. Xhonneux vom Posten des 1.
Schriftführers bekannt. Bisher wurde diese Stelle nicht neu besetzt. Dar-
um auch von hier aus einmal an die Mitglieder ein Appel zur tatkräf-
tigen Mitarbeit.
Doch der Monat September brachte auch viele interessante Veran-
staltungen. So führte man vom 22, - 26. September in der Patronage zu
Kelmis die Ausstellung von Amateurkünstlern des Göhltals durch. Das
Angebot war sehr vielseitig und reichte von Kinderzeichnungen (G. und
D. De Ridder) über Gemälde (Jean Evers, Horst Heydasch, F.-J.
Scheiff, P. Gerrekens) und Zeichnungen (Dr. De Ridder, Frau Hick)
zur Holzschnitzerei (Jean Volders). Die Ausstellung wurde zu einem
großen Erfolg. Am 30. dieses Monats veranstaltete die Vereinigung
zum ersten Male eine geführte Rundreise durch das ösfliche Göhltal,
mit Besichtigung der Burgen und Schlösser. Die Fahrt, zu der sich
über fünfzig Teilnehmer einfanden, führte ab Kelmis über Hergenrath
(Emmaburg), Hauset (Rochuskapelle), Eynatten (Vlattenhaus, Raaf,
Lichtenbusch), Raeren (Töpferei-Museum), Kettenis (Liberm€), Walhorn
(Pfarrkirche) und Lontzen zurück nach Kelmis. x
r
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Größtes Ereignis des Monats Oktober war natürlich das 2. Ostbel-
gische Dichtertreffen im Bergscheiderhof zu Raeren am 13. Oktober.
Am Frühnachmittag fand dortselbst ein Vortrag von Peter Thomas über
das Leben und Wirken des Raerener Dichters Ponten statt. Abends hatten
| sich zu den Dichterlesungen genau wie beim ersten Treffen wieder
| Schriftsteller aus der Bundesrepublik, den Niederlanden und Belgien ge-
troffen und es wurde eine bunte Palette von Gedichten und Erzählungen
in Hochdeutsch und Mundart angeboten. Leider blieb der wohlverdiente
Publikumserfolg in Raeren aus.
Im Rahmen des Dichtertreffens veranstaltete man eine Ausstellung
des Raerener Künstlers P. Emonts-Pohl. Sein Angebot reichte von Holz-
arbeiten zu Zeichnungen und Erzählungen, welche ein tiefe Heimatver-
bundenheit erkennen ließen.
Am 20. Oktober hielten die Herren Jansen A. und De Ridder in
| Herve einen Dia-Vortrag vor Mitgliedern des dortigen Geschichtsvereins.
| Anfang November wurde Heft 13 der Zeitschrift ”Im Göhltal” ver-
| teilt. Auch hier zeigte es sich, daß die Zeitschrift in Inhalt und Umfang
immer anspruchsvoller wird,
Darum mußte auf der Verwaltungsratssitzung vom 13. November
eine Erhöhung der Preise pro Einzelheft und der Mitgliedsbeiträge be-
| schlossen werden. Dies ist allein wegen der Erhöhung der Druckkosten
notwendig geworden. Außerdem wurden auf der Versammlung die kom-
| menden Veranstaltungen vorbereitet.
|
|
{ Am 9. November war es schon zu einem interessanten Lichtbilder-
| vortrag von Dipl. - Ing. Hans Königs aus Aachen gekommen. Der Vor-
| trag befaßte sich mit der Landschaft und der Architektur im Herzogtum
| Limburg und fand im Saale Bauens zu Hergenrath statt. Der ausge-
| zeichnete Kenner Königs konnte die aufmerksamen Zuhörer wirklich be-
geistern und alle Freunde des Vereins in ihren Bemühungen zur Erhal-
tung des heimatlichen Kulturgutes bestätigen und stärken.
Monatsabschluß bildete am 30. November der Vortrag im Saale
Reinartz Neu-Moresnet von Herrn Otto Hirtz aus Aachen mit dem
Thema ”Die Galmeiflora im Göhltal”, Auch hier handelte es sich um
| einen Lichtbildervortrag und Herr Hirtz erwies sich als leidenschaftli-
cher Liebhaber. Seinen Erläuterungen lauschte man mit Spannung. Er
richtete einen Appell an alle, damit diese Flora nicht verlorengehe.
Hier erläuterte der Vorstand die in diesem Sinne unternommenen Schrit-
te. Falls das Reservat in der «Kull» (Kelmis) verlorengehe, ist die Einrich-
tung eines neuen Reservats im Gebiet von Göhl und Lontzener Bach
vorzuschlagen.
| In der Zeit vom 5. bis 12. Dezember fand dann noch in der Park-
villa zu Kelmis eine Ausstellung des Eupener Malers Adolf Christman
4 statt, welche von der Göhltal-Vereinigung veranstaltet wurde. Herr
| Christman ist inzwischen ein über die Grenzen Europas hinaus bekann-
| ter Künstler und auch dieser Ausstellung wurde ein großer Erfolg zuteil.
100
Somit ging das Tätigkeitsjahr 1973 zu Ende, Bliebe noch zu er-
wähnen, daß auch in diesem Jahre die Beiträge im deutschsprachigen
Rundfunk gesendet wurden, und zwar jeden ersten Montag im Monat in
der Zeit von 18.05 Uhr bis 18.30 Uhr. In diesem Jahre wurden die Bei-
träge geleistet von Frau Dr. De Ridder, sowie den Herren Bindels, W.
Janssen, L. Kohl, L. Wintgens und P. Zimmer.
Wie aus diesem Bericht hervorgeht, war die Vereinigung nicht un-
tätig. Doch ist dies meist nur das Verdienst einiger wenigen. Diese Be-
mühungen müssen deshalb auch an dieser Stelle besonders hervorgeho-
ben werden. Gleichzeitig möchten wir jedoch daran die Bitte knüpfen,
jedes Mitglied möge einmal überlegen, ob es nicht für den einen oder
anderen Posten in Frage kommt oder sich nicht für die eine oder andere
Arbeit eignet. Es gibt jedenfalls Arbeit für jedermann. Nur so kann der
Verein seine Ziele erreichen, den Wünschen gerecht werden und beruhigt
und zuversichtlich in die Zukunft sehen. E
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VEREINIGUNG FÜR KULTUR, HEIMATKUNDE UND GESCHICHTE "IM GÜHLTAL".
Veranstaltungsprog: mm im I Halbjahr 1974;
} 15/3 Lichtbildervortrag von Otto Hirtz (Aachen):
"Die Galmeiflora”, um 20 Uhr im Kulturzentrum, Kelmis,
Patronagestrasse,
26/3 Vortrag in Bild und Ton von Mathieu Leclerc (Moresnet) und
Alfred Janssen (Moresnet);:
"Priesterweihe Simons-Rixen",
"Kealmiser Passionsspiel” (mit Originaltexten) und
"Moresnet-Kapelle“", um 20 Uhr im Kulturzentrum, Kelmis,
Patronagestrasse,
7/4 "Galmeiflora im Göhltal": Exkursion unter der Führung von
Otto Hirtz (Aachen), Treffpunkt: 14 Uhr, Bushof Pauly,
Kelmis, Lütticher Str,
20/4 Exkursion Bank Montzen. Busfahrt unter der Führung von
Jean De Ridder (Moresnet)., Abfahrt um 13,30 Uhr vom
Kirchplatz, Kelmis,
4/5 Exkursion Bank Walhorn,. Busfahrt unter. der Führung von
Walter Janssen (Hauset). Abfahrt um 13,30 Uhr vom
Kirchplatz, Kelmis,
17/5 Lichtbildervortrao von Dr, Gisela De Ridder (Moresnet):
"Töpferei bis zum 17, Ihdt im Göhltalraum",
7/6 Lichtbildervortrag von Dipl, Ing, Heinz Beyer (Nettehöfe):
"Geologie der Eifal einschliesslich des Göhltalraumes",
22/6 Exkursion ‚in geologisch interessante Steinbrüche im Göhltal,
Abfahrt um 13.30 Uhr vom Kirchplatz, Kelmis,
Im Laufe des Monats Mai wird wiederum eine Grubenfahrt nach
Waterschei unter Führung von Peter Zimmer (Kelmis) organisiert
werden,
Die Eintrittspreise zu den verschiedenen Lichtbildervorträgen
betragen 20 Fr für Mitglieder, 30 Fr für Nichtmitglieder,
Die Autobusrundfahrten und Führungen durch die Bank Montzen und
die Bank Walhorn, einschliesslich Eintrittsgelder (z.B, Raerener
Töpfermuseum) batragen 75 Fr für Mitglieder und 100 Fr für
Nichtmitglieder.. Jugendliche bis 16 Jahren und Studenten zahlen
den halben Preis,
’ Voranmeldungen nehmen jederzeit entgegen:
Herr Peter Zimmer, P, Kofferschläger Siedlung, 10,
4720 Kelmis, Tel,: (087) 58307,
Herr Jean De Ridder, rue du Calvaire, 8,
4671 Moresnet, Tel,: (087) 88464,
Für die Veranstaltungen im Monat Mai und Juni werden noch Ort
und Anfangszeiten gesondert bekannt gegeben,