Im Göhltal
ZEITSCHRIFT der
VEREINIGUNG
für
Kultur, Heimatkunde und Geschichte
im Göhltal
) N-42 |
FEBRUAR 1973
Vorsitzender : Peter Zimmer, Kelmis, Siedlung P. Kofferschläger, 10.
Sekretärin : Frl. Georgette Xhonneux, Neu-Moresnet, Lütticher Straße, 168
Tel. 59.467
Lektor : Alfred Bertha, Hergenrath, Bahnhofstraße 20 b
Kassierer : Fritz Steinbeck, Kelmis, Kirchstraße, 20
Bankkonto 251.251 der Societ€ Generale de Banque, Verviers (P.S.K. 695)
Die Beiträge verpflichten nur ihre Verfasser.
Alle Rechte vorbehalten.
Entwurf des Titelblattes : Frau Pauquet - Dorr, Kelmis.
Diese Skizze zeigt den Moresneter Göhlviadukt sowie die Hergenrather
Hammerbrücke in ihrer ursprünglichen Form.
Inhaltsverzeichnis
Geschichtliches :
Franz Uebags, Kelmis Aus der jüngsten Geschichte des
Altenberger Grubenfeldes 4
Alfred Bertha, Hergenrath Aus der Hergenrather Gemeinde-
chronik 21
Alfred Bertha, Hergenrath Hergenrath unter der Verwaltung
des Bürgermeisters Chabert 43
Jean und Gisela De Ridder Hauseter Töpferei im 16. Jahrhundert 54
Moresnet-Kapelle
Alfred Bertha, Hergenrath Hauset wird selbständige Gemeinde 60
Erlebtes ;
Leo Homburg, Hauset Die «Pavei» - Grenzstraße zwischen
Herbesthal u. Welkenraedt vor 1914 65
Fauna und Flora :
Louis Bindels, Kelmis Fauna und Flora der Kelmiser
Gegend 70
Gedichte :
Maria-Theresia Weinert- Herbstwind 72
Mennicken, Aachen-Forst Fahrt durch die Nacht 73
Gerard Tatas, Gemmenich Der vulle Peter 74
Verschiedenes :;
Auf dem Büchermarkt 76
Leo Wintgens, Moresnet Passio Christi 1973
Zum 6. Mal Kelmiser Passionsspiele 78
J. Demonthy, Neu-Moresnet Foto Quiz :
Kennst Du Deine Heimat ? 82
Anhang :
P. Xhonneux, Bleyberg Die Errichtung der Pfarre Bleyberg 88
4
Aus der jüngsten Geschichte des
Altenberger Grubenfeldes
Die Grube ”Roer”
von F. Uebags
Bisher haben wir uns bemüht, in der Reihenfolge bereits
fünf Bergwerke der einst in unserer Gegend florierenden ”Ge-
sellschaft des Altenberges” zu beschreiben, Schade, daß mit sol-
chen Beschreibungen nicht schon vor 50 Jahren begonnen wurde.
Damals, als sämtliche Betriebe mit voller Kraft arbeiteten, hätte
der Verlauf der Dinge viel leichter zu Papier gebracht werden
können, weil nun eben das Vergangene zu schnell vergessen ist. .
Bedauerlicherweise lebt auch nicht mehr der eine oder andere
der früheren Betriebsführer, die ihre Grube wie ihre eigene Ho-
sentasche kannten und uns heute in punkto Geschichte bestimmt
etwas weiter verhelfen könnten. Wir sind einzig und allein an-
gewiesen auf die Aussagen der alten Garde, die die längste Zeit
ihres Lebens bei der Vieille Montagne, sei es in dieser oder jener
Grube, verbracht haben. Gut, daß es diese Männer noch gibt,
denn ohne sie würde alles noch schwieriger. Das für unsere Be-
schreibungen erforderliche Material zählt ohnehin schon zur
Mangelware. Ebenso selten sind Fotos der verschiedenen Werke.
Möglicherweise gibt es Leute, die über solche Bilder verfügen ;
wir möchten sie bitten, uns diese Aufnahmen zur Reproduktion
zu Verfügung zu stellen. Solche Sachen werden natürlich unbe-
schädigt zurückerstattet.
Bei Spaziergängen durch die hiesige Gegend fielen immer
wieder die hohen Schornsteine und Fördertürme der verschiede-
nen Erzbergwerke auf. Außer einigen Überresten, die auch noch
sehr geringfügig scheinen, ist von den sechs Gruben der Gesell-
schaft nichts mehr übriggeblieben. Passanten ziehen hier vorbei
ohne die. geringste Ahnung davon zu haben, was sich an den
Stellen einst getan hat. Vier der Zechen, wie Fossey, Lontzen,
Schmalgraf und Mützhagen, lagen ziemlich weit von einander
entfernt, wogegen Eschbroich bei Schmalgraf und Roer nahe
bei Mützhagen lag.
Wie kamen die Bergleute zur Arbeit ?
Heute stellt das Zur-Arbeit-kommen sozusagen keine Pro-
bleme mehr. Dafür hat die moderne Technik bestens gesorgt.
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Eigenwagen, Omnibusse, Motorräder, Mopeds und auch noch
das Fahrrad bringen in der heutigen schnellen Zeit die Arbeiter
zu ihrem Arbeitsplatz. So bequem ging es nun früher nicht. Da
mußte sich ein jeder auf seine Füße verlassen, was ja an und
für sich, meines Erachtens, gesünder war. Ich kann mir die alten
Bergleute noch sehr gut vorstellen, wenn sie von oder zur Arbeit
gingen. Als Kopfbedeckung trugen sie einen Hut oder eine
Schirmmütze, um den Hals ein rotes oder graues Halstuch, Im
Winter zogen sie einen langen Überzieher, manchmal auch eine
dicke Joppe an. Darunter eine ausgewaschene, gestreifte Hose, die
über den Schuhen mit einem Riemen um die Beine geschnürt
war. An den Füßen schleppten sie plumpe Nagelschuhe, die sie
tagtäglich am Abend mit Tran einrieben, um so das Leder zart
und geschmeidig zu halten. In die Rocktasche steckte man den
”Bidong” (Kaffeebehälter aus Blech). An der linken Schulter
hing der ”Forbüll” (Tasche mit dem nötigen Proviant), der mit
Vorbedacht zum Mitbringen von ”Knülle” (Holzstücken) an For-
mat ziemlich groß ausgefallen war und ein reichliches Quantum
enthalten konnte. Ganz besonders erinı.ere ich mich meines Groß-
vaters väterlicherseits, der während 50 langer Jahre als Schreiner
auf Grube Schmalgraf tätig gewesen ist. Morgens ist er alle die
Jahre hindurch eine halbe Stunde früher als die andern aufge-
brochen, um sein Mutterholz in aller Ruhe nach Ofenlänge zu
sägen und zu packen. Wenn er nach Feierabend den Heimweg
antrat, war er bepackt wie ein Lasttier. Ein Beutel aus Sackleinen
hing tornisterartig an seinem Rücken, Einen anderen vollen Sack
trug er unter dem Arm. Doch das genügte ihm noch nicht. In
seinem doppelten Eßgeschirr, das er in der anderen Hand trug,
steckten zwei weitere Holzklötze. Sogar seine Rock- und Hosen-
taschen stopfte er mit Holz voll. Zwischen Bauch und Hosen-
riemen wurden ebenfalls mehrere Holzstücke geordnet, an denen
er, damit sie nicht schmerzten, die scharfen Kanten abgehobelt
hatte. Nur Eichen und Buchenho!z hat er immer mitgenommen,
da dieses am besten wärmte und so das Kohlenkaufen erspart
blieb. Wenn Opa das gestohlene Gut abgelegt hatte, stand ein
bis zum Rande gefüllter Wäschekorb neben dem Küchenherd.
Beim Auspacken des gestohlenen Brennmaterials, hat Oma iro-
nisch zugesehen und kopfschüttelnd gesagt : ”Wellem, do has
bestemmt at ene janze Böjsch jeklaut.” (Wilhelm, du hast be-
stimmt schon einen ganzen Wald gestohlen.) Das Mitnehmen von
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allerlei Sachen war bei der Vieille Montagne sozusagen eine nicht
zu heilende Krankheit, von der die ganze Belegschaft angesteckt
war,
Die Werke lagen fast alle ziemlich abgelegen. Es gab weder
asphaltierte Wege noch Straßenbeleuchtung, die dem Bergmann
den Gang zur Arbeit etwas leichter gemacht hätten. Um in deı
Dunkelheit besser und schneller voranzukommen, bastelten sie
sich die raffiniertesten Laternen, die mittels Öl, Petroleum, Kar-
bid oder Kerzen brannten. Das bescheidene Lichtlein führte sie
aber dorthin, wo sie sein mußten.
Ausgangs der zwanziger Jahre schien es nun aber mit der .
ganz armen Zeit so allmählich vorbei zu sein. Die Jüngeren, die
auf den verschiedenen Werken zu arbeiten anfingen, hatten an-
scheinend eine andere Lebensauffassung. Sie sprachen nicht dau-
ernd von Schnaps wie die Alten, sondern legten mehr Wert auf
Kleidung und Bequemlichkeit. Es dauerte nicht lange und auf den
Werken wurden Fahrradständer angebracht. Der Jugend war
auch weniger daran gelegen, allerhand nach Hause zu schleppen.
Akkordlöhne wurden gefordert und es entstand ein total ver-
ändertes Arbeitsklima,
Wo hat Grube ”Roer” gelegen ?
Genau wie Grube Lontzen, Eschbroich und Mützhagen, lag
auch die ”Roer” auf dem Gebiet der Gemeinde Lontzen. Also
die vierte Grube der Gesellschaft auf Lontzener Gebiet. Diese
kleine und letzte Zeche, hat ca. 1750 Meter unterhalb des ”Wei-
ßen Hauses”, links längs der Landstraße, die von hier nach
Eupen führt, gelegen. Ungefähr 40 Meter trennten das Werk von
der Straße. Ein Stacheldrahtzaun bildete die Grenze des an Ober-
fläche geringen Grubengeländes. Heute ist die Fläche wieder
Grünland geworden und keinerlei Spuren deuten darauf hin,
daß hier einstens dem Boden ein wertvolles Erz entzogen wurde.
Wer sich des Werkes noch erinnert, würde heute kaum noch
feststellen können, wo sich eigentlich der Grubenplatz befunden
hat. e
Im Gegensatz zu ”Roer” ist von den anderen Gruben, wenn
auch nicht viel, so doch immerhin ein kleines Etwas übriggeblie-
ben. Der Grund, auf dem der Grubenkomplex gestanden, war
Eigentum des Bauern Scheen,
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Wann wurde sie ins Leben gerufen ?
Wann das sechste Bergwerk der Altenberger Gesellschaft
eigentlich in Betrieb genommen worden ist, kann nicht mit Si-
cherheit gesagt werden. Wohl steht fest, daß die Bohrungen hier-
für im Jahre 1918 stattgefunden haben. Sind die Angaben der
früheren Bergleute glaubwürdig, so hat ”Roer” im Jahre 1926
seine Tore geöffnet. Mithin hat es die Zeit nicht gegeben, wo
alle Gruben der Gegend gleichzeitig in Betrieb gewesen sind,
weil Fossey ja schon 1923 die Arbeit einstellte.
Die Grubenleitung
Betriebsführer Jakob Fey von der Grube Mützhagen er-
hielt den Auftrag, zusätzlich die Leitung des jungen Werkes zu
übernehmen. So blieb es bis zu dem Tage, wo das Unternehmen
am ”Weißen Haus” aufhörte zu bestehen. Nunmehr konnte Jakob
Fey sich voll und ganz seiner neuen Aufgabe hingeben. Bei Ein-
führung der zweiten Schicht kam Oberhauer Teller aus Welken-
raedt und leistete ihm tüchtig Beistand, Weitere Verantwortliche
hat es keine gegeben,
Auf dem Grubengelände
In dem Grünland, das sich vom linken Straßenrand aus
weit in östlicher Richtung ausdehnte, fiel der schmale, entgraste
und mit Stacheldraht umzäunte Streifen, das Betriebsgelände von
Roer, gleich auf. Das 7Meter hohe Eisengerüst des Förderturms,
an dem zur Straße hin, in etwa 4Meter Höhe, eine Kippbühne
angebracht war, hielt Ausschau über die ganze Umgebung. Rings-
um reihten sich beiderseitig Wellblechbuden mit halbrunden
Dächern aneinander, In denselben gab es für den Bergmann die
benötigten Räume zum Waschen und Umziehen. Die gleiche
Wellblechbude, sowie ein kleines Büro, hatte man für Steiger
und Oberhauer eingerichtet. Alles, was sein mußte, wie Förder-
kammer, Raum für Luftkompressor, Magazin und eine kleine
Werkstatt, hat man auch hier gekannt. Unabhängig von alle dem
lag versteckt in der linken unteren Ecke noch ein einzelnes Büd-
chen, das ganz besonders verriegelt war und mit dem Warnschild
”Totenkopf” jeden Eindringling zur äußersten Vorsicht mahnte.
Der Bergmann nannte diese kleine Stätte im Hintergrund das Pul-
vermagazin, weil darin das empfindliche Dynamit und andere
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Explosifstoffe in Sicherheit lagerten. Sämtliche Sprengstoffe wur-
den mit dem Fuhrwerk der Vieille Montagne bis zu den einzelnen
Gruben gebracht, Im Gegensatz zur Grube Roer haben die
Schwesterngruben alle das Pulvermagazin in der Tiefe gehabt.
Das Grubenholz brachten die Pferdegespanne der Firma Laschet
aus Hergenrath nach dort und am Eingang des Grubengeländes
wurde die bestellte Reserve aufgestapelt. Solange das Werk be-
standen hat, machte es stets den Eindruck, als stecke es noch
in den Kinderschuhen.
Was geschah über Tage ?
An und für sich sah und hörte man an der Oberfläche Ms
nicht viel. Waren Steiger oder Oberhauer eingefahren, gab es
außer dem Maschinisten und dem Schreiner keinen Menschen
mehr zu sehen. Anders war es, wenn Blende gefördert oder verla-
den wurde. Das geschah vielleicht zwei - bis dreimal monatlich.
Blende wurde nur dann gefördert, wenn in der Tiefe die Arbeit
zügig voranging. So ist es einige Jahre hindurch geblieben, bis
sich schließlich mit und mit die Produktion steigerte. Eine durch-
gehende Förderung ist nie zustande gekommen, Wurde die Blen-
de hochgezogen, mußten zwei Mann mehr über Tage bleiben,
die auf der Kippbühne die vollen Wagen aus den Körben zogen
und deren wertvollen Inhalt von der Bühne hinunter auf den
Grubenplatz stürzten. Jedesmal, wenn der Haufen zu mächtig
geworden, veranlaßte der Betriebsführer den Abtransport. Das
Verladen der teueren Last brachte etwas Leben auf den Platz,
da gewöhnlich vier junge Burschen diese Arbeit erledigten. Bei
Schichtbeginn und -wechsel, um 6 oder 14 Uhr, sah man hier
die meisten Leute. Die einen gingen nach Hause, während die an-
deren alles herbeiholten, was mit nach unten mußte. Die Lam-
pen reinigte, füllte und händigte der Fördermaschinist aus. Roer
hat zwei Maschinisten, die Herren Gerkens Martin und Michiels
Peter gekannt. Außer der Fördermaschine und den Lampen ob-
lag ihnen die Aufsicht über den Luftkompressor. Sie hielten den
Grubenplatz sauber und halfen beim Sägen des Grubenholzes.
Für Pulver und Materialmagazin trug nur der Steiger die Verant-
wortung. Abends erhellte elektrisches Licht den winzigen Gru-
benkomplex. Gesagt sei noch, daß die Vieille Montagne in einer
großen Zentrale, die auf der Lütticher Straße zu Kelmis lag,
den benötigten Strom selbst erzeugte. Die gesamte Abteilung
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Moresnet hat durch diese Einrichtung auf dem Gebiet der Strom-
versorgung nie die geringsten Sorgen gekannt.
Teufe und Sohlen
Im Jahre 1935 hatte der Schacht schon eine Teufe von 80
Meter erreicht, Nie ist die Rede gewesen, ein weiteres Sinken in
Angriff zu nehmen. Im Erdinneren verliefen nicht mehr als zwei
Strecken. Eine auf der 30Meter, die andere auf der 80Meter
Sohle. Erstere drang in östliche und letztere in süd-östliche Rich-
tung vor. Nun könnte die Frage gestellt werden, weshalb denn
kein Stollen in entgegengesetzter Richtung verlief. Hier die Ant-
wort : Vor Eröffnung des neuen Betriebes ist der Direktion die
Auflage gemacht worden, keine Strecken unter die Landstraße zu
treiben. Für das höhergelegene Werk Mützhagen haben nach
Angaben eines ehemaligen Kumpels die gleichen Bedingungen
gegolten. Es ist jedoch belegt, daß wenigstens in einem Fall ein
Stollen unter die damalige Grenzstraße getrieben worden ist.
Die süd-östliche Bahn hatte eine Länge von 70 Meter und ende-
te unter ”Gut Stöck”, In grader Linie hinter dem Werk war in
ungefähr 60Meter Entfernung der Luftschacht sichtlich.
Die Seilfahrt
Der Förderschacht war so gebaut worden, daß er auch
für den Personentransport geeignet war. Darin glitten zwei Kör-
be, die je 3 Mann aufnehmen konnten, auf und ab. Nur bei Ma-
schinendefekt mußte geklettert werden. Die Leitern hingen in
einem kleinen Schacht, der Verbindung mit dem Förderschacht
hatte und in welchem ebenfalls die Abflußrohre der Pumpe bis
zu Tage geleitet wurden. Die Männer, die nach unten oder nach
oben fuhren, gaben mittels einer Schelle selber das Zeichen zur
Abfahrt. Auf den größeren Werken besorgte das der Anschläger,
der bei der Förderung die ganze Verantwortung zu tragen hatte.
In der Grube
Wie in den anderen Gruben, so bot sich auch hier das übliche
Bild, Im Schacht, der in seiner ganzen Tiefe mit Holz ausgebaut
war, hörte man das Platschen der dicken fallenden Wassertrop-
fen. Elektrisches Licht ist wohl oben auf dem Grubengelände,
aber in der Tiefe nie angelegt worden. So fuhren jene, die das
erste Mal hinuntersanken, an der 30Meter Sohle vorbei, ohne
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dieselbe wahrzunehmen. Beim Verlassen des Korbes auf der
Endstation (80Meter Sohle) betrat man einen Raum, der mit
Gußplatten ausgelegt war. Diese hatten den Zweck, das Manö-
vrieren der Kippwagen zu erleichtern. Unter dem Schachtgerüst
befand sich, wie in jedem Bergwerk, die Kuppel, in der das
nasse Element aufgefangen wurde. Darin lag der Sauger der
nicht allzu großen elektrischen Pumpe, die rechts des Schach-
tes in einer kleinen Kammer nur dann drehte, wenn das Was-
ser überhandnahm. Große Sorgen bereitete die unerwünschte
Flüssigkeit hier nicht. Bei anhaltendem Regen und auch bei
Schneeschmelze mußte die Pumpe öfters eingeschaltet werden.
Sie lief ohne irgendwelche Aufsicht, da sich ein jeder im rech-
ten Moment um sie bemühte, Die in südöstlicher Richtung 70- .
Meter lange Strecke hatten die Hauer mit soliden Rundhölzern
abgestützt. Über den kaum zu bemerkenden Wassergraben lief
eine Schienenbahn. Darüber rollten die Kippwagen mit der schwe-
ren Ladung bis zum Schacht. Im stillen Schein seiner Karbid-
lampe übte der Bergmann seinen Beruf in Querschlägen und
Vorort aus. Er bohrte mit dem Preßluftbohrhammer und schoß
mit dem gefährlichen Dynamit, das noch nicht elektrisch, son-
dern nach altem Brauch mit einer Zündschnur zur Explosion
gebracht wurde. Sobald sich genügend Erz auf den Posten an-
gehäuft hatte, mußte das Zeug verschwinden. Mit Schubkarren
brachten es Hauer und Lehrhauer bis zur Hauptbahn, wo als-
dann die Fahrjungen in Aktion treten mußten. Sie luden das
wertvolle Gestein in Kippwagen, rollten es zum Schacht, um es
nach oben zu schicken. Ganz selten schickten die Bergleute die
Berge, das heißt das unbrauchbare Gestein an den Tag, weil
sie hierfür in dem Loch immer Verwendung fanden. Auf der
30Meter Sohle, die nach Osten vordrang mit einer 40 bis 50
Meter langen Bahn, war die Arbeit schon frühzeitig eingestellt
worden, Jedoch soll sie in einem Querschlag dieser Galerie noch
längere Zeit angedauert haben. Die Reviere sollen an Vorkom-
men sehr ärmlich gewesen sein. Wie die Bergleute erzählen, hat
die oberste Sohle mehr Unkosten als Gewinn gebracht. Über
den Arbeitsvorgang mußte alle Tage bei der Direktion in Kelmis
ein Bericht eintreffen.
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Die Schichten
Die Dreischichtenarbeit ist in der Roer nie eingeführt wor-
den. Es ist immer bei Früh- und Nachmittagschicht geblieben.
Die Anfangszeiten (6 und 14 Uhr) sind auf allen Gruben die-
selben gewesen. Abends nach 10 Uhr herrschte auf dem Gelän-
de äußerste Stille. Am Ruhetag hat auch keiner gearbeitet.
Wieviel Personen waren dort beschäftigt ?
Das Unternehmen an der Herbesthaler Straße zählte die
wenigsten Arbeiter. Alles in allem ist die Zahl 26 nie überstiegen
worden. Bei der Stillegung, heißt es, seien nur mehr 21 übrigge-
blieben. Die anderen haben es nicht bis zur Kündigung kommen
lassen. Auf Frühschicht fuhren gewöhnlich 14 Mann ein, so daß
mit den Übertagearbeiten morgens 16 anwesend waren. Die
Belegschaft setzte sich aus Leuten von Henri-Chapelle, Welken-
raedt und Kelmis zusammen. Außer einigen, die den Weg zu
Fuß bis zum Werk machten, kamen alle per Fahrrad. Die wei-
teste Strecke hatten die Kelmiser zurückzulegen.
Die Lohntage
”Maria Löhnung”, so wurde allgemein der Lohntag getauft,
fand an jedem 6. und 20. des Monats statt, Die Lohngelder, vom
Steiger ausgerechnet, wurden diesem von der Buchhaltung aus
Kelmis zugeschickt, damit er sie seinen ”Untertanen” aushändige.
Das geschah immer bei Schichtwechsel. Um das Geld nicht in die
Grube mitnehmen zu müssen, gab es Kumpels, die einem Kol-
legen von der anderen Schicht ihren Lohn anvertrauten, ihn der
Frau oder der Mutter zu überbringen. Das taten nur die, denen
die Familie vor ihrem Eigennutz ging. Wie oft sah man nicht
auf den Werken Männer, die gleich nach Erhalt ihres Lohnes
damit begannen, ihn zu ”zerstückeln” und dabei noch wichtig
taten. Ein Teil, so gaben sie zu verstehen, ist für die Tauben,
ein Teil für den Schnaps, und den Rest gebe ich meiner Alten.
Daß Familienväter sich zu solchem Benehmen hinreißen ließen,
war arg genug, daß sie sich aber dazu ihrer Charakterlosigkeit
rühmten, fanden die Männer, die das nicht taten, noch ärger.
Oftmals kam es vor, daß die Frauen jener gewissenlosen Fami-
lienväter am Zahltag selber auf dem Werk erschienen und den
Lohn ihrer Männer in Empfang nahmen. Ob es das in der heu-
tigen Zeit auch noch gibt ?
BR
Wie gelangte das Erz zur Wäsche ?
Wenn der Haufen Blende unter der Kippbühne beim För-
derschacht über seine Dimensionen hinausging, unternahm der
Betriebsführer das Nötige für den Abtransport zur Wäsche. Von
jeder Grube gelangte das Erz auf eine andere Art und Weise
nach Kelmis. Von Roer aus wurde es mit einem Lastwagen nach
hier befördert. Den Transport hatte die Firma Gebrüder Rader-
macher (Nabek) aus Hergenrath, im Auftrage der Vieille Mon-
tagne übernommen. Herr Leo Schumacher, ebenfalls aus Her-
genrath, steuerte das schwere Fahrzeug des Unternehmens. Die
Blende von der Herbesthaler Straße brachte er hinunter bis in
das Loch, gegenüber dem Haus ”am Penning”, da, wo heute der »
Zementbunker der Firma Xhonneux zu sehen ist, Hier lag sie
gewissermaßen als Vorrat für den Tag, daß die Produktion in
den Gruben zu gering wurde, um mit der Aufbereitung Schritt
zu halten. Alsdann brachten Tagelöhner das aufgespeicherte
Material mittels Kippwagen zur Wäsche.
”Roer” stellt die Arbeit ein.
Nach 1935 ist das Juniorwerk ”Roer” noch ganz allein in
Betrieb geblieben. Die Schwesterngruben, die der Schließung
und dem Abbruch nicht entgehen konnten, waren bereits von
der Bildfläche verschwunden. Mit ihnen hatte für viele Männer
aus den hiesigen Gebieten das Bergmannsleben aufgehört. Von
der großen Schar Bergleute, die bei der Vieille Montagne tätig
gewesen, konnten nur noch in der Roer wenige Kumpels ihren
Beruf ausüben. In dem Bewußtsein, durch ihre geringe Produk-
tion unmöglich existenzfähig zu sein, hatten sich auch sie damit
abgefunden, über kurz oder lang die Arbeit einstellen zu müssen.
”Was soll es uns besser ergehen als den Kameraden”, tröstete
einer den anderen.
Die Arbeitslust sank von Tag zu Tag, da die Belegschaft
fortwährend von Ungewißheit gequält die neue Schicht begann.
Weder Steiger noch sonst jemand konnte klare Auskünfte geben.
Die Direktion verhielt sich äußerst diskret. Mitte des Jahres
1938 war es nun so weit, Steiger Fey mußte die ihm zugesandte
traurige Meldung von der Schließung des letzten Bergwerkes ans
Anschlagebrett hängen. Die Kündigung der Arbeiter trat 14 Tage
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nach der Bekanntgabe in Kraft. Somit hatte die Ausbeutung
unserer Heimaterde nach vielen Jahren ein Ende gefunden. Da
konnte diesbezüglich nur noch : ”Es war einmal” gesagt werden.
Hiermit haben die Beschreibungen der verschiedenen Gru-
ben ihren Abschluß gefunden. Trotzdem möchten wir uns schluß-
folgernd mit weiteren Einzelheiten bezüglich der Vieille Mon-
tagne in Kelmis befassen. Einzelheiten, die direkt mit den Wer-
ken nichts zu tun haben, aber unbedingt eine Erwähnung verdie-
nen,
Wie standen Vieille Montagne und Arbeiter zu einander ?
Wer zu Großvaters Zeiten die Stillegung der Erzbergwerke
prophezeit hätte, dem wäre heftig widersprochen worden. Der
”Berg” hatte es den alten Leutchen dermaßen angetan, daß sie
derartige Aussagen für unmöglich hielten und entschieden zu-
rückwiesen. Die ”Gesellschaft” galt als unvergänglich und sie
dulteten keinerlei Tadel an ihrem Brotsherrn. Voller Begeiste-
rung zählten sie die Vorteile auf, die ihnen zuteil geworden, und
schauten mit Zuversicht in die Zukunft. Ihre wachsende Ver-
bundenheit zu den lokalen Betrieben dürfte ja auch als begreif-
lich angesehen werden. Unsere Gegend, die von jeher industrie-
arm gewesen, erlebte nun plötzlich einen bemerkenswerten Auf-
schwung. Väter und Söhne fanden dadurch Arbeit in unmittel-
barer Nähe ihres Zuhauses. Weites Gehen oder Fahren blieb
ihnen seitdem erspart. Es lag den Männern viel daran, jetzt in
ihrer Heimat einfahren zu können und dort Zeuge der reichen
Blendevorkommen zu sein. Das steigerte das Vertrauen zur Firma
noch mehr. Hätten sie damals schon gewußt, daß in der Heimat
die Wiege der modernen europäischen Zinkindustrie gestanden,
wären die Alten vor Stolz bestimmt einen Kopf größer geworden.
Wie schon im ersten Aufsatz dieser Folge erwähnt, hat es eine
Zeit gegeben, wo die ”Abteilung Moresnet” der Vieille Monta-
gne 1400 Mann in ihren Diensten hatte. Ganze Generationen
brachten es auf ihren Werken bis zur Pension. De jruete Häre
(die hohen Herren) von der Direktion waren bei der Arbeiter-
schaft hochgeschätzt. Was hat es den alten Arbeitern Spaß ge-
macht, einen dieser Angestellten grüßen zu können ! Hob dieser
dann seinen Hut, den Gruß zu erwidern, gingen sie voller Ge-
nugtuung ihres Weges. Was den Arbeitern zu der Zeit ein
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”Herr” bedeutete, möchte ich mit einer sich auf meine Familie
beziehenden Erzählung erläutern.
Am 14. August des Jahres 1927 feierten meine Großeltern
väterlicherseits das seltene Fest der goldenen Hochzeit. Wie das
bei solch einem Fest, das früher ganz groß aufgezogen wurde,
ortsüblich ist, brachten Musik- und Gesangvereine am Abend
den Goldjubilaren ein Ständchen. So gegen 6 Uhr hatte sich
vor dem geschmückten Haus am ”Penning”, auf der unteren
Lütticher Straße zu Neu-Moresnet, eine große Volksmenge ein-
gefunden, Der Wettergott hatte es gut gemeint und umso genuß-
reicher ging die Feier vonstatten. Wir von der Familie um-
rahmten das Jubelpaar, während Musik und Gesangvorträge
erklangen. Mit einem Male zwangen sich Direktor Timmerhans
und sein Ingenieur Germay durch die Menge, den Gefeierten
ihren Glückwunsch auszusprechen. Oma und Opa haben dage-
standen wie verklärt. Ihre Freude schien riesengroß, das hat
man ihnen angesehen, Die Nervosität machte den beiden zu
schaffen. Der übertriebene ”Benimm” verriet ihr Unbehagen.
Sie wurden und wurden nicht Herr der Lage. Der Glückwunsch
des großen ”Chef” hatte alles andere in den Schatten gestellt.
Das war die größte Überraschung des ganzen Festes, eine Geste,
die, Gott weiß wieviele Male, bis zu ihrem Tode aufgewärmt
wurde, Bei jeder Gelegenheit kam der Händedruck des Ober-
sten der Gesellschaft zur Sprache und wie oft mag Oma zu Op?
gesagt haben, ”Et wor wal schön van der Här, hä Wellem ?”
(Es war wohl schön vom Herrn, nicht wahr Wilhelm ?)
Das ist die Einstellung der alten Leute ihren Vorgesetzten
gegenüber gewesen. Heute würde mehr von einem Geschenk
als von einem Händedruck gehalten,
Die sozialen Verhältnisse
Weil die Gruben alle auf deutschem Gebiet lagen, mußte
sich die Gesellschaft in der damaligen Zeit den deutschen Ge-
setzen unterwerfen. Jeder Arbeiter von unter oder über Tage
mußte seine sozialen Beiträge an eine deutsche Kasse leisten.
So kam es, daß alle Arbeiter Klebekarten bei der ”Aachener
Knappschaft” hatten. Dieser Organismus ist bis nach dem ersten
Weltkrieg immer für die hiesigen Bergleute zuständig gewesen.
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Eine Krankenkasse hatte die Vieille Montagne selber ein-
gerichtet, ohne vom Arbeiter einen Beitrag zu fordern. Die be-
handelnden Ärzte hatte der Verwaltungsausschuß der Kasse be-
stimmt. Für Spezialbehandlungen, für die ein höheres Honorar
verlangt wurde, mußte eine Genehmigung beantragt werden, Bei
Entlassung oder Aufgabe der Arbeit verfielen ab sofort die
Ansprüche auf Leistungen der Krankenkasse, In Bezug auf Geld-
verleih zeigte sich die Gesellschaft äußerst großzügig. Jeder, der
ein Haus zu kaufen beabsichtigte, ließ sich in dieser Angelegen-
heit beim Direktor zwecks näherer Rücksprache anmelden,
brachte ihm sein Anliegen vor und bat zugleich um das zum
Kauf benötigte Kapital. Hatte der Antragsteller einen guten Leu-
mund, wurde ihm kurzfristig zu kaum nennenswertem Zinssatz
das gefragte Kapital genehmigt, das man ihm monatlich in ganz
niedrigen Raten vom Lohn abhielt. So sind deren viele, ohne den
Riemen enger ziehen zu müssen, an ein Eigenheim gekommen.
Gesellschaft und Kirche
Die Bergwerksgesellschaft hat in der Tat immer geholfen
und beigestanden, wo auf materiellem Gebiet einiges zu wün-
schen übrig blieb. Sie hat nicht nur in industrieller Hinsicht
hier die Hand im Spiel gehabt, sondern auch dabei geholfen,
das christliche Leben zu fördern und zu unterstützen. So weiß
man, daß die frühere Kapelle in der jetzt so benannten Strasse
(Kapellstraße) von ihr geplant und gebaut wurde. Das Mobiliar,
die Paramente, sowie die Kirchengefäße im Werte von 2004,50
Franken stiftete das Werk ebenfalls. Der damalige Direktor
Scherpenzeel-Thim hatte schon 1858 bei der Pfarrerrichtung
den Wunsch zum Bau einer neuen Pfarrkirche geäußert, Seinen
Verwaltungsrat hatte er dazu bewogen, dem ”Neutralen Gebiet”
in dieser Angelegenheit einen Besuch abzustatten und er hatte
damit erreicht, daß dieser einen Beitrag von 40.000 Franken
für den Kirchenbau gewährte, mit dem Vorbehalt, sie in unmit-
telbarer Nähe der Schule ”Ecole Saint-Louis” zu bauen. Vom
Landmesser der Vieille Montagne ist der erste Plan, der aber
nachher verworfen wurde, angefertigt worden. Ein großer Teil
der Innenausstattung des Gotteshauses ist auch von der Gesell-
schaft beglichen worden. Da kann man sehen, daß das Unter-
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nehmen nicht, wie vielfach behauptet, nur schlechte, sondern
auch gute Seiten hatte,
Wer baute die ersten Schulen ?
Unbestritten ist es wieder die Gesellschaft gewesen, die auf
neutralem Boden die erste Mädchenschule bauen ließ. Die ”Eco-
le St-Louis” (das heutige Gemeindehaus) wurde bereits im Jahre
1857 gebaut. Auch die sogenannten schwarzen Schwestern
(”Sceurs de Notre-Dame” aus Namur) kamen dank der Gesell-
schaft zur Betreuung der Kinder hierher. Also noch eine weitere
gute Sache, die einzig und allein dem ”Berg” zuzuschreiben ist,
wenn auch allzuoft ungerechte Urteile über ihn gefällt werden.
Gesellschaft und Vereinsleben
Intensiv setzte sich die Leitung des Werkes für die Muse
ihrer Arbeiter ein, Sie unterstützte vor allen Dingen die Vereine,
die auf ihre Initiative hin zustande kamen. Da wäre vorerst die
Bergwerkskapelle mit ihren 60 - 70 Musikern, die während vie-
ler Jahre einen guten Ruf hatte, zu erwähnen. Musikalisch be-
gabte jugendliche Arbeiter der Firma konnten auf deren Kosten
ein Musikinstrument erlernen und selbstverständlich nachher der
Harmonie beitreten. Erstklassige Dirigenten, die von der Direk-
tion verpflichtet und bezahlt wurden, haben damals schon das
Musikleben in Kelmis auf ein hohes Niveau gebracht. Jede Wo-
che fanden zwei Proben statt und es war Pflicht, denselben bei-
zuwohnen, Die Kapelle gab monatlich zwei Konzerte, eins davon
im Schützenlokal, das andere im Kasino. Bei allen weltlichen
wie kirchlichen Feierlichkeiten mußte die Musik vom Berg mit
dabei sein. Für Konzerte und Proben erhielten die Spieler eine
geldliche Bagatelle als Entgelt. Von den ehemaligen Mitwirken-
den leben noch die Herren Poth Joseph, Klaas Mathieu, Serwas
Henri aus Kelmis und Delnoy Pierre aus Moresnet.
Veranlaßt durch gewisse Herren von der Direktion, grün-
dete sich im Jahre 1852 die St, Barbara-Sebastianus Schützen-
gesellschaft, die zur Zeit,wenn auch nicht mehr so aktiv wie da-
mals, noch besteht. Alle Belegschaftsmitglieder, ob jung oder
alt, wurden systematisch Mitglied dieser Vereinigung und nah-
men, um lieb Kind zu bleiben, an jeder ihrer Veranstaltungen
teil. Der Jahresbeitrag wurde in kleineren Raten vom Lohne ab-
gehalten.
17
1893 bildete sich ein weiterer Verein, und zwar der Berg-
mannsverein St. Leonardus (Siehe ”Im Göhltal” N° 2), dem die
meisten der Knappen als Mitglied beitraten. Feiern und Feste
dieses Vereines haben in den Jahren seines Bestehens bei der
Bevölkerung stets großen Anklang gefunden. Mit der Stillegung
der letzten Grube im Jahre 1938 erlosch gleichfalls die Tätig-
keit des ”Altenberger Bergmannsvereins”.
In all den Jahren ihres Bestehens ist die Gesellschaft von
dem größten Teil ihrer Arbeiter kritisiert und zu Unrecht getadelt
worden. Sie fanden stets eine Ursache, den Stab über ihren Ar-
beitgeber zu brechen. Doch wer Fehler sieht, hat gewöhnlich
selbst welche, duldet aber selten, daß andere darüber reden, Da-
rum möchte ich diesen Aufsatz nicht schließen, ohne auch eini-
ges über die Fehler und das Verhalten der Bergleute von damais
zu sagen,
Die Trinkfreudigkeit der Bergleute
Meistenteils ist es immer so gewesen, daß da, wo sich irgend-
welche Betriebe niederlassen, Geschäfte und ganz besonders
Wirtshäuser entstehen. In Kelmis dehnten sich die Gebäulich-
keiten der Vieille Montagne längs der unteren Hasardstraße
(Lütticher Straße) aus. Im Bruch standen früher nur die alten
Häuser, die heute noch dastehen. Auf der kurzen Strecke vom
Kohlenmagazin (Autobushaltestelle) bis zum Haus Nyssen (Metz-
gerei) zählte man zu der Zeit ”nur” sieben Wirtshäuser, in de-
nen eine beträchtliche Anzahl Bergleute mit trockenen Kehlen
leider zu oft Zuflucht suchten. Im Laufe der Jahre erhielten
diese Häuser den Namen ”Kapellchen” oder sogar ”Stationen”.
Hier in den ärmlich ausgestatten Räumen fühlte man sich wohl
und zuhause. Der verabreichte Schnaps ”Rue Bach” (Roter Bach)
wurde in Kelmis gebrannt und von den Kunden mit Vorliebe
getrunken. Den Vorgeschmack hatten die Männer schon während
der Schicht in der Grube, wo sie, wer weiß wieviele Male, den
Wunsch : ”Hätten wir nur ein Körnchen, das so groß wäre, daß
man sich die Füße drin waschen könnte” hegten. Nun stelle man
sich vor, mit welcher Gier sie nach Feierabend in die Kapell-
chen eilten, um, wie es hieß, ”den Nüchtern zu brechen”, Mor-
gens nach 6 Uhr hatten die Inhaber dieser Schnapslokale schon
die Türe geöffnet, weil sie wußten, daß die von Nachtschicht
18
kommenden Stammgäste so gegen halb sieben eintrafen. Nach
getaner Arbeit quälte sie der Durst mehr als der Schlaf. Das
bewies der lange Verbleib beim Sorgenbrecher Schnaps. Daß
die Männer von der Frühschicht gegen halb drei Uhr nachmittags
ihre Kumpels von der Gegenschicht beschwipst noch in so einem
Kapellchen antrafen, ist keine Seltenheit gewesen. Hieraus läßt
sich schließen, daß ihnen die Familie wenig bedeutete. Obschon
ihnen bewußt war, daß das verschwendete Geld zu Hause fehlte,
wurden sie dieses Lasters nicht Herr. Komme was komme, die
”Stationen” mußten abgegangen werden. Ob zu Hause der Haus-
frieden schief hing oder nicht, änderte nicht das Geringste ; der
Alkohol blieb Sieger. .
Das Bild mit dem Spruch ”Hier wird nicht gepumpt” und
der Mann an der Pumpe hing in jedem der Spritbüdchen, den
Kunden zum sofortigen Bezahlen aufzufordern. Leider machte
der Wirt keinen Gebrauch davon und borgte den Branntwein von
Lohntag bis Lohntag. Bis dahin wurde die Zeche, wie es damals
hieß, angekreidet. Am Tag der Löhnung saß alsdann die Wirtin,
eine große Schürze vorgebunden, herrisch im Lokal, die Schuld-
ner zu erwarten, In ihrem Schoß lag das Schuldenbüchlein und
das nötige Wechselgeld. Wer an dem Tage nicht zahlte, bekam
nichts mehr zu trinken, bis das gepumpte Quantum bezahlt war.
Vor den Gaststätten haben sich des öfteren die traurigsten Sze-
nen abgespielt, wenn der Mann mit dem der Familie zustehen-
den Lohne auf feuchter Tour gewesen. Was haben die Frauen
solcher süchtigen Männer an dem Tag, den sie aus Not mit Un-
geduld erwarteten, für schwere Stunden erlebt! Die lange,
glanzlederne Einkaufstasche im Arm, gefolgt von den Kindern,
patrouillierten die besorgten Mütter, Gott weiß wie lange, vor
den Kneipen auf und ab, ob der Herr Gemahl sich erweichen
ließ und ihr den Lohn herausbrächte. Schickte sie nach langem
Warten ein Kind, den Papa zu holen, kam er wütend heraus
und wurde sogar noch handgreiflich. Weinend und noch mit lee-
rer Tasche konnte dann die Ärmste mit ihren Kleinen wieder
nach Hause gehen und abwarten ob der betrunkene, dem Namen
nach Vater, sich nicht noch an den Möbeln vergriff.
Vielleicht gibt es heute noch Omas und Opas, die wissen,
daß diese Zeilen wahr sind und im Stillen denken. ”Gott, oh
|
19
Gott, waren das Mißstände”, Die alten Leute, die die jetzige
Zeit noch miterleben, können nicht anders als sagen : ”Ein Glück,
das kennt man momentan nicht mehr.”
Wußten sie schon,
daß die ”Abteilung Moresnet” der Gesellschaft des Altenberges
während ihres langjährigen Bestehens von 10 Direktoren geleitet
worden ist? Ich glaube, diese Namen einmal kennen zu lernen,
dürfte für viele Leser unserer Zeitschrift, besonders für die
aus den ausgebeuteten Gebieten, nicht uninteressant sein. Mit
Hilfe des Kulturinspektors Firmin Pauquet, ist es möglich gewe-
sen, eine Liste dieser Herren und die Daten ihrer Amtszeit auf-
zustellen.
1. Deprez Gilles-Joseph
Wahrscheinlich seit der Übernahme des Betriebes durch den
Pächter Jean-Jacques-Daniel Dony. Amtlich aber von 1809
bis 1831.
2. Crocq Jean-Baptiste
Vom 31. Mai 1831 bis 1. Juli 1839,
3. Murailhe Leon
Vom 1, Juli 1839 bis September 1841. !
4. Billaudel Nicolas
Von September 1841 bis August 1846.
5. Van Scherpenzeel-Thim Adolphe
Direktor vom 15. August 1846 bis 1, Juni 1859.
18. August 1854 Beigeordneter Bürgermeister von Neutral-
Moresnet,
10. März 1859 - 1. Juli 1859 Bürgermeister von Neutral-Mo-
resnet,
1859-1871 Direktor der Altenberger Betriebe am Rhein
(Bensberg).
1871-1877 Direktor der Fabrik von Valenti-Cocq. (Hollogne-
aux-Pierres bei Lüttich). Durch ihn der Name Thimstraße,
6. Max Braun
Oberingenieur ab 14. Juni 1848.
Auch Direktor der Agence de Moresnet vom 3. Mai 1859
bis 1. Oktober 1874.
20
7. Bilharz Oskar
Vom 1. September 1857 an Direktor der Agence Welken-
raedt,
Ab 1. Juni 1859 Grubeninspektor und Unterdirektor der Gru-
be Moresnet.
Ab 1. Oktober 1874 bis 1. Juli 1884 hier Direktor.
Er war Gemeinderatsmitglied von Neutral-Moresnet 1861 -
1864 und 1869 - 1879. Beigeordneter von 1871 - 1879, Bür-
germeister von 1883 - 1885. Er soll ebenfalls der Urheber
des Siegels und der schwarz-weiß-blauen Fahne von Neutral-
Moresnet sein.
8. Jamme Henri
Kam am 21. Mai 1883 als Ingenieur nach Moresnet, war vom
1. Juli 1884 bis 14. November 1894 Direktor und hatte vom
1. Januar 1885 bis 12. Februar 1912 die Direktion in Bens-
berg.
9. Timmerhans Charles
Trat im Jahre 1888 als Ingenieur in den Dienst der Abteilung
Moresnet.
Dortselbst wurde er am 14. November 1894 zum Direktor er-
nannt, Diesen Posten behauptete er bis zum 1. Januar 1939,
also beinahe während 45 Jahren.
10. Bleyfuesz Fernand
Ingenieur in Moresnet : 1. 5. 1908. Direktor ab 1. Januar
1939,
21
Chronik der Bürgermeisterei Hergenraed
von A. Bertha
Ausgabe I : 1826-1850; Ausgabe II : 1851-1875;
Ausgabe IIT : 1876-1900 ; Ausgabe IV : 1901-1915
Vorbemerkung : Ein Rundschreiben der Königlich-Preußi-
schen Regierung zu Aachen vom 8, 4. 1825 verpflichtete die
Bürgermeistereien, eine Chronik anzulegen, in der ”am Ende
eines jeden Jahres in einfacher und gleichförmiger Art alles auf-
gezeichnet werden soll, was in dem Laufe des Jahres sich in der
Gemeinde und für dieselbe Bemerkenswertes zugetragen hat.”
Die daraufhin in Hergenrath angelegte Chronik beginnt 1826 und
endet mit dem Kriegsjahr 1915. Sie umfaßt vier Bände, wovon
die drei ersten jeweils einen Zeitraum von 25 Jahren decken,
der letzte behandelt die Periode von 1900 bis 1915 einschließ-
lich.
Aus dieser in mancherlei Hinsicht für die Geschichte Her-
genraths reichhaltigen Quelle wollen wir hier der Öffentlichkeit
einiges zugänglich machen, In der Einleitung haben wir die
Schreibweise des Verfassers (Bürgermeisters von Lassaulx) res-
pektiert,
Einleitung : Die Regierung der unvergeßlichen Kaiserin
Maria Theresia nach Ende des Siebenjährigen Krieges war un-
streitig die glücklichste Epoche für die Niederlande, und als
diese große Fürstin im Jahre 1780 starb, verbreitete sich so
große Trauer über das ganze Land, daß sie auf den Schreiber
dieses, den jetzigen Bürgermeister, seines erst sechsjährigen Al-
ters ungeachtet, einen tiefen unauslöschlichen Eindruck machte,
und wohlbegründet war dieser Schmerz, es war gleichsam ein
Vorgefühl der traurigen drangvollen Zeiten, die nun kommen
sollten und gar bald kamen. Denn der Umsturz der alten Ge-
setze, die tägliche Einführung neuer, ungewohnter Ordnungen,
die Furcht vor noch drückenderen Lasten - allgemeine Militär-
pflicht und Erhöhung der Steuern - brachten eine solche Gärung
hervor, daß im Jahre 1784 schon alles wieder auf den alten Fuß
gesetzt werden mußte. Es währte nicht lange und so fingen
die Veränderungen wieder an und es brach die Revolution von
22
1789 aus. Die Folgen derselben waren für das Land nicht so
verderblich als sie hätten sein können ; der Kaiser Joseph II war
gestorben und Kaiser Leopold II. eroberte die Niederlande wie-
der, stellte die alte Verfassung wieder her und gewiß würden wir
unter der Regierung seines Sohnes, des Kaisers Franz, die schö-
nen Zeiten Maria Theresias wieder erlebt haben, wenn der
Krieg gegen Frankreich eine glückliche Wende genommen hätte ;
aber am 6. 11. 1792 verloren die Österreicher die Schlacht bei
Jemappes und schon am 6, folgenden Dezembers rückten die
Franzosen in unsere Gegend vor, friedlich und ruhig, ohne einige
Exzesse, doch den Einwohnern in tiefster Seele verhaßt. Schon
am 19. Dezember selbigen Jahres erließ der Nationale Convent
ein Dekret, welches, Freiheit und Gleichheit verkündigend, im ;
Grunde alle wirkliche Freiheit vertilgte, denn wir kannten die
Freiheit, hatten sie unter Österreich gehabt und zwar in solchem
Grade, daß sie alle Begriffe von Freiheit, die die Franzosen ha-
ben konnten, weit übertraf.
Am 1. März 1793 wurden die Franzosen an der Roer bei
Aldenhoven geschlagen und am 3. war unser Ländchen befreit.
Mit lautem Jubel wurden die Österreicher empfangen, alles trat
wieder in die alte Ordnung, welche die kurze französische Re-
gierung dem Volke nur noch teuerer gemacht hatte. Damals
hätte Friede werden sollen, doch wir verdienten gewiß dieses
Glück nicht und noch härtere Strafen hatte Gott uns bereitet !
Denn der Krieg wütete hart und nach mehreren unglücklichen
Gefechten an der französischen Grenze im Jahre 1794 erfochten
endlich die Franzosen den Sieg bei Fleurus in dessen Folge das
Österreichische Heer sich über die Mass zurückziehen mußte ; am
18. September wurde der linke Flügel dieses Heeres an der Our-
the zurückgedrängt und wenige Tage nachher zogen sie sich
hinter die Geul. In der hiesigen Gemeinde fiel dabei ein kleines
Scharmützel vor; auf dem Eineburger Felde standen französische
Tirailleurs, im Hergenrather Felde die Österreicher. Einige Hu-
saren, durch das Gebüsch am Eineburger Tale gedeckt, ritten
um Eineburg herum und nahmen auf dem dortigen Felde einige
Franzosen gefangen,
Die Österreichischen kamen, bestrichen die Geulbrücke, die
auch etwas, doch unbedeutend, beschädigt wurde ; langsam zo-
gen sich die Österreicher zurück und da war es, daß die fran-
zösische Division Championet, auf den Höhen zwischen Henri-
|
23
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An der Eyneburg fand ein Scharmützel statt ...
chapelle und Homburg gelagert, drei Tage lang unsere ganze
Gegend plünderte, wobei auch die ärmste Hütte nicht verschont
wurde, Im Anfang des Oktober standen die Franzosen schon
am Rhein und nun fing das Elend des Landes erst an, eine Re-
quisition folgte der anderen, alle Einrichtungen wurden mit ei-
nem Schlage vernichtet, neue Formen, neue Behörden einge-
führt, die gänzliche Stockung der Fabriken, die Teuerung der
Lebensmittel (ein 6pfündiges Roggenbrot kostete drei Franken),
ein furchtbar kalter Winter, das Nervenfieber oder Lazarettfieber
(= Typhus) brachte das Elend der Einwohner aufs Höchste,
doch diese Plagen vergingen, das größte bleibende Unglück
waren die neu eingeführten Gesetze und Ordnungen ; die greu-
liche Zeit des Robespierre war vorüber, ehe die Franzosen hier
einrückten. Solche Greuel wie damals in Frankreich erlebten
wir nicht, allein schlimm, sehr schlimm war damals die Lage
des Landes. Ganz besonders traurig waren die Jahre von 1797
bis einschließlich 1799, die Verfolgung der katholischen Prie-
ster, welche den Eid ”Haß dem Königtum” nicht leisteten, trat
ein, die Kirchen wurden geschlossen, doch zu ihrem Ruhm sei
es gesagt, kein Pfarrer verließ seine Gemeinde, sie lebten ver-
borgen und verrichteten ihre Pflicht bei Nacht und Nebel, bald
24
in diesem, bald in jenem Haus verborgen, und zum Ruhme ge-
reicht es gewiß den Einwohnern, daß keiner verraten wurde,
Auch die Militärpflichtigkeit wurde eingeführt, das unse-
rem Volke gehässigte Gesetz, dem sich keiner fügte. Damals
waren unsere Wälder und abgelegenen Häuser voller Refrac-
tairs, häufige Gendarmenpatrouillen durchstreiften das Land
und fingen niemand, denn sobald sich ein Gendarm sehen ließ,
waren alle Weiber und Mädchen eifrigst bemüht, alle Schlupf-
winkel zu durchstreifen und zu warnen. Eine dumpfe Gärung,
eine allgemeine Unzufriedenheit herrschte, und ob dies, des fried-
lichen ruhigen Charakters der Einwohner ungeachtet, nicht zu
einer offenen Empörung geführt hätte, wozu schon in der Ge-
gend von Aubel ein gescheiterter Anfang gemacht wurde, mag
Gott wissen, aber da erschien in November 1799 Napoleon Bo-
naparte und stellte sich an die Spitze der Regierung ; glänzend
und erfreulich war der Anfang dieser Regierung. An die Stelle
des Chaos trat wenigstens strenge Ordnung, das Monarchische
Prinzip wurde hergestellt und man hoffte auf noch bessere Zei-
ten. Allein, diese Hoffnung wurde vereitelt. Die Religion war
durch das Konkordat von 1801 wieder hergestellt, Ruhe, Ord-
nung und Wohlstand herrschten ; und doch war die Unzufrie-
denheit allgemein, denn die herrschenden Gesetze waren noch
die Gesetze der Revolution, andere Namen andere Formen, im
Grunde eben dieselben despotischen Maßregeln, die Joseph II.
1789 auch schon einführen wollte. Ein Krieg folgte dem anderen
und obwohl nur die eiserne Hand des Monarchen unsere Jugend
unter die Fahne zu bringen und zu halten vermochte, obschon
bei Ausbruch des Krieges jeder für einen Sohn, einen Verwand-
ten oder einen Freund zittern mußte, so wurde doch immer jeder
neue Krieg mit Freuden vernommen, denn man hoffte immer auf
günstige Ereignisse, die der französischen Herrschaft ein Ende
machen würden. Nach 20-jährigem Harren wurde dieser Wunsch
erfüllt, 1812 vernichtete Gott das französische Heer in Rußland,
1813 unter Gottes Schutz teutsche Kraft das neue Heer bei Leip-
zig und am 17. Januar 1814 zogen die Vorposten der verbünde-
ten Heere, eine Abteilung Kosaken, von Aachen nach Herve ;
ihnen folgten in gedrängten Massen die Heere und die französi-
sche Herrschaft hatte ein Ende,
25
Die Gemeinde gehörte in den ersten Jahren ihrer Vereini-
gung mit Frankreich zum Kanton Walhorn, Departement der
Ourte, nach 1799 ging der Kanton Walhorn ein und Hergenrath
gehörte seitdem zu dem Kanton Eupen, Arrondissement Malme-
dy, Departement der Ourte.
Hinsichtlich der Verwaltung der Gemeinde während der
französischen Zeit so sind an und für sich waren die französi-
schen Gesetze (Es handelt sich hier nur von jenen, welche auf
die Verwaltung der Gemeinden Bezug haben) dem Despotismus
der schlimmsten Art, nemlich jenem der Lokalbehörden. Hierzu
kam noch der Umstand, daß die französische Sprache den Ein-
wohnern ganz unbekannt war, sie konnten daher umso leichter
hintergangen, schikaniert und auf alle Weise gedrückt werden.
Glücklicher Weise waren hier die Lokalbehörden jener Zeit recht-
liche Leuvte, unfähig ihre Stellung zu mißbrauchen ; Anfangs fun-
girte noch Hr Notar Bounie, welcher auch in der österreichischen
Zeit die Gemeindeangelegenheiten besorgte, im Jahr 5 der Re-
publik 1796/97 war Stephen Rainer Egyptien Vorsteher unter
dem Namen agent municipal, noch in demselben Jahr dankte
er ab und Hr Louis Chabert, welcher der französischen Sprache
kundig war, wurde an dessen Stelle erwählt. Chabert hat dann
bis zu seinem im Jahre 1814 erfolgten Todte fungirt. Er hat
sich in mancher Hinsicht sehr um die Gemeinde verdient ge-
macht.
Mit Ende der französischen Herrschaft wurden die erober-
ten Länder für die hohen Allirten verwaltet ; wir gehörten zum
Gouvernement des Mittel- und Niederrheins, zum Kreis Malme-
dy, Departement der Maas und Ourte, Übrigens hoffte jeder die
alten Gesetze wieder eingeführt zu sehen, und alle Proklamatio-,
nen, welche die hohen Alliirten bekanntmachten, berechtigten ‘:
zu dieser Hoffnung, keine Konskription, keine Droit reunis mehr &n
hieß es, teutsche Gesetze sollten fortan herrschen ! Freudevoll
und mit Jubel wurden die Kosaken empfangen, willig und gerne
trug der Landmann die schwere Last der Einquartierungen, wel-
che bis Januar 1816 ununterbrochen fortwährten und da immer
alles auf dem französischen verfaßten Fuße blieb, tröstete man,
sich mit dem Gedanken, daß alles Gute nachkommen würde.
Der Bürgermeister Chabert starb, ihm folgte der Herr Aegidius
27
Die Zeit wird uns die Folgen zeigen. Nach der definitiven
Vereinigung mit dem preußischen Staate gehörte die hiesige Ge-
meinde zum Regierungsbezirk Aachen und Kreise Eupen ; hier
fungirte als Bürgermeister Aegidius Joseph Schrijnmeker bis zu
seinem im Jahre 1823 erfolgten Tode. Auch er machte sich viel-
fältig um die Gemeinde verdient, ganz besonders durch einen
sehr günstigen Vergleich, den er mit den Kreditoren der Ge-
meinde abschloß.
Nach seinem Tode wurde die kommissarische Verwaltung
der Gemeinde dem Bürgermeister von Moresnet, Herrn Arnold
von Lasaulx übertragen, welcher noch fungirt.
In kirchlicher Hinsicht gehört Hergenrath in alten Zeiten
zur Pfarre Walhorn, es war hier kein Geistlicher, das
Chor der jetzigen Kirche soll eine Kapelle gewesen seyn; wann
hier eine eigene Pfarre errichtet wurde genau anzugeben, ist
nicht möglich, da sich hierüber in den Archiven nichts findet ;
indessen war 1670 schon ein Pfarrer hier, er hieß Jakob Schleig
und ertrank am 15, Dezember 1670 iı der Geul nicht weit von
Moresnet, welche Pfarrer diesem folgten ist unbekannt. Im Jahre
1755 war Herr Lambert Schmets Pfarrer, diesem folgte 1765
Herr Johann Vanwersch, welcher am 25. 4. 1782 von einem
wahnsinnigen Frauenzimmer in der Kirche selbst, am Fuße des
Altares, nach beendigter Messe, wo niemand mehr in der Kirche
war, mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen wurde ; rin-
gend mit dieser Frau gelang es dem Pfarrer erst an der Kirchen-
tür ihr zu entgehen. Er hatte 25 tödtliche Kopfwunden und starb
einige Tage nachher. Ihm folgte Herr Johann Henmen. Auch
dieser sehr würdige geliebte Mann hatte einen unglücklichen Tod.
Er besuchte am 31. oct. 1791 eine sterbende kranke Frau am
Biltgen im Hause wo Bree nun wohnt und wurde von einem
Österreichischen Offizier ermordet, Diesem Herrn Hennen folgte
Herr Schillings ; er fungirte während der Verfolgung und wurde
nach dem Konkordate von 1801 von hier versetzt. Ihm folgte
Herr Knops, welcher Ende 1811 starb. Diesem folgte Herr
Schmetz, der anfangs September 1813 auf der Rückkehr von
Baalen im dunkeln in einen Pfuhl zu Gemehret geriet und er-
trank. Herr Yserentant war sein Nachfolger.
28
Im Jahre 1825 kaufte die Gemeinde und Kirche das Gut
zum letzten Stüber von Peter Berners und Konsorten für 4.265
franken 50 centimen. Im Jahre 1826 wurde das Vikarie Haus
erbaut, denn einen Kaplan hatte die hiesige Pfarre früher gehabt,
jetzt aber schon seit vielen Jahren nicht mehr. Im Jahre 1826,
den 6. März, starb der Herr Pfarrer Yserentant und ihm folgte
Herr Thomas Claes, (1)
Das Schulwesen war hier in sehr schlechtem Zustande.
Vor der französischen Zeit waren die Kapläne gewöhnlich zu-
gleich Schullehrer, wie es während der französischen Zeit auch
noch geschah, so lange ein Kaplan hier war, nachdem übernahm
der Küster Titgens zugleich die Schullehrstelle. Nach dessen
im Jahre 1819 erfolgten Tode übernahm sein Nachfolger Alex-
ander Sittard zugleich die Schullehrerstelle. Schade nur, daß das
Schullokal so schlecht ist und die Finanzen der Gemeinde bisher
nicht erlauben, eine neue Schule zu bauen. (2)
Im Jahre 1826 fiel nichts bemerkenswertes vor, die Ernte
war eben nicht ergiebig, nur Weizen und Hafer gaben eine ge-
wöhnliche Ernte, alle anderen Fruchtarten gaben weniger. (3)
Soweit die Einleitung der Gemeindechronik. Sie stammt
aus der Feder des Bürgermeisters von Lasaulx. Für die Folge-
zeit kann man natürlich die Geschichte dieser Ortschaft nicht
so darstellen, wie es die Chronisten getan haben, nämlich in
Annalen. Nur in Ausnahmefällen werden wir den Text integral
und in der ursprünglichen Schreibweise bringen. Den Ernte- und
Wetterberichten, die in der Chronik Seiten füllen, werden wir
weniger Aufmerksamkeit schenken und uns cher auf das be-
schränken, was das Bild unseres Dorfes mitgeprägt hat : das
politische Geschehen, die Entwicklung von Handel und Indu-
strie, die Pfarrgeschichte, das Schulwesen, den Ausbau des Wege-
und Eisenbahnnetzes u.s.w. Um es gleich vorwegzunehmen : Her-
genrath war um 1830 ein bäuerliches Dorf, das von Ackerern
bewohnt war. Zwar finden in der aufkommenden Textilindustrie,
in den Spinnereien in Hauset und Hergenrath, manche Arbeiter
(1) In Nr. 13 dieser Zeitschrift werden wir auf die Pfarrgeschichte
Hergenraths zurückkommen.
(2) Über den Werdegang der Hergenrather Schulen werden wir in Nr. 14
berichten,
(3) Während zu Beginn des 19. Jhs. Heu und Kartoffeln nach den Wor-
ten des Bürgermeisters ”den Reichtum der hiesigen Bauern” aus-
machen, nimmt in preußischer Zeit der Getreideanbau zu.
29
und Arbeiterinnen ihren Erwerb, aber die Landwirtschaft, der
Getreideanbau, prägt noch das Bild des Dorfes. Sommer- und
Winterroggen, Weizen, Kartoffeln, Feldbohnen, Erbsen, Futter-
wicke, Klee und Heu erntete man. Spelz und Sommergerste wer-
den ebenfalls erwähnt.
Langsam, fast unmerklich, nimmt dann im Laufe der zwei-
ten Hälfte des neunzehnten Jhs. der Acker zu Gunsten der Wei-
dewirtschaft ab, und gegen Ende des Jahrhunderts kann der
Chronist berichten, die Fruchternte sei hier nur sehr gering. Der
Kartoffelanbau ist vor allem wegen einer Kartoffelkrankheit zu-
rückgegangen, die zum ersten Male 1844 auftrat. Es war dies
ein Jahr mit einem stark verregneten Sommer. Seitdem ist diese
Krankheit, mit einigen ganz wenigen Ausnahmejahren, regel-
mäßig wiedergekehrt. ”Die Krankheit besteht darin ‚so schreibt
der Chronist, daß das Kraut der Kartoffeln schwarz wird und
einen widerlichen Geruch verbreitet und die Kartoffeln in der
Erde faulen.” Für unsere Vorfahren war eine schlechte Kartof-
felernte eine böse Sache, war doch die Kartoffel neben dem Rog-
genbrot Grundnahrungsmittel. Da die über Kontinente reichen-
den Handelsbeziehungen nicht bestanden und man also nicht bei
Mangelerscheinungen der Not durch Getreideimporte steuern
konnte, schwankten die Brotpreise gewaltig je nach Angebot und
Nachfrage. So kostete z.B. im Frühjahr 1847 das achtpfündige (!)
Roggenbrot 12 1/2 Groschen, im Spätherbste, nach einer guten
Ernte, kostete es nur noch 4 - 5 Groschen.
Die Wohnverhältnisse müssen alles andere als komfortabel
gewesen sein. Die meisten Häuser waren mit Stroh gedeckt und
so vergeht kein Jahr, in dem nicht in Hauset und Hergenrath
mehrere Häuser durch Brand zerstört werden, Das ging, der
Bauweise der Häuser entsprechend, äußerst schnell. So brannten
z.B. in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 1828 in Hauset zweı
Häuser ab, ”so schnell, daß selbst die in kleiner Entfernung le-
benden Nachbarn nichts davon gewahr wurden. Die Bewohner
waren arme Fabrikarbeiter.”
Diese Wohnverhältnisse, verseuchtes Brunnenwasser und
mangelhafte Hygiene sind wohl dafür verantwortlich zu machen,
daß während des ganzen 19, Jhs. immer wieder Typhus auftritt
und die Cholera mehrmals die Gegend bedroht.
30
Das Jahr 1830 ist in den Geschichtsbüchern als ein Jahr
der politischen Wirren in verschiedenen Ländern Europas ein-
gegangen. Hier möchten wir den Chronisten zu Wort kommen
lassen, um zu erfahren, was die Hergenrather Bevölkerung dach-
te und fühlte, als es so nahe vor ihren ”Toren” zu Unruhen kam :
”Im Juli brach in Paris die Revolution aus, welche den
rechtmäßigen König Karl X. vom Thron stürzte und den Herzog
von Orleans, Ludwig-Philippe, auf den Thron, den lange von
dieser Familie ersehnten, setzte. Bei unserem Volke, nämlich
bei dem Landmann, fand die Revolution wenig Anklang, ver-
breitete aber große Schrecken, denn es zweifelte niemand daran,
daß infolge der zwischen den Mächten bestehenden heiligen Al- +
lianz, alle Monarchen aufstehen und die Revolution aus allen
Kräften bekämpfen würden, Auf einen Krieg, einen langen ver-
derblichen Krieg, rechnete daher jeder umso mehr, als auch im
benachbarten Königreich der Niederlande alles auf den nahen
Ausbruch einer Revolution hindeutete, Wirklich brach am 30.
August ein Aufstand in Verviers los. Ein Haufen Gesindel plün-
derte mehrere Häuser, zog von Verviers nach Aubel, verübte da
unter den Augen der Behörden, die ihnen mit dreifarbigen Fah-
nen entgegenzogen und sie begrüßt hatten, dieselben Greuel und
kehrte dann nach Verviers zurück.
”In allen niederländischen Orten wurde auf den Kirchtür-
men die belgische dreifarbige Fahne aufgepflanzt. Die auf der
Kirche zu Henri-Chapelle aufgepflanzte war so groß, daß man
sie aus dem Hergenrather Felde mit bloßem Auge sehen konnte.
Die beunruhigenden Gerüchte wurden verbreitet, die Belgier
rückten an, die niederländischen Zollämter, die Maschinen auf
den Tuchfabriken würden alle verbrannt etc. etc. Von all dem
geschah nichts.
”Noch größer aber wurde der Schrecken, als die erste Kun-
de des Aufstandes in Aachen bedeutend vergrößert hier eintraf.
Als man aber gleich nachher erfuhr, daß die braven Bürger zu
Aachen selbst die Waffen ergriffen und das Gesindel, welches
den Anfang zum Aufstand mit der Plünderung des Hauses des
Herrn Charles James Cockerill gemacht hatte, auseinandergetrie-
ben hatten, als gleich nachher Truppen einrückten und die Gren-
ze besetzten, beruhigte sich alles, Auch im angrenzenden Nieder-
31
lande wollte der Pöbel nochmal nach Aubel ziehen und diesen
Marktflecken plündern. Allein bei Thimister wurden sie von
den Einwohnern dieses Dorfes und einiger benachbarter Dörfer
angegriffen, einige erschossen, mehrere gefangen und alle zer-
sprengt. Nun wurde auf unserer Grenze alles wieder ruhig, die
belgische Fahne verschwand von den Kirchthürmen, die ruhi-
gen Landbewohner hatten ohnehin nicht den mindesten An-
teil an diesen Unruhen genommen und als im September
der Aufstand in Brüssel statt hatte und alle Städte diesem
Beispiel folgten, als die Revolution vollbracht und die hol-
ländischen Truppen aus Belgien verjagd waren, fügte sich das
Landvolk in die neue Regierung, ohne daß wieder unruhige Auf-
tritte in unserer Nachbarschaft stattgehabt hätten. Nur ein Trupp
Revolutionäre zog zwar von Kirchrath oder Heerlen kommend,
durch Gemmenich und Moresnet die ganze Landstraße nach
Henri-Chapelle herauf, respektierten aber überall das preußische
Gebiet, präsentierten sogar vor dem preußischen Adler am
Weißen Haus das Gewehr.
”Erfreulich war es für jeden treuen wohldenkenden Unter-
tan unseres Königs zu sehen, wie inmitten all dieser Wirren sich
die Anhänglichkeit an allerhöchst denselben und Preußen er-
probten. Jeden hörte man sich glücklich preisen preußisch zu
sein, Und als plötzlich eines Tages die Landwehr einberufen
wurde, blieben nur die wenigen zurück, welche durch Krankheit
außer Stande gesetzt waren, dem Befehle zu gehorchen. Verhei-
ratete Männer, Väter unserer Kinder, die bloß von der Arbeit
des Vaters lebten, folgten doch willig dem Rufe des Königs und
hier in den neuen Provinzen wie damals in den alten Zeiten
konnte man sagen : ”Der König rief, und alle kamen !” Die
neuen wie die alten Untertanen konnten in Liebe zu König und
Vaterland gleichgesinnt mit Stoiz sagen : ”Wir sind Preußen”.
Bemerkenswert ist es gewiß, wie in dem kurzen Zeitraum
von 15 - 16 Jahren die preußische Regierung sich das Vertrauen,
mithin auch die Liebe des hiesigen Volkes in so hohem Grade
zu gewinnen wußte, denn unsere Väter, als treue Untertanen
des Hauses Österreich, hegten noch aus den Zeiten Marien The-
resiens und des siebenjährigen Krieges eine große Abneigung
gegen Preußen, welche, von Eltern auf Kinder fortgepflanzt,
32
1815 noch in voller Kraft bestand und durch die ganz unerwar-
tete Beibehaltung der französischen Gesetze noch gekräftigt wur-
deQ.aakıee
”Von den im Kreise stationierten Truppen hatten wir hier
keine Einquartierung, bis am 11. Oktober auf dem Zollamt zu
Tüllje ein Kommando von 34 Mann ankam, welche teilweise
hier, teils in der Bürgermeisterei Moresnet einquartiert wurden.”
Soweit der Bericht. Man hat sich also hier erstaunlich
schnell an die neuen Herren, die Preußen, gewöhnt und fühlt
sich sehr bald selber als Preuße. Eine sprachliche Barriere be-
stand nicht, die Verwaltung und die Schule konnten viel besser
als unter den Franzosen arbeiten und das Zusammengehörig-
keitsgefühl stärken. Dazu kommt der Umstand, daß die Bevöl-
kerung ohnehin monarchisch gesinnt war und sich eine republi-
kanische Ordnung nicht recht als von Gott gewollt vorstellen
konnte ; die Idee der Republik war ihr fremd und sie konnte
sich mit ihr nicht anfreunden, Trotzdem muß man sagen, daß die
Frist von 15-16 Jahren, wie ja auch von Lasaulx hervorhebt,
erstaunlich kurz war, um eine so tiefgreifende Wandlung her-
beizuführen. Die Hergenrather und Hauseter waren nicht, wie
von Lasaulx befürchtet hatte, Franzosen geblieben, sondern sie
waren Preußen geworden.
Das Militärkommando auf Tülje, von dem oben die Rede
ist, wurde Ende November 1832 wieder abgezogen. Große Auf-
regung gab es im November 1837, als der Erzbischof von Köln,
Freiherr Clemens August von Droste-Vischering, mit Gewalt
von Köln abgeführt wurde. ”Mit Blitzschnelle verbreitete sich
diese Nachricht und brachte unter dem Volke eine solche Auf-
regung hervor, wie der unterschriebene Bürgermeister in seinem
ganzen Leben noch nicht gesehen hat, soviele Revolutionen, Kri-
sen und unglückliche Zeiten er auch erlebte.” (von Lasaulx).
Am 10. Juni 1840 erhielt der Bürgermeister die Nachricht
vom ”Ableben unseres hochverehrten Königs, unstreitig einer
(1) Es ging um die Frage der Mischehen. Der Kölner Erzbischof, Kle-
mens August von Droste zu Vischering, und der von Gnesen und
Posen, Martin von Dunin, wollten die preußische Regelung, nach
der Kinder solcher Ehen in der Konfession des Vaters erzogen wer-
den sollten, nicht mehr anerkennen. König Friedrich Wilhelm III.
enthob sie deswegen beide ihres Amtes; sie wurden zu Festungs-
haft verurteilt,
33
der größten Monarchen, welchen nicht nur Preußen, sondern
Europa aufzuweisen hat. Er hat Preußen 43 Jahre lang regiert
und in dieser Zeit viel frohe, viel traurige Ereignisse erlebt. In
den ersten Jahren seiner Regierung erweiterte er die‘ Grenzen
der Monarchie sehr bedeutend durch Eroberung eines großen
Teiles von Polen und später durch die Eroberung von Hannover.
Lange bewahrte eine kluge Politik das Innere des Landes vor
Krieg, während der Revolutionskrieg fast ganz Europa zerfleisch-
te. Endlich erreichte das Schicksal auch Preußen. Durch die
Schlacht bei Jena, 14. Okt. 1806, verlor Preußen nicht nur alle
früheren Eroberungen, sondern einen großen Teil seiner alten Pro-
vinzen, Jetzo war der Zeitpunkt gekommen, wo Unglück, öffent-
liches wie häusliches Unglück, den König traf, allein nicht beugte.
Unablässig beschäftigt, die Wunde des Landes zu heilen und im
Stillen auf bessere Zeiten sich vorzubereiten, erlebte endlich der
König - oh möchte die Königin Louise sie doch auch erlebt ha-
ben - die große Heldenzeit, wo auf den Ruf des geliebten Königs
alles zu den Waffen griff und Preußen voranzog zum Befreiungs-
kriege nicht nur Deutschlands sonderi Europas. Siegreich zogen
die Heere wieder heim und ein langer Friede heilte die Wunden
des Landes.
1830 brach der revolutionäre Sturm in Frankreich und Bel-
gien los. Es fehlte nicht an Aufhetzern in den Rheinprovinzen,
aber dem guten Könige und seiner milden und doch festen Re-
gierung zugetan, stieß unser Volk sie zurück. Allem Anschein
ungeachtet entstand kein Krieg und die Segnungen des Friedens,
die wir unserem Könige hauptsächlich verdanken, erfreuten uns
fortwährend und erfreuen uns noch. Nur trübten in den letzten
Jahren die unseligen religiösen Wirren die Aussichten in die Zu-
kunft. Vertrauensvoll blicken wir aber zu dem Trone seiner
jetzt regierenden Majestät Friedrich Wilhelm IV. herauf, von
seiner Gerechtigkeit und Güte die endliche Lösung dieser Wirren
erwartend.” (1)
(1) Friedrich Wilhelm IV. schlug, w‘c erhofft, den Weg der Versöhnung
ein im Streit mit den Erzbischöfen von Köln und Gnesen und Posen.
Er ließ den Posener in seinen Sprengel zurückkehren und dem Kölner
erlaubte er, seinen Aufenthalt frei zu wählen, allerdings nicht in
der Erzdiözese Köln.
34
Von Lasaulx war wirklich das, was man königstreu nennen
könnte ; er führt die Chronik bis 1847. Am 6. Januar 1847 hatte
er, wie sein Nachfolger, der Eynattener Bürgermeister Carl Esser
berichtet, ”einen gefährlichen Überfall ; derselbe konnte deshalb
der Verwaltung nicht mehr vorstehen.” (In anderen Worten : der
Bürgermeister hatte einen Schlaganfall.)
Der Ton der Chronik bleibt der gleiche. Für 1848 finden
wir folgende Eintragung : ”In diesem Jahr hob sich die soge-
nannte Umsturzpartei ; allenthalben bildeten sich Volksversamm-
lungen, welche hauptsächlich gegen die Beamten gerichtet waren
und den Zweck verfolgten, sich selbst zu verwalten und zu be-
aufsichtigen. In hiesiger Gemeinde haben jedoch keine derarti- ‚,
gen Versammlungen stattgefunden. Die hiesigen Leute waren
schon froh, daß kein Krieg ausbrach und war überhaupt eine Be-
teiligung an irgendeinem Vorfall nicht zu befürchten. Auf Befehl
Seiner Majestät des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preußen
wurde am 1. Mai dieses Jahres die allgemeine Wahl von Wahl-
männern zur Wahl von Deputierten zur Bildung der ersten Na-
tionalversammlung zu Berlin und Frankfurt a. M. hierselbst ab-
gehalten. Die Reserven der Infanterie wurden am 8. März ein-
berufen.”
Es bleibt dann still bis 1859, wo ”mittelst allerhöchster Ka-
binetts-Ordre vom 20. April die Herbeiführung der Kriegsbereit-
schaft und durch Kabinetts-Ordre vom 14. Juni die Mobilma-
chung des 8. Armeekorps” befohlen wurde. Diese Mobilmachung
muß wohl in Zusammenhang mit den kriegerischen Auseinan-
dersetzungen zwischen Italien und Österreich gebracht werden.
Die Dienstzeit betrug seit 1856 5 Jahre, wovon zwei in der Re-
serve, 1861 wird die Dienstzeit auf sieben Jahre festgelegt, wo-
von drei als Aktiver und vier als Reservist.
1861 ist für Preußen ein Trauerjahr. Friedrich Wilhelm IV.,
der seit zwei Jahren schon von einem schweren Leiden befallen
ist und die Regierungsgeschäfte des Landes dem Prinzen Wil-
helm übertragen hat, stirbt am 2. Januar. Daraufhin wurden in
Hergenrath/Hauset - wie überall - die öffentlichen Lustbarkeiten
untersagt bis zum 15. desselben Monats, in allen Kirchen läute-
ten die Trauerglocken und die Dienstbriefe wurden während 6
38
Wochen schwarz gesiegelt. Am 17. Februar fand die allerhöch-
sten Orts befohlene Gedächtnisfeier mit Predigt in den Kirchen
statt.
Alljährlich feierte man mit Gottesdiensten und Te Deum
des Königs Geburtstag; manchmal wurde das Fest sogar am
Vorabend mit allen Glocken eingeläutet,
In Preußen regiert Bismark, der ”eiserne Kanzler”, der
Deutschland von Nord bis Süd und Ost bis West einigen möchte.
Die ersten Gegner sind die Dänen, die 1864 bei Düppel, beim
Sturmangriff auf die Düppeler Schanzen, geschlagen und aus
Schleswig-Holstein vertrieben werden. In den Pfarrkirchen hiesi-
ger Bürgermeisterei, d.h. Hergenrath und Hauset, fand aus die-
sem Anlaß am 1. Mai nach dem Hochamte ein feierliches Te
Deum ”zur Danksagung Gottes für den glücklichen Sieg” statt.
1865 ist ein Jubiläumsjahr, sind es doch 50 Jahre, daß die
Rheinprovinz zu Preußen kam. Am 15. Mai wurde dieses Jubi-
läum in Aachen gefeiert. Die Landgemeinden des Kreises Eupen
schickten eine Loyalitäts- und Dankadresse an König Wilhelm IV.
1866 schlägt Preußen wieder zu. Diesmal gegen Österreich,
Hannover und andere Kleinstaaten. ”Von den zur Armee einbe-
rufenen Reservisten und Landwehrleuten hiesiger Bürgermeiste-
rei ist keiner zurückgeblieben, jedoch wurden wie folgt verwun-
det : Heinrich Hubert Havenith aus Hauset erhielt bei König-
grätz einen Streifschuß an der rechten Seite und Laurenz Joseph
Breuer aus Hauset einen Schuß in den rechten Oberschenkel bei
Langensalza.”
In den Schulen fand nach dem preußischen Erfolge auf
dem Schlachtfeld ”das von seiner Majestät dem König angeord-
nete Sieges- und Friedensfest statt und am folgenden Tage, dem
11. Mai 1866, wurde dieses Fest auch in den Kirchen feierlich
begangen.”
Bleibt noch der ”Erbfeind” Frankreich. Lassen wir den
Chronisten zu Wort kommen. Wir sind 1870.
”Nachdem Frankreich dem Könige von Preußen unter einem
schnöden Vorwande im Monat Juli den Krieg erklärt hatte, wur-
den in demselben Monate noch fast sämtliche Militärpflichtige
36
zu den Fahnen einberufen. Die Deutsche Armee errang mit
Gottes Hülfe glorreiche Siege über die Franzosen, sodaß im Sep-
tember ein großer Teil der Deutschen Armee schon vor den
Toren von Paris stand,
Von den bei der Armee befindlichen Soldaten hiesiger Bür-
germeisterei blieb auf dem Felde der Ehre der Infanterist Joh.
Nicoll aus Hergenrath durch einen Schuß in den Kopf bei Vil-
lersexel (Schlacht vom 8. und 9. Jan. 1871) ; der Landwehrmann
Laurenz Laschet aus Hergenrath starb infolge eines bei Chene- .
bier erhaltenen Schusses in den Oberschenkel zu Karlsruhe im
Lazarett. Heinrich Becker aus Hauset erhielt einen Schuß bei
Saint-Privat-la-Montagne in den linken Oberschenkel; Im La-
zarett zu Kassel starb der Kanonier Karl Kocka aus Hergenrath
und der Pionier Wilhelm Jos, Scheiff aus Hauset starb im La-
zarett zu Frankfurt. Ebenfalls starb im Lazarett zu Mitry der
Kürassier Peter Jos. Laschet aus Hauset.
Die im August für die Militärtransporte nach Frankreich
dirigierten Fuhrwerke hiesiger Bürgermeisterei sind mit Ausnah-
me des Fuhrmannes Leonard Klinkenberg aus Hergenrath, wel-
cher auf dem Heimweg in Bitburg starb, und eines Pferdes des
Ackerers Heinrich Wiertz zu Emmaburg, in den Monaten Sept.,
Okt. und Nov. sukzessive zurückgekehrt. Zur Unterstützung ver-
wundeter Krieger wurden aus hiesiger Bürgermeisterei 98 Thaler
sowie Verbandsgegenstände, Krause, Charpie, Wollentuch, Garn,
Strümpfe u.s.w. dem königlichen Landratsamte zur Weiterbeför-
derung übersandt.”
Am 17. März wurden die zurückgekehrten Landwehrleute
von Hergenrath in der Nähe von Walhorn von dem Bürger-
meister Mostert und Gemeinderate, Vikar Fischbach, Lehrer
Schmetz und Schuljugend, der Schützengesellschaft und dem
Kriegerverein abgeholt und trafen unter Trommelwirbel und Böl-
lerschüssen hier ein.
Hauset veranstaltete am 14. Mai ein Festessen zu Ehren der
aus dem Felde heimgekehrten Krieger. In Hergenrath fand am
18. Juli ein feierlicher Gottesdienst mit Te Deum unter Läutung
aller Glocken zur Danksagung für die errungenen Siege statt.
Zum 70-jährigen Dienstjubiläum S, M. des Kaisers und
38
auf Seine Majestät den Kaiser, den Gott durch viele Schlachten
siegreich geführt, zwei Attentate statt ...” Am 7. Juni richtete
die hiesige Bürgermeisterei folgende Condolenz-Adresse an den
Kaiser :
Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster Kaiser und König,
Allergnädigster Kaiser, König und Herr !
Euer Kaiserliche und Königliche Majestät wollen Aller-
gnädizst geruhen, von der allerunterthänigst unterzeichneten Bür-
germeisterei-Versammlung die Versicherung entgegen zu nehmen,
daß die gesammte Einwohnerschaft der Bürgermeisterei-Hergen-
rath in tiefster Entrüstung ihr Bedauern über die wiederholten
ruchlosen Angriffe auf Euerer Kaiserlichen Majestät Allerhöchs-
tes Leben bekundet und dieselbe den innigsten Wunsch mit den
Gefühlen unverbrüchlicher Treue, Liebe und Anhänglichkeit ver-
bindet, daß Gott das theure Leben des allgeliebten Monarchen
noch recht lange erhalten wolle. In tiefster Ehrfurcht ersterben
wir Euer Kaiserlichen und Königlichen Majestät
treugehorsamste
Bürgermeister, Beigeordnete, Gemeinde-Vorsteher und Mitglie-
der der Bürgermeisterei- Versammlung
Hand XXX Zeichen des Nic. Schmetz
(gez) C.H. Mostert, W.A. Schmetz, Bischoff, H. Schmetz, J.P.
Kittel, Timmermann, Carl Dick, J.H. Barth, L. Mager, Peter
Jos. Laschet
Machen wir einen kleinen Sprung bis 1885. Am 5. Juli, mor-
gens gegen 10 Uhr, passierte der Kronprinz Friedrich Wilhelm
von Preußen nebst Gefolge bei einem Ausflug von Aachen nach
Monschau per Extrapost die ”Aachen-Eupener-Actienstraße”,
d.h, die Straße, die über Köpfchen von Aachen nach Eupen
führt. In der Nähe des Gutes ”Grenzhof” am Aachener Busch,
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Gemeinde Hauset, wo sich die Grenze der Kreise Eupen und
Aachen, sowie die Grenze der Gemeinden Aachen und Hauset
befindet, wurde der Kronprinz vom Landrat empfangen. An
dem prachtvollen Triumphbogen, den die Gemeinde Hauset er-
richtet hatte, hatte ein Musikkorps Aufstellung genommen. Der
Bürgermeister Cornel Hubert Mostert, der erste Beigeordnete
Kittel, der Gemeindevorsteher Kaldenbach und die Gemeinderats-
mitglieder Peter Jos. Bohlen, Peter Finken, Theodor Klinken-
berg und Hubert Laschet waren ebenfalls zur Begrüßung des
hohen Herrn erschienen. Der Kriegerverein, die St. Rochus Schüt-
zengesellschaft und viele Einwohner Hausets waren zur Begrü-
ßung angetreten. Sämtliche an der Straße gelegene Häuser waren
festlich geschmückt.
Vier Jahre später stirbt der Kronprinz nach einer Regie-
rungszeit von nur 99 Tagen, Dazu finden wir in der Chronik
folgende Aufzeichnung : ”Das Jahr 1899 brachte der Deutschen
Nation eine tieftraurige unheilvolle Zeit. Am 9. März vollendete
nämlich S. M. der Allverehrte Helde»kaiser und König im ho-
hen Alter von 90 Jahren seine irdische Laufbahn, nachdem Al-
lerhöchst Derselbe seit dem Jahre 1861 das Königreich Preußen
und seit 1871 das wiedererstandene deutsche Reich ruhmvoll
und zum Segen des Landes regiert. Der Trauer um den Schöpfer
des deutschen Reiches folgte nur zu bald eine zweite um den
Verlust S. M., des Kaisers Friedrich III., welcher seinem
Vater in einem sehr leidenden Zustand auf den Tron folgte und
nach einer Regierung von nur 99 Tagen im Alter von 56 Jahren
das irdische Dasein am 15, Juni vollendete. In dieser kurzen
Spanne Zeit hat der heldenmütige Dulder namenlose Qualen,
verursacht durch heimtükische Krankheit, zu überstehen gehabt.
Diesem folgte auf den Tron dessen ältester Sohn Friedrich Wil-
helm Victor Albert, welcher als Regent den Namen Wilhelm II.
führt. Solange deutsche Herzen schlagen, wird unvergänglicher
Ruhm die beiden Heldengestalten der heimgegangenen Kaiser
in der Geschichte unseres Vaterlandes verklären.”
Diese Verklärung und Vergötterung des Kaiserhauses wur-
de vor allem in den Schulen betrieben, wo jedes kaiserlichen Ge-
burtstages, jedes Tronbesteigungsjubiläums, jeder siegreich ge-
schlagenen Schlacht gedacht wurde. Die Gedenkfeier des hun-
40
dertsten Geburtstages weiland S.M. Kaiser Wilhelm d. Großen
wurde am Sonntag, dem 21. 3. 1897, durch Gottesdienst mit Te
Deum gefeiert. An den beiden darauffolgenden Tagen fanden
Schulfeiern statt, bei welcher Gelegenheit an die Schulkinder
Festschriften und Backwerk zur Verteilung gelangten. ”Bei allen
Einwohnern, so wird berichtet, besonders bei den Veteranen,
war eine große Begeisterung für den verewigten Kaiser zu be-
merken, ”
”Der Kaiser ist ein lieber Mann und wohnet in Berlin
und wär es nicht so weit von hier, ich ginge heut noch hin.”
Diesen Spruch lernten schon die Kleinsten. Der Schulunterricht
zielte darauf hin, treue und gehorsame Untertanen des Kaisers
heranzubilden. Daneben wurde besonders seit 1870/71 der Fran-
zose als der Erbfeind Deutschlands hingestellt.
So ist es auch nicht verwunderlich, daß bei Ausbruch des
Ersten Weltkrieges die Wogen der patriotischen Begeisterung
hochgehen und der Chronist Töne anschlägt, die uns heute wie
aus einer anderen Welt kommend anmuten.
Bürgermeister Kittel war am 27. Juli 1910 gestorben ; seine
Nachfolge hatte der Stadtsekretär Kyll aus Linz a. Rhein ange-
treten. Von ihm stammt denn auch der Bericht für das Jahr
1914.
”Dem Deutschen Volke ist durch seine ihm feindlich ge-
sinnten Nachbarn ein gewaltiger Krieg aufgezwungen worden,
ein Krieg, wie ihn die Weltgeschichte bisher nicht zu verzeichnen
hatte.
Deutschlands Söhne sind dem Rufe des allerhöchsten Kriegs-
herren gefolgt und verteidigen seit mehr als sechs Monaten die
Landesgrenzen. Wie lange es noch dauern wird, läßt sich gar
nicht überblicken. Von den großen Opfern, die dieser Krieg an
Gut und Blut mit sich gebracht hat, ist selbstverständlich auch
unsere Bürgermeisterei nicht verschont geblieben. Die Zahl der
zu den Waffen einberufenen Mannschaften beträgt :
41
a. in Hergenrath 88 (1)
b. in Hauset 63
Von diesen haben, soweit bekanntgeworden, bis jetzt 9 den Tod
für’s Vaterland erlitten. ”Ehre ihrem Andenken”.
Während des Belagerungszustandes und in den ersten Ta-
gen der Mobilmachung waren die Gemüter der hiesigen Bevöl-
kerung sehr erregt, befürchtete man doch von der nahen belgi-
schen Grenze einen feindlichen Einfall in unser Gebiet. Erleich-
tert atmete alles auf, als am 2. August deutsches Militär in ge-
waltiger Anzahl anrückte und dann am 3. August der Donner
der Geschütze verriet, daß die Unserigen in der Gegend von
Lüttich eine ernste und eherne Sprache redeten.
Die dann folgenden Einquartierungen, die den ganzen Au-
gust über andauerten, nahmen die Bürgerschaft sehr in Auspruch.
Mit Freuden und ohne Murren übernahm man die ungemein
starke Belegung der einzelnen Häuser, denn was war diese im
Verhältnis zu der Gefahr, die für die hiesige Gegend darin be-
stand, den Kriegsschauplatz abgeben zu müssen.
Die Verkehrsverhältnisse bei der Eisenbahn und auf dem
Hauptwegen nach Aachen erlitten durch die Truppentransporte
für den übrigen Verkehr starke Störungen, Es war daher den
hiesigen Geschäften nicht möglich, die Einwohner und die Trup-
pen mit genügenden Lebensmitteln zu versorgen, auch erlitt die
Zufuhr von Futtermitteln gewaltige Erschwerungen, deshalb
griff die Verwaltung ein, indem sie große Mengen von Lebens-
und Futtermitteln kommen ließ und diese an die Eingesessenen -
zum Selbstkostenpreise und auf Kredit abgab. Die in dieser Hin-
sicht geführte Kontrolle weist bis jetzt einen Umsatz von 50.000
Mark nach. Nebenbei sorgten die einzelnen Gemeinden für die
f Familien der durch den Krieg verdienstlos gewordenen Arbeiter
und leisteten zu der von dem Staate den Familien bedürftiger
Einberufener gewährten Unterstützung namhafte Zuschüsse.
(1) Bis Anfang Juli 1916 waren aus Hergenrath ungefähr 130 junge
Leute und Landstürmer zum Heer einberufen. Nach Aussage des
damaligen Pfarrers R. A. Mertz ist ihre Zahl deshalb so gering, weil
hier viele Eisenbahnbeamte und Eisenbahnarbeiter wohnten, die als
unabkömmlich erklärt worden waren. Bis Juli 1916 waren auf dem
”Felde der Ehre” 11 Krieger gefallen, einer war vermißt und zwei
in Gefangenschaft.
42
In allen Bevölkerungskreisen regten sich viele fleißige Frau-
enhände, die zur Bekleidung der Soldaten nähten und strickten
und die durchziehenden Truppen mit Speisen und Trank ver-
sorgten. Außerdem erhielten die aus hiesigen Orten Einberufenen
regelmäßig Liebesgaben, und geben die vielen Dankschreiben
Zeugnis dafür, mit welch großer Freude man diese Sendungen
aus der lieben Heimat entgegennimmt.
Zweifellos haben all die Aufwendungen infolge des Krieges
große Ansprüche an die Gemeindefinanzen gestellt. Es kann da-
her nur durch die Fortsetzung der bisherigen Sparsamkeit am
rechten Ort” eine Erschütterung in der Steuerleistungsfähigkeit
der Bürger vermieden werden ... ‘
Immerhin aber geben die Erwartungen, die wir von den
bisherigen und auch von den zukünftigen Leistungen unseres
tapferen Heeres und seiner bewährten Führer hegen, der Hoff-
nung Raum, daß der Krieg für uns alle mit Gottes Hilfe zu ei-
nem guten Ende geführt werden wird und hoffen wir, daß, wenn
wieder Ruhe und Frieden in’s Land gezogen sind, auch der hie-
sige Verwaltungsbezirk neu erblühen und durch weitstehende Be-
schlüsse seiner Vertreter zu einer gedeihlichen Entwicklung ge-
führt werden wird.”
Ein Jahr später schreibt Kyll : ”Die Verwaltung ist nach
wie vor bestrebt, den Anforderungen gerecht zu werden, die der
Krieg für das ganze Wirtschaftsleben als unabwendbare Begleit-
erscheinung mit sich gebracht hat...” Inzwischen sind die Lebens-
mittel rar und sehr teuer geworden, Brotkarten sind seit Herbst
1915 ausgeteilt worden für 250 Gr Brot pro Person u. Tag. Das
Pfund Rindfleich kostet drei Mark, drei Mk auch das Pfund
Kalbfleisch ; ein Pfund Speck wird zu 4 Mk verkauft und Kar-
toffeln sind nur zeitweise zu haben. 1/2 Kg Butter kostet 2,50
Mk, ein Ei 25 Pf. ”Es ist”, schreibt der Pfarrer ins Urkunden-
buch der Pfarre Hergenrath, ”eine organisierte Hungersnot ein-
getreten.”
In dem letzten, der Bürgermeisterei-Versammlung vorgeleg-
ten Bericht vom 21. März 1916 ist keine Rede mehr vom sieg-
reichen Heer, von der ehernen Sprache der Geschütze, von
den feindlichen Nachbarn. Der Bürgermeister beschränkt sich auf
einen nüchternen und sachlichen Bericht über die wirtschaftliche
Lage.
43
Hergenrath unter der Verwaltung des
Bürgermeisters Chabert
von A. Bertha
In den reichhaltigen Beständen des Lütticher Staatsarchivs
aus der Franzosenzeit (den sogen. Fonds Francais) befindet
sich auch die Korrespondenz der Gemeinde Hergenrath vom
1. Messidor des J. 11 bis zum 13. Germinal des Jahres 13 der
Republik (= 20. 3. 1803 bis 3. 4. 1805).
Gemessen an dem Wust an Papier, der heutige Gemeinde-
verwaltungen überschwemmt und ihnen eine immense Schreib-
arbeit aufbürdet, scheint die Korrespondenz jener Zeit eher
spärlich, füllt sie doch für die angegebene Periode kaum 200
handgeschriebene Seiten eines in Halbleder gebundenen Ban-
des, der auf dem Deckel den Spruch trägt : ”Le regne d’une
bonne administration fait gloire ä celui qui dirige.” (1)
Nachdem wir in der vorigen Nummer dieser Zeitschrift
über den Bürgermeister der Franzosenzeit, Louis Chabert, be-
richtet haben, möchten wir im Folgenden aus der Gemeinde-
korrespondenz das eine oder andere wissenswerte oder kuriose
Detail herausgreifen und sehen, mit welchen Problemen sich
ein Gemeindevater vor nunmehr 170 Jahren herumplagen
mußte.
Es handelt sich im wesentlichen um Auszüge aus den Jah-
resberichten des Bürgermeisters an die Präfektur und um Ab-
schriften von Bekanntmachungen an die Hergenrather Bevöl-
kerung.
A. Aus dem Bericht über das Jahr XI (1803)
Hergenrath, 1. Vendemiaire Jahr 12
Was den Preis des Getreides und der Nahrungsmittel allgemein
angeht, so hält man sich hier für die Getreidepreise an die der
Märkte von Aubel und Eupen, für die der anderen Nahrungs-
mittel hält man sich an Eupen und vor allem Aachen, Haupt-
ort des Roer-Departements, nur 4 Km (eine Knappe Wegstun-
de) von hier entfernt.
(1) ”Eine gute Verwaltung gereicht dem Herrschenden zur Ehre.”
44
Was den Getreideertrag betrifft, so kann man kaum davon
reden, denn der Anbau von Getreide ist ganz unbedeutend hier.
Grünfutter und Heu ist in dieser Bürgermeisterei von
größter Bedeutung.
Im Jahre 10 waren die ”topinambours”’ (= Kartoffeln) gut ge-
raten, was im Jahre 11 nicht der Fall war. Da wir einen sehr
trockenen Sommer hatten, war das Wachstum der Kartoffeln
gehemmt. Der Herbst hätte sie aufleben lassen sollen, aber die
frühen Fröste haben Blüten und Stauden so stark beschädigt,
daß sie sich nicht mehr erholen werden. Unsere Bauern sind
verzweifelt, weil ihnen das fehlt, was ihren Reichtum ausmacht. Ö
Die Bettelei war in dieser Bürgermeisterei an der Tages-
ordnung. Ich hatte verschiedene Maßnahmen dagegen ergrif-
fen, so daß sie zurückgegangen war. Nachdem jedoch der Prä-
fekt des Roerdepartements mit aller Strenge gegen die Bettler
vorgegangen war, suchten sie erneut Asyl bei uns. Daraufhin
habe ich am 5. messidor des vergangenen Jahres ein Verbot
erlassen und zusammen mit meinem Beigeordneten und den
beiden Feldhütern auf die Einhaltung dieses Verbotes geach-
tet. Seitdem wird dieser schändliche Lebenswandel seltener
und ich hoffe dieses Bettlerübel mit der Wurzel ausrotten zu
können,
Verbrechen gibt es kaum hier. Nur zwei Sachen sind vor
dem Polizeigericht verhandelt worden ; es handelte sich um in
den Gemeindewäldern begangene Frevel.
Die öffentliche Ordnung wird hier nicht gestört. In den
vergangenen Jahren fanden häufig nächtliche Ansammlungen,
Streitereien, Gewalttaten u. dgl. statt. Im letzten Jahr sind die
Patrouillen gut organisiert worden ; sie haben früh und spät
das ganze Gebiet der Bürgermeisterei durchstreift, und man
kann sagen, daß die Polizei Schrecken bei unseren Einwohnern
verbreitet hat. Ich habe denn auch die große Genugtuung, Ih-
nen mitteilen zu dürfen, daß wir keine nächtlichen Ansamm-
lungen von Personen, keine Schlägerei, keinen Streit, keiner-
lei Gewalttätigkeiten zu verzeichnen hatten. Gleiches hat man ®
wohl noch nie vorher behaupten können.
45
Ich möchte Sie noch um eines bitten, Bürger Präfekt. Sie
wissen, daß im Jahre 10 (=1801-1802) die Viehseuche in hiesi-
ger. Bürgermeisterei 186 Stück Rindvieh weggerafft hat ; was
eine große Zahl von Einwohnern ins Elend gestürzt hat.
In diesem Jahre nun haben wir nicht nur an den Folgen
SS dieser Seuche zu tragen. Wir haben auch nur wenig Heu und
nur wenig Kartoffeln : von diesen beiden aber hängen unser
Glück und unser täglicher Unterhalt ab. Ich bitte Sie im‘ Na-
men meiner Mitbürger : tun Sie etwas, damit die Einwohner,
die von diesem Unglück betroffen sind, von der Regierung un-
terstüzt werden, und damit die Wunden, die Armut und Elend
ihnen geschlagen haben, geheilt werden.
Ihr Schicksal liegt mir umso mehr am Herzen, als Päch-
ter, die vordem bis zu 26 Stück Rindvieh hatten, sie durch die
Seuche restlos alle verloren haben. Die eingegangenen Tiere
sind von Regierungsseite registriert worden, was doch gewiß
bedeutet, daß dafür eine Entschädigung gezahlt werden wird.
Die Regierung ist menschlich und hilft gerne den Armen ; wä-
re es vorstellbar, daß sie unbeteiligter Zuschauer bliebe und
wir mit unserer großen Familie im tiefsten Elende ‚bleiben
müßten, wo es doch in der Macht der Regierung liegt, uns ‚zu
helfen ?
Die Leute sind schon öfters zu mir gekommen, haben mich
angefleht, ich solle ihnen doch helfen in ihrer Not und mein
Möglichstes tun, eine Unterstützung der Regierung für sie zu
erwirken. Ihre Klagen sind ohne Zahl. Ich habe ihnen verspro-
chen, Ihnen, Bürger Unter-Präfekt, darüber zu berichten und
Sie zu bitten, beim Präfekten für sie zu intervenieren.
(Bei der Seuche handelte es sich um das ”St. Thönis-
Vüer”., Die ersten Anzeichen sind, der Beschreibung. Cha-
berts zufolge, ein geschwollener und wie Feuer brennen-
der Hals. Auch Schweine wurden von der Krankheit be-
fallen, deren Verlauf so schnell war, daß nicht geholfen
werden konnte.)
Über eine andere Viehseuche (oder handelt es sich um die
gleiche Krankheit ?), die 5-6 Jahre vorher die Viehbestände in
unserer Gegend dezimiert hatte, berichtet der Walhorner Dorf-
chronist Caspar Scheen. Er schreibt :
46 )
”Bald darauf aber schickte der Allmächtige gott widerum
eine Neue straff über unsere vätterliche gegend, dan in dem
jahr 1796 enstund eine grausame wütende kranckheit unter
das hornvieh. den ersten atack oder anfang, so man in unsere
gegent verspührte, ware den 7 december anno 1796 bey Niclas
Ernst in Lonzender-Bösch. die kranckheit hatte in der anfang
Jolgende materie, einen kurtzen drockenen hust, in die Augen
einen Ring von .‚Waßer vermischt mit rothe striemen, fraßen
und Druncken, und gaben ihre milch gemeiniglich biß auf
den drieten. oder vierten tag, darnach verlohr sich der apetit
und das milch geben : etliche aber fraßen und gaben milch,
aber nicht wie gesunde : etliche zitterten und bebten, und et- 7
lichz nicht; die hörner waren zuweilen kalt und zuweilen
"warm, die haren auf den Rück stund aufrecht, und dan in
die zeit von fünff oder sechs tag gieng von ihnen einen starc-
ken feur eyternden und stinckenden abgang, worauf die dan
anfingen erbärmlich zu kümen, und dan in zeit von zwey oder
drey tag zu krepieren. _
D(i)e inwendige zeichen
" Inwendig war das fleisch Natürlich, das Bludt aber gantz
schwartz, die gall war so dick als eine flacon oder böuteilien,
und die leber war wie gebrantes mehl.
Diese kranckheit hat gedauert mehr dan ein gantzes jahr.
Diese plage verursachte dan widerum ein grosses Elend
unter den bauers-und halffers leut, den man etliche gesehen
hat, denen ihr vieh bis zum zweiten mahl bey nahe.alle kre-
piert ist. den allein in Lonzender-Bösch sint. an diese kranc-
keit gebarsten mehr dan hundert siebenzig stück, in hergen-
rath hat diesen krankheit auch starck grasieret, den in zeit
von sechs wochen sint alda darvon krepiert mehr dan sechzig
stück, walhorn ist allein in dieser gegend von dieser plage be-
freit gewesen, sonsten sint bey nahe alle umliegende dörffer
dardon atakiert gewesen als Lonzender bösch, Lonzen, Cappel,
munssen, hergenrath, astenet, hauseth, einaten, Baren, Neudorp,
kettenis, merols und Rabotterath. alle diese vorgenannte dörf-
fer sint von diese kranckheit. beschädigt worden, in dieser zeit &
sahe man ‚öfters feuer vom. himmel fallen, und in der nemli-
47
chen gegent wo das feuer niederviel finge gemeiniglich die
kranckheit an zu grasieren.
(Aus ”Schöne und Lesungs würdige historie
Von der frantzösischen Revolution
Welche angefangen hat ungefehr um
Das jahr anno 1790.”)
Der Verfasser ist Johan Caspar Scheen aus Walhorn. Er
hat sie zu schreiben begonnen im Jahr. 1792, Die Abschrift wur-
de von Dr. Will Hermanns besorgt.
Pockenimpfungen (Bericht Chaberts über das Jahr 11 an
den Unterpräfekten in Malmedy) Am 26. fructidor habe ich
meinen Sohn Joseph impfen lassen. Bis jetzt geht es ihm gut.
Er ist das erste Kind, das in dieser Gemeinde geimpft worden
ist. Mehrere Einwohner sind schon sich erkundigen gekom-
men, wie es ihm gehe, und da diese Maßnahme so gut verlau-
fen ist, besteht kein Zweifel, daß sie meinem Beispiele werden
folgen wollen ; ich hoffe, in Kürze Ihnen darüber einen aus-
führlichen Bericht zukommen lassen zu können, mit der Mit-
teilung, daß die Impfung in dieser Gemeinde allgemein durch-
geführt wird. Ich habe schon erfahren, daß verschiedene Ein-
wohner den Chirurgen, der meinen Sohn geimpft hat, aufge-
sucht haben.
B. Im Jahresbericht für das Jahr 12 heißt es :
Mit Bedauern müssen wir Ihnen von der schlimmen Krank-
heit berichten, die hier im Monat vendemiaire (= Sept.-Okt.)
des Jahres 12 ausgebrochen ist : die ”petite verole”, die man
hier ”poques” nennt, hat-in vier bis fünf Monaten acht Jungen
und sieben Mädchen das Leben gekostet. (1) ne
Ich habe wiederholt durch öffentliche Anschläge die Ein-
wohner über die Impfungen informiert, habe ihnen dargelegt,
wieviele bei allen Völkern Europas, in Paris, überall in Frank-
reich und sogar in England gemachte Untersuchungen die un-
(1) Es handelt sich um die Windpocken, auch Wasserpocken genannt.
Diese nehmen jedoch gewöhnlich einen ganz harmlosen Verlauf und
A Det ungeklärt, wieso 15 Kinder in kurzer Zeit daran sterben
48 +
widerleglichen Vorteile dieser so kostbaren Erfindung bewie-
sen haben; diese Vorteile sind so offensichtlich, so leicht zu
begreifen, daß das beste Mittel, sie schätzen zu lernen, darin
besteht, jedem die Möglichkeit zu geben, die Impfung vorneh-
men zu lassen ... Während die Krankheit wütete, hatten eini-
ge Einwohner die Absicht, ihre Kinder impfen zu lassen, aber
die Impfung setzte sich nur sehr langsam durch.
Am 4. Vendemiaire des Jahres 13 schreibt Chabert in sei-
nem Jahresbericht über das Jahr 12 :
Was die Getreideernte angeht, so ist sie so unbedeutend,
daß es sich kaum lohnt, darüber zu sprechen. Der größte Teil
meiner Gemeinde ist von Ödland, Sumpf, Steppe und Heide A
sowie Wald und Gestrüpp bedeckt. Getreide kann hier nicht
viel ertragen ... Der Preis schwankt, je nachdem ob das An-
gebot auf den Märkten von Aachen, Aubel oder Eupen groß
oder klein ist (”selon la multiplicite ou simplicite”)
Das Heu und die Kartoffeln sind der Hauptreichtum un-
serer Gemeinde.
Besondere Ereignisse hat der Bürgermeister für das Jahr
12 nicht zu melden. Die nächtlichen Patrouillen, die von abends
9 bis morgens fünf Uhr das Gebiet der Gemeinde durchstreift
haben, haben dafür gesorgt, daß kein einziger Fall von Dieb-
stahl vorgekommen ist. Das Betteln ist ebenfalls durch stren-
ges Eingreifen des Bürgermeisters zurückgegangen.
Reparaturen an der Kirche : Da unsere Kirche große Re-
paraturen nötig hatte, ist man von Haus zu Haus gegangen,
um den Leuten zu erklären, wie notwendig diese Reparaturen
waren und darauf hinzuweisen, daß die vorhandenen Mittel
nicht reichten, um sie auszuführen. Alle Einwohner haben
nach Möglichkeit bereitwilligst beigesteuert und so haben wir
den baulichen Zustand unserer Kirche um vieles verbessern
können. Der Dachstuhl und das Dach sind ausgebessert wor-
den, die Fenster zum Teil neu verbleit, der Turm repariert,
3 lange Eisen sind zur Verankerung in die Turmmauern einge- *
lassen worden, sodaß der Turm gestützt und befestigt worden
ist.
49
All diese Arbeiten sind mit großer Begeisterung ausge-
führt worden zur Ehre der Altäre und unserer katholischen
Religion, aus Respekt vor unserer hl. Mutter, der Kirche. Be-
sonders hervorheben möchte ich den Priester J.J. Schillings,
in Moresnet (= Kelmis) wohnhaft. Dieser ehrwürdige Diener
Gottes, der an Sonn- und Feiertagen hier die Messe liest, auch
die Hochämter und Vespern mitfeiert, dieser würdige Diener
des Altares hatte erfahren, wie die Mittel zur Reparatur der
Kirche beschafft wurden und steuerte nun seinerseits dazu
bei. Am 22. August 1804 schrieb er mir :
”Herr Bürgermeister ! Da die Hergenrather Kirche stark
reparaturbedürftig ist, die Mittel jedoch nicht ausreichen,
habe ich die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß das mir zustehende
Gehalt bis zum ersten September (14. fructidor) Ihnen über-
lassen wird.”
Laut Anweisungen des Herrn Präfekten vom 21. vendemi-
aire des Jahres 10 hatte ich die Einwohner aufgefordert, all
diejenigen zur Anzeige zu bringen, die die Gemeindewege oder
die großen Durchgangsstraßen durch teilweise Einbeziehung in
ihre Grundstücke verengt haben. Es wurde zuerst ein Herr Jo-
seph Vandenhirtz aus dieser Ortschaft angezeigt. An zwei ver-
schiedenen Stellen hat er den großen öffentlichen Weg, der
unser Dorf durchquert, - er wird Limburger Weg genannt,
weil alle, die aus Spa, Theux, Verviers, Limburg u.s.w. kommen
und sich nach Aachen begeben, diesen Weg nehmen -, wider-
rechtlich in sein Land einbezogen (1). Dadurch hat er diesen
großen öffentlichen Weg so verengt, daß die beladenen Wagen
bei Regenfällen dort im Schlamm stecken bleiben. Darüber
hinaus hatte der Betreffende sich eine öffentliche Tränke an-
geeignet.
Ich schrieb ihm also, er müsse den Weg und die Tränke
wieder freigeben und die Hecken auf die ursprünglichen Gren-
zen zurücksetzen. Auch mündlich habe ich ihn, weiß Gott wie
oft, ermahnt, das zu tun ; er versprach es wohl jedesmal, hielt
jedoch sein Versprechen nicht
Nachdem. die Sache vor Gericht gekommen war, hat er
(1) Der Limburger Weg ist die heutige Aachener Straße.
So
die Tränke zurückgegeben, nicht aber die Hecken auf die ur-
sprünglichen Grenzen zurückgenommen ... er hat diesen gro-
ßen Durchgangsweg so verengt, daß der ganze Schmutz und
Unrat sich dort anhäuft und ansammelt und bei Regenwetter
ist dieser Ort nur schwer mit einem Karren passierbar ... Et-
wa 45 Ruten (9,809 ar) hat Vanderhirtz sich angeeignet in der
Nähe seines Hauses und 15-16 Ruten desselben Weges hat er
in seine vor Mathis Mager gelegene Wiese einbezogen. Einmal
sagt er, andere hätten ebenfalls von den Gemeinde- und öffent-
Rn lichen Wegen Seitenstreifen in Besitz genommen ; ein ander-
mal verspricht er, unverzüglich alles zurückzugeben.
Seit alters her ist es in dieser Gemeinde Sitte, daß die -
Einwohner in der Heide und in den Gemeindewaldungen, die
mit mehr als 5-6jährigem Holz bestanden sind, Streu für ihre
Tiere mähen, ohne daß sie dadurch irgendwelchen Schaden
anrichten. Das Beste wird zu Heu, der Rest geht in den Mist.
Da dies seit jeher so gewesen ist und die Gemeinde daraus ein
kleines Einkommen bezieht, habe ich die Absicht, es auch
weiterhin zu gestatten, unter der Bedingung, daß die Einwoh-
ner keinen Schaden anrichten in den Parzellen, die ich ihnen
anweisen werde, nämlich in der Heide, wo sozusagen kein Holz
steht, und welche sich von den Ländereien des Laurent Barth
bis zu jenen des Laurent Foeber erstreckt.
Ich hoffe, daß Sie diese meine Maßnahme gutheißen wer-
den.. Ich versichere Ihnen, daß dieses Mähen dem Holze in kei-
ner Weise schädlich sein wird, im Gegenteil. Sollten Sie daran
zweifeln, so können Sie durch den Förster Pauly einen Be-
richt darüber anfordern oder selber an Ort und Stelle sich
vergewissern ... (an Herrn Durieux, Unterinspektor in Eupen).
Der Hergenrather Friedhof (Stand am 14. vendemiaire d.
3213)
Die Bevölkerung der Doppelgemeinde beläuft sich auf 838
Seelen. Die Sterblichkeit liegt bei jährlich 35 Personen. Der
Hergenrather Friedhof hat eine Ausdehnung von 12,7 Ar. Er
liegt in der Mitte des Ortes, ist den Winden, und vor allem dem
X Nordwind ausgesetzt. In der unmittelbaren Nähe liegen nur
zwei Häuser, die jedoch beide wenigstens 15 m abliegen. In den
52
Die Strenge mit der ich in der ersten Zeit vorgegangen bin,
sowohl durch wiederholtes öffentliches Anschlagen der Straf-
bestimmunzen als auch durch Rundgänge, die ich selber oder
mein Beigeordneter abwechselnd unternommen haben, hat da-
zu geführt, daß ich keine Zuwiderhandelnden gefunden habe,
daß die Mühe mir erspart geblieben ist, den Gebrauch alter
Gewichte zu stoppen und sie zu beschlagnahmen und Strafbe-
scheide auszustellen ; ich habe jetzt die süße Genugtuung, zu
sehen, daß meine Bürger von Liebe zur Freiheit, von Respekt
vor den Gesetzen und vom Wunsche nach Ruhe erfüllt sind. (1)
C. Bekanntmachungen Y
(Die Bekanntmachungen waren zweisprachig gehalten.
Dem französischen Text stand der flämische gegenüber, ”Le
Maire de Hergenraed ä ses administres” hieß es in der einen
Spalte ; ”’Den mayer van Hergenraed aen sijne geadministreer-
den” in der anderen.)
”Aus den alljährlichen Bekanntmachungen wissen Sie,
meine Herren, daß das Gesetz vom 26. Ventöse des Jahres 4
in Ihrem eigenen Interesse das Abraupen der Bäume, Hecken
und Sträucher befiehlt. Diese vorbeugende, interessante und
notwendige Maßnahme muß alljährlich getroffen werden. ...
Ich beschränke mich heute darauf, Sie darauf hinzuweisen,
daß die Abraupung vor dem 1. Ventöse geschehen muß und
daß das günstigste Wetter sie vorzunehmen, kaltes Wetter ist,
da dann die jungen Raupen in ihren Nestern zusammen sitzen.
Hat man versäumt, es an kalten Tagen zu tun, so muß man
warten, bis nach einem starken Regen die Raupen wieder in
ihre Neste gekrochen sind.
(1) Die von den Franzosen durchgeführte Vereinheitlichung der Maße
und Gewichte sorgte für Ordnung im Vermessungs- und Zahlungswe-
sen, wo vorher das reinste Chaos geherrscht hatte. Elle, Fuß und Rute
machten dem Meter Platz; der französische Franken mit den ”sols”
als Unterteilung sorgte für Klarheit auf dem Geldmarkt, wo bis dahin
alle möglichen Währungen kursiert hatten ; die Aachener Mark, lim-
burgische Florin(s), Stiers (”erfvaet” genannt), liards, ”copsstücke”,
”loesmudte”, sols, lütticher "”escalins” u.s.w. wurden am Franken als
”Leitwährung” gemessen.
53
Nach Art. 4 desselben Gesetzes sind Sie verpflichtet, die
aus den Bäumen, Hecken und Sträuchern entfernten Raupen-
gewebe und Raupennester sofo-t zu verbrennen, und zwar an
einem Ort, wo das Feuer keineriei Schaden anrichten kann ...”
He
”Die Zeit ist gekommen, meine Herren, wo die Kamine
cusgefegt und die Öfen, Essen und Herde gereinigt werden
müssen, um jeden unfreiwilligen Brand zu verhindern. Sie wer-
den also unverzüglich dieser Aufforderung nachkommen. Ich
mache Sie darauf aufmerksam, daß ich acht Tage nach An-
schlag dieser Bekanntmachung in Begleitung des beigeordne-
ten Bürgermeisters, sowie von Fachleuten, Maurern, Schrei-
nern oder anderen, die die nötige Sachkenntnis besitzen, eine
Inspektion durchführen werde, um mich zu vergewissern, daß
das Gesetz tatsächlich befolgt worden ist. Ich werde mich ge-
zwungen sehen, Zuwiderhandelnde mit den gesetzlich vorge-
sehenen Strafen zu belegen.” (Hergenraed, 20. Pluviöse Jahr 13)
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Die Aufforderung zur Raupenvertilgung
s5
steinen sowie aus verziezeltem Lehm, er zeigte 2 im Abstand
von 25 cm und etwa 45° schräg nach oben aufsteirende
Öffnungen ; die eine Öffnung war 50cm breit und 60cm hoch,
die andere 40cm breit und von gleicher Höhe, die lehmverziegel-
ten Wände dieser Öffnungen waren mit einer blaugrünweißlichen
Glasur überzogen. Zu einem Photo kam es leider nicht mehr,
weil allzu große Steinzeugliebhaber in der Nacht den Ofen auf
Cer Suche nach Töpfen zerstört haben.
Im Februar 72 bezannen wir mit Herrn Kistemann, einem
Hauseter (— später stieß noch Prof. Held zu uns —) auf der
Wiese des Bauern Hick, vormals Weersth, etwa 50m von der
Rochuskapelle zu graben. Nach 3 Tagen systzmatischen Absu-
chens stießen wir, in Höhe der Baustelle, auf eine große Scher-
benhalde, direkt unter der Grasnarbe, Cie 8m lang, knapp 4m
breit und mindestens 1,5m tief war. Es wurden gut erhaltene
Krüge, Verwurfstücke und natürlich Scherben in großeı Mengen
gefunden, neben einem reichen Sortiment von Krügen, auch
Schnellen, Scherben von Näpfen und Schüsseln. (Siehe Abb. 2).
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Abbildung 2
Alle Krüge haben breite sogen. Wellfüße und Bauchreifen
bis zum unteren Ansatz des Ausgabehenkels, es folgt dann ein
glattrandiger Teil etwa bis zur Mitte des oberen Ansatzes des
Ausgabehenkels oder bis kurz unterhalb des Ansatzes des Henkels.
Bei den Ölkrügen geht eine kurze, enge Halspartie dann in eine
durch Grat abgesetzte Lippe über, während die meisten der
übrigen Krüge - Trinkkrüge und Vorratskrüge - in einer breiten,
glattrandigen Halspartie, abgesetzt durch einen kleinen Reifen,
enden,
56
Natürlich haben wir zahlreiche Spinnwirtel, Spinnradtöpf-
chen gefunden, daneben zwei- und dreihenkelige Krüge, auch
zahlreiche Gesichtskrüge, Trichterhalskrüge, einige zweihenkeli-
ge breite Trichterhalskrüge, (Siehe Abb. 3) einige Öllämpchen
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Abbildung 3
von allgemein bekannter Form. Zu erwähnen ist noch, daß wir
etliche Tonplättchen, sogn. Brandhilfen, die zum Stapeln der
Krüge im Ofen dienten, auf der Scherbenhalde und auch als Bo-
denbelag im Hause Hick vormals van Weersth gefunden haben.
Wir verfügen über zahlreiche Scherben mit den verschieden-
sten Gesichtern, wovon eine an der Seite einen aufgewinkelten
Arm aus aufgelegten Wülsten trägt.
Alle Gefäße sind mit einer Salzglasur überzogen ; das Far-
benspektrum reicht von grau- gräulichblau bis hellgrau und von
gelblich- hellbraun bis goldbraun. (Siehe Abb. 4).
Zwei unglasierte Gefäße, wovon das eine von gedrückter,
bauchiger Form auf abgplatteter Standfläche ist (Höhe 9 cm),
während das andere Gefäß eher an eine Tasse mit ihrem etwas
hochgestellten leicht angedeutete Wellenfuß erinnert (Höhe 9,5
58
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Abbildung 6
am Rande der heutigen Ruinen der Wasserburg lag, darinnen
eingeschlossen der alte Hof van Weersth, heute Hick (3).
Als einzige uns bekannte ”Kruchenbecker” Töpfer aus die-
sem Ort werden Tis Kruchenbecher (1505-1515) sowie Jakob
und Tonis Kruchenbecher (1546-1549) im Lehnsregister nament-
lich genannt (4). Diese geschichtliche Kunde und die bisher ge-
fundenen Mengen an Steinzeug sowie der bisher einzige nachge-
wiesene Töpferofen - leider nur als Skizze erhalten - deuten auf
das Bestehen eines Töpfereigewerbes von nicht zu unterschät-
zender Größe in Hauset hin.
Da Hauset nicht in ”der Raerener Innung” (5) (Raeren,
Titfeld, Neudorf und Merols) genannt wird, verschiedentlich
wird es wohl am Rande erwähnt (6), steht es alleine da, und man
müßte es daher als eine selbständige und unabhängige Töpferei
neben den damals bekannten Töpferorten wie Aachen, Eynatten,
Frechen, Petit-Rechain usw, sehen.
Über die Anfänge des Töpfereigewerbes in Hauset herrscht
bis jetzt noch Unklarheit. Aufgrund aber des bisher gefundenen
Steinzeugs, welches von extremer Einfachheit in Form und Farbe
59
ist und außer den Gesichtskrügen keine Ornamente oder sonstige
veredelnde Dekors zeigt, läßt sich vermuten, daß die Töpferei
in Hauset wahrscheinlich ihre Arbeit vor Erscheinen der kost-
baren und reich geschmückten Jan Emens-Krüge um 1568-1584
beendete,
Obwohl wir einen reichen Fund gemacht haben und Hau-
seter Töpfe hiermit zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt
werden, ist weitere Forschungsarbeit nötig, um das lückenhafte
Wissen vielleicht doch eines Tages zu vervollständigen,
Literatur :
(1) Jeuckens, Robert : Eupener Land und Volk im Wandel der Zeiten,
1935, S. 188.
(2) De Seyn, Eugene : Dictionnaire Historique et G&Eographique des
Communes Belges. 3"° Edition, Tome 1*", S. 537.
(3) Reiners, Heribert u. Mitarb. : Die Kunstdenkmäler von Eupen -
Malmedy. 1935, S. 123-124.
(4) Kohnemann, Michel : ”Die Raerener Töpferfamilien” in Geschicht-
liches Eupen IV, 1970, S. 69 und 71.
(5) Reineking-von Bock, Gisela : ”Steinzeug” Katalog des Kunstgewer-
bemuseums Köln, Ausgabe IV. 1971, S. 40.
(6) (a) Mayer. Otto Eugen : ”Fünfzehn Jahre Grabungen im Raerener
Land” in Raerener Steinzeug von Hellebrandt, Heinrich. 1967,
S. 165.
(b) Kever, Leo : Ein Schatzgräber erzählt. 1968, S. 32.
|
60
Hauset wird selbständige Gemeinde
von A. Bertha
Vorbemerkung :
Die im Zuge der französischen Verwaltungsreform und Um-
strukturierung vorgenommene Verschmelzung der Ortschaften
Hergenrath und Hauset zur ”Mairie de Hergenraed” war nicht
dazu angetan, den Hausetern besonders zu gefallen.
Im Jahre 1846 beschließen sie, die Lostrennung von Her-
genrath zu fordern. Sie wenden sich an die Königlich-Preußische
Regierun?, Abteilung des Innern, zu Aachen. Das Original ihrer
Eingabe ist leider verloren ; doch leitete die Aachener Behörde
das Gesuch der Hauseter weiter an den Ober-Präsidenten der
Rhein-Provinz zu Koblenz und aus diesem Schreiben können wir
sehen, was die Hauseter zu diesem Schritt bewogen hatte. Im
Abdruck bringen wir unseren Lesern hier den Brief der Aachener
Abteilung des Innern vom 14. September 1848 sowie ein
zweites Schreiben der gleichen Behörde über die Zusammenset-
zung der Bürgermeistereiversammlung und den Census als Meist-
beerbter. Unter ”Meistbeerbte” muß man die meistbegüterten
oder die vermögensten Einwohner verstehen. Der ”Census” ist
der jährlich gezahlte Steuerbetrag. Wer nicht eine Mindestsumme
an Steuern zahlte, wurde nicht zu den ”Meistbeerbten” gerechnet,
hatte in Gemeindeangelegenheiten auch nicht mitzureden.
Eine eigene Gemeinde bedeutete für Hauset eigene Standes-
amtsregister und vor allem getrennte Haushaltsführung. Letzte-
res scheint den Ausschlag für das Vorgehen Hausets gegeben zu
haben.
Am 1. Januar 1850 wurden für Hauset besondere Personen-
standsregister eingeführt ; mit ihrer Führung wurde der Gemein-
devorsteher Johann Egidius Bischoff betraut. Der Gesamt-
gemeinderat der Bürgermeisterei Hergenrath, d.h. der Rat von
Hergenrath und Hauset zusammen, zählte 12 Mann. An der
Spitze der Bürgermeisterei stand 1850 Carl Esser, der 1847,
nach einem Schlaganfall des Bürgermeisters von Lasaulx, mit der
kommissarischen Verwaltung Hergenraths betraut worden war.
Ihn löste am 25. Nov. desselben Jahres der beigeordnete Bür-
61
germeister von Preußisch-Moresnet, Cornelius Hubert Mostert,
ab, der dann am 18. 1. 1851 zum Bürgermeister der Bürger-
meisterei Hergenrath ernannt wurde. Beigeordneter Bürgermei-
ster von Hergenrath blieb Johann Wilhelm Schmetz.
Der oben genannte Bischoff nahm 1877 seine Entlassung
aus allen öffentlichen Ämtern, Daraufhin wurde Wilhelm Arnold
Schmetz (Sohn von Johann Wilhelm Schmetz) 1. Beigeordneter
der Bürgermeisterei Hergenrath. Gemeindevorsteher von Hauset
wurde Johann Peter Timmermann.
Es blieb aber nicht bei diesem personellen Wechsel, Die
Standesämter Hergenrath und Hauset wurden 1877 wieder mit-
einander verschmolzen zum Standesamtsbezirk der Bürgermei-
sterei Hergenrath. Erst die Neuordnung der Gemeinden in belgi-
scher Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sollte Hauset wieder die
vollen Rechte einer selbständigen Gemeinde zurückgeben.
Acta des rheinischen Ober-Praesidii betreffend die Einführung
der Communal-Ordnung im Kreise Eupen,
Aachen, den 14, Sept. 1848
Die Erhebung des Dorfes Hauset
zur selbständigen Gemeinde,
Die beiden Dorfschaften Hergenraed und Hauset, welche die
gegenwärtige Bürgermeisterei Hergenraed, Kreises Eupen, bil-
den, waren früher zwei besondere Bürgermeistereien und sind
beim Eintritt der französischen Herrschaft zusammengeworfen
worden. Die Einwohner von Hauset haben in dieser Vereinigung
und in der Verschmelzung der Revenüen schon längst ein Miß-
behagen gefunden und durch die gehorsamst in Original ange-
bogene Eingabe vom 13ten April 1846 den Wunsch ausgespro-
chen, wieder als selbständige Gemeinde mit eigenem Haushalte
hergestellt zu werden, und zur Begründung des Antrages beson-
ders hervorgehoben, daß Hauset getrennte und verhältnismäßig
größere Waldungen besitze wie Hergenraed, zum Pfarr- Schul-
und Armen-Verbande von Eynatten gehöre und zu dem Kirchen-
Neubau von Hergenraed indirekt, ohne dazu verpflichtet zu sein,
dadurch mit beitrage, daß die Zinsen von verkauften und zu ver-
kaufenden Gemeinde-Gründen, sowie die Holzverkaufsgelder in
62
die gemeinschaftliche Bürgermeisterei-Kasse flößen und aus letz-
terer die Kirchenbaukosten und die Schulden getilgt würden ;
ferner daß Hauset 1 resp. 5/4 Stunde von Hergenraed entfernt,
durch schlechte Wege getrennt, und dadurch die Communication
mit dem Bürgermeister, der in Hergenraed wohne, oft unterbro-
chen sei.
Die Angaben beruhen in Wahrheit. Das Besitzthum von
Hergenraed umfaßt 405 Morgen 72 Ruthen mit 215 Thaler, 21
Sgr 6 Pf Reinertrag, wogegen Hauset 930 Morgen 104 Ruthen
90 Fuß mit 347 Thaler 8 Sgr 8 Pf Reinertrag besitzt. Außerdem
haben beide Gemeinden getrennte Kapitalien, von denen Hergen-
raed jährlich 46 Thaler 10 Sgr 1 Pf und Hauset 13 Thlr 27 Sgr
1 Pf Revenüen haben. Hergenraed zählt 767 und Hauset 469
Einwohner und es unterliegt keinem Zweifel, daß, wenn die Re-
venüen zusammengeworfen werden, Hauset im Nachtheile steht.
Beide Gemeinden sind bei sorgsamer Verwaltung im Stande,
ihre Bedürfnisse aus den Revenüen zu bestreiten.
Zur Erreichung der getrennten Verwaltung sind in Gemäß-
heit des Par, 2 der Gemeinde-Ordnung die Meistbeerbten der
beiden Gemeinden vernommen worden und ermangeln wir nicht,
deren Erklärungen in den beigehenden beiden Verhandlungen
vom 15 August a.c. gehorsamst vorzulegen.
Es bleibt zwar zweifelhaft, ob durch die Erklärung für Hau-
set den Erfordernissen jenes Paragraphen, wonach zwei Dritt-
theile sich für die Abtrennung aussprechen müssen vollständig
entsprochen ist, indem dort überhaupt 22 Meistbeerbten vorhan-
den und nur 13 erschienen sind. Wenn man auch den M. Vorage,
der in der Versammlung nicht gegenwärtig war, aber nach der
Beilage zu der Verhandlung seine Beistimmung schriftlich zu er-
kennen gegeben hat, mitrechnet, so kommen erst 14 heraus. Ob
der weiter - aber im betrunkenen Zustande erschienene W. Koc-
kertz für oder gegen die Abtrennung gestimmt hat, constirt
nicht. - Da indessen von sämmtlichen im Dorfe wohnenden übri-
gen Meistbeerbten sich 2/3tel für die Trennung ausgesprochen
haben, diesem Antrage auch von den außerhalb wohnenden 9
63
Meistbeerbten, in der deshalb abgehaltenen Versammlung 5 bei-
getreten, die Meistbeerbten von Hergenraed mit der Trennung
zufrieden sind, und bei dem Umstande, daß 9 Meistbeerbte von
Hauset außerhalb wohnen, schwerlich jemals alle zu solchen
Versammlungen erscheinen werden, die Zusammenberufung der
gezetzlichen Zahl schon zweimal versucht ist, so möchte nach
unserem gehorsamsten Dafürhalten wohl darüber weggegangen
werden können und zwar um so mehr, als der Meistbeerbte Jo-
hann Metz über 80 Jahre alt und stets bettlägerig ist daher nie-
mals erscheinen und gewissermaßen durch diese Unfähigkeit zur
Theilnahme an den Geschäften nicht mehr als Meistbeerbter be-
trachtet werden kann, Nach dessen Abrechnung bleiben dann
noch 21 Meistbeerbten für Hauset übrig und von diesen haben
sich 2/3tel für die Trennung ausgesprochen.
Wir nehmen daher keinen Anstand Euer Hochwohlgeboren
gehorsamst zu bitten die Wiederherstellung von Hauset als selb-
ständige Gemeinde hochgeneigtest gestatten zu wollen.
Die Meistbeerbten von Hauset haben zugleich auf Abrech-
nung der Revenüen etc. für die letzten drei Jahre 1846-1848
angetragen. Dieses wird der gütlichen Einigung der künftigen
Vertreter der zwei Gemeinden lediglich überlassen werden kön-
nen,
Königliche Regierung
Abteilung des Innern
Der Ober-Präsident gibt am 23. Sept. 1849 seine Einwilli-
gung in die Wiederherstellung Hausets als selbständiger Gemein-
de mit dem Bemerken, daß er den Vorschlägen zur Festsetzung
des ”Meistbeerbten-Census” sowie der Zahl der gewählten Bür-
germeisterei-Abgeordneten ergebenst entgegen sehe.
Aachen, den 6. December 1848
Unter Bezugnahme auf die verehrliche Verfügung vom 23.
September a.c. N° 7513 wodurch die Dorfschaften Hergenraed
und Hauset im Kreise Eupen zu selbständigen Gemeinden erho-
ben sind ermangeln wir nicht Euer Hochwohlgeboren hierbei
1) die Übersicht der nach Par. 3,4 und 5 der Ministerial-
Instruction vom 3.ten September 1845 zur Einführung der Ge-
meinde-Ordnung einzureichenden Verhandlungen in duplo.
64
2) die beiden summarischen Nachweise über die vorhande-
nen Hausbesitzer welche zwei Thaler und mehr Prinzipal-Grund-
steuer bezahlen,
3) das Protokoll des Gemeinde-Rathes, wodurch der Census
zur Befähigung als Meistbeerbter auf 2 Thlr vorgeschlagen wird,
gehorsamst einzureichen
Der Einführungs-Commissar hat darauf angetragen, daß die
Bürgermeister- Versammlung aus sämmtlichen 12 Gemeinde-Ver-
ordneten der beiden Gemeinden gebildet werde. Da in diesen die
Vorsteher enthalten sind, welche vermöge ihres Amts Mitglieder
jener Versammlung werden, so bleiben noch 5 für jede Gemein-
de übrig. Wir können uns hiermit resp. mit der Bildung der
Bürgermeisterei-Versammlung aus 12 Personen nur einverstanden
erklären, da die drei Meistbeerbten, welche 50 Thaler und mehr
steuern, auswärts wohnen, selten oder nie an den Berathungen
Theil nehmen dürften und auch bis jetzt noch nicht im Gemein-
de Rathe erschienen sind.
Königliche Regierung
Abteilung des Innern
Auch gegen diesen Vorschlag, den Census zur Befähigung
als Meistbeerbter auf 2Thaler festzusetzen und die Bürgermei-
stereiversammlung aus sämtlichen 12 Gemeindevertretern zu bil-
den, hat der Oberpräsident Eichmann nichts einzuwenden.
65
Die «Pavei» - Grenzstraße zwischen Herbesthal
und Welkenraedt vor 1914
von Leo Homburg
Meine Kindheitsjahre verlebte ich in Herbesthal, in meinem
Elternhaus, an der Ecke der Grünstraße, dort, wo sie in die
Neutralstraße einmündet. Diese i. J. 1787 erbaute Grenzstraße
zwischen Belgien und Deutschland wurde von den Belgiern und
auch von vielen Herbesthalern nicht anders als ”die Pavei” ge-
nannt. Die Fahrbahn bestand aus dicken, hellen, ins rötliche
übergehenden Pflastersteinen, (1) Ehe ich zur Schule mußte, war
mir nur bekannt, daß die eine Richtung nach Eupen führte und
daß man in der anderen Aachen und sogar Lüttich erreichen
konnte,
Nicht nur die eisenbereiften und von Pferden gezogenen
Fahrzeuge der Bauern benutzten diese Straße. Man sah auch die
schweren zweirädrigen und mit zwei oder drei Pferden bespann-
ten Karren der Mühlenbesitzer und Futtermittelhändler Schyns
aus Moresnet und Wertz aus Lontzen. Eupener Biertransporter
zogen vorbei und die Brüder Jakob und Leonard Jungbluth aus
Welkenraedt, von deren Karren mancher Sack unverzollt auf
deutscher Seite landete. Hin und wieder kam ein Dogcard, auch
schon mal das damalige Pauquetsche Taxi aus Herbesthal, ein
mit zwei Pferden bespannter Landauer. Zu den regelmäßigen Be-
nutzern dieser Pavei gehörte auch der Walhorner Bäcker F.
Schumacher, der uns das Graubrot lieferte. Weißbrot lieferten
die Welkenraedter Bäcker Nyssen und Scheen billiger als ihr
Walhorner Zunftgenosse und zu Neujahr erhielt jeder Kunde von
ihnen einen großen ”Platz” (Rosinenkuchen) gratis.
Nyssen und Scheen trugen ihren belgischen Kunden das
Brot ins Haus. Die auf deutscher Seite wohnenden Hausfrauen
mußten bis zum Karren, sich ihr Brot selbst zu holen ; auch das
Petroleum für unsere Lampen brachte ein belgischer Händler.
Mit unseren Kannen mußten wir zum Wagen, den er auf der
Straße hatte anhalten lassen. Zollbeamte hatten gegen alles, was
(1) Pavei von frz. pav€ = Pflaster
66
sich auf der Straße zutrug, keine Handhabe. Eingreifen durften
sie erst, wenn zollpflichtige Ware ins Haus eingeführt wurde.
Selbstverständlich wurde alles, was in Welkenraedt billiger war,
über die Pavei eingeführt. Man mußte sich nur vergewissern, daß
die Luft rein war und sich gut umsehen, ehe man die Grenz-
straße verließ.
Selten sah man auf der Pavei ein Automobil. Kam doch mal
eines, so war es der Schrecken der Hühner, die die meiste Zeit
auf der Straße in den Roßäpfeln herumscharrten und diese nach
unverdauten Haferkörnern durchsuchten. Die Hühner waren es
gewohnt, den Pferdefuhrwerken auszuweichen. Trotz dem
auf deutscher Seite stehenden Schilde ”Auto 15 Km” gab es
manchmal Tote unter dem Federvieh, wenn ein Auto es über-
rascht hatte,
Beiderseits der Fahrbahn befand sich ein ungefähr zwei Me-
ter breiter Gehweg ; auf ihm fuhren auch die wenigen Fahrräder,
die es damals gab. Mein Vater war Postbeamter in Herbesthal.
Mutter hielt einige Kühe. Ein Fahrrad besaß der Vater schon
lange und er hatte die Vertretung der Gewehr- und Fahrradfa-
brik Hanel aus Suhl übernommen, Nicht immer gelang es mei-
nem Vater, den Bauer, dem er ein Fahrrad verkauft hatte, nun
auch das Fahren zu lehren, und dies trotz aller Mühe, die er
sich geben mochte. Übrigens, eine Frau hat er nie als Kundin
gehabt. Zu den prominentesten Kunden gehörte der Welkenraed-
ter Arzt Dr. Nyssen, der jedes Jahr sein Rad gegen ein neues
eintauschte. Das billigste Rad kostete damals immerhin 116
Goldmark.
Bei schönem Wetter promenierten auf dem Gehweg die
Frauen der Herbesthaler Beamten, hauptsächlich jene der Zoll-
beamten. Letztere hießen bei uns ”Zwölfender”, weil sie zwölf
Jahre Soldat gewesen waren und beim Verlassen des Heeres einen
Zivilversorgungsschein erhalten hatten, der sie zum Eintritt in
den Zolldienst berechtigte. Die extravaganten Damen schleppten
ihre Röcke hinter sich her, oder trugen sie mit einer Hand hoch-
gerafft. Auf ihren Köpfen hatten sie große, breitkrempige Hüte,
67
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Die Müh'e Schyns aus Moresnet-Dorf belieferte die Bäcker von Welken-
raedt, Baelen und anderen Orten mit Backmehl. Vor dem Cafe Meyers
legten die Pferde eine Verschnaufpause ein. (Das Photo wurde uns freund-
licherweise von Herrn Dir. A. D. J. Meyers-Michel, dessen Großvater
ganz rechts im Bilde, zu,cehen it; zur, Verfügung. go.telt)
geziert mit großen Vögeln, Straßenfedern oder Blumen, und auf
der Schulter einen geöffneten bunten Sonnenschirm. Sie zogen
zu dem zwischen Grünstraße und Weißem Haus gelegenen und
von drei Seiten vom Katebusch umgebenen belgischen Cafe
Meyers. Auf der gegenüberliezenden deutschen Seite befand sich
ein von hohen Tannen umgebenes Rondell, wo Tische und Stüh-
le einladend aufgestellt waren (1). Herr Meyers und Frau be-
dienten die Gäste beiderseits der Straße gleich freundlich. Die
im Rondell auf deutscher Seite Sitzenden durften allerdings nur
glasweise becient werden. Es war nicht gestattet, mit einer Fla-
sche zum Nachschenken die Pavei zu überqueren.
Belgische Gendarmen sah man auf der Pavei regelmäßig.
Sie trugen weiße Brustschnüre und wurden deshalb ”Kordeman-
der” genannt. In der Nähe der Bahnüberführung tauschten sie
mit den Herbesthaler Kriminalbeamten Gartenfeld und Weigand
unerwünschte und kriminelle Elemente aus.
(1) Der ”Katebusch” wurde 1949-50 gerodet. Das Rondell war schon
früher in die angrenzende Wiese einbezogen worden.
68
Öfters benutzte die Pavei der preußische Gendarm Westen-
dorf. Auf stolzem Pferde, den Helm mit blitzender Spitze auf
dem Kopf, kam er daher. Schon vor 1914 hat er den Beweis er-
bracht, daß Belgien nicht vor einem deutschen Überfall sicher
war. Wir hatten uns zu vier Jungen ein Paket belgischer Ziga-
retten, 25 Stück für 25 Centimes, damals 20 Pf, gekauft. Im
Schatten eines Ahornbaumes saßen wir auf der Welkenraedter
Friedhofsmauer, die an der Sraße grenzte, machten unsere er-
sten Rauchversuche und fühlten uns vollkommen sicher. Da kam
durch den Rauchernebel der Gendarm angeritten. Zwei Freun-
den und mir gelang es noch, auf der anderen Seite zwischen den
Grabkreuzen Zuflucht zu finden. Meinen jüngeren Bruder aber ‚,
erwischte der Gendarm und lieferte ihn 100 Meter weiter bei
meiner Mutter ab, nicht ohne auch für mich eine exemplarische
Bestrafung zu fordern.
Unser zweitnächster Nachbar war Fräulein Zillekens, ge-
nannt Thires Mari, weil sie Jahrzehntelang im Haushalt des Ba-
rons Thiriart de Mützhagen, im Volksmund von Münzhagen ge-
nannt, tätig gewesen war. Sie besaß ein aus Blausteinquadern er-
bautes Haus (heute durch Klinkervorsatz renoviert), dazu einen
großen Garten (heute zum Teil bebaut) mit Apfel-, Birnen-,
Pflaumen- und Kirschbäumen sowie einer langen Reihe Stachel-
und Johannisbeersträucher. Thires Mari pflanzte Gemüse und
verkaufte alles, was sie selbst nicht brauchte, Haus und Garten
hatte sie vom Baron geerbt. Obschon es unsere Eltern nicht ger-
ne sahen, unterhielt sie sich immer wieder mit uns Kindern. Vor
allem interessierte sie, was uns ”der Schwarze” (= der Pfarrer)
in der Schule erzählt habe. Einmal sagte sie uns, wir sollten ihn
doch mal fragen, wo alle die ”Störker” (= Heizer) herkämen,
die nötig seien, um die Hölle zu heizen.
69
In ihrem Garten befand sich ein Gewächshaus. Es war ihr
ganzer Stolz. Die vielen kleinen Scheiben hatten uns schon oft
angelacht, bis eines Tages mein Freund K, und ich einige geziel-
te Steine hineinwarfen. Entgegen unserer Meinung waren wir
dabei jedoch gesehen worden, wie sich am nächsten Tage zeigen
sollte. Als wir aus der Schule kamen, kehrte Fräulein Z. wie üb-
lich die Roßäpfel auf der Pavei für ihren Garten zusammen. Dies-
mal befand sich jedoch in ihrem Eimer eine stinkende Brühe, die
sie, als wir an ihr vorbeigingen, über uns beide ausgoß. Schim-
pfend und den Besen schwingend lief sie dann hinter uns her.
Während wir an meinem Elternhaus vorbeiliefen, kehrte sie dort
ein. Nichts Gutes ahnend kam ich nach Hause. Es gab eine
tüchtige Abreibung, eine gehörige Standpauke und 50 Pf dazu.
Damit sollte ich dem Fräulein Z. die eingeworfenen Scheiben
bezahlen. Erst aus Angst, dann in der stillen Hoffnung, nichts
mehr davon zu hören, zögerte ich die Bezahlung hinaus. Ich
hatte dann tatsächlich die Genugtuung, die Prügel mit 50 Pf
bezahlt bekommen zu haben ; eine gute Vergütung, dachte ich,
verglichen mit den Prügeln, die Lehrer Pünter damals in der
Schule ohne jede Vergütung austeilte.
Mit den Nachbarskindern, ob sie nun nach Welkenraedt
oder in Herbesthal zur Schule gingen, verband uns eine durch
keinerlei Nationalitätsprobleme beschwerte Freundschaft und Ka-
meradschaft. Obwohl zur damaligen Zeit in Belgien kein Schul-
zwang bestand, hatten die Kinder, die nach Welkenraedt zur
Schule gingen, uns gegenüber den Vorteil, daß sie, wenn sie die
Schule verließen, neben dem heimischen Platt auch Deutsch und
Französisch sprachen. Wir sprachen etwas besser Deutsch, aber
kein Wort Französisch, was mir später oft sehr nachteilig ge-
wesen ist.
So war es also damals vor 1914 auf der Pavei in Herbes-
thal - Welkenraedt, Von all dem ist heute nur die Erinnerung ge-
blieben.
70
Fauna und Flora. der Kelmiser Gegend
von Louis Bindels
Seit vielen Jahren schon verbringe ich meine Freizeit damit,
das Leben unserer gesamten heimischen Tierwelt nebst Insekten
und Vögeln zu studieren. Über diese meine Beobochtungen möch-
te ich Ihnen nun, falls Sie daran interressiert sind, regelmäßig be-
richten.
Da hätten wir, zum Beispiel, die Brennesseln und Disteln ...
”Lästiges Unkraut !” werden Sie sagen und ich glaube Ihnen
sogar, daß es schwer fallen dürfte, jemanden zu finden, der da .
anderer Meinung wäre,
Es ist dem Menschen sogar gelungen Sprühmittel herzu-
stellen, mit deren Hilfe dieses ”Unkraut”” in Wiesen, Feldern
und an den Straßenrändern sozusagen ausgerottet ist. Ein neuer
Sieg der Chemie? ...
Sehen wir doch bitte einmal etwas genauer hin. Sie kennen
doch bestimmt alle unsere buntesten Schmetterlinge : den Admi-
ral (Vanessa atalanta), den Distelfalter (Vanessa cardui), das
Tagpfauenauge (Vanessa io), den kleinen Fuchs (Vanessa urticae)
und den großen Fuchs (Vanessa polychloros). Haben Sie sie
wirklich nicht vermißt in den letzten Jahren ? Sehen Sie, so wenig
achten wir auf unsere kleine Umwelt! Ich glaube sogar be-
stimmt, daß Sie sich nun alle daran erinnern, diese Arten Schmet-
terlinge gar nicht oder nur noch ganz selten gesehen zu haben ;
aber ... erst jetzt. Der Grund für das Aussterben dieser Schmet-
terlingsarten liegt jedoch für den Entomologen ganz einfach
daran, daß gerade diese beiden ”Unkrautarten” den Raupen
jener völlig unschädlichen Falter als Futterpflanze dienen.
Hier nun meine Bitte an Sie alle : Ich verlange nicht, daß
Sie nun Unkrautplantagen anlegen sollen, habe jedoch den heim-
lichen Wunsch, daß jeder von uns in seinem Garten oder auf
seinem Grundstück ein kleines verstecktes Plätzchen finden mö-
ge, wo ein Büschel Brennesseln oder einige Disteln wachsen
A
dürften ; von den Disteln kann man ja, um sich nicht strafbar
zu machen die Blüten abschneiden ; von den Brennesseln natür-
lich auch, aber bitte erst dann, wenn der Same zu reifen beginnt,
da der kleine Fuchs seine Eier nur in der Krone der Brennesseln
ablegt. Die bunte Pracht der Schmetterlinge auf Ihren Blumen-
beeten wird bestimmt das bißchen Unkraut aufwiegen.
Ein weiterer, noch seltenerer Gast bei uns, ist der kleine Perl-
mutterfalter (Argynnis lathonia) geworden, der besonders gerne
auf Ödländereien lebt.
Da nun dessen Raupe, (weniger häufig dessen Puppe) über-
wintert, fallen sie einer anderen Gefahr zum Opfer. Wenn auf
Ödländereien das Gras so schön trocken ist, fühlen die Kinder
und sogar mancher Erwachsene sich geradezu herausgefordert,
dort ein lustiges Feuerwerk zu veranstalten und in absehbarer
Zeit kann ein weiterer Name auf unserer heimischen Schmetter-
lingsliste gestrichen werden,
Die Bläulinge, diese kleinen blauen Falter der Familie Ly-
caena, dessen häufigste Vertreter bei uns Icarus, Bellargus und
Semiargus sind und an den gleichen Orten leben, entgehen dem
Flammentod nur dank unserer Ameisen. Da die Raupen dieser
Falter so winzig klein sind, schleppen unsere auf Wintervorrat
bedachten Ameisen sie in großen Mengen in ihre unterirdischen
Winterquartiere, Da das Fleisch dieser Raupen aber nicht sehr
schmackhaft ist und die Ameisen immer Vorrat im Überfluß
haben, kommt es nie dazu, daß diese Raupen angeknabbert wer-
den. So krabbeln dann im Mai die Räupchen wohlbehalten aus
ihrem Ameisenquartier und kurze Zeit darauf ergänzen die Bläu-
linge wieder unsere kleine Fauna. Danken wir es den Ameisen,
indem wir ihre Nester nicht sinnlos zerstören !
72
Herbstwind
von M. Th. Weinert
Im Venn geht der Wind um,
weit kann man ihn hören,
er zerrt an den Birken
und rüttelt die Föhren,
er schwingt seine Fahne
auf jedem Wipfel
und jagt mit den Blättern
die Wolkenzipfel.
Er bläst auf den Tümpel ö
die stürmischen Wellen,
die Ginsterschoten
rasseln wie Schellen,
die braunen Gräser, F
die bald vergehn,
müssen zu seiner Harfe wehn ...
sein Atem ist eisig,
er pfeift, daß es gellt
und hetzt einen Hasen
rund um die Welt.
U)
Fahrt durch die Nacht
von M, Th Weinert
Schatten in die Nacht geschrieben,
flammend hohes Feuermal,
Funken zischen und zerstieben,
um der Lohe Glutfanal,
Rauchgeschwärzte Schlote weisen
— Fingern gleich — zum Firmament,
ob dem Gott von Stahl und Eisen,
auch im Schacht der Stern entbrennt.
Kratern gleich die schwarzen Trichter, .
Wasser füllt sie bis zum Rand,
schemenhafter Schatten Lichter
geistern über ödes Land,
Riesenhafte Türme gleißen
einer neuen Neon-Stadt,
schrille Klänge dröhnen, reißen,
unsichtbarer Ketten satt.
Licht in allen Nachtgefilden !
Mehr und mehr und grell wie nie !
Auf phantastischen Gebilden
thront der Gott der Industrie,
74
Der vulle Peter
von Gerard Tatas
Erasmus hat, dat kann me läse,
Jelobt de Dölheet en jepräse.
Ech äver stemm e Loblied an
En pries de Vulheet en ne Man,
Dä woß : Et Werke es jeng Ihr.
Denn also sätt der Chrestelihr :
Et Werke es en Strov, en vies,
Ne Flok, dä ene Paradies
Jott över alle Lüj verhong, S
Weil Adam ajjen Äppel jong.
Sö steht et do — en dat behol
Dä Minsch van däm ech kalle wol.
Et wor der Peter — häe verstok
E Läve lang sech vör dä Flok.
E makde raffeniet en trog
Öm jedder Werk ne jrute Bog
En stempelde en enge Stöck.
Och hauwe vör der Kreg dat Jlöck,
Dat johrelang, flex voftie Johr
Bow nörjens Werk te venge wor.
Wie häe now tien Johr dörch de Welt
Wor kome met et Chomagjeld, $
En jar net mie a Werke dat, *
Du kräch häe onderens en Kat.
Der Peter käek ens en sat : ”Ba !
Dat es jätt van der Syndikat.
Dat soll doch wall nex sie va Werk ?
Nee, foj, nee foj, dat wüer wal stärk !”
Sö wor et äl, häe kräch jesat,
De Wasserleitung wöet jelat,
En dora möß häe werke jue —
Dat koß häe jrad op Franz verstue,
Ne Minsch, dä Pöngel sech en Blech
Mott jedder Mörje krie hat Pech.
Wä werke mott met Schöp en Hack,
Dä völt et ovends Röck en Nack.
Dat hauw der Peter jot bedaht
75
En och derno sech ajelaht,
Et Samstes kräch häe at der Püß.
”Dat es — vertot häe an der Thiss —
Dä Vulech van dä Meester schot,
Weil dä eröm steht wie en Hot,
Ens nie en Schöp ov Hack sech kritt,
En sech et Werk mer jüst besitt !”
Der Thiss verwondert sech : ”Wiesue,
Wat hat dat da met dech te due ?”
Der Peter sat : ”Et Onjlöck wol,
Dat alles mech vör Meester hol !” —
Der Peter also well ech ihre,
Denn van dä Man, do kann me liere,
Dat dat, wat Adam ajesteft,
Ne recht’ge Vullech jar net trefft.
76
Auf dem Büchermarkt
von A. Bertha
”Phonologie der Moresneter Mundart” nennt Dr, Rene Jon-
gen seine im Verlag Van Gorcum & Co., Assen, Ndl., erschie-
nene Abhandlung. Sie ist der 12, Ausgabe der Reihe ”Studia Theo-
disca” und stellt eine wenig gekürzte Fassung der unter dem
gleichen Titel i. J. 1969 an der Löwener Universität zur Erlan-
gung der Doktorwürde vorgelegten Dissertation dar.
Dr. R.Jongen befaßt sich seit Jahren mit Dialektstudien und
seine nunmehr einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemachten
Forschungsresultate sind für den Dialektologen ein besonderer %
Leckerbissen, Die Lektüre dieser Abhandlung stellt jedoch eini-
ge Anforderungen an den mit dem Vokabular der Linguisten
nicht vertrauten Leser. Der Rezensent steht vor einer sehr schwie-
rigen Aufgabe : geht er auf ein Kapitel dieses Buches näher ein,
so wird man ihm leicht vorwerfen können, über einige Pfeffer-
körner zu sprechen, den Braten aber unberücksichtigt zu lassen.
Deshalb will er sich auf eine kurze Inhaltsangabe des vorlie-
genden Werkes beschränken.
Auf etwa 200 Seiten macht der Autor den (gelungenen)
Versuch, die Moresneter Mundart aus allen Blickwinkeln zu
durchleuchten. Er untersucht die phonologische Struktur der Mo-
resneter Wortform, ermittelt die paradigmatisch distinktiven
Merkmale, klassifiziert die phonematischen Einheiten und legt
nach einer sehr eingehenden phonologischen und diasystemati-
schen Analyse dar, wie das phonematische Material im Sprach-
gebrauch ausgenutzt wird. Ein ausführliches Literaturverzeichnis
und ein Wortregister beschließen den Ausgabe, der gewiß in der
Fachwelt und in unserer engeren Heimat auf reges Interesse
stoßen wird.
Daß das Studium der Flurnamen unserer Gegend ein dank-
bares Gebiet der philologischen und heimatkundlichen Forschun-
gen sein kann, hat schon vor Jahren Michel Kohnemann in seinen
”Flurnamen des Walhorner Landes” bewiesen. Unter dem Titel
FF
”Toponymie dialectale germano-romane du nord-est de la
province de Liege (Bd, 168 d. Bibliothek f. Geisteswissen-
schaften der Univ. Lüttich, 1971, 462 S., eine Karte, 45 NF)
hat nun der an der Lütticher Universität lehrende Germanist
Armand Boileau einen gewichtigen Beitrag zum Studium der
Flurnamen im Nordosten der Provinz Lüttich vorgelegt. Unter-
sucht wurden die Orts-, Fluß- und Flurnamen von 26 Gemeinden
in dem Gebiet, das sich von Mouland und der Voer über
die sog. plattdeutschen Gemeinden wie Homburg und Sippenae-
ken bis hin nach Eupen, Raeren und Eynatten erstreckt und auch
Membach, Baelen und Welkenraedt einschließt.
Im ersten Teil seiner Untersuchungen bringt der Autor ein
alphabetisches Verzeichnis aller von ihm registrierten germani-
schen und romanischen Flurnamen unter Angabe der Orte, wo
sie registriert wurden und mit dem Versuch, sie wissenschaftlich
stichhaltig zu erklären.
Der kurz ”Grammatik” benannte zweite Teil führt den Le-
ser in die Entstehung von Ortsnamen allgemein ein und legt an
Hand von vielen Beispielen dar, welche Faktoren bei der Na-
mensgebung mitspielen können. Ortsnamen haben sehr oft eine
lange Geschichte. Ihre Schreibweise ändert sich, sie werden ver-
deutscht oder romanisiert. Auch dies wird von Boileau ausfür-
lich behandelt, Ein sehr interessantes Kapitel widmet er schließ-
lich den Orten mit germanischer und romanischer Bezeichnung
(Eupen - N6&au z. B.) und der Sprachgrenze. Abgerundet wird
der Ausgabe durch ein 44 Seiten starkes Register aller erwähnten
Namen von ”Aachen” bis ”Zwölfmorgen”. Armand Boileau hat
neue Maßstäbe gesetzt. Sein Werk, das 1967 abgeschlossen wur-
de aber erst 1971 in Buchform vorlag, wird bald aus keiner
Fach- und Heimatbibliothek mehr wegzudenken sein.
78
Passio Christi 1973
Zum 6. Mal Kelmiser Passionsspiele
von Leo Wintgens
Das Leben, der Leidensweg und Opfertod Jesu von Naza-
reth haben seit jeher leidenschaftliche Befürworter, manchmal
auch kritische Betrachter gefunden. Und immer wieder sind re-
ligiös empfindende Autoren und Dramaturgen dazu angeregt
worden, wichtige Episoden aus dem Leben Christi auf der Bühne
oder auch im Film den Menschen näherzubringen.
Im Jahre 1973 wird die Pfarre Kelmis/Neu-Moresnet wieder ,
Schauplatz der ergreifenden Leidensgeschichte unseres Herrn.
Zwar kann die rund 5.000 Einwohner zählende Ortschaft Kelmis,
das frühere Neutral-Moresnet, an der europäischen Nahtstelle bei
Aachen und Vaals, sich nicht auf eine weltweite Werbung und
den Ruf eines Passionsortes wie Oberammergau stützen, aber
dies tut dem Gehalt, der Innigkeit des Spiels, seinem religiösen
und künstlerischen Wert gewiß keinen Abbruch.
Doch das Ziel, ein immer zahlreicher und Kritischer wer-
dendes Publikum das Leiden Christi miterleben zu lassen, stellt
hohe Anforderungen an Organisatoren, Spielleiter und Darstel-
ler. Der große Saal der Patronage mußte neu gepflastert und ein-
gerichtet werden ; Vorbühne und Dekoration wurden von eifri-
gen Helfern hergestellt und aufgebaut ... Schon seit mehreren
Monaten proben die Hauptdarsteller (ca. 40), alle freiwillige
Laienspieler aus Kelmis und Umgebung, unter der Leitung des
Kelmiser Regisseurs Franz Uebags.
An den verschiedenen Fastensonntagen (Beginn 18 Uhr/
Dauer 4 Stunden) werden sich wieder zahlreiche Menschen aus
dem deutschsprachigen Raum Ostbelgiens, aus der Wallonie und
Flandern, aus Deutschland, den Niederlanden und darüber hin-
aus in Kelmis einfinden, um diese nun schon zur festen Tradi-
tion gewordene Darbietung zu erleben,
79
Initiator und Verfasser des
PP Kelmiser Passionspieles ist der im
| f Jahre 1936 dieses Passionsspiel.
Franz Darcis, gebürtig aus Heuke-
Ku lom in der belgischen Provinz Lim-
DR \ 2 - burg. Von 1932 bis 1937 war er
VE 7 Kaplan in Kelmis und zugleich ver-
> antwortlicher Leiter des Theater-
— vereins der Patronage. Nachdem er
(& / erfolgreich mehrere religiöse Stücke
inszeniert hatte, schrıeb er zum sil-
bernen Jubiläum der Patronage im
Jahre 1969 verstorbene Pfarrer
In der ersten Nummer unserer Zeitschrift schildert Hw.
Darcis selbst eingehend den Werdegang seines Stücks. Er hebt
dabei ganz besonders die Wirkung hervor, die ein Passionsspiel
in Montenau bei Sankt Vith damals auf ihn und seine Kelmiser
Spieler gemacht habe.
Angesichts des großen Erfolgs der Uraufführung im Jahre
1936 entschloß der Organisationsausschuß sich schon 1939 zu
einer Wiederholung des Spiels. Der leidige Krieg mit seinen vie-
len ungeschriebenen Leidensgeschichten riß auch hier zahlreiche
Lücken und ließ jahrelange Aufbauarbeit verfallen.
Doch im Jahre 1950 feierte das Kelmiser Passionsspiel seine
Auferstehung. Das Heilige Jahr war des Anlaß ; es ließ alte und
neue Spieler und Helfer zusammenfinden, Mit vereinten Kräften
wurden die Dekorstücke und Bühnenbilder geschaffen. Die Pro-
ben konnten beginnen. In 9 Aufführungen erlebten Tausende
von Zuschauern das Spiel.
Auch 1958, das Jubeljahr der Pfarre Kelmis/Neu-Mores-
net, stand im Zeichen der Passio Christi.
Im Heiligen Jahr 1966 wurden die Kelmiser Passionsspiele
zum 5. Mal organisiert ; und nun, nach einer Unterbrechung von
sieben Jahren, sind die Proben in vollem Gange. Der ursprüng-
liche Text wurde für diese neue Aufführung von Herrn Kaplan
H. Kalpers stellenweise überarbeitet und den heutigen Gegeben-
heiten angepaßt.
82
Kennst Du Deine Heimat ?
Zugegeben, die Rate-Aufgaben in Heft Nr. 11 waren nicht
einfach. Es waren Kirchen und Kultgegenstände aus dem Be-
reiche des ganzen Göhltales dabei,
Was mich dazu veranlaßte, war ein Gespräch mit einem
Mitglied unserer Vereinigung aus dem Tal der Göhl in Holland.
Doch jetzt zu unserer Lösung.
Das Bild A, ist die Pfarrkirche von Eynatten.
Hierzu einige Daten, die wir dem Buche : ”Kunstdenkmä-
ler der Rheinprovinz, Aachen und Eupen” entnehmen.
Kthl. Pfarrkirche wird im Jahre 1490 erwähnt. Ende des
16. Jhs. wird der Ort Eynatten zur Pfarrei erhoben, Im 18. Jh.
wird die heutige Kirche als Neubau errichtet, im 19. Jh. um ein
westliches Querschiff erweitert.
Das Bild B. ist die Kathedrale von Maastricht,
Hierzu fehlen mir im Augenblick die nötigen Angaben.
Bild C. ist die Pfarrkirche von Raeren St. Nicolei.
Auch hierzu einige Daten aus oben erwähntem Buch : Die
Walhorner Gudungsbücher (I, 97) nennen die Kirche in Raeren
zuerst 1489, Es wird aber nur eine Kapelle vorhanden gewesen
sein. 1722 wurde Raeren zur Pfarrei erhoben, und bald darauf
begann man die bisherige Kapelle durch einen dreischiffigen
Neubau zu ersetzen, der 1729 vollendet war. 1847 wurde die
Kirche nach Westen um zwei Joch vergrößert und mit einem
Westturm versehen.
Bild D ist die Pfarrkirche von Sippenaeken.
Auch hier bin ich ohne Angaben.
Zu Frage zwei : Bild W. Zu welcher Kirche gehört das
Chor? Das Chor gehört zur Pfarrkirche von Henri-Chapelle.
Bei einem Gespräch mit Herrn Pfarrer Wenders konnte ich
keine konkrete Daten über das Alter der Kirche erfahren. Durch
Kriegswirren und Brandschatzungen der vergangenen Jh. wurden
wichtige Daten über die Kirche vernichtet. Ein Hinweis in Ge-
stalt eines im Chore der Kirche aufgefundenen Altarsteins aus
dem Jahre 1647, der heute den Altar im rechten Seitenschiff be-
kleidet, zeugt von dem Alter des Gotteshauses.
85
Bild D :
Wo könnte diese Kapelle stehen ?
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Die zweite Aufgabe besteht darin festzustellen, welches der
vier Bilder E., F., G. und H. mit einem der Gotteshäuser in Zu-
sammenhang gebracht werden muß.
88
ANHANG
Zusammenfassung des Artikels in frz. Sprache über die
Errichtung der Pfarre Bleyberg
von Herrn P. Xhonneux
Die stetig steigende Bleierzförderung verursachte ein der-
artiges Anwachsen der Bevölkerung des Weilers Bleyberg, daß
dem Bistum Lüttich keine andere Wahl übrigblieb, als das i. J.
1862 für Betriebsangehörige bewilligte öffentliche Gebetshaus
i. J. 1866 zur Pfarrkirche zu erheben. Die neue Pfarre erstreckte
sich auf Gebiete der Gemeinden Gemmenich, Homburg und
Montzen. Vorher waren diese Gemeinden um ihre Stellungnah- |
me zur Errichtung dieser neuen Pfarre gefragt worden. Nach
Prüfung der dabei erhaltenen Befürwortungen und Einwände
war noch die Ansicht der Pfarrer von Gemmenich, Homburg
und Montzen eingeholt worden. Nachdem dann auch das Justiz-
ministerium um Anerkennung der neuen Pfarre gebeten worden
war, ernannte das Bistum Hw. Joseph Langohr zum ersten Pfar-
rer von Bleyberg am 18. August 1866.
Nach wiederholtem Gesuch um staatliche Anerkennung der
Pfarre und Erfüllung der nötigen Vorbedingungen dazu, erhiel-
ten die Bleiberger Einwohner durch kgl. Beschluß vom 9. 12.
1926 endlich diese gesetzliche Bestätigung der Pfarre Bleyberg
unter dem Namen ”Himmelfahrt der allerheiligsten Jungfrau Ma-
ria” in derselben Form, wie der bischöfliche Beschluß sie i. J.
1866 festgesetzt hatte. Die Grenzen der Pfarre Bleyberg sind
der dem frz. Text folgenden Skizze zu entnehmen.
Creation de la Paroisse de Plombieres
Depuis plusieurs annees, l’extraction du minerai de plomb
s’etait considerablement d&veloppee au hameau du Bleyberg et
y avait produit une augmentation considerable de la population.
En 1862, le directeur de 1a mine demanda ä l’&vech6e l’ouverture
d’un oratoire public sur le territoire de 1a commune de Hom-
bourg. L’autorite Episcopale accepta et designa un chapelain.
L’autorisation stipulait que les ouvriers et les personnes attachees
ä V’etablissement pouvaient y faire leurs Päques et y faire bap-
tiser leurs enfants. Le chapelain Gtait aussi autorise ä donner
89
Venseignement du cate&chisme preparatoire ä la premiere com-
munion ainsi qu’ä administrer les sacrements aux mourants, Par
contre, il lui etait interdit de celebrer la communion solennelle
des enfants, de proceder ä des mariages et de donner la sepul-
ture chretienne et de chanter les obs&ques. La cel&bration de
ces diverses ceremonies devait se faire dans l’6glise des paroisses
dont les fideles relevaient. La chapelle etait donc au debut ac-
cessible aux seules personnes relevant de l’exploitation. Cepen-
dant au commencement de 1864, une petition fut organisee de-
mandant l’&rection du hameau en paroisse. Cette petition fut
envoy6e le 31 mars de la meme annee au Ministre de la Justice.
La paroisse en gestation s’etendant sur les trois communes de
Gemmenich, Hombourg et Montzen, ces communes furent invi-
tees a faire connaitre leur point de vue. Les deux premieres don-
n&rent un avis favorable avec toutefois la r&serve de Hombourg
de n’avoir ä supporter aucune charge de ce fait. La commune
de Montzen s’y opposa pour lez raisons svivantes : a) de nom-
breux habitants compris dans la circonscription proposee s’y
opposent ; b) la plupart des signataiies de la petition ne sont
pas libres d’exprimer leur volonte, etant dependants du Bley-
berg; c) la chapelle n’a &t& construite que pour apaiser le me-
contentement des ouvriers qui refusaient de travailler le diman-
che sans entendre une messe ; d) que cette chapelle provenant
d’un ancien four de reduction est dejä lezardee ; e) que de plus
cette chapelle se trouve au milieu de l’usine et qu’elle est exposce
ä toutes les &manations des minerais qu’on r&duit et qu’elle ne
pourra Etre que tre&s malsaine (Registre du Conseil communal
de Montzen, seance du 24 aoüt 1864). Malgre ces objections
dont certaines Etaient fondees, un mandement de Theodore Ale-
xis Joseph de Montpellier, &veque de Liege, crea le 10 aoüt 1866,
la paroisse independante de Bleyberg. Voici ce que dit le man-
dement en question : ”A tous ceux qui verront les presentes, sa-
lut en Notre Seigneur, Le dangper que courent les ämes et le
soulagement qui est reclame de notre part nous fait accueillir
la demande des habitants de Bleyberg. Ils sont sous la depen-
dance des communes de Hombourg, Montzen et Gemmenich.
Or il se fait qu’äa cause de la distance, les vieillards, les enfants,
les malades ne peuvent sans grande difficult& se rendre ä leur
paroisse respective, surtout en periode d’hiver pour assister aux
offices divins et recevoir les sacrements. D’autre part de nom-
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breux ouvriers de cet endroit doivent descendre en puits pro-
fonds pour en extraire le cendre de plomb et de ce chef sont
en continuel danger. Voilä pourquoi il est urgent qu'ils aient un
pretre pour leur administrer ä temps les derniers sacrements.
En cons6quence nous avons decide de proceder au demembre-
ment respectif et ä l’Erection d’une nouvelle paroisse. Apres en-
quöte serieuse faite sur les faits exposes et avoir entendu les
la separons, divisons, de&membrons des 6glises citees, de notre
autorite ordinaire et del&gue par le saint Concile de Trente
Reverends cure&s de Hombourg, Montzen et Gemmenich, l’en-
droit nomme Bleyberg avec son G€glise, habitants et familles,
(chap. 4 session 21) et l’Erigeons en €glise paroissiale et etablis- .
sons les limites comme suit. (voir plus loin)
Aux habitants de ce lieu ainsi delimite&, nous accordons
la pleine et entiere liberte& de fixer et retenir le cimeti@re, les
fonts de bapteme, les cloches et autres signes de paroisse, Les
besoins spirituels du peuple du dit endroit nous les confions et
deputons ä notre fils dans le Christ, Joseph Langohr. Il aura ä
s’occuper de l’administration des sacrements et ä prendre soin
de V’eglise ainsi nouvellement Erigee. Le present decret sera lu
aux fideles du haut de la chaire de verite& dans les 6glises de
Hombourg, Montzen et Gemmenich, ainsi qu’en l’&glise r&cem-
ment Erigee, puis sera transcrit mot ä mot dans les registres des
susdites €glises,
Donne ä Liege, sous notre sceau et celui du secretaire de la
Chancelerie, l’an 1866, le dixieme jour d’aoüt.
Le 19 avril 1921, une nouvelle petition est envoyee deman-
dant la reconnaissance legale de la paroisse par l’Etat. Afin de
faciliter cette reconnaissance, Monsieur Paul Paquot declare par
Ecrit, le 6 mars 1922 que la societe Pennaroya dont il est direc-
teur est disposee ä ceder ä la fabrique, son &glise ainsi que le
mobilier qu’elle contient, sous 1a forme d’un bail d’une duree de
nonante-neuf ans, moyennant paiement d’un loyer annuel d’un
franc. Ce bail serait annule au cas oü l’6glise cesserait a un mo-
ment donne de servir d’&glise paroissiale. Les habitants de Plom-
bieres recoivent enfin satisfaction quelques ann6es plus tard,
par l’Arrete royal du 9 decembre 1926 qui &rige le hameau de
Plombieres en succursale sous le vocable de l’Assomption de la
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tres sainte Vierge Marie. L’arre&te donne comme limites ä la
nouvelle paroisse, celles dejä fixees lors de l’etablissement de la
paroisse €piscopale en 1866 (Moniteur du 8 janvier 1927),
Voici les limites :
Cette succursale est circonscrite par l’axe du chemin dit
Mollenweg, A.-B.; V’axe de la riviere La Gueule, B.-C.; V’axe
du ruisseau dit Bonhagerbach, C.-D.; l’axe de la nouvelle route
de Sippenaeken ä Plombi&res, D.-E.; l’axe du chemin dit de Lat-
tenheuer jusqu’a son intersection avec le chemin de Hombourg
ä Plombieres, E.-F.; une ligne droite aboutissant au point d’in-
? tersectiom du ruisseau dit Theunisbach et du chemin dit Elsen-
weg, F.-G.; l’axe de ce 'dernier chemin jusqu’au bout, G.-H.; Ö
une ligne passant au sud des bätiments de la ferme «te Bosch»
et aboutissant au point de rencontre du chemin vers Vosheydt et
du chemin de Plombieres ä Montzen, H.-I.; l’axe de ce dernier
chemin, 1.-J.; P’axe du:chemin dit Veelgatz jusqu’au bout, J.-K.;
On une ligne. droite formant le prolongement de l’axe de’ce chemin
jusqu’au ruisseau, L.-M.; l’axe de la riviere La Gueule, M.-N.;
la limite de la commune de Gemmenich, N.-O.; l’axe du chemin
dit Hollenweg, O.-P.; ’axe du chemin dit Duisterenweg, P.-Q.;
V’axe du sentier reliant ce dernier chemin ä celui dit Mollenweg,
Q.-A., conformement au plan annex6 au dit arr@t6.