Im Göhltal
ZEITSCHRIFT der
VEREINIGUNG
für
Kultur, Heimatkunde und Geschichte
im Göhltal
No 13
173
Vorsitzender : Peter Zimmer, Kelmis, Siedlung P. Kofferschläger, 10.
Sekretärin : Georgette Xhonneux, 136, Lütticher Straße, 4721 Neu-Moresnet
Lektor : Alfred Bertha, Hergenrath, Bahnhofstraße 20 b
Kassierer : Fritz Steinbeck, Kelmis, Kirchstraße, 20
Bankkonto : Societ& Generale de Banque N° 248-0251.251-51 (P.S.K. 625)
Postschekkonto N° 000-0191053-60
Die Beiträge verpflichten nur ihre Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten.
Entwurf des Titelblattes : Frau Pauquet - Dorr, Kelmis.
Diese Skizze zeigt den Moresneter Göhlviadukt sowie die Hergenrather
Hammerbrücke in ihrer ursprünglichen Form.
Druck. Jacques Aldenhoff, Gemmenich
Inhaltsverzeichnis
Die Redaktion Zum Geleit 4
Franz Uebags, Kelmis Vorkriegszeit, Kriegszeit und Waf-
fenstilstand 1914-18 in Neutral-
Moresnet 6
Leo Homburg, Hauset Die «Pavei» - Grenzstraße zwischen
Herbesthal und Welkenraedt vor
1914 34
Alfred Bertha, Hergenrath Die Grabsteine des 17. und 18. Jhs.
auf dem Hergenrather Friedhof 40
Dr. G. De Ridder, Moresnet Das Portrait 56
M.-Th. Weinert-Mennicken, Stunde der Entscheidung (Gedicht) 59
Aachen-Forst
Wilhelm Dithmar, Aachen Fröhliche Jugenderinnerungen an
Neutral-Moresnet 60
Louis Bindels, Kelmis Fauna und Flora in der Kelmiser
Gegend 66
Otto Grosse, Dortmund-Hörde Die Münzenprägungen von Moresnet 69
Peter Zimmer, Kelmis 80 Jahre Sankt Leonhard Verein
in Kelmis 71
Gerard Tatas, Gemmenich Der Tarif (Gedicht) 77
Gerard Tatas, Gemmenich Tötigkeitsbericht 1972 78
Die Redaktion Museum des Göhltal
Die Redaktion Auf dem Büchermarkt 85
J. Demonthy, Neu-Moresnet Foto Quiz ”
Kennst Du Deine Heimat ?
Die Redaktion Veranstaltungen von Kunst und
Bühne, Eupen 96
Anhang
P. J. Felder, Maastricht De Zeeö&gel 57
Dr. G. De Ridder, Moresnet Der Seeigel (Kurzfassung) 102
4
Zum Geleit
Lieber Leser !
Mit der vorliegenden Nummer 13 geht unsere Zeitschrift
ıns 7. Jahr ihres Bestehens. Die Anlaufschwierigkeiten sind in-
zwischen vergessen und dank all denen, die uns von Anfang an
die Treue gehalten haben, können wir mit Vertrauen in die Zu-
kunft blicken.
Es war aber das Bestreben unserer Vereinigung, ihre kul- 8
turelle Tätigkeit möglichst breit zu fächern. Photoausstellun-
gen, Heimatabende, Vorträge, Besichtigungsfahrten und Kon-
zertabende standen in den letzten Jahren auf dem Veranstal-
tungskalender. Nunmehr scheint der Augenblick gekommen,
ein weiteres schon vor sechs Jahren gestecktes Ziel in Angriff
zu nehmen. Die sich schneller und schneller wandelnde Zeit
stellt uns vor die Aufgabe, überliefertes und übernommenes Kul-
turgut vor dem Zerstören zu bewahren und es späteren Genera-
tionen zu erhalten. Diesem Zweck soll das zu errichtende Hei-
matmuseum dienen. Vielleicht können auch Sie, lieber Leser,
uns dabei helfen. Lesen Sie bitte unseren Aufruf auf Seite 82
dieses Heftes.
Dem Vorbild anderer Geschichtsvereine folgend, haben
auch wir uns entschlossen, neben unsere Zeitschrift, die
weiterhin als Bindeglied zu unseren Mitgliedern fungieren soll,
eine Sonderschriftenreihe zu stellen. Ausgabe 1 dieser Reihe, ein
Gedichtband von Leo Wintgens mit Illustrationen von Hermann
Scheiff, ist inzwischen erschienen und der Öffentlichkeit im Rah-
men einer kleinen Feierstunde in Kelmis vorgestellt worden. Un-
sere Mitglieder erhalten ihn zum Vorzugspreis von 80 Fr. Be-
achten Sie bitte den beiliegenden Bestellcoupon. Bestellungen
nehmen natürlich auch alle Vorstandsmitglieder mündlich ent-
gegen.
Kritiken und Anregungen aus dem Leserkreis sind uns stets
willkommen. Aber manch einer wäre gewiß auch in der Lage,
2
selbst einen kleinen Artikel zu unserem Heft beizusteuern. Ver-
suchen Sie es doch ! Und wenn Sie in Ihrem Bekanntenkreis je-
manden haben, der sich für unsere Arbeit interessiert, so spre-
chen Sie ihn bitte an. Unterstützen Sie unsere Werbekampagne.
Mitglieder erhalten unsere zweimal jährlich erscheinende Zeit-
schrift gratis zugestellt ; sie haben zu unseren Veranstaltungen
meist freien Eintritt und können darüber hinaus neben den Ver-
öffentlichungen in unserer Sonderreihe auch die des Eupener
Geschichtsvereins und die des Geschichtsvereins ”Zwischen Venn
und Schneifel” zu Sonderpreisen beziehen,
Jedes Mitglied wirbt ein neues Mitglied ! Einschreibezettel
auf der letzten Seite dieser Nummer, die Ihnen, so hoffen wir,
bei der Lektüre viel Freude bereiten wird,
Die Redaktion
6
Vorkriegszeit, Kriegszeit und Waffenstillstand
1914-18 in Neutral-Moresnet
von Franz Uebags
Der neutrale Raum und seine Bevölkerung
Über das ehemalige sogenannte ”Neutrale Gebiet von Mo-
resnet” ist unendlich viel geschrieben worden. Wenn auch das
jahrelang umstrittene Zechengebiet keine umfangreiche Fläche
darstellt, - es waren 344 ha - so hat es doch eine große und in-
teressante Vergangenheit, Der Geburtstag des kleinen neutralen
Flecken war der 26. Juni 1816. Berichten zufolge haben da-
mals hier 50 Häuser und Hütten gestanden, in denen 250 Men-
schen ihre Unterkunft hatten. Die Bevölkerung setzte sich aus
Landwirten, Handwerkern, Gewerbetreibenden und Arbeitern
des Bergwerks zusammen. Die Menschen, die zu diesem Zeit-
punkt auf dem Kelmiser Gebiet wohnten, konnten als regel-
rechte ”Neutrale” bezeichnet werden. Es ist auf das Bergwerk
zurückzuführen, daß immer mehr Arbeiter mit ihren Familien
sich in Kelmis ansiedelten. Aus den anliegenden Ortschaften und
sogar aus den benachbarten Ländern kamen dauernd Arbeitsu-
chende in das noch primitive Ländchen. Das ist auch der Grund
dafür, daß es früher immer geheißen hat : ”Alles was das Tages-
licht nicht vertragen kann, kommt nach Neutral-Moresnet”. Ge-
wiß hat es derartige Fälle gegeben, jedoch trafen diesbezügliche
Behauptungen nicht auf die Mehrheit der Bevölkerung zu. Die
Entwicklung des Galmeibergwerks brachte einen fortwährenden
Anstieg der Einwohnerzahl mit sich, so daß die junge
neutrale Gemeinschaft im Jahre 1830 schon 500 Köpfe
zählte. Im Jahre 1858 sollen schon 364 Häuser gestanden und
2572 Leute hier gewohnt haben. Darunter waren 965 Männer,
604 Frauen und 955 Kinder. Das heißt, daß ein Drittel der ge-
samten Bevölkerung Kinder waren. Hervorzuheben ist, daß sich
zu der Zeit schon Bürger verschiedener Nationalitäten in unserer
Heimat niedergelassen hatten. Neutrale, sozusagen Nachkommen
der ersten Einwohner, gab es 695. Hinzu kamen 852 Belgier,
806 Preußen, 204 Niederländer und 14 Zugewanderte aus an-
deren Ländern. Nicht weniger als 730 Arbeitnehmer fanden Be-
schäftigung bei der Bergwerksgesellschaft, die alljährlich einen
bemerkenswerten Aufschwung zu verzeichnen hatte, der i. J.
1880 seinen Höchststand erreichte. Trotzdem hielt das die Ein-
wanderer nicht von ihrem Vorhaben ab. Daß die Einwohner-
7
zahl ständig stieg, beweist das Ergebnis der Volkszählung vom
10. Juli 1901, nach der die Einwohnerzahl auf 3.433 gestiegen
war, nämlich 1.470 Preußen, 1.169 Belgier, 353 Niederländer,
438 Neutrale und erstaunlicherweise 2 Amerikaner. Bei der
folgenden Zählung vom 15. Juli 1914 hatte sich die Zahl bis
auf 4.668 erhöht. Damals lebten hier 1.916 Preußen, 1.685 Bel-
gier, 484 Neutrale, 560 Niederländer und 23 sonstige Staatsan-
gehörige. Von den 4.668 Seelen bekannten sich 4.618 zur ka-
tholischen Religion und 49 waren evangelisch. 14 Tage später,
am 1. August, vier Tage vor dem ersten Weltkrieg konnten noch
105 Leute mehr gezählt werden, und es ergab sich folgende
Verteilung : 1.956 Preußen, 1.725 Belgier, 494 Neutrale, 575
Niederländer und 23 anderer Nationalitäten.
Die Verwaltung vom Neutral-Moresnet
Der erste Bürgermeister von Neutral und Preußisch-Mo-
resnet hieß Arnold von Lassaulx. Die Kelmiser werden sich
noch erinnern, daß während des zweiten Weltkrieges, und zwar
am 27. Juni 1940, die Patronagestraße auf Veranlassung des
deutschen Bürgermeisters Kriescher auf den Namen des ersten
Bürgermeisters umbenannt wurde. Von Lassaulx trat am 31. 12.
1858 in den Ruhestand.
Alsdann übernahm Bergwerksdirektor van Scherpenzeel-
Thim vorübergehend die Gemeindegeschäfte.* Seine Amtszeit
fand schon am 30. 5. 1859 ihren Abschluß, da van Scherpenzeel-
Thim zum Bergwerksdirektor in Mülheim ernannt wurde. Zu
seinem Nachfolger wurde Verwaltungssekretär Joseph Kohl er-
nannt, der nach 24-jähriger Tätigkeit als Oberhaupt der Ge-
meinde am 3. 2. 1882 wegen Fahrlässigkeit und Beschwerden
der Einwohner seines Amtes enthoben wurde. Das frontal zur
Steinkaulstraße liegende Haus in der oberen Comuthstraße
(Kreijenweg) war das Wohnhaus dieses Herrn. Die alten Leut-
chen sagen bis heute, wenn sie von diesem Hause sprechen ;
”Dat ess et Hus van der Börjemester Kohl”. (Das ist das Haus
vom Bürgermeister Kohl.) Vom 27. 2. 1882 an fungierte als
Bürgermeister der Direktor der Agence de Moresnet der
* Der Gemeinderat unter Scherpenzeel-Thim i. J. 1859 : Schillings, Schö-
nau, Hermens, Walraf, Schrymecker, Wehrmeister, Timmermann, Scha-
res, De Bauregard und Thimister. (Archiv der Gemeinde Kelmis)
8
Vieille Montagne, Oskar Bilharz. Er trat 1885 zurück und ihm
folgte am 20. Juni 1885 der aus Hergenrath kommende Hubert
Schmetz. Dieses neue Gemeindeoberhaupt hat auf der Lütticher
Straße gewohnt, und zwar in dem Haus, wo momentan die Bri-
gade der Kelmiser Gendarmerie untergebracht ist. Bis zu seinem
Tode im Jahre 1915 lag die Verwaltung in seinen Händen. An
seiner Stelle wurde der Hergenrather Bürgermeister Kyll zum
kommissarischen Bürgermeister von Neutral-Moresnet ernannt.
Kylls Amtszeit ging 1918 mit dem Krieg zu Ende. So kann man
sagen, daß er der letzte Gemeindevater der neutralen Zeit ge-
wesen ist. Sein Nachfolger wurde am 7. 12. 1918 Pierre Gri-
gnard. s
Dem Bürgermeister standen ein Beigeordneter (Schöffe)
und ein Gemeinderat bestehend aus 10 Ratsmitgliedern zur Seite.
Die königlichen Kommissare beriefen auf Vorschlag des Bürger-
meisters die Ratsmitglieder. Wenn es auch keine niedergeschrie-
bene Bestimmung war, so nahm doch lange Jahre der jeweilige
Bergwerksdirektor den Posten als Beigeordneter ein. In den
Jahren 1871-1879 hatte Direktor Oskar Bilharz diesen Posten
inne. Wahrscheinlich ist er der Urheber des Siegels und der
schwarz-weiß-blauen Fahne von Neutral-Moresnet gewesen.
Die Verwaltungssprache war das Deutsche. Standesamtli-
che Register wurden nur in deutscher Sprache geführt.
Das Wappen von Neutral-Moresmet
Neutral-Moresnet hatte außer seiner Fahne auch sein eige-
nes Wappen. Die Wappentiere, der preußische Adler und der
belgische Löwe, waren umrahmt vom Wahrzeichen Schlägel und
Eisen, überragt von drei Sternen, und unter ihren Pfoten war
ein Eichenzweig angebracht. Wappenschild und Siegel der Ge-
meinde haben sich sehr geähnelt.
Wurden die Einwohner von Neutral-Moresnet Soldat ?
Viele Jahre lang sind die Einwohner Neutral-Moresnets
vom Soldatendienst befreit geblieben, auch dann, wenn sie aus
einem der Vertragsstaaten nach hier übergesiedelt waren. Unter-
nommene Versuche der Vertragsstaaten, den Wehrdienst einzu-
führen und sogar den Betroffenen die Wahl zu überlassen, für
den einen oder den anderen Staat Soldat zu sein, sind immer
10
men schreiben konnten ! Öffentliche Schulgebäude standen nicht
zur Verfügung, bis endlich im Jahre 1857 die Gesellschaft des
Altenberges ein Schulhaus (das heutige Gemeindehaus von Kel-
mis) bauen ließ und darin nach seiner Fertigstellung die Ge-
meindeschule für Mädchen einrichtete. Den Knaben wurde der
Unterricht in privaten zur Verfügung gestellten Lokalen erteilt.
Zur teilweisen Deckung der Unterrichtskosten mußte ein Schul-
geld gezahlt werden. Es sei noch erwähnt, daß die Schule lange
Jahre hindurch ein großes Problem für die Gemeinde geblieben
ist. (Siehe ”Im Göhltal” Nr. 11).
Das Pfarrleben .
Die Gläubigen katholischer Konfession, die zu Anfangs-
zeiten des neutralen Gebietes dortselbst wohnten, gehörten der
Pfarre Moresnet (Alt Moresnet) an. Weil noch kein Gotteshaus,
außer der Rochus-Kapelle, in unmittelbarer Nähe stand, ist an-
zunehmen, daß sie, um eine heilige Messe zu hören, sich nach
Moresnet begeben mußten. Nach mehrmaligen Verhandlungen
seitens der Gesellschaft kam Pfarrer Schmetz von Moresnet erst-
malig am 2. Januar des Jahres 1845, um am Altenberg selbst
eine Messe zu lesen. Das Haus ”a jen Schell” (in der ”Kull”) ist
damals auf Vorschlag des Direktors Billaudet, mit dem Einver-
ständnis des in Frage kommenden Pastors, als Kapelle eingerich-
tet worden. Später unternahm die Bergwerksgesellschaft den Bau
einer neuen Kapelle, die am unteren Vonserweg, der heutigen
Kapellenstraße gebaut wurde. Daselbst stehen heute die Häuser
N° 11 und 13. Am 15. Mai 1854 erhielt Neutral-Moresnet sei-
nen eigenen Kaplan. Alois Flemmincks, Chorherr der Abtei zu
Averbode, aus dem Orden der Prämonstratenser, übernahm die
Seelsorge hier im Ort.
Am 25. August 1856 wurde Neutral-Moresnet nach vielen
Bemühungen des Direktors Adolphe van Scherpenzeel-Thim
eine unabhängige Pfarrei. Wenige Tage später ernannte Msgr. de
Montpellier, Bischof von Lüttich, den ansässigen Kaplan Flem-
mincks zum ersten Pfarrer der jungen Pfarrei. Kurz nach seiner
Ernennung sah der Hw. Herr Bischof ein, daß für die immer
größer werdende Pfarrgemeinschaft die Anwesenheit eines zwei-
ten Geistlichen unbedingt erforderlich sei. Schon am 5. Oktober
1856: kam ein Ordensbruder des Pfarrers Flemmincks, der Hw.
11
Herr Phillipe Segers, die Seelsoıge mıt ihm zu teilen. Ein weıte-
rer Vikar ist erst 50 Jahre später, am 24. November 1908, er-
nannt worden,
Eine neue Pfarrkirche für Neutral-Moresnet
Die Kapelle, die nur 354 Personen faßte, war längst zu
klein geworden. Außerdem stellte sich noch ein weiteres Pro-
blem. Die Pfarrkirche von Moresnet genügte ebenfalls nicht für
die 750-köpfige Bevölkerung, geschweige, daß sie noch Ange-
hörige einer anderen Pfarrei aufnehmen hätte können. Seit der
Pfarrerrichtung im Jahre 1858 ist Direktor van Scherpenzeel-
Thim stets für den Bau einer neuen und geräumigen Pfarrkirche
bemüht gewesen. Er ließ nicht locker, den Verwaltungsrat
der Bergwerksgesellschaft darum zu bitten, dieses kostspielige
Projekt zu fördern und zu unterstützen. Um sich ein Bild
der Lage zu verschaffen, begaben sich die Herren dieses Rates
in das neutrale Gebiet. Ihr Entscheid war, einen Beitrag von
40.000 Fr. für das Unternehmen zu gewähren. Nach mehrma-
ligen Bauplanänderungen, die auch in finanzieller Hinsicht einen
Vorteil hatten, wurde dem Bauunternehmer Franz Reissdorf aus
Aachen der Kirchenbau zugeschlagen. Etwas später mußte der
Plan, laut Verordnung vom 19. Juli 1862, erneut geändert wer-
den. Die Kirche sollte nicht, wie vorgesehen, frontal, sondern
mit der Längsseite zur Kasinostraße (der heutigen Kirchstraße)
gebaut werden. Die Grundsteinlegung des Gotteshauses fand am
18. Mai 1863 statt und der fertige Bau wurde mit der feierlichen
Einweihung am 3. Oktober 1865 seiner Bestimmung übergeben.
Die Polizei
Neutral-Moresnet hat keine ausgebildete Polizei besessen.
Die eigene Polizei bestand nur aus einem Polizeidiener. Dersel-
be trug weder Uniform noch Waffe, durfte aber, damit man in
ihm eine Amtsperson erkannte, eine Dienstmütze tragen. Es
stand nicht in seinen Befugnissen, Verhaftungen oder Hausdurch-
suchungen vorzunehmen. Dafür ist allein die preußische und
belgische Polizei zuständig gewesen. Erst viele Jahre später hat
die Verwaltung es für nötig befunden, einen zweiten Polizeidie-
ner anzustellen.
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Die "Freiwillige Feuerwehr” von Neutral-Moresnet
Auf Initiative der damaligen Behörde ist die Feuerwehr der
neutralen Gemeinde im August 1894 ins Leben gerufen wor-
den. Sie bestand aus Mitgliedern von Neutral und Preußisch-Mo-
resnet. Die Nachbargemeinde hat sich finanziell an den Kosten
der gegründeten Wehr beteiligt, und hatte die volle Garantie,
daß dieselbe sich im Notfalle auch in ihrer Gemeinde einsetzen
mußte. In kurzer Zeit ist eine zahlenmäßige starke Feuerwehr
zustande gekommen. So wie es die Geldmittel erlaubten, sorgte
der verantwortliche Vorstand für den Ankauf von Geräten und
Uniformen. In der Vontstraße (Albertstraße) wurde das heute
noch bestehende Gerätehaus, wir nennen es noch das Spritzen-
haus, gebaut. Erster Kommandant war Herr Aloys Van-Hau-
ten. Auf seinem Haus in der Thimstraße (jetzt Gemüsehand-
lung Wetzels) stand die Brandsirene. Dieses Brandhorn gab bei
einer Feuerbrunst die jämmerlichsten Töne von sich. Jedesmal
daß sie in Betrieb gesetzt wurde, erschraken die Leute und das
klägliche Geheul war mit dem heutiger Sirenen nicht zu ver-
gieichen. Jeder Feuerwehrmann machte sich eine große Pflicht
daraus, den erforderlichen Übungen beizuwohnen. Die Ver-
sammlungen sind immer bei den Wirten abgehalten worden, die
Wehrmann waren. Ein ständiges Lokal ist nie in Frage gekom-
men, jedoch dürften die meisten Versammlungen im Lokal Lam-
bert Barth auf der Pavei (Cafe Keris) stattgefunden haben. Wei-
tere Kommandanten waren F. Ahn und W. Kreitz.
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Die Freiwillige Feuerwehr von Neutral-Moresnet
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Die ”Wache Altenberg” vor dem früheren Gemeindehaus (Gar. Lavalle)
Das Leben der Einwohner im allgemeinen
Wenn auch zu früheren Zeiten die Leute hier in dem Ge-
biet spärlich und bescheiden lebten, hat man doch immer hören
sagen, daß sie glücklich und zufrieden ihr Dasein fristeten.
Wohlstand im heutigen Sinne kannte man hier genauso wenig
wie anderswo. Es wäre somit zwecklos, diesbezüglich Vergleiche
zu ziehen. Jeder paßte sich seinen Verhältnissen an. Durch-
schnittlich waren fast alle Familien ziemlich kinderreich. Staat-
liche Beihilfen, wie Geburtsprämien oder Kinderzulagen, gab
es nicht. Die Frauen mußten einzig und allein mit dem Lohn
des Mannes zurechtkommen. ”Ja,” sagte mir eine alte Frau,
”die längste Zeit für mich ist immer die von Geldtag bis Geld-
tag gewesen. Wer sich nicht nach der Decke strecken konnte,
so fuhr sie fort, mußte des öfteren schmalhansen”. Deshalb sa-
hen sich die Männer genötigt, nach Feierabend Gärten und Fel-
der zu bestellen. Es sei bemerkt, daß früher eine Arbeitszeit von
12 Stunden bestand. Wie mögen es sich jene Männer eingerich-
tet haben, die in Aachen und noch weiter gearbeitet haben, um
das alles zu bewältigen ? Zusätzlich zu ihrer Arbeit hatten sie
noch zweimal den Weg nach und von dort zu Fuß zurückzule-
gen, weil die Fahrgelegenheit fehlte oder weil man die Pfennige
sparen wollte. Nicht verwunderlich, daß wir unsere Vorväter
14
meistens nur als tiefernste Männer gekannt haben. Wie konnte
es auch anders sein? Mann und Frau standen dauernd vor der
schwierigen. Aufgabe, ihrer Familie ein menschenwürdiges Da-
sein zu gestalten. Und trotzdem behaupten sie, zufriedener ge-
lebt zu haben als die Menschen von heute,
Die Einwohnerschaft des neutralen Gebietes war allgemein
streng religiös. Zuhause wurde viel gebetet und die Gottesdien-
ste fanden ohne viel Mühe des Pfarrers stets eine rege Anteil-
nahme.
Was die Ehen betrifft, so hat es mehr gute als gescheiterte
gegeben. Da, wo es nicht so recht klappte, spielte der Schnaps
eine große Rolle, zumal das Zeug auch noch im Ort gebrannt
wurde. Die Brennereien Zinzen, untere Tannenbaumstraße (Mo-
resneter Straße) und Klein, Vonstraße (Albertstraße) machten
gute Geschäfte. Die richtigen Genießer tranken mit Vorliebe das
Erzeugnis Zinzen ”Rue Bach” (Roter Bach). Dieser Name war
dem Getränk gegeben worden, weil das Bächlein ”Roter Bach”
an der Brennerei vorbeifloß.
Meistenteils amüsierten sich die Leute zuhause im Fami-
lienkreis, bei Gesang, Kartenspiel oder sonstigen Gesellschafts-
spielen. Wenn es die Kasse erlaubte, sorgte ein ”Körnchen” für
die nötige Stimmung.
Obschon es polizeilich verboten war, organisierten gewisse
Liebhaber an verschiedenen Sonntagen in einer abgelegenen Gas-
se eine Dachsbeißerei. Diese Dachsbeißerei war ein grausamer
Kampf zwischen einem Hund und einem Dachs. Beide Tiere
wurden in einem dafür besonders angefertigten Käfig aufein-
ander losgelassen. Diese Tierquälerei dauerte so lange, bis daß
eines der Tiere zu Tode gemartert war. Vor dem Kampf wurden
Wetten abgeschlossen. Wehe aber den Veranstaltern, wenn die
Polizei dahinter kam !
Besondere Festlichkeiten waren die regelmäßigen Konzerte
der Bergwerkskapelle, die Königsvogelschüsse und Jahre später
die Turnfeste. Je mehr das 20. Jahrhundert herannahte, desto
angenehmer gestaltete sich mit und mit das Leben der Bevölke-
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Krieges noch nicht ahnten. Anders war es den Müttern und
Frauen zumute, deren Söhne und Männer ihrer Soldatenpflicht
nachkommen mußten. Für sie gab es beim Abschied keine Ge-
wißheit auf ein Wiedersehen.
Wochenlang ist es danach auf der Landstraße nicht ruhig
geworden. Bei Tag und bei Nacht hielt der Durchmarsch der
Soldaten an. ”Wenn ich das so sah”, erzählte mir ein älterer
Mann, ”habe ich immer gemeint, alle Deutsche zögen nach dem
Westen, denn das ließ und ließ nicht nach.” Wie nicht anders
zu erwarten, überwachte die Militärbehörde gleich beim Ein-
marsch die Verwaltung der Gemeinde. Auf ihr Drängen mußte A
die Ortsbehörde den Aufruf erlassen, daß alle Einwohner ohne
Ausnahme die in ihrem Besitz befindlichen Waffen bei der zu-
ständigen Behörde abgeben mußten. Selbst der damalige Pastor
Kept forderte seine Pfarrkinder von der Kanzel aus auf, der
Anordnung ohne Zögern Folge zu leisten. Trotz allen Mahnun-
gen kam es doch noch zu einigen Zuwiderhandlungen, die für
die Bewohner des neutralen Gebietes böse Folgen haben konn-
ten.
Auf der dem Kelmiser Friedhof gegenüberliegenden Wiese,
unterhalb des Hattigweges, hatten sich zu der Zeit flämische
Ziegelbäcker niedergelassen, Steine für eine hiesige Firma zu
brennen. Am Nachmittag des ersten Kriegstages wurden aus die-
ser Richtung zwei Schüsse auf die vorbeimarschierenden Infan-
teristen abgefeuert. Blitzesschnell riegelten die Soldaten das Zie-
gelfeld ab, den Täter dieser sinnlosen Tat aufzuspüren. Die Su-
che nach dem Täter dauerte nicht lange. Ein älterer Ziegel-
bäcker und dessen Sohn hatten jeder mit einem Karabiner in
die Soldatenkolonne geschossen. Der Junge ist an seinem Ar-
beitsplatz sofort erschossen worden, während der Vater in Rich-
tung Hergenrath zu flüchten versuchte. Grade als er das ”Mer-
tens Wäldchen” (Neu-Moresneter Heide) erreichte, traf auch
ihn eine tödliche Kugel. Einige Tage nach diesem tragischen
Vorfall fand eine weitere Erschießung statt, die allerdings großes
Bedauern hervorrief. Der Bauer Schmetz, der oberhalb der
Göhlbrücke im Bauerngut ”Jongenbosch” wohnte und seiner
Krankheit wegen etwas zurückgezogen lebte, schaute hinter der
Hecke verborgen den vorüberziehenden Soldaten zu. Sein Lau-
17
ern sowie sein Auf- und Abgehen hinter der Hecke, wurde von
den Soldaten bemerkt. Diese haben mit größter Wahrscheinlich-
keit geglaubt, daß es sich hier um einen Spion handele. Auf Be-
fehl eines Offiziers wurde er festgenommen und auf Waffen un-
tersucht, doch wurden keine bei ihm gefunden. Sein sonderba-
res Verhalten, das auf seine Krankheit zurückzuführen war, gab
den Militärs zu denken. Befehligt wurde eine Durchsuchung des
ganzen Bauerngehöftes. Dabei kamen keinerlei Waffen zum
Vorschein, bis man sich schließlich dran gab, die Heumieten
zu durchwühlen. Darin wurde ein alter Flobert gefunden, der
des Versteckens nicht mehr wert gewesen wäre, dem Besitzer
aber zum Verhängnis wurde. Ohne viel Aufhebens erschossen
ihn die Soldaten vor seinem Elternhaus.
Wie nicht anders zu erwarten, stellte die Militärbehörde
an allen Ortseingängen Wachtposten auf. Diese hatten den Auf-
trag, den Schmugglern das Handwerk zu legen und die Grenz-
übertritte zu kontrollieren. Auf der Landstraße vor der Göhl-
brücke beim Gut Lintzen (heute Taeter) sperrte ein Schlagbaum
den Durchgang. Sechs Infanteristen hielten hier abwechselnd
Wache. Nach ihrer Ablösung hatten die Männer eine Unterkunft
im Hause des Bauern Lintzen. Die ganze damalige Hasardstraße
(Lütticher Straße) war dauernd von patroullierenden Soldaten
bewacht. Trotz der strengen Maßnahmen, gelang es der Behör-
de nicht den Schmuggel zu dämpfen, denn auch die Soldaten
hatten gerne Geld und Waren, was zu Kriegszeiten begreiflich
ist. Die in Neutral-Moresnet stationierten Truppen waren in
der Patronage untergebracht. Heute gibt es noch Ansichtskarten
der Patronagestraße mit dem Aufdruck ”Patronage z. Zt. Ka-
serne”. Die Kommandantur dieser abkommandierten Truppenab-
teilung hatte sich in den Räumen des ”Kasino” (Ranch) in der
Gemeinde Preußisch-Moresnet niedergelassen.
18
Sämtliche Betriebe, d.h. die Gruben und die Aufbereitung
der Gesellschaft ”Vieille Montagne” haben während des Krieges
keinen Stillstand gekannt. Auch die in Aachen beschäftigten Ar-
beiter konnten nach wie vor ihrer Arbeit nachgehen.
Und was taten die belgischen Reservisten ?
Wie wir bereits wissen, hatten die Deutschen an den ersten
Kriegstagen das neutrale Gebiet mit Wachen und Patrouillen ab-
geriegelt. Die Einwohner konnten nicht mehr so ohne weiteres
das Dorf verlassen. Zwischen Neutral-Moresnet und Preußisch-
Moresnet einerseits und Alt-Moresnet andererseits bestand eine
Grenze, die natürlich scharf bewacht wurde. Dadurch sollte +
der Schmuggel unterbunden werden. Ganz besonders aber‘
sollte sie die jungen Männer belgischer Nationalität daran
hindern, das neutrale Gebiet in Richtung Belgien zu ver-
lassen. Derartige Maßnahmen sind noch während eines
jeden Krieges getroffen worden. So bestand für die
belgischen Reservisten keine legale Möglichkeit, ihrer Solda-
tenpflicht nachzukommen. Es gab nur einen Ausweg, und zwar
mußte Cer wehrwillige junge Belgier versuchen, nach Holland
zu gelangen, da dieses Land 1914-18 vom Krieg verschont blieb.
Ganz so einfach ist dies jedoch nicht gewesen, weil die Deut-
schen längs der niederländischen Grenze einen elektrischen Zaun
errichtet hatten. Mithin wurde das Überlaufen zu einem aben-
teuerlichen Wagnis, Wie dem auch sei, die militärpflichtigen Bel-
gier ließen nicht locker zu planen, wie auch sie zu ihrem Trup-
penteil kommen könnten ! Fast alle, die fort wollten, sind dahin
gekommen, wo sie hin mochten. Selbst ganz junge Burschen im
Alter von 17 - 18 Jahren, wie Barbay Joseph, Moyano Joseph
und Viktor, Frank Guillaume, Brandt Joseph, Lomboy L6on,
Klausener Simon, Steffens Hubert, Drouven Louis aus Kelmis
und Nossent Peter aus Preußisch-Moresnet, riskierten den Gang
über die Grenze, sich als Freiwillige der belgischen Armee zu
stellen. In Holland angekommen, sprachen sie beim belgischen
Konsul in Maastricht vor, der sie nach Rotterdam weiterleitete.
Von hier aus ging es per Schiff oder Frachter nach England, wo
ein gut organisiertes Sonderkommando sie in Empfang nahm.
Nach Erfüllung aller erforderlichen Formalitäten, wurden die An-
19
kömmlinge, wie nicht anders zu erwarten, auf Herz und Nieren
geprüft. Hatte alles seine Richtigkeit, folgten die übliche Mu-
sterung, die Einkleidung und obendrein im Schnelltempo der nö-
tige Drill. Einige Wochen hiernach kamen Reservisten und Re-
kruten über das Wasser nach Belgien oder sogar nach Frank-
reich, wo ihnen Kugelregen und Pulverdampf einiges zu schaf-
fen machten.
Kontrolle der Nichtdeutschen
Laut Erlaß der zuständigen Militärbehörde wurden alle in
Neutral-Moresnet lebenden Ausländer wie Belgier, Holländer
u.s.W. verpflichtet, sich einer täglichen Kontrolle zu unterwerfen.
Diese Maßnahme sollte der Behörde die Möglichkeit bieten fest-
zustellen, ob und wieviele der Betroffenen heimlich den Ort
verlassen hatten. Jede in Frage kommende Person, ob alt oder
jung, mußte, wenn nicht durch ein ärtzliches Attest entschuldigt,
zweimal täglich, und zwar morgens sowie nachmittags, dieser
Pflicht nachkommen. In den ersten Jahren des Krieges war für
diesen Zweck im Hause Carabin, Nicke-Nick betitelt (heute
Ratskeller), ein Büro eingerichtet worden. Hier saß Soldat Zip-
pel, eine Seele von Mensch, seine ”Stempler” zu empfangen. Je-
der hatte eine Karte, später ein Büchlein, worin der brave Kom-
mis zweimal am Tage einen Stempel drückte. Die Uhrzeiten der
Kontrolle sind nie die gleichen gewesen. Sonntags war stempel-
frei. Alle Berufstätigen holten sich ihren Stempel nach Feier-
abend. Mit Soldat Zippel, so sagte ein älterer Herr, kam man
gut überein und für ein Schnäpschen hat er mehr als einmal in
seinem Dienst ein Auge zugemacht. ”Gutheit ist Dummheit”,
sagt ein altes Sprichwort, was auch bei diesem Manne zutraf.
Manch einer, dem das Stempeln einen Strich durch die Rech-
nung machte, ist von ihm oft und gern davon dispensiert wor-
den. Leider hat er seines guten Herzens wegen in einen sauern
Apfel beißen müssen. Der Obrigkeit fiel sein Verhalten gegen-
über den nichtdeutschen Einwohnern auf und sie veranlaßte sei-
ne Strafversetzung. Der treue Zippel kam zur Ostfront, wo er
den Heldentot starb.
Nach seiner Versetzung beorderte die Verwaltung Herrn
Johann Bettenhausen aus Kelmis, den Kontrolldienst fremder
Staatsangehöriger zu übernehmen. Nach 1917 verlegte das Mi-
20
litär das Kontrollbüro ins Gemeindehaus auf preußischer Seite
(Garage Lavalle). Herr Bettenhausen hat sich bis Kriegsende
streng an seine Dienstvorschriften gehalten, da ihm das Los sei-
nes Vorgängers zu denken gegeben hatte und er nicht dasselbe
Schicksal erleiden wollte. Bei ihm hieß die Parole : ”Tue recht
und scheue niemand.”
Trotz allen Bemühungen ist es mir nicht gelungen, noch
eine solche Stempelkarte ausfindig zu machen.
Solite nun doch noch irgendwo eine dieser Karten aufbe-
wahrt werden, wären wir sehr dankbar, wenn man sie uns über-
ließe. Ö
Magere Küche für lange Zeit
Heutzutage gibt es in vielen Familien oft Ärger, wenn die
Mutter zum Essen ruft. Die aufgetragenen Speisen werden geta-
delt, die Nase gerümpft und sogar gefragt, ob nichts Besseres
da sei. Dann pflegt Vater oder Mutter zu sagen: ”Für euch
müßte nochmal Krieg kommen.” Das Traurige an der Sache ist,
daß er dann für uns alle käme. Ich glaube, viele Alten, die die
Zeit des ersten Weltkrieges miterlebt haben, erinnern sich noch
zu gut der Zeit des ”Schmalhansens”. Man hat nicht gegessen,
wenn man Hunger hatte, sondern wenn was da war zum Essen.
Neutra!-Moresnet, das Lebensmittel sowohl aus Deutschland wie
aus Belgien einführte, befand sich in einer außerst kritischen
Versorgungslage. Der Vorrat in den Geschäften war in kurzer
Zeit alle. Genauso erging es den Vorräten der Bäcker, Fleischer
und Kartoffelhändler., Der Kampf gegen den Hunger mußte auf-
genommen werden. Auf Mütter und Frauen drückte die größte
Sorgenlast. Die Brotausgabe erfolgte zweimal wöchentlich im
Schützenlokal, vor dem die Leute Schlange standen. Ein Herr
Pelzer vom Kaldenbach hielt Ordnung unter der wartenden
Masse und drohte fortwährend mit dem Entzug der Brotkarte.
Er schloß jedes Ma! die Saaltüre nach Einlaß von 10 Mann. Im
Saal lag das Brot, das die Kelmiser Bäcker buken und hier ab-
liefern mußten. Die Kontrolle führten die Herren Lamboy und
Brandt. Hinter den Tischen saßen u.a. Frau Timmerhans mit
Töchterchen, Frl. Maria Grignard, Frau Jean Brandt u.s.w., die
mit der Ausgabe beauftragt worden waren. Jede Familie erhielt
22
nichts zu lachen, da sie unmöglich alle zufriedenstellen konnten.
Sicher hat es auch in dieser Hinsicht gewissenlose Menschen
gegeben, die die Not der anderen mißbraucht, Wucherpreise ge-
fragt und nur an ihren Beutel gedacht haben. ”Wie oft habe ich
die ganze Gegend durchstreift, etwas Magermilch aufzutreiben,”
hat Mutter immer wiederholt, wenn sie vom Ersten Weltkrieg
erzählte. ”Ich weiß noch gut”, so fuhr sie dann fort, ”daß Vater
zur Arbeit ging ohne Butterbrote, statt dessen einige Scheiben
Rüben oder Kohlrabi mitnahm.” Wie viele andere hat Vater
am Arbeitsplatz sich nicht davon getrennt, um zu verhindern, daß
sie ”Beine bekamen”. Not macht ja bekanntlich erfinderisch. Im
Schwarzhandel hieß es allzeit "Augen auf”, wenn man nicht her-
eingelegt werden sollte. Die Leute konnten nicht anders, als
die Moral verlieren, weil vier Jahre Hunger eine harte Probe sind
und zur Verzweiflung führen können. Heute noch stellen sich
alte Männer und Frauen gelegentlich die Frage, wie es denn
überhaupt möglich gewesen ist, daß sie diese Zeit überlebt haben.
Noch nach dem Kriege hat die Lebensmittelknappheit angehal-
ten. Es war anders als nach dem letzten Krieg, wo die Waren-
versorgung hier in Kelmis keine wesentlichen Schwierigkeiten ge-
kannt hat. Ich glaube, alle Völker der Welt haben nur den einen
Wunsch : ”Gott gebe, daß wir nie wieder von einem Krieg heim-
gesucht werden !”
Der Schmuggel
Neutral-Moresnet galt während des Krieges und in der er-
sten Nachkriegszeit mit Recht als eine weit und breit bekannte
Schmugglerecke. Noch selten hat der Schmuggel so floriert wie
grade in dieser Zeit der Entbehrung. Hier hatten sich die illega-
len Passanten der grünen Grenze tatsächlich organisiert. Drauf-
gängerische und ausgekochte Kenner dieses Jobs suchten sich
ihre Träger selbst und formierten Gruppen von 6 - 8 Mann, de-
ren. Führung sie übernahmen. Nachts zogen sie mit gefüllten
Säcken los. Alles Mögliche, wie Butter, Fleisch, Speck und son-
stige Lebensmittel wurden durch den Wald nach Aachen ge-
schleppt. Allerdings lauerten im finsteren Walde die Soldaten-
patrouillen, die Ausgabeen zu jagen ; um besser Reißaus nehmen zu
können warfen die Träger ihre Waren ab und die Soldaten hat-
ten die ganze Beute für sich. Später jedoch machten Schmuggler
und Soldaten gemeinsame Sache. Klappte es mal nicht, so lag
23
es nur daran, daß beide sich im Handel nicht einigen konnten.
Daraus ist zu ersehen, daß schon damals für Geld alles getan wur-
de und keiner davor Abscheu hatte. Nun gab es andere Ausgabeen,
die den Pferdeschmuggel betrieben. Sie brachten Pferde aus Bel-
gien nach Deutschland und mußten zweimal mit den Tieren über
die Grenze. Bei diesem riskanten Geschäft stand immer eine
Menge Geld auf dem Spiel, deshalb mußte so ein nächtlicher
Gang, wie man damals sagte, von hellen Köpfen vorbereitet
werden, damit der düstere Handel gelang. So ein Schmuggler-
trupp zählte gewöhnlich 6 Mann und einen ”’Vorläufer”. Bevor ge-
startet wurde, versammelten sich die kühnen Männer da, wo die
Pferde untergebracht waren und den Abmarsch abwarten mußten.
Hierfür kamen nur Ställe oder Schuppen in Frage, die nicht all-
zuweit vom Wald entfernt lagen. Kein Gaul durfte Stall oder
Schuppen ohne Schuhe verlassen, Das klingt in der Tat etwas
lächerlich, aber es ist so gewesen. Um das stampfende Aufschla-
gen der Hufe zu dämpfen, umwickelte man die Hufe mit Stroh
und Sackleinen. Dieses Futteral, so kann es genannt werden, wur-
de mittels Riemen an den Hufen befestigt. Danach war es dann
endlich so weit. Die Karawane zog los. Der ”Vorläufer” blieb
immer so ungefähr 100 Meter voraus. Seine Aufgabe bestand
darin festzustellen, ob die Bahn frei war. Bemerkte er irgend et-
was Auffälliges, gab er hinter seinem Rücken ein Zeichen mit
einer abgeblendeten Taschenlampe. Nun könnte die Frage ge-
stellt werden, ob es denn zu der Zeit schon Taschenlampen gab.
Es ist kaum anzunehmen, daß sie in Geschäften erhältlich wa-
ren, aber die Schmugglerkönige kannten Mittel und Wege, den
Soldaten solche Lampen abzuhandeln. Der ”Vorgänger”, der
den Wald wie seine Hosentasche kannte, folgte den engen Wald-
wegen und gab nur wenn es unbedingt nötig war ein Lichtzei-
chen. Alsdann machte die ganze Kolonne halt und hielt den
Atem an. Wenn nun die Grenzposten einen guten Riecher hat-
ten und die Ausgabee aufstöberten, mußten sowohl Männer wie
Pferde Fersengeld geben. So kam es vor, daß am darauffolgen-
den Morgen herrenlose Tiere durch die Gegend irrten. Konnten
die Besitzer sie nicht selber einfangen, so nahmen sich die Pa-
trouillen ihrer an. Doch solche nächtlichen Wanderungen verlie-
fen meistenteils ohne Hindernisse, weil nach kurzer Zeit auch in
dieser Branche mit Zöllnern und Militärs: gemeinsame Sache ge-
24
macht wurde. Hatten die Überbringer die Grenze hinter sich,
brachten sie ihre Habe auf ein Bauerngut in Melaten. Melaten
liegt zwischen Seffent und Vaalser-Quartier auf deutschem Ge-
biet. Hier wurde dann mit dem Juden Weinhausen der Kauf
abgeschlossen. Es hat viele Neutral-Moresneter gegeben, die den
Schmugglerberuf während des ganzen Krieges ausgeübt haben.
Bei uns gibt es noch einige Anhänger dieses dunklen Gewerbes,
die heute noch sagen, daß für sie der Krieg noch hätte anhal-
ten können. So erzählte mir einer davon, wie sich Schmuggler
gegenseitig prellten. Eines Abends, so sagte er mir, schlichen wir
zu dritt durch den Wald in Richtung Aachen. Jeder von uns
trug 30 Kilo Speck auf dem Buckel. In der Königstraße mußten
wir unsere Abnehmer treffen und dort den Speck gegen Trocken-
wurst tauschen. Dieselbe war in Kisten verpackt. Alles geschah
in Blitzeseile, da äußerste Vorsicht das Beste war. Die Kisten
wurden auf die Schultern genommen und der Heimweg ange-
treten. Voller Stolz zogen wir dahin, diskutierten über den Ver-
kaufspreis der Wurst und hofften, nicht geschnappt zu werden.
Am nächsten Tag ging der Verkauf, wenn auch im Verborge-
nen, recht zügig voran. In kurzer Zeit war die Wurst alle. Wir
hatten einen netten Batzen Geld eingesteckt.
Leider kam es anders als wir gedacht. Einer nach dem an-
dern brachte die Ware zurück und drohte mit der Polizei, falls
wir nicht mit dem Geld herausrückten. Was blieb uns da anders
übrig, als den Leuten ihr Geld wiederzugeben, denn die Füllung
der Wurst war nur Sägemehl. Da nun Geld und Ware futsch wa-
ren, faßten wir den Entschluß, beim nächsten Kauf oder Tausch,
die Augen besser aufzumachen, Aber trotz aller Vorsicht brach-
ten es wieder andere deutsche Geschäftemacher fertig, uns noch-
mal anständig über’s Ohr zu hauen. Eines Abends zu später
Stunde schlossen wir für den folgenden Abend den Kauf von 6
Eimer schwarzer Seife ab. Wie verabredet, trafen wir uns an der
Jakobskirche. Unsere Komplizen kamen mit der Seife ange-
rannt, gaben uns zu verstehen, daß die Polizei Lunte gerochen
habe und alles schnell von statten gehen müsse. Wir ließen uns
auf’s Eis führen, zahlten den gemachten Preis und nichts wie
weg. Ein jeder hatte zwei schön emaillierte Eimer Waschmate-
rial. Alle sechs waren wie üblich mit einem Holzdeckel ver-
schlossen, der mit breiten Klebestreifen gehalten wurde. Junge
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Auf der Lütticher Straße, gegenüber der ”plaine”, dem Lagerplatz der
Vieille Montagne
sagte der Erzähler, haben wir uns da müde geschleppt, ich habe
gemeint meine Arme seien um 20 Zentimeter länger geworden.
Das alles wäre nichts gewesen, wenn die Mühe sich gelohnt
hätte, erzählte er lachend weiter und verriet mir, daß sie statt
schwarzer Seife 6 Eimer Menschenkot über die Grenze getra-
gen haben! Daraus läßt sich ersehen, wie tief die Moral der
Menschen gesunken war. Stellt man heute die Frage : ”Wie
kann ein Mensch sich ohne Skrupel zu solchen betrügerischen
Niederträchtigkeiten hinreißen lassen ? ” so lautet die Antwort :
”Not macht erfinderisch.”
Die spanische Grippe wütet,
Wenn auch der schreckliche Krieg zur Genüge Opfer an
Fronten forderte, so gab er sich damit doch noch nicht zufrie-
den. Nein, er suchte ebenfalls die leidende und hungrige Bevöl-
kerung in Stadt und Land heim. 1917-18 ist für die Neutral-
Moresneter eine Zeit gewesen, die dem ganzen Unheil des Krie-
ges die Krone aufsetzte. Der Hunger bekam einen Verbündeten.
Eine tückische Grippe, man nannte sie spanische Grippe, be-
gann ihr Unwesen zu treiben. Eine Krankheit, die infolge der
Unterernährung der Bevölkerung sich schnell ausbreitete. Nur
wenige Familien sind von diesem Unheil verschont geblieben.
Die drei Ärzte, Dr. Molly, sein Sohn und Dr. Gottschalk, wa-
26
ren nicht in der Lage, die vielen Kranken nach Wunsch zu be-
treuen. Wegen Mangel an Medikamenten konnten die Ärzte
nur das verschreiben, was die Apotheker Cornely, Kirchstraße,
und Goblet, Kapellstraße (Haus Dr. Schifflers), abzugeben hat-
ten.
Die Apotheke an der Ecke Kirchstraße, unter dem Namen
”Altenberger Apotheke” bekannt, wurde 1912 von Apotheker
Kahlau geleitet. Ihm folgte Herr Barth, der am 1. Juni 1914 von
hier verzog und den Herrn Karl Cornely zum Nachfolger hatte.
Kurz nach dem Waffenstilstand hat auch Apotheker Goblet es
für besser befunden, sich nach Deutschland zu begeben. Seine
”Glück Auf” Apotheke, kaufte Herr Cornely. Sogar den Na-
men ließ er nicht fallen, sondern nannte sein Unternehmen ”Al-
tenberger Glück Auf Apotheke”.
Es sei nicht unerwähnt, mit welchem Einsatz damals die
”weißen” Schwestern, in der Krankenpflege gearbeitet haben. Die
Kindersterblichkeit wuchs von Tag zu Tag. Alle Tage fast fan-
den Beerdigungen statt. Wer entsinnt sich noch des Kinderfried-
hofs von vor Jahren? Er hat die ganze Fläche vor der Fried-
hofskapelle eingenommen. Und heute ? Ich sehe heute noch den
alten Doktor Gottschalk durch die Straßen schlendern ; wie er
die von ihm betreuten Kinder zu sich rief, ihnen Pfefferminz-
plätzchen schenkte und dann zu ihnen sagte : ”Halt dich grade,
sonst wirst du kein General!” Er hat Kinder immer gern ge-
mocht und stets wie ein Vater zu ihnen gesprochen. Wenn selbst
diese jämmerliche Zeit, wie alles andere, schnell vergessen war,
so wird doch noch sehr oft über sie erzählt.
Waffenstillstand, Tag der Freude
Endlich, nach 1.559 Tagen grausamen Krieges, konnte die
Welt wieder froh sein und auf ein geregeltes Leben hoffen.
Man schrieb den 11. November 1918. Wie oft mögen die Men-
schen an diesem Tag der Freude ein von Herzen kommendes
”Gott sei Dank” gesprochen haben. Wie konnte es anders in
Neutral-Moresnet sein? Komme was da wolle, haben hier die
Leute gesagt, Schlimmeres als dieser grausame Krieg kann uns
nicht bevorstehen. Im Turm der Pfarrkirche läuteten an diesem
Tage, wie überall, die Friedensglocken. Pastor Kept rief seine
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Schweres Kriegsmaterial auf dem Rückzug (am heutigen Möbelhaus
Schifflers)
Gläubigen zu einem Dankesamt auf. Eine feierliche hl. Messe
wurde zelebriert und das Gotteshaus war überfüllt.
Doch auch in Kelmis hatte der lange Krieg bei vielen Ein-
wohnern unheilbare Wunden geschlagen. Eine beträchtliche An-
zahl von Eltern und Frauen, denen schon die Todesnachricht
ihres Sohnes oder Gatten zugestellt worden war, hatten keine
Aussichten mehr auf ein frohes Wiedersehen. Im Haupteingang
der Kelmiser Pfarrkirche ist eine Gedenktafel angebracht, wo-
rauf die Namen aller gefallenen Söhne der Gemeinde zu lesen
sind. Für Deutschland fielen 63 und für Belgien 7 Männer aus
Neutral-Moresnet. Auf deutscher Seite gab es noch 9 Vermißte
über deren Verbleib nie eine Nachricht kam.
Der Krieg war nun zwar zu Ende, aber manche Familie
mußte noch lange auf ein Lebenszeichen von Vater oder Sohn
warten. Die Technik war noch nicht so fortgeschritten wie heute.
Viele deutsche Soldaten des neutralen Gebietes gerieten in fran-
zösische oder englische Gefangenschaft und kamen erst spät im
Jahre 1919 heim. Die wenigen, die in russische Gegangenschaft
geraten waren, kamen erst Anfang 1920 nach Hause. Jene, die
bei ihrer Einheit geblieben waren, mußten den Tag abwarten,
bis sie der Heimat näher kamen, um sich regulär oder auf ei-
gene Faust absetzen zu können. Wie groß die Wiedersehens-
freude war, mag wohl einem jeden klar sein.
28
Nicht sehr lange nach der Waffenstillstandserklärung be-
gann der Rückmarsch der deutschen Truppen. Alle, die den
bösen Krieg überlebt hatten, mußten sich jetzt mühevoll nach
Hause schleppen. Wie stolz waren sie vier Jahre zuvor in den
Schlamassel gezogen, ohne zu ahnen für wie lange Zeit. Nun
war er endlich da, der lange erwartete Tag. Müde, abgemagert
und noch dabei geschlagen, zogen sie mit ihrer letzten Habe
die Landstraße entlang. Das in-Reih und Gliedmarschieren kam
nicht mehr in Frage. Die Übermüdeten saßen auf schweren Last-
wagen, die über das holprige Pflaster rollten und wegen der
Vollgummibereifung großen Radau verursachten. Dampfwalzen,
Pferdegespanne, Handkarren, Fahrräder und Maschinengewehr- X
kärrchen versuchten sich gegenseitig zu überholen. So vergin-
gen Tage und Wochen. Spät abends zogen sie selten. weiter. Sie
bauten ihre Zelte auf oder mußten sogar bei den Leuten unter-
gebracht werden. Jeder hat das gern getan, obschon nachher
das Ungeziefer große Sorge bereitete. Anderentags, nachdem die
armen Kerle nach langer Zeit nochmals in einem weichen Bett
geschlafen hatten, ging der Rückzug weiter. Alle Waffen, Muni-
tion und sonstiges lästiges Zeug wurde weggeworfen. Die unweit
des Kasinoweihers wohnenden Kelmiser haben mit eigenen Au-
gen gesehen, was alles von den heimkehrenden Soldaten in das
Wasser geschmissen wurde. Längs der Straße standen in gewis-
sen Abständen die dampfenden Feldküchen, in denen eine dicke,
sämige Suppe brodelte. Die Dorfkinder fanden sich sehr oft bei
der Küche ein, da sie wußten, daß immer, so wenig die Sol-
daten auch hatten, eine Portion für sie abfiel. Als letzte sind
die in der Patronage einquartierten Soldaten aus Kelmis abge-
zogen.
Wer hätte zu der Zeit gedacht, daß 20 Jahre später ein
noch schrecklicheren Weltbrand bevorstehen würde ?
Nach Kriegsende hat der Schmuggel erst recht floriert. Je-
der versuchte, durch dieses dunkle Geschfät zum reichen Mann
zu werden. Jedoch kam es meist anders, als sie es sich vorstell-
ten. Gewiß gab es welche, die das Geld zu schätzen wußten und
das Gleichgewicht nicht verloren, wogegen das Gros dieser
Nachtwandler das Sprichwort ”Wie gewonnen, so zerronnen”
wahr machten. Sämtliche Untugenden häuften sich bei ihnen
an, was zu einem ausschweifenden Leben führte, das sie noch
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Kurze Rast und letzte Anweisungen hinter dem Direktionsgebäude der
Vieille Montagne
ärmer als zuvor machte, Mit Ausnahme einiger haben alle,
wenn auch ungern, recht bald eine Arbeit suchen müssen.
Neutral-Moresnet, es war einmal
Nach Kriegsende hat der deutsche Bürgermeister Kyll mit
seinen engsten. Mitarbeitern die Verwaltung der Gemeinde noch
eine kurze Zeit weitergeführt. Am 28. Juni 1919 wurde der
Versailler Vertrag unterzeichnet und laut Artikel 32 desselben
hörte das strittige Gebiet von Neutral-Moresnet auf zu beste-
hen. Es wurde an das Königreich Belgien angegliedert. Die bel-
gische Regierung erließ am 15. September 1919 ein Gesetz, das
die Staatsangehörigkeit der Bewohner regelte. Mit Inkrafttreten
dieses Gesetzes am 10. Januar 1920 erwarben sie von Rechts
wegen die belgische Staatsangehörigkeit. Wie nicht anders zu
erwarten, brachte diese Entscheidung ein Für und ein Gegen
unter die Bevölkerung. Die hier ansässigen deutschen Staatsan-
gehörigen stellte man vor die Wahl, die belgische Nationalität
anzunehmen, oder für die Beibehaltung der deutschen Staatsan-
gehörigkeit zu optieren. Machten sie von letzterem Recht Ge-
brauch, mußten sie allerdings das Gebiet des Königsreichs im
Jahre ihrer Erklärung verlassen. Optierte der Mann, so galt die-
se Entscheidung gleichfalls für seine Ehefrau und für die Kin-
der, sofern diese unter 18 Jahre alt waren, Die Optionserklä-
30
rungen mußten persönlich vor dem Standesbeamten abgegeben
werden.
Der deutsche Bürgermeister hatte noch vor der Unterzeich-
nung des Versailler Vertrages sein Amt niederlegen. müssen. Als
sich nun die belgische Verwaltung einrichtete, übernahm vor-
läufig Herr Pierre Grignard die Amtsgeschäfte der neuen Ge-
meinde von La Calamine.
Eine Gendarmerieabteilung, befehligt durch den ”Chef” Ni-
colas Schrobiltgen, wurde nach Kelmis beordert und ließ sich
im Hause des früheren Bürgermeisters Schmetz auf der Pavei V
nieder, wo die Gendarmerie bis heute geblieben ist. In den Jah-
ren 1925-26 hatte sie für kurze Zeit ihr Büro im Haus Louis
Claes, Kapellstraße 7.
Eines Tages, so erzählte Herr Schrobiltgen des öfteren, sei
ihm vom Obersten des Gendarmeriekorps ein Schreiben zuge-
stellt worden, worin ihm die Frage gestellt wurde, ob 200 Mann
Verstärkung genügten, in Kelmis Ruhe und Ordnung zu schaf-
fen ? Darauf habe er geantwortet, daß er alles, was in Kelmis zu
regeln sei, allein mit seinen ihm unterstellten Gendarmen in
Ordnung bringe. Jedesmal wenn er davon sprach, meinte er,
sein Oberst habe sich doch eine komische Vorstellung von Kel-
mis gemacht.
Genau wie die Gendarmerie richtete auch die belgische
Zollverwaltung ihr Amt in Kelmis ein. Die Zöllner, teilweise
Wallonen und Flamen, trafen hier ein, suchten sich eine Woh-
nung und, wenn sie unverheiratet waren, ein Logis. Sie mach-
ten Streifendienst und kontrollierten den Grenzübergang Bild-
chen. Weil nun zu der Zeit der Schmuggel auf Hochtouren lief,
wurden sie sofort einer harten Probe gegenübergestellt. Manch-
mal hat es zwischen Zöllnern und Schmugglern in den umliegen-
den Wäldern schwere Auseinandersetzungen gegeben. Den
Schmuggel haben sie trotz allem Einsatz nie verhindern können.
Bis zur Hitlerzeit und auch wieder nach dem zweiten Weltkrieg
ist man nie in der Lage gewesen, das düstere Geschäft zu un-
terbinden. Weil die Zöllner in ihrem Dienst dauernd auf der
Lauer lagen und mit Vorliebe hinter Bäumen und Hecken sich
versteckt hielten, hatten die Kelmiser, denen es im Blut liegt,
31
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In langen Kolonnen ziehen die deutschen Truppen der Heimat zu.
(Hier an der ”Wäsche”)
Spitznamen zu verteilen, sehr bald einen solchen Namen gefun-
den. Allgemein waren diese Herren nur unter dem Namen Ha-
gedrieter (Heckenscheißer) bekannt. Drei von den ehemaligen
Beamten leben heute noch in Kelmis.
Das Gesetz vom 15. September 1919, das am 10. Januar
1920 in Kraft trat, brachte ebenfalls den Schulzwang, den man in
Neutral-Moresnet nicht gekannt hatte, mit sich. Alle Kinder, die
das sechste Lebensjahr erreichten, mußten neuerdings in die
Schule. Das Lehrpersonal, insbesondere die ”weißen” Schwe-
stern, die die Knabenschulen leiteten, wurden durch belgisches
Personal ersetzt. (Siehe ”Im Göhltal” Nr 11). Nun stellte sich
das Problem der Sprachenfrage. Es war unmöglich, einen je-
den beliebigen Lehrer nach hier zu verpflichten, wenn er der
Zweisprachigkeit nicht gewachsen war oder gar nur das Fran-
zösische beherrschte. Ganz zu Beginn hat es in dieser Hinsicht
einige Schwierigkeiten gegeben. Ich selbst habe ein paar Fälle
miterlebt, wo wallonische Lehrer, die kein Wort Deutsch ver-
standen oder sprachen, eine Anstellung hier bekamen, jedoch
nach kurzer Zeit die Heimreise wieder antreten mußten.
Mit der Zeit hat sich dann auch dieses Problem gelöst.
Belgisch-luxemburgische Lehrer, welche die beiden erforderli-
chen Sprachen, das Deutsche und das Französische in Wort und
32
Schrift zu lehren imstande waren, kamen, fanden eine Anstel-
lung und stellten ihr Können während vieler Jahre unter Beweis.
Auf menschenwürdige Klassenräume haben die hiesigen Kinder
allerdings lange warten müssen.
Belgische Besatzung für Deutschland
Um den Bestimmungen des Versailler Vertrages nachzu-
kommen, mußte auch Belgien seine Truppen. zur Besetzung von
Deutschland zur Verfügung stellen. Aus diesem Anlaß hat die
Kelmiser Bevölkerung den Durchmarsch vieler belgischen Solda-
ten miterlebt. Sie zogen über die Lütticher Straße in Richtung
Aachen. Anfangs Juli des Jahres 1919 marschierten die ersten In-
fanteristen, bewaffnet und aufgefrischt, in Kelmis ein. Vor ihnen
war schon ein sogenanntes Sonderkommando eingetroffen, das
sich im Haus ”Am Penning” in mehreren Zimmern eine Bleibe
verschaffte. Von hier aus verteilten sich die Wachen an ver-
schiedene Stellen des Ortes, wie z. B. an der Maxstraße, am
Brandenhövel und eine weitere in der Ruhr an der Eisenbahn-
brücke. Einige dieser Soldaten machten hier eine Bekanntschaft,
heirateten und haben seitdem Kelmis nicht mehr verlassen. Ihr
Essen holten sie in der Kapellstraße, wo im Hofe Klintgens die
Feldküche dampfte. Zur Essenszeit haben wir Kinder uns in
ihre Nähe gedrängt, bis schließlich der Küchenpeter unser Kes-
selchen genommen, etliche Portionen Suppe hineingegossen und
uns gebeten hat ”nach Mama” zu gehen.
Immer wenn es hieß, die Belgier kommen, rannten wir zur
Landstraße, winkten den Soldaten zu, und waren enttäuscht,
wenn sie keine Pferde mit sich führten. Doch unsere Enttäu-
schung verwandelte sich recht bald in Freude. Die vorbeizie-
henden Soldaten griffen in ihre Taschen und bewarfen uns Kin-
der mit gebackenen Buchstaben, die wir essen konnten, aber
wir wußten nicht, wie das Zeug hieß. Erst zu Hause erklärte
man uns, es sei ”Nik-Nak” (Kindergarten). Wenn Soldaten ka-
men, hat keiner uns Kinder von der Pavei fernhalten können.
Allmählich ließ der Strom nach. Selbst die hier stationierten Wa-
chen zogen ab. Die Deutschen, die für ihr Land optiert hatten,
verließen das neubelgische Gebiet bis Ende 1922. Das noch
ungeregelte Leben ging dann auch seiner Normalisierung entge-
gen. Alle, die hier geblieben waren, hatten, sofern sie keine an-
dere Nationalität besaßen, die belgische angenommen. Die mi-
33
litärpflichtige männliche Jugend wurde in die Stammrolle einge-
tragen, mußte sich der Musterung unterziehen und letzten Endes
in die Armee eintreten, Viele Männer aus Kelmis haben als bel-
gischer Soldat die Besatzungszeit in Deutschland miterlebt.
Erster Gemeinderat von La Calamine (Kelmis)
Nun war auch in Kelmis die Zeit gekommen, wo, wie über-
all, Gemeinderatswahlen fällig waren. Dieser Rat konnte nur,
einschließlich Bürgermeister, aus 11 Mitgliedern bestehen. Im
Sommer des Jahres 1920 gingen die Kelmiser zum ersten Mal
zu den Wahlurnen. Gewählt wurden die Herren Pierre Grignard,
Adam Schumacher, Gerard Schmetz, Joseph Döme, Aloys Van
Hauten, Victor Moyano, Hubert Hamboeken, Francois Schoe-
nauen, Nicolas Carabin, Dr. Hugues Franssen und Jean Brandt.
Am 29. November 1920 fand die erste Sitzung des Ge-
meinderates statt. Auf derselben wurde Herr Pierre Grignard
zum Bürgermeister und die Herrn Aloys Van Hauten als erster
und Herr Nicolas Carabin als zweiter Schöffe gewählt. Gemein-
desekretär war damals der aus Moresnet stammende Viktor
Frank. Bei ihrem Amtsantritt sahen diese Männer einer nicht
allzu rosigen Zukunft entgegen, denn die finanziellen Nöten
stellten sie und ihr Dorf vor schwierige Probleme.
Die beiden Ratsmitglieder Jean Brandt und Victor Moyano
sind die Nachfolger von Bürgermeister Grignard geworden, bis
im Jahre 1939 Peter Kofferschläger dieses Amt übernahm.
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Die nachrückenden belgischen Truppen (im ”Bruch”)
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Die «Pavei» - Grenzstraße zwischen Herbesthal
und Welkenraedt vor 1914
von Leo Homburg
Die nun folgenden Kindheitserinnerungen schließen an den
in Heft Nr. 12 erschienen Bericht über die ”Pavei” an. Dort
hatte ich versucht, in einigen flüchtigen Bildern das darzustellen,
was in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg beiderseits der
Grenzstraße an für uns Kinder Wichtigem vorging. Doch dann
kam der Krieg. Was er an Umwälzendem mit sich brachte, will
ich heute niederschreiben. *
Vater war Postbeamter in Herbesthal, Mutter sorgte sich
um die kleine Landwirtschaft, Wie jeden Tag hatte Vater am
Sonntag, dem 2. August 1914, den Dienst im Postamt um sieben
Uhr morgens angetreten und Mutter hatte sich, nachdem das
Vieh versorgt war, zur halb acht Uhr Messe nach Welkenraedt
begeben. Wenn sie zurück käme, würde sie die schulpflichtigen
Kinder nach Herbesthal ins Hochamt schicken.
Kurz nach ihrem Fortgehen kam der Vater zurück, packte
in Eile einige Sachen, gab mir den Auftrag, Mutter zu sagen, er
müsse einrücken, und weg war er. Er hatte uns wahrscheinlich
einen Abschied ersparen wollen, wie ihn 25 Jahre später so
viele von uns erlebt haben...
Für die preußischen Beamten lag damals im Falle einer
Mobilmachung der Stellungsbefehl bei ihren Dienststellen. Das
erklärt die Schnelligkeit, mit der die wehrpflichtigen Beamten
ergriffen werden konnten. Aus dem meist von Bauern bewohn-
ten Dreieck Grünstraße-Weißes Haus-Lontzen Busch war mein
Vater der einzige, der einrücken mußte. Einige andere wurden
aus Altergründen nicht mehr einberufen, die meisten jedoch wa-
ren auf deutschem Gebiet ansässige Belgier oder Holländer, die
unter Beibehaltung ihrer Nationalität in den letzten 20 oder 30
Jahren einen Hof bezogen hatten.
Am nächsten Morgen war die Pavei überfüllt mit deut-
schen Soldaten. Graue Uniformen, bepackte Tornister, Gewehr
35
bei Fuß, den Helm bedeckt mit einem grauen Tarnüberzug : so
standen sie da in geordneten Reihen, gaben uns Kindern Geld
für Zigaretten, die wir ihnen aus Welkenraedt holen mußten,
wobei für uns mancher Groschen an Wechselgeld abfiel. Bis
zum Nachmittag hatten wir so ständig Zigaretten besorgen müs-
sen, doch dann setzten sich die Kolonnen in Marsch, wir Kinder
liefen an ihnen vorbei mit den Zigaretten, das übriggebliebene
Geld wollte keiner zurücknehmen.
Bis Weißes Haus begleiteten wir die Truppen. Dort vereinigten
sie sich mit den aus Richtung Kelmis kommenden Kolonnen. Die
marschierenden Soldaten begleitete allerhand von Pferden gezo-
genes schweres Kriegsmaterial, wie Kanonen und Pontons; zwi-
schendurch sah man Offiziere mit Begleitsoldaten in Automo-
bilen, daneben Reittruppen, vor allem Ulanen. In einer Hand
hielten sie eine vom Steinbügel ausgehende Lanze mit einem
kleinen Fähnchen. An Stelle der Helmspitze hatten sie ein klei-
nes Viereck.
Schnell hatten die vorrückenden Einheiten die erste belgi-
sche Sperre, gefällte Bäume, die die Straße nach Henri-Chapelle
blockierten, zur Seite geräumt und der Vormarsch in Richtung
Lüttich ging weiter.
In den nächsten Tagen sah man Flugzeuge und - ein großes
Ereignis - einen Zeppelin, der in der Abenddämmerung gen We-
sten flog.
Die Kanonen donnerten schon aus dem Lütticher Raume
und am Herbesthaler Postamt hing noch immer ein Aufruf.
Neugierig las ich ihn und schrieb ihn hinterher ab. Er lautete :
An das belgische Volk!
Die deutschen Truppen sind zu meinem größten Bedauern ge-
zwungen gewesen, die belgische Grenze zu überschreiten. Sie
haben, gezwungen von einer nicht abzuwendenden Not, gehan-
delt, weil die Neutralität Belgiens durch französische Offiziere
verletzt wurde, die verkleidet Belgien in Automobilen betreten
haben, um nach Deutschland zu kommen... Es ist mein größter
36
Wunsch, daß es noch möglich sein wird, einen Krieg zwischen
zwei Völkern zu vermeiden, die bisher Freunde, früher sogar
Verbündete gewesen sind. Gedenket der glorreichen Tage von
Belle Alliance, wo die deutschen Waffen geholfen haben, die
Unabhängigkeit und die Entwicklung Eures Landes zu begrün-
den. Wir aber müssen jetzt freien Weg haben. Die Zerstörung
von Brücken und Eisenbahnschienen wird von uns als feindliche
Tat angesehen werden. Belgier! Ihr habt zu wählen. Die deut-
sche Armee will nicht gegen Euch kämpfen. Wir wollen freien
Weg haben gegen einen Feind, der uns angreifen wollte. Mehr
verlangen wir nicht. Ich gebe dem belgischen Volke die Versi-
cherung, daß es nicht unter den Schrecken des Krieges leiden *
wird. Wir werden in barem Geld die Lebensmittel bezahlen, die
wir haben müssen. Unsere Soldaten werden sich als gute Freun»
de einer Nation zeigen, für die wir die größte Hochachtung und
lebhafte Zuneigung fühlen. Von Eurer Klugheit und Eurem Pa-
triotismus hängt es ab, Belgien das Elend eines Krieges zu er-
sparen.
Der kommandierende General und Chef der neunten Armee
von Emmich
Tagelang war die gute Stube bei uns zuhause von einquar-
tierten Soldaten belegt. Wie so ein Gewehr funktionierte, hätten
wir schrecklich gerne gewußt, und schließlich gab einer der Land-
ser unserem Drängen nach. Er lud die Waffe und auf den Ab-
zug deutend sagte er : ”Wenn jetzt einer abdrückt, geht ein Schuß
los.” Nun sicherte er das Gewehr und erklärte: ”Jetzt kann man
getrost abdrücken. Der Schuß wird sich nicht lösen.” Sprach’s
und zog am Abzug. Warum sich nun doch ein Schuß löste, hat
der Soldat nicht erklärt. Glücklicherweise kam niemand zu scha-
den. Der erste von diesem Soldaten im ”großen Krieg” abgege-
bene Schuß ging durch die Zimmerdecke durch ein darüber ste-
hendes Bett, dann durch den Dachboden und fand schließlich
durch einen zersplitterten Dachziegel den Weg ins Freie,
Durch den Bahnhof fuhren endlose Soldatentransporte
nach Belgien hinein (siehe Bild). Die Mannschaften waren in
Güterwagen ”verstaut”, die Offiziere fuhren in normalen Reise-
abteilen dem Feind entgegen. Blumen und Grün schmückten die
37
Züge, Sprüche konnte man darauf lesen wie: ”Deutsche Hiebe,
französischer Sekt-Hei, wie das schmeckt!” Immer wieder las
man: ”Lieb Vaterland magst ruhig sein!” oder: ”Jeder Schuß
ein Russ - jeder Stoß ein Franzos”. Solche und ähnliche Sprüche
zierten die Eisenbahnwagen. Aber auch die Kehrseite des Krie-
ges war im Bahnhof zu sehen, nämlich Züge mit Verwundeten,
die von der Front zurückkamen und im Herbesthaler Bahnhof
so gut wie möglich versorgt wurden. Auch versuchten Zivilper-
sonen, von den Verwundeten etwas über den Verbleib ihrer an
der Front kämpfenden Männer und Söhne zu erfahren.
Nach Schulschluß mußte ich Vaters Postfach lehren. Zwi-
schen dem ”Korrespondenzblatt” und dem ”Rheinischen Mer-
kur”, auf die Vater abonniert war, fand ich eine Postkarte. Der
Absender, Jean Piquot aus Welkenraedt, teilte meinem Vater
mit, daß er in deutsche Gefangenschaft geraten sei. Wahr-
scheinlich hatte er die Karte bei der Durchfahrt des Gefangenen-
transportes durch den Herbesthaler Bahnhof aus dem Zug ge-
worfen und irgend jemand hatte sie aufgehoben und in das Post-
fach meines Vaters gesteckt. Da mir die Familie bekannt war,
brachte ich die Karte unverzüglich dorthin.
Als im Verlaufe des Krieges die Lebensmittel knapper wur-
den und ich auf unseren Brotkarten nur noch Graubrot bekom-
men konnte, gab es in Welkenraedt Sonderzuteilungen von
Weißbrot aus amerikanischen Lieferungen. Die Ausgabe erfolgte
abends. Wenn mein Freund und ich davon hörten, stellten wir
uns mit an und der Bäcker, der jahrelang uns das Brot geliefert
hatte, drückte beide Augen zu und gab auch uns eins. Doch ei-
nes Abends - wir standen wieder wie gewohnt um Weißbrot an -
rief einer unserer bisherigen Welkenraedter Freunde : ”Dat sönt
jeng Welkender, dat sönt Prüße!”. Nur schnelles Verschwinden
bewahrte uns davor, von den von allen Seiten sich drohend er-
hebenden Fäusten zusammengeschlagen zu werden. Jetzt wußte
auch ich, daß Belgier und Deutsche Feinde geworden waren.
Der Krieg nahm nicht ein so schnelles Ende wie erhofft.
Soweit Welkenraedter Häuser sich aneinander reihten, errichteten
38
die von ”drüben” einen Maschendrahtzaun zwischen Gehweg und
Pavei. Letztere blieb bei Herbesthal; über den Maschendraht
wurden noch einige Reihen Stacheldraht gezogen. Einige ”Grenz-
übergänge”, mit Schlagbaum versehen und von Posten bewacht,
blieben offen. Der Hauptdurchlaß befand sich am Eingang der
rue Reine Astrid. Im linken Eckhaus war das Hauptbüro der
5. Kompanie des Landsturminfanteriebataillons Aachen. Dort
erhielt ich auch meinen ersten Paß, der mich berechtigte, die
Herbesthaler Neutralstraße von morgens 6 bis abends 9 zu be-
treten. Der Paß mußte jeden Monat verlängert werden ; dieselbe
5. Kompanie stellte auch die Wachtposten entlang der deutsch -
belgischen Grenze in Herbesthal- Welkenraedt. Alle 250 m N
stand ein Schilderhäuschen, eines stand direckt vor unserem
Haus an der Grünstraßecke. Viele der Wachtposten waren in
unserer Gegend zu Hause. Sie kannten jeden und jeder kannte
sie. Munition war knapp bei den Landsturmmännern. Bei Wach-
ablösung entnahm der Posten seinem Gewehr 5 Patronen und
übergab sie seinem Nachfolger.
ı Sa Ye 0 We A
SERBESTHAL. Brücke über dia Bahnstrecke | A
Cöln-Aaschen-Brimsel-Paris x ger N
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- CM A. 5 5
Über den Bahnhof Herbesthal einrollende Militärwagen
(Photo freundlicherweise zur Verfügung gestellt d. Herrn Derousseaux,
Herbesthal)
39
Der langsam mehr und mehr in Schwung kommende
Schmuggel besserte den Sold der Wachposten auf. Die ersten
Schmuggler durchkrochen eine etwa 25 m von unserem Haus
unter die Pavei führende Unterführung, die gut einen Meter
hoch war und bei Regenwetter als Wasserdurchlauf diente. Es
dauerte nicht lange und die Schmuggler liefen aus der Grün-
straße kommend direckt über die Pavei. Dann verschwanden sie
auf der gegenüberliegenden Seite hinter dem Gutshof Kollebaum,
Viele von denen, die tagsüber hinübergingen, kehrten erst spät
abends oder nachts mit Speck, Pudding und ähnlichen seltenen
Kostbarkeiten beladen zurück. Sie vergaßen nie, Geld ins Schil-
derhäuschen zu werfen. Sah der Posten einen Schmuggler kom-
men, so drehte er ihm den Rücken und ging seinen Bereich ab.
Ein Wachtkommando war im Gutshof Leclerc untergebracht. Ne-
ben den Grünstraßposten stellte es auch einen Wachtposten an
der Fabrik Bailly, dort, wo der Stacheldraht aufhörte, und einen
anderen an der dem Guthof Leclerc gegenüberliegenden Welken-
raedter rue des volontaires. Der Eingang dieser Straße war mit
einem Schlagbaum gesperrt. Wollten die auf Weißes Haus zu
wohnenden Welkenraedter in ihr Dorf, so mußten sie diesen
Durchgang benutzen,
Im Bereich dieser Posten lag auch ein Zentrum des Pferde-
schmuggels. Nicht nur an Halfter oder Zügel geführt, sondern
auch in Dogcarts und Tilbris gespannt überquerten sie durch ein
an der Welkenraedter Friedhofsmauer in der Hecke eingebautes
Dornentor die Pavei und verschwanden in der gegenüberliegen-
den Gasse und den sich daran anschließenden Wiesen in Rich-
tung ”Ro Mar”,
Eine zweite Route der Pferdeschmuggler lief von Dicken-
busch kommend in dieselbe Richtung, passierte durch ein Tor
der auf belgischer Seite liegenden Kesselwiese die Pavei und
verschwand in dem gegenüberliegenden Obstbaumwald des
Gutshofes Dobbelstein, Fortsetzung folgt.
-
40
Die Grabsteine des 17. und 18. Jh.
auf dem Hergenrather Friedhof
von Alfred Bertha
Die alten Wegekreuze sind in den letzten Jahrzehnten sehr
oft Straßenbauarbeiten zum Opfer gefallen. Ähnlich ist es vie-
len alten Grabkreuzen auf unseren Friedhöfen ergangen ; beim
Einebnen und Neubelegen der Grabstätten sind sie achtlos weg-
geräumt worden. Umso erfreulicher ist es zu sehen, daß doch
hie und da - leider nur zu selten - Wert darauf gelegt worden .
ist, der Nachwelt die alten Grabsteine zu erhalten. So wurden
in Hergenrath eine stattliche Anzahl Kreuze des 17. und 18.
Jh. in die Friedhofsmauer eingemauert. Wertvolles Kulturgut
blieb uns auf diese Weise erhalten, Manche dieser Steinkreuze
gehören zu den schönsten in diesem Grenzgebiet. In der fol-
genden Übersicht habe ich versucht, sie chronologisch zu ord-
nen.
Das älteste erhaltene Grabkreuz trägt die Jahreszahl 21.
Aus der Pfarrgeschichte Hergenraths wissen wir, daß schon im
15. Jh. eine Martini-Kapelle dort bestand. Urkundlich erwähnt
wird sie 1441. Wir wissen auch, daß Hergenrath sich nach und
nach von den Bindungen mit der Walhorner Mutterpfarre hat
lösen können, so daß schließlich um 1650 der an der Martini-
Kapelle diensttuende Priester zum Desservitor mit den Rech-
ten eines Pfarrers ernannt wurde. Wie die Loslösung von Wal-
horn im einzelnen vor sich gegangen ist, wissen wir nicht. Im-
merhin ist sicher, daß schon um 1620 die Hergenrather Ge-
meinde das Recht hatte, ihre Toten auf dem eigenen Friedhof
zu bestatten. Wie damals üblich, lag dieser Friedhof direkt ne-
ben der Kirche. Nachdem man 1846 eine neue, zentraler gele-
gene Kirche gebaut hatte, bekam die Friedhofsflur den Namen
”an der alten Kirche”, den sie auch heute noch trägt.
Hier nun die Inschrift des ältesten Grabkreuzes :
ANNO 21 DEN 16 ABR
EILT EIST EIN GOTE
ANIS 20 EEN IAAN EL
EGAST GT DREST
DEI SEIL
41
BED Ta en S
LAN LE ER
BE
BET
BERTOER EL
Die Schrift ist Antiqua, ziemlich unbeholfen. Sprachlich
fällt die Häufung des Doppellautes ”ei” auf. Verglichen mit den
späteren Inschriften ist diese eher knapp. Im Typus gleicht das
Kreuz vielen anderen, es ist verhältnismäßig klein, hat kleine
Stützwinkel und hatte wahrscheinlich ursprünglich einen Sattel.
Die Arme sind breit und kurz.
Wie der Leser anhand der Abbildung feststellen kann, beruht
die von mir gewählte Lesart der dritten Zeile eher auf einer Ver-
mutung als auf Sicherheit. Es fehlt das Zeitwort. Man ist ver-
sucht, ein ”verstorben” einzufügen. Es fragt sich auch, ob das
”E” am Ende der zweiten Zeile von ”Got” abgesetzt und in die
dritte Zeile übernommen werden muß. Statt ”Anis” (für Annis
= an Jahren) könnte man eventuell ein ”ETATIS” (für Aetatis
= an Alter) lesen. Soviel scheint gewiß : der Steinmetz war
kein hiesiger oder er hat die ihm vielleicht auf einem Zettel
übergebene Inschrift nicht korrekt entziffern können. ”Jaan Ele-
gast” scheint der Tote geheißen zu haben, wobei das doppelte
”A” in Jaan ungewiß ist. Im Klartext müßte man also vermut-
lich lesen : ”Anno 21 den 16 April ist in Gott annis 20 een
Jaan Elegast Gott tröste die Seele:” [Im Jahre 21, den 16. April,
ist in Gott (verstorben) im Alter von 21 Jahren Jaan Elegast.
Gott tröste die Seele”.]
42
Das mehrfach wohl irrtümlich als ältestes Hergenrather
Grabkreuz bezeichnete trägt folgende Inschrift :
Sl
8 A an pn 8 %
8 # BULEE T A
ir 2 I HERMEN MORESSEN(T)
zn EEE DES -
A A GOT TROST DIE SEL
AO en AS
Si Em SL SA
EEE a. 2
7 ad
Die Arme auch dieses Kreuzes sind breit und kurz, Durch
die konvexen Winkelstützen erhält es das Aussehen einer Grab-
platte. (s. Abb. 2)
Die Inschrift beschränkt sich auf das Wesentliche, wenn
man von der Formel ”Got trost die Sel” absieht. Diese und ähn-
liche Formeln finden sich auf beinahe allen Grabsteinen. (”Bett
Got vor die Seil”, R.I.P.). Es handelt sich bei Hermen Moressen
gewiß um ein Mitglied der Familie Moresnet, welche im 17.
und 18, Jh. stark in Hergenrath vertreten war. Die Lettern
sind, so wie auf dem folgenden Kreuz, in Relief aus dem Stein
gehauen.
43
ANNO 1625
DEN 25 OCTOBRIS (...)
STICKELMANS HAUSS _
FRAW IN GOTT VER
STORBEN GOTT GNADE DIE
SEHL(E?) AMEN
Hier stoßen wir zum ersten Male auf nähere Angaben zur Per-
son der Toten. Sie war Hausfrau = Ehegattin. Es wird zur Ge-
wohnheit, darauf hinzuweisen, daß eine Verstorbene die ”Haus-
frau” dieses oder jenes war ; ”gewesene Hausfrau” ist in Hergen-
rath und anderswo eine oft wiederkehrende Formel.
A’ 1628 DEN 19 OC
TOBER STARF PETER
GORGES BIDT GOT $
VOR DIE SEEL
Immer wieder spüren wir den niederdeutschen Einschlag in
der Sprache dieser Inschriften. Wohl gab es schon zu Anfang
des 17. Jh. Schulen in unserer Gegend (Eupen 1610, Eynatten
1617, Walhorn vor 1625), doch setzte die neuhochdeutsche
Schriftsprache sich nur sehr langsam durch. Das erklärt die gro-
ße Mannigfaltigkeit in der Schreibweise ein und desselben Wortes.
A° 1635 DE 23 AUST
IST GESTORBEN
ANNA DIE HAUSFRU
VAN WARNY FRSSOY
GOT TROS
DE SEIL
1635 und 36 sind Pestjahre. Gewiß sind damals ganze Fa-
milien ausgestorben und nur den wenigsten konnte ein Grabstein
gesetzt werden. Die Steinmetze hätten nicht ausgereicht. Die Ver-
storbene ”Anna” war die Ehefrau von Francois Warny. Aus dem
Jahre 1635 stammt auch folgende Inschrift :
HEIR LICHT BEGRAFFEN
HEINRICH BREIM VERTRAUT
AUF DIE WORT CHRISTUS JO
HANES AMEN ICH WERDE EUCH
AUFERWECKEN AM JUNGST
EN DAG 1635 DEN
8 8 BRIS
44
Es ist dies die einzige Inschrift, die einen Bibelspruch ent-
hält und nicht mit dem frommen Wunsche ”Gott tröste die Seele”,
der Aufforderung ”Bitt Gott für die Seele” oder ähnlich endet.
Es könnte sich hier sehr wohl um den Grabstein eines Protestan-
ten handeln.
Chronologisch folgt nun ein verhältnismäßig hohes Blau-
steinkreuz mit in Relief gehaltener Schrift.
AO 1640
DEN 6 NOVEMBER
STARF BARBARA FR
ANCK GODT TROO ‘
ST DIE SEEL
Die Lettern sind breit und flach. Der Steinmetz hat auch
hier nicht versucht Zusammengehörendes (z.B. Franck) zusam-
menzulassen. Das Kreuz von 1628 und dieses zeigen, daß noch
eine Zeitlang die Reliefschrift - typisch für das gothische Kreuz -
neben der neuen, durch vertiefendes Ausschlagen der Buchsta-
ben aus dem Stein entstandenen Schrift, bestanden hat. Aller-
dings überwiegt letzter Typus.
ANNO 1641 STAR(F)
IJOHAN FEIN
BETT GOT VOR
DIE SEIL
Dies ist ein sehr schlecht proportioniertes Kreuz. Die Winkel-
stützen bilden mit den kurzen Armen eine schildartige runde
Platte, der Kopf ist abgeschlagen, der untere Teil des Stammes
ist übermäßig lang. Der Text an sich ist kurz und knapp, ohne
jeden näheren Hinweis auf den Toten.
Einen besonderen Platz nimmt der nächste Stein ein, Es
ist ein Kalkstein mit einer sehr schönen Inschrift in Fraktur ;
die Anfangsbuchstaben sind prächtig geschwungen und ver-
schnörkelt.
A° 1641
den 1 September starb
Anna Mutters A° 1645
den 18 9bris Theiss Mü-
ters gestorben Gott
TDS
45
Es ist das erste Hergenrather Grabkreuz, das einem Ehe-
paar, Theiss und Anna Mutters gesetzt wurde. Der Vorname
Theiss, aus Matheis = Mathias, war früher sehr beliebt.
Die Abkürzung bedeutet ”tröste die Seele”,
Eine ziemlich große Lücke besteht zwischen diesem und
dem nächsten Stein. Er stammt aus dem Jahre 1663,
AO 1663 DEN
.. ABRIS STARB WERNER
FRANCOIS SCEPEN TOT
HERGENRAD GOT TROST
DIE SEEL AMEN
A Asp a
SEAN OA
BE A En EC
N MEN 173
SAME a |
Wa A DE
a RS
E A
3 ABS OEM
ANA NER
ERENTO
7 SEE NORD |
Na iR
EA]
& ES m
en SO Y
A ; Ü
_- A x ; &
Das Datum ist verstümmelt und nicht mehr leserlich. Wer-
ner Francois war ”Schöffe” zu Hergenrath. ”’ABRIS” steht für
ABRILIS/APRILIS.
47
Wie aus der Grabinschrift von 1641 und aus der folgenden
ersichtlich, war es schon vor mehr als 300 Jahren Sitte, den
Eheleuten einen gemeinsamen Grabstein zu setzen. Wenn zwi-
schen den Sterbedaten der beiden eine längere Frist liegt, kommt
es manchmal vor, daß der Todestag des zuletzt Gestorbenen
nicht angegeben ist. Entweder handelt es sich in diesen Fällen
um Nachlässigkeit oder aber es waren keine näheren Anver-
wandte da, um sich darum zu kümmern.
ANNO 1668
DEN 7 APRIL STARF
TEIS JUNCKSCHLEGER DEN
2 APRIL 1668 SEIN HAUS
FRAW GETTRUYD GODT
TROST DE SEELE
EN AMEN
Im Abstand von 5 Tagen sind die Eheleute Junckschleger
gestorben. Manchmal werden die Feste der Heiligen zur Angabe
des Todestages herangezogen. So auf dem Grabstein des Jung-
gesellen Wilhelm Steickelmann, welcher am Abend des Dreikö-
nigstages verstarb.
1668 ob Hielgen dreu Kon
(...) n Obent ist der Tugentsame
Wilhelm Steickelman Junger
Gesel gestorben Gott wolle seiner
seellen gnadig sein
Die Schrift ähnelt der des Grabsteines von Thoma(s) Mo-
resnet. Es ist Fraktur. Leider ist der Grabstein des Thomas Mo-
resnet stark beschädigt und die Schrift zu sehr verstümmelt, als
daß man die Jahreszahl noch herauslesen könnte. Sie beginnt
mit :
Hier Licht Begraven Thoma
MOrestet u
Auch der folgende Stein trägt Frakturschrift.
A° 1670 Den 15 Augusti
ist im Herren Entsch
Jaffen Biedt Steickell
mans Gott Trost die seel
Biedt = Piedt = Peter. Steickellmans wird später Stickel-
mann. |
48
Die vier nun folgenden Steine stammen ganz offensichtlich
von ein und demselben Steinmetz. Sie zeichnen sich aus durch
reiche Verzierungen des von der Inschrift freigelassenen Rau-
mes, Die Inschrift selber wirkt wie ein Schild, den man auf das
Kreuz gelegt hat.
AO 1679
AFF St NICLAS
TAGH STARFF DER
EHRSAMER IAN OTTEN
GOTT TROST DIE
SEEL AMEN .
”Ehrsamer” und ”wohlachtbarer” sind anerkennende Ei-
genschaftswörter. Ehrsam und wohlachtbar sind Nicht-Adlige,
aber durch Beruf, Reichtum und Ansehen zur gesellschaftlichen
Oberschicht gehörende Bürger. Aber man darf wohl annehmen,
daß mit der Zeit die Formel auf jeden angewandt worden ist.
Dieses aus dem Jahre 1679 stammende Kreuz ist der er-
ste Hinweis auf Rosenkranz und Skapulierverehrung in Hergen-
rath. Die Rosenkranzperlen legen sich wie eine Kette um die
Inschrift und begrenzen so das Schriftfeld. Barocker Geist hat
dieses Kreuz geprägt. Die Gegenreformation ist sogar auf den
Friedhöfen spürbar !
Das nächste Kreuz weist einige Besonderheiten auf. Die
eigentliche Inschrift ist auch hier vom Rosenkranz umrankt.
Den noch freien Raum in den Kreuzarmen nehmen aufrecht
stehende Blumen ein. Im unteren Teil des Stammes sehen wir
gekreuzte Totenknochen, Herze, Blumen und das Skapulier. Im
oberen Teil befindet sich (wie auf fast allen Hergenrather Kreu-
zen) das Christusmonogramm IHS (Iesus Hominum Salvator =
Jesus Retter der Menschen). Darunter ein Herz mit der In-
schrift: Maria. In einem leicht konvexen Balken lesen wir AN-
NA JOSEPH und darunter in kleinerer Schrift und wie nach-
träglich hinzugefügt WNANDUS STRAT (= Winandus). Gleich-
falls später eingeschlagen scheint der Name Maria (Co ?)rman
zu sein, welcher sich links und rechts des Herzens befindet.
49
a. 2)
Fe ANNO
ze PO Sn 1681 DEN 31
K BO n en en
a N AUGUSTI STÄRFF
ER} PaLM STRAFT ION
8 N OEST DIE SEEL AMEN
N 5 FEN PATER NOSTER
se A A AVE MARIA ANNA
AO Ey 8
Palm (= Palmatius) war in hiesiger Gegend ein recht
häufiger Vorname, Heute überlebt er noch als Familienname.
Jonckman = Jüngling.
So wie man oben W(i)nandus Strat eingefügt hatte, so le-
sen wir unten ANGANES EKANCK. War der Steinmetz kein
Hiesiger ? Hat er den Namen, der vielleicht in ungelenker
Schrift ihm auf einem Zettel gegeben worden war, nicht entzif-
fern können ? Wir müssen es wohl annehmen. Vielleicht sollte
es Franck heißen. Vielleicht Johannes Franck.
Vom Kreuz des Jacob Pelser ist nur der Mittelteil erhal-
ten. Rosenkranz und Schrift weisen jedoch deutlich auf densel-
ben Steinmetz hin wie die beiden vorhergehenden.
50
nn K_ I
Ks A HET ER
BEENDEN DAS
8 EN RE
Ar namen m A ES
AN AED
Ve OS
N .
2 Sn N N 2 A
HEIR LIGT
BEGRAVEN DEN
EEHRSAMEN JACOB
PELSER STARFF
DEN 29 SEPTEMBER
1681 GOTT TROST
DIE SEEL
vr BO DE ER %
va Aa
ER
0 a
8 2 DE 2 OCTORBRIS IS DIE
An HI NN OLLET SCHEIFFHALS DES
BL
® A E “8 JACOBS SIMONS GEWESENE
A 2222 HAUSFRAUW IN DEN
a A HERREN ENTSCHLAFFEN
Rs. A | GOTT WILL DIE LEBE
SE —* SEEL TROSTEN AMEN.
st
Diese Inschrift ist von blühenden Blumen umrankt. Ob sie
symbolische Bedeutung haben, ist schwer zu sagen. In den
frommen Schlußspruch hat man der Seele das Wort ”liebe” bei-
gefügt. Immer wieder wird der Text erweitert. Ollet Scheifhals
war tugentsam, gewesene Hausfrau, sie ist nicht nur gestorben,
sondern ”im Herrn entschlafen” und sie war eine ”liebe” Seele.
Im unteren Teil des Stammes liest man die Abkürzungen
MRA und ANA (= Maria, Anna). Auch das Skapulier fehlt
nicht. Rosenkranz- und Skapulierverehrung scheinen gegen En-
de des 17. Jh. recht rege gewesen zu sein. Auch die HI. Anna
und Joseph wurden in die Verehrung einbezogen.
HIER.LICHT
BEGRAEVEN DIE
DEUGENTSAEME JOHANNA STICK
ELMAN GEWESEN HUYSVROUW
VAN LAMBERT MORESNET
STARF DEN 30 IANUARY 1704
GOTT TROOST DIE SEEL AMEN
Lambert Moresnet ist uns aus der nächsten Inschrift be-
kannt. Er war Küster in Hergenrath, vielleicht auch Lehrer.
Knapp ein Jahr nach dem Tode seiner Frau starb auch er.
HIER. LICHT.
BEGRAEVEN
DEN EERSAMER LAMBERT MOR
ESNET IN SYNEN LEVEN KEUS
TER ALHIER STARFF DEN 9 JAN
UARY 1705 GOTT TROOST DE SEEL
(Siehe Abb. Seite 52)
52
A} Are
En An FM
ya — -
FE m
ne b A Ti
N
1 üb
. An
18 2
Ebenfalls einem Toten der Familie Moresnet wurde der
folgende Grabstein gesetzt :
HEIR LIECHT A S
BEGRAVEN DEN EEHRSAMEN
HERMANUS MORSNET IST
GESTORVEN DEN 13 JANUARY
1712 GOTT TROST DIE SEFL AMEN
S W.C.P.M.
Der Kreuzesform nach zu urteilen stammt das nächste
Kreuz aus der Zeit des Barock. Stamm und Arme tragen Wülste
Es ist übrigens das einzige Kreuz dieser Art in Hergenrath.
Ayı- 17... DEN ..,.. STARB DER
EHRSAMER PETER KRISCHER 17. 3
DEN 18 ABRIL STARB SEINE HAUSFRAU
JOHENA. HALLER
RAP
d3
Iohena Haller war ihrem Manne in den Tod voraufgegan-
gen. Später hat man es unterlassen, auf dem schon für beide
Ehepartner vorgesehenen Stein das Todesdatum des zuletzt Ge-
storbenen einzusetzen. Die Inschrift ist beschädigt und das To-
desjahr der Iohena Haller nicht mehr voll leserlich. Die dritte
Ziffer fehlt.
ANO 1732 DEN 28 APRIL STARB
DER EHRSAMER JOHANNES FOBER-
JAN ANNO .17... DEN .. STARB
DIE EHRSAME MARIA KERF GEWESENE
EHELEUTH ANNO 1730 DEN 1 OC
TOBER STARB ANA MARIA FOBERJAN
Nach dem Tode der Maria Kerf hat man auf dem Grab-
stein ihren Todestag nicht eingefügt, obwohl der Steinmetz
eigens dazu Raum gelassen hatte. Die Anna Maria Fober-
jan war vielleicht eine Schwester des Verstorbenen. Eigentüm-
lich berührt uns heute das ”gewesene Eheleuth”, das hier zum
ersten und einzigen Male in Hergenrath die ”gewesene Haus-
frau” ersetzt und den Ehemann mit einbezieht. Auffallend ist
auch das Fehlen jedwegen frommen Spruches. ‘7
Ba AS
) 5 FR DZ
0x CO
0 Aa
; 2 U
K Ban he %. En
54
ANO 1736
DEN 10 8BRIS IST IM HEREN
ENTSCHLAFFEN DER EHRSAME
UND WOLACHTBAERER IOES
DOBBELSTEIN GEWESENER
SCHEPEN TOT KELMES
REP
Johannes Dobbelstein war also ”Schöffe” zu Kelmis. ”Ehr-
sam und wohlachtbar” war er, kurz : ein sehr angesehener
Mann. Vom reich und naturalistisch verzierten Grabstein ist man
inzwischen wieder zum Normalkreuz zurückgekehrt. Villeicht ’
verdanken wir die schönen Kreuze gegen Ende des 17. Jh. nur
einem vorübergehend hier tätigen Steinmetz.
ANNO 1739
DEN 27 MARTIUS IST DER ERSAHMEN
LAMBERT BOCBEN IN DEN HERREN
ENTSCHLAEFEN UND ALHEIR BEGRABEN
UND SEINE HAUSFRAUW LEIBETH
KLOCKER STARB DEN 3 FEBRUARI
1745
In dieser Inschrift steht das ”S” auf dem Kopf. Auch hier
fehlt die fromme Schlußformel.
AO 1753 DEN 3 8BRIS
OBIIT ELISABET ROJENS HW
SVRAUW DES EHRSAMEN FRA
CIS RENIRKN GOTT TROST DIE
SEEL AMEN
Beim Buchstaben ”N” läuft in dieser Inschrift der Quer-
strich von unten nach oben. Es ist der einzige Fall dieser Art.
Es ist auch das einzige ”obiit” (= verstarb), das wir in Her-
genrath finden. Der Name Renirkn, für den es in den letzten
200 Jahren viele Schreibweisen gegeben hat, besteht heute noch.
(Renericken). Elisabeth Rojens wird das Prädikat ”tugentsam”
nicht gegeben, dafür legt sich der überlebende Partner, voraus-
gesetzt, daß er der Verstorbenen diesen Grabstein errichtete,
das schmückende Beiwort ”ehrsam” zu.
55
Mehr als zwei Dutzend Grabkreuze haben wir in Eile Re-
vue passiert. Sie sind sehr unterschiedlich in Form, Material
und Schrift, Nur einige wenige können wir im Bilde vorstellen.
Vielleicht wird der eine oder andere Leser jedoch angeregt,
selber einen kleinen Streifzug über den Friedhof zu machen und
mit offeneren Augen die Zeugen der Vergangenheit zu betrach-
ten.
56
Das Portrait
von Dr. G. De Ridder
Die Vereinigung hat es sich zur Aufgabe gemacht, in jedem
Heft einen Heimatkünstler unter diesem Titel vorzustellen, Das
Skizzieren des Wesens des Künstlers und seines Werdegangs sol-
len uns in sein Schaffen einführen. Mit unserer Darstellung
möchten wir unseren Lesern Zugang und Orientierung vermitteln
über das, was auf dem Gebiet der Kunst im allgemeinen in un-
serer Heimat geschieht.
Der Maler Hermann Scheiff wurde am 28. 10. 42 in Hauset x
geboren, wo er auch die Volksschule besuchte. Nach der Reife-
prüfung studierte er an der ”Normalschule” in Verviers, wo er
1962 das Lehrerdiplom erhielt ; dann war er bis 1965 in seinem
Heimatdorf in Hauset als Lehrer tätig. Seit 1966 lehrt er an der
deutschsprachigen Vorbereitungsabteilung der Staatlichen Mittel-
schule Kelmis.
Volles Verständnis und große Unterstützung erfährt der
Künstler durch seine Gattin, Frau Elisabeth Halmes. Ihre Kin-
der, ein Mädchen und ein Junge, standen dem Künstler schon
des öftern Modell.
Mit der Malerei beschäftigte sich Hermann Scheiff intensiv
seit 1967, was zu seiner Aufnahme in die Zeichenakademie ABC
zu Paris als studierendes Mitglied führte.
Stellte er bisher vorwiegend Blumen, Tiere, Landschaften,
Portraits etc. zeichnerisch oder malerisch dar, so entdeckte er
1970 seine persönliche Ausdrucksweise : Inmitten überwältigen-
der Naturgewalten der Schöpfung ist der Mensch Leitmotiv, um-
geben vom wildbrausenden Meer, von fast erdrückenden Felsen
und geheimnisvollen Grotten. Der Künstler sieht den Menschen,
der sich dem unaufhaltsamen Wandel in der Natur gezwungener-
maßen anpassen muß, mit seiner Freude, seinem Leid, seinen
Gefühlen, kurzum mit all seinen Problemen und wünscht aus
diesem Moment heraus den Betrachter anzusprechen, vor allem
möchte er anregend sein, selbst weiterzusuchen und weiterzuden-
ken. Darin besteht sein Hauptanliegen. Er übersetzt seine Ein-
drücke, damit auch seine Aufgabe, besonders gerne in Aquarel-
57
le und vermag durch Farbe - ein lebhaftes Rot bis Violett, ein
krasses Grün, ein beunruhigendes Blau - und durch Anwendung
von Symbolen das alles auszudrücken : Kreise versinnbildlichen
den menschlichen Körper, unterbrochene Pfeile die Unbestän-
digkeit. Felsen sind Sinnbild der scheinbaren Beständigkeit, der
Stabilität, und Grotten Sinnbild des scheinbaren Schutzes.
Stalagtiten und Stalagmiten sind Symbol der Endlosigkeit, der
Fatalität des langsamen, unaufhaltsamen Lebens. Im Wasser
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sieht er die geheimnisvolle Tiefgründigkeit und Unaufhaltsamkeit
des Schicksals. ”Nicht - Figuratives” wird Konkret dargestellt.
Irgendwelchen Stilepochen lassen sich die Aquarelle noch nicht
zuordnen, einzig und allein versucht der Künstler, etwas Persön-
liches zu schaffen.
1971 gelang es Hermann Scheiff, eine von Erfolg gekrönte
Gemäldeausstellung in Kelmis zu eröffnen, dieser folgte eine
zweite, ebenso erfolgreiche im Herbst 1972. Viel Anklang fand
eine Ausstellung seiner Gemälde im Mai 1973 in Chapelle Les-
Herlaimont bei Charleroi. Im Kulturzentrum in Brüssel wurden 4
seiner Gemälde 5 Monate lang ausgestellt. .
Die vieldeutigen Illustrationen zu dem Gedichtband von
Leo Wintgens : ”Aus der Presse”, der im Mai 1973 als Sonder-
druck in unserer Schriftenreihe erschienen ist, sind bleibende
Zeugen aus dem Schaffen Hermann Scheiffs.
59
Stunde der Entscheidung
von M.-Th. Weinert
Die Schale neigt sich,
gefüllt bis zum Rand -
seht, wie sie schwankt
im Winde der Wüste !
Schon netzt die Feuchte den Sand ...
Traget die Schwankende
sicher im Lot,
hebet die Sinkende
wider den Tod!
Im Winde der Wüste
haltet die schwebende
Schale mit Wasser
für uns Überlebende !
60
Fröhliche Jugenderinnerungen an
Neutral-Moresnet
von Wilhelm Dithmar
Mein Großvater, der Geheimrat Dr. Molly, war schon ein
Original. Er war ein ungekrönter König in der ”Republik” Neu-
tral - Moresnet. Unter einer rauhen Schale verbarg sich ein gutes
Herz, was ihn so volkstümlich und beliebt machte. Zudem war
er ein vortrefflicher Arzt von Schrot und Korn, der immer zur
Hand war, wenn man ihn benötigte. Noch manch einer der älte-
ren Generation rühmt sich, daß der Herr Sanitätsrat an seiner °
Wiege gestanden hat. Es wird erzählt, daß manche arme Wöch-
nerin später einen Taler unter dem Kopfkissen gefunden habe.
Dabei ist der Herr Rat niemals begütert gewesen, denn
Großvater scheute sich Rechnungen auszustellen. Ich habe es
selbst erlebt, wie ein Bauer kam und wollte zahlen, weil er den
Doktor in der Nacht seiner Frau wegen bis nach Astenet bestellt
hatte. Mein Großvater stapfte mit großen Schritten durchs Zim-
mer und brummte : ”Was soll ich ihm rechnen ? Eurer Frau hat
ja gar nichts gefehlt !”
Großmutter war froh, die regelmäßigen Einkünfte der
”Vieille Montagne” einstecken zu können, um ihre vielköpfige
Familie zu ernähren.
Wenn im Dezemberheft 71 steht, der Herr Rat habe sich
vielleicht aus finanziellen Gründen zu der Herausgabe von eige-
nen Freimarken für Neutral-Moresnet zur Verfügung gestellt, so
kann ich das nicht ganz glauben, denn auf Geld hat er nie Ge-
wicht gelegt. Wohl sammelte er leidenschaftlich Freimarken (wie
auch Münzen). Seine Sammlung war eine Sehenswürdigkeit.
Dies wird ihn wohl dazu bewogen haben, auf diese Art und
Weise den in der Welt vorhandenen Schatz an Freimarken ver-
mehren zu wollen. So versuchte er, diese Idee zu verwirklichen.
Das Refugium Neutral - Moresnet lag ihm sehr am Herzen.
So hat er einige Jahre später in diesem kleinen Gebiet einen
”Esperanto - Staat” gründen wollen. Großvater sprach viele tote
und lebende Sprachen und wandte sich auf der Höhe seines Le-
bens dem Esperanto zu. Zu Neutral- Moresnet wurden im
Schützenlokal große Veranstaltungen aufgezogen. Ich sehe noch,
61
wie meine viel ältere Schwester zwischen einzelnen Vorträgen
Lieder auf Esperanto sang. Die ganze Sache kam aber ebenso
wenig in Fluß, wie die schnell von den Regierungen abgeblasene
Freimarkenaktion. Aber immerhin erhielt Molly von Neutral -
Moresnet eine Ehrenbürgerurkunde,
Seine Praxis reichte weit über die engeren Grenzen hinaus.
Bis weithin in den belgischen Raum verlegte er seine Tätigkeit.
Außer der Grube ”Vieille Montagne” betreute er auch die Non-
nen- und Männerklöster im weiten Umkreis.
Wie angesehen Molly bei den staatlichen Behörden war,
geht daraus hervor, daß Belgien nach Eindämmung einer Epide-
mie ihm einen hohen Orden zuerkannte, die ”Croix Civique”.
Von preußischer Seite erhielt er neben dem Titel ”Geheimer
Sanitätsrat” den Kronen- und Roten - Adler Orden. Im Kriege
1870/71 hatte er sich das Eiserne Kreuz und andere Auszeich-
nungen erworben. (Diese sind noch alle in meinem Besitz.)
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Dr. Molly im Ordensschmuck
62
Molly wohnte auf der ”Jansmühle”. Das langgestreckte
Haus war, über und über mit Efeu überzogen. Davor lag ein
großer Park mit hohen Bäumen und einigen Brunnen, Im Unter-
geschoß waren, so im Wohnzimmer, größere Löcher an der Decke
angebracht. So konnte die Wärme in die Schlafzimmer ziehen.
Wir haben als Kinder durch diese Löcher hinabgeschaut, wenn
Besuch da war, und wir zusehen mußten, wie die Gäste alle
Kuchenstücke aufaßen, so daß für uns nichts mehr übrig blieb.
Großmutter, die sparsame Hausfrau, war eine geborene Bender
aus Koblenz. (Die großen Ölgemälde des Urgroßvaters und Ur-
urgroßvaters Bender (früher in Mollys ”Ahnengalerie”) hängen
jetzt vor mir in meiner Heimstube.) €
Wenn wir die Großeltern von Aachen aus besuchen wollten,
dann mußten wir entweder zu Fuß über Bildchen laufen oder
mit der Bahn bis Hergenrath fahren und von dort durch herrli-
che Wiesen, auf denen die ”Galmeiveilchen” standen, hinab-
spazieren.
Großvater hatte einen großen Freundeskreis innerhalb der
Altenberger Familien. Meist trafen sich die alten Herren im
”Casino”. Die Bruchs von der Filzfabrik, von der ”Vieille Mon-
tagne” Direktor Braun und Abteilungsleiter Markstein. Dann die
beiden Bürgermeister der preußischen und der belgischen Seite,
Baron von Nellessen von der Emmaburg, die Apotheker Dovifat
und Michels, Pfarrer List und Hauptlehrer Clahsen.
Wahre Geschichten und Anekdoten haben sich um. diesen
Mann gerankt und werden teilweise auch heute noch erzählt.
Von Zeit zu Zeit erschien bei Mollys der Aachener Platt-
dichter und Hauptschullehrer Branchard, Dieser hätte für seine
Schule gar zu gerne einen Skorpion gehabt aus der Käfer- und
Schmetterlingsammlung meines Großvaters. Doch er bekam ihn
nicht. Trifft Branchart eines Tages meinen Onkel Hermann und
sagt zu ihm : ”Hermann, ding Vadder hat so nen feinen Skor-
pion, aber meinst du, den gibt er mich? Auf den Knien habe ich
schon vor ihm darum gelegen. Weißt du was, Hermann! klau’
ihn mir, dann bete ich auch für dich!”
Die Familie Molly besuchte des öftern auch ein junger
Mensch, der unter dem Namen Kraus - Segommer später als
64
”Knubbeln” auf dem Kopf habe, dann würden diese mit der
Teufelsmaschine durchgeschnitten.
Herrlich waren die Festlichkeiten ”auf dem Altenberg”. Zu
Fastnacht, aber besonders an schönen Sommertagen. ging es im
Casino hoch her. Kähne mit leuchtenden Lampions glitten bei
Musik über den Weiher. Beliebt, auch in Aachen, war die Alten-
berger Kirmes, Auf der linken Seite, von Aachen aus gesehen,
standen die deutschen Buden und Karussells, (Wir Enkelkinder
durften umsonst fahren, da Großvater die Schausteller auch um-
sonst behandelte.) Auf der neutralen Seite standen die belgischen
Glücksbuden, die in Preußen verboten waren. 7
Das größte Fest aber, das ich jemals erlebt habe, war das
50jährige Arztjubiläum Mollys, das unter Anwesenheit der Fa-
milie und der ”Prominenz” im Casino abgehalten wurde. Ein
Fackelzug von Fast 3 Stunden zog an Großvater vorüber. Die
ganze Bevölkerung war auf den Beinen. Die Schützenvereine al-
ler umliegenden Dörfer und aus Aachen, Die Feuerwehr, soweit
sie abkömmlich waren. Die Bürgervereine mit ihren Bürgermeis-
tern. Dazu ein Musik- oder Fanfaren-Corps hinter dem andern.
Das Fackellicht erhellte den Himmel und spiegelte sich im Was-
ser wieder.
1919 schloß Großvater nach kurzer Krankheit seine Augen.
Drei Monate vorher hatte er fast auf den Tag seinen Tod vor-
ausgesagt. Auf dem Kirchhof hinter der kleinen Evangelischen
Kirche liegt er begraben, der ungekrönte König von Neu - Mo-
resnet.
Wie schon gesagt, hatte Großvater seine Frau aus Koblenz.
Dazu wurde folgende Anekdote erzählt und zur goldenen Hoch-
zeit zum besten gegeben : ”Großvater absolvierte den Reserve-
dienst als Stabsarzt in Koblenz und verkehrte im Hause des Ge-
fängnisdirektors Bender. Eines Tages führte Molly den alten
Herrn ein bis zwei Stunden herum und druckste mit Worten, bis
Bender fragte, was mit ihm los sei, ob er Schulden habe. Jetzt
nahm sich Molly ein Herz und bat um die Hand der Tochter
Wilhelmine. Da seufzte der alte Herr und sagte : ”Ach Gott,
Molly, dafür brauchten Sie mich nicht durch die Gegend zu
schleppen. Die können Sie haben!”
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Frau Dr. Molly geb. Bender
Der Autor dieser Jugenderinnerungen ist der bekannte Aachener Pu-
blizist und Schriftsteller Wilhelm Dithmar. Die zweite Tochter des Ge-
heimen Sanitätsrats Dr. Molly, Clara Molly, heiratete in Aachen den
Drogisten Ferdinand Dithmar. Wilhelm Dithmar, heute 77 Jahre, ist
das 5. und jüngste Kind der Familie Dithmar. Von den Onkeln und
Tanten lebt nur noch die Gattin des ältesten Sohnes Hermann Molly.
66
Fauna und Flora in der Kelmiser Gegend
von Louis Bindels
Wie ich erfahren konnte, hat mein erster Artikel über Fau-
na und Flora zu lebhaftem Gelächter angeregt. Von wegen
Brennesseln im Garten u.s.w., um ein paar Schmetterlinge zu
retten !
Dieses Gelächter stört mich aber viel weniger als die Fest-
stellung, mit welcher Unbekümmertheit wir dies alles hinnehmen.
Wir benutzen zum Beispiel Fliegenspray, haben jedoch da-
nach auch mitansehen müssen, daß der Goldfisch in seinem
Glase sich in einen mausetoten Rückenschwimmer verwandelt
hatte. Man gestatte mir also anzunehmen, daß dieses völlig un-
schädliche Gift nicht nur in Ihrem Goldfischglas landete.
Wegen der Tollwutgefahr wurden die Füchse vergast, ver-
schafften dadurch aber auch allen kranken Kleintieren die Mög-
lichkeit, ihre vielleicht ansteckenden Krankheiten weiter zu ver-
breiten,
Die Obstplantagen werden natürlich auch gründlich mit
Gift bearbeitet und dort holen unsere heimischen Vögel dann die
vergifteten Raupen, womit sie ihrerseits ihre Jungen vergiften.
Da aber die Ärzte immer wieder daran erinnern, alles
Obst vor dem Essen gründlich zu waschen, dürfte man berech-
tigte Zweifel an der richtigen Dosierung des Giftes hegen. Für
jede Art Insekten steht uns Gift zur Verfügung.
Die Vergiftung der Luft besorgen unsere Fahrzeuge, Fa-
briken u.s.w. Für die Verseuchung der Gewässer sorgen wir
dann alle miteinander, mit einer Unzahl Chemikalien, die alle
ins Sammelbecken Meer fließen, wo sie wieder verdunsten und
als segensreicher Regen wieder auf unsere Felder gelangen, wenn
sie nicht mit dem Speisefisch unseren Küchenzettel bereichern.
- So, und nun sägen wir unter schallendem Gelächter fleißig
67
weiter an dem Ast, auf dem wir selber sitzen.
Wie die Insekten von uns beurteilt werden, läßt sich leicht
an folgender Beobachtung feststellen : Will zum Beispiel ein
dicker Käfer vorbeikrabbeln, so findet er meist ein klägliches
Ende unter unseren Schuhsohlen, ähnlich ergeht es den Spin-
nen. Wieviele Marienkäfer, Bienen und Hummeln sterben den
Hungertod in Gläsern, in die unsere Kinder sie einsperren ! Die
einen, weil sie uns nicht gefallen, die anderen weil sie schön
sind. Und doch sind sie alle nützlich.
Ein Eichhörnchen dagegen, dem würde wohl niemand. et-
was antun, obgleich es mehr Schaden anrichtet als Gutes; es
plündert nämlich mit Vorliebe alle nur erreichbaren Vogel-
nester, benagt Baumrinden, beißt junge Triebe und Knospen ab
und zernagt Tannen-, Fichten- und Kiefernzapfen,
Lassen wir uns nicht zum Töten verleiten wegen Mißfallen
oder Volkssagen.
Der große Mäusebussard (irrtümlicherweise vom Volks-
munde ”Kükedief” genannt) ist höchstens nur noch mit zwei
oder drei Pärchen in unserer Gegend ansässig, denn erstens wur-
den sie als angebliche Feinde des Hühnerhofs abgeschossen,
zweitens legt das Weibchen nur zwei Eier in den Horst. Diese
Greifvögel werden dazu in ihrer Nahrungssuche noch oft behin-
dert durch Schwalben und ganz besonders durch Stare, die hier
in großer Anzahl auftraten, als es hier noch Maikäfer gab.
Da der Bussard ein sogenannter Segler ist, greifen die Stare
zu einer besonderen List : sie ballen sich zu einem dichten
Knäuel zusammen und rasen dann in voller Fahrt unter ihn
durch, so schaffen sie dann ein Luftloch, in das der Bussard
immer wieder hineinpurzelt, und so vermiesen sie ihm seine
Jagd, bis er endlich entmutigt abzieht.
Genauso sagt der Volksmund vom Kuckuck, er wäre in
seinem ersten Lebensjahr ein Sperber. Wenn ich so die Vogel-
nester suche und dabei eins finde mit einem Kuckucksei, so bin
68
ich selbst oft versucht es herauszunehmen, aber die Natur hat
es nun einmal so eingerichtet und so wird es wohl auch richtig
sein, denn unser Frühlingsbote macht seine Untugenden da-
durch wieder gut, daß er in seiner Freßgier unzählige lang-
haarige Raupen vertilgt, die außer ihm wegen des Giftreizes
ihrer Haare keine nennenswerten Feinde haben.
Der Eisvogel, - im vergangenen Jahr war noch ein Pärchen bei
uns zu Gast - wird uns wohl schon sehr bald verlassen, da seine
Fischgründe wegen der Wasserverseuchung bald erschöpft sein
werden ; schade um diesen prächtigen Vogel. Einigermaßen gut
dagegen halten sich noch die zwei Pärchen Fischreiher, die ih- )
ren Namen auch zu Unrecht tragen, denn sie ernähren sich
hauptsächlich von Kerbtieren, statt, wie der Volksmund sagt,
von Fischen. Ihre Überlebenskunst verdanken sie den kleinen
Bächen, wo sie noch genug Frösche und Kerbtiere finden.
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Die eine Münze trägt auf der Vorderseite in Janusform die
Köpfe Leopold I. von Belgien und Friedrich Wilhelm IV. von +
Preußen, darüber zwischen Perlschnüren die Umschrift :
SUB DUPLICI PRAESIDIO LIBERTAS X 1848 X
Die Vorderseite der zweiten Münze trägt die Aufschrift :
VIVRE ET PROSPERER SOUS LA DOUBLE PROTECTION
DE LA PRUSSE ET DE LA BELGIQUE (Leben und gedei-
hen unter dem doppelten Protektorat Preußen und Belgien).
Die Rückseite beider Münzen führt im Perlkranz die Um-
schrift : COMMUNE LIBRE DE MORESNET (Freie Gemein-
de von Moresnet). Unter zwei verschlungenen Händen und Ei-
chenzweigen das preußische und das belgische Wappen, in bei-
den aber Adler und Löwe ohne Krone ; über den Wappen der
Freiheitshut.
Beide Münzen waren Zweifrankstücke in Silber mit Riffel-
rand von 9,418 g. Aber trotz der zugesicherten Freiheit für Neu-
tral-Moresnet war die Ausprägung nicht von langer Dauer.
Die Münzen trugen keine amtliche Prägung und wurden
nicht als Währung zugelassen,
Das amtliche Zahlungsmittel in Moresnet blieb deutsches
und belgisches Geld.
Im Vertrag von Versailles 1919 wurde Moresnet von Bel-
gien annektiert und damit wieder einer normalen Verwaltung zu-
geführt.
7
80 Jahre Sankt Leonhard Verein in Kelmis
von Peter Zimmer
In diesem Jahr kann der ehemalige ”Altenberger Berg-
mannsverein”, heute : ”Verein der Bergleute und Schaffenden
Sankt Leonard” auf sein achtzigjähriges Bestehen zurückblicken.
Da schon in Heft zwei und vier unserer Zeitschrift über
die Entstehung und Tätigkeit dieses Vereins berichtet wurde,
ist heute der geeignete Anlaß vorhanden, um an dieser Stelle
über Herkunft, Leben und Verehrung des Heiligen zu schreiben,
dessen Namen der Verein trägt, zumal es zwei Heilige dieses
Namens gibt, deren Festtage im November gefeiert werden :
Sankt Leonhard von Noblat am 6. November und der des Hl.
Leonhard von Porto Mauritio am 26. November. Gleichfalls im
November, und zwar am 18., feiert die Kirche das Fest des se-
liggesprochenen Märtyrers Leonard Kimoura.
Sankt Leonhard von Noblat, um den es sich in Kelmis han-
delt, ist einer jener Heiligen, die sich im Laufe der Jahrhunderte
einer weitreichenden Verehrung erfreut haben,
Im Göhltal trägt nicht nur der Kelmiser Verein seinen Na-
men, sondern auch der im Jahre 1937 in Bleyberg gegründete
Bergmannsverein ; auch kommt der Name dieses Heiligen in hie-
siger Gegend als Vorname in verschiedenen Ausdrucksweisen,
Lejenad, Leng, Lieno, Lenaar, Nä und Nades, recht häufig vor.
Sein Todestag wird mit dem 6. November angegeben und
seit 80 Jahren finden in Kelmis am ersten Samstag oder Sonn-
tag vor oder nach diesem Datum ihm zu Ehren kirchliche und
weltliche Feiern statt.
Dieser Leonhard wurde um das Jahr 494 unter der Herr-
schaft des Königs Chlodwig, der auch sein Pate wurde, als Sohn
edler fränkischer Eltern geboren. Er wuchs zunächst am Hofe
des Königs auf und beschloß dann, als Schüler des Abtes von
Micy sowie des Heiligen Remigius, des großen Bischofs von
Reims, Kleriker zu werden. Als der König zu erkennen gab, daß
er ihn zum Bischof ernennen wollte, zog er sich zuerst in ein
Kloster bei Orleans und später in die Einsamkeit nach Aqui-
tanien zurück, um dort als Diakon zu lehren und vor allem
72
durch Nächstenliebe das noch junge Christentum zu festigen.
Während seines Aufenthaltes in Micy wirkte er eines seiner
ersten Wunder. Als er an einem Weihnachstag einem Armen
den für das Meßopfer bestimmten Wein zu trinken gegeben
hatte, holte er, um diesen zu ersetzen, Wasser aus einem nahe-
gelegenen Brunnen. Dieses verwandelte sich in Wein. Viele an-
dere Wundertaten folgten, indem er Kranke mit der Reliquie
des Heiligen Kreuzes segnete.
Um das Jahr 520 verließ er Micy und begab sich auf den
Weg ins Limousin. Durch seine große Nächstenliebe gewann er
während dieser langen und mühsamen Reise die Sympathie der
Bewohner dieser Gegend ; sie wurden von ihm belehrt und be-
kehrten sich.
Dann führte ihn der Weg in den großen Wald Pauvain, wo
er sich als Einsiedler niederließ, um in der Einsamkeit Gott und
seinem Mitmenschen durch Gebet und Werke der Nächstenliebe
zu dienen.
Trotz der Verborgenheit, in welcher er lebte, entdeckten
bald Jäger seinen Aufenthaltsort und viele Menschen suchten
ihn. mit ihren Sorgen und Nöten auf. Er verkündete ihnen das
Wort Gottes und spendete Hilfe und Trost. So entstand bald
in der Nähe seiner Klause ein Zentrum religiösen Lebens.
Eines Tages aber trug ein Ereignis dazu bei, daß sein Na-
me großes Ansehen erlangte und er neue Wohltaten und Wun-
derwerke vollbringen konnte. Am anderen Ufer der Vienne
hielt sich in einem Jagdschloß der Frankenkönig (vermutlich
Theodebert I.) mit seiner Gemahlin auf, die von einer schweren
Geburt überrascht wurde und dem Tode nahekam. Als alle ärzt-
lichen Versuche, sie am Leben zu erhalten, fehlschlugen, ließ
der König Leonhard zu sich rufen und bat ihn, seine Gemahlin
zu retten. Leonhard erwiderte ihm, daß ihm dies nicht mit
menschlichen Mitteln möglich sei, sondern nur durch Jesus
Christus, der schon oft sein Gebet erhört habe. Daraufhin führt
man ihn an das Sterbebett der Königin, wo er innig zu Gott
flehte, ihr Leben zu erhalten. Sein Gebet wurde erhört, die Kö-
nigin blieb am Leben und ihr Kind erblickte gesund das Licht
der Welt.
73
Tief beeindruckt durch diese Wundertat bot ihm der König
aus Dankbarkeit alle Gold und Silberschätze des Schlosses an,
Leonhard aber lehnte ab. Dann wollte der Frankenkönig ihm
den ganzen Wald schenken. Auch diesen nahm er nicht an, nur
einen Teil desselben erbat er sich und zwar den Teil, den er,
einer germanischen Rechtssitte gemäß, während der Nacht mit
einem Esel umreiten könne. Der König nahm seinen Vorschlag
an und erteilte ihm dazu noch die Erlaubnis, die Gefängnisse zu
besuchen.
Seit dieser Zeit galt seine besondere Liebe und Sorge den
Gefangenen, die er Kraft besonderer königlicher Privilegien aus
der Kerkerhaft befreite. Er schenkte ihnen ein Stück seines Wal-
des, wo sie sich niederlassen und ein neues Leben beginnen
konnten,
Auch Leonhards Angehörige erfuhren bald seinen Auf-
enthaltsort und kamen mit Frauen und Kindern zu ihm. Auch
ihnen gab er Stücke seines Waldes und so entstand in der Nähe
der Kapelle, die er unter dem Namen ”Chapelle Notre-Dame
de sous les Arbres” erbaut hatte, eine Kolonie, die der Ursprung
der heutigen Stadt Saint-Leonard-de-Noblat wurde.
Diese Kapelle blieb bis im Jahre 1793 erhalten. Heute zie-
ren einige schöne Steine derselben die Wand eines Hauses,
welches an der gleichen Stelle erbaut wurde. In dieser Kapelle
verstarb St. Leonhard am 6. November 559. Da seine Gebeine
fast drei Jahrhunderte dort ruhten, war sie während dieser Zeit
ein viel besuchter Wallfahrtsort.
Danach faßten Geistliche, welche die sterblichen Überreste
des Heiligen hüteten, den Entschluß, mit den Anwohnern eine
Kirche zu erbauen, um die Reliquien würdiger unterbringen und
die Pilger besser empfangen zu können. Da es ihnen aber schwer
fiel, die geeignete Stelle für den Kirchenbau zu bestimmen, ent-
schlossen sie sich, drei Tage lang zu fasten und zu beten, um
ein Zeichen vom Himmel zu erlangen. Während der dritten
Nacht fiel dann plötzlich Schnee und bedeckte die Erde, nur
eine Stelle unweit der Kapelle blieb frei von Schnee und. alle
deuteten dies als Hinweis, dort die Kirche zu erbauen.
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Reliauienschrein aus dem XI. Jahrhundert
Der Kirchenbau wurde unter der Herrschaft von Ludwig
dem Frommen in den Jahren 814 - 840 vollendet. Die Reliquien
des Heiligen befanden sich in diesem Bau, bis man im elften
und zwölften Jahrhundert die jetzige Kirche erbaute.
} Die größte Kundgebung des Glaubens und des Vertrauens
wurde dem Heiligen aber im Jahre 1094 in Noblat zuteil, als
eine schreckliche Epidemie Stadt und Umgebung schwer heim-
suchte und viele Todesopfer forderte. Geistliche und Gläubige
beschlossen eines Tages, den Schrein mit den Reliquien in einer
Prozession den Hügel von Champmain hinaufzutragen. Die
Kranken nahmen in Doppelreihen an den Straßenseiten Auf-
stellung. Sobald der Schrein in ihre Nähe kam, berührten sie
ihn und flehten betend um Heilung. Wie alte Chroniken berich-
ten, geschah dann das Wunderbare : alle Kranken, die den
Schrein berühren konnten, spürten sofort Linderung ihrer
Schmerzen. Daraufhin beschloß man den Weg noch einmal zu
gehen, um jedem Kranken die Gelegenheit zu geben, den Schrein
zu berühren und alle, die am Wege standen, gingen geheilt nach
Hause,
Zur Erinnerung an diese Wunder wird auch heute noch
alljährlich am elften August eine Prozession veranstaltet.
7
Im elften Jahrhundert, als bewaffnete Ausgabeen die Gegend
überfielen, wurden die Reliquien aus Furcht vor Diebstahl und
Verunehrung an einem sicheren Ort versteckt und die Krypta, in
der sie sich befanden, zugemauert. Als einige Jahrhunderte später
dann wieder Ruhe und Ordnung eintrat, wußte keiner mehr das
Versteck zu finden. Die Einwohner beschlossen auch diesmal
wieder, wie ihre Vorfahren, gemeinschaftliche Betstunden ab-
zuhalten und zu fasten, in der Hoffnung und in dem Glauben,
die Reliquien dadurch wiederzufinden. Eines Tages, als wieder
viele zu diesem Zweck versammelt waren, erhob sich plötzlich
ein Mann aus der betenden Menge, schritt zum Altar und deu-
tete mit seinem Stock eine Stelle an, indem er sagte : ”Hier an
dieser Stelle werdet ihr unter der Erde vergraben bestimmt die
Reliquien finden.” Ob dieser Mann durch eine übernatürliche
Eingebung diese Offenbarung machte, oder ob er das Versteck
durch eine Überlieferung seitens seiner Vorfahren kannte, weiß
man nicht. Jedenfalls glaubte man seinen Worten und fand,
nachdem man die Erde aufgegraben hatte, einen Steinsarg, in
welchem sich drei Reliquienkästchen mit Überresten des Heili-
gen befanden.
Das Datum dieses Fundes wird mit dem 17. Februar 1403
angegeben und alljährlich gedenkt man auch heute noch dieses
Tages durch Feierlichkeiten, welche am ersten Sonntag nach
dem 17. Februar in der königlichen Stiftkirche Saint-Leonard-
de-Noblat, stattfinden. Die Reliquien wurden aber nicht mehr
in der Krypta untergebracht, sondern in der Kirche über dem
Hauptaltar aufgestellt. Alle sieben Jahre werden zu ihrer Ver-
ehrung in der Zeit von Ostern bis zum Dreifaltigkeitsfest be-
sondere Feiern veranstaltet.
Im Laufe der Jahrhunderte aber konnten diese Siebenjahr-
Feiern, durch Unruhen und andere Geschehnisse, nicht immer
regelmäßig stattfinden. Die Reliquien wurden sogar durch ein
Dekret vom 23. November 1793 vorübergehend nach Limoges
und später nach Paris gebracht.
Seit dem Jahre 1890 aber befinden sie sich wieder in zwei
herrlichen Reliquienschreinen und einem vergoldeten Kupfer-
77
Der Tarif
von Gerard Tatas
Et Ketsche en der lange Jang,
Die sette op en Bank at lang
En wüere jäer en Stond alleng.
Mä, leider Joddes, jett dat jeng.
Se döjde sech ens jäer e witschke
En jöve sech och jäer e Pütschke,
Mä vör hön wie ne Poste steht
Et jongste Brör’ke van et Ket.
Dä kikt en jappt en blitt do stue,
En makt jeng Mien ens vut te jue,
”Hej, Alexander, - sätt der Jang -
Hej, Jöngske, haste vovtie Frang !
Do kannste dech jätt jue vör jäle,
En bliv da och noch mer jätt späle !”
”Dow bruks net, - sätt der Alexander -
Mech mie te jäve wie die ander.
Hej haste tien Frang werrem tröck,
Ech jonn vör e Vovfrangestöck !”
78
Tätigkeitsbericht 1972
von Gerard Tatas
25 Mitglieder waren zu der Generalversammlung am 30. Januar im
Hotel Reinartz, Neu-Moresnet, erschienen, darunter Pfarrer Olbertz,
Kulturinspektor Pauquet und die Mitglieder des engeren Vorstandes :
Frl. Xhonnevx und die Herren Wintgens, Steinbeck. Dr. Aldenhoff,
Bertha und Tatas. Auch hatte sich der Bergbauexperte P.J. Felder mit
Kollegen aus Maastricht eingefunden. Anstelle des erkrankten Präsiden-
ten P. Zimmer übernahm der 2, Vorsitzende, L. Wintgens, den Vorsitz.
Der vom Protokollführer G. Tatas verlesene Tätigkeitsbericht 1971 wies
zwar weniger öffentliche Veranstaltungen als in den Voriahren auf, gab
aber dafür einen detaillierteren Überblick über die internen Arbeiten .
des Verwaltungsrates, der im Laufe des Jahres das primäre Problem
der Lokalbeschaffun®“ lösen konnte. Diesem ausführlichen Protokoll
folgte der Kassenbericht von F. Steinbeck. Die verschiedenen Posten
ergaben folgendes Endresultat: Finnahmen 102.096 Fr., Ausgaben
56.572 Fr., Kassenbestand am Jahresende: 97.738 Fr. - Nach diesen
Berichten behandelte die Versammlung im Rundgespräch die Themen :
Organisierung mehrerer Fahrten nach Waterschei zwecks Grubenbesich-
tigung, Programmierung des Vortrages von Herrn Felder ”5000 Jahre
Bergbau im Limburgischen Raum” und Einrichtung der Lokalräume.
Dr. Aldenhoff stellte die Frage nach dem Kustos. Vorgeschlagen für
dieses Amt wurde Herr De Ridder, der seine Bereitschaft dazu erklärte.
Der Kulturinspektor Pauquet und Herr Felder boten ihm Hilfe in Form
von technischen Beratungen an. Am Ende der Versamm'ung gab es
durch A. Janssen einen interessanten Vortrag aus der vereinseigenen
Diasammlung mit Motiven aus dem Göhltal.
Auf der Verwaltungsratssitzung am 7. März in der Patronage zu Kelmis
nahm man Kenntnis von einem Schreiben, daß das Interesse einer
Studentin aus der Genter Gegend an der Tätigkeit der Vereinigung
bekundete. Unter Punkt Mitteilungen wurde auch ein Schreiben der
Direktion für Kulturelle Angelegenheiten der Provinz Lüttich verlesen,
das die Verweigerung eines Technischen Beraters für die Einstudierung
der Krippenspiele zum Inhalt hatte. Die Versammlung entschloß sich
dann, aus den eingegangenen Buchprospekten aus dem holländischen
Limburg 4 heimatkundliche Werke zu bestellen. Zum Preise von 800 Fr.
wurde auch die Festschrift zum Kongreß der Gesellschaft für Archäo-
logie, Geschichte und Folklore Belgiens in Malmedy erworben. Weitere
Punkte der Tagesordnung : Technische Einzelheiten bezüglich des Miet-
vertrags und Bestätigung der Veranstaltunsdaten.
Am 30. April fand wieder eine Busfahrt nach Waterschei zur Gruben-
besichtigung statt.
79
30 Zuhörer wohnten am 4. Mai im Kulturzentrum der Kelmiser Patro-
nage dem interessanten Vortrag ”5000 Jahre Bergbau im Limburgischen
Raum” bei. Über die Ausbeutung unserer heimatlichen Bodenschätze
vermittelte Herr Felder mit seinem fachmännischen aber allgemein-
verständlichen Vortrag viel Wissenswertes.
Am 31. Mai wurde eine Gruppe von Eupener Studenten von Herrn
Demonthy zur Besichtigung von Archivmaterial unserer Vereinigung
und zu einem Studienrundgang durch die Kelmiser Gegend empfangen.
Anlaß zu dem Heimatabend am 2. Juni im Saale Bauens in Hergenrath
war, der Spielgruppe der ”Staatlichen Normalschule Eupen” Gelegenheit
zu einer Zweitaufführung des Märchenspiels ”Die Regentrude” in der
Inszenierung von Leo Wintgens zu bieten. Zwischen den 4 Aufzügen
dieses gut gespielten Stückes sowie zu Beginn und am Ende des
Abends traten der Hergenrather Kirchenchor unter der Leitung von H.
Laschet und die Heimatdichter Leo Wintgens, Pfarrer Gielen, Paul Men-
nicken, Frau Weinert, Peter Zimmer und Gerard Tatas auf. Leonard Kohl
rief an dem Abend, der eine bekömmliche Verschnaufpause in der Hektik
unseres Alltags ein!egte, immer wieder Lachsalven hervor. Die 2. Quartal-
versammlung des Verwaltungsrates fand am 6. Juni unter dem neuen Dach
der Vereinigung statt. An Ort und Stelle wurde über die Einrichtung
der Archivräume verhandelt. Man beschloß die Anschaffung von Fuß-
bodenbelag, Vitrinen und sonstigem Mobilar. Im weiteren Verlauf der
Sitzung erklärten sich die Herren Bertha und De Ridder bereit, unsere
Vereinigung auf dem vom 29. Juli bis zum 6. August in Malmedy
stattfindenden Kongreß der Gesellschaft für Archäologie, Geschichte
und Folklore Belgiens zu vertreten. Erörtert wurde die Möglichkeit
einer gemeinsamen Fahrt mit dem Eupener Geschichtsverein zur Aus-
stellung ”Kunst zwischen Rhein und Maas” im Monat Juli in Köln, und
der Vorschlag des Vorsitzenden, Fahrten zum Aachener Stadttheater
zu organisieren, fand keine Einwände. Mit der Gestaltung der nächsten
Rundfunksendungen wurden L. Kohl und G. Tatas beauftragt. Auf
Vorschlag von Schriftleiter Dr. Aldenhoff beschloß die Versammlung,
die Erscheinungstermine der Zeitschrift so zu ändern, daß das 1. Heft
Ende Februar und das 2. Heft Ende August herauskommt. Diese Ver-
schiebung hat sich durch Arbeitsüberhäufung des Druckers zu den
Zeitpunkten des bisherigen Erscheinens als notwendig erwiesen. Den
Dank der Versammlung erntete J. Demonthy bei der Erklärung, seine
private Photosammlung ausschließlich unserer Vereinigung als Privileg
zur Verfügung zu stellen. An dieser Sitzung nahmen Frl. Xhonneux
und die Herren Zimmer, Dr. Aldenhoff, Bertha, Pfarrer Olbertz, De
Ridder, Demonthy, Herff, Palm, Tatas, A. Janssen und W. Janssen «teil.
Es hatten sich wieder genügend Interessenten gemeldet, um eine weitere
Fahrt zur Grube Waterschei zu unternehmen. Dieselbe wurde am 18.
Juni unter Führung unseres Präsidenten organisiert. An dem 42. Kon-
greß der Gesellschaft für Archäologie, Geschichte und Folklore Belgiens
nahmen Herr und Frau Dr. De Ridder an allen Vorträgen der Abtei-
80
lung Archäologie teil. Am 3. August referierte Frau Dr. De Ridder über
das Thema: ”Töpferei in Hauset im 16. Jahrhundert” und Herr Leo
Wintgens über ”Schreib- und Hochsprache im Herzogtum Limburg vom
15. bis zum 19. Jahrhundert”.
Ende August kam Heft 11 der Zeitschrift termingerecht aus dem Druck
und wurde den Mitgliedern zugestellt.
Die bisher größte Veranstaltung suggerierte Dr. Aldenhoff dem Ver-
waltungsrat bei seiner Tagung in den eigenen Archivräumen am 6.
September. Es handelte sich um das bereits fertig vorgelegte Projekt
eines Cesar Franck Konzertes in der Gemmenicher Pfarrkirche anläßlich
des 150. Geburtstages des großen Komponisten. Dieses Proiekt ist in
der vom Initiator entworfenen Form angenommen worden. Da die an-
wesenden Ratsmitglieder den neuen stattlichen, großen Ausziehtisch, die $
Polsterstühle, den neuen warmen Fußbodenbelag und eine große Vitrine
begutachten konnten, war der Beweis erbracht, daß die mit der Ein-
richtung des Lokals beauftragten Herren (Zimmer, De Ridder, W. Jans-
sen, Herff und Demonthy) aktiv gewesen waren. Zum Punkt Rundfunk-
sendungen machte der Vorsitzende eine Abänderung des Programms
bekannt. Ab Oktober sollen die 5 Minuten Sendungen der 3 Geschichts-
vereine zusammengefaßt und als Sendung von 25 Minuten jeweils am
1. Montag des Monats um 18.05 gesendet werden. Die Sitzung endete
mit der Planung der nächsten Sendungen.
An, einer Grubenbesichtigung in Waterschei am 1. Oktober nahmen 54
Besucher teil.
Zu Beginn der Verwaltungsratsversammlung am 25. November wurde
beschlossen, daß der eventuelle Vortrag über Cesar Franck durch den
Experten Dr. Wilhelm Mohr aus dem Taunus im Frühjahr 1973 statt-
finden soll. Sodann erwog man die Möglichkeit einer Veröffentlichung
der Schriften von Hermann Heutz als Sonderdruck. Die Versammlung
nahm anschließend Kenntnis von den Kosten der Cesar Franck Gedenk-
feier durch Dr. Aldenhoff. Diese belaufen sich auf ca. 40.000 Fr. An
Zuschüssen erhält die Vereinigung 12.000 Fr. vom Ministerium für Kul-
tur, 10.000 Fr. von der Provinz und 3.000 Fr. von der Gemmenicher
Gemeindeverwaltung. Herr De Ridder, der das bisher vorhandene Ar-
chivmaterial zusammengestellt hat und der mit der Wahl der neuanzu-
schaffenden Bücher (30.000 Fr. werden ihm für das nächste Jahr dafür
zur Verfügung gestellt), beauftragt wird, macht auch die Vorschläge,
einen Teil seiner Töpfereifunde, die von seinen Ausgrabungen in Hauset
stammen, durch unsere Vereinigung aufbewahren zu lassen und künftig
in jedem Heft der Zeitschrift einen Heimatkünstler vorzustellen. Bei
weiteren Punkten der Tagesordnung sprach man über Publizität für die
Cesar Franck-Feier, über die Verteilung der Schlüssel zum Sitzungs-
und Archivraum und ordnete die Generalversammlung für den 14. Ja-
nuar 1973 an,
81
Ist es schon die Aufgabe der Göhlvereinigung, sich um die Kultur-
schätze unserer Heimat zu kümmern, so erfüllte sie diese Aufgabe par
excellence bei der Würdigung des großen Künstlers Cesar Franck, dessen
Stammbaum in unserer Heimaterde wurzelte. Das Gedächtniskonzert
am 12. Dezember in der vollbesetzten Gemmenicher Pfarrkirche war
ein eindruckvolles Bekenntnis zur Kunst- wie Heimatverbundenheit. Der
aus Gemmenich stammende Organist Jos. Simons, der Sänger H. Va-
naschen aus Neu-Moresnet, das Sinfonieorchester ”Pro Musica” aus
Welkenraedt (Leitung H. Keldenich) und das Duo Edgard Grosjean-
M. L. Merz-Pierre vom Vervierser Konservatorium ließen das Schöne
und Erhabene der Fanckkompositionen (Dritter Choral in a-Moll für
Orgel, Panis Angelicus, Die Prozession, Violinsonate in A-Dur, Sinfonie
in d-Moll) hell aufleuchten. Zur Einstimmung und zum Einleben in
diese herrliche Musikwelt dienten die ausführlichen, zweisprachigen
Kommentare von Dr. Aldenhoff. Es war eine Veranstalltung, auf die
unsere Vereinigung stolz sein darf,
Auch die etwa 200 Besucher, die auf Einladung der Göhlvereinigung
am zweiten Weihnachtstag zur Pfarrkirche in Eynatten gekommen waren,
erlebten eine Feststunde. Im Mittelpunkt dieser Weihnachtsfeier stand
ein von Leo Wintgens mit Studentinnen der staatlichen Normalschule
Eupen aufgeführtes Krippenspiel nach dem Gedicht von Emil Gennen
”Wir suchen Herberg für die Nacht”. Das Spiel wurde umrahmt von
Weihnachtsliedern, gesungen und gespielt vom örtlichen Kirchenchor
und vom lokalen Musikverein ”Harmonie”. Auch trug Gerard Tatas
einige Weihnachtsgedichte und Karin Counotte das Ave Maria von
Gounod vor. Nach der Feier lud Pfarrer Dederichs den anwesenden
Autor des Krippenspiels und die Spieler zu einer Bowle ins Pfarrhaus
ein. Der Ertrag der Kollekte wurde dem Werk ”Beschützende Werk-
stätte” gespendet.
Wenn die Monatssendungen von Pfarrer Olbertz, P. Zimmer, L.
Wintgens, J. Bindels, L. Kohl, W. Janssen und G. Tatas im deutsch-
sprachigen Rundfunk noch Erwähnung gefunden haben, dann kann die-
ser Jahresbericht mit der Feststellung abgeschlossen werden, daß das Jahr
1972 kein unfruchtbares für unsere Vereinigung war,
82
Museum des «Göhltal»
1. Ein Museum der ”Vereinigung für Kultur, Heimatkunde und
Geschichte im Göhltal” wird im Gemeindehaus von Neu-Mo-
resnet, Maxstraße, 7, eingerichtet.
2. Das Komitee dieser Vereinigung wendet sich mit der Bitte
an Sie, alles zu sammeln und zusammenzutragen, was irgend-
wie mit dem Göhltal zu tun hat, von der Göhlquelle in Lich-
tenbusch bis zur Mündung des Flusses in die Maas bei Maas-
tricht.
3. Was sucht das Museum ?
a) Dokumente, Bücher, Broschüren, Illustrationen, Zeit- X
schriften, Zeitungsausschnitte, usw.
b) Gemälde, Zeichnungen, Figuren, Karikaturen, Photogra-
phien, Postkarten usw.
c) Steine, Mineralien, Feuersteine usw.
d) Alte Ausrüstungsgegenstände eines Soldaten, Gendarmen,
Zollbeamten, Bergmanns u.a., insbesondere Uniformen,
Mützen, Käppis, Waffen, Dekorationen, Handwerkszeug,
Wappen, usw. von niederländischer sowie von deutscher
und belgischer Herkunft.
e) Wie und wo können Auskünfte über das Göhltal, über
Orte und Gegenstände gefunden oder käuflich erworben
werden ?
4. Wie kann man dem Museum helfen ?
a) Auf vier verschiedene Arten :
(1) durch ein Geschenk,
(2) durch Leihgaben,
(3) durch kurzfristiges Ausleihen : Das Museum verpflich-
tet sich, das ausgeliehene Stück nach einer Prüfung
umgehend dem Besitzer zurückzugeben.
(4) durch Ankauf.
b) Transport : Wird durch den Konservator des Museums
erledigt, wenn es der Besizer so wünscht.
c) Empfang : Jede Person, die irgend etwas, sei es ein Ge-
genstand o.ä, dem Museum (Geschenk, Leihgabe, Aus-
leihe) zur Verfügung gestellt hat, wird durch einen Brief
vom Empfang des Stückes unterrichtet.
5. An welche Adresse soll man sich wenden ?
An den Konservator des Museums : Herrn Jean De Ridder,
rue du Calvaire, 8, 4671 Moresnet (Tel. : 087-88464).
83
Muse de ”La Vallee de Ia Gueule”
1. Un mus6e de ”la Vallee de la Gueule” est en voie de r&a-
lisation au siege de l’«Association pour la Culture, le Patri-
moine et l’Histoire de 1a Vallee de 1a Gueule», lequel est
situ a Neu-Moresnet, rue Max, 7.
2. Le comite de cette association fait appel a votre aide en vue
de rassembler tout ce qui a trait ä la Vallee de la Gueule,
depuis sa source ä Lichtenbusch jusqu’a son embouchure
dans la Meuse pres de Maastricht.
3. Que cherche le Mus6e ?
a) Des documents, livres, brochures, illustrations, periodi-
ques, extraits de presse, etc...
b) des peintures, dessins, figurines, caricatures, photogra-
phies, cartes postales, etc ...
c) des roches, mineraux, pierres ä feu, etc ...
d) d’anciens objets d’Equipement ayant appartenu ä des mi-
litaires, gendarmes, douaniers, mineurs, etc ... notam-
ment des uniformes, casques, kepis, armes, decorations,
outils, &cussons, etc ... tant neerlandais et allemands que
belges.
e) des renseignements sur tout ce qui concerne la Vallee de
la Gueule, sur les endroits ol des objets peuvent Etre trou-
ves ou achet6s.
4. Comment peut-on aider le musee ?
a) Il y a quatre facons de le faire :
(1) par des dons,
(2) par des depöts,
(3) par des prets : le Mus6e s’engageant ä restituer les
pieces apres examen,
(4) par achat.
b) Acheminement : Par les soins du Conservateur du Musee,
si tel est le desir du possesseur.
c) Avis de r&ception : Chaque personne confiant un objet
quelconque au Mus6e (don, depöt, pret) sera informee par
lettre de la r&ception de la piece.
5. A qui s’adresser ?
Aupres du Conservateur du Musee, M. Jean De Ridder, rue
du Calvaire, 8, 4671 Moresnet (Tel. : 087/88 464)
84
Museum van het Geuldal
1. In de lokalen van de ”Kulturele, Heem-en Geschiedkundige
Kring van het Geuldal” gelegen te Neu-Moresnet, Maxstraat,
7, is men een Museum van ”Het Geuldal” aan het inrichten.
2. Het komitee van deze kring doet beroep op uw hulp om het
verzamelen van alle voorwerpen uit het Geuldal vanaf haar
bron in Lichtenbusch tot aan haar monding in de Maas bij
Maastricht.
3. Wat zoekt het Museum ?
a) Documenten, boeken, brochures, illustraties, tijdschrift-
ten, persuittreksels, enz... 1
b) schilderijen, tekeningen, afbeeldingen, spotprenten, foto’s,
postkaarten, enz...
c) rotsen, mineralen, vuurstenen, enz...
d) oude militaire-, rijkswachter-, douanebeambte-, mijnwer-
ker- en andere uitrustingsvoorwerpen 0.a. uniformen, hel-
men, kepis, wapens, decoraties, gereedschappen, wapen-
schilden, enz... zowel van Nederlandse en Duitse als Bel-
gische afkomst.
e) inlichtingen over alles wat betrekking heeft met het Geul-
dal, over de plaatsen waar zulke zaken kunnen gevonden
of aangekocht worden.
4. Onder welke voorwaarden kan hulp verleend worden ?
a) Er zijn vier mogelijkheden om het Museum te helpen :
(1) door giften,
(2) door het in bruikleen geven,
(3) door uit te lenen : het Museum verbindt zich toe de
stukken na onderzoek terug te bezorgen,
(4) door aankoop.
b) Overbrenging :
Door de zorgen van de Konservator, zo de bezitter het
wenst.
c) Bericht van ontvangst : Ieder persoon die eender welk
voorwerp aan het Museum toevertrouwd (gift, bruikleen,
lening) zal over de ontvangst van het stuk per brief inge-
licht worden.
5. Tot wie zich wenden ?
Bij de Konservator van het Museum, Heer Jean De Ridder,
rue du Calvaire, 8, 4671 Moresnet (Tel. : 087 - 88 464).
85
Auf dem Büchermarkt
Bei dem im Geleitwort dieser Zeitschrift erwähnten ersten
Ausgabe unserer Sonderreihe
Leo Wintgens
”Aus der Presse” mit Grafiken von Hermann Scheiff und
einer Einführung von Adolf Christman (79 S., 135 Fr/9,80 DM)
handelt es sich nicht um einen Gedichtband herkömmlicher Art.
Wir meinen, ihn nicht besser vorstellen zu können, als durch
den integralen Abdruck einiger Seiten. Nur so kann der Leser
sich von diesen Wortmontagen ein Bild machen und zu einer
persönlichen Wertung kommen. Wir weisen nochmals auf den
beiliegenden Bestellschein hin. Jedes Mitglied unserer Vereini-
gung kann ein Exemplar zum Vorzugspreis von 80 Fr erwerben.
87
wir sind dabei
wir sind
dabei : das Unvermeidliche zu vermeiden
das Unmögliche zu ermöglichen
das Unwahrscheinliche zu verwirklichen
das Unvereinbare zu vereinen
das Unfaßbare zu fassen
wir
sind dabei das unendliche zu beenden
das unsagbare
das unauslöschliche
löschen wir aus
wir
sind
dabei
13
89
aus-SICHTen
MDASEINE / JEDEMDASEINE / JEDEMDASEINE / JEDEMDAS
M ASEINE / JED M ASEINE / JED M ASEINE / JED M AS
M ASIE/ EDM ASIE/ ED M ASIE/ ED M AS
M AS E/ M AS E'/ M AS E/ M AS
Ss / Ss f Ss 7 Ss
f / /
/ / %
/ / /
/ LI /
S
sein
da sein
je das eine
jedem das eine
jedem das seine
jedem das seine
16
90
Kennst Du Deine Heimat ?
Werter Leser !
Gehe ich richtig in der Annahme, daß der Quiz aus dem
Göhltalheft Nr. 12 einige Schwierigkeiten bereitet hat ?
Ein Ratespiel sollte interessant sein und zum Nachdenken
stimmen. Seit geraumer Zeit ist vielerorts im Göhltal das Wan-
deren aktiviert worden. Diese Wanderungen sind nicht zeitge-
bunden. Sollte man bei solchen Gelegenheiten nicht Zeit finden,
sich die Heimat näher anzuschauen ? Man würde sehr viel In-
teressantes finden und feststellen, wie schön und reich die Hei- ,
mat ist. Werter Leser und Wanderer ! Beherzige einmal meinen
Vorschlag. Du wirst manches nicht Gewußte entdecken und fin-
den.
Und nun zur Lösung der gestellten Fragen !
Erste Aufgabe : Bild A : Zu welcher Kirche gehört der Kirch-
turm ? — Lösung : Es ist der Kirchturm der Kirche von Wal-
horn.
Zweite Aufgabe : Bild B : Wo steht dieses Gotteshaus ?
Lösung : Es ist die Protestantische Kirche von Neu-Moresnet.
Gebaut wurde sie 1883. Z. Zt. wird sie restauriert.
Dritte Aufgabe : Bild C : Es ist die Pfarrkirche von Homburg.
Vierte Aufgabe : Bild D. Es ist die Außenansicht der Judas-
Thaddäuskapelle ; sie steht in Neu-Moresnet in der Nähe des
dortigen Sportplatzes.
Eine weitere Aufgabe war gestellt ; von den vier Bildern
E. F.G. u. H. galt es dasjenige zu finden, das zu oben erwähn-
ten Bildern A. B. C. u. D. gehörte.
Wenn Du, werter Leser, das Bild E. mit Bild B. zusam-
mengebracht hast, dann stimmt es. Es ist das Innere der pro-
testantischen Kirche von Neu-Moresnet. Sie war für eine Hoch-
zeit geschmückt.
Bild F. ist das Taufbecken aus der Pfarrkirche in Mores-
net Dorf. Bild G. ist das Innere der St, Rochuskapelle in Neu-
Moresnet. Bild H. ist ein Relief an der Pfarrkirche von Fouron-
St-Martin. (17 Jh.)
Hoffentlich waren Eure Lösungen die gleichen.
95
Bild 9
BUN
3 2 3
A 3
N X
ACE - U A
8
U
Und nun viel Spaß dabei !
Euer Fotoquizfreund Jac. Demonthy
96
VERANSTALTUNGSKALENDER VON
Kunst und Bühne, Eupen
Theater : 12. 9. 1973 Grenzlandtheater Aachen
Monsieur Chasse
Komödie von Georges Feydeau
18. 10. 1973 Grenzlandtheater Aachen
Kean oder Unordnung und Genie .
Schauspiel von J. P. Sartre
20. 11. 1973 Theater Mobil Neuwied
z. B. Medea
Schauspiel von Wolfgang Schwarz
13. 1. 1974 Westdeutsches Tourneetheater Remscheid
Porträt eines Planeten
Schauspiel von Friedrich Dürrenmatt
12. 2. 1974 Kleines Theater Bad Godesberg
Hier sind Sie richtig
Lustspiel von Marc Camoletti
17. 3. 1974 Westfälisches Landestheater
Prinz von Homburg
Schauspiel von Heinrich von Kleist
Ab 5. 9. 1973 jeden Mittwoch von 19 bis 23 Uhr
KREATIVES ATELIER
im Atelier Kunst und Bühne
Haasstraße 42 EUPEN
97
ANHANG
De Zeeöggel
door P. J. Felder
Zeeögels behoren tot de stekelhuidigen. In deze dierstam
zijn de zeelelies, zeekommers, zeesterren en zeeögels tot 6en
groep verenigd.
Een aantal vertegenwoordigers van deze stam, vooral de
zee@gels en zeesterren, bezitten een groter aantal kalkachtige
stekels.
Het skelet is meestal opgebouwd uit kristallijne kalk. Af-
hankelijk van de vorm worden de zeeegels in twee groepen in-
gedeeld :
1. ronde, vijfzijdige symmetrische vorm
2. hartvormige tweezijdige symmetrische vorm.
Reeds meer dan 350 miljoen jaren zijn er zeeögels op
aarde. Men neemt aan dat de tweezijdige symmetrische zich
uit de vijfzijdige symmetrische ontwikkeld hebben. De oudste
zeeögels bezaten een skelet dat uit los van elkaar liggende
kalkplaten was opgebouwd. In de loop van de ontwikkeling
zijn deze losse elementen tot een vaste schaal vergroeid.
Tijdens deze ontwikkeling zijn een groot aantal nieuwe
soorten ontstaan en andere minder geslaagde soorten uitge-
storven. Een van de nieuwe soorten die uitgestorven zijn is de
zee@gel uit de Limburgse kalken, n.l. Hemipneustes striatora-
diatus (Leske).
Brokken van zee@gels, veelal van Hemipneustes striato-
radiatus (Leske), worden in Limburg vrij veel gevonden,
hoofdzakelijk in de vorm van zee&@gelbreksies en schaalfrag-
menten. Gave exemplaren komen uiteraard veel minder voor.
De eerste vermelding van een vondst dateert uit 1735 en wel
uit Bemelen, waar ook nu nog de meeste exemplaren gevon-
den worden. Lange tijd heeft men deze zeeögel gebruikt als
gidsfosiel. Hiermede kon men de verschillende kalklagen van
elkaar onderscheiden. Resten van deze zeeögel zijn in vele
lagen teruggevonden. Vanaf de Gulpense kalken (Cr4) tot in
de Maastrichtse kalken (Md). (Zie tabel)
98
Naam : Symbool Dikte Ouderdom Bijzonderheden
Post Maastrichtse DM OT a klei-houdend
kalken
Md. 15-18 m. ca. fossielgruis
MCs | Me. 10-15 m. 70.000.000 zee&gelbreksie
Mb. 20-60 m. jaren vuursteenbanken
Gulpense kalken Cr. 4 17-19m. ca. vuursteenlagen
80.000.000
jaren
In de tijd dat deze kalklagen zijn ontstaan, nu ca. 70-80
miljoen jaren geleden, heeft de zee@gel een ontwikkeling door- .
gemaakt, die alleen te zien is als men over een groot aantal
exemplaren beschikt uit, de diverse lagen. Alvorens deze ont-
Wikkeling te schetsen, eerst iets over de levenswijze van het
dier.
Alhoewel men alleen over het skelet kan beschikken, is
het toch mogelijk hieruit iets af te leiden omtrent de levens-
wijze. De algemene vorm van de zeeögel rond aan de boven-
kant en afgeplat aan de onderkant, wijst op een levenswijze
op de zeebodem. De iets naar onderen uitgezakte mond geeft
aan dat het dier zijn voedsel verzamelde door tijdens het
voortbewegen de bodem a.h.w. op te scheppen. Organische be-
standdelen werden in het darmstelsel verteerd, terwijl de rest
via de anus aan de achterkant verdween. Hierbij werd de bo-
dem tot enkele centimeters diepte omgewoeld, zodat het dier
meestal iets ingegraven was.
VUit de vorm en grootte van de mond, de ligging en vorm
van de anus is af te leiden dat de zeeö@gel een goede eter was.
De ophangribbels voor de darmen zijn goed ontwikkeld. Even-
eens zijn de ribbels ter bevestiging van de voortplantingsor-
ganen sterk ontwikkeld. De vier kleine geslachtsopeningen be-
vinden zich in het centrum van de bolle bovenkant.
Vit de vondstomdandigheden valt af te leiden dat de zee-
&gels in een ondiepe zee leefden, in groepjes bij elkaar.
Nu we enigzins met de levenswijze van het dier bekend
100
zijn, kunnen we de ontwikkeling schetsen die de soort door-
gemaakt heeft tijdens de geologische tijd waarin de Limburg-
se kalken zijn ontstaan.
De eerste dieren die in Limburg zijn gearriveerd hadden
reeds een ontwikkeling doorgemaakt. Deze ontwikkeling heeft
zich elders voltrokken en hierover is weinig bekend.
Tijdens het ontstaan van de Gulpense kalken was de zee
in het algemeen te diep voor onze zee&gel. Pas tegen het einde,
in het z.g. Cr4, bereikte de zee een wat gunstiger diepte. En-
kele exemplaren migreren vanuit het onbekende moederland
naar deze gunstiger geworden zee. Maar niet alleen de egels g
nemen bezit van dit nieuwe gebied. Gelijktijdig doen dat ook
nog een aantal andere organismen. Al met al veroorzaken zij
dat de kalk die nadien ontstaat, verandert en zodoende Maas-
trichtse kalk genoemd wordt.
Geleidelijk worden de omstandigheden waaronder de zee-
&gel leeft gunstiger.
In de Maastrichtse kalken, die Mb genoemd worden,
neemt niet alleen het aantal toe maar ook de omvang van de
zee@gel. Hadden de eerste exemplaren een groote van ca. 8
tot 10 cm., tegen het einde van het Mb bereiken ze soms wel
de 14 cm. In het Mc beginnen de eerste gevolgen van de ruime
voortplantingssnelheid op te treden. De individuen blijven in
het algemeen kleiner van omvang, hetgeen op voedselgebrek
kan wijzen. Opmerkelijk is ook de grote variatie, niet alleen
in afmeting maar ook in de vorm.
Het is te begrijpen dat een dergelijke overvloed aan zee-
Egels ook zijn natuurlijke vijanden aangelokt heeft. Vooral
sommige soorten vissen kunnen van zeeögels smullen. Maar
ook de Sauriers hebben de zee@gels niet versmaad. Sommige
onderzoekers veronderstellen dat de zeeögelbreksies, soms een
halve meter dikte, de resten zijn van dergelijke smulpartijen.
Tegen het einde van de tijd waar in de Maastrichtse kalken
zijn ontstaan het z.g. Md, veranderen de omstandigheden voor
de zee&gel heel sterk. Mogelijk werd de toenmalige zee te on-
diep, of de warme golfstroom had een fatale invloed op de
egels. Niet alleen het aantal nam bijzonder af maar ook de
101
vorm onderging sterke veranderingen. De grootste exempla-
ren bereiken niet eens meer de afmetingen van de kleinste uit
het Mc.
Met het geheel verdwijnen van de zeeögel veranderen
ook de kalken.
De kalk zonder zeeögels heeft een grijs-gele kleur en is
kleihoudend. Ter onderscheiding van de Maastrichtse kalken
worden deze Post-Maastrichtse kalken genoemd.
Gedurende de gehele periode dat de zee@gels in deze zee
hebben geleefd, hebben zij gezorgd voor het ontstaan van
hoogwaardige kalken. Enerzijds gebeurde dit door de restanten
van hun lichaam die ze achterlieten en anderzijds door het
opruimen van ongerechtheden op de bodem.
Deze hoogwaardige kalken vormen thans de grondstoffen
voor de produktie van Kalkmeststoffen - Krijtsoorten en Vul-
stoffen.
102
Der Seeigel
”Hemipneustes Striatoradiatus (Leske)”
Kurzfassung von Dr. G. De Ridder
Der Seeigel gehört zur Familie der Stachelhäuter und ist
von runder, fünfseitiger, symmetrischer oder von herzförmi-
ger, zweiseitiger, symmetrischer Gestalt.
Die ältesten Seeigel sind mehr als 350 Millionen Jahre alt.
Ihr Skelett war aus einzelnen Kalktäfelchen aufgebaut. Im
Laufe der Entwicklung sind die Einzelplättchen zu einer festen
Schale verwachsen. Eine große Anzahl neuer Gattungen sind =
entstanden, andere ausgestorben. Zu einer der ausgestorbe-
nen Gattungen gehört der Seeigel des Limburger Kalkge-
steins : Hemipneustes striatoradiatus (Leske), den man vor
allem noch in Bemelen finden kann.
Da der Seeigel in den verschiedenen Kalkschichten vor-
kommt, hat er große Bedeutung als ”Leitfossil”” gewonnen, da
mit seiner Hilfe die Gliederung der Schichtenfolge geklärt
werden kann, so wie dieses im Gulpener Kalk (Cr 4) bis hin
zum Maastrichter Kalk (Md) geschehen konnte.
Während der Entstehung dieser Kalkschichten, vor etwa
70-80 Millionen Jahren, hat der Seeigel, - anhand von man-
nigfaltigen Exemplaren in den verschiedenen Schichten ist
das feststellbar -, eine Entwicklung an Form und Größe
durchgemacht. Aufgrund des Formenreichtums muß der See-
igel besonders günstige Lebensbedingungen zur Zeit der Ent-
stehung der Maastrichter Kalkschichten vorgefunden haben,
ungünstige während der sogen. Post-Maastrichter-Kalkperio-
de wahrscheinlich durch die Untiefe der See und möglicher-
weise auch durch den warmen Golfstrom.
Auch in den Sandgruben der hiesigen Gegend, in Hergenrath, Kelmis,
u.s.w. wurden sehr schöne Exemplare versteinerter Seeigel gefunden.